Christine hatte Bos Brief mit den Scheidungspapieren zusammen erhalten. Er hatte alles ordnungsgemäß unterschrieben und Howard Thompson beauftragt, sein Anliegen durchzusetzen. Christine hatte nicht geantwortet. Die Papiere lagen in einer Schublade im Tisch und sie wartete darauf, dass Bo vielleicht doch zu ihr zurückkehrte.
„Er kann nicht mehr zurück“, erklärte ihr Christian. „Man hat ihm seinen Waffenkauf nachgewiesen. Wenn er nur in die Nähe einer Stadt kommt, wird er für immer eingesperrt. Er weiß das. Du weißt das. Es ist vorbei. Dein Leben hat er dir zurückgegeben und das rechne ich ihm hoch an. Mit dem Geld, was er dir überschrieben hat, kannst du sorgenfrei Leben. Und das ist ehrlich verdient, nicht gestohlen. Edward liebt dich immer noch. Das hat er dir geschrieben.“
„Aber ich liebe ihn nicht. Das habe ich nie. Ich wollte immer nur den Einen. Ich verlasse ihn nicht.“ „Wenn das Jahr vorbei ist, werdet ihr vermutlich sowieso geschieden.“ „Das Jahr ist noch nicht um“ entgegnete sie und kümmerte sich um ihre Kinder.
Karen und Jeff, wie Chavaree mittlerweile alle nannten, hielten zu ihr und unterstützten sie, wo sie konnten. Christine war mit Alexander und Caroline in ein kleineres Zimmer umgezogen und hatte den beiden ihr Schlafzimmer überlassen. Auch Sunny behielt eine kleine Ecke für sich. Sie wohnten nun zu sechst in dem nicht allzu großen Haus, hatten aber immer ihre Freude aneinander.
„Hier war es meistens eng“ lächelte Jeff, „nur die Veranda bietet Platz für mehr. Vielleicht kann ich etwas anbauen.“ Karen kam aufgeregt hinzu und hielt ihm einen Brief entgegen.
„Er ist von Tharo!“, rief sie und riss ihn auf. Jeff las ihn eilig und reichte ihn dann Christine, die ihn zitternd nahm. Sie weinte, als sie ihn lesen wollte und gab ihn an Jeff zurück. „Ich kann nicht. Was steht drin?“ „Mutter und ihr Kind sind gestorben“ berichtete er leise. „Sie sind erfroren. Tharo und Black Eagle sind in Denver und Bo“, er sah ihr in die Augen, „wurde in Fort Laramie eingesperrt. Jim Tyler hat eine Begnadigung für ihn angestrebt, doch man hat das abgelehnt. Er kommt nicht mehr frei. Zumindest nicht in nächster Zukunft. Sie versuchen es weiter. Hope hat ihn besucht. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er spricht nur wenig.“
„Ich will ihn auch besuchen“ stammelte Chris und sah Jeff hoffnungsvoll an. „Ja“, lächelte er aufmunternd. „Ich komme mit. Der Anbau kann noch warten.“ George wollte auch dabei sein. Trotz seines Alters ließ er sich nicht davon abbringen. „Das ist mein Junge“ lächelte er froh, „den holen wir uns zurück.“ „Wie willst du das machen?“, fragte Alice. „Christian“ schmunzelte George listig, „lass uns mal alleine sprechen. Ich habe da eine Idee!“
Christine war sehr ungeduldig. Sie wollte bereits am nächsten Tag die Kutsche nach Denver nehmen und von dort aus weiter nach Fort Laramie. „Nein“ widersprach George, „erst nächste Woche. Er läuft uns ja nicht weg.“
Christian und George waren die nächsten Tage sehr beschäftigt, aber trotz aller Fragen verrieten sie ihren Plan nicht. „Der ist nicht besonders aussichtsreich“, erklärte ihr Vater, „nur ein ganz kleiner Hoffnungsschimmer. Nach Boston willst du nicht zurück?“ „Nein. Wenn sie ihn nicht frei lassen, werde ich mit unseren Kindern nach Fort Laramie ziehen.“
Christian lachte ungehalten. „Wieso bist du dir so sicher, dass er dich überhaupt sehen will?“ „Weil ich es fühle“ antwortete sie sicher. „Was glaubt ihr eigentlich alle, wen ihr in Fort Laramie vorfinden werdet? Den sympathischen Indianer aus Codys Show? Willst du ihm seinen Anzug mitbringen? Wacht doch endlich auf! Der Mann ist krank. Seine Frau und sein Kind sind erfroren. Er war dabei. Er hätte alles getan, um sie zu retten. Er hat seinen Stolz weggeschmissen. Sherman hat geschrieben, dass er bei Myers Arzt um Medizin für sie gebettelt hat! Dein Mann hat zu viel gesehen, zu viel erlebt. Er kommt nicht mehr zurück. Ganz gleich, ob er frei ist, oder nicht. Ihm ist das egal. Dein arroganter Hund ist tot!“
„Warum hilfst du mir dann?“, fragte George, der den Streit gehört hatte. „Wenn ich mich nicht auf dich verlassen kann, benötige ich jemand anderen!“ „Nein“, beschwichtigte ihn Christian nachdenklich, „versuchen wir es. Aber selbst wenn wir gewinnen sollten, lehnt der Bo Stanford, den ich kenne, das ab.“
„Was habt ihr denn vor?“, fragte Chris wieder. „George will, dass ich seine Vormundschaft übernehme“ antwortete ihr Vater. „Das ist dein Plan?“ Chris setzte sich enttäuscht. „Der ist wirklich schlecht.“
„Dein Vater war mal General“ verteidigte sich George. „Wenn Bo sich Crook unterwirft, wird er sich wohl auch deinem Vater unterwerfen, wenn er dann nach Hause kann.“ „Dann kommst du auch mit?“, fragte Chris. „Geht es ihm so schlecht?“ „Ja“ antwortete Christian teilnahmsvoll, „vielleicht verlegt man ihn weit weg. Nicht, um ihn zu quälen, sondern um ihn zu beschützen. Das Gefängnis ist frei zugänglich und viele sind nicht gerade nett zu ihm.“
„Was machen sie?“ Chris sah ihm in die Augen. „Sie bringen ihm Medizin für seine Frau“, erklärte Christian kaum hörbar. „Bo hat die Besuche von Hope und Tharo schon abgelehnt. Vermutlich um sie vor Auseinandersetzungen mit den Soldaten zu beschützen. Der Verlegung hat er auch nicht widersprochen. Er spricht sowieso nicht mehr. Nicht mal mit Jim Tyler. Erwartet nicht zu viel.“
Der Aufseher betrachtete die schöne, außerordentlich gut gekleidete Frau verwundert, die um Besuchserlaubnis bat. „Bo Stanford ist ihr Ehemann? Wir dachten, seine Frau wäre mit ihrem Kind gestorben. Warum hungert er sich dann zu Tode?“
Christine reichte ihm ihre Papiere. „Vermutlich liegt da irgendwo ein Irrtum vor“, lächelte sie freundlich. „Wie Sie sehen, erfreue ich mich bester Gesundheit und unseren Kindern geht es auch gut. Morgen bringe ich sie mit.“
„Dann kommen Sie. Wir haben ihn in den hinteren Zellenbereich verlegt, damit er seine Ruhe hat. Obwohl wir uns alle sehr um ihn bemühen, geht es ihm schlecht. Er ist hier eine Attraktion, schon allein durch Codys Show. Jeder will ihn sehen.“ „Können Sie mich zu ihm hinein lassen?“, bat sie, als sie seine Zelle erreicht hatten und er schlief. Der Aufseher öffnete die Tür und ließ sie hinein. „Rufen Sie, wenn Sie wieder raus wollen.“ Dann ging er wieder und Chris war mit ihm allein.
