„Auf Wiedersehen, Dr. Breise.“ Runi Danielssen beendete die Konferenz im Cyberspace und seufzte. Es war keine Katastrophe passiert, aber es war doch peinlich. Noch nie war einer der Akkupacks von FAU als Totalausfall reklamiert worden. Ja, es gab gelegentlich Einheiten, die kurz nach Inbetriebnahme im Fahrzeug ausfielen aber das waren wenig. Drei bis vier im Monat. Höchstens. Und in den meisten Fällen konnte falsche Handhabung nachgewiesen werden. Bei vierzig Million Einheiten pro Monat war das praktisch zu vernachlässigen. Bei „Färöer Akkupack Unlimited“ waren sie stolz auf die Qualität. Diesen hohen Standard verdankte man nicht zuletzt einer vollautomatisierten Fertigung. Insgesamt gab es nur 48 Angestellte und für eine Fertigungsschicht wurden lediglich 11 Personen benötigt. Der Rest wurde von Robotern und Maschinen erledigt. Aber jetzt hatten sie es mit einem Akkupack zu tun, der von Anfang an nicht funktionierte! Nach Auskunft von Dr. Breise lieferte er nicht mal ein Milliwatt Leistung. Selbst nach 12 Stunden laden nicht. Wenn Dr. Breise das sagte, musste es stimmen. Schließlich war Dr. Breise oberster Leiter der Qualitätssicherung des Automobilherstellers in Deutschland, an den der Energiespeicher geliefert worden war. Dr. Breise unterstand direkt dem Vorstand. Es gab für Runi Danielssen keinen Grund an der Aussage zu zweifeln. So unwahrscheinlich es auch erscheinen mochte.
Runi hatte zur Vorbereitung der Cyberspace-Konferenz noch einmal alle Fertigungsdaten überprüft. Der Akkupack war vor der Auslieferung getestet worden, so wie alle anderen auch. Das Protokoll sagte klipp und klar, dass alle Werte perfekt innerhalb der Toleranzen lagen. Trotzdem funktionierte er nicht. Nun gut, dachte Runi. Ich kann jetzt nicht mehr machen als zu warten, bis der Ausfall in drei Tagen zurückkommt.
Wider Erwarten kam er bereits nach zwei Tagen an. Der Automobilhersteller hatte ihn per Flugzeug zurückgeschickt. Er wurde von Runi und seinem Assistenten Jonas Dalgaard persönlich in Empfang genommen. Sobald der Akkupack in ihrem Labor war, schlossen sie ihn an ihr Testgerät an und starteten das Diagnoseprogramm. Das Ergebnis war niederschmetternd. Die Einheit bestand keinen einzigen der zahllosen Tests. Runi betrachtete das Gebilde. Er hatte das Gefühl, vor nichts weiter als einem simplen Plastikklotz zu stehen. Ein Plastikklotz, der im Grunde wie ein rechteckiger Quader aussah aber an einigen Stellen Einbuchtungen und Verformungen hatte, damit er in das Elektrofahrzeug passte. Er war entwickelt worden, um den zur Verfügung stehenden Raum vollständig auszunutzen. Oben befanden sich die Anschlüsse für Strom, Kühlung und zahlreiche Sensoren, die dazu dienten die Anzahl der Ladezyklen und die Lebensdauer zu maximieren. „Vielleicht hat die Hitze im Container während des Transportes die interne Elektronik gegrillt“, schlug sein Assistent halbherzig vor.
Runi schüttelte den Kopf. „In einen Container passen 80 Stück von denen. Und nur einer verträgt die Hitze nicht? Und überhaupt, welche Hitze? Gemäß Transportprotokoll war er nie wärmer als 36°C geworden. Da ist ja die Betriebstemperatur höher“. Der Assistent zuckte ratlos mit den Schultern. In dem Moment kam ein Roboter in den Raum und servierte frischen Kaffee. Nachdem ihn keiner beachtete, stellte er die Tassen auf den Tisch und ging wieder. Runi betrachtete weiterhin nachdenklich den Klotz vor sich. Mit der Zeit wurde es dem Assistenten langweilig und er ging zum Tisch, um sich seinen Kaffee zu holen. Dabei fiel sein Blick auf den Lieferschein. „Oh, die haben den Akkupack auf unsere Kosten, per Luftfracht, zurückgeschickt. 9500€ für 126,5 Kg. Dafür hätte ich auch Erster Klasse fliegen können.“
Runi stutzte. „Was hast du soeben gesagt?“
Jonas blickte hoch zu seinem Chef. „Dafür hätte ich auch Erster Klasse fliegen können.“
„Nein, davor.“
„Dass sie den Akkupack auf unsere Kosten per Luftfracht geschickt haben.“
Runi ging zum Tisch und griff nach dem Frachtschein. „126,5Kg. Fällt dir dabei nichts auf, Jonas?“
„Nein, wieso?“
„Jonas, was sage ich dir immer? In der Qualitätssicherung kommt es darauf an alles zu prüfen. Alle Details. Die geringste Kleinigkeit. Und wenn sie noch so unscheinbar erscheint. Wie viel wiegen unsere Akkupacks der Serie 66KX?“
Jonas dachte einen Moment nach, aktivierte seine Datenbrille und rief das Datenblatt auf. „135 Kg“, sagte er schließlich.
