Cover

Vorwort

 

Wenn die Welt eines nicht braucht, dann a) einen weiteren Schreibratgeber und b) einen Schreibratgeber von einem Grünschnabel-Schmuddler wie mich. (Diese Artenbezeichnung sollte ich vielleicht eintragen lassen).

Damit wäre eigentlich alles gesagt und ich kann mich ums Impressum kümmern.

 

Grüße Kooky

 

Richtiges Vorwort

 

Ich habe dem Vorwort nichts hinzuzufügen.

 

Außer:

 

Ich mache Erkenntnisse, die ich mitteilen möchte.

Ich lese oft Dinge bei anderen Autoren, die mir Magenbluten bescheren.

Ich muss mich von den Mühen des Schreibprozesses und dessen Stadien erholen und tu das, indem ich Dinge aufzeichne, die mich quälen, die ich erkannt habe, die mir auf der Zunge liegen.

Ich klugescheisse manchmal gerne.

 

Das Buch ist – wie das Leben und das Schreiben – ein laufender Prozess und wird daher ständig anlassbezogen ergänzt und verändert. Zudem ist es subjektiv und dient mir mitunter auch als Nachschlagewerk. Ich stelle gelegentlich fest, dass ich manche Fragen immer wieder stelle – immer wieder nach der korrekten Schreibweise fahnde. Auch diese Dinge werde ich hier zusammentragen.

 

Vielleicht ist das Buch vielmehr als Blog zu verstehen. Gewiss aber nicht als Roman.

Der große Blonde auf dem falschen Fuß

 

Ich bin der Protagonist, den mein Liebster berührt, und der dennoch nichts weiter ist, als »der Blonde«, »der Größere«, »der Jüngere«.

 

Ich bin der Protagonist, der in der Ich-Perspektive in einen Spiegel sehen muss, um nach dreißig Lenzen festzustellen, dass er haselnussbraune Augen hat und rotblondes Haar.

 

Ich bin der Protagonist, dessen Mutter nach siebzehn Jahren feststellt, dass er platinblond ist, wasserblaue Augen hat und einen definierten Körper.

 

Fortgeschrittene Stunde. Der Tisch wird von leeren Bierdosen gesäumt. Jemand kommt auf die Idee, seinen Reisepass oder Führerschein zu zücken. Gelächter. »Mensch, dich erkennt man ja gar nicht.«

Ney.

Aber das ist doch eine sehr nüchterne Aufnahme! Noch dazu steht daneben, dass ich 1,87 Meter groß bin, schlank, blond und meine Augenfarbe ›bäsch‹ ist. Da ist ein Foto und die Typen am Amt haben mich abgemessen und mir tiefer in die Augen geschaut, als ich heute ins Glas.

Dafür hält meine Schwester eine Aufnahme in Händen, total unscharf, meine Augenfarbe ist wegen der beschissenen Party-Qualität nicht zu erkennen – rote Augen – und meine Haarfarbe schaut in dem Licht grün aus. Trotzdem sagen alle: Ey, das bist voll du! ›Du-er‹ kann ein Foto kaum sein. Nun, ich umklammere meinen 50 cm hohen Lederyoda mit Gandalf-Kutte, habe einen Wickingerhelm auf und eine Zigarre im Mund. Dazu grinse ich wie ein Depp und Torsten, mein Hasiputz, lutscht an meinem Ohr. Ich trage mein verwaschenes Metallica Shirt und meine Kinnmähne ist mal wieder auf acht Millimeter angewachsen.

 

Die Autorin der oberen Zeilen macht sich unbeliebt, denn sie ist gegenüber allen Texten ziemlich voreingenommen, in denen der Protagonist ein ›präzises‹ Äußeres bekommt.

 

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, welche Augenfarbe Brad Pitt als Jeffrey Goines in ›12 Monkeys‹ hat, aber eines weiß ich – er schaut echt irre aus. Der Blick flitzt herum, kann keine Sekunde stillstehen und das linke Auge wirkt verwaschen, lenkt nach außen. Ich sehe einen hyperaktiven Irren, der in seinem Wahn eine bestechende Systemkritik an den Tag legt und dabei ständig droht, völlig über den Rand zu kippen. Wie sein Filmvater Christopher Plummer später sagen wird: »Junge, ich wollte es nicht wahrhaben, aber du bist echt verrückt.«

 

Die Autorin der oberen Zeilen dachte einmal, dass es notwendig sei, das Äußere eines Protagonisten präzise zu beschreiben. Obwohl sie das von Natur aus niemals getan hätte, unterwarf sie sich dieser Anforderung und quetschte mal hier eine Augenfarbe und dort eine Haarfarbe hinein und erlag sogar der Todsünde der beliebten ›Holla, ich bin dreißig, woher kommt mein rotblondes Haar?‹ Spiegelbildneurose. Sie gab sich der bürokratischen 1,83 und 80 kg Beschreibung hin und erwog die haselnussbraune Iris nicht bloß.

Dieselbe Autorin erinnert sich an ein grundsätzlich ganz interessantes Buch, das sie auf BookRix gelesen hat, von dem sie aber nur ein einziges Element in Erinnerung behalten hat: Der Protagonist hatte langes, blondes Haar. Es war für die Geschichte völlig irrelevant, aber dem Autor gefiel dieses optische Gimmick und daher musste es bei jeder halbwegs intimen Szene – nun ja, ›in Szene‹ gesetzt werden.

Ich, die Autorin dieses Essays, hat nichts gegen blondes, langes Haar, aber an diesem Protagonisten hasste ich es. Es war so pervers dominant, und zwar völlig grundlos, dass ich ein Jahr später nur noch dieses hassenswerte Detail im Kopf habe, nicht aber, was den Protagonisten umgetrieben hat und ob er überhaupt glücklich werden durfte.

 

Meine ebenso bescheidene wie konkrete Ansicht ist: Das Aussehen darf nur eine Rolle spielen, wenn es … eine Rolle spielt. Wenn der Protagonist ein wildmähniger Rebell ist, der im Zuge der Geschichte als geschorener Soldat gebrochen wird, kann das Haar eine symbolische Bedeutung haben. Wenn der Protagonist, wie bei ›Schlafes Bruder‹ durch göttliche Schikane die Augenfarbe wechselt, dann hat sie eine Bedeutung. Wenn der Protagonist fett, eins vierundvierzig oder durchsichtig, und damit ein plotbestimmendes Problem hat, ja, dann darf das Aussehen eine Rolle spielen. Ansonsten reichen, so meine ich, vage Tendenzen oder ein Kreativitätsschubs beim Leser.

 

Statt: »Potzblitz, er erkennt in seinem Spiegelbild einen rund vierzig Jahre alten, einen Meter siebenundachtzig großen Mann mit Stoppelglatze und Dreitagebart!« (Eine Beschreibung die meiner Ansicht nach auf rund siebzig Prozent der männlichen Weltbevölkerung und hundert Prozent aller Actionhelden zutrifft.) – Wäre eine Aussage wie: »Sieht aus wie Jean Reno in ›Leon, der Profi‹ doch weit zielführender. Klar, der Leser muss den Film kennen und er muss in der Erinnerungskiste kramen, aber das Bild wird präziser. Denselben Protagonisten könnte man aber auch für Nichtkenner der (Must-have) Filmlandschaft beschreiben, ohne auf die Eckdaten aus Behördenformularen zurückzugreifen.

›Obgleich die Spuren eines vierzigjährigen kriminellen Lebens sein Gesicht prägen, hat er den melancholisch-naiven Blick eines zwölfjährigen Knaben, der in der Komik des Alltags die Tragik des Lebens zu erkennen vermag. Es ist die Abwesenheit von Intellektualität, die ihn prägt, kompensiert durch ein erfrischend reines Herz. Hinter dem eilig, staksenden Gang und der gebrochenen Haltung würde man kaum die Kraft vermuten, die …‹ … blabla …

 

Wenn ich einen Protagonisten plane, ist meine erste Frage nicht: »Welche Augenfarbe hast du, wie groß bist du und, hui, welch aschblondes Haar! – ist das gefärbt?«, sondern: »Warum guckst du so traurig/grinst du so blöd/bist du so überheblich/stehst du mit einer Latte vor mir?«

An erster Stelle steht das Gefühl. Ich will wissen, woher es kommt und wie der Protagonist sich eigentlich fühlen will. Die Geschichte befasst sich dann mit dem Weg von da nach dort. Welche Haar- oder Augenfarbe ein Protagonist hat, weiß ich nicht. Wie im Offline-Leben bemerke ich diese meistens nicht einmal. Was Leute umtreibt, ist IMMER interessanter – bei den Menschen, die ich treffe und bei denen, über die ich schreibe.

 

Um zu ›12 Monkeys‹ zurückzukommen: Jeffrey Goines ist nicht interessant, weil Brad Pitt ihn spielt, sondern weil er diese Figur ist. Er würde mit schwarzen Haaren und hundert Kilo genauso funktionieren. (Und – by the way – Mr. Seelisch Divergent – ich LIEBE ihn – er könnte ein Tribble sein, ich würde ihn lieben. Aber Tribbles liebe ich so oder so – ebenso Weevils – aber ich schweife ab …)

 

Dass Aussehen ist NUR für den Inhalt relevant. Anders, als bei Geschenken, soll es nicht verstecken oder überraschen, sondern Symbol für einen Charakter oder ein Klischee sein, sofern wir das benötigen. Ansonsten: Finger weg!

 

Und, bitte: NIE-MALS:

»der Blonde«, »der Größere« oder »der Jüngere«!

 

Jeder, der das schreibt, sollte ab nun dazu verdammt werden, selbst von seinem intimsten Umfeld genauso bezeichnet zu werden. Mal sehen, wie lustig es ist, wenn der eigene Mann denkt: »Ich küsse gerade die Schwarzhaarige«. Wenn der Kollege »der Blonden« einen Kaffee mitbringt, wenn der coole Nachbar »der Jüngeren« auf die Brosche glotzt.

 

Wir haben Namen und sind in der Regel empfindlich, wenn ihn vor allem Menschen die wir lieben und die uns gut kennen, nicht wissen. Leser bauen idealerweise zu den Protagonisten eine Beziehung auf – dem ist Respekt zu zollen. Weiters sind die meisten Romane in der personalen Ebene oder Ich-Form verfasst – das bedeutet, wir stecken mehr oder weniger im Kopf eines Protagonisten und sitzen nicht mit dem Feldstecher zweihundert Meter weit weg, sodass uns außer einem augenfälligen Merkmal, wie Größe, Alter oder die Farbe von irgendetwas, nichts bekannt ist. Vor allem in intimen Situationen dominieren Gefühle, die Beziehung und somatische Phänomene des Liebsten. Wenn uns da erst die Augen- oder Haarfarbe auffällt, dann ist er ein Fremder, kein Vertrauter.

 

PS 1: Weil es mir erst jüngst in die Augen sprang. In der Regel weiß ein Protagonist Mitte zwanzig, dass er lange schlanke Beine hat, (es sei denn natürlich, er bekam sie über Nacht durch so etwas wie eine ›Freaky Friday‹ Metamorphose). Ebenso wie Haar-, Augenfarbe … wird er es niemals erwähnen, außer, es besteht ein triftiger Grund dazu. Passt er mit den langen schlanken Beinen perfekt in den pinkfarbenen Lycra-Catsuit, ist das Okay. Aber er schlurft nicht eines Morgens mit langen schlanken Beinen durch den Flur.

Will der Autor dem Leser (wozu auch immer) unbedingt vermitteln, dass der Protagonist lange, schlanke Beine hat, dann soll er ihn in eine Situation locken, in der das von Bedeutung ist. (»Du hast Storchenbeine!« – »Gar nicht wahr! Du bist doch nur auf meine langen, schlanken Beine neidig!« oder: ›Ich zwängte mich durch das Trümmerfeld. Da machte es sich bezahlt, dass ich so lange, schlanke Beine habe und nicht solche Kartoffelstampfer wie Toni.‹)

 

»Er sagte«, sagte er.

 

Zugegeben, das ist eine eher neue Erkenntnis in meinem Schreibprozess, aber eine der umfassendsten. Genauer gesagt ist sie lebensverändernd. Es gibt ein Leben VOR der Erkenntnis und eines danach. In jenem danach ist es mir nahezu unmöglich, je wieder Geschichten zu lesen, die dieses ›Missgeschick‹ beinhalten, das zu erkennen ich in der Lage sein durfte.

Manches spürt man zwar, aber man ist dennoch blind für die Technik dahinter.

Aus dem Nähkästchen: Als ich »Zuviel« schrieb, hatte ich die ganze Zeit so ein vehement nagendes Gefühl, aber ich kam einfach nicht dahinter, woran das lag. Es gab viele positive, aber auch ein paar ›zurückhaltende‹ Kritiken, die genau dieses Gefühl bestärkten. Dennoch fand ich die Ursache nicht. Es war frustrierend.

Und dann … eines Tages … wie lautete nochmal dieser Songtext?

 

»Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert …?«

 

Tausendmal formuliert, tausendmal ist nichts passiert, doch dann hat es ›Wumm‹ gemacht … und ich erkannte.

 

Es war so einfach, dass ich heulen wollte, als ich es erfasste. Zehn Schreibratgeber (die nicht nur in meinem Bücherregal stehen, sondern die ich auch immer wieder lese) und ein gutes Dutzend Schriftsteller-Blogs, die ich regelmäßig inhalierte, konnten mir die Erkenntnis nicht so servieren, dass ich es kapierte – bis ich es kapierte.

Seitdem kann ich andere Herangehensweisen nicht mehr ertragen. Auch verhältnismäßig gute Texte muss ich in die Tiefen des Internets zurückverweisen. Ich habe es mit ihnen versucht, Q sei mein Zeuge. Aber es geht nicht mehr.

 

Das Geheimnis: Der Dialog.

 

»Ich habe es kapiert!«, sagte sie.

Na no na ned – wie der gelernte Österreicher sagen würde.

Genauer: »Na no na ned«, sagte der Österreicher.

Besser: »Na no na ned.« Der Österreicher prostete seinem Saufkumpan zu.

 

 

Das ist mies:

 

»Lass das!«, fauchte Ben.

»Du willst es doch auch«, säuselte Martin.

»Nimm deine verdammten Finger da weg!«, keifte Ben.

Marin sagte spöttisch: »Frigide Memme!«

 

Die Frage aller Fragen: Wozu wurden diese Dinger in die Schriftsprache eingeführt? »« beziehungsweise „“?

Ups? Brennen die Ohren? Ging mir auch so.

Aber … wenn wir mit dem hier »« oder dem hier „“ zeigen können, dass einer spricht, warum erklären wir es dem Leser noch einmal?

 

»Hallo Welt!«

 

Ich denke nicht, dass es hier eines ›Sagte er‹ bedarf – es sei denn, es muss um jeden Preis auf ›ihn‹ (den göttlichen Novizen der Programmierer) hingewiesen werden, und selbst dann … geht das besser.

 

Er kletterte aus der Raumkapsel und atmete tief ein. »Hallo Welt!«

»Hallo Welt!« Sein Hals kratzte von der verpesteten Luft auf der Erdoberfläche.

Der Lycra-Catsuit klemmte seine Familienjuwelen ein. Sei’s drum. Er winkte wie eine Queen – ach, er war die Queen in diesem Etablissement. »Hallo Welt!«

»Hallo Welt!« Er nahm die Brille ab und lehnte sich zufrieden zurück – C++ war kein Rätsel mehr.

 

Wie wir sehen: Wir müssen nicht: ›sagte‹ oder ›hauchte‹ oder ›erklärte‹ oder ›klugscheisste‹ schreiben. Die Anführungszeichen sind des Autors Assistenten. Wir kümmern uns lieber um die Rahmenhandlung, als zu erklären, was Gänsefüßchen bedeuten. Unsere Leser kennen sie bereits.

 

Seit über einem Jahr schreibe ich (nach vielen Jahren) so aktiv, wie kaum zuvor. In diesen zwölf Monaten habe ich weit über eine Million – fast zwei Millionen – Wörter geschrieben. Ich habe dabei eine Menge gelernt. Viele Fehler in früheren Werken bereue ich, akzeptiere sie aber als Lehrgeld, das jeder Autor hinblättert (dessen bin ich überzeugt.) Aber das hier ist eine Erkenntnis, die sich mir so eingebrannt hat, dass ich meine alten Werke am liebsten auf der Stelle überarbeiten möchten würde, hätte ich Zeit dazu.

Seitdem bin ich auch als Leser geschädigt und vermag derartige Pleonasmen kaum mehr hinzunehmen. Erschütternd für mich, war auch zu erkennen, wie viele Bücher ich gelesen habe, in denen diese Handhabung in Dialogen gang und gäbe ist, die ich jedoch nie bemerkt habe. Erschütternd, dass ich seitdem rund fünfundneunzig Prozent der »Herzblutprojekte« auf BookRix oder auf anderen Plattformen nicht mehr lesen kann, und auch meine eigenen älteren Sachen kaum ertrage.

Ob eine Toleranz erblüht, die es mit irgendwann dennoch gestattet? Ich hoffe es für die vielen guten Inhalte.

Wenn ich solche Entdeckungen mache, würde ich gerne von Autor zu Autor rennen, vor allem zu jenen, die gut schreiben, denen aber noch an Technik mangelt (wie mir in so vielerlei Hinsicht immer noch), und würde sie einweihen.

»Mach es so – schau dir an, wie geil der Text wird. Probiere es bei einer x-beliebigen deiner Geschichten einfach mal aus!«

 

 

Nachtrag: Mittlerweile kann ich das wieder lesen. Wenn auch mit leichtem Seitenstechen.

Format Fuuuu!

 

Einst hob ich mit anderen Autoren die »Homo Schmuddel Nudeln« aus der Wiege. Aus gesundheitlichen wie persönlichen Gründen bin ich aus dem Projekt ausgestiegen. Davon blieben mir aber ein paar Erinnerungsstücke – die mir selbst als Autor auch Meilensteine beschert haben.

 

Wenn die Texte von rund dreißig Autoren aufeinandertreffen, hat man es auch mit einer Menge kreativer Formatierungen zu tun. Einerseits ist da das Ringen mit Dateiformaten und dem BookRix-Editor – andererseits Vorlieben von Autoren und – am Häufigsten – Unwissenheit oder Schluderigkeit. (Als ehemalige Druckvorstufentechnikerin bin ich vermutlich dezent empfindlicher, was Formatierungen betrifft, als der Durchschnitt.)

 

Plötzlich hatte ich drei Punkte, Auslassungspunkte, Bindestriche und Gedankenstriche, Apostrophen oder Anführungszeichen, Hervorhebungen, Absätze und Zeilenumbrüche … in mannigfaltiger Herangehensweise vor mir, und den professionellen Anspruch, mich innerhalb eines Buches auf ein Format zu einigen – idealerweise das richtige. Achje!

Ich war oft stunden- bis tagelang nur damit beschäftigt, mich um die Formatierungen zu kümmern und selbst das Ergebnis danach war … eher mau, was auch am Editor und dem mangelhaften Suchen/Ersetzen Zauber des Browsers lag. Mit Krücken den Arlberg zu erklimmen, konnte kaum mühsamer und unsinniger sein. Irgendwann machte ich mir die Arbeit, die Texte in ein einziges Dokument zu kopieren, damit die Überarbeitung zügiger vonstattenging. Ich verbrachte Stunden damit, das Internet nach »Suchen/Ersetzen« Funktionen zu durchforsten und überhaupt einmal zu eruieren, was denn überhaupt Stand der Dinge ist.

 

Da gibt es ›Regeln und Gesetze‹ und Vorlieben von Autoren – mitunter von Lektoren irgendwelcher Verlage geprägt (und die müssen keineswegs ›State of the Art‹ sein.)

 

Ich habe insgesamt vermutlich zwei Wochen meines Lebens nur in Recherche zu Satzzeichen investiert – und das Ergebnis gibt es jetzt exklusiv hier:

 

Auslassungspunkte:

 

1. Es sind IMMER nur DREI!

2. Diese werden wie ein Wort gehandhabt … also mit Leerzeichen davor und danach.

3. Außer sie unterbre… ein Wort, dann sind sie direkt an den letzten Buchstaben geschlossen.

Wir wollen niemals das hier sehen: Ich bin ..

. mies.

Sondern: Ich bin … mies. Oder: Ich bin

… mies.

Wir wollen also NIEMALS und zwar NIE, NIE, NIE, dass die drei Punkte jemals auseinandergerissen werden. Dafür gibt es Ligaturen.

 

Es sieht auch professioneller aus:

 

Das sind nur ... drei Punkte.

Aber das sind … Auslassungszeichen.

 

Jedes Schreibprogramm hat seine eigenen Makros, diese zu setzen. (Mitunter werden sie im Schreibfluss automatisch umgerechnet, wenn davor und danach Leerzeichen erfolgen.)

 

Allgemein (Windows): Alt + 0133 = … (statt ...)

 

 

Geschütztes Leerzeichen:

 

WTF?

Was ist das? Relativ einfach erklärt: Nimm einmal an, am Ende deines Satzes stehen drei Punkte, aber sie rutschen in die nächste Zeile, wie hier

Das sähe doch echt beschissen aus.

Viel schöner wäre, wenn sie am Ende des Satzes stünden …

Wenn der Zeilenumbruch es verlangt, dann sieht das professioneller

aus …

Da Texte neuerdings eher selten gedruckt werden, und in Reader oder Programme hineinfließen – man als Autor also keinen Einfluss mehr darauf hat, ob Auslassungspunkte auf irgendeinem Lesegerät in die nächste Zeile hopsen – sind geschützte Leerzeichen obligat. Sie verbinden zwei Worte, oder Worte und Satzzeichen. Man stelle sie sich wie ein Magnet vor, der so stark ist, dass er ein Wort lieber mit in die nächste Zeile reißt, als alleine in der Einöde herumzuhocken.

 

Auch hier haben Schreibprogramme eigenen Makros. (Oft: Strg + Shift + Leertaste)

 

Allgemein (Windows): Alt + 0160 oder Alt + 255

 

Wichtig: Das geschützte Leerzeichen zu Auslassungspunkten sollte man nicht prinzipiell anwenden, sondern nur am Anfang und am Ende von Sätzen. Warum? Taucht mitten im Satz ein geschütztes Leerzeichen auf, bindet es Wörter oder Satzzeichen auf eine mitunter unschöne und den Inhalt zerstörende Weise. Vor allem bei Blocksatz. Die Abstände durch das geschützte Leerzeichen bleiben eng, die des restlichen Satzes klaffen.

Das      sieht      dann      etwa … so      aus      und      das ist hässlich und kann sogar den Inhalt des Satzes verbrämen.

 

Bindestriche und Gedankenstriche:

 

Konkret geht es darum:

-

Wann kommt was?

»Pause-Taste.«

»Alter – irgendwie muss ich den Gedankenstich unterbringen.«

Also: zwischen zusammengehörenden Worten: Bindestrich: -

Wenn ein Gedanke etwas ruckelt, dann: –

 

Gedankenstriche werden wie Worte eingesetzt: Also mit Leerzeichen davor und danach.

 

Auch hier haben die verschiedenen Textverarbeitungsprogramme ihre eigenen Makros. (Zum Beispiel: -- wird im Schreibfluss zu –)

 

Allgemein (Windows): Alt + 0150 = – (statt -)

 

Und nun zur Frage aller Fragen. Was, wie, wo, wann?

 

»Bernd tobte«, sagte er.

Er sagte: »Bernd tobte.«

 

»Bernd tobt!«, rief er.

Er rief: »Bernd tobt!«

 

»Tobt Bernd?«, fragte er.

Er fragte: »Tobt Bernd?«

 

»Das kann nicht …«, sagte er.

»Das kann n…«, sagte er.

 

»Das kann doch nicht …!«, rief er.

»Das kann doch n…!«, rief er.

 

»Kann das nicht …?«, fragte er.

»Kann das n…?«, fragte er.

 

Das kann doch nicht dein Ernst sein … (Geschütztes Leerzeichen)

»Das kann doch nicht …!« (Geschütztes Leerzeichen)

»… kann doch nicht dein Ernst sein!« (Geschütztes Leerzeichen)

Das kann … nicht dein Ernst sein. (KEIN geschütztes Leerzeichen)

Das kann do… nicht dein Ernst sein. (KEIN geschütztes Leerzeichen)

 

Das kann...doch nicht dein…Ernst sein. (Beides falsch)

 

Und es sind:

DREI Punkte!

NICHT vier.

NICHT fünf.

NICHT achtundzwanzig.

NUR drei. Ich … bin. Ich b…

Satzzeichen direkt hintendran (Punkt entfällt): Ich bin …! Ich b…?

 

Er drückte die Pause-Taste. (Bindestrich)

Das kann doch nicht – doch, es war sein Ernst. (Gedankenstich)

Das kann doch nicht-doch, es war sein–Ernst. (Beides falsch)

 

Und dann noch ein Anliegen, das hier sehr seltsam scheint, aber ich bekomme dennoch rund einmal täglich deswegen einen Koller:

 

Text, Satzzeichen, danach Leerzeichen.

FALSCH: Satzzeichen . Leerzeichen .

FALSCH: Satzzeichen .Leezeichen

FALSCH: Satzzeichen.Leerzeichen

 

RICHTIG: Satzzeichen. Leerzeichen.

 

Exakt so passiert das auch mit: Beistrichen, Rufzeichen, Fragezeichen, Semikolon …

 

FALSCH: Satzzeichen ? Leerzeichen !

FALSCH: Satzzeichen !Leerzeichen

FALSCH: Satzzeichen;Leerzeichen

 

RICHTIG: Satzzeichen, Leerzeichen!

 

(Sorry für diese ausladende Erklärung im Deppenformat, aber es kommt mir leider wirklich täglich mindestens einmal unter – und verursacht bei mir Magenbluten. Und ja, wer recherchiert: Ich machte in früheren Werken selbst manche dieser Fehler und habe sie noch nicht überall ausgebessert.)

 

Zum Abschluss dieses Kapitels:

Die Arbeit mit dem Computer ist insofern toll, da man damit auch den fertigen Text binnen Minuten so formatieren kann, dass alles passt. Die funkelnde Suchen/Ersetzen Funktion ermöglicht, einen Text nach dem Schreibprozess auf die genannten Dinge zu überprüfen. Während des Schreibflusses denke ich auch nicht immer daran, die korrekten Zeichen oder geschützte Leerzeichen zu benutzen, sei es Faulheit, sei es, weil es den kreativen Prozess behindert. Aber allerspätestens, wenn das Buch in den Verkauf geht, sollten diese Formatierungen unbedingt gemacht werden, und wenn man ganz lieb zu den Lesern sein will, und verhindern möchte, dass Leute wegen solcher Mängel gleich nach der ersten Seite wieder abspringen, macht man sie immer.

Hol die Angelrute, wir fangen Leser!

 

 

Ein Autor, der mit seinen Werken in die Welt hinausgeht, macht aus seinem Namen eine Marke. Ob er will oder nicht. Sobald Leser seine Bücher auffinden können, wird er bewertet und kategorisiert. Dessen sollte sich jeder Autor bewusst sein. Bei jedem Text. Es gibt keine Schonfrist.

 

Unser aller Zeit ist knapp bemessen. Wir werden jeden Tag von Millionen Eindrücken bombardiert. Um zu überleben hat unser Gehirn die praktische Fähigkeit der selektiven Wahrnehmung entwickelt. Das Meiste, das uns begegnet, nehmen wir bewusst gar nicht wahr und das Wenige, das unsere Aufmerksamkeit weckt, wird binnen Sekunden in relevant und irrelevant eingeteilt.

Wenn wir auf andere Menschen treffen, geben wir ihnen gerade einmal sieben Sekunden Zeit, sich für uns als interessant herauszustellen, oder auch nicht. Medien erhalten nicht viel mehr Aufmerksamkeit. Die Verweildauer auf Internetseiten soll rund sechs Sekunden betragen. In dieser Zeit entscheidet der Leser, ob er wieder wegklickt oder bleibt und sich umschaut.

 

Dieses Wissen ist für uns Autoren, die wir unsere Bücher und damit auch uns selbst vermarkten wollen, verdammt nützlich. Innere Werte und »Beurteile ein Buch nicht nach dem Cover« Glaubenssätze sind zwar sehr moralisch und ethisch, aber unrealistisch. Selbst die eisernen Vertreter dieser Tiefgründigkeit beurteilen innerhalb von Sekunden, und urteilen ebenso schnell wieder ab. Sofern wir nicht auf einer einsamen Insel leben und dort nur ein einziges Buch oder einen einzelnen Einheimischen finden und keine Alternative haben, gibt es immer einen guten Grund, warum wir ausgerechnet dieses Buch in die Hand nehmen oder mit diesem Menschen in Kontakt treten, und da er innerhalb von Sekunden entschieden wurde, ist dieser oberflächlich.

 

Was bedeutet das nun für uns als Autoren?

Es ist völlig gleichgültig, ob wir nur husch, husch, ein Gratisbuch rauswerfen, das wir gerade auf die schnelle getippt haben, flink ein 08/15 Cover draufklatschen und den Text noch nicht korrigiert haben, oder ob wir uns monatelang liebevoll einer Geschichte zugewendet und mühsam ein ansprechendes Umschlagbild designt haben – wir erhalten nur Sekunden, um einen potentiellen Leser zu fangen oder für immer zu verlieren.

Aus diesem Grund ist es also nicht gleichgültig, wie wir mit unseren Geschichten in die Welt hinausgehen. Die meisten Leser kommen genau EIN Mal und das für rund SECHS Sekunden auf unser Buch oder unser Profil. In diesen Sekunden entscheiden sie, ob sie wiederkommen oder uns nicht wieder aufsuchen werden. Finden sie bei unserem Besuch ein lahmes Cover, einen mangelhaften Klappentext oder eine fehlerhaften Inhalt vor, werden sie vermutlich nicht wiederkommen, egal wie gut das Buch in einer Woche sein wird, oder in einem Monat.

 

Das muss uns bewusst sein. Wir haben nur sechs Sekunden, um zu überzeugen.

 

Als Autor kennen wir uns selbst und die Arbeit hinter unserem Werk. Wir verbringen Tage, Wochen, Monate, Jahre damit. Für uns hat eine banale Textdatei bereits Gewicht. Wir sollten aber immer wieder versuchen, einen naiven Blick auf unsere Sachen zu werfen. Idealerweise beobachten wir uns selbst dabei, wie wir auf andere Autoren reagieren. Warum klickten wir hin, warum bleiben wir, warum klickenwir gleich wieder weg, warum tun wir uns die Mühe an, ins Buch reinzulesen, und … warum lesen wir darin?

 

In der Regel sind das unbewusste Vorgänge, aber es lohnt sich, darauf zu achten.

 

Ich bin zwar Autorin, aber ich betrachte meine Sachen auch immer aus der Leserperspektive – so, wie ich auch die Seiten und Bücher anderer Autoren als Leser wahrnehme.

 

Im Folgenden gehe ich auf die einzelnen Punkte ein, wie ich persönlich als Leser funktioniere, und welche Schlussfolgerungen ich aus Autor daraus ziehe. Dabei bleibe ich inhaltlich auf der Plattform BookRix, wobei die meisten Erkenntnisse im Allgemeinen zutreffen.

 

Frage 1: Warum klicke ich auf das Profil eines Autors?

 

Antwort: Mich hat das Avatar oder der Texte in einem Forum auf den Autor aufmerksam gemacht. Dabei ist irrelevant, ob dies auf positive oder negative Art geschah.

 

Ergo: Um überhaupt jemanden dazu zu bringen, dein Profil anzuklicken, musst du außerhalb deines Profils aktiv sein.

Wähle ein Avatar, das ins Auge fällt. Ich klicke nie auf die 0815 Standardavatare, die BookRix selbst vergibt. Als Menschen reagieren wir stark auf Gesichter/Körper – stärker, als auf irgendetwas sonst, das ist so ein Urprogramm.

