Anton starrt in den Nachthimmel. Sicher, das ist nichts Aufregendes. Eigentlich macht er das jeden Tag vom Abend bis zum Morgen. Heute ist aber wieder einer dieser wunderschönen klaren Nächte. Er sieht hinauf, und da sind sie - Hunderte, Tausende, Millionen. Sie leuchten für ihn. Er weiß nicht, wer sie sind und auch nicht, woher sie kommen, doch eines ist klar: Sie sind für ihn da. Scheinen, um seine Einsamkeit zu lindern. Es sind seine Leuchtenden.
An so Vieles kann er sich erinnern. Einst hatten wenige Armlängen von ihm entfernt die Zweibeiner gesessen und gelacht. Doch das ist schon lange vorbei. Keiner kommt jetzt zu ihm. Auch die Geflügelten sind verschwunden. Seine Erinnerung erzählt von ihren Stimmen. Die Kleinen tschilpten leise, die Großen krächzten unüberhörbar.
Einige Krabbler sind noch da, aber auch die verkriechen sich tief unten bei seinen Beinen. Manchmal spürt er das Kitzeln zwischen seinen Zehen. Doch die Krabbler sprechen nicht, und sind zu sehr damit beschäftigt zu graben und zu kriechen. Das ist auch gut, denn Anton braucht die Luft an seinen Füßen. Er ist darauf angewiesen, dass das Nass, das vom Himmel fällt auch bei ihm bleibt. Das ist die Aufgabe der Krabbler und das wird sie auch immer sein.
Aber Gesellschaft hat er keine mehr. Nur Nachts blickt er nach oben, und er weiß, dort sind die anderen. Sie leuchten und versuchen ihn zu trösten.
Während des Tages zieht noch die andere Leuchtende an ihm vorbei. Die Scheibe. Sie ist anders. Früher war sie freundlich. Daran kann er sich erinnern. Sie konnte lachen wie die Zweibeiner, und sie konnte seine Nase kitzeln wie die Krabbler. Sie weckte ihn, wie die fröhlichen Laute der Geflügelten. Aber sie hatte sich verändert. Heute ist sie heiß und unbarmherzig.
Vielleicht ist sie zornig, weil ihr die Himmlischen den Zugang so lange verwehrt hatten? Wie war das noch? Erinnerungen strömen auf Anton ein. Die lange Zeit des Schlafs war eine grausame Zeit. Es war kalt, die Stürme zerrten an seinen Armen. Seine Haare waren damals so lange ausgefallen, dass er dachte, sie würden nie wieder kommen. Er fühlte sich so elend damals. Alles rund um ihn starb. Er wollte damals sterben. Warum ist er nicht gestorben?
Anton sieht wieder hoch. Als die Himmlischen damals endlich Platz machten, waren sie das erste, was er sehen konnte nach unglaublich langer Zeit. Damals war er von dem kalten Nass bedeckt, doch er schüttelte sich und da waren sie. Sie leuchteten wie heute. Damals wusste er, dass er nicht sterben würde.
Dann kam auch die Scheibe wieder. Wie früher hatte sie ihn gewärmt. Doch sie sprach nicht mehr zu ihm. Das kalte Nass verschwand und Anton fühlte in sich etwas, das er schon so lange vermisst hatte. Seine Haare sprossen erneut. Er atmete auf. Er streckte sich. Trotzdem war alles anders. Er war allein. Nicht nur, weil die Zweibeinigen oder die Geflügelten weg waren. Nein, er konnte auch seine Brüder und Schwestern nicht mehr hören. Sie waren verschwunden oder tot.
Während der Zeit des Schlafs war er von ihnen getrennt, doch nach dem Erwachen hätte er sie wieder fühlen sollen. Seine Zehen streckten sich, doch er konnte niemanden fühlen. Seine Arme und Finger streckten sich, doch die Luft zog durch sie durch ohne Kunde. Auch seine Nase konnte den Geruch seiner Geschwister nicht vernehmen. Jetzt erinnert sich Anton nur noch entfernt an seine Freunde, seine Familie.
Wieder blickt er zu den Leuchtenden. Er will sie beschenken. Etwas zurück geben für ihre Hilfe. Da fällt es ihm ein. Er will sie beschenken. Will das Licht, das sie ihm geschickt hatten, zurück senden. Vielleicht sind da auch andere, wie er, die sich nach seinem Licht sehnen.
Anton fühlt in sich hinein. Das Licht ist in ihm, das weiß er. Er muss es nur hervorholen. Er plagt sich, er müht sich. Dann – wie aus heiterem Himmel – bemerkt er die Veränderung. Aus sich heraus fühlt er etwas Warmes emporsteigen. Die Wärme kommt aus seinen Zehen. Sie fließt durch seinen Rücken und verbreitet sich über den gesamten Körper.
Immer heißer fühlt sich sein Körper an. Die Erinnerung an einen Zweibeiner mit loderndem Licht, tritt in sein Gedächtnis. Das Licht war genauso heiß wie das Gefühl, das in ihm tobt. Anton biegt sich, er krümmt sich. Das Gefühl ist grandios und beängstigend in einem. Er fürchtet doch noch zu vergehen wie seine Geschwister, sehnt die Hitze aber auch herbei.
Anton will hell sein. Er will leuchten. Seine Freunde will er grüßen. So viel Liebe hat er zu geben. Anton öffnete die Augen, und er strahlt. Er ist hell. Er ist Licht. Er fühlt sich neu. Ist er ein Leuchtender? In seiner Freude bemerkt Anton zuerst gar nicht die Veränderung. Nicht nur er hat sich verändert. Auch die Leuchtenden am Himmel sind verändert. Sie sind verblasst. Wo sind sie? Hat er sie verärgert?
Anton ist traurig. Er ist wieder allein. Wie zur langen Zeit des Schlafes. Er scheint und erhellt die Nacht rund um sich. Doch sein Herz ist kalt.
Er weiß nicht, wie lange er so steht. Sind es Jahre? Jahrzehnte? Plötzlich bemerkt er wieder einen Leuchtenden. Er scheint hell, und er bewegt sich. Anton sah noch nie, dass sich einer der Leuchtenden so schnell bewegte. Und der Leuchtende wird größer. Die Jahre haben Anton langsam gemacht. Er kann nicht erkennen, was da so rasch passiert.
Im nächsten Moment ist der große Leuchtende neben ihm gelandet. Er ist vom Himmel gekommen wie das Nass, aber er ist riesig. Und er strahlt wie Anton. Anton versucht etwas zu sagen, doch er findet keine Worte.
Dann öffnet sich der Leuchtende und ein kleiner Zweibeiner tritt heraus. Sahen die so aus? Anton kann sich nicht genau erinnern. Der kleine Zweibeiner kommt auf ihn zu und sieht Anton an. Anton hört das Lachen. Er hört die Stimme. Er kann nichts verstehen, aber der Zweibeiner scheint glücklich zu sein ihn zu sehen. Anton fühlt sich glücklich. Die Leuchtenden haben ihn nicht vergessen. Sie brachten ihm einen Freund.
Texte: Cover von der Fotoblog-Seite http://blog.tersch.at
Text: Rene Eichinger
Tag der Veröffentlichung: 17.11.2011
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