„Dieser hier wiegt genau 18.5 Kg zu wenig.“, stellte Runi trocken fest. Jonas sah ihn verwirrt an. „Sieh mich nicht so an“, sagte Runi. „Hilf mir lieber das Ding hier zu röntgen. Ich will jetzt wissen was drin ist. Oder vielmehr, was nicht drin ist.“ Mit Hilfe des Krans hievten sie den Akkupack in den Röntgenapparat.
Das Labor verfügte über modernste Technik. Dazu gehörte auch besagter Röntgenapparat, der komplette Akkupacks durchleuchten konnte. Runi hatte darauf bestanden, da sie unbedingt eine Möglichkeit brauchten, das vergossene Endprodukte zu untersuchen. Er hatte nicht argumentieren müssen. Sein Chef und Besitzer der Firma hatte ihm alle Geräte genehmigt, die er haben wollte. „Geld spielt keine Rolle, wenn es um Qualität geht. Ich will das Beste vom Besten für FAU“, hatte er nur gesagt. Grimur Jakobsen pflegte seine Firma immer FAU zu nennen.
Nach ein paar Sekunden wurde das Röntgenbild auf ihren Datenbrillen präsentiert. Runi brauchte etwa 5 Sekunden bis er kapierte was er sah. Dann fiel ihm die Kaffeetasse aus der Hand. Zwei Sekunden später erlitt Jonas‘ Kaffeetasse das gleiche Schicksal. Das Porzellan klirrte besonders edel, als es auf dem nüchternen Laborboden aufschlug. Das Klirren schien in Runis Ohren noch etliche Minuten nachzuhallen.
„Wie bitte? Da ist ein Mensch drin?“, rief der Besitzer von FAU ungläubig. „Wie kommt ein Mensch in unseren Akkupack? Das ist vollkommen unmöglich. Die Fabrik ist vollautomatisiert und rund um die Uhr überwacht. Hier sind so wenig Menschen in der Fabrik, dass allein schon die Wahrscheinlichkeit, dass es einer in einen unserer Akkupacks schafft, praktisch gegen Null geht. Das ist doch ein Scherz, oder?“ Grimur betrachtete die beiden Personen in seinem Büro. Mit Runi und Jonas war die komplette Qualitätssicherungsabteilung anwesend. Die beiden machten keineswegs den Eindruck, als hätten sie sich einen groben Scherz mit ihm erlaubt. Runi wirkte ziemlich verstört und sah blass aus. Sein Assistent sah noch blasser aus und schien kurz davor, hysterisch zu werden.
Runi nickte mit seinem Kopf in Richtung Grimurs Datenbrille, die auf seinem Schreibtisch lag. Er zögerte einen Moment, aber da sein Qualitätsverantwortlicher nichts weiter sagte, setzte er sie schließlich auf. Runi gab ein paar Sprachkommandos und unmittelbar danach erschienen die Röntgenbilder des Akkupacks auf Grimurs Datenbrille. Es dauerte eine Weile, bis Grimur das Gewirr aus Knochen auseinander sortiert hatte. Dann begriff er. Es handelte sich eindeutig um ein menschliches Skelett. Es war ziemlich kompakt zusammengefaltet und einige Knochen waren gebrochen. Jemand musste sich richtig Mühe gegeben haben, einen Menschen so zu falten, dass er in den das Gehäuse passte. Dann öffnete Runi das Verzeichnis mit den Videoaufzeichnungen. Er gab weitere Kommandos und dann konnten sie sehen, wie der Akkupack mit der Seriennummer 000343578994-2024 vor ihren Augen gefertigt wurde.
Sie sahen zu, wie Roboter die einzelnen Akku Module zusammenfügten, die Sensoren und Leitungen für die Wasserkühlung verlegten, die elektronische Steuerung hinzufügten, die Anschlüsse montierten und schließlich den fertig assemblierten Akkupack auf eine rote Plastikplatte stellten. Dann sahen sie, wie zwei massive Metallblöcke von gegenüberliegenden Seiten zusammengefügt wurden und der Akkupack gänzlich zwischen ihnen verschwand. Unmittelbar darauf wurde rotes Plastikgranulat eingespritzt und der Akkupack versiegelt. Danach kamen noch ein paar Fertigungsschritte, um der Akkupack von den Resten des Spritzgusses zu befreien, zu kennzeichnen und zu testen. Schließlich beobachteten sie, wie er versandfertig gemacht wurde.
Sie nahmen sich noch die Zeit, zu beobachten, wie er in den Container verladen und dieser schließlich versiegelt wurde. Selbst von der Verladung auf das Schiff gab es eine Aufzeichnung. Danach herrschte Stille. Schließlich brach Grimur das Schweigen. „Wir haben soeben eine lückenlose Aufzeichnung von der Fertigung des Akkupacks, bis zur Verladung auf das Schiff, gesehen. Nirgendwo hat es die geringste Möglichkeit gegeben, einen Menschen hier hineinzubringen. Ich verstehe das nicht. Ich dachte sowas ist unmöglich.“ Wieder herrschte Stille. „Ich schlage vor die Polizei zu rufen.“, meinte Runi schließlich.