Wechsle das Avatar nicht zu oft. Du giltst sonst jedes Mal als »jemand anderer«. Um eine Marke zu präsentieren, ist Kontinuität wichtig. Mach aus deinen Avataren eine Marke, indem sie einem Stil/Genre treu bleiben. Selbst wenn du sie wechselst, sollte der Leser sofort erkennen, dass das nur du sein kannst, weil er deinen Stil erkennt.

Schreibe kluge, nützliche, interessante oder saublöde und nervige Texte. Sicher will jeder eher positiv auffallen, aber ich klicke auch oft auf User, weil ich mich frage, wie blöd man eigentlich sein muss. Wenn es nur um Aufmerksamkeit geht, darf das durch fast alles passieren. Nur solltest du dabei nicht vergessen, dass damit ein Ruf entsteht, und Ruf ist nicht abwaschbar.

Benutze einen Namen mit Wiedererkennungswert. Als Autor empfiehlt sich der Autorenname. Du willst doch bekannt werden und du willst idealerweise »Tags« im Internet generieren. Das heißt auch: Bleib deinem Namen im jeweiligen Genre treu (und verwende bei nicht verwandten Genres verschiedene Namen). Wenn ein Leser nach einem halben Jahr Abstinenz wieder auf die Plattform stößt, wäre doch schön, wenn er dich sofort wiedererkennt. Wenn du dich oft umbenennst, bleibst du ein »Noname«. Als Autor der verkaufen möchte, willst du das nicht.

 

Frage 2: Warum bleibst du länger als sechs Sekunden auf einem Profil?

 

Antwort: Weil mich daran etwas fesselt. Dabei muss es nicht schrill sein, auch minimalistische Profile können mich beeindrucken. Ich mag es, wenn Farben und Struktur aufeinander abgestimmt sind und das Profil durch Qualität besticht.

Idealerweise sagt der Header etwas über das Genre des Autors aus und ich erfahre binnen Sekunden, worum es sich bei seinen Texten handelt. Extra für das Profil erzeugte Bilder finde ich am Ansprechendsten und zeigen mir: Der Autor pflegt seinen Auftritt.

Ebenso wichtig sind für mich die Texte auf dem Profil, wie der Abschnitt »Über mich«, oder die gepinnten Beiträge. Dabei bevorzuge ich witzige und/oder informative Texte, die mir etwas über den Autor, seine Romane und seine Ziele/Präferenzen sagen.

 

Das mag ich nicht: Seiten, auf denen Bilder irgendwelcher Stars oder Serien zu sehen sind. Da bin ich in zwei Sekunden wieder weg. Ins Auge springend urheberrechtlich bedenkliches Material (also von der Google-Bildersuche zusammengeklaut) lassen mich auch schnell wieder das Weite suchen. Ebenso interessieren mich Privatfotos wie Haustiere oder Kinder, nicht – ich fühle mich unbehaglich, da ich nicht gerne in fremden Wohnzimmern stehe. Schnell suche ich auch bei verzerrten Bildern das Weite.

Mein visuelles Qualitätsempfinden mag da ausgeprägter sein, als bei anderen, aber ich denke mir, wer nicht darauf achtet/nicht sieht, ob ein Bild korrekt ist, hat keinen Qualitätsanspruch und das wird man auch in den Büchern merken. Grundsätzlich langweilt mich alles, was nicht auf den ersten Blick mit dem zu tun hat, worüber der Autor schreibt.

Nicht ausgefüllter oder nur magerer Text über sich selbst vermittelt mir ein subjektives Gefühl, nicht willkommen zu sein, oder einem unhöflichen Menschen gegenüberzustehen. Ich mache mir die Mühe, ihn aufzusuchen und er verweigert mir die Begrüßung.

Auch interessiert mich in Profiltexten nicht, was der Autor nicht mag, dass er ein langweiliges Leben und/oder Selbstwertprobleme hat, mich/sich als Versuchskaninchen betrachtet, oder – ganz schlimm – einfach nur »fishing for compliments« betreibt. Unterhält mich der Text »Über mich« oder/und die Beiträge, gehe ich davon aus, dass mich auch eines seiner Bücher unterhalten wird. Steht dort nichts, oder nur langweiliger Kram oder gar nur ein aus dem Internet kopierter Text, erwarte ich mir auch von den Geschichten nicht viel.

 

Ergo: Wähle ein Profilbild, das dein Genre und deine Geschichten repräsentiert. Nimm nicht irgendein Foto aus einer Suchmaschine und stretche es in den Header, sondern nimm dir Zeit, ein repräsentatives Bild zusammenzustellen, oder bitte jemanden, der das kann, das für dich zu tun. Der Header auf deinem Profilbild ist deine Werbefläche. Diese Plätze kosten auf manchen Seiten viel Geld, mitunter sogar tausende Euros. Also behandle deinen Header mit Respekt und nutze ihn gut.

Mit dem Profiltext heißt du deine Leser willkommen und heizt sie für deine Bücher an. Das bedeutet: Gestalte ihn interessant, informativ und vor allem: Unterhaltsam. Das Gesetzt des Schreibens gilt auch hier: Du sollst nicht langweilen. Bleib du selbst, verwende deine eigenen Worte und achte auf Rechtschreibung und Form. Dieser kleine Text ist ein Vorgeschmack auf deine Bücher. Ist er mangelhaft, entsteht der Eindruck, deine Bücher wären es auch.

Biete dem Leser einen Grund, wiederzukommen. Im Gegensatz zu deinem Avatar kannst du den Header auf deinem Profil öfter wechseln. Betrachte ihn wie ein Werbeplakat: Das wird auch alle paar Wochen ausgetauscht. Idealerweise mit tollen Hinweisen auf das, was den Leser erwartet.

 

Frage 3: Warum klickst du auf ein Buch?

 

Antwort: Es gibt für mich drei Wege, ein Buch zu finden, das ich anklicken möchte.

 

1. Über die BookRix Empfehlungen und Werbebanner.

2. Über das Profilbild des Autors.

3. Über die Favoritenliste eines anderen Autors.

 

Aufmerksam werde ich, obwohl meist sehr winzig dargestellt, durch das Cover. Fünfundneunzig Prozent aller Bücher öffne ich aufgrund eines ansprechenden Titelbilds. (Fünf Prozent, weil ich den Autor kenne, mag und ungesehen alles von ihm lese.) Wie schon beim Avatar, spricht mich fast immer die Abbildung von Menschen an. (So funktioniert nunmal unser naturgegebenes Programm.)

Je professioneller ein Cover aussieht, umso eher klicke ich drauf. Eine gute Farbkomposition, ein deutlich erkennbarer Titel, und ich lasse den Curser darübergleiten, um nähere Infos zu erhalten.

Ebenfalls wichtig sind gute Titel und Untertitel. Für deutschsprachige Bücher finde ich englischsprachige Titel … befremdlich. Ausnahme: Es sind eingedeutschte, geläufige Begriffe, die so auch jeder Deutschsprachige benutzen würde. Englische Titel zu verwenden »weil sie cooler klingen« wirkt auf mich unkreativ und vermittelt mir den Einduck von zu wenig Selbstvertrauen.

Wie auch schon beim Header für das Profil, finde ich verzerrte Cover katastrophal. Ebenso, wenn dafür nur urheberrechtlich bedenkliches Material aus Suchmaschinen zusammengeklaut wurde. Eher überzeugt mich ein weißes Cover mit schwarzem, schlichten Text, als ein gewaltkreatives Cover, mit fünfzig unlesbaren Fancy-Schriften und verzerrten geklauten Bildern.

Aber jedes grottenschlechte Umschlagbild ist besser, als ein sterbenslangweiliges Cover. (Meine Heimatstadt um 13:32 an einem Donnerstag im Juni, schnarch.)

 

Ergo: Wähle ein Cover, das etwas über das Genre und vor allem die Geschichte aussagt. Bevorzuge die Abbildung von Menschen in Form von Fotos oder Zeichnungen – sogar Strichmännchen sind Eye-Catcher.

Achte darauf, dass das Bild dem Format entspricht. Für den Titel wähle eine gut lesbare, deutliche Schrift und setze sie möglichst groß. In der Medienbranche sagt man: Klotzen statt Kleckern. Das gilt übrigens auch für Bilder. Lieber ein einziges Bild riesengroß und angeschnitten, als viele winzige. Untertitel und Name sollten zwar kleiner, aber stets auch im Vorschaubildchen gut lesbar sein. Prüfe immer, ob das Cover auch in der winzigen Vorschau »zündet«, denn meist sieht der potentielle Leser es dort als Erstes und in dieser kleinen Größe muss es ihn überzeugen können, es anzuklicken.

Wähle einen Titel der »klingt«, der etwas in einem drin ins Schwingen bringt. Sei nicht schüchtern, hau rein.

 

Frage 4: Warum öffnest du ein Buch?

 

Antwort: Sobald ich auf ein Buch klicke, passiert dasselbe, wie auf dem Profil. Ich entscheide binnen Sekunden, ob ich es aufschlagen werde oder nicht. Das Cover hat mich ja schon überzeugt, jetzt geht es um den Klappentext. Schon auf den ersten Blick sehe ich, ob er »anständig« formatiert ist. Fehlt er ganz, bin ich weg. Ist er seltsam fragmentiert, hat tausend Rufzeichen, Punkte und andere Satzzeichenanwandlungen oder/und wirkt er wie ein Chatkommentar, bin ich weg.

Es ist meine persönliche Entscheidung, aber unfertige Bücher lese ich nicht. Ebenfalls sehe ich mich nicht als Versuchskaninchen oder Selbstvertrauensgießkanne.

Das heißt: Steht dort, dass das Buch unfertig ist, bin ich weg. Bettelt der Autor um Herzen und Kommentare, bin ich weg. Informiert mich der Autor im Klappentext, wie er selbst über sein Buch denkt und/oder zelebriert dort seine Unsicherheit (fishing for compliments), bin ich weg. Wenn »nur« ein Textauszug aus der Geschichte hingepappt wird, finde ich das – da spreche ich aus Autor – sehr schlicht und …lieblos.

Ich möchte, dass mir der Klappentext verrät, auf was ich mich einlasse, wenn ich das Buch öffne. Ich will einen klaren Hinweis auf das Genre, die Protagonisten, die Welt und den Konflikt. Ich will nicht wissen, wie sich der Autor mit der Veröffentlichung fühlt und ob er sein Buch gut findet. (Ich gehe davon aus, dass er es gut findet, sonst würde er es nicht veröffentlichen. Veröffentlicht er vorsätzlich Geschichten, die er mies findet, hat er keine Leser verdient.)

Der Klappentext sollte fehlerfrei sein, da ich von ihm auf den Inhalt schließe. Ist er fehlerdurchwachsen, gehe ich davon aus, dass der Inhalt des Buches das auch ist und schlage es gar nicht erst auf.

Der Klappentext ist das Verkaufsargument – das Argument, das Buch zu öffnen. Er soll mich davon überzeugen, dass ich es unbedingt lesen will.

Meist prüfe ich auch die Anzahl der Wörter. Daran sehe ich, ob das Werk »Hand und Fuß« hat. Längere Texte haben bei mir eine größere Chance, gelesen zu werden.

Werden in den Kommentaren massenhaft Fehler bemängelt, kann das auch dazu führen, das Buch ungeöffnet wieder wegzucklicken.

 

Ergo: Wähle einen Klappentext, der kurz und knackig ist. Ehe ich einen Roman beginne, formuliere ich oft eine »Ein-Satz-Beschreibung«, auch »Pitch« genannt. Wer erlebt warum was und unter welchen Bedingungen? Ich beschreibe den Protagonist in seiner Ausgangsposition, den Konflikt, in den er gerät – und damit auch den Antagonist, ob das nun eine Person, ein seelisches Problem oder ein Staat ist.

Überlasse den Lesern die Entscheidung, ob sie Herzen oder Kommentare geben wollen oder wie gut/schlecht sie das Buch finden. Befindlichkeitsberichte des Autors haben in einem Klappentext nichts zu suchen. Achte auf saubere Rechtschreibung und auf eine gute Formatierung. Nimm dir die Klappentexte aus Druckbüchern zum Vorbild.

 

Frage 5: Warum liest du ein Buch?

 

Antwort: … oder warum schlage ich es wieder zu? Bis zu dem Punkt, an dem ich ein Buch öffne, hat mich ein Autor schon auf mehrere Arten überzeugt. Theoretisch also gibt es jetzt wenig Gründe, ein Buch noch zuzuschlagen. Wie gesagt: theoretisch.

Hauptgrund Nummer eins, ein Buch nicht zu lesen: zu viele Fehler. Wenn ich bereits in den ersten drei Sätzen drei Fehler lese, schlage ich das Buch zu.

Hauptgrund Nummer zwei, ein Buch rasch wieder zuzuklappen, ist ein langweiliger/schlechter Anfang. Es geht nicht um den brillanten ersten Satz, unter Anfang zähle ich die ganze erste Seite. Der ein oder andere Satz kann misslingen (obwohl es gerade am Anfang fatal ist) aber spätestens beim dritten Satz wird klar, was der Autor drauf hat.

Oft ist es der Stil, der mich abspringen lässt oder mich begeistert.

Idealerweise will ich nur kurz reinlesen und schlage Stunden später das Buch begeistert zu. Ungünstigerweise haben mich Cover und Klappentext zwar angezündet, aber der Inhalt ist halbgar und strotzt vor handwerklicher Missgriffe.

Konnte mich die erste Seite überzeugen, sehe ich im Folgenden gerne über größere und kleinere Fehler hinweg, vor allem, wenn das Buch spannend ist, und die Fehler mich nicht dauernd aus dem Lesefluss reißen. Manchmal ist aber das »Stolperkontingent« schon nach zehn oder zwanzig Seiten aufgebraucht, dann schlag ich das Buch zu. Mitunter widerwillig, weil mich die Geschichte grundsätzlich interessiert, mir aber der Lesegenuss durch das Holprige verleidet wird.

Freilich, Manches ist auch reine Geschmackssache, da kann man nichts machen.

 

Ergo: Ich gehe zwar davon aus, dass das ohnehin jeder Autor macht, aber: Lies deine eigene Geschichte, ehe du sie online stellst, mindestens fünf, besser zehn Mal durch. Sie sollte dir dabei nicht auf die Nerven gehen. Bessere alles aus, was sich lahm anfühlt und sei dabei rigoros. Recherchiere immer, wenn du dir unsicher bist.

Merke: Leser sind keine Versuchskaninchen oder Lektoren.

Auch Gratistexte solltest du stets so gut einstellen, wie sie dir mit deinem aktuellen Erkenntnisstand möglich sind. Sie weisen den Pfad zu deinen Verkaufsbüchern, oder sind der Hinkelstein, der den Weg dahin verleidet.

Bedenke immer: Die meisten Menschen lesen wahllos ein paar Sätze von dir. Diese entscheiden, ob deine anderen zwanzig Bücher gekauft werden, oder nicht. Ein paar banalen Zeilen in einer kostenlosen Geschichte entscheiden darüber, ob dein Verkauf angekurbelt oder um deine Bücher ein Bogen gemacht wird.

 

Experimente und Versuche machst du daheim auf deiner Festplatte. Unfertige, unkorrigierte Texte, Romananfänge und Ideen schlummern dort. Niemand sieht sie und keiner beurteilt sie. Sie ruinieren nicht deine Marke. Was du aber veröffentlichst, zeigst du nicht bloß einer wohlwollenden Freundin, sondern sieben Milliarden Menschen. Theoretisch. Das sieht die Welt von dir und von dem schließt sie auf alle deine anderen Werke.

 

Wer einen anderen Menschen kennenlernen will, tut dies, indem er seine beste Seite zeigt. Jedes Buch ist ein Rendezvous mit dem Leser, eine Verabredung, ein Date. Zeig dich von deiner besten Seite.

 

Hast du einen Leser überzeugt, bleibt er dir treu. Missbrauche die Treue nicht, indem du ihm aus Bequemlichkeit Scheiße vorsetzt. Je überzeugter Leser von deinen Geschichten sind, umso unwichtiger werden Avatar, Profilbild und Cover – sie finden dich, sie wollen dich finden.

Erst, wenn du dein erstes Rendezvous erfolgreich hinter dich gebracht hast, zählen die inneren Werte. Dann reicht dein Name aus, um Interesse an deinem neuen Buch zu wecken. Dann hast du eine Marke erschaffen, die für eine Qualität steht, für ein Genre, für eine bestimmten Inhalt.

 

Mundpropaganda ist für Autoren und Bücher DIE Marketingstrategie Nummer eins – positiv wie negativ. Mit schlechter oder inkonsistenter Qualität, kannst du deinen Namen schnell »verbrennen«. Dann ist die Marke ruiniert und dir bleibt bestenfalls, dir ein neues Pseudonym auszusuchen.

 

Bei den hier genannten Punkten geht es darum, wie du neue Leser für dich gewinnst, die dich noch nie gesehen haben. Auf Mails wie: »Huhu, ich hab ein Buch geschrieben« reagieren die Leute eher, wenn sie bereits wissen, dass sie deine Geschichten mögen. Auch wenn es um Bücher geht, sind es die Bilder, die Menschen fangen.

Stelle dir vor, dein Buch ist auf einer einzigen Plakatwand abgedruckt, jede Zeile, alles auf dieser einen Seite, und mittendrin irgendwo das Cover. Egal wie genial der Text ist, der erste Blick wird immer auf das Bild fallen. Dieses Bild lockt, näherzukommen und ein paar Worte zu lesen. Das entspricht dem Klappentext. Wenn dich diese paar Sätze packen, bleibst du stehen und liest das ganze Plakat.

Wenn du ein Buch online stellst, visualisiere dir das und bedenke: Selbst dein hundertstes Buch ist für viele Leser das allererste, das sie von dir entdecken. Du kannst es dir nicht leisten, auf Qualität zu scheißen.

 

PS: Meine Ausführungen hier beziehen sich in erster Linie auf meine Beobachtungen auf BookRix. Das Thema ist verdammt umfangreich und dazu könnte man ganze Bücher füllen. Was die Buchcover betrifft spielt natürlich mit, um welches Genre es sich handelt und in welcher Konkurrenz ein Buch steht. Die "Regeln" verändern sich, wenn ein Buch etwa nur Genrespezifisch in Konkurrenz zu anderen steht, ebenso, wie es eine Rolle spielt, ob die Konkurrenz in erster Linie Laiencover bringt oder professionelle Titelbilder.

 

Ergänzung:
Nach einigen Selbsttests auf Amazon: Genreunabhängig ist immer ein klar lesbarer, in deutlicher Schrift gestalteter Titel bestechend. Ich habe zwischen Liebromanen, Horror, Fantasy bis hin zu Sachbüchern gestöbert: Am Augenfälligsten sind klare, deutlich lesbare Schriften, erst danach kommt das Motiv des Covers.

"Als Ob"

 

Wort/satzstellungen, bei denen ich den Koller kriege:

 

 

"Teil 1: "Als ob." + "ist"

 

Er tut so, als ob er achtzehn Jahre alt ist.

 

 

Zu finden in: (schlecht lektorierten) Büchern und (hastig synchronisierten) Fernsehserien.

Bringt mich dazu: Alt+F4, Buch => Wand, bei Serien: Finger ins Ohr stopfen.

 

 

WENN schon "als ob", DANN mit Konjunktiv!

 

Er tut so, als ob er achtzehn Jahre alt WÄRE!

 

 

Ich bevorzuge:

 

Er tut so, als wäre er achtzehn Jahre alt.

 

Weiterführende Infos: http://www.deutschegrammatik20.de/komplexer-satz/als-ob-als-wenn-wie-wenn-als/

"als (wie) wenn"

 

"Wort/satzstellungen, bei denen ich den Koller kriege."

 

Teil 2: Der Zwillingsbruder von "als ob":

"als wenn" (verschärft: "als wie wenn") + "ist"

 

Er tut so, als wenn er in Ralf verliebt ist.

 

Zu finden: zu oft.

Bringt mich dazu: mit Schaum vor dem Mund über den Boden zu rollen.

 

 

WENN schon "als wenn", DANN mit Konjunktiv (zweiundvierzig Rufzeichen, doppelt unterschrichen, superbold, luziferrot, 74 Punkt).

 

Er tut so, als wenn er in Ralf verliebt WÄRE. (Tut trotzdem weh.)

 

 

Ich bevorzuge: Er tut so, als wäre er in Ralf verliebt.

 

"als wie wenn" ist wie Herpes. Keiner wills, und wenn er ausbricht, ist es immer schmerzhaft und hässlich. Daher werden wir brav sein, und dafür sorgen, niemals den "als wie wenn"-Virus zu wecken, weil das immer so aussehen würde, "als wie wenn" wir kognitiv beeinträchtigt "sind".

 

(Auaaaaaaaa! *schäumend über den Boden roll*)

 

Weiterführende Infos: http://www.deutschegrammatik20.de/komplexer-satz/als-ob-als-wenn-wie-wenn-als/

"als habe"

 

"Wort/satzstellungen, bei denen ich den Koller kriege."

 

 

Teil 3: "als" + "habe"

 

Er schaute ihn an, als habe er eine Marienerscheinung.

 

 

Zu finden: unter anderem (noch) in Kookys älteren eBooks. (Doppelplusnarf)

Bringt mich dazu: Laken über Spiegel zu hängen und mich in langen, düsteren Sessions selbst auszupeitschen.

 

 

"als", erfordert (auch) den Konjunktiv II. (mit Blut an meine Stirn schreib).

 

Er schaute ihn an, als HÄTTE er eine Marienerscheinung.

 

 

(Es gab mal eine Zeit, da dacht ich, ich wäre der deutschen Sprache mächtig. Je mehr ich mich damit beschäftige, umso mehr muss ich diese Einschätzung revidieren. Auf den Recherchen zu "na wie ist es denn jetzt richtig, und ist das jetzt falsch" komm ich zum Beispiel auf ganze Webseiten, die sich nur einem einzigen Sprachphänomen widmen. Hier der Konjunktiv: http://www.belleslettres.eu/artikel/konjunktiv.php#vergleich Damit wird alles sehr einfach kompliziert.)

 

Nungut. Und dabei wollte ich doch nur schreiben, wie zwei Kerle rummachen und dabei nicht ganz so legasthenisch klingen. *Seufz*

Hintermann und Vordermann

(Sexszene Teil 1)

 

Gelegentlich lese ich in (Gay-Romance) Büchern (und meist mitten in einer erotischen Szene) die Beschreibung »Hintermann« oder »Vordermann«.

 

Ehrlich gesagt … das hat fast »der Blonde«-Qualitäten, nur dass es noch abweisender und abstrakter ist. Wenn man schon keine Intimität zu einem Liebhaber beschreiben will, oder der Sexpartner ein Fremder ist, dann würde es »der Mann hinter ihm« auch tun (obwohl auch das … miau).

 

Bei »Hintermann« denke ich nicht an den Kerl mit runtergelassener Hose, der sich am Protagonisten zu schaffen macht, sondern an einen windigen Strippenzieher in einem Hinterzimmer, gerne mit mafiösem Background. Das Wort ist für mich negativ belegt, beschreibt Halunken, bestenfalls Kumpanen. Hintermann ist vielleicht noch der Rekrut der hinter "ihm" im Gleichschritt marschiert.

 

Unter »Vordermann« habe ich, abgesehen vom militärischen Marsch, eine erzieherische oder logistische Optimierung vor Augen. Auf Vordermann bringen.

 

In der Sekunde, da ich Vordermann oder Hintermann lese, werde ich mit Hyperraumantrieb in ein anderes, entferntes Universum gekickt. Statt der beiden schnuckeligen Kerle in leidenschaftlicher Umarmung sehe ich: Ein verrauchtes Hinterzimmer mit einem übergewichtigen, vernarbten Typen der zwielichtige Geschäfte anbahnt, oder aber einen militärischen Gewaltmarsch im Kriegsgebiet. Bestenfalls einen Fußballplatz samt dramatischer Torsituation (und es gibt für mich nichts abturnenderes, als Fußball.)

 

Die erotische Wirkung von »Hintermann« und »Vordermann« ist bei mir in etwa auf dem Punkt, wie das Ausfüllen eines Steuerformulars drei Tage nach Ablauf des gesetzlich vorgeschriebenen Abgabetermins. Meist überblättere ich dann den Rest der Sexszene, weil ich erstens eh nicht mehr in die Stimmung hineinfinde, und zweitens, das selten der einzige Stimmungskiller ist. Wo ein Hintermann, lauert ein Vordermann (und nicht selten auch der Blonde und der Größere), und das möchte ich mir nicht antun.

 

Deutsch ist doch eine Sprache die man sehr kreativ nutzen kann. Sex ist eine intime Sache und selbst wenn keine tiefen Gefühle im Spiel sind, muss der Protagonist doch nicht klingen wie ein Bestandteil für ein Wohnzimmerregal (arretieren Sie Vorderkante auf Hinterkante). In der Regel ergibt sich durch die bisherige Erzählung (und bitte nicht Beschreibung), in welcher Position sich jemand befindet, man muss es nicht noch extra betonen. Meine ich jedenfalls.

 

Dieser Wunsch nach Distanz in (homoerotischen) Sexszenen verwundert mich immer wieder. Ist es Angst vor der Nähe oder schlichtweg fehlende Technik?

 

Die Bauanleitung

(Sexszene Teil 2)

 

Wie in Teil 1 bereits angedeutet, besteht mitunter der Drang mancher Autoren, eine Sexszene so exakt genau von Außen zu beschreiben, als würden sie eine Bauanleitung für ein Wohnzimmerregal vorlegen. Die Szenen wirken hölzern und mitunter fühle ich mich da als Leser fast dazu ermuntert, mit Hilfe eines Stifts und eines Notizzettels Skizzen anzufertigen.

Ich muss mir merken, wo in etwa gerade die linke Hand von Klaus ist, während Peters rechtes Bein eine halbe Umschlingung um Klausis linke Hüfte macht, während sein Kopf eine Vierteldrehung nach oben absolviert.

Das erinnert mich mitunter an »Malen nach Zahlen«. Natürlich ist so eine genaue Sexanleitung kompliziert, weswegen sich entsprechende Autoren dann in den Beschreibungen verrennen, und dann in ›dessen, diesen, jenes, des anderen‹ herumirren, den ›Vordermann‹ und ›Hintermann‹ brauchen und am besten noch ›den Blonden‹ und ›den Jüngeren‹. Die Perspektive geht verloren und ich als Leser weiß dann oft nicht mehr, wer macht jetzt was und … warum eigentlich?

 

Was solchen hölzernen Sexszenen fehlt ist:

 

Erstens: Die eindeutige Perspektive. Wer selbst schon einmal Sex hatte, wird wissen, dass man den in der Regel nur aus einer Perspektive, nämlich der eigenen erlebt. Zwar hoffen wir, dass der Partner auch ein geiles Erlebnis hat, aber wir sind mit fortschreitender Ekstase mit uns selbst beschäftigt.

Das heißt: Die Perspektive des Sexpartners ist (außer in der veralteten auktorialen Erzählperspektive) Tabu und eine Beschreibung, was beide zusammen erleben – als Einheit – passiert dann, wenn sich der Protagonist vor Ekstase im Universum verliert und mit dem Partner eins wird.

 

Zweitens: Es ist nicht wichtig, welche Handgriffe präzise gesetzt werden, sondern wo und wie der Protagonist (diese) fühlt. In der Regel kann man viele der Bewegungsanleitungen beiseite lassen und stattdessen die geilen Gefühle einer Berührung beschreiben. Vor allem, wenn die Ekstase dazu führt, die Augen zu schließen und den Kopf in den Nacken zu werfen, kriegt der Protagonist in der Regel nicht mehr mit, wie exakt der andere das Bein lagert oder sabbert.

Vielleicht kann man sich zur Übung vorstellen, man selbst wäre der Protagonist und außerdem blind, während man die Sexszene schreibt/erlebt. Man muss sich nur auf das Gefühl verlassen, nicht nur jenes der reinen Berührungen, auch jenes der energetischen Dynamik, der Beziehung zum anderen und der eigenen bisherigen Erfahrung.

 

Drittens: Sexszenen müssen im Plot einen Sinn ergeben. Freilich, Sexszenen sind toll und erregend und wir schreiben und lesen sie gerne. Dennoch sollten sie die Geschichte weiterbringen, sonst sind wir bald bei einer Rahmenhandlung für einen Porno. Die beiden müssen Sex haben, na bauen wir eine kleine Story drumherum, damit man bisschen mitfühlt. Ney, bitte nicht!

 

Viertens: Authentisch und nachvollziehbar bleiben. Ich habe erst heute (das mag der Grund für das Essay sein) eine Geschichte gelesen, in der die Protagonisten sich völlig unglaubwürdig verhalten, Sex betreffend. Sie sind beides Teenager, hatten noch nie Sex, erleben aus einem Unfall/Zufall/Laune heraus zusammen das Erste Mal und agieren sofort wie alteingesessene Sexhasen.

Klarerweise sind sie, die noch nie über mögliches Schwulsein nachgedacht haben, keine umfassende Forschung durch Masturbation hinter sich haben, geschweigedenn, über gewisse Praktiken auch nur eine Sekunge reflektiert haben, sofort beim Analsex, den sie auch auf Anhieb gekonnt genau so hinkriegen wie im Porno (oder den Beschreibungen in anderen Büchern des Genres … das liest man leider raus).

Da gibt es kein Herantasten, kein Sich-ungeschickt-anstellen, kein Schreckmoment und trotz Schmerzen machen sie geil weiter. Animalische Leidenschaft hin oder her, aber so abgebrüht ist vermutlich kein gesunder Teenager – und wenn, dann sollte bis dahin klar sein, dass da ein paar rücksichtslose Rabauken am Werk sind, die sich jungfräulich aber brutal durch das Erste Mal pflügen.

Das nehme ich einfach niemandem ab. Ebenso unglaubwürdig sind auch Protagonisten, die erfahren sind, zwanzig Jahre wildes Sexleben auf dem Buckel haben und sich dann anstellen wie zwei Jungfrauen vor der Hochzeitsnacht.

 

Es darf alles sein, keine Frage, aber dann muss das Setting passen. Unbeholfene alte Hasen oder draufgängerische Jungfrauen, alles möglich, aber es muss im Plot und der Charakterentwicklung logisch verankert sein.

 

Ich finde schade, dass manche sehr interessante Geschichten durch solche Szenen verlieren. Manchmal, wenn die Story sonst gut ist, überblättere ich das. Meist aber führt eine derart unauthentische, hölzerne Sexszene dazu, dass ich nicht weiterlese – auch aus der Erwartungshaltung heraus, dass es nicht das Einzige ist, dass danebengegangen ist.

Fremde Federn

Es ist etwa einen Monat her, das schlugen ein paar haarsträubende Plagiatsfälle in der (Gay-Romance)-Autorenwelt die Wellen hoch. Dabei war mehr oder weniger alles dabei, was man als Autor fürchten muss:

 

Eine Autoren(kollegin), die Geschichten anderer Autoren zwar durch Erzählzeit und Namensänderung der Protagonisten modifiziert hat, dabei dennoch dem Original Wort für Wort treu blieb und damit nicht nur Lorbeeren einheimste, sondern auch Geld.

 

Noch dreister war ein Verlag, der noch nicht einmal einen Buchstaben der Geschichten änderte, die er von Seiten wie Fanfiction.de klaute. Er pappte nur ein anderes Cover drauf, erfand einen Autor und verkaufte die Bücher.

 

Dank aufmerksamer Leser konnten diese Plagiatsfälle, (hoffentlich auch in Zukunft,) aufgedeckt werden. Rechtliche Schritte wurden gesetzt. Plagiate sind kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die nicht nur verdammt teuer werden, sondern auch im Gefängnis enden können. Abgesehen davon, dass der Ruf des plagiierenden Autors ruiniert ist.

 

Dass es ein absolutes No-Go ist, fremde Werke als seines auszugeben, muss man nicht extra betonen. Wer tage-, wochen- oder monatelang an einem Text schreibt, fühlt sich fast seelisch vergewaltigt, wenn dann ein anderer diesen für sein eigenes Werk ausgibt.