Sie setzte sich zu ihm auf die Pritsche und fürchtete sich, ihn zu berühren. Seine Haare waren an manchen Stellen grau geworden. Sein immer schon schlanker Körper war nun mager. Er hatte viel zu viel Gewicht verloren und aß auch nicht. Zumindest stand sein Teller unberührt auf einem kleinen Tisch. Seine Wangen waren eingefallen und seine Haut war eher grau und fahl als braun. Sie berührte sanft seine Schulter und erschrak, als er hochschnellte.
Er stand nun mit unergründlichem Blick vor ihr und starrte sie wie eine Fremde an. „Was machst du hier?“, fragte er unsicher. „Ich besuche dich“, erklärte sie ruhig. „Du hast mir doch geschrieben.“ „Ich habe dir nicht geschrieben“, widersprach er fahrig. „Doch. Im letzten Jahr. Ich wollte dir persönlich darauf antworten.“
Bo sah nun zur Zellentür, aber der Aufseher war längst fortgegangen. „So eine Zelle ist manchmal gar nicht schlecht“, lächelte sie mitfühlend, als er sich wieder zu ihr umdrehte. „Du kannst mir gar nicht weglaufen.“ Er lächelte matt zurück. „Ich komme nicht mehr frei. Nie mehr. Ich habe dem zugestimmt.“
„Wenn du so gut weiter isst, ist nie mehr nicht mehr lang.“ Sie suchte seine Augen, aber er vermied es, sie anzusehen. „Ist es so schlecht?“ „Es geht. Ich habe nur geschlafen.“ „Redest du mit mir darüber?“, bat Chris vorsichtig.
„Die Scheidung?“, fragte er gefasst und Chris nickte. „Ich habe dir das alles doch geschrieben. Ich bin für den Rest meines Lebens gefangen. Weil ich dich liebe, lasse ich dich frei. Du bist viel zu jung, um alleine zu sein. Das Leben kann so schön sein, genieße es, das wünsche ich mir.“
Sie stand auf und ergriff seine Hand. „Nicht ohne dich.“ Chris zog ihn zu sich. „Sie erlauben dir sicher immer noch, in ein Reservat zu gehen. Ich komme dorthin mit.“ Er lächelte leicht. „Deshalb bin ich hier.“ „Weil ich hierher nicht mitkommen kann? Wundere dich nicht. Wohin sie dich auch bringen. Ich reise hinterher. Du hast mir genug Geld überschrieben.“
„Du bist grausam“, stellte er entmutigt fest und ließ sich von ihr umarmen. „Ja. Und du musst etwas essen.“ Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie jeden seiner Knochen spürte. Sie streichelte ihm über sein Gesicht. „Du siehst furchtbar aus.“ „Du kümmerst dich nicht mehr um mich“, versuchte er zu scherzen.
„Ich fange das wieder an“, versprach sie fürsorglich. „So einfach ist das nicht“, widersprach er. „Doch, so einfach ist das. Ich darf dich jederzeit besuchen. Wahrscheinlich sehen wir uns öfter als vorher“, lächelte sie zuversichtlich. „Und Essen mitbringen darf ich auch.“ „Und jede Nacht sterbe ich vor Sehnsucht nach dir? Christine, das geht nicht. Ich liebe dich viel zu sehr.“
„Dann zerreiß die Papiere. Wir kommen hier schon raus. Wir arbeiten daran.“ Er sah sie ungläubig an. „Alle sind hier. Jeff, Sunny, George, sogar mein Vater. Wen willst du als Ersten sehen?“ „Alle, aber erst morgen. Bleib du heute bei mir, so lange du kannst.“ „Ich hol dir erst mal was zu essen“ widersprach sie. „So geht das nicht.“
„Ich esse das“ versprach er und nahm den Teller in die Hand. „Erzähl mir doch von Zuhause, einfach irgendwas.“ Er aß ein bisschen und versuchte sich im Lächeln, als er den Teller wieder zurückstellte. „Ich esse später noch etwas“, erklärte er verbindlich, als sie Einspruch erheben wollte. „Sonst wird mir schlecht.“
Christian Farrow saß mit George bei Jim Tyler im Büro. „Ihre Idee ist lobenswert“, meinte Jim und betrachtete die vielen Unterschriften, die sie von den Bürgern aus Colorado Springs gesammelt hatten. „Angesehener Bürger und Stütze der Gesellschaft in Ihrer Stadt! Ein ganzer Ort passt auf ihn auf. Und sie beide als sein Vormund.“ Jim zögerte. „Macht er da mit?“
„Was hat er zu verlieren?“, fragte George. „Ich fürchte, Ihr Freund will nicht mehr. Er isst kaum noch. Man muss ihn beinahe Zwangsernähren, damit er am Leben bleibt. Ich habe ihn fast nicht wiedererkannt und mich sehr erschrocken.“ „Er wird essen“, versprach George, „wenn er nach Hause kann. Wenn er hier stirbt, wird er zum Märtyrer, das kann nicht im Interesse der Regierung sein. Er ist, nicht zuletzt durch Cody, sehr bekannt.“
Jim legte die Liste nachdenklich auf den Tisch zurück. „Das ist wahr. Er ist hier zur Attraktion geworden. Man hat ihn bereits in den hinteren Zellentrakt verlegt, damit er seine Ruhe hat. Alle Welt will Codys Indianer sehen.“ „Das hilft uns doch, oder nicht?“, fragte Christian jetzt. „Wir bauen in Colorado Springs eine Klinik. Seine Kinder sind dort, seine Frau, er kann wieder arbeiten oder Bücher schreiben. Sein Wissen über alternative Medizin ist doch auch von hohem Wert.“
Jim lächelte kopfschüttelnd. „Dass gerade Sie sich für ihn einsetzen, ehrt Sie. Versuchen Sie, ihn von Ihrem Vorhaben zu überzeugen, nicht mich. Vielleicht kann ich das Durchsetzen, nur versprechen kann ich es nicht.“
Der Gefängnisaufseher brachte das Abendessen. „Ich habe Ihnen auch etwas mitgebracht“, teilte er Chris freundlich mit. „In Gesellschaft schmeckt es vielleicht etwas besser.“ Chris bedankte sich höflich und versuchte wieder ihren Mann davon zu überzeugen, dass er etwas zu sich nehmen musste. Bo sah sie mit großen Augen an und lächelte müde. „Ich kann das nicht. Bitte geh jetzt, ich lege mich etwas hin.“
Christine setzte sich von der Pritsche auf den Stuhl, der in der Zelle stand. „Ich störe dich nicht. Schlaf ein wenig, ich sehe dir dabei zu.“ „Ach Chris“, flehte er müde, „warum kannst du mich nicht einfach gehen lassen?“ „Hast du Marnie gehen lassen?“, fragte sie zurück. „Ja“ antwortete er leise. „Ich habe sie sogar umgebracht.“ Bo hatte sich auf die Pritsche gelegt und bemühte sich, seine Tränen zu verbergen.
Chris stand wieder auf und drängte sich dicht neben ihn auf die schmale Liege. Sie umarmte ihn und ihr stolzer Ehemann hielt sich an ihr fest und weinte. Irgendwann schlief er in ihren Armen ein. Der Aufseher hatte sie nicht fortgeschickt, sondern ließ sie die ganze Nacht bei ihm verweilen.
Am nächsten Morgen brachte er ihnen Frühstück und räumte den Rest vom Vortag ab. „Ihr Vater ist da“, bemerkte der Mann leise, weil er sah, dass Bo noch schlief. „Er möchte gerne alleine mit Ihnen sprechen.“ „Ich kann jetzt nicht. Sagen Sie ihm, er soll George zu uns schicken, oder am besten Jeff.“ Chavaree kam umgehend. Vermutlich hatte er bereits mit den anderen gewartet. Nun ließ der Wärter ihn hinein.
