Graf Isch lehnte sich in seinem Schaukelstuhl bequem zurück und beobachtete die Arbeiter auf dem Feld. Er durfte sich das leisten, nannte er doch das gesamte Land hier sein Eigen. Und wenn er Lust verspürte, konnte er sogar mit seinem Bio-Auto herumkutschen. Er nannte es so, weil er es meist von einem Pferdegespann ziehen liess. Hier in der Gegend waren Tankstellen rar gesät, so dass der Tank meist leer war, bevor er an das fehlende Benzin dachte. Dieser ernste Maler vom Gut nebenan hatte ihn auf diese Idee gebracht.
Eine köstliche Idee!
Alle hier schauten ihm kopfschüttelnd nach, wenn sie ihn in dieser Auto-Kutsche vorbeifahren sahen. Er erregte Aufmerksamkeit damit und konnte so den Maler besser verstehen. Bevor dieser nach Paris zu all den anderen verrückten Künstlern ging, hatte er noch gemalt wie jeder hier in Katalonien. Ein paar schräge Striche und Perspektiven, doch man konnte auf dem ersten Blick erkennen, was er da auf die Leinwand bannte.
Vor ein paar Tagen war er zurückgekommen, um seine Eltern mal wieder zu besuchen. Mit dem Kopf voller Flausen von einer neuen Kunstrichtung, die er mit half zu entwickeln. Diese Pariser Künstler hatten schon lange einen Knall, das wusste Graf Isch. Immer waren sie dem Rest des Kontinentes ein oder zwei Jahre voraus. Manches Mal übersprangen die Künstler in anderen Ländern die Pariser Entwicklungen sogar. Und dieses Mal erschloss sich Isch die Chance, so etwas aus nächster Nähe mitzuerleben.
Vor zwei Tagen hatte dieser Maler seinen Antrittsbesuch bei ihm gemacht, und hatte sich tierisch darüber gefreut, dass er sein Auto in eine Kutsche umfunktioniert hatte. Graf Isch hatte sofort anspannen lassen und ihn auf eine Rundfahrt um sein Gut eingeladen. Der Maler amüsierte sich wie ein Kind und unten am Flüsschen hatte er bereits so viele Ideen für neue Bilder, dass er sich ärgerte, seinen Skizzenblock vergessen zu haben. Graf Isch bot ihm daraufhin an, sein Auto als Untergrund zu benutzen. Doch er hatte auch seine Mal-Utensilien vergessen. Also kratzte er seine Ideen in den Lack. Verrückte Figuren, ein Baum mit Ohren und Augen, eine Schnecke, die Zeitung las, einen Fisch, der aus einer Wiese heraus wuchs... Er versprach ihm, den Schaden reparieren zu lassen, wenn er mit dem ‚Kutschen-Auto‘ und diesen Skizzen am Atelier auf dem Hof seiner Eltern vorfahren würde.
Gute Idee, dachte sich da Graf Isch und befahl sofort, die Pferde vor sein Auto zu spannen. Sein Gegenbesuch war fällig, und die Familie des Malers waren ebenfalls keine Kinder von Traurigkeit. Er hatte bei ihnen schon viele fröhliche Stunden erlebt – bis weit nach Mitternacht. Er legte noch ein paar Flaschen von seinem besten Rotwein ins Auto und zog los...
Er erreichte den Nachbarhof ohne Mühe und gut gelaunt, eine halbe Flasche vom Roten war bereits leer. Sein Freund, der Maler, sass im Hofe und tat, was er offensichtlich am Liebsten tat – er malte. Graf Isch ging zu ihm und reichte ihm die angefangene Flasche. Der Maler überraschte ihn ein weiteres Mal. Anstatt einer kräftigen Schluck zu nehmen, mischte er diesen in seine braune Farbe: ‚Danke! Jetzt hat sie den richtigen Farbton!‘
Sofort nahm er einen Baum in Angriff, fügte das Ohr und das Auge ein. Erst nachdem dies getan war, trank er selbst aus der Flasche. ‚Siehst du! Ich hätte dein Auto nicht zerkratzen müssen. Habe mir alles merken können!‘
Der Maler drehte sich um und rief ihren Schlosser. Er solle sich um das Auto kümmern. Doch Graf Isch schritt ein: ‚Bitte lassen sie die Kratzer auf dem Auto! Solche schrägen Figuren auf der Motorklappe hat ausser mir niemand. Ich mag es verrückt, das wissen sie doch!‘
Der Schlosser schlug vor, er könne die Kratzer versiegeln, damit der Rost nicht kommt. Damit war der Herr Graf sofort einverstanden. Doch der Maler war bereits wieder am Werke und fügte weitere eigenartig aussehende Figuren und Gegenstände seinem Bild hinzu. Zwischendurch trank er immer wieder aus den Flaschen, die Graf Isch mitgebracht hatte.
Wenig später trafen noch weitere Besucher ein, aus der Umgebung und aus der Stadt. Alle standen rätselnd vor diesem entstehenden Bild, bis der Maler aus seinem Malrausch wieder auftauchte: ‚Was ist? Gefällt es euch?‘
Keiner wollte einen Kommentar abgeben. So etwas hatten sie noch nie gesehen.
‚He! Schaut doch einmal genau hin! Sehen die Dinge nicht so aus wie auf den Bildern, die wir vor ein paar Jahren in dieser Archäologie Zeitschrift gesehen haben, von den Höhlen-Zeichnungen am Vezere. Ich habe sie doch lediglich farbiger gestaltet als diese Steinzeit-Menschen damals.‘
‚Und das ist Kunst?‘, fragte sein Vater.
‚Du wirst schon sehen, die Leute werden sich bald darum reissen. Dann kann ich euch auch so ein Auto kaufen.‘ Er schnappte sich das Bild und trug es vorsichtig, damit die noch frische Farbe nicht verschmierte, in sein Atelier. ‚Nun. lasst uns feiern! Mein erstes Bild im neuen Stil! In Paris werden alle Augen machen...‘
Man holte Stühle, Gläser und mehr Wein. Niemand dachte mehr an dieses ungewöhnliche Bild. Bis auf Graf Isch konnte eh keiner etwas damit anfangen. Und selbst der Graf war nicht so sicher, ob sich dieser Stil überhaupt durchsetzen würde. Er schnappte sich lieber eine Gitarre und begann ein paar flotte Volksweisen zu klimpern. Alle tranken und tanzten, was das Zeug hielt. Die Stimmung war enorm, denn Katalanen verstehen es, zu feiern. Erst am frühen Morgen, nachdem sich die Sonne bereits zeigte, zog man sich zurück. Graf Isch stieg in seine Auto-Kutsche und fuhr nach Hause. Man hatte ihm zwar angeboten, für ihn ein Zimmer fertig zu machen, doch er war überzeugt, seine Pferde würden den Weg zu seinem Hof alleine finden...
Texte: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Bildmaterialien: Joan Miro - The Tilled Field, Solomon R. Guggenheim Museum, New York
Lektorat: 2018, Jimi Wunderlich, Die Wunderlich(e) Edition
Tag der Veröffentlichung: 10.05.2018
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