 

Wie wäre es aber, wenn ein anderer deine Geschichte auf seine Homepage oder sein Blog setzen würde, um damit Klicks zu generieren, um auf sein Blog aufmerksam zu machen? Wie wäre es, wenn er das Buch über Google gefunden hätte, und statt des Autorennamens ins Impressum: ›Text: Google‹ schreiben würde, sofern der Blogbetreiber überhaupt ein Impressum ausführt. Wie wäre es, wenn der Blogbetreiber ein paar Rechtschreib- und Grammatikfehler ausbessern und eine Szene einfügen würde, damit der Text seinen persönlichen Ansprüchen genügt und sein Blog noch besser präsentiert?

 

Auch wenn der Blogbetreiber kein Geld mit dem fremden Text generieren würde, sondern nur dafür sorgen wollte, dass seine Seite einen Aufhänger hat, etwas, das die Leute anzieht, würden sich die meisten Autoren benutzt und betrogen fühlen. Es gäbe einen Aufschrei und Rechtsanwälte würden kontaktiert. Die Szene würde sich empören, zurecht. Egal, wie toll die eigenen Texte des Bloggers wären, einen fremden Text als Aufhänger benutzen, nur weil er im Internet steht, und dann auch noch frech die Suchmaschine als Quelle angeben, statt des Autors (oder zumindest des Verlags), würde keiner mit Freude hinnehmen.

 

Genau das aber machen viele Autoren jeden Tag. Auf ihren Buchcovers und auf ihren Profilen. Ich selbst schreibe nicht nur, sondern erzeuge auch Bilder. Ich stelle sie auf Websites zur Betrachtung zur Verfügung, da ich gerne herzeige, was ich mache. Damit gebe ich aber niemandem das Recht, eines meiner Bilder ohne meine Zustimmung auf sein Buchcover zu klatschen, um damit auf den Inhalt neugierig zu machen. Wenn der Dieb dann auch noch, statt im Impressum meinen Namen/den Link zu meiner Seite anzugeben, einfach ›Bilder: Google‹ hinschreiben würde, gäb’s Radau.

 

Interessanterweise sehen die meisten Autoren die Sache bei Bildern viel entspannter. Sie bestehen auf ihr eigenes Urheberrecht, verletzen aber wie selbstverständlich das anderer Leute. Dass sie damit einem anderen Menschen auf dieselbe Weise wehtun könnten, wie es ihnen selbst wehtun würde, benutzte man ungefragt ihre Texte, wollen oder können sie nicht erfassen.

 

Ich fürchte nicht nur den Tag, an dem eines meiner Bücher plagiiert wird, sondern auch jenen, an dem ich eines meiner Bilder unautorisiert irgendwo wiederfinde, um ein fremdes Produkt anzupreisen.

 

Wie jeder, der ein Buch schreibt und online stellt, will auch ich meine Werke veröffentlichen, herzeigen, Leser finden. Dasselbe gilt für meine Bilder, ich will Menschen unterhalten, erfreuen und berühren. Ich mag, wenn meine Werke gut ankommen, wenn ich Feedback erhalte. Ich investiere viel Zeit und Energie in meine Projekte und verbessere ständig mein Know-how, um für meine »Fans« noch ansprechendere Werke zu erschaffen. (Und weil ich gerne lerne.)

Ob jemand nun einen meiner Texte oder eines meiner Bilder klaut, ist dasselbe. Es sind nicht zwei verschiedene Dinge. Es würde sich nicht besser oder weniger schlimm anfühlen, würde jemand einen Text oder nur ein Bild stehlen.

 

Man kann mich kontaktieren und mit mir gerne Konditionen ausmachen, unter denen man meine Werke benutzen darf. Bisher konnte ich (mit anderen Autoren) auch immer Bedingungen aushandeln, unter denen ich für sie Cover gestalte. Bis jetzt war es ein Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip, denn jeder hat andere Talente und Möglichkeiten und man kann sich da einig werden.

 

Ich denke, andere Leute, die Bildmaterial zur Verfügung stellen, werden kaum weniger zugänglich sein. Hinter Bildern stehen Menschen, mit denen man verhandeln kann.

 

Wenn mich jemand anschreibt, weil er ein Bild oder einen meiner Texte ansprechend findet, und ihn daher nutzen will, fühle ich mich geehrt, ich bin positiv gestimmt und wohlgesonnen, mein Tag ist gut und wir finden einen gemeinsamen Weg, bei dem es am Ende zwei glückliche Menschen gibt.

 

Wenn ich aber darüber stolpere, dass jemand mein Bild/Text geklaut hat und ohne meine Zustimmung verwendet, um seine eigenen Produkte zu bewerben oder ergänzen, trifft mich das bis ins Mark. Ich bin zutiefst verletzt und werde einen Anwalt einschalten. Am Ende wird es zwei unglückliche Menschen geben (und mit dem Anwalt ja vielleicht auch einen glücklichen).

 

Als die Plagiate aufflogen, haben viele Autoren den Zugang zu ihren (gratis) Büchern und Geschichten erschwert, um derartigen Missbrauch zu unterbinden. Auch wenn sie selbst nicht betroffen waren, hatten sie Mitgefühl, konnten sich lebhaft vorstellen, wie es sich anfühlen muss, wenn man plagiiert wird, wie hässlich es sein muss, wenn ein anderer die Texte für seine Zwecke benutzt.

 

Derartiges Mitgefühl erlebe ich bislang bei der Nutzung von fremden Bildern nicht. Die Autoren, die derartige Nutzung von Fremdmaterial betreiben, machen sich noch nicht einmal die Mühe, zumindest zu recherchieren, wessen Bilder sie klauen. (Denn von Googel sind sie in der Regel nicht.)

 

Vielleicht hilft folgende Vorstellung für Leute, die selbst keine Bilder machen:

Man stellt ein Foto auf Facebook, wie man selbst zusammen mit Kind und Partner im tollen Urlaub vor einem Wahrzeichen posiert. Wochen später findet man ein Buch mit dem Titel: »Sexueller Missbrauch in der Familie – Autobiografie«. Das Cover ziert dieses Foto. Im Impressum des Buches steht: »Foto: Facebook.«

Blah Blah Blah

»Ich brauche deinen roten Stift.«

»Hier hast du meinen roten Stift.«

»Danke.«

»Bitte.«

 

***

 

»Ich brauche einen roten Stift.«

»Wofür?«

»Das geht dich nichts an. Gib mir den Stift!«

»Nein. Erst sagst du mir, wofür!«

»Fick dich!«

»Warum willst du mir nicht sagen, wofür du in brauchst?«

»Warum kannst du ihn mir nicht einfach geben?«

»Weil …«

 

Vielleicht kommt hier schon ein bisschen heraus, worum es mir in diesem Kapitel geht.

 

Vor Jahren gab mir mal jemand eine seiner Geschichten zum Lesen.

»Sag mir, was du davon hältst.«

»Gerne«, sagte ich und las.

Die Geschichte hatte echt Potential. Zwei sehr spannende Hauptfiguren, die schon in den ersten Sätzen verrieten: Explosionsgefahr. Der Plot würde vor Spannung und Konflikten nur so sprühen, zumal in einem Setting angelegt, das hübsch dystopisch war.

Die beiden tickenden Zeitbomben, die im Zuge des Plottes füreinander Leidenschaft entwickeln sollten, trafen das erste Mal in einer Bar aufeinander. – Und redeten miteinander wie seit zwanzig Jahren verheiratete Leute, die fast im Wortlaut wussten, was der andere dachte, es trotzdem aussprachen, einander dauernd bestätigten, man nickte ständig wie zwei Säufer in promillebedingter Symbiose und … es war so langweilig, dass ich das Manuskript weglegte.

 

Zur etwa selben Zeit las ich ein Blog von einem Autor, der jeden Tag einen kleinen Dialog veröffentlichte. Da sprach so ziemlich alles miteinander, was Stimmbänder oder auch keine Stimmbänder hatte. Die Dialoge waren verdammt kurz, manchmal nur vier oder fünf Zeilen, aber sie waren allesamt genial. Mitunter hatte man eine ganze Welt, ein Universum, das Aussehen der Protagonisten, alles im Kopf, ohne dass es/sie beschrieben worden wäre(n), nur aufgrund eines kurzen aber fetzigen Wortwechsels. Oft sorgte schon der erste Satz für Reibungspotential, allerspätestens beim zweiten war man mitten in der winzigen Geschichte.

 

Während also ein über viele, viele Seiten mühsam erschaffenes Setting und aufwändig gestaltete Charaktere mit nur wenigen Dialogzeilen dem Tod durch Desinteresse zum Opfer fielen, schaffte es der Blog-Autor, mit weniger als zehn Worten, in den Bann zu ziehen und neugierig zu machen. Ein guter Dialog kann sogar relativ seichte Plots herausreißen, aber ein schlechter einen noch so brillanten Plot in nur wenigen Worten zerstören.

 

Was aber macht einen guten Dialog aus? Was macht einen schlechten aus?

 

Nun, ich bin weit davon entfernt, eine echte Kompetenz zu sein, aber vielleicht hilft meine laienhafte Betrachtung auch schon:

 

In vielen Fällen benutzen Autoren einen Dialog, um gemäß »show, don’t tel!« eine Information an den Leser heranzutragen. Grundsätzlich eine gute Idee, aber über einen Dialog kann man weit, weit mehr transportieren, als eine Faktenlage. Laut Psychologie findet 93% der Kommunikation nonverbal statt. Das sagt uns etwa aus, welchen Stellenwert das Gesagte hat. Sieben Prozent. Also nahezu keinen. Das Wie ist es, worauf es ankommt – mit jeder Kommunikation werden Informationen über den Beziehungsstatus übermittelt.

Ein schlichtes »Danke« kann echte Dankbarkeit ausdrücken, oder der Anfang eines lang anstehenden Streits sein, es kann Teil einer Liebeserklärung oder Einleitung einer Eiszeit sein. Da wir soziale Wesen sind und unser Hirn dort seine umfassendste Kompetenz besitzt, können wir prima zwischen den Zeilen lesen. Wenn wir zwei Menschen sehen, die auch nur einen banalen Satz wechseln, etwa »Die Ampel ist grün«, sind wir in der Lage, ganz instuitiv zu erfassen, wie diese beiden zueinander stehen. Wir sehen und hören sofort, ob sie sich mögen, lange kennen, Streit haben, sich fremd sind, wer der dominantere ist, wer den anderen mehr braucht und wer innerlich ganz weit weg ist.

 

Geschrieben läuft Gesagtes deswegen oft Gefahr, falsch verstanden zu werden, weil wir 93% der Informationen nicht erhalten. Ich nehme an, jeder hat schon die Erfahrung gemacht, wie ein simpler Dialog in einem Chat, per SMS oder E-Mail einen wilden Streit auslösen und eskalieren lassen konnte. Dann folgt ein persönliches Gespräch und innerhalb von drei Minuten ist alles gut.

Nicht umsonst haben sich in der direkten schriftlichen Kommunikation Smilies etabliert, oder Kürzel. Wir markieren, wie wir einen Text meinen, weil nicht immer erkennbar ist, ob er ironisch oder sarkastisch gemeint ist, ob uns etwas frustriert, ärgert, traurig macht. Ein »Danke :(« Wirkt anders als ein »Danke :)«. Das Smiley ist oft die stärkere Information, als der Text selbst, der Indikator, was uns eigentlich mitgeteilt werden soll.

 

Als Autor dürfen wir keine Smilies verwenden oder »loool« schreiben. Wir müssen die Fähigkeit erlernen, in einen Satz das Smiley und das Lol durch Wortwahl, Satzstellung und Dialogaufbau einzuarbeiten.

 

Viele Autoren denken, wenn sie einen Dialog erschaffen, entkämen sie dem »tell« und »show«, machen dabei aber nichts anderes, als das »tell« den Protagonisten zu übergeben. Diese werden im Vorfeld sehr genau skizziert. Viel Mühe fließt in die Augenfarbe und die Beschreibung, dass Karl aufbrausend und Lukas penetrant und Hans schüchtern ist. Im Dialog aber ist nichts davon spürbar.

 

Zwei Menschen sind sich selten einig. Fremde müssen sich herantasten. Treffen zwei Personen erstmals aufeinander, wollen sie sich im besten Licht präsentieren und ihren Standpunkt (Revier) absichern. Menschen, die sich vertraut sind, benutzen viele Codes, die andere nicht kennen, sie wissen viel voneinander, sprechen es aber so gut wie nie an. Menschen, die sich gut kennen, versuchen sich oft auch durch Dialoge abzugrenzen.

 

Was heißt das nun konkret?

 

Jeder Protagonist hat seine Sichtweise und seinen Standpunkt und er wird sich (wie im echten Leben) so gut wie nie durch einen Dialog von einem Gegenteil überzeugen lassen. Vielleicht innerlich schon, später, im stillen Kämmerchen, aber er wird selten dem anderen Recht geben. Je wichtiger ihm Dinge sind, umso seltener. Einig ist man sich höchstens beim Wetter.

Jeder Protagonist kommt mit einem anderen Ziel und einer anderen Vergangenheit in eine Dialogszene. Es ist hilfreich, sich das eventuell vorher aufzuschreiben oder mental vorzustellen, auch und vor allem, wenn nur eine Information vermittelt werden soll. Es gibt immer konträre Interessen, nicht nur inhaltlich, auch die Zusammenkunft und den Dialog betreffend. Der eine will ausführlich reden, der andere seine Ruhe, der eine spricht Probleme an, der andere verdrängt sie lieber, der eine ist wütend, der andere glücklich, der eine voll Mitteilungsbedürfnis, der andere mit dem Kopf ganz woanders, der eine will nur gesehen, wahrgenommen werden, der andere ist grade sehr mit sich selbst beschäftigt.

 

Protagonisten tun Autoren niemals einen Gefallen. Egal wie sehr der Autor auch will, der Protagonist wird für ihn niemals seine Sprache, seine Syntax und seine Sichtweise ändern. Zumindest niemals nur, weil es in den Plot passen würde. Wenn der Autor einen Protagonisten zu etwas kriegen will, muss er ihm alles Mögliche antun, um ihn umzustimmen, ihm so lange Steine in den Weg werfen, bis er die gewünschte Richtung nimmt.

Eine gute Übung: Nimm zwei Protagonisten und gib jedem ein anderes Dialogziel, lass sie erst dann aufeinander los.

 

In der Realität reden Menschen dauernd aneinander vorbei, wollen nur ihr Ding durchsetzen und hören nicht richtig zu.

Einer der gröbsten Fehler, wie ich finde, ist, wenn Menschen über das Offensichtliche sprechen. Oft soll damit eine Rückblende überbrückt werden. Vor allem Menschen, die einander gut kennen, werden ein gemeinsames Erlebnis nicht erklärend besprechen. Beziehungsverhältnisse sind geklärt, gemeinsame Verwandte/Bekannte müssen nicht vorgestellt werden. Ich finde es immer sehr befremdlich, wenn zwei Leute, die zusammen durch Dick und Dünn gegangen sind, dann sowas sagen wie:

 

»Du weißt ja, dass ich mich vor vier Monaten von Karl getrennt habe.«

»Ja, du hast darunter sehr gelitten.«

»Ich habe mich wochenlang nur betrunken.«

»Und auf meiner Couch geschlafen.«

 

Schnarch. So ein Dialog ist unglaubwürdig, langweilig und sinnlos. Er transportiert die Information einer Rückblende. Statt: Zwar trennte sich Hans von Karl aus gutem Grund, dennoch litt er wochenlang darunter, besoff sich in einer Tour und nächtigte auf dem Sofa seines besten Kumpels – wird hier ein Dialog erzwungen, der die Protagonisten total unglaubwürdig, ja fast ein bisschen blöd darstellt.

Wie wäre es damit:

 

»Erde an Hans? Erde an Hans? Was ist los mit dir?«

»Nichts. Gar nichts.«

»Du denkst doch nicht schon wieder an diesen Superarsch.«

»Er heißt immer noch Karl.«

»Wie lange ist das jetzt her, seit du mit ihm Schluss gemacht hast? Vier Monate? Und du trauerst ihm immer noch nach?«

»Lass mich in Ruh, du hast keine Ahnung, wie das ist.«

»Achja? Ich weiß nicht, wie das ist? Abgesehen davon, dass Liebeskummer nichts ist, was du erfunden hast, stinkt mein Sofa immer noch nach deinen Alkoholexzessen.«

 

Das wühlt mehr auf und neben der Information der Rückblende werden auch noch eine Menge weitere Informationen vermittelt, ohne sie extra benennen zu müssen: Hans leidet nach wie vor und vergräbt sich in seinem Kummer. Sein Kumpel verliert deswegen allmählich die Geduld. Die destruktive Zeit und die damit erzwungene geringe Distanz erzeugt eine gewisse Anspannung zwischen beiden. Hans wirkt resigniert, deprimiert, sein Kumpel fühlt sich hilflos und versucht ihn durch Provokation aufzurütteln.

 

Ein weiterer Punkt, der mich an vielen (schlechten) Dialogen stört, ist die absolut unglaubwürdige Wortwahl. Vor allem in Gay-Romance fällt mir oft auf, dass die Männer nicht wie Männer reden, sondern wie Frauen, und oft nicht einmal das. Manche Protagonisten sprechen, als würden sie aus einem (Sach)buch vorlesen. Ihre Wortwahl ist gestelzt, passt nicht zu ihnen.

Es gibt Leute, die aufgrund ihrer Bildung, der sozialen Schicht oder des Alters gewisse Redewendungen, Formulierungen und Worte niemals sagen würden. Die Syntax der Protagonisten muss sich unterscheiden. Ich kenne im realen Leben nur eine einzige Person, die spricht wie gedruckt.

 

Das heißt nicht, dass man das Gestammel so aufschreiben muss, wie es in Realität geschieht, aber man sollte darauf achten, dass Menschen in der Regel einfacher sprechen, als der übrige Text gestaltet ist. Oder, wenn Akademiker reden, komplexer. Manche Leute fluchen viel, andere werden schon rot, wenn sie nur unflätige Gedanken heben. Manche sagen »Schwanz« und »Ficken«, andere reden von »da unten« oder »Sex haben«.

Es gibt ein paar Formulierungen, die zwar der Autor als Erzähler schreiben darf, die aber in einem Dialog vollkommen unglaubwürdig wären. Ein Protagonist darf in ihm sein, oder sich vereinen, aber ich kenne keinen Mann, der das so sagen würde. Auch keine Frau. Menschen reden in der Regel nicht schwülstig daher. In dieser Sache reden sie derb oder diffus.

 

Ich erinnere mich an ein Gespräch, in der eine Bekannte einmal schilderte, dass sie tatsächlich einmal einen Kerl hatte, der so gestelzt sprach wie in manchen (grottenschlechten) Schnulzen. Es klang unfassbar lächerlich, eigentlich schon fast beängstigend. Weil es unauthentisch ist, und bei unauthentischem Verhalten schrillen unsere Alarmglocken.

 

Ich fasse zusammen:

 

1. Konflikt. Jeder Protagonist kommt mit einem anderen Ziel/Anliegen/Einstellung in einen Dialog.

 

2. Sprache. Der extrovertierte fünfzigjährige, zweimal geschiedene Maurer spricht anders, als der zwanzigjährige, jungfräuliche, introvertierte Informatiker.

 

3. Psychologie. Menschen, die einander vertraut sind, kommunizieren anders, als einander fremde. Der Großteil der Kommunikation findet nonverbal statt. Schriftlich bedeutet das, diese Information in die Art der Formulierung einzuarbeiten, diese Stimmung durch die Art zu erzeugen, wie der Protagonist Dinge anspricht oder abtut.

 

4. Authentizität. Auch wenn die geschriebene Sprache ausgefeilter ist, so gibt es Formulierungen, die niemand sagen würde und die nur dem Erzähler vorbehalten sind. Am besten fragt man sich, ob man jemanden kennt, der eine Sache tatsächlich so ausdrücken würde.

 

Mein Vorschlag:

Einfach mal selbst weniger reden, sondern zuhören und dabei genau darauf achten, wie Menschen wirklich miteinander reden. Ich verspreche, da kommen eine Menge Überraschungen und Aha-Erlebnisse. Ob man seine Familienmitglieder, seine Kollegen oder Wildfremde im Café belauscht, in der Regel wird man feststellen, dass weniger wichtig ist, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Und das gilt auch für den geschriebenen Dialog – wobei jeder Dialog immer die Handlung vorantreiben und etwas über die Protagonisten sagen sollte.

 

5. Vermeide sinnloses Geplapper. Lass dich beim Schreiben gehen, schreib mit, wie deine Protagonisten in deinem Kopf sprechen. Danach kürze ein Drittel raus, das macht den Dialog knackig. Blinde hören sich Filme in mehrfacher Geschwindigkeit an, weil ihnen mangels visueller Reize das Gesprochene unerträglich langsam vorkommt. Im Schriftlichen bedeutet das, (nicht nur bei Dialogen), alles unnötige Aufblasen und Zeitschinden vermeiden. Komm auf den Punkt. Zwinge den Leser, mitzufühlen und Partei zu ergreifen.

Piraten

 

In den letzten Tagen wurde ich vermehrt von Kollegen darauf aufmerksam gemacht, dass meine Bücher auf Piratenseiten zu finden sind.

Es ist dies für mich keine erschütternd neue Erkenntnis; seit ich meine Bücher in den Verkauf gestellt habe, existieren sie auch auf den Seiten, auf denen sie illegal erworben werden können.

Im Zuge der Diskussionen dazu, die auf BookRix und Facebook geführt werden, kommen viele Gedanken und Rückschlüsse auf, die ich so nicht unterstreichen kann. Aus diesem Grund widme ich hier ein Kapitel diesem unschönen Thema.

Der Arbeitsaufwand

 

Interessant ist, dass sich die Menschen des Aufwands, eine solche illegale Download-Seite zu betreiben, im Klaren sind. Ironischerweise sind es sogar die Betreiber selbst, die für ihre Arbeit Lohn in Form von Centbeträgen, Werbung oder Klicks haben möchten.

Ich möchte keineswegs abstreiten, dass es Arbeit ist, eine solche Seite ins Leben zu rufen und zu pflegen – aber dagegenhalten, dass sie nicht die einzigen Menschen sind, die an der Seite mitarbeiten.

Jeder Musiker, Autor, Programmierer und Filmemacher, dessen Werke auf solchen Seiten vertrieben werden, hat sogar den wichtigsten Teil der Arbeit geleistet: den Inhalt. Ohne ihn könnten diese Seiten nicht existieren. Allerdings sieht der Künstler kein Geld, sondern nur der Betreiber. Der Betreiber macht Geld mit Arbeit, die er selbst nicht geleistet hat.

Hier setzt sehr oft das Hauptargument von den Betreibern und Kunden solcher illegalen Downloadseiten an.

Auch Verwertungsgesellschaften verdienen an einer Arbeit, die sie selbst nicht geleistet haben. Der Unterschied ist jedoch: wenn auch nur wenige Cents, so erhält der Künstler zumindest etwas. Von den illegalen Downloadseiten aber erhält der Künstler nichts. Verkauft eine Verwertungsgesellschaft viel, erhält der Künstler entsprechend viel (oder wenig). Verschenkt eine illegale Downloadseite viel, erhält der Künstler nicht einmal wenig, sondern genau null Cent. Die Betreiber aber scheffeln Kohle durch die Werbung. Ein beliebtes Produkt, das ein Künstler erschaffen hat, bereichert damit nur die Seitenbetreiber. Derjenige, der die Klicks überhaupt erst generiert, der Künstler, sieht keinen Cent. Er schaut durch die Finger.

Als Autor arbeite ich an einem Buch – von Planung, Schreibarbeit, Korrektur, Überarbeitung, Covergestaltung bis hin zum Hochladen – rund 1.500 Stunden. Umgerechnet auf einen geregelten Job, sind das neun Monate. So lange dauert in etwa auch eine Schwangerschaft, und ich vermute, damit spreche ich aus dem Herzen vieler Autoren: Bücher sind wie eigene Kinder, wie Babys.

Am Anfang herrscht Euphorie, eine gewisse Art von Verliebtheit, dann folgen Monate zwischen Freude und Frust, gute Tage und schlecht Tage, man ist stolz auf sein Werk aber auch froh, wenn es dann endlich das Haus verlässt.

Wie sehr einem die Geschichte in dieser Zeit ans Herz wächst, kann man vielleicht jemandem, der selbst nicht schreibt, schwer erklären. Man arbeitet nicht nur, während man vor dem Dokument sitzt, sondern auch beim Essen, Scheißen, bei Unterhaltungen mit anderen, beim Einschlafen, im Schlaf, … mehr oder weniger lebt man monatelang in dieser Geschichte. Mit allen Höhen und Tiefen. Ich vermute, auch hartgesottene Autoren vergießen die ein oder andere Träne oder werden mal so richtig wütend und wollen alles kurz und klein hauen, kämpfen mit zermürbenden Phasen und schweben durch manische Momente.

Eines aber ist Schreiben entgegen romantischer Vorstellungen immer: harte Arbeit, eine der härtesten, so viel Spaß sie auch machen kann.

Aber da dies alles subjektiv ist und damit schwer zu vermitteln (es sei denn, man erlebt es), stelle ich einfach einmal Zahlen in den Raum.

Möchte ich für das Schreiben einen Mindestlohn von 5,- Euro pro Stunde, müsste ich mit einem Buch 7.500,- Euro verdienen. Als Self-Publisher ein geradezu illusorischer Betrag. Geht man davon aus, dass man bei einem Verkaufspreis von 2,99 ca. 1,- Euro aufs Konto bekommt, kann man sich ausrechnen, wie viele Bücher man verkaufen müsste, um auf einen Monatslohn von rund 800,- Euro (netto) zu kommen. Davon muss der Autor dann allerdings die Kranken-/Pensions-/Unfalls- und Arbeitslosenversicherung selbst zahlen, ebenso die Steuer abführen und vom Rest (rund 500,- Euro) seinen Lebensunterhalt bestreiten: Miete, Energie, Nahrung, Kleidung, Hygiene, ...

Bis ein Autor also so viele Bücher verkauft, dass er als satt und privilegiert zählen kann, als ein reicher Sack, dem man gerne mal ein paar Verkäufe unterschlagen kann, muss viel passieren. Neben hervorragender Arbeit hängt viel von Zufall ab, ob man richtig, richtig erfolgreich wird. Zumal: Wer aus Leidenschaft schreibt, wird sich nicht nach dem Markt strecken, sondern sein Ding durchziehen.

Wenn ich also den emotionalen Einsatz betrachte, als auch die vergleichsweise geringe finanzielle Ausbeute, stellt sich die Frage: wie damit umgehen, dass es diese illegalen Download-Seiten gibt?

Mit dem Kauf meiner Bücher setzen meine Leser das Signal, weitere Geschichten von mir lesen zu wollen. Jeder, der ein Buch von mir käuflich erwirbt, sorgt dafür, dass ich Zeit bekomme, ein weiteres zu schreiben. Unter Leser verstehe ich Menschen, die nicht nur meine Geschichte konsumieren, sondern auch meine Arbeit als Autor respektieren. Unter Leser verstehe ich Menschen, die begreifen, dass irgendjemand Monate seines Lebens dafür eingesetzt hat, eine Geschichte zu erarbeiten.

Wer meine Verkaufsbücher ausschließlich gratis runterlädt, ist in meinen Augen kein Leser – generell kein Mensch, der Interesse an jenen Inhalten hat, die er runterlädt. Durch seinen Gratiskonsum sorgt er nämlich dafür, dass solche Produkte verschwinden oder schnell an Qualität verlieren.

Warum?

Weil die Menschen, die vom Verkauf ihrer Werke leben, sich entweder andere Jobs suchen oder in immer kürzerer Zeit immer mehr erschaffen müssen. Weil sie weniger in das Projekt investieren können. Dann kommen Programme in ihrer Betaversion und/oder total verbugt auf den Markt, Musik wird schlecht abgemischt oder nur noch im Akkord rausgeschissen, Bücher ohne Lektorat, professionelles Cover und nicht mit der Liebe verfasst, die sie verdienen, da keine Zeit dafür ist. Dass die Qualität der meisten Filme nachlässt, sie nur noch auf Profit angelegte Reißbrettprojekte ohne Herz, Hirn und Leidenschaft sind, ganz zu schweigen.

Die Ironie bei der ganzen Debatte ist, dass ich die grundlegenden Beweggründe verstehen kann, dass Kultur für alle zugänglich sein soll, nicht bloß für Leute, die sie sich leisten können. Aus diesem Grund biete ich auch immer eine Menge Gratiswerke an. Leser, die meine Geschichten mögen, sie sich aber nicht leisten können, haben stets die Chance, sie auch gratis zu lesen. Einen Teil meiner Geschichten verkaufe ich, ein Teil bleibt gratis. Guter Verkauf ermöglicht mehr Gratiswerke. Mein Ziel ist nicht, reich zu werden, sondern von meinen Geschichten leben zu können, um Zeit zu haben, sie zu schreiben. Als extrem sparsamer Mensch verzichte ich auf viel, um mir das zu ermöglichen. Kein Auto, keinen Urlaub, neue Kleidung nur alle paar Jahre … um diese Zeit zu bekommen, verdiene ich nicht nur Geld, ich verzichte auch auf das meiste, was für den Normalsterblichen im Westen »normal« ist.

Gäbe es das Bedingungslose Grundeinkommen, würde ich alle meine Werke verschenken. Der Verkauf ist nur eine Notlösung. In meinem bisherigen Leben habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich nicht zugleich berufstätig sein und schreiben kann. Ich habe es rund 20 Jahre versucht. Das Ergebnis war eine Schreibblockade und ein Burnout, dass mich fast das Leben gekostet hätte.

Es mag schlimm klingen, aber Schreiben ist für mich alles, auch meine physische Existenz. Wird dieses bedroht, wird damit automatisch meine ganze Existenz bedroht. Als ehemaliges Mobbingopfer reagiere ich auf Bedrohung extrem. Ich wünsche keinem, mir diesbezüglich in die Quere zu kommen.

Warum bleibe ich also bei dieser ganzen Pirateriedebatte so cool?

Dass die Betreiber dieser Seiten Kriminelle sind, die von gemeinen Dieben und Hehlern nicht zu unterscheiden sind, ist unbestritten. Da die Datenhehlerei in etwa so lange Tradition hat, wie das Internet selbst, hat sie sich auch in etwa so entwickelt, wie die Mafia als Schatten zur regulären Wirtschaft.

Die Kriminellen wissen in der Regel sehr gut, was sie tun und wie sie es tun. Sie wissen, dass sie kriminell sind und kriminelle Dinge tun, so wie ein Dieb weiß, dass es illegal ist, Brieftaschen zu stehlen und er eine Straftat begeht. Ebenso, wie der gemeine Taschendieb also, entwickeln auch die Downloadpiraten ihre Maschen für ein großes Katz-und-Maus-Spiel.

Dass diese Seiten meistens mit .to enden, hat ja seinen Grund. Sie sitzen in Ländern, die keine oder keine guten Verbindungen zu unserer Justiz unterhalten. Ermittlungen und Strafverfolgung werden entsprechend erschwert bis unmöglich.

 

Oft höre ich unter Autoren den Ruf, die Verlage und Distributoren müssen etwas unternehmen – schon alleine im eigenen Interesse. In einer Diskussion gerieten vor allem BookRix und Neobooks schwer unter Kritik, weil dort angeblich kein DRM angeboten würde und die Bücher dort runtergeladen würden.

Diese Schlussfolgerung ist aber schlichtweg Humbug. Wenn man sich mehr als drei Sekunden auf einer solchen illegalen Download-Seite umschaut, wird man rasch erkennen, dass der überwiegende Großteil der dort angebotenen Daten nicht von BookRix oder Neobooks stammt, sondern querbeet aus allen Verlagen.