Jeff schluckte seine Bestürzung über das schlechte Aussehen seines Vaters hinunter und stieß ihn sanft an. „Wie siehst du aus?“, fragte er aufmunternd. „Wir durften nie so aussehen. Hier“ er gab ihm andere Kleidung, „zieh dir mal was Ordentliches an.“ Bo lächelte matt und nahm ihn in den Arm. „Schön dich zu sehen.“
Er nahm die Sachen, die Jeff ihm gegeben hatte und begutachtete sie skeptisch. „Ich glaube, die passen mir nicht mehr.“ „Aber die sind sauber und ich gebe dir meinen Gürtel.“ Jeff sah zu Chris. „Wir drehen uns auch um.“ „Gut“, willigte Bo ein und zog sich um. „Schon etwas besser“, urteilte Jeff, als er ihm seinen Gürtel gab. „Aber ein paar Kilo mehr wären auch nicht schlecht. Warum isst du nichts?“
„Ich vertrage es nicht.“ Jeff sah sich das Frühstück an. „Du verträgst kein Brot? Was brauchst du? Haferbrei?“ Bo sah ihm in die Augen und aß das Brot. „Wir kümmern uns ums Essen. Sag uns, was du willst.“ „Ein Steak“ antwortete Bo ernst. „Dein Wunsch ist mir Befehl“, lächelte Jeff und ließ sich die Tür öffnen. Dann schickte er Sunny, die offenbar auch vorne wartete, zu ihm.
„Nein“, wehrte Bo ab, doch Sunny war schon da und strahlte ihn an. Sie versuchte, seine Hände durch die Gitterstäbe zu erreichen, bis der Wärter ihr die Zellentür aufschloss. Sie sprang in seine Arme und hielt ihn fest. Sunny spürte, wie er zitterte und seinen Kopf an ihren Hals legte. „Es geht dir nicht gut“, tröstete sie ihn leise. „Und uns auch nicht. Du fehlst uns so.“ Er versuchte zu lächeln. „Jetzt bin ich ja da und kann auch nicht mehr weg.“
Sunny lächelte auch. „Papa, ich habe dich so lieb. Mir ist ganz egal, wo du bist, so lange ich nur manchmal bei dir sein kann.“ „Ich glaube, dass das geht. Ich habe im Moment viel Zeit.“ Sunny grinste. „Vielleicht bringst du mir ja jetzt das Kämpfen bei.“ „Dafür ist es hier ein bisschen zu eng und wird vermutlich auch nicht ganz so gern gesehen. Übe mit Jeff, der ist ziemlich gut.“ „Nein. Niemand ist so stark wie du!“, widersprach sie sicher. „Ich fühle mich etwas schlapp“ entgegnete ihr Vater. „Heute hätten die Jungs sicher eine gute Chance.“ Sunnys Augen glänzten schwärmerisch. „Niemals!“ Davon war sie fest überzeugt.
George begrüßte ihn am Abend und Christian besuchte ihn in den ersten Tagen gar nicht. Sie hatten sich im Hotel Zimmer gebucht und nur Christine war beinahe pausenlos bei ihrem Ehemann. Sie versorgten ihn täglich mit gutem Essen, brachten ihm ordentlichen Kaffee und Sunny nährte seine Vorliebe für Schokolade und andere Süßigkeiten. Kuchen mochte Bo schon immer gerne und Mrs. Tyler freute sich, wenn Christine diesen von ihr annahm und ihm etwas davon brachte.
„Kannst du so etwas?“, fragte er erstaunt, als Christine ihm Schokoladenkuchen gab. „Nein, leider nicht, warum?“ „Ich hätte die Scheidung glatt zurückgezogen“ lächelte Bo, „nur dafür.“ „Das hast du schon letztes Mal gemacht“, flirtete Chris, „als ich dir Kaffee gebracht habe. Du siehst schon viel besser aus, bald brauchst du keine besondere Fürsorge mehr.“ „Die habe ich schon immer gebraucht“ erwiderte er ernst. „Wenn du mich weiter so lieb versorgst, bleibe ich auch hier.“
Chris fing seinen verzweifelten Blick auf und hielt ihn fest. „Wir können immer noch ins Reservat gehen“ schlug sie vor. „Sollen unsere Kinder dort verhungern oder erfrieren? Diese Armut tu ich euch nicht an. Trennen können wir uns auch nicht, deshalb bleibe ich hier. Das ist besser als nichts.“ „George und Christian bieten sich als Vormund für dich an. Wenn sich jeder darauf einlässt, kannst du vielleicht mit uns nach Hause.“ Bo stellte seinen Teller weg. „Ihr wollt mich entmündigen?“, fragte er getroffen. „Das ist nicht euer Ernst! Vergesst das wieder, da mache ich nicht mit. Lieber bleibe ich hier. Ich frage doch nicht deinen Vater, wenn ich etwas kaufen will.“
„Hier kannst du auch nichts kaufen“ entgegnete Chris. „Hier fehlt mir nichts. Zuhause würde mir etwas fehlen.“ „Ich dachte, ich fehle dir“ warf sie traurig ein. „Denk darüber nach, ich werde jetzt gehen.“ „Bitte“ Bo hielt sie fest. „Versteh das doch, meine eigene Entscheidung ist das Letzte, was ich noch habe.“ „Dann nutze deine letzte Entscheidung sinnvoll und komm mit uns nach Hause. Ich kaufe dir, was du haben willst, du brauchst nicht fragen.“
General Sherman, Hauptmann Myers, General Crook und weitere, hochdotierte Herren berieten gemeinsam über die weitere Vorgehensweise mit den immer noch abtrünnigen und kriegerischen Indianern, mit denen es keine Möglichkeit zur Verhandlung gab.
