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Herrn Heinzels Kreuzzug für das Abendland.


"Unser Nachbar, der alte Herr Heinzel, ist wirklich ein komischer Kauz". Frau Schröder warf ihrem Mann am Mittagstisch einen beunruhigten Blick zu. "Heute Vormittag hatte er mich zum Kaffee eingeladen." - "Ja," brummte Herr Schröder, "das ist doch nett von ihm.“ - "Das schon,“ gab Frau Schröder zu, "aber was er mir erzählte! Konstant redete er von der Gefahr, die dem Abendland drohe, von den bösen Muslimen, die das Abendland im Stillen erobern wollen. Die ganze Zeit redete er nur unablässig von diesem Thema." -
"Oh, das kenne ich schon. Immer wenn ich das Auto wasche, kommt er an den Gartenzaun und quatscht mir davon die Ohren voll." Frau Schröder nickte bestätigend. "In seinem Wohnzimmer, über dem Sofa, hängt eine eingerahmte Liste "Die 10 Gebote eines tapferen Abendländers", die er mir erklärte und zeigte."
"Die Liste kenne ich." sagte Herr Schröder und löffelte seine Suppe. "Er hat sie mir letztens, als ich den Rasen mähte, vorgelesen. Das sind wichtige, westliche Werte, sagte er zu mir. Ich darauf: Ein flach-gemähter Rasen auch, und das gelingt mir am besten, wenn ich meine Ruhe habe. Darauf hat er sich beleidigt verzogen." Herr Schröder grinste. "Aber Liebste, lass uns über was anderes reden, ich habe die Waschmaschine gekauft, von der du so geschwärmt hast. Sie ist im Kofferraum, nach dem Essen werde ich sie installieren."

Herr Heinzel, ein kleiner, unscheinbarer Mann im fortgeschrittenen Alter, stand vor seiner Liste der zehn Gebote eines tapferen Abendländers, in seinem Wohnzimmer. Es war an der Zeit Gebot 1 in die Tat umzusetzen oder besser gesagt, zu verkünden. Das tat er jeden Donnerstag auf dem Markplatz in der Stadt. Heute war Donnerstag. Nachdem er alles zusammengesucht hatte, was er brauchte für seinen Auftritt - ein Höckerchen, das er zum Draufstehen benutze, das Paket mit seinen Werbebroschüren und einen weißen Umhang, um seine Erscheinung hervorzuheben, nahm er den Bus in die Innenstadt und stellte sich vor dem Eingang zur S- Bahn auf sein Höckerchen. "Der Islam" verkündete er mit erregter, hoher Stimme, "ist keine Religion, es ist eine gefährliche totalitäre Ideologie!"
Die Menschen schauten erschrocken auf den sonderbaren älteren Mann im weißen Umhang auf dem Hocker und wichen mit geschickten Bewegungen seinen ihnen hingehaltenen Broschüren aus. Ein altes Ehepaar nuschelte im Vorbeigehen miteinander und schüttelte mit den Köpfen. Was haben die Muslime ihm nur getan?
"Das Abendland ist in Gefahr!" rief Herr Heinzel ihnen nach. "Wir müssen es retten!" Ein junger Mann mit aufgeschlitzten Jeans und rotem Shirt mit der Abbildung von Che Guevara drauf, blieb stehen und ließ sich mit Herrn Heinzel auf eine Diskussion ein. „Was für ein Quatsch - die totalitären Muslime sind die absolute Minderheit!“ – „Irrtum, junger Mann, im Stillen bereiten sie überall den Terror vor.“ – „Nein, nein, nur ein kleiner Teil sind Terroristen, Al Quaida und so...“
Damit begann eine hitzige und mit stetig steigender verbaler Ausdruckskraft geführte Diskussion. Der Junge kam in Rage: „Sie wissen ja nicht, was Toleranz bedeutet! Sie scheren ja alle über einen Kamm!“ Schlussendlich wurde der Junge es leid, mit dem uneinsichtigen Alten zu diskutieren und ging die Treppe zur S-Bahn runter. "Glaube mir, junger Mann, die S-Bahn kann von einem Muslimen, wenn du gleich drin sitzt, in die Luft gejagt werden!“ Der Junge drehte sich um und zeigte Herrn Heinzel den Stinkefinger. Eine Gruppe Glatzköpfe umstand den Redner für längere Zeit, sie rauchten, tranken Bier aus Bierdosen, nickten schwerfällig mit den großen Köpfen, bevor sie mit Gegröle weiter gingen.