In der Regel werden die E-Books (Filme, Musik, Programme), regulär im (Internet-)Handel erworben. Das bedeutet: Der Autor verkauft zumindest ein Exemplar legal an einen solchen Kriminellen. Es ist dabei völlig egal, ob dieses DRM-geschützt ist. Jede Verschlüsselung findet innerhalb kürzester Zeit eine Methode, gehackt zu werden.

Die große Schwachstelle des Kopierschutzes: Er trifft zu 99% die ehrlichen Leser.

Beispielsweise habe ich schon öfter DVDs, CDs und auch Programme/Spiele gekauft, die ich ob des Kopierschutzes nicht konsumieren konnte und wieder zurücktragen musste. Schlimmer: Um herauszufinden, dass keines meiner gängigen Geräte diesen Datenträger abspielen kann, muss ich in der Regel die Hülle öffnen, womit das Rückgaberecht erlischt.

Da wären wir gleich bei einem der Gründe, warum Leute illegale Downloads tätigen:

Manchmal schlicht und ergreifend, um ein zuvor legal erworbenes Produkt auch konsumieren zu können, das durch den Kopierschutz unbrauchbar gemacht wurde. Der illegale Download und der legale Erwerb gehen damit Hand und Hand. Das ist die Konsequenz eines Krieges der Verwertungsgesellschaften gegen Kunden. (Meist wird der Käufer legaler Artikel auch noch mit Warnhinweisen und Drohungen bombardiert, als wäre er ein Verbrecher. Das führt mitunter zu einer Trotzreaktion.)

Dann gibt es Leute, die ungern die Katze im Sack kaufen. Den Großteil der Sachen, die sie laden, öffnen sie nur kurz, um festzustellen, dass sie Scheiße sind, und löschen es sofort wieder. Finden sie aber etwas Tolles, werden sie ehrliche Käufer, teilen die Begeisterung mit Freunden und damit kann ein illegaler Download sogar zu mehreren ehrlichen Käufern führen. Vor allem, wenn die Personen mangels Werbung nie auf dem legalen Weg über dieses Produkt gestolpert wären. Man könnte das also durchaus gewagt als eine Art Mundpropaganda und Gratiswerbung betrachten.

Ohne die Möglichkeit illegaler Downloads würde man diese Leute eher selten als Konsument finden, aber aus der Gruppe können sich tatsächlich ehrliche Leser und sogar Fans generieren.
(Natürlich kann man hier zurecht einwenden, dass es legale Leseproben in den Shops gibt. Nun, keiner, der auf solchen Seiten unterwegs ist, hat grundsätzlich edle Motive. Ich will nur verdeutlichen, dass ein illegaler Donwload nicht per se Verlust bedeutet.)

Dann gibt es die »geiz ist geil« Konsumenten, die alles, was nichts kostet, prinzipiell haben müssen und – für mich unverständlich – auch mit Gewalt konsumieren. Menschen dieses Schlags findet man oft auch bei 0,- Euro Aktionen über Amazon. Denen ist völlig egal, was sie da erstehen, Hauptsache es ist gratis. So bekam ich bei »Reingekracht« auch eine Menge Leser und entsprechende Kommentare von jenen, die Gay-Romance nicht einmal mit der Kneifzange anrühren würden, aber weil es 0,- Euro kostete, haben sie es gekauft und gelesen und mich dann mit Scheiße überhäuft, weil darin zwei Männer miteinander Sex haben. Hätte das Buch auch nur 0,10 Euro gekostet, hätten sie es schon nicht mehr gelesen. Diese Leute lesen auch keine Klappentexte oder Buchtitel, ihnen ist der Inhalt eigentlich völlig egal, Hauptsache konsumieren, konsumieren, konsumieren, und das möglichst umsonst.

Jenseits des Internets sind das die 1,-Euro-Shop und Wühltisch-Leute, die sich auch Strohhalme oder Strumpfhosen im Großpack schenken lassen würden, ohne es zu brauchen, einfach, weil es gratis ist. Oder, die nur dann zugreifen, wenn sie das Gefühl haben, schlau zu sein, weil sie glauben, dass der Verkäufer beim Handel mit ihnen draufzahlt. Die sich clever finden, wenn sie sich beim Buffet einen Magenwandriss zuziehen, vor lauter Gier. Dieser Typus fühlt sich auch schlau, wenn er stielt, weil er es so ja gratis bekommen hat. Ihnen ist komplett egal, dass sie illegale Daten laden, für Produkte nicht zu zahlen, halten sie für ihr gutes Recht.

Meist haben diese Leute aber sich selbst betreffend durchaus ein hohes Unrechtsempfinden. Die sind nämlich auch nicht so blöd, für wenig Geld zu arbeiten und wenn man ihnen vorschlagen würde, für einen Monatslohn von 170,- Euro zu arbeiten, würden sie dir den Vogel zeigen. Dass sie aber anderen mit ihrem Diebstahl nicht einmal diese 170,- Monatslohn zugestehen, sehen sie nicht.

Als legale Leser wird man diese Parasiten niemals für sich erwärmen. Für mich ist dieser Menschenschlag grundsätzlich Abschaum. Ich nenne sie auch »Futtermäuse.« Ihre einzige Funktion ist, in ihrem anspruchslosen Leben fünf Tonnen Scheiße zu produzieren. Sie sind der Bodensatz und in Krisenzeiten soziale Zeitbomben, da ohne Moral und Gewissen.
 Man wird sie als Käufer weder gewinnen noch verlieren. Als auch nur irgendwie relevante Menschen sind die inexistent.

Dann gibt es die Archivare. Das sind Leute mit einem Sammelzwang. In der Regel konsumieren sie die geladenen Produkte nicht, sondern schaufeln sie Gigabyteweise auf Festplatten für … irgendwann. Diese Datenmengen könnten sie nicht einmal konsumieren, wenn sie 500 Jahre alt würden. Als legale Käufer verliert man sie durch diese Plattformen nicht wirklich. Mitunter können sie sogar ein Doppelleben führen, und ohne zu wissen, dass in ihrem gewaltigen Archiv das E-Book schon drei Mal abgespeichert worden ist, es unabsichtlich legal erwerben. Mitunter sogar mehrmals. Sicher ist sicher. Daten, die man hat, hat man.

Es gibt noch eine Menge weiterer Typen, die illegal Daten runterladen. Manche mögen durchaus berechtigt das Argument vorbringen, sie könnten sich die Produkte nicht leisten. Ich bin aber ziemlich sicher, dass die meisten von ihnen immer noch mehr Geld zur Verfügung haben, als manche Autoren, die sie beklauen. Wenn jemand trotz sparsamen Lebensstils (und darunter verstehe ich wirklich sparsam – für Genussmittel ist kein Cent übrig) bereits Mitte des Monats kein Geld mehr hat und fünfzehn Tage von Reis oder Nudeln leben muss, oder gar die Suppenküche aufsuchen (auch das gibt es öfter, als man denkt), habe ich kein Problem, ihm mein Buch zu schenken, erwarte mir aber, dass diese Person ebenfalls einen Bedürftigen mit eigenem Einsatz beschenkt.

Was kann man machen?

Um wieder auf die Anschuldigungen gegen BookRix, Neobooks aber auch die Verlage oder Amazon zurückzukommen. So einfach, einen Anwalt zu engagieren, der die Seite einfach mal sperren lässt, geht das leider nicht.

Da sich die Betreiber der Seiten ihrer illegalen Geschäfte bewusst sind, treffen sie entsprechende Vorkehrungen. (Ein legales Impressum, um sie formell anzuschreiben, gibt es schon mal nicht …) Das heißt, es ist ein gewisser Rechercheaufwand nötig, die entsprechende Anfragen bei Staatsanwälten bezüglich Exekutionen im Ausland und so weiter zu stellen. Das alles kostet Geld (nach Zeit.)

Entweder, die entsprechenden Betreiber stellen die Seiten dann selbst offline, nur um unter einer anderen Domain dieselbe Seite wieder zu eröffnen, oder sie werden tatsächlich abgedreht. Aber auch wenn Letzteres der Fall ist, kippt binnen Stunden, möchte ich fast sagen, die nächste Seite mit solchen Inhalten in die Lücke.

Das bedeutet: Die Aufwände schnellen in die Höhe für eine Ausbeute, die in keinem Verhältnis zum entstandenen Schaden steht. Die Anwaltskosten übersteigen bald das Vielfache des Schadens, der durch diese Seiten entsteht. Bleibt man nun konsequent dahinter, müssen die Kosten irgendwo wieder hereinkommen. Die Jagd nach den illegalen Seiten bezahlt also am Ende sogar der Autor selbst durch geringere Tantiemen, oder der Kunde durch höhere Preise. Aus diesem Grund sind es oft nur Megakonzerne, die sich mit solchen Betreibern anlegen können, und wie erfolgreich sie damit sind, kann man ja sehen. Die Seiten blühen nach wie vor seit eh und je. Jeder große Einschlag wirbelt Sporen auf und wie Pilze schießen die nächsten Seiten aus dem Boden.

Nun habe ich gelesen, dass es Seiten gibt, die angeblich einzelne Bücher aus solchen illegalen Seiten nehmen können.

Ich frage mich ehrlich gesagt, wie das passieren soll. Zynisch denke ich, legal kann das nicht sein. Entweder bezahlt man da ein Hackerkollektiv, das die entsprechenden Angebote aus den Seiten raushackt, oder es bestehen Verbindungen zu den entsprechenden Seiten.

Wäre das nicht eine perfide Geschäftsstrategie? Vor allem kleine Künstler lassen sich sehr von solchen illegalen Downloadseiten erschrecken und ärgern. Da sie oftmals keinen großen Verlag/Verwerter im Rücken haben, wollen sie auf eigene Faust gegen diese illegalen Downloads zur Tat schreiten. Anwälte, die die Seiten schließen lassen könnten, wären zu teuer, also zahlen sie gerne einen kleinen Betrag, damit zumindest ihre Daten regelmäßig von den Seiten verschwinden. Preis, wie ich las, je nach Stunde Rechercheaufwand.

Wer illegale Downloads anbietet, wird kaum vor dem Geschäftsmodell zurückschrecken, in seinem Fahrwasser seinen eigenen virtuellen Gegner zu erschaffen. Der Künstler zahlt und wenn der Preis hoch genug ist, wird das Produkt für eine Weile runtergelöscht. Der Künstler fühlt Erfolg. Wenig später freilich kommt die Datei wieder. Man kann den Kunden so mit weiteren Rechercheaufwänden und regelmäßigen Pseudoerfolgen bei der Stange halten.

Wenn das Mal kein (illegales) Geschäftsmodell ist!

Sollten Anwälte/Vereine hinter diesem Modell stehen, fragt sich, warum diese nicht gegen die Betreiber vorgehen, da sie ja zwangsläufig deren Daten und Beweise für illegale Machenschaften hätten. Wie zwingen sie die Betreiber, die Daten zu löschen, wenn sie sonst aber nicht gegen sie vorgehen können? Lukrieren sie etwa mehr Geld, wenn sie solche Piratenseiten nur anzapfen, nicht aber trockenlegen? Sind sie also stille Nutznießer, die die Kuh, die sie melken, nicht schlachten werden?
(Auch fürs Hacken bezahlen ist nicht legal.)

Die wichtige Frage: Lohnt sich der Kampf?

Wie hoch ist der Verlust durch so eine illegale Downloadseite real? Wie viele Bücher würde man als entgangenen Verkauf zählen müssen, damit die finanziellen Aufwände gerechtfertigt wären? Glaubt man tatsächlich, ohne diese illegale Seite hätte man zweihundert bis tausend legale Verkäufe mehr? Das müsste man sofort merken, nachdem die Produkte von diesen Seiten verschwunden sind. Ginge die Rechnung auf, müsste jedes Mal, wenn ein Link verschwindet, eine kleine Verkaufsexplosion erfolgen. Es müsste also messbar sein. Würde mich direkt interessieren, ob das die entsprechenden Autoren so erleben. Ob der (geratene) Einsatz von 100,- Euro zum Löschen eines Links im Folgemonat tatsächlich zu deutlich über 100 zusätzlichen Verkäufen führt? (Ansonsten wäre die Jagd zwar nett aber ein Verlustgeschäft.)

Immer wieder lese ich, statt die Betreiber solcher illegalen Downloadseiten mangels Möglichkeiten zu stoppen, sollten die User über die Kriminalität und den Schaden informiert werden, den ein solcher Klau nach sich zieht.

 

Der Gedanke ist zwar nachvollziehbar, aber ich frage mich, wie man das anstellen will, ohne jenen ans Bein zu pinkeln, die ohnehin schon mit beiden Beinen im Urin stehen.

Für mich hat das einen bitteren Beigeschmack – wie dieser »Downloadpapi sitzt im Gefängnis« Film auf den DVDs. Man geht dabei davon aus, der Leser wäre prinzipiell kriminell, aber der Großteil unserer Leser ist ehrlich. Mit Warnungen und Betteltexten wird er aber ebenso angesprochen, wie der kriminelle Konsument, und damit auf dieselbe Stufe gestellt.

Das ist wie die prophylaktische Taschenkontrolle an der Kassa.

Ich persönlich mag so etwas nicht. Vielleicht bin ich empfindlich, aber mich stößt oft auch schon auf, wenn ich, noch bevor ich zum Inhalt eines Buches komme, von einem literarischen Wachhund angebellt und darüber belehrt werde, dass es kriminell wäre, das Buch zu kopieren. Als würde sich ein Einbrecher von der Tat abhalten lassen, wenn man ein Bitte-nicht-einbrechen-Schild auf die Wohnungstür hängen würde. Ich finde es, ehrlich gesagt, sogar unhöflich. Es ist, als würde mich die Gemüsefrau bei jedem Einkauf mit den Worten begrüßen: »Wenn Sie was mitgehen lassen, ohne zu bezahlen, ruf ich die Polizei.« Oder: "Ich musste so und soviel Arbeit leisten, für Sie dieses Angebot zusammenzustellen, also bestehlen Sie mich nicht." Oft würden wir bei so jemandem nicht einkaufen, denke ich. Ich meide auch Geschäfte, die Taschenkontrollen machen. Nicht, weil ich kriminelle Absichten habe, sondern weil es mich stört, dass man mir solche einfach unterstellt.

Entsprechende Texte in Büchern würden in erster Linie ehrlichen Lesern ans Bein pinkeln. Gemäß der Philosophie: »Einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul«, wird man bei den Kriminellen selbst nichts ausrichten. Die lesen drüber hinweg, oder, sogar wahrscheinlicher: Wer sich die Mühe macht, den DRM zu knacken, kann auch diesen Text rauslöschen.

Wer auf einer Piratenseite etwas runterlädt weiß, dass er Diebstahl begeht und Künstler um ihren Anteil bringt. Hätte er Mitgefühl, würde er es nicht tun. Man darf auch die gewisse Neidmentalität nicht außer Acht lassen. Ein Handwerker wird Stundenweise bezahlt. Ist die Stunde abgearbeitet, wars das, er wird für diese Stunde nicht irgendwann noch mehr Geld bekommen. Ein Künstler wird fürs Produkt bezahlt, und zwar im Nachhinein und laufend. Der Stundenlohn generiert sich in den Jahren des Verkaufs. Dank Erfolgen wie Harry Potter oder Shades of Grey scheinen viele Leute (vor allem jene, die dann runterladen) zu glauben, jeder Autor würde steinreich sein. Dass eine Stunde, die er jetzt in ein Projekt investiert in fünf Jahren immer noch Geld einbringen kann, erfüllt manche Menschen mit blankem Neid, ja sogar mit Hass. Was diese Leute nicht wissen und auch nicht wissen wollen, es also auch nicht glauben werden, wenn man es ihnen sagt, beziehungsweise das als ein Jammern auf hohem Niveau abschmettern würden: Die meisten Autoren krebsen bei etwa 1,- Euro pro Arbeitsstunde herum. Ein Autor muss schon sehr erfolgreich sein, auf eine Nettosumme von 10,- pro Stunde zu kommen – und auch damit ist er noch lange nicht reich, sondern schafft es gerade Mal, sich im Mittelstand zu halten.

Mit Droh- oder Mitleidstexten würde man solche Neider nur provozieren, nicht aber zu ehrlichen Lesern machen, denn hätten sie das Potential dazu, wären sie es bereits.

 

Tatenlos zusehen?

Ich würde tatsächlich dazu raten, auf dem Teppich zu bleiben. Mit welchem erwartbaren Schaden ist ganz real zu rechnen? Glaubt man tatsächlich, es geht in die hunderte oder gar tausende Exemplare, die lieber gratis runtergeladen statt gekauft werden?

Was ist ein erwartbarer Schaden?

Das wären jene Verkäufe, die ohne diese illegalen Downloadmöglichkeiten stattgefunden hätten. Man kann aber, wie ich hier ausführte, nicht 1:1 rechnen. Wenn man da etwa 100 Downloads feststellt, muss das lange nicht bedeuten, dass das auch 100 Verkäufe gewesen wären. Ich persönlich glaube, sogar 10 Verkäufe sind da noch unrealistisch hoch angesetzt. Vielleicht ist eine Zahl 100:1 realistisch.

Seit langem informiere ich mich immer wieder über Studien zur Thematik, vor allem im Bereich Musik und Film. Denen zu Folge führt ein strengeres Vorgehen gegen illegale Seiten nicht zu mehr Verkäufen. Auch Kopierschutz führt nicht zu mehr Verkäufen. Samt und sonders scheint eher ein gelassener Umgang dafür zu sorgen, dass die Verkäufe steigen. Man sollte nicht vergessen, wen man trifft, wenn man um sich schlägt. In 99% der Fälle sind es die ehrlichen Kunden, die man vergrault. Die Kriminellen wissen, wie man ausweicht und sie haben ein dickeres Fell. Daher mahne ich zu Vorsicht mit Rundumschlägen, wenn man wieder einmal entdeckt hat, dass das eigene Buch auf so einer Seite gelandet ist. Mit wüsten Drohungen auf Plattformen erreicht man nichts, außer, sich selbst ins negative Licht zu rücken.

Was mache ich?

Gelegentlich stößt mich auf, wenn die Betreiber der Seite hinschreiben, sie wollen für ihre Arbeit belohnt werden, indem User etwas klicken sollen oder Centbeträge für die Downloads einbehalten werden. Das ist dann schon ein Schlag ins Gesicht, weil ich mir denke: »Und? Meine Arbeit soll nicht belohnt werden?« Dann mache ich meinen Frust in einer langen E-Mail Luft, auch in dem Wissen, dass die Betreiber das nicht lesen und vermutlich löschen werden.

Auch, wenn Konsumenten dieses tolle Angebot und diese schöne Seite loben, möchte ich denen gerne mal mit einem von Diarrhöe verdreckten Hintern ins Gesicht springen. Aber ich weiß auch: Je mehr man sich aufregt, umso größer der Spott dieser Leute, umso mehr zementiert man ihre eigene Rechtfertigung, illegale Downloads zu tätigen. Ich wünsche diesen Ignoranten dann stillschweigend Krebs, atme tief durch und kümmere mich um wichtigere Dinge.

Auf einer Seite habe ich in Kommentaren gelesen, dass die Betreiber den Autoren sogar anbieten, am Gewinn zu partizipieren.

Was ich davon halte?

Nichts.

Schlimmer: Ich halte es für eine gefährliche Falle. Diese Seite hat kein gültiges Impressum und es ist nicht zu erwarten, dass sie mit legalen Prinzipien inklusive Steuerrecht agiert. Demzufolge wird es auch kein seriöses Abrechnungsprinzip geben und das kann wiederum dazu führen, dass der Autor, der da mitmacht, als Teil eines kriminellen Unternehmens registriert wird, der Gewinne aus illegalen Downloads generiert. Der Autor bereichert sich damit auch am illegalen Verkauf von Werken anderer Autoren, denn, nochmal: Eine Seite, die selbst die geringsten rechtlichen Anforderungen nicht erfüllt, wird keine seriöse Abrechnung vornehmen.

Ich kann Autoren nur davor warnen, ein solch wahnsinniges Angebot anzunehmen. Ich glaube, mit diesem falschen Spiel lassen sich noch nicht einmal die Betreiber hinter der Seite ausforschen – sondern nur Autoren finden, die ihre Köpfe für diese illegalen Geschäfte hinhalten. Andernfalls hätten Behörden die Betreiber als fingierte Autoren schon längst dingfest gemacht.

In den letzten Jahren machen immer wieder Abmahnwellen die Runde. Da werden oft medienwirksam Schafe geköpft. Irgendwelche Alleinerzieherinnen, die hunderttausende Euro aufgebrummt bekommen, weil der zwölfjährige Sohn drei Songs von einer dieser illegalen Downloadseiten runtergeladen hat und Ähnliches.

Ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist, die User zu kriminalisieren. Mit solch horrenden Summen, die in keinster Weise real entgangenen Verkäufen entsprechen, statuiert man kein Exempel, sondern man schürt Hass. Gehasst wird dann der geizige Künstler, der sich von den Verwertern instrumentalisieren lässt. Das wiederum führt zu einer Gegenreaktion, die einen Kaufboykott nach sich ziehen kann, und erst recht illegale Downloads fördert.

Ebenso, erzeugt ein oft von Verwertungsgesellschaften gefordertes restriktives Vorgehen Richtung Datenüberwachung, nur das Gegenteil dessen, was erreicht werden soll.

Vereine, die für Urheberrechte und im Interesse von Autoren kämpfen, haben da oft den Status von Halunken. Sie werden verachtet oder verlacht, oft gehasst und als Feind des ehrlichen Konsumenten gesehen. Auch viel Autoren machen sich bezüglich überzogener Rundumschläge unbeliebt. Ich selbst kaufe von einigen Autoren/Künstlern nichts mehr, weil sie menschenverachtende Entwicklungen in Form von bedenklichen Überwachungsmechanismen und Einschränkungen persönlicher Rechte unterstützen, nur um ihre vermeintlichen Gewinne zu sichern.

Das ist die Antwort darauf, Konsumenten als vorauseilend kriminell zu betrachten, und jedes Unternehmen (Verein/Künstler), das ein Produkt prinzipiell mit einem Bann belegt, tut das. Wie das etwa mit der Festplattenabgabe der Fall ist. Ich selbst schreibe nicht nur gerne, ich mache auch gerne 3D-Bilder und fotografiere. Dabei fallen enorme Mengen an Daten an. Daten, die ICH generiert habe, die MEINE Arbeit sind, in die ICH Stunden investiert habe, die mit einer solchen Abgabe aber irgendeinen Künstler finanzieren sollen, dessen Werke ich vielleicht sogar ablehne.

Jeder Käufer einer Festplatte wird zum potentiell Kriminellen abgestempelt. Ich finde so etwas einfach nicht okay. So kann man mit Konsumenten nicht umgehen und ich weigere mich, meine Leser so wahrzunehmen. Man darf sich nicht wundern, wenn Konsumenten solche Prinzipien nicht durch einen Kauf unterstützen möchten, wenn Trotz an die Stelle von Gewogenheit tritt.

Ich selbst denke, so misanthrop ich auch bin, dass Wertschätzung von legalen Kunden weit mehr bringt, als das Verdammen der wenigen unehrlichen.

Die Downloadpiraterie gehört zur Schattenwelt wie die Mafia. Seit Jahrtausenden versucht die Menschheit, gegen diese Machenschaften vorzugehen. Vergebens. Ein nicht geringer Anteil der legalen Welt lebt davon, dass es Kriminelle gibt. Auch hohe Strafen nützen nichts, andernfalls gäbe es keine Morde mehr, wäre das Diebsgewerbe seit Jahrhunderten ausgestorben. Zu glauben, da müssen nur mal ein paar Konzerne Rambazamba machen und der Sumpf wäre für immer trockengelegt, ist so naiv, wie zu glauben, durch ein ehrbares Verbot könnte man Prostitution verhindern. Alles, was man erreicht, das weiß man, seit es Kriminalität gibt: Die Kriminellen werden kreativer und gewitzter.

 

Man muss in einer dualen Welt mit dem Bösen umgehen lernen, ohne dabei das Gute zu zerstören. Rundumschläge sind – ich mache mich unbeliebt – auch Auswüchse der Geiz-ist-Geil-Mentalität. Es ist in der Tat in vielen Fällen mehr ein Ding des Egos und der Eitelkeit, als ein echter materieller Schaden.

 

Wer sich auf die Fahnen schreibt, gegen diese Kriminellen vorzugehen, soll dies tun. Ich bin in erster Linie Autor. Mein Job, darin bin ich ganz passabel, ist schreiben. Krieg gegen Kriminelle gehört nicht zu meinem Beruf. Weder kann ich mir finanzell leisten, Anwälte zu engagieren, die einen Dauerkrieg gegen die Internetmafia führen, noch bin ich persönlich in der Lage, diese Schlacht über Behörden und Co. zu führen. Wie beruflich so auch hier: Entweder ich kämpfe gegen diese Bastarde, oder ich schreibe. Beides zugleich geht nicht. Ich fokussiere lieber auf meine Leser und schreibe.

 

Relax.

Je mehr die Bücher verbreitet werden, umso bekannter werden sie und umso höher werden die Verkäufe. Wenn man Webung schaltet, sind schnell mal ein paar Hunderter investiert. Man könnte die Verluste durch solche Seiten also für sich selbst als unfreiwillige Werbekosten abhaken.

Zuletzt: nein, froh bin ich über solche Seiten auch nicht. Ich biete viele Gratiswerke an und daher finde ich es unnötig, dass man meine Verkaufswerke auch gratis haben muss. Mir wäre recht, wenn diese Seiten meine Gratisbücher kostenlos anbieten würden, hätten die etwas davon, ich und der Leser ebenfalls. Aber so läuft die Welt nun einmal nicht und Freiheit hat ihren Preis. Auch wenn es meinem Geschäft schaden könnte, wehre ich mich entschieden gegen viele Gesetze der Wirtschaft, die unter dem Deckmantel der Pirateriebekämpfung Totalüberwachung und Manipulation des Internets zur Folge hätten.

 

Wer zahlt den Autor, und warum? (Piraten II)

 

Hier ein Beitrag, den ich in einer BookRix-Diskussion zur Causa "Wer zahlt den Autor, und warum?" schrieb:

Mir ist durchaus der Unterschied zwischen Kopie und "Ding" klar. Mir ist auch bewusst, dass der Vergleich hinkt. In diesem Fall ging es mir aber mehr um den kriminellen Aspekt, am Gewinn von Kriminellem zu partizipieren.

In der Tat ist eine Kopie eine Vermehrung. Wer etwas runterlädt, klaut per Definition nichts, das danach einem anderen fehlt, sondern vermehrt dieses Produkt, dessen Original zugleich an seiner Stelle bleibt. Klaut jemand ein Taschenbuch, hat man danach einen leeren Tisch. Klaut jemand ein E-Book, bleibt selbiges auf dem Desktop. Vergleichbar wäre, der Dieb würde das Taschenbuch rasch durch den Kopierer jagen. (Dieses Thema wird interessant, wenn man eines Tages tatsächlich Kopien von Dingen anfertigen könnte, wie im ersten Ansatz bereits mit 3D-Druckern.)

Ebenso wird die Idee ja durch Verbreitung nicht weniger, insofern wird dem Autor also auch nicht ein Stück Muse geklaut. In gewisser Hinsicht ist eine Verbreitung, wenn auch illegal durchaus Werbung. Je mehr Menschen einen Namen/ein Produkt kennen, umso höher ist die Zahl potentieller Käufer. Werbung zielt genau darauf ab und mitunter zahlt man dafür hunderte oder tausende Euro.

Wir stehen vor einem Dilemma. Während ich hunderte Stunden in ein Buch investiere, muss ich leben. Miete, Strom, Nahrung und Co. brauche ich auch, wenn ich schreibe. Bei einer Festanstellung leiste ich eine Stunde Arbeit und der Chef/Kunde vergütet sie mir relativ zeitnah. Die meisten Menschen werden nach Lebenszeit bezahlt, nicht nach Arbeitsleistung. (Was eine ketzerische, nicht aber eine prinzipiell unrichtige Behauptung ist.) Manche Menschen werden nicht nach der Zeit bezahlt, die sie für ein Produkt aufwenden, sondern durch das, was der Kunde fürs Endprodukt zahlt. Idealerweise deckt sich das. Ein Tischler baut einen Tisch (wenn wir schon beim Tischler sind) und der Kunde zahlt dafür so viel, dass das Holz bezahlt werden kann, dass der Tischler einen adäquaten Stundenlohn daraus erhält und Geld da ist, in die Werkstatt zu investieren. Wenn der Kunde den Tisch weiterverkauft, hat er ihn nicht mehr und den Gewinn davon, kann er behalten, er muss dem Tischler keinen Anteil davon zahlen. Mit einem einmaligen Verkaufsprozess ist also die Arbeit des Tischlers abgegolten.

Bei Autoren oder Musikern, wie auch Programmierern oder Filmemachern ist das aber anders. Zwar gibt es Verträge, die ein Produkt abkaufen, also ein Verleger zahlt dem Künstler etwa 10.000,- und darf das so oft weiterverkaufen, wie er will und den Gewinn behalten. Der Verkauf des Produktes ist in erster Instanz zwischen Verlag und Künstler für den Künstler abgeschlossen. Idealerweise erhält er damit einen adäquaten Stundenlohn und werden Kosten abgedeckt, die durch die Arbeit am Projekt entstanden, wie Recherche, Tontechniker, Layouter und so weiter.

Der Verlag könnte nun dieses Produkt an einen anderen Verlag weiterverkaufen, dann sind seine Kosten gedeckt (idealerweise etwas teurer, damit die Leute, die den Verkauf einfädeln einen adäquaten Stundenlohn ...).

Was aber, wenn der Verkäufer/Künstler nicht das Produkt als Ganzes an einen einzigen Kunden verkaufen will/kann, sondern an hunderte oder tausende Kunden, deren Anzahl und Name noch nicht bekannt sind? Das Interesse des Künstlers ist doch ebenfalls, dass er einen adäquaten Stundenlohn bezahlt haben will, auch wenn das bei ihm nicht, wie bei einem Tischler oder jemandem, der seine Arbeitszeit verkauft, innerhalb weniger Tage oder Wochen erfolgt, sondern mitunter nach Jahren. Zudem spielt er mit dem Risiko, über einen Stundenlohn von 10 Cent nie hinauszukommen. Dasselbe Risiko, das ihm allerdings auch ermöglichen kann, einen Stundenlohn von hundert oder tausend Euro zu generieren. (Was nur einer Handvoll Autoren/Künstlern gelingt, und dann ist es meist eine Mischung aus Können, Glück und Zeitgeist.)

Um auf einen halbwegs passablen Stundenlohn zu kommen, muss der Künstler Hausnummer 10.000 Exemplare verkaufen. (In der Regel reicht das noch lange nicht.) Wie tut er das? Da ist es ideal, dass er das Produkt kopieren kann und diese Kopien verkaufen. Wie er dieses Produkt kopiert, ob auf einen Datenträger den man anfassen kann (Buch, CD, DVD) oder die Daten ohne den Träger, ist eine Frage der Machbarkeit und des technischen Fortschrittes. Anders, als bei physischer Ware, kann der Preis nicht durch Knappheit erhöht werden, da die Daten verlustfrei so oft vervielfältigt werden können, wie man möchte.

Genau hier setzen viele Argumente ja an. Verbreitung verknappt nicht, sondern vermehrt. Wer illegal downloadet, stiehlt streng genommen keine Daten, sondern vermehrt sie. Was er aber stiehlt, ist der Verdienst des Künstlers, der eine Leistung erbracht hat, die der Kunde haben möchte. Das ist durchaus vergleichbar damit, dass der Chef am Ende des Monats nichts zahlt, denn die Arbeit hat er ja jetzt schon gratis bekommen, warum soll er nun noch etwas dafür zahlen? Viel Arbeit ist nur noch ein Verschieben und Bearbeiten von Daten.