„Sitting Bull bleibt meist in Kanada und überquert die Grenze zur Union nur zur Büffeljagd.“ General Crook sah zu Sherman. „Eine Einheit haben wir an der Grenze postiert. Viele seiner Gefolgsleute haben ihn bereits verlassen. Er hat noch ein paar hundert Mann. Weiter auf den Plains hat Spottet Tail gute Arbeit geleistet. Viele haben sich uns unterworfen, sogar Crazy Horse. Nur Lame Deer hat jegliche Unterwerfung abgelehnt und ist zurzeit nicht aufzuspüren. Wir brauchen Scouts. Am besten Gefolgsleute von Crazy Horse, die sich uns unterworfen haben. Sie haben sich erst vor kurzer Zeit von einander getrennt und wissen vermutlich, wo man ihn finden kann.“
„Um mit ihm zu verhandeln?“, fragte Sherman. „Nur um zu verhandeln, nichts weiter“, bestätigte Crook. „Geben Sie mir das Kommando. Ich habe gute Scouts“, bat Myers. „Nur durch unsere Verfolgung, nicht durch Spottet Tail, hat sich Crazy Horse unterworfen! Wir haben Gefangene gemacht. Vielleicht überzeugen wir diese, uns zu helfen.“
„Es heißt“, warf Sherman ein, „Ihre Scouts hätten auf die Delegation von Crazy Horse geschossen. Vermutlich wäre es ohne diesen Vorfall weit eher zu Verhandlungen mit ihm gekommen.“ „Nein, Crazy Horse war nicht dabei, nur ein paar Sioux und mehrheitlich Cheyenne. Nachdem wir auf sie geschossen haben, ist nur der Eine geblieben. Die anderen sind ohne ihn gegangen.“
„Sitzt Stanford noch hier im Gefängnis?“, fragte Crook. „Ja“, antwortete Sherman knapp. „Der Mann war doch fast verhungert“, wunderte sich Crook. „Ich dachte nicht, dass er das schafft.“ „Seine Familie kümmert sich um ihn“, berichtete Sherman. „Es geht ihm besser.“ „Für wie lange hat man ihn eingesperrt?“, interessierte sich Myers. „Eine endgültige Entscheidung, was mit ihm passieren soll, ist noch nicht gefallen. Im Moment hat er lebenslang.“
„Auf mich hat er einen ganz ehrlichen und vernünftigen Eindruck gemacht“, merkte Myers an. „Er war in dieser unangenehmen Situation recht beherrscht und ist gegen den Willen von Crazy Horse zur Verhandlung gekommen. Vielleicht wäre er der ideale Scout. Für seinen Dienst bieten wir ihm seine Freiheit an. Er hat sich Ihnen unterworfen und hätte das bei mir vermutlich auch getan. Sein Krieg ist beendet.“
„Wir haben ihn früher oft als Vermittler eingesetzt“, überlegte Sherman. „Allerdings immer nur alleine. Ein Scout wollte er niemals sein und hat das strikt abgelehnt.“ Er schenkte sich etwas Kaffee ein. „Gefängnis liegt ihm allerdings auch nicht. Er hat eine schöne Frau, Kinder und will sicher gern nach Hause. Fragen Sie ihn. Er ist ehrlich. Wenn er Ihnen sein Wort gibt, wird er es halten. Zumindest war das früher so.“ „Dann geben Sie bitte die nötigen Papiere in Auftrag. Er bringt uns zu Lame Deer, danach ist er frei.“
Hauptmann Myers bekam das Kommando über die Great Plains, wie Spottet Tail vorab geahnt hatte. Er freute sich auf seine neue Herausforderung, Ruhe auf dem großen Land zu schaffen und machte sich zuversichtlich auf den Weg zu seinem favorisierten Scout. Er wunderte sich, als er Christine und Sunny in Bos Zelle vorfand und bat die beiden zu gehen. „Erinnern Sie sich noch an mich?“, fragte er Bo. „Ja. Ihre Crows haben auf mich und meine Leute geschossen.“ Bo setzte sich auf seine Pritsche. „Und vielen Dank für die Medizin. Ihre Soldaten haben mir reichlich davon gebracht. Ich benötige sie jetzt nicht mehr.“
„Ihr Verlust tut mir leid, doch wie ich sehe, gibt es für Sie noch mehr, was Sie verlieren können. Die schöne Dame ist doch Ihre Ehefrau und das Mädchen vermutlich auch Ihr Kind.“ Bo antwortete ihm nicht, beobachtete ihn jedoch aufmerksam. „Wir haben ein Angebot für Sie“, fuhr Myers fort und setzte sich auf den Stuhl. „General Sherman hat uns erzählt, Sie wären bereits als Vermittler für den Frieden eingesetzt worden. Wir benötigen Hilfe bei den Verhandlungen mit Lame Deer. Vermutlich kennen Sie ihn und haben weniger Schwierigkeiten ihn zu finden als wir.“
„Das kann sein“ mutmaßte Bo. „Was bieten Sie ihm denn an?“ „Den Frieden und die Rückkehr in das Reservat der Sioux.“ „Wenn die Sioux und die Cheyenne dieses kleine Reservat gewollt hätten, hätten wir nicht um das Vorherige gekämpft. Wir hätten es auch nicht verlassen, wenn wir dort nicht verhungert wären. Es war viel zu klein für so viele Menschen.“
„Es sind weniger geworden“, erklärte Myers emotionslos „und wird reichen. Wenn Lame Deer weiter Krieg spielt, sterben wesentlich mehr. Er soll sich ergeben und den Heimweg antreten.“ „Und ich soll ihm das so sagen?“, fragte Bo ehrlich interessiert. „Und wenn er das nicht macht?“ „Dann bringen wir ihn dazu“, antwortete Myers.
„Ich arbeite nur als Vermittler, nicht als Scout. Ich gehe allein und bringe ihn, wenn er Frieden will, mit.“ Myers lachte. „Wie kann ich sicher sein, dass Sie ihn überhaupt gefunden haben, wenn wir Sie nicht begleiten? Warum sollte ich Ihnen glauben, wenn Sie einfach sagen würden, dass er ablehnt? Nein. Wenn Sie gehen, kommen wir mit. Sie bringen uns zu Lame Deer und danach gehen wir allesamt nach Hause.“
Myers reichte ihm seine Papiere. „Was auch immer Sie jemals getan haben sollten“, erklärte Myers ihm, „wird ungeahndet bleiben mit dieser Amnestie. Sie sind ein unbescholtener, freier Mann, der sich dorthin bewegen kann, wo es ihm gefällt. Alles ist vergessen, wenn wir beide dies hier unterzeichnen. Ein letzter Dienst für unser aller Frieden.“
Bo las das Schreiben sorgfältig und gab es ihm zurück. „Ich arbeite nicht als Scout.“ Myers blickte ihn verständnislos an. „Sie sitzen für den Rest Ihres Lebens im Gefängnis, wenn Sie das hier ablehnen.“ „Ich weiß.“
„Ich werde andere Scouts finden, die mich zu Lame Deer bringen.“ „Wahrscheinlich.“ „Verraten Sie mir, warum Sie das nicht machen?“ „Weil ich meine Seele nicht verkaufe“, erklärte Bo sicher. „Sie sind doch ein Verfechter des Friedens“, lächelte Myers und legte die Papiere auf den Tisch. „Nichts anderes haben wir vor.“
„Ja. Nur kenne ich Ihren Frieden schon“ entgegnete Bo ruhig. „Sie schießen auf einen, wenn man Frieden will. Jagen ein ganzes Volk, Frauen und Kinder, durch Eis und Schnee, bis sie verhungern und erfrieren. Glauben Sie, dass Ihr Arzt der Erste war, den ich um Hilfe gebeten habe? Das war er nicht. Es lohnt sich nicht, damit zu prahlen, denn das trifft mich nicht. Und für die, die mich kennen, ist das nicht neu. Ich bettel schon mein ganzes Leben um Gnade, Respekt und Achtung für mein Volk. Sie sind der Grausamste von allen gewesen, die ich kennengelernt habe. Sie werden es beenden, da bin ich mir sicher, aber nicht mit meiner Hilfe.“
„Dann sterben Sie in dieser Zelle.“ Myers stand unbeeindruckt auf. „Sie werden von mir hören.“ Bo sah ihm nach und hörte, wie er mit dem Aufseher sprach. „Das ist ein Gefängnis, kein Hotel. Vor den Stäben ist Schluss. Und nicht den ganzen Tag. Jeder höchstens eine halbe Stunde, tragen Sie das ein. Ich bin noch zehn Tage hier, bis dahin kann er betteln.“
„Was wollte er von dir?“, fragte Chris und versuchte, seine Hand durch die Stäbe zu erreichen. „Bitte, sie geben uns nur noch eine halbe Stunde. Komm jetzt her.“ „Er wollte mich zum Scout machen.“ „Und deshalb stehe ich jetzt vor der Tür?“, lächelte sie zweifelnd. „Du hast nette Freunde hier.“ Er nickte zustimmend. „Deshalb will ich ja nicht weg.“ „Ich versuche, hier ein Zimmer zu finden, wo ich mit Alexander und Caroline wohnen kann. Sunny geht mit dem Rest unserer Familie wieder nach Hause. Auf Dauer ist das hier etwas schwer für sie. Vor allem, wenn sie nicht mehr zu dir kann.“