Nachdem Herr Heinzel sich heiser geschrien hatte, ging er zu McDonalds am Bahnhof. Es waren Muslime zugegen, so konnte er zu seiner Freude feststellen. Sie aßen Pommes und Burger. Er bestellte sich eine kleine Portion Pommes, setzte sich an einen Tisch und betrachtete mit viel Genugtuung die Dunkelhäutigen beim Essen. Mit jedem Biss, dachte Herr Heinzel bei sich, nehmt ihr einen Teil unserer Kultur zu euch, und wie man weiß, man ist, was man isst! So werden diese jungen Muslime langsam aber sicher bekehrt. Das Bekehren der Muslime war für ihn eine wichtige Angelegenheit und ein hervorgehobenes Gebot auf seiner eingerahmten Tafel über dem Sofa. Konnte man sie nicht in ihr Heimatland zurückbringen, so musste man sie bekehren und verweltlichen, ihre Kultur mit der frischen, gesunden Kultur des Abendlandes austauschen. Und McDonalds war weltweit ein wichtiger Verbündeter in diesem Begehren, so fand Herr Heinzel. Und er trug dazu bei. Ein bei McDonalds regelmäßig essender Muslim ist ein schon halb bekehrter Muslim, meinte er nun mal. Die Gruppe junger Pakistaner um einen der Tische herum wunderte sich nicht über den Alten, der mit einem vollgefüllten Tablett mit McDonald- Menüs ankam und sie aufforderte, doch tüchtig zuzugreifen. Er war schon bekannt und man hielt ihn für einen netten, durchgedrehten Alten, sonst nichts. Dass er jedem von ihnen, bevor er ging, einen Papierbogen vorlegte, den jeder bitte zu unterschreiben hatte, kümmerte sie nicht. Sie nahmen es nicht ernst und unterschrieben bereitwillig "den Treueeid zur Einhaltung westlicher Werte". Hunderte solcher unterschriebenen Papierbögen häuften sich zu Hause bei Herrn Heinzel im Keller.

Zufrieden las Herr Heinzel am nächsten Morgen in der Morgenzeitung die winzige Notiz. Ein älterer Mann, hieß es da, hatte gestern wieder an der S-Bahn gestanden, hatte die Passanten belästigt, mit seinen Reden gegen den Islam, bis die Polizei ihn des Platzes verwiesen hatte. Wunderbar, welch ein Erfolg!, freute sich Herr Heinzel. Weiter so, sprach er sich selber Mut zu. Mit einem Mal wurde er bleich und fing am ganzen Leib an zu zittern. Er hatte eine Engebung bekommen, eine ganz grossartige Idee: Es war Zeit für einen Kreuzzug, wie in dem glorreichen Mittelalter! Ein Kreuzzug in der eigenen Stadt gegen die Muslime, die sich hier ausbreiteten! Noch am selben Abend trommelte er seine Gefolgsleute zusammen, die er im Laufe vieler Donnerstage angeworben hatte. Man setzte sich in die Gartenlaube, in Herrn Heinzels Garten. Die Sonne schien, und es wurde Bier getrunken. Dabei waren Manfred und Sascha, die beiden jungen, pickelgesichtigen Möchtegern-Nazis, kleine schmächtige Jungen mit Schnurrbärten, Lothar, ein arbeitsloser Säufer und die dicke Gudrun, eine pausbackige, dickleibige Hausfrau von nebenan, die Herrn Heinzel sehr angetan war. "Sollen wir sie alle kaputt schlagen?" fragte Sascha und trank einen großen Schluck aus seiner Bierflasche. "Nein," entgegnete Herr Heinzel, „das verstößt schließlich gegen das Gesetz. Wir wollen Aufsehen erregen, und das, wenn möglich, ohne Gewalt. Mit einem Kreuzzug durch die Stadt bis zur Baustelle, da wo sie die neue Moschee bauen. Wir werden uns Pferde besorgen und Ritterkostüme und große Fahnen.“ So wurde es beschlossen und die Vorbereitungen wurden eifrig begonnen.