Damit könnte der Chef mit demselben Argument den Lohn verweigern, wie jemand, der illegal Daten runterlädt dem entsprechenden Künstler den Lohn verweigert. Er hat ja am Ende kein Produkt in der Hand. Warum also dann Call-Center bezahlen? Warum einen Verkäufer bezahlen? Warum einen Manager bezahlen, eine Assistentin, einen Arzt?

Der Unterschied ist: Dem Künstler steht man nicht leibhaftig gegenüber. Das macht viel aus. Menschen bezahlen selbstverständlich auch sehr hohe Beträge für eine Leistung, wenn ihnen die Person gegenübersteht und sie sehen, dass es Arbeit ist, die hier geleistet wird.

Weiteres Problem ist wahrscheinlich auch, dass viele Menschen Musizieren, Filmemachen oder Schreiben als ein Hobby sehen, als etwas, das sie selbst gerne tun (würden). Die allgemeine Mentalität herrscht: Bezahlt wird man für das, was man nicht gerne macht/zu dem man gezwungen wird. Etwas, das man gerne macht, ist wertlos. Für etwas, das ich aus Leidenschaft mache, bekomme/will ich kein Geld. Menschen, die ihre Arbeit lieben, sind suspekt. Menschen, die ihre Leidenschaft zum Beruf machen, werden wie Freaks gesehen, denen das Fernsehen mit Kameras zuleibe rückt.

Aus diesem Grund mögen viele Leute der Meinung sein, für die "Arbeit" ein Buch zu schreiben, einen Film zu machen, Musik zu spielen, müssten sie nicht bezahlen, denn wozu "das Hobby" von jemand anderem zahlen? Dieselben Leute begreifen jedoch nicht, dass sie dieses "Hobby" der Künstlter dringend brauchen. So sehr, dass sie dafür sogar kriminell werden. Sie sind davon abhängig, das ihre Inspiration/Träume/Entspannung/Unterhaltung ... hergestellt werden. Wer sie herstellt aber muss wiederum Miete zahlen, Essen und so weiter. Kann er das nicht, kann er keine Musik machen, kein Buch schreiben, keinen Film drehen.

Nun könnte man sagen: wer gratis von der Arbeit anderer Leute profitieren will, der soll auch gratis für andere arbeiten. Das ist doch seine Grundhaltung, oder etwa nicht? Hier sehe ich dann tatsächlich eine Chance, das Dilemma (nicht nur dieses, da gibt es noch eine Menge anderer Themen), durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu lösen. Für Miete, Essen und Co. wäre gesorgt, der Künstler, Tischler und Co. wäre also nicht mehr von einem Kunden abhängig, den es aber trotzdem gibt. Man ließe sich nur noch materiellen Einsatz, nicht aber Arbeitszeit vergüten. Schön, aber in dieser Welt leben wir (noch) nicht.

Ich sehe es nicht so, dass nur die ganz Großen ein Recht darauf haben, für ihre Arbeit bezahlt zu werden. (Nebenbei: Auch die fingen klein an.) Wenn die Künstler aber nicht durch ihre Verkäufe verdienen "dürfen", wer dann? Gut, da gibt es Subventionen, also alle zahlen den Künstler, unabhängig davon, ob sie sein Werk mögen. Ist das die Lösung? Vor allem: Wer bestimmt, was die Leute mögen sollen, welcher Künstler subventioniert wird? Im Idealfall entscheidet der Kunde selbst. Wie aber vergütet man das, wenn der für seine Kopie nicht zahlen will/soll?

Dafür gibt es verschiedenste Modelle. Eines wäre, dass alle Menschen einen gewissen Kunstbeitrag zahlen (Stichwort Flatrate) und der Künstler erhält anteilig nach Downloadzahl. Man müsste hier aber ALLE Menschen flächendeckend und Länderübergreifend zu dieser Kunststeuer zwingen. Dafür könnten sie gratis runterladen und die entsprechenden Künstler bekommen ihre Abrechung. Wäre aber wieder jenen gegenüber ungerecht, die vielleicht nicht lesen, keine Musik hören und nur drei Filme im Jahr sehen, im Gegensatz zu den Vielkonsumierern.

In diesem Sinne scheint also das derzeitige System vorerst das gerechteste. Jene Leute, die konsumieren wollen, zahlen auch jene, die das Konsumgut herstellen. Das Konsumgut ist aber nicht der CD-Rohling, sondern die Musik darauf, nicht der DVD-Rohling sondern der Film, nicht das Papier sondern die Geschichte. Das "Ding" ist nur eine Notlösung, da sich die Daten lange Zeit nicht anders vermitteln ließen, sonst könnten die Leute ja gerne mit Papier, CD- und DVD-Rohlingen abgespeist werden. Das Konsumgut ist also die Welt die der Künstler erschafft und in der der Kunde eine gewisse Zeit eintauchen will. Dafür zahlt er. Und ob diese Welt von einem alten Hasen wie King oder einem BookRix-Küken erschaffen wurde, ist egal, beziehungsweise nur für den Kunden relevant.

Ich tippe allerdings darauf, dass viele illegale Downloader keine Konsumenten sind und lieber nicht konsumieren, als zahlen. Die entgangenen Verkäufe sind zu vernachlässigen, oder können sogar als Werbekosten gewertet werden. Ich nehme an, bei keinem BookRix-Autoren wird der Schaden auch nur Ansatzweise auf 100,- zugehen, beim absoluten Großteil nicht einmal 10,- ausmachen.

Toll ist es trotzdem nicht. Respektlos gegenüber dem Künstler ist es allemal.

 

Ende Mist, alles Mist.

 

Ich beschäftige mich immer wieder mit der beinahe schon philosophischen Frage nach dem Ende eines Buches. Natürlich muss es dem Genre und der Geschichte entsprechen, aber ich bemerke, dass ein Happy-End für viele Leser obligatorisch ist. Mitunter wird sogar im Vorfeld danach gefragt, ob ein Buch oder Film eh ein Happy-End hat, um es oder ihn nicht zu konsumieren, falls das nicht der Fall ist.

Auch bei meinen eigenen Büchern bemerke ich, wie schwer Leser ein Bad-End verkraften können. Viele Bücher, in denen ich mich das traue, habe ich noch nicht geschrieben. Spätestens die Reaktionen auf »Corona« haben mir da etwas … nun ja … Respekt gelehrt.

Ich gehe so weit, zu behaupten, dass es geschäftsschädigend sein kann, wenn ein Buch kein Happy-End hat. Schreibt ein Autor mehrere solche Bücher, werden ihm gewiss Leser abspringen, aber …

 

… er wird auch Leser finden, die genau das mögen.

 

Einige meiner Bücher hatten in der Erstfassung ein Bad-End, das ich dann aber in der Überarbeitung in ein Happy-End verwandelt habe. Der überwiegende Teil der Leser ist damit glücklich, aber es gibt auch einige, die mir diesen Schwenk zum Guten übel nehmen. Aber interessanterweise aus anderen Gründen, als ich dachte.

So wurde ich mehrmals für das Happy-End bei »Zuviel« getadelt. Es wäre völlig unrealistisch und es wäre ja »so typisch«, dass der Fette zum Adonis wird. Interessanterweise habe ich aber nirgends geschrieben, dass Wolfgang »schlank« wird. Ja, er nimmt in der Phase des Liebeskummers ein paar Kilo ab. Bei einem Ausgangsgewicht von rund 140 Kilo heißt das noch sehr, sehr lange nicht, dass er dann »schlank« ist oder sich auch nur ansatzweise einer Adonisfigur annähert. Im Nachwort behauptet seine Cousine, dass er abnimmt. Wenn ein Familienmitglied einem Dritten gegenüber behauptet, jemand nähme ab, sagt das nichts über den Erfolg oder den aktuellen Schlankheitsgrad aus.

Mir wurde bei »Zuviel« sogar tatsächlich auch Mal nahegelegt, eine Art erweitertes Happy-End zu schreiben, das Wolfgang den Fettarsch, dann wie der hässliche Schwan durch die Liebe zu Adonis gereift zeigt. »Endlich Mensch« quasi. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Im Gegenteil. Hätte ich mich tatsächlich zu einem erweiterten Happy-End durchgerungen, hätte ich Wolfgang fetter gemacht. Warum? Weil das nach der ersten Verliebtheit und im Laufe der Beziehung real und authentisch ist.

Im Kontrast dazu kam das Feedback, dass das Happy-End »erzwungen« wäre. Interessanterweise aber habe ich selbst so ein Happy-End erlebt. Und nicht nur ich. Aber ich gestehe, hätte ich ein solches Ende »damals« gelesen, als ich noch so ungeliebt war wie Wolfgang, hätte mich ein solches Happy-End auch genervt.

Also sind wir bei der interessanten Frage: Wie viel hat das Ende mit dem Leser zu tun? Sollte sich ein Autor dem Leserwunsch beugen?

Ich bin kein Bad-End-Fetischist und ich mag es auch lieber, nach einem Roman, in dem es heiß hergeht, freudvoll aufatmen zu können, aber …

 

… nicht immer.

 


Während der erste Satz entscheidet, ob man ein Buch liest, kann der letzte Satz darüber entscheiden, ob ein Buch ein »Werk« ist, oder »nur« eine banale Geschichte. Ja, ich behaupte sogar, er kann über trivial oder literarisch entscheiden.

Mit »letzter Satz« meine ich nicht wörtlich den letzten Satz, sondern so wie den »ersten« Satz vielmehr den letzten Absatz, die letzten Seiten, generell der Ausstieg analog zum Einstieg in die Geschichte, die ein Autor sorgfältig wählen sollte.

Ich selbst weiß oftmals noch einen Satz vor dem letzten nicht, dass das nun der letzte Satz ist. So, wie der Einstieg in den Roman so unmittelbar wie möglich erfolgen sollte, gestalte ich auch das Ende gerne unmittelbar.

Das Ende entscheidet, ob ein Buch in Vergessenheit gerät, oder im Gedächtnis bleibt. Bei mir fressen sich Bücher mit Bad-End regelrecht im Hirn fest. Selbst banalere Geschichten sind mir noch Jahre später in Erinnerung. Bücher mit Happy-End, auch wenn sie wirklich rührend und spannend waren, ich mitgelebt und gelitten habe, den Stil gemocht und das Buch geliebt, vergesse ich schnell, versinken im Meer der »ganz netten Bücher«.

Aber wie ein erzwungenes Happy-End gibt es auch ein erzwungenes Bad-End. Auch das las ich schon und verwenden manche Autoren gerne als eine Art Effekthascherei. Aber ein Bad-End kann ebenso als billiger Zaubertrick verpuffen, wie ein grob hingebasteltes Happy-End, und der Arbeit groben Schaden zufügen.

Das Ende muss zur Geschichte passen.

 

Ich las mal eine Kurzgeschichte, die hatte es in sich. Sie berührte mich emotional, ich saugte jedes Wort fieberhaft auf, ich war wie von Sinnen, selten so bewegt, liebte die Dichte und den Stil. Es war eines der wenigen Bücher, die mich echt vom Hocker hauen konnten, und das mir beinahe trotz seiner Kürze als episch in Erinnerung geblieben wäre. Doch leider entschied sich der Autor für ein Happy-End. Für mich war das ein grober Stilbruch, der aus einer erstklassigen Geschichte eine mittelmäßige machte. Fand ich sehr traurig. Natürlich tut ein Bad-End weh, aber manchmal erfordert eine Geschichte diesen Schmerz, ist es Teil der Prämisse, die durch ein erzwungenes Happy-End obsolet wird.

Den Vorwurf eines unpassenden Happy-Ends musste ich mir auch bei meiner Kurzgeschichte »Erbschaft« anhören. Ich fand ihn berechtigt. Die Geschichte entstand im Rahmen eines Wettbewerbs, bei dem sie auch gewonnen hat. Ich sag die unangenehme Wahrheit: Eine Geschichte mit einem Bad-End hat keine Chance. Das war zwar nicht der Grund, warum ich ein Happy-End schrieb, damals wollte ich das so und ich finde auch heute, dass es passt, aber ich bin überzeugt, dass ein Bad-End jede Chance auf einen Platz am Treppchen verwehrt hätte.

Dennoch sollte man sich als Autor nicht dazu verleiten lassen, ein Happy-End zu schreiben, nur damit man mehr Leser, mehr positiven Zuspruch bekommt.

Ich gestehe, es gibt einen Grund, weswegen mir das Thema gerade jetzt unter den Nägeln brennt. Ich habe mir in den letzten Tagen eine Serie angesehen, die ich schlichtweg genial fand. Wunderbar fotografiert, die Musik genial und die Erzählung des Plots hat schon eine geradezu meditative Tiefe. All das wird gekrönt von Charakteren, vor allem einem Charakter, der mir schlichtweg das Höschen von den Beinen zog. Seit Jahren habe ich keine Figur gesehen oder gelesen, die mich derart in den Bann riss. Vor allem ihre Art, die Welt zu sehen, ihre Philosophie, die Weise, mit Menschen umzugehen … Begeistert trifft es nicht ansatzweise. Dieser Charakter hat die ohnehin brillante Serie zu Kult erhoben. Ich könnte seitenweise so weitermachen. Aber, und ich weiß gar nicht, wo ich hinsoll vor Enttäuschung, die letzten drei Minuten der Serie haben den Charakter gekillt. Nicht wörtlich. Leider. Lieber wäre mir gewesen, sie hätten ihn sterben lassen, das hätte sehr gut zu dieser Figur gepasst.

Ich weiß nicht, was die Produzenten geritten hat. Vielleicht wurden sie wegen des Erfolgs der Serie und um eine Fortsetzung nicht auszuschließen mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen, sie so enden zu lassen. Hier wird mit dem Stil und der Aussage und mit dem Flair der Geschichte gebrochen. Vor allem aber wird der Zauber des Charakters regelrecht dahingemetzelt. Ich war entsetzt. Enttäuscht. Am liebsten hätte ich Bildschirm und DVD-Player kurz und klein gehauen.

Aber das wirklich Schlimme: Ich bin überzeugt, dieses Ende gefällt den meisten Menschen, völlig egal, dass der Charakter gebrochen und grausam abgeschlachtet wurde, was diese Serie ausmachte, Hauptsache es gibt ein Happy-End.

Wenn ich meine Leserkarriere und meine Serien/Filmkonsumentenkarriere so ansehe, habe ich mich weit, weit öfter über unpassende oder geradezu feige Happy-Ends geärgert, als über effektheischende Bad-Ends.

 

Ich sage es mal sehr drastisch: Ein falsches Ende kann beim Leser oder Seher das Gefühl erzeugen, er hätte seine Zeit vergeudet. Das gesamte Werk kann sinnlos werden. Immerhin fiebert man auf das Ende hin, man lässt sich ein, je nach Umfang des Werkes über viele, viele Stunden und Tage, man sollte das respektieren, indem man mutig und konsequent bleibt, auch wenn es wehtut. Wenn eine Geschichte ein Bad-End erfordert, dann sollte man es ihr lassen. Wenn sie ein Happy-End erfordert, sollte man es ihr lassen. Ein unpassendes Ende kann dazu führen, dass sich der Leser um seine Zeit, sein Erleben, betrogen fühlt.

 

Eine andere Gefahr besteht in der Prä-End-Phase. Auch das erlebte ich bei einer Serie. Es war ziemlich klar, dass diese Serie nur schlecht ausgehen kann. Das verlangte ihre Struktur, ihr Inhalt, alles. Es war praktisch ausgeschlossen, dass sie gut ausgehen kann. In so einem Fall haben es Autoren schwer, wegen der Vorausschaubarkeit ein raffiniertes Ende zu stricken. Im Fall dieser Serie machten sie es auf eine unangenehm plumpe Tour, indem sie zunächst alles so schrieben, dass »alles gut« wird. Fast drei Folgen drehten sich nur darum, wie verflucht scheißgut alles ausgehen wird. Die Protagonisten wiederholten sich in totaler Einigkeit, alles wurde regelrecht langweilig perfekt. Natürlich weiß der Zuseher, dass der Schein trügt und gottseidank, will ich sagen, ging die Serie auch wirklich schlecht aus. Leider aber hat dieses Prä-End-Kuschelgewäsch das Ende der Serie trotzdem zerstört. Immerhin, das allerletzte Bild hat mich versöhnt und lässt mich einigermaßen über die paar Stunden Gesülze hinwegsehen, aber ich frage mich dennoch: Musste das sein? Warum diese feige, billige Tour?

Twist schön und gut, aber dann raffiniert und nicht plakativ. Es ist nichts dagegen einzuwenden ein Happy-End anzutäuschen und im Bad-End zu enden, oder umgekehrt, wenn es zur Geschichte und der Prämisse der Geschichte passt, und wenn es gut gemacht ist. Im Gegenteil, aus solchen Twists sollen Geschichten bestehen, sie erzeugen Spannung, jagen die Emotionen des Lesers hoch, aber man sollte dabei bedenken, dass Leser gefordert werden wollen. Zwischen links antäuschen und rechts spielen und einen Leuchtpfeil nach links zeigen, während man nach rechts glupscht, ist billig.

 

Während man beim Lesen eines schlechten ersten Satzes nicht viel Zeit und Energie verloren hat, schlimmstenfalls das Buch nicht liest, kann der letzte Satz das Gefühl des Betrogenwordenseins heraufbeschwören. Ich glaube, kein Autor möchte, dass der Leser am Ende das Gefühl hat, ihm wurde einfach nur Zeit gestohlen. Eine so tiefgreifende Erfahrung kann sich auswirken darauf, ob der Leser je wieder ein Buch dieses Autors liest.

Zugleich, leider, gibt es auch Leser, die sich von einem Autor abwenden, der ein Bad-End geschrieben hat, auch wenn es zur Geschichte passt, wenn es sich authentisch und perfekt in die Erzählung fügt. Dieses Risiko muss man eingehen. Aus Liebe und Respekt vor der eigenen Arbeit und zur Geschichte.

Format-Fuuu 2, AA!

 

Anführungszeichen und Apostrophe*

 

*Die Satzzeichen unterscheiden sich mitunter sehr je nach Schriftart.

 

Heute mal wieder ein eher technischer Beitrag, den ich jedoch schon lange vor mir herschiebe. Wie sehen typografisch korrekte Anführungszeichen und Apostrophe aus?

Als wir das Schreiben mit der Hand lernten, stellte sich die Frage nicht, wie korrekt sie gemalt sind. Wichtig war, wo sie hingehören und dass, zumindest im deutschsprachigen Raum, die »Gänsefüßchen« vorne am Boden und hinten in der Luft sind. Der Rest war der Sauklaue überlassen.

Als die Schreibmaschinen kamen, waren die Zeichen sehr eingeschränkt. Viele Tastaturen verfügten nur über Anführungszeichen oben und es gab nur eine Form von Apostrophen. Friss oder stirb. Vermutlich hat sich daraus diese Toleranz oder Nachlässigkeit oder auch Faulheit gegenüber diesen Satzzeichen herausgebildet, als durch den Computer schließlich mannigfaltige Möglichkeiten geboten wurden – und werden. Andererseits sind die Tastaturen nach wie vor Schreibmaschinentastaturen täuschend ähnlich, und sofern man nur die vorhandenen Tasten drückt, bleibt die Auswahl eingeschränkt. Oft ist es auch eine Sache der Software. Es gibt Programme, oder vielmehr Websites, die keine alternativen – also korrekten – Satzzeichen zulassen. Zudem ist die Tastenanzahl begrenzt. Was man an Vielfalt möchte, muss man in seinem Textverarbeitungsprogramm also als Makro einspeichern, oder per Tastenkombination erzeugen.
So, das war jetzt viel Blabla, kommen wir zur Praxis.



Anführungszeichen/Gänsefüßchen.

Wir kennen sie doch alle, diese hübschen französischen Anführungszeichen in Druckbüchern im Kontrast zu den Strichen, die wir in der Schule gelernt haben oder die uns Tastaturen, oftmals für den deutschsprachigen Raum – falsch –, vorgeben.

Wenn ich ein x-beliebiges Buch aus meinem Regal ziehe, finde ich »solche Anführungszeichen«. Ich mag sie, sie fügen sich sehr schön in den Text ein. Besser als „diese hier“.

Folgen wir stur und ohne Eingriff unserer Tastatur, oder bedienen eine Schreibmaschine, kennen wir nur ein einziges Anführungszeichen, egal ob es die direkte Rede öffnet oder schließt:

"

Das ist aber typografisch falsch. Oder anders ausgedrückt: NUR wenn man ein Gerät/Programm zur Verfügung hat, das keine anderen Zeichen beherrscht (Schreibmaschine oder etwa Software auf Websites), ist es zulässig.

Bei der folgenden Beschreibung beziehe ich mich auf die gebräuchlich korrekten Zeichen im deutschsprachigen Raum. In vielen Sprachen sind die Regelungen anders.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten und Zeichen, die sich mitunter nur minimal unterscheiden. Hier ein paar Beispiele:

(Ich benutze Zahlen, um die Form besser zu verdeutlichen. 9 = ’; 6 = ‘.)

Fuß – Kopf

„…” (99…99)

„…“ (99…66)

Kopf – Kopf

“…” (66…99)

”…” (99…99)

 

Französisch

«…»

»…«

Im deutschsprachigen Raum benutzen wir Anführungszeichen unten und oben, und zwar 99…66. Das kann man sich als Makro in den meisten Textverarbeitungsprogrammen einstellen.

Die Tastenkombination hierfür lautet:

„ (Alt + 0132)

“ (Alt + 0147)

In den meisten Büchern werden Guillemets benutzt. Also diese Dinger hier »…«. Zu beachten ist hierbei, dass die Spitzen der Klammern nach innen zeigen. (Im Französischen, Schweizerischen und noch einigen anderen Sprachen zeigen sie nach außen.)
Findet man Guillemets hübscher, kann man sich das ebenfalls in den Textverarbeitungsprogrammen als Makro einstellen.

Die Tastenkombination hierfür lautet:

» (Alt + 0187)

« (Alt + 0171)

Formatieren wir also einen deutschsprachigen Text für unsere geneigten Leser, dann werden wir das hier vermeiden:

"Gretchen schnallt es einfach nicht."

„Gretchen schnallt es einfach nicht.”

“Gretchen schnallt es einfach nicht.”

”Gretchen schnallt es einfach nicht.”

«Gretchen schnallt es einfach nicht.»

Denn das ist falsch!

 

So ist es richtig:

„Bravo Gretchen, du hast es geschnallt.“

»Bravo Gretchen, du hast es geschnallt.«

 

Apostroph

Apostroph nenne ich jetzt mal alles, was sich wie ein Fliegenschiss rechts über einem Wort zeigt. Im Gegensatz zu den Möglichkeiten, hier ein falsches Zeichen zu setzen, sind die Anführungszeichen zur direkten Rede geradezu … Kindergarten.

Setzt eure Brille auf, es geht los:

 

’  '  ˈ  ´  `  ‘  ′  ʻ

Als ich das herausfand, bekam ich einen Apostrophen-Koller und brauchte zwei Wochen künstliche Beatmung. Bis dahin hatte ich das einfache Ersatzzeichen des Apostrophs für alles verwendet, das diesen Fliegenschiss benötigte. Es ist analog zu den durch Schreibmaschinen oder schlechte Software eingeschränkten und typografisch unkorrekten geraden Anführungsstrichen (") und sieht so aus:

'

Wie bei so einigen dieser Formatierungsphänomene, entdeckte ich auch das erst, als ich den Unterschied zwischen meinen manuell gesetzten ' und den automatisch generierten anderen Zeichen sah, die sich mitunter auch noch pro Textverarbeitungsprogramm unterschieden. Bei der, wie ich dachte, kleinen Recherche, bekam ich dann Schnappatmung.

Aber ich darf beruhigen: alles halb so wild. Als normaler Autor der einfach nur sein Buch schreiben will und eine Mindestanforderung an die Typografie seines Textes stellt, darf er erfahren, dass er nur eine Art dieses Fliegenschisses benötigt. Und zwar jenen, der wie eine 9 aussieht.

’ (Alt + 0146) = der typografisch korrekte Apostroph.

Aber er wird auch die 6er Variante benötigen:

‘ (Alt + 0145)

Und zwar für die so genannten sekundären Anführungszeichen.
Also das hier:

‚…‘ (9…6) (Alt + 0130) + (Alt + 0145)

Für sie gilt die Form analog zu den richtigen Anführungszeichen. Auch bei den Guillemets (Spitzen nach innen):

›…‹ (Alt + 155) + (Alt + 139)

Selbstredend kann man sich in den Textverarbeitungsprogrammen ebenfalls entsprechende Makros setzen.

Innerhalb eines Textes sollten die direkten und sekundären Anführungszeichen im selben Stil bleiben.

 

Also entweder so:

„Bravo Gretchen, du hast es geschnallt“, zitierte Hans aus ‚Frau Holle‘.

»Bravo Gretchen, du hast es geschnallt«, zitierte Hans aus ›Frau Holle‹.

 

Nicht aber so:

„Bravo Gretchen, du hast es geschnallt“, zitierte Hans aus ›Frau Holle‹.

»Bravo Gretchen, du hast es geschnallt«, zitierte Hans aus ‚Frau Holle‘.

 

Folgendes aus der Praxis:

 

Manche Satzzeichen, die ich nicht während des Tippens korrekt setzen will, ändere ich hinterher mit Suchen + Ersetzen. Bei Apostrophen kann das aber zu einer heiklen Sache werden. Wenn man das herkömmliche Ersatzzeichen benutzt ('), wird dies gleichermaßen für sekundäre Anführungszeichen und Apostrophen eingesetzt. Suchen + Ersetzen weiß nicht automatisch, welches wo eingesetzt wird. Ob also die 9 (Apostroph) oder die 6 (schließendes sekundäres Anführungszeichen) verwendet werden soll. Daher empfehle ich, hier bereits während der Eingabe des Textes auf die Verwendung des richtigen Zeichens zu setzen. Manuell in einem 300-Seiten-Werk herumpfuschen ist eine mehr als nervtötende Angelegenheit.

Nun zur interessanten Frage:

 

Ist es wichtig?

Immerhin sieht das doch sehr nach klugscheißerischem I-Tüpfelchenreiten aus.

 

Jein.

 

Kommt darauf an, was man will. Ein typografisch korrekter Text wirkt professionell. Auch wenn die Zeichen nicht immer bewusst wahrgenommen werden, fällt dem Leser durchaus auf, dass irgendetwas unrund ist. Der Text kann in Rechtschreibung und Grammatik noch so brillieren, falsche Typografie lässt an der Sorgfalt zweifeln. Zwar sind wir durch Texte im Internet gewöhnt, vor typografischen Schlachtfeldern zu stehen, wenn man aber mal bewusst darauf achtet, wird man sofort erkennen, welcher Text glaubwürdiger wirkt. Einer, der typografisch korrekt gesetzt ist, oder einer, in dem die Zeichensetzung so kreativ ist wie eine Malgruppe in Hintertupfing?

Wenn man möchte, kann man das durchaus auch mit einem Probetext durchspielen. Einfach mal einen Absatz mit den verschiedensten Satzzeichen schreiben. Einmal typografisch korrekt, einmal querbeet durchgemischt. Ich denke, der Unterschied wird schon auf den ersten Blick deutlich. Alleine, wenn ich in Texten sehe, dass ein Gedankengang - noch dazu ein brillanter –, mit zwei verschiedenen Formen von Strichen unterbrochen wird, seufze ich sehr tief und ich habe prompt das Gefühl, der Autor kennt sich nicht so recht aus. Das färbt auch auf den Inhalt ab. Das beobachte ich durchaus auch oft auf Websites von Zeitungen, die sich intellektuell schimpfen. Sehe ich verworrene Satzzeichen, gehe ich prinzipiell davon aus, dass da ein Praktikant am Werk war, der spätestens nach drei Tagen gefeuert wird. Liegt aber auch daran, dass ich bei professionellen Medien andere Maßstäbe setze. Jedes Medium, das Geld generieren soll, gilt als professionell. Insofern sehe ich bei Gratisgeschichten gern darüber hinweg. Kaufe ich aber einen Text und er ist ein typografisches Schlachtfeld, dann ärgert mich das. Ich finde es, gelinde gesagt, respektlos. Aber ich gestehe, mein grafisches Auge ist eben generell schnell beleidigt. Auch hier leide ich in Ansätzen an einer Berufskrankheit.

Frust

 

Wenn dieses Kapitel ein eigenes Cover hätte, dann stünde darauf in riesigen, fetten Lettern »FRUST«, vielleicht rot, vielleicht mit einem Distortion-Effekt und Blutspritzern.

Ich erspare mir und euch einen langen leidenschaftlichen Text über die Liebe zum Schreiben, das herrliche Gefühl, damit Leser zu erreichen und zu berühren, wie es sich anfühlt, endlich das leben zu können, von dem man fast dreißig Jahre geträumt hat. Ihr wisst es. Ich weiß es.

 

Um was es in diesem Kapitel geht, ist die Schattenseite. Es sind die Dinge, die einen demoralisieren, die deprimieren und die, so man sich das zu sehr vor Auge führt, dazu führen können, eine Schreibblockade zu erleiden oder restlos die Freude am Schreiben zu verlieren.

Mir scheint der vergangene Sommer ein schwarzer für Autoren, und die aktuellen Entwicklungen im E-Book-Sektor stimmt mich nicht gerade positiv.

 

Ich liste die Eckpunkte mal auf:

 

1. Piraterie

2. Plagiate

3. Rückgaberecht

4. Flatrate

5. Ausverkauf (Sale -80%)

6. erhöhte Mehrwertsteuer ab Silvester

7. Schlammschlachten unter Autoren und Bloggern

 

Vermutlich schwelt da noch mehr, ich traue mich eigentlich gar nicht mehr richtig hinzusehen, ziehe mich immer mehr zurück, weil mich das kaputtmacht.

 

1. Piraterie

Darüber habe ich bereits zwei umfassende Kapitel geschrieben. Das Thema ist bekannt, die Sinnlosigkeit, es zu bekämpfen auch. Trotz Frust nahm ich die Sache recht entspannt, bis ich über Kommentare und Interviews dieser Leute stolperte, und ihre hochgeschätzte Meinung über jene, die die Ware erzeugen, die sie klauen. Auf wie viele Arten das krank und pervers ist … ich bekomme davon Magen- und Kopfschmerzen. Ich bin an einem Punkt, an dem ich sage: Die entsprechenden Leute sollten einfach nur hoffen, dass ich noch lange etwas zu verlieren haben werde, dass ich gesund bleibe und trotz ihrer Verbrechen genug verdiene, um überleben zu können. Alles andere, werden sie sich NICHT wünschen. Ebenso nicht die Leute folgender Kategorie:

 

2. Plagiate

Das war ehrlich gesagt ein Schock für mich. Es begann damit, dass eine dreiste Person die Geschichten von Kollegen geklaut hatte, Namen der Protagonisten austauschte und die Zeitform änderte, und als ihre eigene Geschichten ausgab. Das gleich in mehreren Fällen.

Dass es etwas derart Dreistes gab, war mir in diesem Ausmaß bis dahin nicht bekannt. Wie naiv das war, musste ich in den folgenden Wochen herausfinden. Bald wurden weit über hundert (!) Fälle aufgedeckt, die in nur wenigen Tagen hochgeladen wurden. Vermutlich liegt die Dunkelziffer im vier- oder fünfstelligen Bereich, in denen Kriminelle Geschichten gestohlen und über Amazon vertickt haben. Konkret: Sie klauen mit Kopieren und Einfügen Gratisgeschichten von Plattformen, oft sogar welche, die noch nicht einmal fertig gestellt sind, und mit allen Rechtschreib- und Grammatikfehlern, 1:1. Sie klatschen ein Cover drauf, geben irgendeinen erfundenen Namen als Autor an und verkaufen die Bücher via KDP.