„Du solltest auch gehen“, riet Bo gefasst. „Ja, das sollte ich“ stimmte sie ihm traurig zu und küsste seine Hand. „Und auf diese Vormundschaft willst du nicht eingehen?“ „Nein. Ich bringe sie nur in Schwierigkeiten. Wie wollen sie mich kontrollieren? Das kann ich nicht mal selbst. Das mit dem Geld ist mir egal, wenn du mich immer einlädst.“
General Sherman trat zu ihnen und begrüßte Christine freundlich. „Du hättest das nicht ablehnen sollen“, sprach er zu Bo. „Etwas Besseres kriegst du wohl nicht wieder.“ „Das weiß ich. Unter Ihrem Kommando hätte ich wahrscheinlich zugesagt. Aber mit Myers bringe ich nur Tod und keinen Frieden.“
„Er ist ein Prahler, zielstrebig und arrogant“, gab Sherman zu, „man wird ihn zum General befördern. Er kommt schnell voran! Mach ihn dir nicht zum Feind. Wenn du ihm nicht hilfst, findet er andere.“ Bo sah ihm in die Augen. „Einen findet man immer“, bestätigte er, „aber dieser Eine bin nicht ich.“ Sherman sah zu Chris, die sich vor die Zelle gesetzt hatte. „Ihr Mann verschenkt seine Freiheit!“ Chris blickte zu ihm auf. „Besser seine Freiheit, als seine Ideale.“ Nun sah sie zu Bo. „Es ist richtig, dass du sie dir nicht nehmen lässt. Was auch immer du machst, ich halte zu dir.“
Sherman zögerte einen Moment. „Bo“ versuchte er erneut, „hier drin gehst du kaputt. Wir kennen uns so lange und mir fehlt der arrogante Hund. Überleg das mit der Vormundschaft noch mal. Irgendwann ist auch dieses Angebot vorbei und du stirbst in diesem Knast. Deine Frau wird nicht für immer vor der Zelle auf dich warten. Sie ist viel zu hübsch dafür. Irgendwer wird sie hier finden und nimmt sie einfach mit.“ „Dann ist das so. Was geschehen soll, geschieht.“
„Und wofür?“, fragte Sherman wieder. „Die meisten Waffen, die du besorgt hast, wurden bereits abgegeben. Neue Gewehre, hunderte. Nicht einmal ein Jahr! Dafür bezahlst du jetzt mit deiner Freiheit, mal abgesehen von all dem Geld? Ihr seid machtlos gegen die Kanonen. Es ist vorbei, geh doch nach Hause!“ Bo lächelte zaghaft. „Das mache ich, wenn du mir die Zelle aufschließt. Ich komme nicht raus.“
Sherman betrachtete ihn nachdenklich. „Ich verspreche dir nichts. Mal sehen, was ich tun kann. Jim Tyler bemüht sich sehr um dich. Auch Hope und Tharo. Du hast gute Freunde, aber die Gegenseite ist ziemlich stark. Gewinnen werden deine Freunde vermutlich nicht. Hilf ihnen doch und lass dich auf diesen Handel ein. Farrow und Petterson meinen es doch nicht schlecht, wenn sie sich für dich verbürgen.“
Bo sah zu Christine, die immer noch auf dem Boden saß. „Ich überlege mir das“, versprach er nachdenklich. „Werden sie sich darauf einlassen?“ „Ich weiß es nicht. Einen Versuch wäre es wert. Was hast du zu verlieren?“
Bo konnte nicht sehen, was vorne im Gefängnis vor sich ging. Es war sehr laut und er hörte, wie man kämpfte. „Bleib ruhig!“, schrie jemand und „halt ihn fest!“ Danach hörte er nur noch ein Stöhnen und laute Rufe, nach einem Arzt. Schließlich wurde es leise. Er sah durch sein Fenster, wie sie jemanden davon trugen. Der Kleidung nach war es ein Indianer. Erst nach ein paar Stunden erzählte ihm der Aufseher, als der ihm sein Essen brachte, was geschehen war. „Sie wollten Crazy Horse einsperren“ berichtete er, „doch der hat sich gewehrt. Es sieht nicht gut aus. Vermutlich wird er sterben.“
„Was hat er denn getan?“, fragte Bo. „Sich furchtbar aufgeregt, dass Lame Deer und Iron Star erschossen worden, als sie mit Myers verhandelt haben.“ „Wo ist Crazy Horse jetzt?“, fragte Bo besorgt. „Ich würde ihn gerne sehen.“ „Er ist auf der Krankenstation. Da lassen sie dich nicht hin. Nicht einmal in Ketten. Du bleibst hier drin. Befehl von oben. Ich habe schon gefragt. Außerdem ist gleich deine Anhörung. Du solltest besser keinen Blödsinn machen.“
Im Gerichtsgebäude saßen zehn Männer, die über ihn entscheiden sollten. Bo kannte von denen nicht einmal die Hälfte. Crook, Sherman und Myers waren dabei.
Jim Tyler saß an seiner Seite. George und Christian direkt hinter ihm. „Mister Stanford“, begann der Richter. „Wir prüfen hier heute Ihre Haftentlassung unter dem Aspekt, dass die beiden Herren sich für Sie verbürgen und Sie zukünftig keinerlei kriegerische Absichten mehr hegen. Hauptmann Myers bezweifelt ihre Friedfertigkeit sehr. Er fühlt sich von Ihnen bedroht. Er sagt, Sie hätten ihn grausam genannt.“
„Er ist grausam“, bestätigte Bo. „Er hat mein Volk und meine Familie durch Eis und Schnee gehetzt und umgebracht. Für mich ist das grausam, aber ich habe ihn niemals bedroht.“ „Ist das wahr?“, fragte der Richter Myers. „Bedroht hat er mich nicht, er ist ja auch nicht frei! General Foster hat er umgebracht. Er ist blutrünstig.“
„Wir verhandeln hier nicht den Krieg“, warf Jim ein, „sondern die Haftentlassung von meinem Mandanten. Was verlangen Sie als Beweis für seine Friedfertigkeit?“ Myers betrachtete Bo nachdenklich. „Er soll sich mir unterwerfen!“ „Das hat er schon“, entgegnete Jim. „Er sitzt seit Monaten im Gefängnis, weil er sich ergeben hat. Das muss reichen.“
„Was wollen Sie von mir?“, fragte Bo ruhig. „Sie haben doch schon alles. Meine Frau, mein Kind. Meine Freunde. Was wollen Sie noch? Soll ich vor Ihnen auf die Knie fallen, damit Sie aufhören, uns zu quälen?“ „Warum nicht?“, schlug Myers vor. „Hier. Vor allen.“ „Nein“, entschied Jim. „Es ist genug.“
„Mister Stanford“, fuhr der Richter fort. „Bei einer Vormundschaft verlieren Sie das Recht, größere Geschäfte zu tätigen. Weiterhin müssen Sie jeden Ortswechsel melden und zuvor beantragen. Sie dürfen keine Waffen mehr besitzen und dürfen sich auch politisch nicht weiter engagieren. Hat man Sie darüber informiert?“
„Ja“, antwortete Bo und stand auf. „Bitte“, er ging vor den zehn Männern auf die Knie und sah jedem einzelnen von ihnen ehrlich in die Augen, „machen Sie mit mir, was Sie wollen. Meinetwegen hängen Sie mich auf. Ich habe nur noch einen einzigen Wunsch. Ich möchte mich von meinem Freund Crazy Horse verabschieden, der gerade auf Ihrer Krankenstation stirbt.“ Er stand wieder auf, band seine Grizzly-Bären-Krallen Kette ab und gab sie Myers. „Mein Gewehr hat schon General Crook. Etwas anderes besitze ich nicht mehr. Nehmen Sie das als Zeichen meiner Unterwerfung. Mein Krieg ist für alle Zeit beendet, das schwöre ich hiermit.“ Dann setzte er sich auf seinen Platz zurück und sah zum Gremium. Alle waren vollkommen überrascht und seltsam beeindruckt. Hin- und hergerissen, zwischen Unverständnis und Mitleid verharrten die Geschworenen noch einen Augenblick sprachlos auf ihren Plätzen, bevor sie sich zur Beratung zurückzogen.
„Das war nicht nötig“ bemerkte Jim nach einer Weile des Wartens. „Ich habe keine Zeit mehr“, entgegnete Bo. „Mein Freund stirbt gleich nebenan.“ „Vielleicht hängen sie dich ja auf“, grinste Jim kopfschüttelnd. „Musst du immer so dick auftragen?“ „Ich bin so ehrlich, ich muss nicht auftragen“ antwortete Bo ihm und sah zur Tür, die sich wieder öffnete. Die Geschworenen kamen zurück und der Richter bat ihn aufzustehen.
