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Vorwort:

Es scheint so, als wäre ein Einbrecher da gewesen. Ich weiß nicht, wann genau er da war, aber irgendwann muss es gewesen sein, denn als ich wieder zu mir kam, war das Chaos da. Alles lag herum � in einer Ecke lag das Lachen, in der anderen das Glück. Irgendwer hatte sämtliche Schubladen durchwühlt und den Inhalt achtlos heraus geworfen.
Die Schuld lag mir zu Füßen, die Angst direkt daneben. Dahinter die Wut, dann die Trauer und ganz hinten, zusammengekauert, der Schmerz.
Irgendwann standen alle Gefühle wieder auf und taumelten umher. Keiner wusste mehr so recht wohin er gehörte. Alle waren völlig verwirrt.
Das Glück lachte über den Schmerz, dieser wiederum spürte sich nicht mehr und das erzürnte die bislang noch schweigende Wut. Die Trauer gab der Angst die Schuld, weil sie nicht weggelaufen war. Denn Flucht war doch ihre wichtigste und lebensrettende Aufgabe.
Das verunsicherte die Angst wiederum so sehr, dass sie von nun an beständig da war. Nichts durfte ihr jetzt mehr entgehen � und so wurde sie zu meiner treusten Begleiterin.
Aber was hatte der Einbrecher gestohlen, was hatte er gesucht? Lange Zeit wusste ich es nicht. Dann wurde es mir klar. Der Einbrecher hatte die Liebe geraubt � in der Zeit, die mir nun fehlt.


Unruhe�lange meine Feindin,
besucht mich oft
mit langen, weiten Röcken,
unter denen ihre Kinder sich verstecken.
Sie kriechen hervor,
wenn ich den Rücken gewandt hab,
und versuchen mich zu holen.

Der Älteste, Angst,
ist stark und grausam.
Er springt auf meinen Rücken,
die Arme um meine Kehle,
schreit furchtbare Dinge in mein Ohr
und auf schnellen Füßen spring ich
aus dem Fenster,
schreiend die Straße hinunter
in das Dunkel der Nacht hinein�
Und erst viel später kehre ich zurück,
weinend, allein.

Und willst Du mir helfen
wenn Angst mich im Griff hat:
Beweg Dich sanft als gingest Du
auf einen Schmetterling zu.
Mit warmen, ruhigen Augen,
bewahr Dein Gleichgewicht,
bleib raus aus meiner Panik,
und falls wir irgendwann
diesen sicheren Ort erreichen �
halt mich bloß fest.


(Ellen Bass - Laura Davis - Trotz allem, Orlanda Frauenverlag)


Einleitung:

Ich sitze im Bad auf dem Deckel meiner Toilette und starre ins Leere.
Eben war ich noch so wütend und enttäuscht. Jetzt sitze ich hier und merke, wie ich seelisch und emotional sterbe. Nichts ist mehr da, was mir helfen könnte!
Fast nichts �
Mein Blick fällt auf den Badezimmerschrank. Ich weiß, da sind sie drin ‑ meine Freunde. Extrem angespannt und mir in dieser Welt selbst fremd, stehe ich auf und öffne das Schränkchen.
Sie lachen mich an und ich packe eine der Rasierklingen aus ihrem dünnen Papier.
Dann ziehe ich mich aus, setze mich in meine Dusche und lasse das warme Wasser laufen. Die Welt um mich herum wird immer verschwommener und irrealer. Gebannt schaue ich die blinkende Klinge an. Wie unter Zwang setze ich die scharfe Spitze auf meine Haut, lasse sie hineingleiten und ritze mir eine Wunde in das Fleisch. Es kommt Blut. Zwar spüre ich eine leichte Befriedigung, bin aber noch immer fern � weit weg in meiner eigenen Welt, die mich zu verschlingen droht. Ich schneide weiter � ich muss weiter schneiden, um zu überleben.
Die Schnitte werden tiefer und länger. Das Becken meiner Dusche färbt sich tiefrot. Regungslos sitze ich dort und schaue es voller Faszination an. Leben strömt wieder in meinen Körper und schwemmt die seelische Pein mit dem Blut hinaus.
Die Schmerzen holen mich zurück und ich empfinde schon bald eine tiefe Erleichterung. Ich spüre mich wieder und fühle Freude. Ja, jetzt wird alles gut.
Während ich aufstehe und mich abdusche, fließt das Blut weiter in Strömen aus den klaffenden Wunden. Nun setzt mein Verstand endlich ein.
Ich blute wie ein Schwein. Mit einem Handtuch trockne ich mich ab, schnell ist es rot gefärbt und ich schnappe mir das Nächste.