Als das bei zwei, drei Geschichten bekannt wurde, war ich schon schockiert genug. Mittlerweile traue ich mich nicht mehr, Informationen einzuholen. Nach gerade mal einem Monat waren weit über hundert Fälle aufgedeckt worden. Meine Gefühle dahingehend kann ich kaum beschreiben. Wut, Ohnmacht, Aggression, Depression. Und dabei bin ich noch gar nicht selbst betroffen, aber ich fürchte diesen Tag. Ehrlich, ich kann gar nicht abschätzen, was das mit mir machen würde. Ich will es auch nicht erfahren. Es wäre, als würde man mir meine Seele rauben, und das hieße: Nichts mehr zu verlieren. Wenn ich das hier nur schreibe, habe ich Herzrasen, meine Finger werden eiskalt und ich ringe um Luft.

 

3. Rückgaberecht

Man kann es in den Diskussionen verfolgen, dass ich hinter dem Recht eines jeden Kunden stehe, einen Fehlkauf zurückgeben zu können. Offenbar kann es zu leicht passieren, dass man sich mal verklickt, dann ist es gut, wenn man die Bücher zurückgeben kann. Die Chance, Fehlkäufe zeitnah zurückgeben zu können ist auch eine Chance für unbekannte Autoren, da man als Kunde durchaus eher mal etwas wagt.

Aber ich finde das Ausmaß nicht gerechtfertigt. Vierzehn Tage, da hat auch ein langsamer Leser ein Buch ausgelesen. Wenn ich mir die Abrechnungen ansehe, erscheint mir, für manche Menschen mutiert das Rückgaberecht zur Leihbücherei. Bei einem Artikel, den man nicht erst nach Hause tragen muss und erst bei Gelegenheit mal testen kann, sondern den man sich in der Regel zeitnah, also dann kauft, wenn man ihn auch unmittelbar genießen will, finde ich ein Rückgaberecht von vierzehn Tagen zu heftig.

Mich hat zu Beginn der Diskussion sehr gestört, wie die Autoren plötzlich auf die Leser losgegangen sind, ihnen schon fast prinzipiell unlautere Absichten unterstellten. Zusammen mit der Piraterie und der Plagiatswelle und einer Rückgabequote von bis zu 15% ist der Frust allerdings auch für mich mittlerweile nachvollziehbar. Man bekommt als Autor zunehmend das Gefühl, die Arbeit, die man in ein Projekt steckt, wäre wertlos. Verstärkt wird das Gefühl durch zwei weitere Veränderungen.

 

3. Flatrate

Es wird uns Autoren dauernd als große Chance verkauft. Ja, man verdiene zwar weniger pro Buch, aber der Verbreitungsgrad würde sich erhöhen und das mache den Verlust wieder wett. Nun, mehr oder weniger nutzen wir alle Flatratedienste. Beim Telefon, beim Internet, wenn wir Straßen benutzen. Ein fixer Betrag, nahezu grenzenlose Nutzung. Lässt sich das so eins zu eins auch auf Bücher-Flatrates übertragen?

Die Gehälter und Arbeitsverhältnisse bei Mobilfunkbetreibern glänzen nicht unbedingt. Zwar mögen die Konzerne mit diesem System ihre Kohle machen, aber eine solche Zeche zahlen immer die letzten. Bei den Bücher-Flatrates sind das die Autoren. Während sich das große A durchaus den Wanst damit vollschlagen kann, vielleicht auch noch ein paar Verlage, wenn sie geschickte Verträge aushandeln, sind es am Ende die Autoren, die draufzahlen. Ebenso bei folgendem Punkt.

 

4. Ausverkauf, -80% Tage

Ehrlich gesagt, nach den vergangenen Wochen, der Erkenntnis, dass stets ein Rudel räudiger Ratten an den Verkäufen nagt, dass eine ganze Plagiat-Mafia Autoren ihre Werke klaut, das Rückgaberecht zur Leihbücherei verkommt und dann auch noch mit der Flatrate versucht wird, dem Autor den Boden unter den Füßen abzugraben, brachte mich dieses »Angebot« auf die Palme.

Die »große Chance«, meine Bücher für -80% anzubieten. Als wären 2,99 oder 3,49 für den Umfang eines Taschenbuchs ein unverschämt hoher Preis. 70 Cent, für ein Buch, an dem ich Monate geschrieben habe! Wühltischmentalität. Macht nicht einmal 30 Cent, die ich auf die Hand bekomme. Nun mag man sagen: Bei einem Verlag bekommt man auch nicht mehr. Ja. Nur ein Verlag bietet einem ein Lektorat, ein Korrektorat, einen Grafiker fürs Cover, er organisiert das Layout und sorgt für die Platzierung bei den Händlern, als E-Book UND Taschenbuch. Aktionen schluckt er, nicht ich als Autor. Wenn man das als Self-Publisher selbst hinblättern muss, müsste man also rund 4.000 Bücher verkaufen, um zumindest kein Minus gemacht zu haben. Bis dahin hat man noch nicht einmal einen einzigen Cent für seine Arbeit bekommen. 4.000 Bücher verkaufen ist als Self-Publisher allerdings mehr feuchter Traum als Realität.

Durch die zähen Kämpfe, die das große A mit den Verlagen hinlegt, hat sich die Käufermentalität verändert. Seit das Tauziehen begonnen hat und sich das große A nicht gerade als sympathischer Kämpfer dargestellt hat, bemerke ich eine sehr deutliche Abwanderung von Lesern zu anderen Shops. Und zwar in einer gravierend hochprozentigen Weise. (Was vielleicht jene Autoren durchdenken sollten, die nur über KDP veröffentlichen.) Wenn ich mir die Grafiken ansehe, sieht die Kurve des großen A’s aus wie ein alarmierender Sturzflug. Keine Frage, es will die Käufer wieder gewinnen und macht das mit Aktionen, die der »Geiz ist Geil« Mentalität entsprechen. Ratet Mal, wer die Zeche bezahlt. Sollen also die Autoren den Kopf für den moralisch bedenklichen Krieg hinhalten? Heissa, so ist die Welt nunmal, oder?

 

6. Erhöhte Mehrwertsteuer ab Silvester

Das ist eigentlich kein Punkt, über den ich mich aufregen kann. Eigentlich eine Sache, die ohnehin fällig war. Nur dass auch das mal wieder an wem knabbert? Genau. Denn es ist ja nicht davon auszugehen, dass das große A diese Kosten trägt.

 

7. Schlammschlachten

Vielleicht ist es all das hier Genannte, das seit einigen Monaten für eine echt miese Stimmung sorgt. Mit einiger Sorge las ich, wie Autoren in vielen Diskussionen und Kommentaren begannen, zunehmend den Leser als böse hinzustellen. Wer raubt Bücher für Piratenseiten, für Plagiate, wer gibt Bücher unverhältnismäßig oft zurück, wer will durch die Flatrate profitieren, oder von großen Ausverkäufen? Andererseits leben wie von unseren Lesern. Es gibt schwarze Schafe, aber das sind nicht DIE Leser. Leider muss man aber, wenn ich das so beobachte, durchaus mit einem Bodensatz von mindestens 10% rechnen, die in uns Autoren eine Art Gratistankstelle sehen. Das Bashing vieler Autoren gegen Leser, fand und finde ich dennoch höchst unangemessen und alles andere als Seriös.

Doch das war nicht alles.

Plötzlich traten Autoren auf den Plan, die mit Rezensionen nicht umgehen konnten. Sie begannen, eine Schlammschlacht gegen Blogger oder auch Leser und andere Autoren anzuzetteln. Das wiederum löste einen Gegenschlag aus. Wochenlang, so schien mir, gab es nur noch beleidigte Kommentare, beleidigte Blogbeiträge, jeder war gekränkt, jeder leckte seine Wunden. Das alles in einer Arena vor Lesern, die Fans sind, sowohl von den Autoren als auch den Bloggern, und die nur ein Leseerlebnis wollen. Die nicht in eine Ecke gedrängt werden wollen, wenn sie die Bücher zweier »verfeindeter Autoren« lesen wollen. Viele Leser sind weitergezogen, einige kehrten dem Genre ganz den Rücken. Auch ich war zunehmend angewidert.

Gewisse Kriegstreiber scheinen einen persönlichen Benefit daraus zu ziehen, mit Dreck zu schleudern, dauernd andere anzupatzen, unablässig um sich zu hacken wie Hühner. Vielleicht agieren sie nach dem Motto: »Besser ein negatives Image, als gar keines«, keine Ahnung, aber es vergeht nach wie vor kaum eine Woche, in der nicht irgendeine der Parteien eine neue Schlacht lostritt. Mittlerweile sind auch schon Leser in den Ring zu den Gladiatoren gestiegen, und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln.

 

Das ist wohl einfach die Welt wie sie ist. Eigentlich nicht überraschend. Wo Menschen sind, menschelt es und Kapitalismus hat eben seine Gesetze. Das ist keine Umwelt, in der sich Kreativität oder die Muse wohlfühlen können. Ich will jetzt nicht den Umständen die Schuld an meiner Schreibblockade oder meinen Depressionen geben, die mich seit einigen Monaten quälen, aber kann nicht umhin, zu sagen, dass sie durchaus den ein oder anderen Kanister Treibstoff beigesteuert haben.

Das Gefühl, ohnmächtig gegenüber krimineller Machenschaften oder einem Markt zu sein, der sich selbst auffrisst, die Aggression, die hochkommt und die man nicht ausleben kann, so etwas macht depressiv. Vor allem, wenn es über einen längeren Zeitraum so läuft.

Wenn man sieht, dass die Leute zwar 4,- für einen Kaffee vom Coffeeshop ausgeben wollen, ein Genussmittel, das nur ein einziges Mal und in nur wenigen Minuten für immer genossen ist, aber eine Geschichte für 2,99, die stundenlanges Lesevergnügen verspricht, ein Vergnügen, das ohne Aufpreis beliebig oft genossen werden kann, zu teuer zu sein scheint … das frustet. Es verleiht mitunter das Gefühl, die Arbeit wäre nichts Wert.

Natürlich mögen hier viele mit dem Argument kommen, dass man ja nicht für Geld schreibt. Aber heißt das, nur weil man etwas aus Liebe tut, darf man nichts daran verdienen? Ist etwas, das aus Spaß an der Sache entsteht, weniger Wert, als eine mühsame, unliebsame Pflicht?

Ich stelle mir das manchmal so vor: Man macht seinen Job, 40 Stunden die Woche. Man liebt diesen Job, man hat echt Spaß dabei. Am Ende des Monats gibt einem der Chef einen warmen Händedruck und lobt einen, weil er die Arbeit richtig toll findet, die Kunden sind zufrieden, aber er zahlt nur 120,-. Denn man hat ja nicht wegen des Geldes gearbeitet, sondern aus Berufung. Vielleicht mag der Idealismus die Motivation aufrechterhalten. Aber dann kommen Leute, und geben deine Arbeit als ihre aus. Dann kommen Leute, und meinen, du hättest diese 120,- gar nicht verdient, denn deine Arbeit ist nichts wert. Dann meint der Chef, die Arbeit ist zwar toll, aber er zahlt nur noch 20% oder 50% und es werden davon noch Steuern abgezogen.

Warmer Händedruck, großes Lob, aber nur noch 50,- für die gleiche Arbeit. Das wird einem dann auch noch als »die große Chance« verkauft.

Ehrlich, wie viele Monate würde sich die Begeisterung halten? Wie lange würde es dauern, bis das erste Motivationstief auftaucht? Wann würde man dahocken, und grübeln, über sich, den Wert der Arbeit, den Sinn von alledem?

Vermutlich würde man zu dem Schluss kommen, dass man den Job wechselt, egal wie sehr man ihn liebt. Vermutlich könnte man sogar zur Erkenntnis kommen, dass man diesen Job gar nicht mehr liebt.

 

Ich erinnere mich an ein Gespräch während meines früheren Jobs. Einer unserer Kunden handelte jedes Projekt auf ein Preisniveau runter, das eigentlich nicht mehr rentabel war. Die für diese Projekte errechneten Kosten summierten sich aus der reinen Arbeitszeit – also keine Materialkosten. Im Endeffekt bedeutete das also, dass der Stundenlohn gedrückt wurde. Dabei wurde nach wie vor hochqualitative Arbeit und voller Einsatz erwartet, auch wenn nur die Hälfte bezahlt werden sollte. Da der Markt umstritten war und die Firmen um Kunden kämpften, wurden diese Projekte angenommen. (Mit dem Effekt, dass die Firma letztendlich in Konkurs ging.)

Eines Tages bot sich mir die Gelegenheit, mit diesem Kunden zusammen in der U-Bahn zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt steckte ich burnoutbedingt in einer tiefen Sinnkrise und täglich mitzukriegen, wie Kunden darum feilschten, die Arbeit nicht voll bezahlen zu müssen, die sie aber in vollem Zeitumfang und Qualität erwarteten, hatte mich desillusioniert. Ich meinte zu ihm also, dass es kein Signal für Wertschätzung wäre, wenn einer um jeden Euro streitet, den er für eine geleistete Arbeitsstunde zahlen soll. Dass man das Gefühl bekomme, die Arbeit wäre für den Kunden nichts Wert. Man begänne, sich Fragen zustellen, was man da überhaupt mache, warum und für wen und ob es sich lohne, seine wertvolle Lebenszeit zu verscherbeln wie einen billigen Krempel beim Discounter. Zugegeben, damals war mir alles egal, ich musste mich jeden Morgen mit Mühe davon abhalten, vor den Zug zu springen. Jedenfalls sagte der Kunde, man dürfe den Wert der Arbeit nicht in Geld messen. Man dürfe nicht den Fehler machen, zu glauben, nur weil einer für eine Arbeit kein Geld zahlen wolle, wäre sie nichts wert.

Philosophisch gesehen hatte er recht. Und so sehr ich mich damals über seine überhebliche Antwort geärgert hatte, mit der er vor sich nur sein menschenverachtendes Vorgehen rechtfertigte, jetzt hält sie mich über Wasser. Nur war sein Nichtbezahlenwollen damals keine Hilfe zu moralphilosophischen Erkenntnisprozessen, ganz im Gegenteil: gefeilscht wurde nur, weil es zum Spiel gehörte. Die Preisdrückerei entstand nicht aus einer wirtschaftlichen Notwendigkeit, sie war ein marktwirtschaftliches Prinzip. Man zahle nicht den Wert einer Arbeit sondern den niedrigst verhandelbaren Preis.

Ein Bekannter versuchte, aus dieser Spirale auszubrechen. Diese ständigen Streitereien um den Preis hatten dazu geführt, dass egal wie wenig er verlangte, immer noch weiter runtergehandelt wurde. Am Ende hätte er wohl noch zahlen sollen, um die Arbeit machen zu dürfen. (Und das ist nicht einmal so unüblich in einigen Branchen, so pervers das auch klingt.) Also beschloss er eines Tages, für seine Arbeit nichts mehr zu verlangen. Er nannte seinen Kunden keine Preise mehr, sondern sagte zu ihnen, sie sollten das zahlen, was ihnen seine Arbeit wert wäre. Plötzlich war nicht mehr »Sieger«, der ein »Geschäft« gemacht hatte, weil er runtergehandelt wurde, plötzlich gehörte eine adäquate Bezahlung zum »Sieg«. Man wollte sich nicht lumpen lassen. Man wollte nicht als respektlos gelten oder knausrig. Man wäre ein ehrbarer Geschäftsmann. Vor allem, wenn die Kunden mehrere Aufträge mit ihm machen wollten, fühlten sie sich bemüßigt, ihre hohe Wertschätzung zu zeigen.

Natürlich gab es den ein oder anderen, der das ausnutzte, und nichts oder wenig zahlte. Aber der konnte nicht wiederkommen. Nicht, weil der Bekannte ihm nichts gemacht hätte, sondern weil der Kunde mit der minderwertigen Bezahlung das Signal gesetzt hatte, die Arbeit hätte ihn nicht zufriedengestellt. Psychologisch war das interessant, dieses Spiel um die kognitive Dissonanz. Und eine Gegenthese zur Philosophie »meines« Kunden.

 

Ich glaube, wenn E-Books keinen festen Preis hätten, die Leser sie vom Autor persönlich (also Auge in Auge) beziehen würden, und je nach Lesegenuss bezahlen sollten, viele weit mehr zahlen würden, als 2,99. Und das deckt sich insofern mit meiner persönlichen Erfahrung, dass viele Leser meine Bücher KAUFEN wollen, obwohl sie sie gratis haben konnten, obwohl sie sie schon gelesen haben.

 

Und da ist immerhin der versöhnliche Teil dieses Kapitels:

 

Denn so, wie es Leser gibt, die Bücher nur zurückgeben, weil sie sie nicht zahlen wollen, die sie auf Piratenseiten runterladen oder nur in die Ramschkisten zu Diskounterpreisen grapschen, gibt es eine Menge anderer. Leute, die zahlen, obwohl sie es nicht müssten. Die einen Weg suchen, die Arbeit auch finanziell wertzuschätzen. Ich werde immer wieder gefragt, wann manche meiner Gratisgeschichten in den Verkauf kämen, denn man WOLLE für meine Texte zahlen, schon allein, damit es noch mehr davon geben kann.

Und das sind dann diese Momente und Gewichte auf der anderen Seite der Waagschale. Dort, wo begeistertes Feedback liegt, wo tolle Kommentare und Rezensionen liegen, wo trotz allem nette Verkaufszahlen liegen, wo Leute plötzlich klar machen, dass Kooky Rooster für sie nicht bloß eine Marke ist. Sie ermöglichen, dass es mehr geben kann. Dass ich das Schreiben noch eine Weile durchziehen kann. Dass ich in den dunklen Stunden, wenn ich mich frage, wozu das alles noch, mich erinnere, dass bei all der Scheiße doch genug da sind, die auf Neues von mir warten und dass mein klar formuliertes Ziel immer gelautet hat: Ich möchte es schaffen, dass Leser bei einem Text von mir einmal laut lachen und einmal Tränen vergießen. Und solange mir das gelingt, krieg ich das schon alles irgendwie gebacken.

Aber ich sollte aufhören, mich mit gewissen Dingen zu beschäftigen. Jetzt weiß ich, warum viele Künstler/Autoren Manager haben, die ihnen diesen Kram vom Hals halten. Er kann unglaublich frusten und einem die Muse zernagen.

Das Ende einer Lesenacht

 

Oder: »Der Lektor ist ein Scheißkopf.«

 

23:00

Ich lege mich mit einem Buch, auf das ich mich schon länger gefreut habe, ins Bett und beginne meine allnächtliche Leserunde vor dem Einschlafen.

 

23:10

Mir fällt auf, dass die Figuren in dem Buch viel zu »sehen« aber wenig zu »blicken« oder »schauen« haben. Wie schon öfter in letzter Zeit senke ich das Buch und frage mich, ob es einen Unterschied zwischen »sehen« und »schauen« gibt, ob »blicken« und »sehen« dasselbe sind. Ich frage mich, ob ich eher auf die Uhr sehe, oder schaue. Ob ich jemandem in die Augen sehe oder schaue oder gar blicke.

»Sehen« ist nahe am Sinnesorgan und eine relativ nüchterne Wahrnehmungsbeschreibung, die mehr zwangsläufig als gezielt erfolgt. »Ich sehe auf die Uhr«, klingt für mich mehr so, als würde es beim Umherschweifen passieren und nicht so sehr ein bewusster Akt sein, wie etwa: »Ich schaue auf die Uhr.« »Schauen«, klingt für mich eben direkter, bewusster. »Sehen« eher passiv, »schauen« eher aktiv. Und dann gibt es ja noch nette Worte wie blicken, glotzen, starren, glupschen …

In diesem Buch aber gibt es nur »sehen«. Inflationär. Zumindest oft genug, dass es mich zu stören beginnt und ich im Kopf anfange, die Verben durch bessere zu ersetzen. Immerhin eine nette Übung.

 

23:20

Die Protagonisten in dem Buch »gehen« auch dauernd. Wieder unterbreche ich das Lesen und beginne nachzuzählen, wie oft auf einer Seite »gegangen« wird. Insgesamt macht das die Szene sehr belanglos, schleppend. Er ging hierhin. Er ging dorthin. Er ging rauf und er ging runter. Er ging nach links und dann ging er nach rechts. Das klingt so leidenschafts- und belanglos, dass ich mich zu fragen beginne, wozu das aufgeschrieben wurde. Dass die Figuren nicht herumfliegen, ist klar, aber dieses ständige Gehen bekommt den faden Beigeschmack einer tickenden Uhr.

Generell fällt mir nun auf, was mich insgeheim an dem Buch schon länger stört: Als Leser wird man selten in die neue Szene geworfen, sondern man geht da hin – in der Regel mit einigen langweiligen Unterbrechungen. Man geht in den Flur, geht zur Umkleide, geht dort zum Schrank und danach geht man zur Tür und geht aus dem Haus, geht dann zum Bäcker und geht an Schaufenstern vorbei und geht immer weiter, bis man endlich bei der nächsten relevanten Szene angekommen ist. Man spaziert auch nicht, marschiert nicht, humpelt, torkelt oder wankt selbst alkoholisiert nicht, sondern geht gnadenlos, mitunter sogar unter präziser Nennung aller Nahrungsmittel, die unterwegs genossen werden, in die nächste erzählenswerte Situation. Dynamik klingt anders, und da es ein Kriminalroman ist, finde ich auch die Spannung, die damit flöten geht, fatal.

 

23:30

Zum wiederholten Male stolpere ich über eine Formulierung, die mir die Galle hochkommen lässt. Sie findet etwa alle zwei Seiten oder öfter statt und ich habe mittlerweile Schaum vorm Mund. Nein, schlimmer, ich fürchte mich mittlerweile vor jeder neuen Seite. Es sind Formulierungen wie diese:

 

»Haben Sie Durst?«, füllte der Wirt einen Bierkrug.

 

»Ich habe ihn gestern in der Nähe der Kirche gesehen«, sortierte Manfred die Akten.»

 

Der Pfarrer konnte mir nichts Relevantes nennen«, machte der Inspektor einen Bissen von seinem Sandwich.

 

Teilweise sind die Formulierungen dahingehend noch schmerzhafter. Bei den ersten Malen zuckte ich zwar, bemühte mich aber, darüber hinwegzusehen. Kann ja mal passieren, so ein missglückter Satz. Wer ohne Fehler ist, werfe den ersten Stein. Ich erinnere mich daran, dass ich in meinem ersten »richtigen« Buch (Der Kuss) in der Erstversion ähnliche Sätze benutzt hatte. Dankenswerterweise hat mich eine Kollegin darauf hingewiesen und mit rotglühenden Ohren, habe ich alles ausgebessert. Als Autor ist man manchmal blind gegenüber dem eigenen Text. Umso wichtiger, wenn einen jemand auf solche Stilverbrechen aufmerksam macht, auf dass man diese Stellen töten, hinrichten und niedermetzeln kann, denn das haben sie verdient.

 

Vor allem diese kriminellen Dialogsätze sorgen schließlich dafür, dass ich nicht mehr weiterlese und stattdessen erst einmal eine Runde vor mich hinfluche und schließlich diesen Text hier schreibe.

Das Buch, das ich lese, hat kein armer Autorennovize geschrieben, der sich als Selfpublisher versucht und weder Lektor noch Korrektor hat. Im Gegenteil. Es ist die vierte Auflage eines großen, bekannten Taschenbuchverlags. Für dieses Buch habe ich zehn Euro hingeblättert. Inhaltlich finde ich es interessant. Abgesehen von den genannten Ärgernissen mag ich auch den Schreibstil des Autors und den Protagonisten. Ich würde sehr gerne weiterlesen, komme aber an meine Grenzen.

Als Selfpublisher bekommt man immer wieder um die Ohren gehauen, dass man Korrektoren und Lektoren beschäftigen soll, und dass die Qualität der Selfpublisher insgesamt ganz mies wäre, weil diese sich das oftmals nicht leisten.

Der große Vorteil eines Verlags, weswegen man als Autor auch nicht 40% des Verkaufspreises, sondern nur 5% bekommt, ist, dass ihm unter anderem ein Lektor zur Seite gestellt wird, der aus einem einigermaßen gelungenen Buch ein ziemlich gelungenes Buch machen kann. Weiters wird oft betont, dass ein Lektor niemand ist, der Rechtschreibfehler oder dergleichen ausbessert. Dafür gibt es den Korrektor, und auch den bekommt man mit einem Verlag zugewiesen.

Im vorliegenden Buch hat der Korrektor saubere Arbeit geliefert. Bisher fielen mir keinerlei Rechtschreib-, Beistrich-, Grammatik- oder Tippfehler auf. Das, was mich an dem Text echt aufstößt, hätte ein Lektor sehen und ankreiden müssen.

Natürlich weiß ich, dass das letzte Wort der Autor hat und manche da sehr eigenwillig sind. Vielleicht denkt der Autor, diese Satzverbrechen wären »sein Stil«, machten ihn zu einem unverwechselbaren Literaten und er möchte sich keinesfalls zu so einem textopportunen Weichei abqualifizieren lassen.

Aus diesem Grund fische ich ein anderes Buch dieses Autors aus meinem Regal, das ich vor einiger Zeit gelesen hatte und bei dem mir nicht in Erinnerung ist, dass es mich hat Blut spucken lassen. Ich lese einige Seiten, blättere durch, verfange mich in interessanten Textpassagen, fühle mich gut unterhalten. Aber keines der oben genannten Ärgernisse. Zwar »sieht« der Protagonist etwas viel, was mich auch in manch anderen Büchern von anderen Autoren stört, aber die Dialoge sind einwandfrei und der Protagonist hatscht auch mal, statt immer nur zu gehen. Der Text ist insgesamt runder und angenehmer zu lesen. Der Stil des Autors unterscheidet sich nicht vom mittlerweile verhassten Buch.

An mangelnder Kritikfähigkeit des Autors scheint es also nicht zu liegen. Offenbar hat er dazugelernt oder sich vom Lektor des anderen Buches durchaus etwas sagen lassen.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass ich während des Lesens: »der Lektor ist ein Scheißkopf«, schreie. In den vergangenen Wochen hielt ich insgesamt vier Bücher bekannter Verlage (lauter unterschiedliche) in Händen und fand grobe Schnitzer, vor denen ich als Autor erwarten würde, gewarnt zu werden. Dinge, die zu bemerken des Lektors Job sind. Anders, als ein Testleser, ist er professionell, anders, als ein Korrektor, sollte es ihm darum gehen, dass der Text zu einem Lesevergnügen und nicht zu einem Leseärgernis wird. Klar, aus dem beschissenen Text eines talentfreien Autors kann er keine Hochliteratur zaubern. Aber da über 90% der Manuskripte abgelehnt werden, findet da ohnehin eine ziemlich deftige Vorauswahl statt. Zudem ist auch für einen Laien erkennbar, ob ein Autor schreiben kann, oder nicht.

Aber es ist auch bekannt, dass ein Autor seinem eigenen Text gegenüber blind wird. Dreht man jeden Satz fünfmal um, beschäftigt man sich monatelang mit der Geschichte, verliert man die Distanz. Deswegen wird auch empfohlen, den Text vor der Überarbeitung mindestens sechs Wochen in einer Schublade zu belassen. Besser wären mehrere Monate, um eben diese gewisse Distanz aufzubauen, die einem die Chance gibt, gewisse Schwächen und ungute Tendenzen aufspüren und verbessern zu können.

Jeder Autor hat an sich schon bemerkt, dass er in jedem Buch die Tendenz hat, gewisse »Lieblingsbegriffe« zu oft zu benutzen, oder unsägliche Formulierungen mehrmals einzubauen. Mit einer gewissen Distanz wird er sie erkennen und ausbessern. Nicht immer gelingt das. Hier beginnt meines Erachtens die Aufgabe des Lektors. Fällt dem auf, dass sämtliche Figuren bloß sehen oder gehen können, dafür aber in der Lage sind Dialoge in Gläser zu füllen, in Akten zu sortieren oder von einem Sandwich abzubeißen, sollte er das dem Autor klar machen. Falls er diese Schnitzer überhaupt bemerkt – und wenn er sein Handwerk auch nur rudimentär versteht, dann bemerkt er sie auch. Andernfalls hat er den Beruf verfehlt und der Verlag täte gut daran, ihn zu feuern und das Buch einem anderen Lektor zu überantworten.

Was mich im vorliegenden Fall so schockiert, ist, dass ja mindestens zwei Professionisten an dem Text dran waren, denen diese Dinge hätten auffallen müssen. Spätestens bei der dritten oder vierten Auflage hätte man diese Schnitzer ausbessern können – ich bin überzeugt, dass entsprechendes Feedback beim Verlag eingegangen ist.

 

Im vergangenen Monat stolperte ich über folgende Dinge, die meiner Meinung nach ein Lektor hätte bemerken müssen, beziehungsweise würde ich das von einem erwarten.

 

– Wiederholung/1

Eines der Bücher hätte man gut und gerne auf ein Drittel kürzen können, ohne dass der Inhalt darunter gelitten hätte. Es gibt die Menschen, die alles, was sie sagen, gleich hinterher noch einmal wiederholen. (Die nerven mich übrigens tierisch.) In diesem Fall waren das ganze Absätze, die stets mit anderen Worten sofort wiederholt wurden, manchmal sogar zwei oder drei Mal.

Alle paar Seiten habe ich genervt gestöhnt und mich gefragt, wo der Lektor war. Das war einer dieser typischen Fehler, die Autoren manchmal schwer selbst erkennen können, da sie mit dem Kopf zu tief in ihrer Geschichte stecken.

 

– Wiederholung /2

Der Fall war weniger drastisch, dennoch aber nervig. Die Mitarbeiter einer Firma in dem Buch hatten für einen bestimmten Raum eine eigene, scherzhafte Bezeichnung, die am Anfang des Buches erläutert wird. Im Verlauf der folgenden rund 400 Seiten wurde der Begriff jedes Mal mit einem eingeschobenen Satz noch einmal erklärt. Das klang in etwa so:

 

Der Bauer melkte die Kühe – Pflanzenfresser mit neun Mägen, die bis zu 150 Liter Milch am Tag geben können – und dachte dabei noch einmal über die vergangene Nacht nach.

 

Man stelle sich vor, jedes Mal, wenn eine Kuh im Buch auftaucht, würde stets im ähnlichen Wortlaut noch einmal erklärt, dass es sich dabei um einen Pflanzenfresser handelt, der raue Mengen Milch liefert. Mit der Zeit wurde ich richtig wütend, weil ich dachte: Hält mich der Autor für schwachsinnig?

Da ihm aber sonst im Text keinerlei Vergleichsweise Schnitzer passiert sind, sich eigentlich das ganze Buch recht flüssig liest, kam ich zunehmend ins Grübeln. Er verlangt dem Leser einiges ab, da viele technische Vorgänge erklärt werden – diese aber nur ein einziges Mal. Warum muss er dann dauernd diesen einen simplen Begriff noch einmal ausführen? Zumal die Erklärung ziemlich unnatürlich in den Satz gedrängt wirkt, fast so, als hätte er beim fertigen Buch mit »Suchen und Ersetzen« nach diesem Begriff gesucht und einen Erklärungssatz eingeschoben.

Mir drängt sich der schlimme Verdacht auf, dass das das Werk eines Lektors gewesen sein könnte. Vielleicht fürchtete er, dass diese Bezeichnung dieses Raumes irreführend ist. Sollte dem so sein (und in der Tat ist der Begriff unnötig deplatziert), wäre seine Aufgabe gewesen, den Autor vielleicht von einer weniger missverständlichen Bezeichnung zu überzeugen. Die dauernde Erklärung jedenfalls hat es schlimmer gemacht. Weit schlimmer.

 

– »Sehen«

Das fällt mir in vielen Büchern auf, dass ein Protagonist immer nur »sah«. Auf die Uhr, einen verdächtigen Vorgang, jemandem tief in die Augen … Irgendwie klingt da so saftlos. Mag eine individuelle Sache sein, aber mich stört das sehr.