„Mister Stanford“, begann er. „Hauptmann Myers nimmt Ihre Unterwerfung an. Niemand sonst hat das von Ihnen verlangt. Es bestätigt uns aber in unserem Eindruck, dass Sie keinerlei kriegerische Absichten mehr hegen. Überdies haben Sie das hier vor allen geschworen. General Sherman hat sich für Ihre Ehrlichkeit verbürgt, weiterhin ist die Unterschriften Liste der Einwohner aus Colorado Springs eindrucksvoll. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass eine Vormundschaft für Sie nicht notwendig ist. Sie dürfen als freier Mann hingehen, wo es Ihnen gefällt. Auch zu Ihrem Freund. Nur eins sage ich Ihnen deutlich, wenn Sie uns alle hier enttäuschen, erwartet Sie der Strang. Sie dürfen Ihr Volk besuchen, wann immer Sie es wollen. Aber niemals wieder an einem Krieg teilnehmen oder sich in irgendeiner Form daran unterstützend beteiligen. Haben Sie das verstanden?“
„Ja“ bestätigte Bo deutlich. „Sie haben mein Wort.“ Er durfte sich wieder setzen und der Richter beendete die Sitzung.
Jim Tyler wollte Bo noch ein paar Dinge mitteilen, doch der war schon fort. Anstatt seiner nahm er Christine in den Arm, die vor Freude weinte. „Endlich können wir nach Hause!“, strahlte sie. „Wo ist er denn überhaupt?“ „Vermutlich bei Crazy Horse“, mutmaßte Jim. „Auf der Krankenstation.“ „Das war doch vorhin nicht sein Ernst.“ Sie sah zu Jim, „oder doch?“ „Er ist dein Mann. Ich weiß das nicht. Ich weiß nur, dass er gehen kann, wohin er will.“ Jim lächelte freundschaftlich. „Colorado Springs hat er dabei nicht erwähnt.“ Christine schüttelte mit dem Kopf und lächelte auch. „Dann geht´s ihm ja wieder gut.“
Crazy Horse war sehr schwach und fieberte. Bo wischte ihm den Schweiß von der Stirn und sah sich die Wunde an, die man genäht hatte. Der ihn behandelnde Arzt verriet ihm, dass es eine tiefe Stichverletzung war, die sich durch seine Gedärme zog. „Er hat starke Schmerzen und wird die Nacht vermutlich nicht überleben“, teilte er ihm mit. „Ich habe ihm schon Laudanum gegeben. Wenn es abklingt, wacht er vielleicht noch einmal auf.“
Die langen Haare des stolzen Kriegers waren nass und klebten an seinem markanten Kopf. Bo sah ihn sie sich noch bürsten, hörte sein siegreiches Lachen vom Little Bighorn. Er sah ihn unermüdlich neben sich selbst durch den Schnee wandern. Hörte die Wut in seinen Worten, als er Crook seine Gewehre vor die Füße schmiss. Jetzt lag er da, vor ihm, sterbend. Der nächste edle, tapfere und aufrichtige Mensch, den sie für Nichts ermordet hatten.
„Du bist hier?“, stammelte er leise, als er Bo erkannte. „Ich kann sie nicht retten, ich habe es versucht.“ Bo nickte und nahm seine Hand. „Lame Deer und Iron Star sind tot. Hump und Brave Woolf haben sie verraten. Cheyenne und Sioux, kein Crow.“ „Alle sind verzweifelt. Es macht keinen Unterschied mehr aus“, tröstete Bo. „Du hast alles versucht, immer wieder und viele andere auch.“ Crazy Horse fieberte stark. „Ich habe es nicht geschafft. Vater vergib mir, ich habe versagt.“
Bo kühlte wieder seine heiße Stirn. „Du hast Foster geschlagen“, widersprach er. „Niemand sonst wäre so kühn gewesen. Wir alle sind dir ausnahmslos gefolgt. Dein Name ist berühmt geworden, dein Vater ist sehr stolz.“ Crazy Horse drückte seine Hand. „Ist er das? Ich kann sie nicht retten, ich habe alles versucht. Ich kann nicht mehr.“ Er blickte zu Bo. „So Wenige sind noch für sie da. Du bist der Letzte, mein Freund. Ich sterbe hier, bring mich zurück.“ Bo versprach es ihm, kühlte weiter seine heiße Stirn, gab ihm zu trinken und blieb, bis er starb. Man erlaubte ihm, Crazy Horses Leiche mitzunehmen.
Christine begleitete ihn alleine in die Great Plains, sein gelobtes Land. Das Land der Freiheit, das Land der Cheyenne, das Land der Sioux. Die Heimat, die man ihnen genommen hatte. Bo sprach nicht. Er betrachtete die Gegend so aufmerksam und andächtig, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. Er sog ihren Duft ein, fühlte die Erde und betete, indem er die Geister rief. Bo bestattete Crazy Horses Leichnam in seinem Heiligen Land auf einem Baum. Er erwies ihm die letzte Ehre und setzte sich nach einer Weile wenige Meter davon entfernt auf den Boden.
„Mein Großvater war ein Häuptling“, erklärte er Chris, die sich neben ihm niederließ, „der nichts so sehr liebte, wie den Frieden. Er sah in der Hochzeit von meiner Mutter mit meinem Vater die Bestätigung darin. Ich war ihr einziges Kind. Ein Weiteres wurde ihnen nicht vergönnt, weil sie starb. Ich habe sie nicht einmal kennengelernt, weiß kaum etwas von ihr.“ Er machte eine kurze Pause. „Sie glaubte an das Gute, fand in allem einen Sinn. Sogar an ihrem Tod hat man mir gesagt, denn das, was dir widerfahren soll, geschieht.
Erfahrungen, die man macht, Dinge, die man erlebt, machen einen zu dem, was man sein soll. Ganz gleich, ob böse oder gut. Den Lauf der Zeit kann man nicht aufhalten, auch nicht den Tod. Die Weißen begraben mit uns eine Freiheit, die es hier nie wieder geben wird. Ihre Sklaven gelten als befreit, dabei haben sie das Gegenteil getan. Jeden haben sie eingesperrt oder umgebracht, der ihrem Regime nicht dienen will. Ihr Volk ist das Volk der Sklaven die sich unterordnen, einordnen, Geld verdienen und Reichtümer anhäufen. Wir brauchten das nie. Wir waren reich. Reich an Nahrung, an Freiheit, an Liebe und an Fröhlichkeit.
Damals habe ich meinen Großvater sehr bewundert, aber auch ebenso gehasst. Mir hat er diese Freiheit, die die anderen hatten, niemals zugestanden. Ich war niemals Kind. Ich musste lernen, dazu hat er mich versklavt. Täglich hat er mich gedrängt. Durch ihn habe ich das Arbeiten gelernt. Mehr als irgendwo sonst. Wenn ich mich aufgelehnt habe, hat er mich zum Kampf gefordert. So habe ich das Kämpfen gelernt, denn ich habe mich oft aufgelehnt, und Black Bull war extrem stark und gut.