Der Tag des Kreuzzuges brach an. Herr Heinzel und seine Mitstreiter waren bereit. Das Garagentor öffnete sich und die tapfere Schar auf Pferden und in blanker Rüstung mit wehenden Fahnen in den Händen machte sich auf den Weg in die Innenstadt. Leider hatten sie den Tag schlecht gewählt, um Aufsehen zu erregen. Es war Fasching und als sie um die nächste Straßenecke bogen, wurden sie, ob sie wollten oder nicht, in den Hauptfaschingszug eingereiht. Die Schaulustigen nahmen nicht weiter Notiz von der kriegerischen Ritterschar, beklatschen und begafften nur beifällig die gekonnten Kostüme und die etwas außergewöhnlichen Gebärden der Reiter.
Herr Heinzel, der vorne ritt, sah sehr wohl, dass das so keinen Zweck hatte und befahl sein Gefolge aus dem Faschingszug heraus. Sie ritten zum Bauplatz der Moschee, am Rand der Stadt. "Besetzt sie!" rief Herr Heinzel, sein Holzschwert gezogen, grimmig im Blick. "Besetzt diesen Bauplatz des Feindes, wir werden nicht zulassen, dass sich in unserer Stadt ein Gebäude des Fanatismus und Unglauben gegen den Himmel reckt". Die anwesenden Bauarbeiter suchten beim Anblick der wilden Reiter erschrocken das Weite.
Herr Heinzel platzierte stolz die Kreuzritter-Fahne auf der höchsten Stelle des sich noch im Bau befindlichen Gebäudes.
Die Belagerung dauerte 2 Tage und erregte, wie von den Belagerern gewünscht, großes Aufsehen. Eine Menschentraube versammelte sich tagsüber am Ort des Geschehens. In den Medien wurde darüber berichtet. Eine öffentliche Diskussion kam in Gang, inwieweit in Herrn Heinzels Tun Sinn und Verstand war. Herrn Heinzel selber fragen, war nicht möglich, da jeder, der sich dem besetzten Gebäude näherte, mit Steinen beworfen wurde. Man einigte sich sehr schnell darauf, dass es sich hier um die Tat eines verrückten Extremisten handelte. Um dem Theater ein Ende zu bereiten, umstellte schließlich die Polizei das Gebäude, stürmte am Abend des zweiten Tages die Anlange und nahm allesamt fest. In Handschellen und von den Polizeibeamten umklammert, rief Herr Heinzel immer wieder eindringlich: "Wir haben Jerusalem vor den Ungläubigen verteidigt! Helden sind wir!" Die angesammelten Zuschauer fanden das belustigend und lachten und klatschten, andere buhten.

"Hast du es gehört?" fragte Frau Schröder über den Mittagstisch. "Was, du meinst die Sache mit unserem Nachbarn, dem Herrn Heinzel? Ja, wir haben bei der Arbeit herzlich darüber gelacht." - "Nee, ich meine, hast du gehört, was sie mit ihm gemacht haben?" - "Was denn?" - "Nun, ich habe es von der Gudrun gehört, sie war ja verliebt in den Alten. Sie hat es mir unter Tränen erzählt. Man hat ihn in ein Irrenhaus gebracht! In ein Irrenhaus in den bayrischen Alpen." - "Na wunderbar," fand Herr Schröder. "Weitab von unserer multikulturellen Gesellschaft. Dort hat er die besten Aussichten auf Genesung und Ruhe. Umgeben von oberdeutscher Kultur und friedlich grasenden Kühen!"

© Spreemann 2011

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Texte: spreemann
Tag der Veröffentlichung: 10.01.2011

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