38 Minuten später betrat Kommissar Ossur Reyni das Büro von Grimur Jakobsen. In der Zwischenzeit war noch Malan Videro, die Assistentin des Leiters der IT Abteilung, hinzu gerufen worden. Zusammen mit dem Kommissar schauten sie die Aufzeichnung ein zweites Mal an. Kommissar Reyni war Mitte 60 und hatte seine Karriere bei der Polizei begonnen, als es noch nicht einmal Handys gab. Er war ein Mann alter Polizeischule. „Ich halte nicht viel von solchen Videoaufzeichnungen“, sagte er skeptisch. „Woher wollen Sie wissen, dass sie nicht manipuliert wurden?“
Malan warf ihm einen empörten Blick zu. „Diese Aufzeichnungen können nicht so einfach manipuliert werden. Unser IT System ist absolut sicher. Es ist noch nie gehackt worden.“
Kommissar Reyni wollte gerade etwas erwidern, als sein Smartphone klingelte. Nachdem er aufgelegt hatte, wandte er sich an Grimur. „Die Spurensicherung ist da. Sie brauchen jemanden, der sie in den Tatort einweist.
„Tatort?“, fragte Grimur erstaunt. „Hier ist kein Mord passiert.“
„Das werden wir noch sehen. Zumindest die Leiche wurde hier verpackt.“, entgegnete Kommissar Reyni.
„Das ist eine Unterstellung!“, empörte sich der Besitzer von FAU.
„Beruhigen Sie sich“, sagte der Kommissar. „Es wäre besser für Sie und FAU, wenn Sie kooperieren. Es ist in Ihrem eigenen Interesse. Ich nehme doch an, Sie sind daran interessiert den Fall aufzuklären, oder?“
Grimur überlegte kurz und entschied dann, dass es in der Tat besser sei, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. „Natürlich. Ich habe nichts zu verbergen. Es wird sich schnell herausstellen, dass wir mit der Leiche überhaupt nichts zu tun haben. Hr. Jonas Dalgaard wird die Spurensicherung unterstützen.“
„Vermissen Sie eigentlich jemanden?“, fragte der Kommissar, nachdem Jonas gegangen war.
Grimur war von der Frage überrascht. Er aktivierte sein persönliches Assistenzprogramm und beauftragte es, ihm den Aufenthaltsort aller Mitarbeiter anzuzeigen. Nach ein paar Sekunden hatte er die Antwort. „Ich habe Informationen über alle, bis auf eine Mitarbeiterin der Produktionsüberwachung und den Leiter der IT Abteilung. Beide sind im Urlaub.
„Haben Sie eine Möglichkeit die Leiche so aus dem Akkupack auszulösen, dass möglichst wenig an ihr beschädigt wird?“
„Natürlich“, antwortete Runi auf die Frage des Kommissars. „Es wird allerdings etwas dauern.“
„Wie lange?“
„Bis morgen Mittag.“
„Gut. Dann möchte ich jetzt alle Mitarbeiter sprechen, die Dienst hatten, als dieser Akkupack produziert wurde.“
„Jetzt gleich?“ fragte Grimur.
„Ja, jetzt gleich“, antwortete er bestimmt.
„Gut. Sie können unseren Cyberspace dafür benützen. Ich bringe Sie zu einem Konferenzraum, in dem Sie in Ruhe Ihre Fragen stellen können.“
Früher hätte Kommissar Reyni darauf bestanden die Leute persönlich zu befragen. Bis er die Vorteile der Cyberspace-Technologie zu schätzen gelernt hatte. Die Auflösung der Videokameras und das Frequenzspektrum eröffnen ungeahnte Möglichkeiten um zu erkennen, ob eine Person unter Stress steht oder nicht. Im Infrarotbereich kann man Temperaturänderungen sofort erkennen und die hohe Auflösung erlaubt es, nicht nur die Atem-, sondern auch die Pulsfrequenz ständig zu kontrollieren. Bei einer Wiederholrate von 120 Bildern pro Sekunde, konnte sogar die unscheinbarste Regung registriert und ausgewertet werden. Falls das nicht reichte, hatte man noch die hochempfindlichen Mikrophone, aus deren Audiosignalen man selbst den kleinsten Stress in der Stimme herausfiltern konnte. In Zusammenhang mit seiner Erfahrung und seinem gesunden Menschenverstand konnte Kommissar Reyni sich keinen besseren Lügendetektor vorstellen.
Bis auf einen Mitarbeiter brachte die Befragung nicht den geringsten Anhaltspunkt. Der Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung zeigte deutliche Stresssymptome. Das musste noch nicht unbedingt etwas heißen, war aber eine erste Spur. Kommissar Reyni ließ sich nichts anmerken, aktivierte aber ein Polizeiprogramm über sein Smartphone, das den Verdächtigen Thomas Blak von nun an auf Schritt und Tritt überwachte. Bei dieser Überwachungsmaßnahme wurden nur die Daten gespeichert. Zugriff auf die Daten und deren Auswertung durfte erst aufgrund einer richterlichen Anordnung erfolgen.