 

– Namen

In einem der Bücher begannen die Namen fast aller Figuren mit dem Buchstaben ›C‹. Egal ob weiblich oder männlich. Es muss eine Herausforderung gewesen sein, all die Namen so beginnen zu lassen, ohne in ein verbrämtes ›Ch‹ abzurutschen. Abgesehen davon, dass ich dauernd beim Lesen die Personen vertauschte, manche Absätze zweimal lesen musste, weil ich sie fälschlich einer anderen Figur zugeordnet hatte, oder immer mal kurz unterbrechen musste, um mir jetzt die richtige C-Figur in Erinnerung zu rufen, grübelte ich das halbe Buch lang nach, ob es sich um einen versteckten Code handeln könnte, irgendeinen symbolischen Hinweis. Ob mir der Autor mit diesem ›C‹ vielleicht etwas Bestimmtes mitteilen will.

Bislang ist mir nichts dergleichen auf- oder eingefallen. Vielleicht war es dem Autor nicht einmal bewusst – er suchte vielleicht einfach nur nach Namen, die ihm gefielen oder nicht so geläufig sind. Meiner Meinung nach hätte ein Lektor auf so etwas hinweisen müssen. Vor allem, da dieser Buchstabe im Deutschen eh etwas … nun … problematisch in der Aussprache ist. Vermutlich würden sich dem Autor die Zehennägel kringeln, wenn er aus fünf beliebigen Regionen mal hören würde, wie die Namen ausgesprochen werden.

 

– geschlürfte, gegessene oder gesehene Dialoge

… wie bereits oben erwähnt.

 

Vielleicht sind meine Ansprüche zu hoch. Nicht zuletzt aufgrund des Vorwurfs gegenüber Selfpublisher, sich für ihre Texte keine Lektoren leisten wollen, denke ich oft darüber nach, mal einen zu beschäftigen. Aktuell ist das finanziell noch nicht denkbar, aber wenn ich geschätzte 1.000,- investiere, dann erwarte ich mir ganz klar, dass solche und ähnliche Schnitzer gefunden und angekreidet werden. Es wäre eine ärgerliche Fehlinvestition, wenn ich vielleicht in ein oder zwei Jahren, wenn ich weitere Fortschritte gemacht habe, erkennen müsste, dass mich ein Lektor hat anlaufen lassen.

Ich weiß, dass Autoren, die nicht gerade Stars sind, von Verlagen in Sachen Marketing stiefmütterlich behandelt werden. Cover kann ich selbst machen. Als eines der großen, überzeugendsten Pro-Argumente für die Zusammenarbeit mit einem Verlag habe ich daher immer gesehen, einen Lektor und einen Korrektor zur Seite gestellt zu bekommen. Spätestens seit dem Buch, über das ich mich gerade so aufrege, sehe ich diesen Vorteil schwinden. Man verzichtet als Autor auf nicht gerade wenig Geld, wenn man die Dienste eines Verlags in Anspruch nimmt. Wenn die Arbeit dann so schlecht gemacht wurde, dass jeder Laie als Testleser professionellere Hinweise liefern kann, stellt sich mir durchaus die Frage, wozu?

 

Ich kenne jemanden, der aus Prinzip mittlerweile kein Verlagsbuch mehr liest, das nach 1990 herausgegeben wurde, da seiner Meinung nach ab da ein unerträglicher Qualitätsabfall zu verzeichnen wäre, für den er keinen Cent ausgeben wolle. Diese Person warf mir vor, mit dem Kauf des aktuellen Buches die miese Qualität von Verlagsbüchern zu unterstützen. Er meinte, dass ein Verlag doch gar keinen Grund hätte, bessere Arbeit zu leisten, wenn die Leser die Scheiße trotzdem kaufen.

Diese Ansicht finde ich zu extrem. Zumal beim Kauf nicht gleich zu erkennen ist, ob ein Buch ordentlich lektoriert wurde. Aber die Person sagte auch, dass sie gegenüber Tipp- oder Rechtschreibfehler toleranter sei. So etwas »könne halt passieren«, aber schlecht lektorierte Bücher »passieren« nicht, sie sind bewusst schlechte Arbeit.

Einig waren wir uns in der Ansicht, dass wir bei Büchern von Selfpublishern andere Ansprüche haben. Das Wissen, dass diese ihre Werke im Alleingang produzieren und keine professionelle Unterstützung durch einen Verlag erhalten, lässt über manche Schnitzer leichter hinwegsehen.

In der Tat. Als ich mir vorstellte, das vorliegende Buch wäre nicht durch einen Verlag publiziert worden, sondern direkt durch den Autor, hätten mich die genannten Dinge zwar auch gestört, aber bei weitem nicht derart geärgert. Eventuell hätte ich dem Autor sogar geschrieben, um ihn auf die meiner Meinung nach so unnötigen Schnitzer hinzuweisen. Zumindest fühle ich mich mitunter dazu verleitet, den Verlag anzuschreiben, um den Namen des Lektors zu erfahren, damit ich, sollte ich jemals einen engagieren, unter keinen Umständen an ihn gerate. Quasi eine Blacklist für Lektoren.

 

Vermutlich ärgert mich die Sache auch gerade so sehr, weil mir das Buch an sich sehr gefällt, aber mein Frustlevel mittlerweile gleichauf ist, sodass ich kaum weiterlesen kann. In diesem Fall besonders tragisch, da es von der Serie mittlerweile vier weitere Bücher vom selben Verlag gibt, die ich mir eigentlich schon im Vorrat kaufen wollte, aber noch nicht dazu kam. Jetzt bin ich sehr froh, sie nicht gekauft zu haben, denn ich sehe schwarz, jemals ein weiteres Buch in dieser Verlags/Autorenkonstellation zu lesen. Schade.

Und es ärgert mich auch besonders, weil man sich als Selfpublisher, der sich noch keinen Lektor leisten kann, immer wieder beschimpfen lassen muss, vor allem von Verlagsautoren. Dabei fällt mir auf, dass mir die oben genannten Schnitzer bisher bei Selfpublishern so gut wie nicht untergekommen sind. Interessant, nicht?

Negative Kritik – Verriss

 

Die Zehn Gebote für den Umgang mit Kritik auf ein Buch:

 

  1. Eine Kritik ist keine Kriegserklärung.
  2. Rechtfertige dich niemals.
  3. Reagiere nicht, solange du verletzt bist!
  4. Wenn du dich nicht bedanken kannst, halt die Klappe.
  5. Lecke niemals öffentlich Wunden.
  6. Respektiere die Meinungsfreiheit.
  7. Die Sicht auf eine Sache ist nicht die Sache selbst.
  8. Nimm an, was du für gerechtfertigt hältst, den Rest vergiss.
  9. Die Kritik betrifft dein Buch, nicht deine menschlichen Qualitäten.
  10. Du musst keine Kritiken lesen.

 

Alternativ kannst du deine Kritiker auch, wie Uwe Boll, zu einem Boxkampf herausfordernd. Das stelle ich mir sehr befriedigend vor.

 

Ich glaube, einen Verriss kann kein Autor einfach wegstecken. Da investiert man über tausend Stunden in ein Buch, brennt in der Begeisterung, watet durch die Hölle der Zweifel, schleppt sich durch die Wüste der Überarbeitung, quält sich mit verspannten Körperteilen und schlaflosen Nächten, ist mehrmals kurz davor, das Handtuch zu schmeißen und wird zum Selbstmotivationsguru, der es irgendwie dann doch noch schafft. Erschöpft aber glücklich lässt man das Baby in die Welt, ein bisschen wehmütig, weil man am Schluss, so froh man ist, dass es vollbracht ist, dann doch noch gerne ein bisschen mehr Zeit mit den Protagonisten in ihrer Welt verbracht hätte. Im Buch steckt viel von einem Selbst, auch in fiktionalen Texten, und ist damit verwundbar.

Und dann kommt einer daher, investiert gerade Mal ein paar Euro und ein paar Stunden, und nimmt sich heraus, über die Protagonisten herzuziehen, den Plot zu zerreißen und darzulegen, dass das Buch eine Katastrophe ist, furchtbar, das Schlimmste, was er je gelesen hätte. Er macht sich nicht einmal die Mühe, zu Ende zu lesen, ehe er die Geschichte öffentlich hinrichtet.

 

Welchen Autor lässt sowas kalt? Welcher Autor fühlt sich da nicht zutiefst verletzt und auseinandergenommen?

 

Schreiben ist ein einsamer Beruf. Wenn man sich nach Monaten des Schreibens endlich mit seiner Geschichte hinauswagt, ist man dünnhäutig und angreifbar. Anders, als in den meisten anderen Berufen, hat man bis zum großen Tag, an dem man die Geschichte anderen zeigt, keine Anhaltspunkte, wie die Arbeit ankommen wird. Anders, als in den meisten anderen Berufen, ist man auf sich gestellt, trägt die volle Verantwortung und kann sich weder auf Kollegen noch Chefs rausreden. Anders, als die Arbeit in den meisten Berufen, hat das Werk verdammt viel mit der eigenen Person zu tun und ein Angriff auf ein Buch fühlt sich immer an, wie ein Angriff auf einen selbst.

 

Wenn ich eine negative Kritik lese, beginnt mein Herz zu rasen, mir wird heiß, meine Finger zittern, die Ohren dröhnen, alles beginnt sich zu drehen, dann folgen Zustände, die sich gut anhand der fünf Sterbephasen nach Kübler-Ross zeigen lassen.

 

1. Nicht-wahrhaben-Wollen und Isolierung

Ich gerate in eine Art Schockzustand. Das ist ein emotionales Plateau, indem ich zu dieser Kritik überhaupt keine Empfindung habe. Manchmal lache ich sogar jovial darüber und kann erstaunlich souverän antworten. Ich behaupte und glaube auch selbst, die Kritik juckt mich nicht im Geringsten. Meine Devise: Abhaken, weitermachen. Ich weigere mich, mich damit zu befassen, es an mich heranzulassen.

 

2. Zorn und Ärger

Doch es lässt mich einfach nicht in Ruhe. Ich lese die Kritik nochmal durch. Dann nochmal. »Was für ein vom Leben verwöhnter Arsch maßt sich da an, über die Gefühle meiner Protagonisten zu urteilen?« – »Nimmt der Kritiker zur Basis seiner ›Meinung‹ irgendwelche Fernsehserien, oder wie kommt er zu seiner absurden Erwartungshaltung?« – »Ist sinnerfassendes Lesen zu viel verlangt?« – »Wie kommt der dazu, sich öffentlich über ein Buch auszulassen, ohne sich die Mühe gemacht zu haben, es überhaupt zu Ende zu lesen?«

 

3. Verhandeln

Jetzt beginnt die Rechtfertigungslawine. Meist muss ein Freund daran glauben. Ich zeige ihm die Kritik, die Stellen im Buch und frage ihn: »Ist das missverständlich oder unauthentisch?« – »Ein Mensch, der dieses oder jenes durchgemacht hat, reagiert doch nun einmal so, oder?« Ich zerpflücke und analysiere und rechtfertige mir einen Wolf. Ganz schrecklich ist es, wenn mir ein Kritiker ausgerechnet eine Stelle als unglaubwürdig angekreidet hat, die ich aus eigener Erfahrung genau so erlebt habe. In dieser Phase schwanke ich oft zu Phase 2. »Verwöhnte Zicke, kennt sich mit dem Leben nicht aus, aber meint, mir erzählen zu müssen, wie sich ein Traumatisierter verhält. Schlampe, blöde.«

 

4. Depression

Die Zweifel nehmen überhand. »Der Kritiker hat recht.« – »Alles, was ich schreibe, ist Kackmist.« – »Alle meine Protagonisten sind unauthentisch, meine Plots unglaubwürdig, eigentlich ist alles nur gestapelte Scheiße.« – »Ich sollte nie wieder schreiben.« – »Ich hab’s einfach nicht drauf.« – »Was maße ich mir auch an?« – »Ist der Strick eigentlich noch im Werkzeugkoffer?«

Sämtliche aktuellen Projekte werden eingestellt. Ich kann nicht schreiben. Die aktuelle Geschichte erscheint mir mies, unglaubwürdig, es fühlt sich an, als hätte der Kritiker mein in Arbeit befindliches Werk zerpflückt. Ich zweifle und hadere. Hier fließen Tränen und ich lecke meine Wunden. Alles tut weh. Die Welt ist scheiße. Ich hoffe, ich werde bald erlöst von diesem Scheißplaneten.

 

5. Akzeptanz

So unrecht hat der Kritiker nicht. Hier und dort stimme ich ihm zu. Hatte ich nicht beim Schreiben selbst an dieser Stelle Zweifel? Mir ist klar, dass das Buch seine Schwächen hat, dass es nicht perfekt ist. Das ist eben auch das Problem mit dem Schreiben: Kein Text ist je perfekt und man muss die Kunst erlernen, es auch Mal gut sein zu lassen, sonst wird man mit dem Überarbeiten niemals fertig. Es wird immer einen größeren Perfektionisten und einen schlimmeren Pedanten als mich geben, und der legt dann die Finger auf die Stellen, die ich so belassen musste. Jeder hat sein Recht auf eine eigene Meinung und der ein oder andere Hinweis ist sogar hilfreich für mein aktuelles Werk. Aber ich stimme ihm nicht in allem zu. Beziehungsweise das, was er kritisiert, ist von mir beabsichtigt. Er konnte es nicht erkennen, aber zumindest weiß ich jetzt, dass ich auch wirklich die Wirkung erzielt habe, die ich im Auge hatte. Zudem hat eine Kritik immer mehr mit dem Kritiker als mit dem Werk zu tun. Um mir das wieder bewusst zu machen, suche ich mir die Kritiken zu Büchern heraus, die ich genial finde, die ich liebe, Weltliteratur, Bestseller. Und sie alle haben sie, diese Kritiken, die das Buch zerreißen und schlechtmachen, die kein gutes Haar daran lassen.

Geschmäcker sind eben verschieden.

 

Ich vermute, mit der ein oder anderen Abweichung wird es den meisten Autoren so gehen. Schon immer habe ich mir Tipps und Tricks zum Schreibhandwerk durchgelesen, auch, als ich dachte, das mit der Schriftstellerei würde nichts mehr werden. Einer der wertvollsten Tipps, die ich je gelesen habe, betraf den Umgang mit Kritik.

 

NIEMALS RECHTFERTIGEN!

 

Ein Buch besteht aus zigtausend Buchstaben und Wörtern. Darin sollte alles Erzählenswerte festgehalten sein. Man sollte sich also niemals dazu hinreißen lassen, sein Buch zu erklären. Die Geschichte muss für sich stehen. Befindet man sich noch im Schreibprozess, ist es besser, die Unklarheiten im Buch zu beseitigen, als dem Leser zu erklären, wie es eigentlich gemeint war.

 

Natürlich möchte man toben, zürnen, sich erklären und richtigstellen, immerhin haben wir das so gelernt und funktioniert unser soziales Miteinander meistens auch so. Greift uns einer an, verteidigen wir uns, argumentieren, streiten nötigenfalls. Wir wollen Missverständnisse nicht stehen lassen, Falschanschuldigungen aus dem Weg räumen und es tut vielen von uns weh, zu wissen, dass uns jemand nicht mag. Wir wollen geliebt, gemocht oder zumindest akzeptiert werden. Fühlen wir uns zu unrecht in der Öffentlichkeit angegriffen und haben keine Chance, uns zu verteidigen, fühle wir uns ohnmächtig und verzweifelt. Manchen setzt es so zu, dass sie krank werden. Andere werden ausfällig, aggressiv, ziehen in den Krieg, lassen sich zu Diffamierungen und Rachefeldzügen hinreißen. Ein verletztes Ego und gekränkter Stolz haben mitunter eine enorme Zerstörungskraft.

Aber so zu reagieren ist unseriös und es zeigt ein wenig sympathisches Bild von uns. Wir wirken unreif und nicht gerade professionell. Was beim Publikum ankommt, ist nicht unser verständlicher Schmerz, sondern unser feindseliges, kindisches, rüpelhaftes Verhalten. Wir gelten als ›nicht kritikfähig‹ und damit als jemand, dem gegenüber man nicht offen und ehrlich sein kann.

Eine derartige Reaktion ist schon bei privater Kritk problematisch, aber wenn man es in der Arena austrägt, vor hunderten Fans, Kollegen und potentiellen Geschäftspartnern, kann man sich ziemlich schnell einen üblen Ruf einhandeln und schlimmstenfalls nicht mehr ernst genommen werden.

 

Wir müssen also etwas tun, das uns viel abverlangt: Ruhe bewahren, souverän bleiben. Die Dinge da stehen lassen, wo sie sind und sie nicht wo hinzerren, wo sie nicht hingehören. Der Sturm der Emotionen geht vorüber. Wir kennen uns gut genug, um zu wissen, dass sich die Sicht auf die Dinge mit ein bisschen Distanz verändert, unser Blick dann klarer ist. Wir räumen uns diese Zeit ein. Wir können zwischen uns und unserem Werk unterscheiden. Wir wissen, dass es verschiedene Perspektiven gibt und die Sicht auf eine Sache noch lange nicht die Sache selbst ist. Unser Werk spricht für sich. Wer es nicht versteht, für den ist es nicht geschrieben.

Natürlich leiden wir, scheiße, wir sind so wund, möchten alles kurz und klein hauen oder uns heulend im Bett verkriechen. Das alles machen wir in unserem stillen Kämmerlein, denn diese Gefühle sind temporär, überdauern selten ein paar Stunden oder Tage. Wie wir aber öffentlich reagieren, das überdauert Jahre und wir würden ganz schön unprofessionell wirken, wenn wir bei jeder Gefühlsregung einen Krieg anzetteln, eine Menge Menschen verletzen und verstören, und dann, wenn die Krise abgeklungen ist, geduckt zurückrudern und uns überall erklären und entschuldigen oder gar beleidigt zurückziehen müssen.

Souverän zu reagieren heißt nicht, keine Gefühle zu haben, sondern mit ihnen erwachsen umgehen zu können. Es ist auch ein Selbstschutz, gerade wenn man sehr sensibel ist. Je mehr man öffentlich tobt und um sich schießt und andere verletzt, umso stärker und härter wird der Gegenwind und am Ende hat man statt einer schmerzhaften Kritik einen ganzen Shitstorm am Hals. Da lohnt es sich, schon allein um sich in den Spiegel sehen zu können, durchzuatmen und Abstand zu gewinnen, ehe man reagiert.

 

Übrigens etwas, das man sich auch gerne im privaten Miteinander angewöhnen kann. Kritikfähige Menschen werden sehr geschätzt und gewinnen ein ehrlicheres, aufrichtigeres Umfeld.

Der Demenzdialog

 

Der Dialog ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Wenn zwei Protagonisten miteinander sprechen, müssen sie daher permanent richtigstellen, dass sie einander meinen, und nicht etwa jemand anderen. Vor allem, wenn sie nur zu zweit sind.

 

»Heute ist ein sonniger Tag, Erwin«, sagte Joachim.

»Ja, Joachim, keine Wolke am Himmel«, erwiderte Erwin.

Joachim blickte hoch. »Hoffentlich bleibt das so, Erwin, denn ich habe keinen Regenschutz mit.«

»Keine Sorge, Joachim, ich habe zwei Regenmäntel.«

 

Seufz.

Leider wurde mir wieder einmal der Genuss einer vermutlich tollen Geschichte verleidet, weil in fast jeder Dialogzeile der Name des angesprochenen Protagonisten fiel. Wenn das gelegentlich passiert, vor allem in sehr aufgeheizter Stimmung, um den anderen wachzurütteln oder im Streit zu ärgern, ist nichts dagegen einzuwenden. Aber wenn wirklich bei jedem einzelnen Satz, mit dem ein Protagonist den anderen anspricht, dessen Name fällt, gewinne ich den Eindruck, Zeuge eines Kabaretts zu sein. Ihr wisst schon. Die beiden Spaßvögel stehen auf der Bühne und bewerfen sich von der Seite mit Kalauern. Um das zumeist demente Altenheimpublikum aufzuklären, wer sie sind, sprechen sie sich dabei dauernd mit dem Namen an:

 

»Wir haben heute ein ausgesprochen tolles Publikum, Erwin.«

»Ja, Joachim, sieh dir bloß all die knusprigen Ladys an.«

Eingespieltes Lachen und KLatschen.

»Soll ich dir erzählen, was mir auf dem Weg hierher passiert ist, Erwin?«

»Nein, Joachim, dafür hat hier keiner Zeit.«

Eingespieltes Johlen.

 

Mit einem Wort: Es ist eine Katastrophe.

Etwa fünf Seiten lang versuchte ich, darüber hinwegzulesen, denn mich interessierte die Geschichte und ich wollte wissen, wie es weitergeht. Aber irgendwann hatte ich Ernie und Bert vor mir. Irgendwann sprachen schlecht gestickte Sockenpuppen miteinander. Irgendwann standen zwei alternde Komiker in der Sitcom, und dem fernsehdementen Publikum wurde nach jedem Satz eine Reaktion auf Band vorgespielt.

Ich musste aufgeben.

Und ich war stinksauer.

Irgendwann wollte ich auf den Monitor einhämmern und schreien: »Ja, verdammt, ja, ich weiß, mit wem du sprichst, ich weiß es, weiß es, weiß es, du musst es mir verdammte Scheiße nochmal nicht mit jedem verdammten Satz ins Hirn prügeln!«

Wie oft kommt es im realen Dialog zwischen Menschen vor, dass man einander bei jedem Satz mit dem Namen anspricht? Keine Frage, es gibt solche Leute. Denen weiche ich aus. Denen möchte ich mit einer Axt den Schädel spalten. Meistens aber wird man doch nur dann mit dem Namen angesprochen, wenn unklar ist, wer im Raum gemeint ist – und in der Regel ist nach einem Mal klar, dass das jetzt ein Dialog ist und man nicht mit jedem weiteren Satz festhalten muss, dass man NOCH IMMER mit betreffender Person spricht. Oder, wenn keiner sonst anwesend ist, um jemanden zu wecken, der vielleicht gerade konzentriert liest oder fernsieht. Auch da ist nach einem Mal Schluss.

Ansonsten erlebe ich die andauernde Namensnennung nur, wenn ein Elternteil tadelnd auf ein Kleinkind einredet und sich alle drei Sekunden vergewissern muss, dass der kleine Racker nicht an Einhörner denkt, statt Mama zuzuhören. Aber sogar Kinder sind unglaublich angenertvt davon und fangen dann erst recht an, in die Welt der Einhörner zu fliehen.

Jemanden dauernd mit dem Namen anzusprechen hat mitunter etwas Joviales. In einem Dialog unter Gleichberechtigten, oder sogar potentiellen Liebespartnern hat dieses arrogante Gehabe nichts zu tun.

 

Merke: In Dialogen sprechen die Protagonisten einander nicht dauernd mit dem Namen an.

 

Eigentlich so gut wie nie. Sollte man als Autor panische Angst haben, dass dem Leser unklar ist, welcher der beiden jetzt spricht, dann sind vielleicht Redebegleitsätze angebracht.

Im vorliegenden Fall gab es diese zusätzlich. Wie oben im ersten Beispiel aufgeführt. Dadurch ging mir bereits auf Seite drei der Name der Protagonisten fürchterlich auf die Nerven, und das ist ganz, ganz schlecht.

 

Adverbien, Adjektive, Füllwörter

 

Wer schon Mal in etwa fünfzig Meter an einem Schreibratgeber vorbeigehoppelt ist, wird es bereits vernommen haben: Adjektive, Adverbien und Füllwörter sind der literarische Antichrist. Mir ist bisher nicht ein einziges Medium zum Thema Schreiben untergekommen, in dem nicht früher oder später dieses Thema auftauchte. In der Regel mit der Regel: Don’t use it. Never. Oder zumindest beinahe-never.

In einem Forum gab es dazu jüngst eine Diskussion, oder zumindest eine Kritik an der Kritik an Füllwörtern. Sie wären doch die Handschrift des Autors. Man solle einen Text nicht verstümmeln.

Ich bin jemand, den man über guten Schreibstil ködern kann. Hat ein Autor einen bestechenden Stil, könnte er mir auch jeden Tag seinen Morgenstuhl beschreiben, ich würde es mit Verzückung lesen. Erst vor Kurzem ist mir ein Buch in die Finger geraten, dessen Stil dazu führte, dass ich mich seit vielen Jahren erstmals wieder Hals über Kopf in einen Text verliebte und, obgleich mir lesbische Anwandlungen so fern sind, wie nur was, habe ich mich auch ein wenig in die Autorin verliebt. Am liebsten möchte ich ihr schon jetzt alle Bücher abkaufen, die sie jemals schreiben wird. Ich möchte den Boden anbeten, auf dem sie geht. Ich kann kaum ertragen, dass es bis zum nächsten Buch vielleicht noch ein oder zwei Jahre dauern könnte.

 

Okay … genug geschwärmt … ähm … Frisur richten, Sabber vom Kinn wischen.

Was ich damit hoffentlich erschöpfend klar gemacht habe: Mir geht guter Stil über alles, sogar über den Plot. Wenn jemand der Ansicht ist, man dürfe die Sprache auf keinen Fall durch Verbote verstümmeln, bin ich der Erste, der dafür auch mit Transparenten und Megaphon auf die Straße liefe, um Talent zu verteidigen.

Aber: Massenhaft Füllwörter, Adjektive und Adverbien in einen Satz stopfen, ist kein guter Stil, sondern billige Effekthascherei. Oder anders: Eine Handschrift wird nicht schöner, wenn man statt I-Pünktchen Herzen malt. Es wird eher plakativ und zeigt in erster Linie, dass da ein Anfänger am Werk ist. Herzen statt Pünktchen ist Grundschulniveau.

Ich habe mich oft gefragt, warum alle Schreibratgeber so brutal und nachhaltig auf die doch eigentlich so schönen Wörter eindreschen. Eine Frage, die sich erübrigt, wenn man mal einen Text gelesen hat, der tatsächlich versucht, durch Füllwörter und Adjektive/Adverbien zu bestechen. So stolperte ich über eine Geschichte, in der der Autor recht inflationär das Wort »wirklich« gebrauchte. Gelegentlich in einen Dialog eingestreut kann es eine ironische Wirkung erzielen. In diesem Fall aber, uahhh, Gänsehaut. Ich wurde ständig aus dem Text gerissen.

Mit Texten, die der Adjektivitis anheimgefallen sind, ist es ähnlich. Man müsste bei jedem Adjektiv einmal innehalten und sich das Bild oder Gefühl bewusst in den Kopf rufen. Bei rund fünf Adjektiven pro Satz wird das mühsam. Was passiert? Man beginnt im besten Fall, über die Adjektive drüberzulesen und gewinnt den Eindruck, der Text wäre zäh.

Füllwörter wiederum können einen Text massiv abschwächen.

Es ist eine Weile her, da bekam ich einen Text zum Überarbeiten. Der Autor hatte ein Talent, Bilder und Gefühle zu wecken, er konnte Wörter sehr gezielt einsetzen. ABER: Er musste jeden einzelnen Satz mit mindestens einem Füllwort abschwächen. Kaum stand das Bild, wurde es sofort wieder verwischt und relativiert. Am Ende fühlte es sich ein bisschen so an, als wäre man durch Nebel gelatscht. Man hatte das Gefühl, irgendetwas in dem Text überlesen zu haben. Dem Text fehle etwas.

Das Gegenteil war der Fall. Dem Text fehlte nichts, er hatte zu viel. Zu viel Relativierung. Ich habe dann mal sehr grob die Füllwörter herausgestrichen, ein paar unnötige Adjektive (denn es reicht manchmal, nur ›zart‹ zu schreiben, statt ›zart und sanft‹), und am Ende war da ein handfester Text. Man spürte ihn. Da wurde richtig das Gehirn gefickt, konnte man sagen. Der Stil des Autors wurde damit nicht geschwächt, sondern gestärkt. Meine Meinung.

Sollte der Autor aber beabsichtigen, den Leser durch eine Nebelwand zu schicken, an dessen Ende er sich leicht befeuchtet aber nicht berührt fühlt, dann ist es richtig, zu verwaschen, was das Zeug hält. Dann kann man diese Wörter sehr gezielt für genau diesen Effekt einsetzen. Mit Absicht.

 

Dennoch: Warum reiten sämtliche Schreibratgeber so darauf herum? Darüber habe ich lange nachgedacht. Vor allem, da Adjektive, Adverbien und Füllwörter ja nicht aus reiner Bosheit in unserer Sprache existieren, um Autoren zu schlechten Texten zu verführen. Jeder, der anfängt, für sich zum Spaß zu schreiben, hat vielmehr das Gefühl, blumige Adjektive zu benutzen wäre genau das, was einen guten Autor ausmacht. (Es sei denn, er hat bereits einen Schreibratgeber inhaliert.) Kaum jemandem fällt bewusst auf, dass Bücher mit gutem Stil meistens so geschrieben sind, dass man nicht merkt, dass man liest. Einfache Sätze, tatsächlich wenig Adjektive und Füllwörter. Der Text ist das Meer, die Geschichte das Traumschiff darauf. Der Text ist ein Transportmittel, manchmal tiefgründig, gelegentlich mit gefährlichen Wellen und manchem Strudel durchtrieben, aber das Ziel ist, das Schiff heil von A nach B zu bringen. Wenn das Meer zu sehr tobt, geht das Schiff unter. Das möchte kein Autor und noch weniger möchte das ein Leser.

 

Ich erinnere mich an die Schulzeit. Meine Aufsätze und Schularbeiten in Deutsch begeisterten die Lehrer. Obwohl ich Legasthenikerin bin und meine Texte am Ende mehr Rotstift als blaue Tinte aufwiesen, musste ich jede Geschichte in der Klasse vorlesen. Selbst, wenn mir meine ungeheuerliche Rechtschreibung Fünfen einbrachte, hatte ich immer mehrere Zeilen Lob zu meinem Text stehen. Vermutlich habe ich den ein oder anderen Deutschlehrer zum Weinen gebracht. Er liebte meinen Stil, er liebte meine Art, Geschichten zu erzählen, aber er musste mich durchfallen lassen, weil ich das mit der Rechtschreibung nicht auf die Reihe bekam.

Das ist ewig her. Deswegen brauchte ich länger, zu begreifen, warum man Autoren erst einmal die Adjektive, Adverbien und Füllwörter austreiben muss. In der Schule sind sie gewollt. In der Schule soll, ja muss man sie anwenden. Zum einen, damit man auch an diesen Wörtern die Rechtschreibung übt, zum anderen, damit man lernt, sie richtig in den Satz einzubauen. Stichwort Grammatik. Mehr oder weniger, das wird auch von den Lehrern abhängen, werden wir in der Schule darauf trainiert, möglichst alle Wörter zu benutzen, die wir kennen. Und da fehlerfrei geschriebener Text vor stilistisch guten Text geht, werden wir darin bestärkt.

Der Text kann noch so Scheiße sein, wenn er keine Rechtschreibfehler aufweist, wenn die Grammatik passt, bekommen wir eine Eins. Wenn der Text brillant ist, aber jedes Wort falsch geschrieben, bekommen wir eine Fünf. So ist das mit der Schule. Wir lernen nicht, gut zu schreiben, sondern richtig zu schreiben. Und wir werden in der Regel auch sehr bewusst zur Adjektivitis erzogen. Anders kann ein Lehrer ja kaum prüfen, ob man Adjektive richtig schreibt und benutzt.

Unsere Leser sind aber keine Lehrer, die kontrollieren müssen, ob wir Adjektive, Adverbien oder Füllwörter richtig schreiben und grammatikalisch richtig im Satz einbauen können. Wenn Schreibratgeber also auf diese Wörter hindreschen, dann hat das nicht den Grund, dass Adjektive, Adverbien und Füllwörter per se böse sind. Es heißt auch nicht, dass man sie niemals verwenden sollte. Vielmehr ist das erst einmal das Bemühen, die durch die Schule anerzogene Textkrankheit zu heilen. Gemäß Paracelsus: Die Dosis macht das Gift. Richtig, gezielt und sparsam angewendet, sind diese Wörter wunderbar. Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen: Ihre sparsame Anwendung krönt sie. Wie Gold oder Diamanten ist es ihre Seltenheit, die sie so wertvoll macht.