Als ich acht war, hat er entschieden, dass ich Marnie heiraten muss, sobald ich ein Mann geworden bin. Dann hat er uns gemeinsam zu meinem Vater nach Denver in die Schule geschickt. Wir mussten lernen. Mein Vater sah das ähnlich. Neben der Schule hatten wir Privatlehrer, die uns dazu verhalfen, dass unsere Schulzeit, vor allem die meine, nur wenige Jahre dauerte. Mit dreizehn war ich mit der Schule fertig und mein Vater schickte uns zu ihm zurück. Ich wollte ein Dog Soldier werden, damit er mich endlich anerkennt. Nie war ich gut genug für ihn. „Du lernst nicht!“,, schimpfte er, „lerne besser. Das, was du kannst, ist nicht genug!“
Ich war sehr wütend und verbittert, deshalb forderte ich ihn diesmal selbst zum Kampf heraus. Ich wollte frei sein. Er wollte, dass ich meine Ehe vollziehe. Wie du ahnst, habe ich verloren. Erst als sie schwanger war, ließ er mich gehen. Ich wurde ein Dog Soldier und wollte nie mehr zu ihm zurück. Das nie mehr dauerte drei Jahre, der Rest ist dir bekannt. Mein Großvater hat Recht behalten. Die Zeit für uns war viel zu knapp. Ich habe viel, aber nicht genug, gelernt. Dafür hat die Zeit nicht ausgereicht. Ich bin ihm heute dankbar, dass er mich so geleitet hat. Ohne Marnie wäre ich ganz allein gewesen und ohne Tharo hoffnungslos verloren. Black Bull hatte einen ganz anderen Blick für die wesentlichen Dinge. Er war viel umsichtiger als ich.
Hier liegt der größte Teil von meinem Volk begraben und heute wird auch er bei ihnen sein. Ich fühle seine Nähe und schicke die Seele eines ebenso edlen, tapferen, und aufrichtigen Häuptlings zu ihm. Möge er einen Platz an seinem Feuer für ihn bereit halten.“ Er starrte in die scheinbar endlose Prärie und schwieg in Gedanken verloren eine Weile. Schließlich sah er verwundert zu Christine und zog sie an sich.
„Warum machst du das alles mit?“ Er sah ihr in die Augen. „Sehr viel Freude bereite ich dir nicht.“ Sie umarmte ihn. „Ich weiß es nicht. Dich hatte ich in meinem Leben niemals eingeplant, aber, laut deiner Mutter, hat ja alles seinen Sinn. Als ich dich zum Ersten mal in deinem Haus gesehen habe, war es um mich geschehen. Ich bin dir hoffnungslos verfallen. Außerdem habe ich viel Spaß mit dir, du bist so unberechenbar, überraschst mich immer wieder. Mir reicht schon dein Lächeln, damit ich glücklich bin.“
„Ich liebe dich“, lächelte er nun. „Mit dir ist alles nicht ganz so schwer.“ „Hast du das im Gericht wirklich ernst gemeint? Du lässt Myers laufen und kämpfst nicht mehr?“ Bo wirkte überrascht. „Du glaubst mir nicht? Doch, das habe ich wirklich ernst gemeint. Myers ist nur ein Name. Er ist ein Angeber, wie Foster, das war gut für mich. Wenn ich ihn töten würde, käme nur ein anderer. Foster war nicht halb so fürchterlich. Heute würde ich sie gerne umtauschen. Wer weiß, wer nach Myers kommt. Soll er meine Kette haben, wenn er mir dafür die Freiheit wiedergibt.“
„Vor mir hast du dich nie hingekniet“, beschwerte sie sich. Bo lachte. „Das hat doch gewirkt, oder nicht? Bei dir habe ich das nie gebraucht, du hast mich ja nicht eingesperrt.“ „Damit hast du alle überrascht, auch mich. Für so einen Kniefall bist du doch viel zu Stolz, dachte ich.“ Er sah ihr in die Augen. „Meinen Stolz trage ich im Herzen, nicht in den Knien. Was diese Menschen, die dort saßen, von mir denken, ist mir letztendlich ganz egal. Ich musste sie nur überzeugen und das habe ich getan. Ich habe allein im letzten Jahr zweitausend Gewehre gekauft und verteilt. Dafür wird man aufgehängt und kommt bestimmt nicht wieder frei. Selbst wenn sie die ganze Menge jetzt noch feststellen sollten, ist das egal. Ich habe meine Amnestie bekommen. Die werde ich für einen Myers nicht aufgeben. Ich hänge viel zu sehr an meinem eigenen Leben, meinen Kindern und an dir.“
„Mein Friedensengel“ lächelte sie augenzwinkernd und küsste ihn. „Frieden entsteht nur, wenn die Kräfte ausgeglichen sind“, setzte er fort. „Das waren sie nicht. Das werden sie auch nicht mehr sein, denn sie haben viel mehr Männer und Kanonen, die ich nicht beschaffen kann. Wenn die Kräfte nicht ausgeglichen sind, gibt es keinen Frieden, nur Unterwerfung. Ich wollte mit aller Macht den Frieden, bekommen haben wir die Unterwerfung. Jetzt geht nur noch Tharos Weg, von dem ich hoffe, dass er daran weiter arbeiten kann.“
Tharo erstarrte, als man ihm die Nachricht brachte, dass die Cheyenne ihr Reservat, das sie sich mit den Arapahoe teilten, verlassen hatten. Bo nahm ihm den Brief aus der Hand und las ihn. „Ich versuche, dort zu vermitteln“ versprach er, stand auf und wollte seine Sachen packen. „Du bleibst“ widersprach Tharo. „Dich hängen sie gleich auf. Ich gehe.“ „Dann gehen wir gemeinsam“, versuchte Bo wieder. „Du bist viel zu stark involviert.“ „Nein.“ Tharo wandte sich an Christine. „Halt ihn fest. Er darf nicht mit.“ Christine versuchte nicht, Bo aufzuhalten und als sie fragte, reichte er ihr einfach nur den Brief. Wortlos begleitete er Tharo.
„Lasitha lebt mit Tharos Kindern dort“, erklärte ihr Tabeja. „Du kennst sie ja. Die Angriffe auf die Zivilisten ist eher eine Dog Soldier Art. Vermutlich ist White Woolf verantwortlich dafür. Little Woolf und Dull Knife bekommen die jungen Krieger nicht unter Kontrolle. Es wird dort eskalieren.“ Christine fragte nicht weiter. Es war klar, dass ihr Mann gehen wollte. Tharo würde er nicht alleine lassen und sich ebenso schützend vor sein Volk werfen.
Nach vielen Tagen fanden Bo und Tharo Dull Knife, der sich auf seinem Weg in Richtung Norden befand. Er schien nicht sonderlich überrascht, seine Stammesgenossen zu sehen, und bot ihnen einen Platz in seinem Zelt an. „Little Woolf und ich haben uns getrennt“, berichtete er. „Little Woolf hat sich in Fort Robinson unterworfen. Lasitha und White Woolf sind bei ihm. Wir unterwerfen uns nicht. Wir wollen nach Hause.“
„Es ist jetzt schon furchtbar kalt“ wandte Bo ein. „Willst du, dass wieder die Hälfte deiner Gefolgsleute erfrieren? Du kannst das nicht schaffen. Little Woolf hat das verstanden, komm mit uns nach Fort Robinson.“ „Du?“, fragte er verächtlich und starrte ihn an. „Was weißt du von Heimweh, wo du doch überall hingehen kannst?“
Bo hielt seinem Blick stand. „Ich weiß, was es heißt, wenn man Frauen und Kinder nicht wärmen kann und sie neben einem Erfrieren. Vieles kann ich ertragen, nur das nicht mehr.“
„In Fort Robinson schickt man uns doch bloß zurück. Wir wollen nicht zurück, auch Little Woolf nicht. Wenn es sein muss, werden wir erfrieren. Heimweh ist schlimmer als der Tod. Wenn du glaubst, du kannst das beurteilen, dann halte mich auf. Sonst schweige. Hilf Little Woolf in Fort Robinson. Wir setzen unseren Weg nach Hause fort.“ Bo schwieg und Tharo auch.
Am nächsten Morgen brachen sie nach Fort Robinson auf. Der Winter hatte früh eingesetzt. Es war erst Ende Oktober, aber es schneite und die Männer froren, wenn sie nachts ihr Lager aufschlugen. Sie hatten kein Zelt dabei und suchten unter den Bäumen Schutz. Dort schliefen sie aneinandergedrängt und erhielten durch ein kleines Feuer zumindest etwas Wärme. Tharo war überaus schweigsam, wirkte beinahe lethargisch und Bo hatte große Schwierigkeiten, ihn dazu zu bewegen, ihren Weg fortzusetzen.