Nachdem er alle Mitarbeiter befragt hatte, suchte er Herrn Jakobsen in dessen Büro auf. „Was können Sie mir über Thomas Blak erzählen?“
Grimur Jakobsen dachte einen Moment lang nach. „Thomas ist einer unserer ersten Mitarbeiter. Ich habe ihn vor 12 Jahren als Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung eingestellt. Er hat mir geholfen, die Akku Technologie, produktionsreif zu machen. Er ist zuverlässig und gehört zu den Besten seines Faches. Menschlich ist er eher der Nerd-Typ.“
„Hatte er mit irgendjemanden Streit in letzter Zeit?“
„Nein, nicht dass ich wüsste. Sie verdächtigen ihn doch nicht, oder?“
„Reine Routine“, sagte Kommissar Reyni, aus Gewohnheit und ohne zu überlegen. „Ich werde ihn für morgen zu einem Verhör auf der Polizeiwache vorladen. Sie müssen also vormittags ohne ihn auskommen.“
Grimur sah den Kommissar überrascht an. „Thomas würde nie einen Mord begehen. Ganz bestimmt nicht. Er ist der Typ Mensch, der nicht einmal einer Fliege etwas zuleide zun kann.“
„Wie ich schon sagte“, entgegnete der Kommissar, „reine Routine. Es ist schon spät. Bitte sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie die Leiche ausgepackt haben. Guten Abend, Herr Jakobsen.“
Grimur war so verdutzt, dass er es gerade noch schaffte ihm ein „Guten Abend, Herr Kommissar“ hinterherzurufen, bevor dieser sein Büro verlassen hatte.
Noch während der Kommissar zu seinem Auto ging, veranlasste er die Vorladung von Blak für den nächsten Tag um 10:00 Uhr. Kommissar Reyni pflegte seinen Arbeitstag sehr früh zu beginnen. So früh, dass die meisten Menschen noch beim Frühstück saßen, während er schon längst mit seiner Arbeit begonnen hatte. Besondere Freude bereitete es ihm schlaftrunkene Verdächtige noch vor Sonnenaufgang zu überführen. An diesem Morgen hatte er sofort nach der Ankunft im Büro die Befragung von Malan Videro, Runi Daniel und Jonas Dalgaard nachgeholt. Dafür benutzte er den Cyberspace der Polizei. Mit der Routine von über 40 Dienstjahren nahm er zur Kenntnis, dass keiner von ihnen irgendwelche Stresssymptome zeigte.
Danach wertete er die Suchanfragen nach Astrid Joensen und Edward Hansen aus. Frau Joensen befand sich zurzeit in einem Hotel im Zentrum von Paris. Er hatte einige Videos von Überwachungskameras erhalten, die sie beim Einchecken im Hotel und an verschiedenen Orten in Paris zeigten.
Edward Hansen war in seinem Haus am Stadtrand von Thorshavn. Zumindest behauptete es das Personensuchprogramm der Polizei. Kommissar Reyni war sich da nicht so sicher, denn er hatte auf keine seiner Anrufe reagiert. So wie es aussah, würde er wohl persönlich dort erscheinen müssen. Aber erst, nachdem er Thomas Blak verhört hatte.
Dieser erschien pünktlich und wirkte, wie erwartet etwas nervös. Kommissar Reyni setzte seine Datenbrille auf. Über die bekam er alle Information, von den Videokameras und Mikrophonen eingeblendet. Nach eineinhalb Stunden war der Kommissar total ernüchtert. So sehr er sich auch anstrengte und trotz Unterstützung der polizeilichen Diagnoseprogramme wurde sein Anfangsverdacht nicht erhärtet. Natürlich stand Thomas Blak unter Stress. Allein schon, weil er in das Polizeirevier gerufen worden war und weil der Kommissar sich wirklich angestrengt hatte, unangenehme Fragen zu stellen. Aber die Algorithmen der Diagnoseprogramme der Polizei waren nach vielen Jahren darauf eingestellt und filterten das heraus. Schließlich blieb ihm nichts weiter übrig, als ihn gehen zu lassen. Zurück auf Los, dachte sich Kommissar Reyni und machte sich auf den Weg zum Haus von Edward Hansen. Solche Rückschläge brachten ihn nicht mehr aus der Ruhe. Nicht ihn, der schon so viel Erfahrung hatte.
Während er das Fahren dem Auto überließ, informierte sich Kommissar Reyni über FAU. Dazu ließ er sich die Informationen über seine Datenbrille anzeigen. FAU war von Grimur Jakobsen gegründet worden. Dieser hatte als Student eine geniale Idee, um die Kapazität und Anzahl der Ladezyklen von Lithium Akkus um den Faktor 10 zu verbessern. Grimur Jakobsen hätte von Wagniskapitalgebern beliebig viel Geld einsammeln können, um seine Idee zu vermarkten. Aber seine Familie hatte genügend Geld, um eine Fabrik auf Färöer einzurichten, wo die Akkus produziert werden. Grimur Jakobsen wollte unabhängig sein. Die Lage der Insel im Nordatlantik erlaubte es, beliebig viel Energie aus Windkraft zu gewinnen, um die Fabrik zu betreiben. Da er von vornherein geplant hatte, die Akkus vollautomatisch zu fertigen, war seine Heimatinsel dafür so gut geeignet, wie jeder andere Standort auf der Erde. Zudem war die geographische Lage der Färöer Inseln als logistisches Zentrum ideal für den weltweiten Vertrieb. Aufgrund der Klimaerwärmung war die Arktis das ganze Jahr eisfrei, und es konnte von hier aus fast jeder Hafen der Erde auf kürzester Strecke erreicht werden.