Schnell mache ich mir einen Druckverband. Innerhalb weniger Minuten ist er durchnässt.
»Ich muss ins Krankenhaus«, rast es durch meinen Kopf, während ich mich erneut verbinde.
Nach langem Hin und Her siegt mein Verstand.
Schließlich humple ich zu meinem Auto, setze mich hinein und fahre in die nächste Stadt.
Ins ortsansässige Krankenhaus kann ich nicht, dort kennen mich alle. Während der Autofahrt spüre ich, wie mir das Blut in die Schuhe läuft. Nach 20 Minuten sitze ich in der Notaufnahme.
�Was ist passiert?�, möchte der Pfleger wissen.
�Ich habe mich selbst verletzt�, sage ich.
�Wobei?�, fragt er.
�Sie verstehen mich nicht!�, antworte ich. �Ich habe mich selbst verletzt.�
Der Pfleger schaut mich verständnislos an, während der herbeikommende Arzt die Lage direkt durchschaut.
�Mein Gott, da haben wir ja was zu tun�, äußert dieser.
�Ärgern Sie sich nicht, dass Sie dafür noch 10 � bezahlen müssen?�
Ich schweige.
�Haben Sie vor, das heute noch einmal zu machen?� Sein lächerlicher Versuch psychologisch auf mich einzugehen, geht ins Leere.
»Jetzt ja!«, denke ich.
�Nein�, antworte ich.
»Warum kann er mich nicht leiden?«
Meine Seele beginnt von neuem zu schmerzen und ich schäme mich in Grund und Boden.
�Haben Sie eine Borderline Störung?�, fragt der Arzt.
Ich zucke mit den Schultern und schaue weg.
�Aha, ich verstehe�, sagt er. �Wie bekommt man das eigentlich? Wird das vererbt?�
»Du Schwachkopf«, denke ich.
Mein Blick fällt auf seine Finger, die meine Wunden ungeschützt mit Desinfektionsmittel abtupfen.
�Nein, es ist ansteckend!�, zische ich bitterböse.
Im ersten Moment sieht er mich verdutzt an, dann verfinstert sich seine bislang ausdruckslose Miene. Säuerlich spritzt er mir wie ein Rächer unsanft das Lokalanästhetikum und kontert: �Beißen Sie die Zähne zusammen! Aber ich denke, Sie sind das ja gewohnt ‑ wenn ich Ihre Beine sehe!�
Jetzt muss ich weinen, gleichzeitig näht der Chirurg meine Schnittverletzungen.
Meine Tränen fließen unaufhörlich weiter.
�Sind Sie in therapeutischer Behandlung?�, erkundigt sich der Arzt schließlich.
�Ja.�
Plötzlich kommt eine Krankenschwester herein und lächelt mich mitfühlend an. Aber für mich ist jedes Mitgefühl zu spät. Ich fühle mich schändlich, wie der letzte Dreck, und schäme mich unendlich. Neuer Druck baut sich auf, aber das Weinen erleichtert mich ein wenig. Außer meinem Schluchzen herrscht Totenstille. Ich höre nur, wie der Arzt die Fäden durch meine Haut zieht.
Als er mit seiner Arbeit fertig ist und den Verband anlegt, sagt er: �Es ist sicher besser, wenn Sie ein Psychiater sieht. Ich werde Sie vorerst einweisen.�
Nun bekomme ich Panik und bitte ihn auf die Toilette gehen zu dürfen.
Vorher zahle ich noch die 10 Euro.
Unauffällig nehme ich meine Tasche, verlasse den Behandlungsraum und renne � renne um mein Leben, raus aus dem Krankenhaus, weg von einer Zwangseinweisung. Ich will nur noch nach Hause!
Eilig steige ich in mein Auto und brause verzweifelt in die Nacht. Das war knapp!
»Ob sie mich suchen werden? Ach was �«
Zuhause angekommen, schlucke ich eine Beruhigungstablette Diazepam, falle ins Bett und bald darauf in einen traumlosen Schlaf.
Als ich am nächsten Morgen vom Wecker aufschrecke, bin ich wieder völlig klar. Meine Schnittverletzungen schmerzen höllisch. Ich bin gezeichnet und voller Hämatome.
Ausgelaugt schleppe ich mich ins Bad, ziehe mich an und gehe nur wenig später in aufrechter Haltung zur Arbeit.
Ein neuer Tag hat begonnen und niemand wird etwas bemerken.

Impressum

Texte: Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar! Donny Stieven Verlag
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2008

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Widmung:
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