„Hilf mir“ bat er besorgt, „wenn du hier sitzen bleibst, kommen wir niemals an.“ „Ich brauche nicht mehr ankommen“, entgegnete Tharo resigniert. „Wir sind zu spät.“ „Wir können nicht zu spät sein“, widersprach Bo. „Sie haben sich ergeben, was sollte ihnen dann passieren?“
„Lasitha ist tot“ erklärte Tharo kaum hörbar „und unsere Kinder auch. Ich kann es fühlen.“ Bo sah zu ihm. „Wir müssen weiter“, mahnte er und lud weiter ihr Gepäck auf sein Pferd. Tharo folgte ihm und am folgenden Tag erreichten sie Fort Robinson.
Der Oberbefehlshaber betrachtete die beiden Indianer skeptisch, als man sie zu ihm führte. „Bo und Tharo Stanford“, wiederholte er ihre Namen. „Ich habe von Ihnen gehört.“ „Wir möchten zu Little Woolf und seinem Volk“, erklärte Bo ruhig. „Wir möchten gerne wissen, wo er ist.“
„Setzen Sie sich“, bat der Soldat und bot ihnen Kaffee an. Tharo lehnte das ab und sie blieben stehen.
„Warum haben Sie sie umgebracht?“, fragte Tharo auffordernd. „Sie wollten nicht ins Reservat zurückgehen“, antwortete der Oberst ihm. „Sie sind geflohen und wir haben sie gestellt.“ „Sie haben sie umgebracht“, wiederholte Tharo und sah ihm in die Augen.
„Ja“, bestätigte der Oberbefehlshaber. „Einige. Die Überlebenden von Little Woolfes Volk werden drei Tagesreisen von hier bewacht.“
Bo sackten die Beine weg und er setzte sich nun doch. „Warum?“, fragte er fassungslos. „Sie haben sich doch gestellt. Warum sind sie ausgebrochen?“ Der Oberst deutete einem anderen Soldaten an, den beiden Kaffee einzuschenken, und setzte sich ebenfalls.
„Wir wollten, dass sie ins Reservat zurückgehen und haben ihnen hier unsere Hilfe verwehrt“, berichtete er ruhig. „Wir wollten ihren Willen brechen.“ Er machte eine Pause und sah zu Bo. „Trinken Sie etwas! Sie sind doch vollkommen durchgefroren. Es macht es nicht besser, wenn Sie auch noch sterben.“
Tharo sah zu seinem Vater, der sämtliche Farbe aus dem Gesicht verloren hatte und vor Kälte und Entsetzen zitterte. Tharo setzte sich nun auch und nickte ihm bestätigend zu. Bo trank einen Schluck und stellte die Tasse wieder zurück.
„Lassen Sie sich von unserem Arzt etwas geben“ fuhr der Oberst fort. „Besser noch, Ihr Sohn geht alleine und Sie erholen sich. Sie haben Fieber und sind krank.“ „Es liegt nicht am Wetter“ widersprach Bo. „Eure Gnadenlosigkeit und Brutalität macht mich krank. Wie wollten Sie sie denn dazu bewegen, dass sie zurückgehen?“ Der Oberst schwieg und Bo fuhr fort. „Sicher haben Sie ihnen keinen Kaffee angeboten. Haben Sie ihnen überhaupt irgendetwas gegeben?“
„Nein, sie sollten zurückgehen. Wir verhandeln nicht. Auch jetzt nicht.“ Er sah zu Tharo. „Sagen Sie ihnen das, wenn sie Little Woolf aufsuchen. Sie müssen nach Oklahoma zurück oder alle sterben hier.“ „Dann sterben wir hier“, entschied Bo und stand wieder auf. Er wandte sich an Tharo. „Lass uns gehen.“
Tharo sah zu seinem Vater. Der Schweiß lief ihm über sein immer noch hageres Gesicht. Seine Augen waren glasig und er bemühte sich inständig um Haltung, was ihm sichtbar schwerfiel. Er hatte Fieber und würde den Weg nicht überstehen und selbst wenn, würde ihn das, was sie dort erwarten würde, umbringen. Tharo hasste den Oberst, von dem er wusste, dass er seine Familie getötet hatte. Fort Robinson war der letzte Platz auf dieser Erde, an dem er bleiben wollte und doch war es der einzige Ort, an dem es für Bo noch eine Hoffnung auf Heilung gab.
„Wir nehmen Ihr Angebot an“, erklärte Tharo nachdenklich. „Ich würde gerne bei meinem Vater bleiben, bis es ihm wieder besser geht.“ Der Oberst nickte ihm zu und wies einem Soldaten an, ihnen ein Quartier zu geben. „Und bringen Sie den Mann zum Arzt“, fügte er hinzu. „Behandeln Sie die beiden gut. Geben Sie ihnen, was sie brauchen.“
Der Arzt untersuchte Bo. „Sie haben eine Lungenentzündung“ meinte er. „Das weiß ich“, entgegnete Bo. „Ich werde es überstehen.“ Der Arzt sah zu Tharo. „Es wird eine Weile dauern, versuchen Sie, ihn zu beruhigen. Er braucht viel Schlaf und etwas anständiges zu essen. Vielleicht hilft dieser Tee, damit er es wirklich schafft.“ Er reichte Tharo einen Beutel. „Der senkt das Fieber und beschleunigt die Genesung.“ Er blickte wieder zu Bo. „Sie wissen ja, wie man ihn anwendet, oder? Sie sind doch der Arzt Bo Stanford und das ist ihre alternative Medizin, nicht wahr?“ Bo sagte nichts, stand auf und verließ das Zimmer.
„Warten Sie“, bat der Arzt, als Tharo ihm folgen wollte. „Ich weiß, wie schlecht es Ihnen beiden geht. Sie dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. General Sherman ist auf dem Weg hierher. Es ist gut, wenn Sie bleiben. Reden Sie mit ihm. Unser Oberst ist sehr hart und hat nur Respekt vor Ihnen, weil er um Ihre, ich nenne es mal Freundschaft, zu Sherman weiß.“
Tharo sah ihm in die Augen. „Was glauben Sie kann uns noch trösten? Ihr Oberst hat unsere Familie umgebracht. Dies ist nicht der Ort, an dem wir gerne bleiben wollen, aber um weiterzugehen hat mein Vater keine Kraft. Wir haben so oft mit Sherman gesprochen, aber das Morden hört nicht auf. Worauf sollen wir hoffen? Wenn Sie eine Arznei für Hoffnung haben, kaufe ich Ihnen diese gerne ab.“ Dann folgte er seinem Vater in das Zimmer, was ihnen zur Verfügung gestellt wurde. Bo hatte sich aufs Bett gelegt und die Decke über sich gezogen. „Wir gehen morgen“, sagte er, als Tharo eintrat. „Hier halte ich es nicht aus.“
Am nächsten Tag war Bo jedoch kaum noch ansprechbar. Er hustete und fieberte, redete von Dingen, die Tharo nicht verstand. Der Arzt gab ihm etwas gegen Fieber und Tharo flößte ihm den Tee ein, wischte ihm den Schweiß ab und deckte ihn wieder zu.
„Wir müssen los“, beharrte Bo immer wieder, wenn
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Petra Peuleke
Bildmaterialien: Cover von frenta/bigstockphoto.com
Tag der Veröffentlichung: 04.04.2018
ISBN: 978-3-7438-6434-4
Alle Rechte vorbehalten
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Anmerkung zum Roman:
"Sand in ihren Händen"
Die Geschichte ist frei erfunden, hält sich aber an die historischen Ereignisse. Personen, die zu jener Zeit bedeutend waren und im Buch namentlich erwähnt werden, werden ausschließlich positiv dargestellt.