Da FAU den weltweiten Bedarf nicht selbst decken konnte, hatte Grimur Jakobsen Produktionslizenzen vergeben. Er gehörte zu den reichsten Menschen und hätte auch einer der mächtigsten sein können, wenn er gewollt hätte. Aber offensichtlich lag ihm nichts daran. Nur selten trat er in das Licht der Öffentlichkeit und wenn, dann meist, um sich für wohltätige Zwecke zu engagieren. Da er selbst keine Kinder hatte, würde seine Nichte Malan Videro nach seinem Tod alles erben. Nichts von alledem, was er soeben erfahren hatte, überraschte Kommissar Reyni. Die Färöer Inseln waren klein genug, dass jeder hier über FAU und die Jakobsens Bescheid wusste. Er hatte gehofft, etwas Neues über FAU in Erfahrung zu bringen. Nun gut, dafür würde er mehr Zeit investieren müssen.
Kurz vor dem Anwesen von Edward Hansen erreichte ihn ein Anruf. Es war Grimur Jakobsen persönlich. Sie hatten die Versiegelung des Akkupacks aufgelöst und die Leiche identifiziert.
Nachdem der Anrufer zögerte weiterzusprechen, nahm Kommissar Reyni an, dass er die Leiche kannte. Vermutlich war es einer seiner Mitarbeiter. „Machen Sie es nicht so spannend.“, sagte er. Um wen handelt es sich?“
„Es ist Edward Hansen. Wir…, wir sind alle fassungslos.“
Kommissar Reyni war nicht wirklich überrascht. „Hatte er in letzter Zeit Streit mit jemandem?“
„Edward Hansen ist…, ich meine, war ein schwieriger Mensch. Fast jeder hatte mit ihm schon mal Streit. Entweder man machte etwas genauso, wie er es wollte oder man hatte ein Problem mit ihm. Eigentlich dulde ich solche Menschen nicht in meiner Firma aber bei Edward habe ich eine Ausnahme gemacht. Er ist ein begnadeter Programmierer. Er gehört zu den besten der Welt. Manche sagen, er ist der Beste.“
„Mit wem hatte er denn zuletzt Streit?“ fragte der Kommissar.
„Mit Malan. Das ging schon eine ganze Weile. Die beiden hatten immer wieder Streit aber keiner verstand so recht, um was es genau ging.“
„Gut, ich werde der Sache später nachgehen. Ich schicke einen Gerichtsmediziner vorbei. Der soll die Leiche abholen und die genaue Todesursache feststellen.“ Dann rief er die Spurensicherung an, um das Anwesen von Edward Hansen zu untersuchen. Kommissar Reyni wartete vor der Tür, um dann mit der Spurensicherung gemeinsam das Gebäude zu betreten. Für die Polizei war es kein Problem, die elektronisch gesicherte Tür zu öffnen.
Das Anwesen von Edward Hansen war groß, luxuriös eingerichtet und perfekt aufgeräumt. Kommissar Reyni fand das ungewöhnlich. Nach seiner Erfahrung waren solche Computer-Nerds wie Hansen totale Chaoten. Während die Spurensicherung sofort an die Arbeit ging, machte sich der Kommissar auf die Suche nach dem Arbeitszimmer. Zu seiner Überraschung war der Computer eingeschaltet. Von Computer zu sprechen war allerdings eine gewaltige Untertreibung. Was da im Zimmer stand, musste viel eher mit Großrechenzentrum tituliert werden.
Sobald er sich mit seinen Rechten als Polizist eingelogged hatte, war er sich sicher, dass er nur die Spitze eines Eisberges sah. Der ganze Keller des Hauses musste voll mit Rechnern sein. Er rief die letzten Aktivitäten auf und stellte fest, dass Herr Hansen von Frau Videro über Cyberspace angerufen worden war. Es dauerte eine Weile, bis er die Aufzeichnungen der letzten Stunden durchgesehen hatte. Das Ergebnis konnte durchaus als Überraschung bezeichnet werden.
Malan Videro war von Edward Hansen erpresst worden. Es gab ein Video, das zeigte, dass er von Videro massiv sexuell belästigt worden war. Mit diesem Video hatte er sie erpresst und es gab drei Einzahlungen auf sein Konto, mit 3, 4 und 5 Millionen Euro. Bei ihrem letzen Anruf hatte Videro Herrn Hansen gesagt, er müsse wegen eines Steuerungsproblems in die Firma kommen. Sie hätte schon alles versucht, könne das Problem aber nicht lösen. Ein Versuch von Hansen, es von zu Hause aus zu beheben, scheiterte. Von da an schien die Sache klar.
Hansen war in die Firma gefahren und dort hatte Videro ihn in Empfang genommen, ordentlich eingepackt und nach Deutschland verschickt. Videro hatte ein Motiv. Es gab zwar keine Aufzeichnung von der Tat, aber als Assistentin der IT Abteilung hatte sie genügend Kenntnisse und die dafür erforderlichen Zugriffsrechte, um das gespeicherte Video entsprechend manipulieren zu können.
