Armut und Reichtum - alte Freunde, die sich aus ihrer Kindheit kennen - treffen sich nach sehr langer Zeit am Ort, mit dem Namen „Gedanken“, wieder. Beide sind mittlerweile sehr ausgereift und unterscheiden sich sehr.
Armut
, beeindruckt von Reichtums positiver Ausstrahlung.
Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen! Wie geht es dir denn alter Freund? Er versucht seine Eifersucht zu verbergen.
Reichtum.
Ach, ich kann nicht klagen ... Immerhin werde ich von vielen Menschen umworben, ich werde gebraucht! Er wirkt sehr gelassenen und fängt an sich über Armut lustig zu machen.
Wie sieht es eigentlich bei dir aus? Habe gehört, dass viele Menschen mit dir recht unzufrieden sind, stimmt das?
Armut
weiß nicht recht, was er sagen soll.
Naja ... ehm... hast du? Ja, ab und zu gibt es einige Ausreißer. Die gibt es überall!
Reichtum.
Einige? Dass ich nicht lache! Bei mir bewerben sich ständig Menschen, die mit dir nicht klarkommen ... Für mich sind aber viele von ihnen leider untauglich. Eigentlich haben sie ja gar keine andere Wahl, als Sklaven deiner Herrschaft zu sein!
Armut.
Sklaven? Er bekommt schon eine leicht zittrigen Stimme.
Ach, jetzt halt dich doch mal zurück! So schlimm ist es bei mir nun auch wieder nicht! Vielleicht bekommt nicht jeder was er haben möchte, trotzdem ...
Reichtum.
Trotzdem was? Sind sie zufrieden? Reichtum wirkt schon fast arrogant mit seiner eingebildeten Art.
Ich bitte dich ... Bei mir bekommen sie einfach alles was sie brauchen und noch viel mehr! Zufriedenheit hat bei mir höchste Priorität! Neben dem Schrott, das du deinen Untertanen zur Verfügung stellst, sind meine Produkte von bester Qualität! Niemand beschwert sich bei mir, jeder ist glücklich! Glück und Qualität gehören schon zu meinen weiteren Namen!
Nach dieser Aussage, fängt Reichtum plötzlich an zu wachsen und Armut dagegen zu schrumpfen.
Armut
, schwer verunsichert durch Reichtums Aussage.
Was genau hast du denn noch, was ich nicht habe?
Reichtum.
Du verlangst doch nicht ernsthaft, dass ich dir jetzt alles aufzähle, oder? Das kann ja eine Ewigkeit dauern! Allein die Tatsache, dass man bei dir um Geld und Behausung kämpfen muss, zeigt, wie unglücklich du die Menschen doch machst! Für Menschen ist Geld das Wichtigste überhaupt. Ohne Geld hätten sie kein anständiges Leben. Geld und Leben finden sie bei mir mit Sicherheit, doch bei dir ... Wie kannst du da eigentlich noch mithalten?
Armut wird mit jeder weiteren Aussage, die gegen ihn gerichtet wird, kleiner und Reichtum wird dagegen immer größer.
Armut
, mittlerweile sehr besorgt um sich.
Aber ... Willst du damit sagen, dass man mich überhaupt nicht braucht, dass ich nutzlos bin?
Reichtum.
Ich sage es mal so: Ohne dich gebe es zufriedenere Menschen!
Und schließlich wird Armut so klein, dass er sich komplett auflöst. In seinem rechthaberischen Rausch erkennt Reichtum zunächst nicht, was er getan hat. Als er dann wieder bei Sinnen ist und ihm bewusst wird, seinen Freund verloren zu haben, fühlt er plötzlich ein leichtes Stechen in seinem Herzen. Das Gefühl, das plötzlich entsteht, ist eine Mischung aus Verrat und Einsamkeit, das ihn nicht mehr loslässt. Er versinkt eine Zeit lang in Gedanken.
Reichtum.
Warum habe ich plötzlich so ein ungutes Gefühl? Armut ist weg, ihn braucht ja niemand ... Man braucht nur mich, mich allein! Doch dieses Gefühl ... Habe ich etwas Unrechtes getan? Liege ich denn mit meiner Behauptung falsch?
Reichtum fängt an, über seine Kindheit nachzudenken. Es war eine schöne Zeit. Reichtum war für Armut immer da. Sie haben zusammen gelacht und alles geteilt: die Freude, das Geld, die Menschen. Unter seinem herzzerreißenden Gefühl mischt sich plötzlich auch die Trauer. Er kann sich vor lauter Trauer nicht mehr zurückhalten und bricht schließlich in Tränen aus. Sein Weinen dauert sehr lang und mit jeder einzelnen Träne schrumpft er, bis er seine ursprüngliche Größe annimmt. Durch die tiefe Trauer um seinen Freund erkennt er nicht, dass Armut mittlerweile wieder vor ihm steht.
Armut
sieht Reichtum an, erstaunt und fragend zugleich.
Warum weinst du?
Reichtum
kann sich vor lauter Freude nicht mehr im Zaum halten und springt auf.
Armut? Du lebst? Aber wie ... warum warst du von mir gegangen? Er wirkt, als ob er noch nach passenden Worten suchen würde.
Armut.
Du hast gemeint, dass mich niemand braucht und dann ...
Reichtum.
Ach was! Vergiss doch einfach was ich gesagt habe, ja? Jeder erfüllt einen bestimmten Zweck, auch du!
Armut.
Aha ja? Er kann Reichtums Aussage nicht wirklich nachvollziehen.
Und der wäre?
Reichtum
grinst wie ein kleines Kind und blickt Armut tief in die Augen.
Um mich zu erinnern, dass es außer uns noch etwas viel Wichtigeres im Leben gibt!
Armut versteht sofort, was er damit meint. Schließlich umarmen sie sich. Die Umarmung dauert recht lange und wirkte sehr brüderlich. So fest und warmherzig wie sie war, kann man behaupten, sie seien aus dem gleichen Holz geschnitzt ...
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Tag der Veröffentlichung: 21.05.2012
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