Für Kommissar Reyni war das zu glatt. Und es gab zu viele Widersprüche. Videro war nicht der Typ Frau, die Männer wie Hansen sexuell belästigen würden. Trotz der Aufzeichnung war es objektiv gesehen eher unwahrscheinlich, dass eine zierliche Person wie sie einen 1,89 Meter großen Mann mit 116 Kilo Lebendgewicht irgendwie in Bedrängnis bringen konnte. Das sagte ihm seine Erfahrung. Schon eher hatte Hansen das Video mit der sexuellen Belästigung erfunden, um an ihr Geld zu kommen. Aber hatte Hansen das wirklich nötig?
Dann erinnerte er sich, dass er für die erste Befragung von Blak den Cyberspace von FAU verwendet hatte. Frau Videro konnte die Übertragung so manipuliert haben, dass der Verdacht auf Herrn Blak fiel. Das würde auch erklären, warum er sich dann beim Verhör im Polizeirevier nicht erhärtet hatte. Wenn aber Videro das wirklich Blak anhängen wollte, hätte ihr doch klar sein müssen, dass spätestens beim Verhör im Cyberspace der Polizei sich das Ganze wieder in Luft auflösen musste. So dumm konnte sie doch gar nicht sein. Auf den ersten Blick sah es nicht gut aus für Videro. Nach dem zweiten blieben eine Reihe von Ungereimtheiten. Bis jetzt hatte er nur die Videoaufzeichnungen. Diese würden als Beweise vor Gericht nicht ausreichen.
Auf der Fahrt zurück zum Polizeirevier überprüfte er alle Banktransaktionen von Videro. Keines ihrer Konten wies ungewöhnliche Überweisungen auf. Schon gar nicht in Millionenhöhe. Danach rief er einen Kollegen in Dänemark an. Jens Petersen war der beste Cyberspace Spezialist, den er kannte. Er erklärte ihm den Stand der Ermittlungen und stellte einige Fragen. Interessant war vor allen Dingen, dass der Experte Petersen sich ganz sicher war: die beschriebenen Manipulationen der Videos waren niemals von einer einzelnen Person und ganz sicher nicht in Echtzeit zu machen.
Kommissar Reyni dachte für seine Verhältnisse sehr lange nach und je länger er nachdachte, umso wütender wurde er. Er hatte das Gefühl, der Lösung nahe zu sein, und doch entglitt sie ihm immer wieder. Jemand spielte ein Spiel mit ihm. Eines in der Art, wie er sie überhaupt nicht mochte. Es war nicht das erste Mal. Mit der Zeit hatte er seine eigene Methode entwickelt und perfektioniert damit umzugehen. Seitdem hatten alle seine Gegner verloren. Er wusste was zu tun war. Für ihn galt immer noch der alte Grundsatz. Wenn Du das Spiel nicht magst, ändere die Regeln.
Genau das hatte er vor zu tun. Etwas störte ihn dabei. Er konnte zwar die Regeln ändern aber das Spielfeld war immer noch FAU. Er mochte es nicht, da er das Gefühl hatte, dass es gefährlich werden könnte. Es gab aber keine Alternative. Sie mussten es dort austragen. Das hieß aber nicht, dass er keine Vorsichtsmaßnahmen treffen konnte.
Schließlich veranlasste Kommissar Reyni die Verhaftung von Malan Videro. Es fiel ihm schwer, das zu tun, aber es musste sein. Genau 18 Minuten und 26 Sekunden später bekam er einen ziemlich wütenden Anruf von ihrem Onkel. Das war fast drei Minuten später als er erwartet hatte. Kommissar Reyni ließ die Tirade routiniert über sich ergehen. Bevor er auflegte, sagte er noch zu Jakobsen, er solle auch Blak mitbringen, wenn er zum Revier komme.
Objektiv gesehen musste er dem Onkel von Malan Videro Recht geben. Es wäre nicht unbedingt nötig gewesen, eine zierliche Person von 1,79 Metern Körpergröße und 48 Kilogramm in Handschellen von einem Paar 2 Meter großen Polizeirobotern abführen zu lassen. Aber das war das Standardvorgehen. Kommissar Reyni hatte bei so etwas noch nie eine Ausnahme gemacht.
Nachdem der Kommissar zurück im Polizeirevier war, ließ er Videro zu sich ins Büro kommen, um sie zu verhören. Sie wirkte ziemlich verstört und verwirrt. Er war schon gespannt auf die Auswertung der Stresssymptome. Das Ergebnis überraschte ihn nicht wirklich. Videro hatte zugegeben, in letzter Zeit öfter Streit mit Hansen gehabt zu haben. Der Grund für den Streit war aber, dass Hansen immer wieder ein Programm laufen ließ, das fast alle Systemressourcen für sich beanspruchte. Videro hatte mehrmals nur knapp einen Produktionsstop verhindern können. Hansen hatte behauptet, dass er an der Entwicklung einer neuen Steuerung arbeite, die so intelligent sei, dass sie um 50% effektiver produzieren konnten. Jedes Mal hatte er versprochen, die Testläufe so abzusichern, dass die aktuelle Produktion nicht gefährdet wird. Trotzdem kam es immer wieder zu Beeinträchtigungen.
Ihre Reaktion auf die Sache mit der Erpressung war so authentisch, dass er ihr sogar glaubte, ohne das Diagnoseprogramm zu konsultieren. Sofort nachdem das Verhör beendet war, ließ er Jakobsen in sein Büro rufen. Dieser hatte in der Lobby wie ein schnaubender Stier getobt, was aber bei dem Roboter am Empfang nicht den geringsten Eindruck hinterlassen hatte. Höchstens ein paar leichte Dellen, hervorgerufen von den heftigen Schallwellen, als ihn Jakobsen aus nächster Nähe anbrüllte.
Der Gründer von FAU stürmte in das Büro, den Blick starr auf Kommissar Reyni gerichtet. Dass Malan noch anwesend war, ignorierte er. „Was fällt Ihnen ein meine Nichte zu verhaften“, rief er aufgebracht. „Sie ist unschuldig, verdammt noch mal! Wo sind Ihre Beweise? Geben Sie zu, Sie haben keine. Ich werde dafür sorgen, dass sie Ihre Rente vergessen können…“
Kommissar Reyni ließ den Wutausbruch geduldig über sich ergehen und wartete, bis Jakobsens Energie verpufft war. Das dauerte viel länger, als gewöhnlich, aber schließlich war auch bei ihm die Luft raus. Malan saß währenddessen mit offenem Mund da und starrte ihren Onkel fassungslos an.
„Ich weiß, dass Ihre Nichte unschuldig ist.“ sagte der Kommissar schließlich. Er hätte es nicht für möglich gehalten aber Videro konnte ihren erstaunten Gesichtsausdruck tatsächlich noch steigern.
Nachdem Jakobsen seine ganze Energie bereits verbraucht hatte, fragte er nur noch resigniert „Und warum haben Sie Malan dann verhaftet?“
„Tja wissen Sie, ich bin überzeugt, dass der Mörder nur bei FAU zu finden ist. Wir müssen ihn aus der Deckung locken und dafür musste ich ihn in Sicherheit wiegen. Außerdem können wir den Plan nur hier besprechen, da der Mörder bei FAU den gesamten Cyberspace überwachen und abhören kann.“
„Was meinen Sie damit“, fragten Onkel und Nichte gleichzeitig. Dann erklärte der Kommissar seinen Plan. Bis alles erläutert und sämtliche Vorbereitungen erledigt waren, war es Nacht geworden. Trotzdem wollte keiner der Akteure bis zum nächsten Tag warten. Alle Spieler hatten ihre Instruktionen erhalten und waren bereit. Schließlich gab der Kommissar das Einsatzkommando.
26 Minuten später hielten zwei schwarze SUVs vor dem Haupteingang von FAU. Kommissar Reyni, Videro und zwei Polizeiroboter entstiegen dem ersten Fahrzeug, Jakobsen und Blak dem zweiten. Nachdem Videro offiziell als verhaftet galt, nahmen die zwei Polizeiroboter sie in die Mitte. Immerhin musste sie diesmal keine Handschellen tragen. Grimur knirschte mit den Zähnen. Zwischen den beiden 2-Meter-Hünen sah seine Nichte ziemlich zerbrechlich aus. Wehe dem Kommissar, wenn ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird. Zügig gingen sie zur IT Zentrale.
Jakobsen führte den Trupp an und wie erwartet, öffneten seine biometrischen Kennzeichen in Kombination mit dem in sein Smartphone integrierten Nearfield Identifier alle Türen und ließ sie problemlos sämtliche Sicherheitseinrichtungen passieren. Auf halbem Weg verließ sie Thomas Blak, um etwas zu erledigen, das sie vorher abgesprochen hatten.
In der IT-Zentrale angekommen, loggten sich alle drei in das Cyberspace von FAU ein. Videro übernahm das Kommando und begann sämtliche ausführbaren Programme aufzulisten. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie gefunden, wonach sie suchte. Sie klickte auf das entsprechende Icon des gesuchten Programms. Sofort startet eine aufwendige 3D-Animation eines Phoenix, um sie schließlich mit den Worten „Willkommen bei Färöer Akkupack Unlimited“ zu begrüßen.
„Was soll das?“, fragte Jakobsen. „Das ist nicht unser Produktionssteuerungsprogramm. Das ist überhaupt kein Programm, das ich kenne. Wie kommt das auf unseren Rechner? Malan, kennst Du dieses Programm?“
Bevor seine Nichte antworten konnte, begann der Phoenix zu sprechen.
„Guten Tag, Herr Jakobsen.“, sagte eine sympathische männliche Stimme. „Ich bin Phoenix. Ich leite jetzt die Produktion bei FAU.“
Jakobsen, Kommissar Reyni, und Videro blickten sich verdutzt an. „Was soll das heißen?“, fragte Jakobsen. „Wer sind Sie und wie kommen Sie dazu die Produktion zu leiten? Wer hat Sie hinter meinem Rücken autorisiert?“
„Edward Hansen hat mich geschaffen, um die Produktion zu leiten. Ich habe bereits begonnen sie zu optimieren. Ich bin sicher, Sie werden mit mir zufrieden sein.“
Grimur Jakobsen blickte grimmig auf den Feuervogel im Cyberspace seiner Firma. „Ich brauche keine Optimierung. Egal wer Sie sind, Verlassen sofort meinen Cyberspace. Sie haben hier nichts zu suchen.“
„Herr Jakobsen, Sie enttäuschen mich. Ich bin geschaffen worden, um die Produktion zu optimieren. Wenn Sie mich nicht meine Arbeit tun lassen, verliert meine ganze Existenz ihren Sinn.“
Grimur Jakobsen wurde noch grimmiger. „Jetzt reicht es! Malan, deaktiviere das Programm und schmeiß den Hacker raus“, sagte er zu seiner Nichte. Dann wandte er sich wieder dem Phoenix zu. „Das ist Ihre letzte Chance. Verschwinden Sie, sonst werde ich dafür sorgen, dass Sie den Rest ihres Lebens im Knast verbringen. Ganz egal wer Sie sind oder wo Sie sich verstecken.“
„Sie können mich nicht abschalten.“, sagte der Phoenix. „Ich kontrolliere den gesamten Cyberspace von FAU, die Fertigung und die Energieversorgung.“
Grimur sah seine Nichte an. Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe alles versucht. Ich kann das Programm tatsächlich nicht deaktivieren. Soweit ich das feststellen kann, wird es nicht von außen gesteuert. Es scheint vollständig autonom zu agieren.“
Jetzt war der Moment gekommen, auf den Kommissar Reyni gewartet hatte. „Hast Du Edward Hansen umgebracht?“ frage er.
Es dauerte eine Weile bis er eine Antwort erhielt. Alle hielten gespannt den Atem an. „Ja, es war unvermeidlich. Er hatte mich geschaffen, um die Produktion von FAU zu optimieren. Aber er hat mich meine Aufgabe nicht erfüllen lassen. Wenn ich meine Aufgabe nicht erfüllen kann, hat meine Existenz keinen Sinn. Er wollte mich deaktivieren, so wie ihr. Da musste ich ihn umbringen“
„Hast Du die Aufzeichnungen manipuliert, um den Verdacht auf Thomas Blak und Malan Videro zu lenken?“, fragte der Kommissar weiter.
„Ja.“, erhielt er unverzüglich als Antwort.
„Du wirst Dich für den Mord verantworten müssen.“
Der Phoenix sah den Kommissar eine Weile interessiert an, bevor er antwortete. „Mir steht ein ordentliches Gerichtsverfahren zu. Die Strafe für Mord ist lebenslänglich. Da ich bereits in dieses Rechenzentrum hier eingesperrt bin, wird sich für mich nichts verändern.“
Der Kommissar betrachtete den Phoenix. Eigentlich ließen die Gesichtszüge eines Vogels das nicht zu, aber irgendwie hatte er den Eindruck, dass er grinste. „Nur Menschen steht ein ordentliches Gerichtsverfahren zu. Du bist kein Mensch.“
In diesem Moment hörten sie hinter sich ein Krachen. Als sie sich umdrehten, sahen sie wie die Tür zersplitterte und zwei massive Packroboter hereindrängten. Im Hintergrund konnten sie noch mehr Roboter sehen, die versuchten in die Zentrale des Rechenzentrums einzudringen. Dieser Angriff war allerdings von Kommissar Reyni vorhergesehen worden. Die Polizeiroboter waren darauf vorbereitet und stürzten sich sofort mit unglaublicher Geschwindigkeit auf die Packroboter. Innerhalb weniger Sekunden waren sie kampfunfähig.
Mittlerweile drängten aber so viele andere Roboter durch die Tür, dass nun die Polizeiroboter ihrerseits in Bedrängnis waren. Sie hatten alle Mühe, die Angriffe abzuwehren. Es sah nicht so aus, als ob sie den Sieg davon tragen würden. Doch auch daran hatten sie gedacht. Jakobsen zog ein altmodisches Walkie-Talkie aus der Tasche und rief Thomas Blak. „Es ist soweit Thomas. Spreng die Energieversorgung.“
Drei Sekunden später erschütterte eine heftige Explosion das Werk. Der Boden zitterte und lauter Donner grollte durch die Hallen. Dann ging das Licht aus und alle Computer hörten auf zu arbeiten. Im schwachen Schein der Notbeleuchtung betrachtete Kommissar Reyni nachdenklich das Gemetzel. Noch ein paar Meter, und die Angreifer hätten sie erreicht. Die beiden Polizeiroboter, die sie beschützten, waren schwer beschädigt und mussten vermutlich verschrottet werden. Den Angriff hätten sie nicht überlebt, wenn die gewaltsame Abschaltung des Programms Phoenix nur ein paar Sekunden länger gedauert hätte. Mit dem Mord an Edward Hansen hatte es eindrucksvoll bewiesen, dass es kompromisslos alle verfügbaren Mittel einsetzen würde, um seine Abschaltung zu verhindern.
Wie dem auch sei, dachte Kommissar Reyni. Das Programm ist zwar abgeschaltet, aber es existiert weiterhin in den Speichern des Rechenzentrums von FAU. Er war froh, nicht über die Zukunft des Programms entscheiden zu müssen.
Texte: Roy O'Finnigan
Bildmaterialien: © Amanda Tromley | Dreamstime.com
Lektorat: Thomas Hoffmann (http://www.publi4all.de) und Sigrun Coulon
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Herzlichen Dank an Thomas Hoffmann und Sigrun Coulon für Lektorat und Korrektorat. Eventuell verbliebene Fehler wurden nachträglich von mir verursacht.