Die zarte goldene Kette, die das Dekolletee einer Dame schmückt, kommt besser, als der vierzig Kilo Goldkettenpanzer eines Gangsterbosses. Letzteres wirkt billig und plakativ, schüchtert ein und lässt uns nicht wegen seiner atemberaubenden Schönheit hinsehen. Die Absicht ist auch nicht Verführung, sondern Abschreckung.

So einen Text wollen wir nicht. Wir wollen verführen, nicht abschrecken.

 

So. Und was heißt das nun ganz konkret?

 

Fast jedes Adjektiv kann man durch ein Bild zeigen. Statt:

 

Thomas ist traurig …

 

… zu schreiben, können wir auch zeigen, dass er traurig ist.

 

Thomas ließ den Kopf hängen.

 

Je nachdem, wie nah wir an Thomas dran sind, können wir von der Außenansicht in die Innenansicht wechseln.

 

Thomas’ Blick wurde verschwommen. Er hatte versagt. Schon wieder.

 

Wenn wir dem Leser sagen, dass Thomas traurig ist, nehmen wir ihm das Erlebnis. Okay, wir wissen, was Traurigkeit ist, aber fühlen wir es? Wird dieses Gefühl greifbar?

In Variante zwei wissen wir es aufgrund der Körperhaltung und da kommt schon ein bisschen Mitgefühl auf.

In Variante drei bekommen wir die Gelegenheit es selbst zu spüren. Zudem bietet uns das Ausformulieren von Adjektiven auch noch die Gelegenheit, den Plot zu zeigen. Aber, aber … ist ›verschwommen‹ nicht auch ein Adjektiv? Kommen da nicht Füllwörter vor? ›Wieder‹. Ein wertendes Wort? ›Schon‹.

Jarp. Trotzdem klingt es besser, oder? Sie sind nicht per se böse. Das meine ich. Man kann traurig noch auf tausend andere Arten zeigen, in vielen Versionen auch ohne Adjektive und Füllwörter. Ihr seid eingeladen, das zu versuchen.

 

Gelegentlich jage ich Absätze meiner Texte durch Programme, die böse Wörter aufspüren. Solche »Stilprüfungstools« gibt es auf ein paar Seiten im Internet, oder auch mit Software wie etwa Papyrus.

Wenn ich das mache, dann nicht, um brutal jedes angezeichnete Wort rauszulöschen und dann heulend vor der Textruine zu stehen. Solche Tools sind, wie der Name schon sagt: Tools. Werkzeuge. Wenn ich einen Hammer in die Hand nehme, haue ich auch nicht alles platt, weil das ist ja ein Hammer und dessen Job. Wenn ich damit einen Nagel in die Wand schlagen will, muss ich das mit Gefühl machen, sonst kann ich kein Bild mehr aufhängen.

Genau so sind diese Tools zu verwenden. Sie helfen, UNNÖTIGE Wörter aufzuspüren. Es sind Anregungen, vor allem, da man als Autor oft blind gegenüber dem eigenen Text ist.

Wenn ich mich mit solchen Analysetools spiele, versuche ich, das ein oder andere Wort herauszunehmen und lasse den Satz auf mich wirken. Wird er intensiver, freue ich mich. Verliert er die eigentliche Aussagekraft, ist das Wort wohl zu essentiell.

Gelegentlich, wenn mir sehr langweilig ist, oder ich ein wenig trainieren will, versuche ich einen Absatz so lange zu bearbeiten, bis diese Tools keinen Fehler mehr anzeigen. Da ziehen schon mal Stunden ins Land und am Ende klingt der Absatz völlig anders. Meistens nicht schlechter, oft sogar recht gut, aber es ist nicht mehr meine Stimme, nicht mehr meine Sprache. Es geht, wenn ich das mache, auch nicht darum, meinen Schreibstil zu verändern, sondern es ist eben ein Training. Dabei erkenne ich, was machbar ist. Wie Text funktionieren und wirken kann. Und es macht Spaß. Mir zumindest.

Es macht auch einen Unterschied, wie man Adjektive in einen Satz einbaut.

 

Thomas bekommt einen verschwommenen Blick.

Thomas’ Blick ist verschwommen.

 

Ich finde den ersten Satz anstrengender zu lesen, aber es kommt auch auf den Kontext an.

Wenn ich meine Texte überarbeite, streiche ich manchmal rigoros bestimmte Wörter raus, auch wenn ich da ein leichtes Ziehen in der Brust spüre. Meine Philosophie ist: Wenn ich am nächsten oder übernächsten Tag diesen Text noch einmal lese, und ich habe nicht das Gefühl, dass etwas fehlt, lasse ich das Wort weiterhin weg. Bleibe ich aber hängen und vermisse etwas, dann muss es wohl wieder eingefügt werden. Da ich auch nach Gehör – also Melodie und Klang eines Satzes und Absatzes gehe, kann alleine das schon ein bestimmtes Wort nötig machen, da sonst eine Viertelnote fehlt und ich beim Lesen dauernd stolpere.

Was ich übrigens auch gerne mache: Textausschnitte berühmter Autoren durch so ein Programm jagen. Ob alte Meister, neue Talente, Texte, die ich selbst etwas träge finde, Texte, die ich liebe, querbeet. Manchmal bin ich überrascht, dass diese tatsächlich kaum Fehler aufweisen, da ich gefühlsmäßig den Eindruck hatte, der Stil ist doch so blumig und kunstvoll, da muss es doch eine Menge besonderer Wörter geben, die man meiden sollte.

 

Um noch einmal auf das Buch zurückzukommen, in das ich mich verliebt habe. Wie in den bisherigen Kapiteln sicher schon sichtbar wurde, tu ich mir, seit ich selbst schreibe, schwer, Texte zu genießen. Ich habe fast an jedem Buch etwas auszusetzen. Sogar genügend Verlagsbücher in der x-ten Auflage machen es mir schwer. Bei über 90% der Bücher beginne ich, im Geiste Sätze umzubauen oder Anmerkungen zu machen. Ich muss mich in Nachsicht üben, so arrogant sich das auch anhört. Auf der anderen Seite brauche ich das auch, denn ich will bessere Texte schreiben und das kann ich nur, wenn ich aufmerksam und kritisch lese und mir bewusst mache, was mir gefällt und was ich nicht mag.

In dem Buch, in das ich mich verliebt habe, ist jeder Satz perfekt. Das war beim Lesen schon richtig unheimlich. Man kann sagen, ich habe irgendwann angefangen, nach zumindest 0,2% misslungenen Sätzen zu suchen. Ich wollte das Haar in der Suppe finden. Ich wollte so etwas sagen können, wie unnötiges Adjektiv. Unglückliche Satzstellung. Störende Wortwiederholung. Schlecht gesetzter Absatz. Abschwächendes Füllwort. Verpatzter Dialog. Verdammt, irgendetwas muss es doch zu bemängeln geben.

Gab’s nicht.

Was nicht heißt, dass da keine Adjektive vorkamen oder keine Füllwörter oder Wortwiederholungen. Aber die Autorin hat das gekonnt und bewusst gemacht. Sie hat einen Stil, in dem das einfach nur … perfekt ist. Ich habe mittlerweile zwei Bücher von ihr gelesen, beide zwischen 300 und 400 Seiten Umfang und ich fand nicht einen einzigen Satz, den ich zu beanstanden hätte. Das war eine echte Wohltat. Seitdem bin ich auf der Suche nach weiteren Büchern dieser Art, von denen ich schon dachte, es gäbe sie nicht.

Übrigens las ich direkt darauf ein Buch, das meine Magensäure zum Kochen brachte. Warum und wieso schreibe ich in einem anderen Kapitel. Aber wer ein Autor ist und schon einmal in fünfzig Metern Entfernung an einem Schreibratgeber vorbeigehoppelt ist, kennt das Thema. Es hat mit show, don’t tell zu tun.

 

Da ohnehin auf jedem Blog und in jedem Schreibratgeber das Thema Adjektive, Adverbien und Füllwörter erschöpfend behandelt wird, belasse ich es hiermit dabei. Sollte der Wunsch aufkommen, dass ich das eingehender beleuchte, meldet euch.

Links zu Stilprüfungstools:

schreiblabor

stilversprechend

wortliga

 

Ein nicht nur wegen der Stilprüfung interessantes Programm. (Man kann eine Testversion runterladen.)

papyrus

 

Ach ja. Und das hier sind echt gute Tipps fürs Überarbeiten. (Und Herr Eschbach würde sich freuen zu erfahren, wenn es euch hilft. Schreibt er selbst.)

andreas eschbach: 10 – punkte-Text-ÜV

Interrobang (Format Fuuuu 3)

 

Klingt das nicht total versaut?

Ich werde dieses Wort in meinen Sprachgebrauch einfließen lassen und mal die Blicke auf mich wirken lassen.

Aber was ist das? Dieses Interrobang?

Als jemand, der von sich glaubt, bei Begriffen zu Formatierung nicht völlig unbedarft zu sein, muss ich gestehen, dass ich dieses Wort noch nie zuvor gelesen oder gehört habe. Ich stieß darauf, als ich in Bezug auf Satzzeichenkolonnen recherchierte. Ihr wisst schon, diese furchtbare Angewohnheit, Lesern oder Protagonisten ins Gesicht zu brüllen!!!!!?????

Ich hasse es. Das ist für mich ein Stümpersieb.

 

Das Interrobang ist ein Zeichen, das sich aus Rufzeichen und Fragezeichen zusammensetzt.

Konkret:

 

 

Albern, nicht? Im deutschsprachigen Raum wird es nicht verwendet, es ist nicht standardisiert, aber es existiert. Muss man das wissen? Nein. Denke nicht.

 

Aber man sollte wissen, dass man ›?!‹ am besten nicht, und wenn, dann nur äußerst spärlich einsetzen sollte. Und hierbei gibt es, ja, es ist Korinthenkackerei, aber das gibt es, eine Regel:

 

Fragezeichen VOR Rufzeichen

 

also so: ?!

nicht so: !?

 

Und damit ist zum Thema Satzzeichenaneinanderreihung alles gesagt. Zumindest was Rufzeichen und Fragezeichen betrifft. Ebenso wie der Punkt als Ende eines Satzes, reicht ein Fragezeichen oder ein Rufzeichen und im nötigsten Notfall beides, aber jedes nur einmal und in der richtigen Reihenfolge.

 

Niemals: ???

Niemals: !!!

Niemals: ???!!!

Niemals: !!!???

 

Interessantes oder amüsantes Detail am Rande: In Leetspeak, bzw. Computerjargon gibt es auch die ironische Überhöhung der Rufzeichen, die man sich als eine beabsichtigte »zu erregt um die Shift-Taste zu erwischen«-Formation vorstellen kann. Das sieht dann in etwa so aus:

 

!!!!!!111

 

Was, der Ironie sind im Internet nicht wirklich Grenzen gesetzt, auch zu einem:

 

!!!111oneone

 

und so weiter erhöht werden kann.

Macht Spaß beim Spielen oder Chatten, aber nicht in einem Roman.

Und das (leider) übliche Grundsätzliche: Zwischen den Satzzeichen erfolgen keine Leerzeichen.

 

Richtig:

Meinst du das ernst?!

 

Falsch:

Meinst du das ernst ?!

Meinst du das ernst ? !

Meinst du das ernst? !

uns so weiter.

Klammern und Co. (Format Fuuuu 4)

 

Satzzeichenkolonnen sind böse, das wissen wir schon. Illegal sind mehrere Ruf- und Fragezeichen hintereinander, legal aber nur spärlich einzusetzen sind Frage- und Rufzeichen hintereinander, geläufig Satzzeichen der direkten Rede, die ja auch mehr oder weniger als Kolonnen gesehen werden können.

Immer wieder aber stolpere ich über weitere Fragen zu Satzzeichen. Wie zum Beispiel:

Wie schreibt man das korrekt, wenn man einfache Anführungszeichen am Anfang oder Ende einer direkten Rede benutzt? Oder wie man Satzzeichen im Rahmen einer Klammer benutzt?

 

Als Beispiel mal diesen schrecklichen Satz, ohne Satzzeichen:

 

Was meinst du mit Das geht so niemals fragte er.

 

Ich möchte das in eine direkte Rede setzen und das Fettgedruckte unter einfachen Anführungszeichen. Zudem möchte ich den gesamten Satz als Frage, den fetten Satz als Ausrufungssatz kennzeichnen.

 

»Was meinst du mit Das geht so niemals!‹?«, fragte er.

 

Rufzeichen – schließendes einfaches Anführungszeichen – Fragezeichen – schließendes Anführungszeichen – Komma.

Uffz.

Ist das wirklich korrekt so?

In der Tat, das ist zulässig, aber ich habe den Inhalt des Satzes nicht zufällig so gewählt. Wenn möglich, sollte man versuchen, derartige Satzzeichentänze zu vermeiden.

 

Würden ich auf Ruf- und Fragezeichen verzichten, wäre auch das hier korrekt:

 

»Was meinst du mit Das geht so niemals‹«, fragte er.

Oder

»›Das geht so niemals hast du gesagt

 

Lasse ich nur das Rufzeichen innerhalb des Zitates weg:

 

»Was meinst du mit Das geht so niemals‹?«, fragte er.

 

Wie bei der direkten Rede allgemein üblich, wird der einfache Punkt als Satzzeichen ausgelassen, Ruf- oder Fragezeichen gelten eher als Lautmalerei, denn als Abschluss des Satzes.

 

Klammern:

 

Zunächst: Im geschriebenen Text ist nur eine Form von Klammern zulässig:

 

( = alt + 40

) = alt + 41

 

Andere Klammern, wie [ ] oder { } werden zwar in der Mathematik oder beim Programmieren benutzt, aber nicht in Fließtexten. (Wobei hier als Ausnahme gilt, wenn innerhalb einer Kammer etwas in Klammer steht [was man in Romanen besser meidet, wie der Teufel das Weihwasser].)

 

So, und wie baut man Klammern nun formattechnisch mit anderen Satzzeichen in einen Text ein?

 

Klammern kann man ähnlich wie Gedankenstriche benutzen – Satzzeichen bleiben hier bei dem Satzteil, zu dem sie gehören. Ebenso müssen die übergeordneten Satzzeichen beibehalten werden.

 

Er hat mich so intensiv angeschaut was für Augen! –, dass ich weiche Knie bekam.

Er hat mich so intensiv angeschaut (was für Augen!), dass ich weiche Knie bekam.

 

Ein Satz innerhalb einer Klammer wird wie ein Satz außerhalb einer Klammer gesetzt.

 

Von seinem Blick bekam ich weiche Knie. (Seine Augen sind sehr intensiv.)

Oder:

Von seinem Blick bekam ich weiche Knie (seine Augen sind sehr intensiv).

 

Der Vollständigkeit halber (hier denke bereits an zähe Mathematikstunden):

 

Er hat mich so intensiv angeschaut (was für [hellblaue] Augen!), dass ich weiche Knie bekam.

Von seinem Blick bekam ich weiche Knie (seine Augen sind sehr intensiv [und hellblau]).

 

(Ihr dürft erbrechen.)

 

Grundsätzlich:

Die Klammer ist ohne Leerzeichen an den eingeklammerten Satz gekettet, aber vom übergeordndeten Satz getrennt.

 

Richtig:

Er hat sehr intensive (hellblaue) Augen.

Ich kriege weiche Knie (von seinem Blick).

 

Falsch:

Er hat sehr intensive( hellblaue )Augen.

Er hat sehr intensive ( hellblaue ) Augen.

Er hat sehr intensive(hellblaue)Augen.

Ich kriege weiche Knie(von seinem Blick).

Ich kriege weiche Knie ( von seinem Blick ) .

Ich kriege weiche Knie( von seinem Blick ).

Ich kriege weiche Knie (von seinem Blick.).

Ich kriege weiche Knie (von seinem Blick.)

Ich kriege weiche Knie (von seinem Blick. )

usw.

 

So. Und weil es mich juckt, steigere ich die legale Satzzeichenkollonne noch:

 

Ich war echt sauer an dem Tag (als du gesagt hast: »Du nervst mit deinem ständigen Schatz?‹!«).

Fett und Schräg (Format Fuuuu 5)

 

Ein eigenes (hoffentlich kurzes) Kapitel zur Formatierung von Satzzeichen. Konkret meine ich damit:

 

Was tu ich mit einem Satzzeichen, das sich an ein kursives oder fettgedrucktes Wort anschließt?

 

Darüber kann man hübsche Streitereien im Internet finden. Zu folgenden Ergebnissen bin ich bislang gelangt: Das Satzzeichen hinter einem Wort wird in der selben Formatierung verfasst, wie das Wort, außer, es bezieht sich auf übergeordnete Satzzeichen (wie Klammern oder Anführungszeichen).

 

Um das konkret bildlich darzustellen (Ruf- und Fragezeichen habe ich gesetzt, weil man damit die Beispiele besser sieht, als bei einem Punkt):

 

Richtig:

Ich wähle willkürlich Worte kursiv, um zu zeigen, wie das geht!

Ich wähle willkürlich Worte fett, um zu zeigen, wie das geht!

 

Falsch:

So macht man es nicht, will man es richtig machen!

So macht man es nicht, will man es richtig machen?

 

 

Richtig:

(Um zu zeigen, wie das in Klammern aussieht, setze ich eine Klammer mit Rufzeichen!)

(Das selbe auch noch einmal in kursiv mit Fragezeichen?)

(Wenn man ein Wort unterstreicht, folgt das demselben Prinzip.)

 

Falsch:

(Hier ein Beispiel, wie das in Klammern nicht aussehen soll!)

(Auch nicht kursiv mit Fragezeichen?)

(Idiotisch wäre, beide Klammern nach dem letzten Wort zu richten, deutlich wird das bei Unterstreichungen!)

 

Richtig:

»Hier ein Beispiel mit Anführungszeichen in kursiv!«

»Und hier ein Beispiel mit Anführungszeichen in fett?«

 

Falsch:

»Hier eine falsche Variation mit Anführungszeichen in kursiv!«

»Und hier eine falsche Variation mit Anführungszeichen in fett?«

 

Richtig:

Wenn der gesamte Satz hervorgehoben wird, schaut das so aus!

»Bei einem vollständig formatierten Satz unter Anführungszeichen, werden diese mitformatiert!«

(Dasselbe, wenn der vollständige Satz in Klammern steht – die Klammern werden mitformatiert!)

 

Falsch:

Wenn der gesamte Satz hervorgehoben wird, schaut das keinesfalls so aus!

»Beispiel dafür, wie man Anführungszeichen bei einem vollständig formatierten Satz falsch formatiert!«

(Das Beispiel zeigt, wie man einen vollständig unterstrichenen Satz in Klammern falsch formatiert!)

was ≠ das

 

 

Immer wieder durchzuckt mich ein Schauer, wenn ich lese, wie Leute, insbesonders Autoren, "was" schreiben, wo "das" hingehört.

 

Beispiel:

Ich zog das Hemd an, was mir ein wenig zu groß war.

 

An dieser Stelle bekomme ich einen Akneanfall. Leider lese ich entsprechende Sätze sogar in Klappentexten oder eingebettet in Texte, die nicht zwangsläufig so klingen, als wäre der Schreiber aus der "Grammatik? Sind das die Bröckchen auf dem Schmalz?"-Fraktion.

Anstatt mir also die Muskeln säuerlich zu seufzen, hier mal eine Klarstellung, wie das denn ist, mit dem Was und dem Das.

 

Das:

 

Das Mädchen, das mir die Blumen brachte, hatte zwei verschieden große Ohren.

 

Das Besonnene, das ich so an ihm liebte, war gänzlich verschwunden.

 

Erklärung: Das "Das" bezieht sich auf ein sächliches Subjektiv (das Mädchen, das Hemd, das Auto …) oder ein bestimmtes substantivlich gebrauchtes Adjektiv (das Besonnene, das Große, das Schöne …)

 

Eine Hilfestellung: "Das" kommt immer dann, wenn du WELCHES einsetzen könntest.

 

Das Mädchen, WELCHES mir die Blumen brachte …

Das Besonnene, WELCHES ich so an ihm …

Ich zog das Hemd an, WELCHES …

 

(Tipp: Diese Hilfestellung hilft im Übrigen auch, wenn du dir nicht sicher bist, ob "dass" oder "das" folgt. Kannst du WELCHES einsetzen, dann kommt immer ein Das, kein Was und kein Dass.)

 

Was:

 

Das war das Schlimmste, was ihr passieren konnte.

 

Alles, was sie will, ist glücklich sein.

 

Sie knallte mit den Türen, was ihn zur Weißglut brachte.

 

Erklärung: Das "Was" bezieht sich auf etwas Allgemeines, etwas Unbestimmtes oder rein Begriffliches, beziehungsweise einen ganzen Satz. Das Hilfswort WELCHES würde hier gänzlich deplatziert klingen.

 

Das war das Schlimmste, WELCHES ihr passieren konnte. (Eher nicht.)

Alles, WELCHES sie will … (aua)

Sie knallte mit den Türen, WELCHES ihn zur Weißglut brachte. (– Mich auch, aber aus anderen Gründen.)

 

 

"Das" folgt auch, sobald man eine Präpositon hinzufügt.

 

Das Schlimmste, was er je erlebt hatte, war die Scheidung.

 

Aber: Das Schlimmste, durch das er je musste, war die Scheidung.

 

 

Sie fand nichts, was sie kaufen wollte.

 

Aber: Sie fand nichts, für das sie Geld ausgeben wollte.

 

 

 

Er bekam das Auto, was ihn freute.

 

Aber: Er bekam das Auto, auf das er sich freute.

 

So, ich hoffe, ich konnte das verständlich ausdrücken und werde nie, nie wieder über derartige Fehler stolpern. Öhöm. Im nächsten Artikel kommt ein verwandtes Ärgernis, nämlich als ≠ wie.

als ≠ wie

 

 

Mit fürchterlicher Regelmäßigkeit stoße ich auf das Verbrechen, in vergleichenden Sätzen Als und Wie falsch einzusetzen. Mitunter beschleicht mich das Gefühl, dass entsprechende Autoren auswürfeln, ob sie nun Als oder Wie benutzen. (Nehmt ihnen bloß die Würfel weg.)

 

Merksatz 1: "Als" und "Wie" sind KEINE Synonyme.

 

Merksatz 2: "Als" drückt eine Ungleicheit aus; "wie" drückt eine Gleichheit aus.

 

Und wie sieht das im konkreten Beispiel aus?

 

Ich bin so alt wie du. (Wir sind beide dreißig Jahre alt = Gleichheit.)

 

Ich bin jünger als du. (Ich bin kesse fünfundzwanzig und du runzelige siebenundsiebzig = Ungleichheit.)

 

Ich bin so klug wie du. (Unser Schachspiel wird erst nach fünfzig Jahren und zwar durch eine Naturkatastrophe beendet = Gleichheit.)

 

Ich bin klüger als du. (Ich weiß, wo dein zweiter Skischuh ist – du nicht = Ungleichheit.)

 

Es ist NICHT erlaubt, sicherheitshalber "als" und "wie" hinzuschreiben, in der Hoffnung, der Leser pickt sich das richtige dann schon heraus. Du kannst nicht gleichzeitig größer als ich und so groß wie ich sein. Ich bin größer als wie du, ist daher keine Methode, Nichtwissen zu kaschieren, sondern die beste Methode, zu zeigen, dass du das Vorzeigebeispiel eines Bildungsverlierers bist. Vermutlich haben sich nach Konsum deiner Worte schon mehrere Menschen gewünscht, du mögest ein Schweigegelübde ablegen. Vermutlich haben Leute bereits versucht, dir deine Schreibgeräte wegzunehmen, um keine weitere derartige Verbrechen lesen zu müssen.

 

Karfiol esse ich lieber als Brokkoli.

 

Karfiol ist genauso gesund wie Brokkoli.

 

 

Karfiol esse ich lieber wie Brokkoli. (= 50 Peitschenhiebe.)

Karfiol esse ich lieber als wie Brokkoli. (= 100 Peitschenhiebe.)

Karfiol ist genauso gesund als wie Brokkoli. (= 200 Peitschenhiebe.)

 

Wörter wie anders, niemand, nichts, umgekehrt … drücken ebenfalls Ungleichheit aus.

 

Schokolade schmeckt anders als Gurkensalat.

Niemand ist schöner als Oswald.

Nichts als Unsinn im Kopf.

Lieber schreibe ich erst den Klappentext und dann das Expose als umgekehrt.

Wer sich zu Formulierungen hinreißen lässt, wie:

Schokolade schmeckt anders wie Gurkensalat.

Niemand ist schöner als wie Oswald.

Nichts wie Unsinn im Kopf.

Lieber schreibe ich erst den Klappentext und dann das Expose als wie umgekehrt.

… möge sich eine Nagelpistole leihen, auf seinen Rist zielen und abdrücken. Das schmerzt auch als wie.

 

Umgangssprache im Roman?

 

 

Jüngst stieß ich auf die Frage einer Autorin, der andere Autoren bescheinigt haben, umgangssprachlich zu schreiben – sie wusste nicht, worauf diese Kritik abzielte. In der Regel sind es Kleinigkeiten, die so breiten Raum im täglichen Sprachgebrauch einnehmen, dass sie uns nicht auffallen. Hinzu kommen auch noch regionale Unterschiede, weswegen ich glaube, dass Menschen, die aus anderen Regionen als der Autor stammen, schneller Umgangssprache im Text zu finden. Beispielsweise sagt man in Österreich wegen mir, obwohl es doch korrekter meinetwegen lauten müsste. Vermutlich würde das kaum einem Landsmann auffallen, wenn er das in einem Text so liest, aber Leser aus anderen Regionen krampfen da vielleicht zusammen.

 

Dabei würde ich Umgangssprache in einem Text nicht völlig ausschließen. Sie kann in der Rede einen wesentlichen Teil zur Glaubwürdigkeit eines Charakters beitragen. Nicht nur könnte damit ein Österreicher in Deutschland identifiziert werden, auch kann man so einen ungebildeten Menschen oder auch das Alter einer Person charakterisieren. Ich würde behaupten, es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Kleinkind oder ein ungebildeter Hilfsarbeiter den Genitiv korrekt benutzen. Mich persönlich schmerzt der falsch benutzte Konjunktiv nach als ob besonders. In meinen Augen kann eine Person, die den Konjunktiv falsch benutzt keinen IQ über 100 haben.

 

Wird die Umgangssprache im Erzähltext angewandt, wirkt das, was man einem Charakter mit ihr andichten würde, auf den Autor: Weniger gebildet, weniger intelligent – und im sprachlichen Ausdruck unbegabt. Eine Katastrophe für einen Schriftsteller.

 

Eine Unterform ist ein Roman, der bewusst umgangssprachlich geschrieben ist. Ein prominentes Beispiel aus Österreich sind da die Brenner-Romane von Wolf Haas. Allerdings ist das keine Bequemlichkeitsmethode, weil man sich mit Sprache nicht auseinandersetzen will. Denn einen Roman so zu schreiben, und dabei glaubwürdig zu bleiben, einen guten Lesefluss zu erzeugen und nicht zu penedrant zu wirken ist ein Tanz auf einem Drahtseilakt. Selbst wenn man es brillant beherrscht, verliert man viele Leser. Obwohl ich die Romane liebe, ertrage ich selten mehr als einen dieser Sorte pro Jahr. Ich kenne Leute, die können so etwas gar nicht lesen. Andere werden süchtig danach. Das alles sollte man einkalkulieren, wenn man diesen Schritt geht, und man muss ihn dann so bewusst und konsequent gehen, dass nicht der Eindruck entsteht, der Autor wäre ungegabt oder Sprachfaul.

 

Einige Aspelkte im Unterschied zwischen Umgangssprache und literarischer Sprache habe ich schon aufgegriffen, und werde dem im Anschluss ein paar weitere Kapitel widmen.

 

Für was braucht man wofür?

 

 

In diesem Kapitel widme ich mich dem Wörtchen "was" in Fragesätzen.

 

Für was ist dieser Gummiring?

Wofür ist dieser Gummiring?

 

Auf was beziehst du dich?

Worauf beziehst du dich?

 

Aus was ist dieser Kuchen?

Woraus ist dieser Kuchen?

 

Bei was habe ich dich gestört?

Wobei habe ich dich gestört?

 

Durch was lässt du dich ablenken?

Wodurch lässt du dich ablenken?

 

Gegen was hast du demonstriert?

Wogegen hast du demonstriert?

 

Hinter was hast du dich versteckt?

Wohinter hast du dich versteckt?

 

In was bist du besonders gut?

Worin bist du besonders gut?

 

Mit was soll ich die Wand streichen?

Womit soll ich die Wand streichen?

 

Nach was sieht das hier aus?

Wonach sieht das hier aus?

 

Neben was hast du die Brille gelegt?

Woneben hast du die Brille gelegt? (Würde ich generell anders formulieren.)

 

Über was ärgerst du dich denn so?

Worüber ärgerst du dich denn so?

 

Um was geht es hier?

Worum geht es hier?

 

Unter was hast du dein Buch eingeordnet?

Worunter hast du dein Buch eingeordnert?

 

Von was ernährst du dich tagsüber?

Wovon ernährst du dich tagsüber?

 

Vor was hast du solche Angst?

Wovor hast du solche Angst?

 

Zu was hab ich dir den Einkaufszettel geschrieben?

Wozu hab ich dir den Einkaufszettel geschrieben?

 

Zwischen was musst du dich denn entscheiden?

Wozwischen musst du dich denn entscheiden? (Würde ich generell anders formulieren.)

 

Die Beispiele in den ersten Zeilen sind ausschließlich in der direkten Rede zu benutzen, um einen ungebildeten Menschen zu zeichnen. Jeweils die zweite Zeile ist in der Erzählform obligat.

 

Meinetwegen – wegen dir

 

Ein weiterer Stolperstein, vor allem für Leute aus dem südlichen deutschen Sprachraum (Ösialarm), ist die Benutzung des Genitivs in Zusammehang mit wegen. Umgangssprachlich wird oft fälschlich der Dativ benutzt.

 

Wegen mir musst du das Fenster nicht schließen.

Meinetwegen musst du das Fenster nicht schließen.

 

Wegen dir bin ich nochmal losgegangen, um Milch zu kaufen.

Deinetwegen bin ich nochmal losgegangen, um Milch zu kaufen.

 

Wegen ihm habe ich das Badezimmer zwei Mal geputzt.

Seinetwegen habe ich das Badezimmer zwei Mal geputzt.

 

Wegen ihr fühle ich mich schlecht.

Ihretwegen fühle ich mich schlecht.

 

Wegen uns müsst ihr euch nicht zurückhalten.

Unseretwegen müsst ihr euch nicht zurückhalten.

 

Wir sind nur wegen euch hier.

Wir sind nur euretwegen hier.

 

Ich habe wegen Ihnen den Uhrlaub abgebrochen.

Ich habe Ihretwegen den Urlaub abgebrochen.

 

Ich habe wegen ihnen nur vegetarisch gekocht.

Ich habe ihretwegen vegetarisch gekocht.

 

 

Auch hier eignet sich die Form des ersten Satzes allenfalls dazu, einen Charakter aus einem bestimmten Regionalraum zu zeichnen. Im Erzähltext sollte der Genitiv korrekt angewandt werden.

"Kritiken liest man nicht, man wiegt sie."

 

 

Diesen Spruch sagt der Autor Kennedy Marr in John Nivens Buch "Straight White Male". Und es hat mir ein so breites Lächeln eingebracht, ein so schönes, tiefes Durchatmen, wie selten ein Spruch (und in dem Buch sind einige Sprüche vorhanden, die mir aus der Autorenseele sprechen).

Dass Kritiken mehr zu wiegen als zu lesen sind, bezieht sich auf den Spruch: "Es gibt keine schlechte Publicity" (was Kennedy Marr zugutekommt).

 

Auch Karl Ove Knausgard, den ich derzeit mit Begeisterung lese, schreibt, dass er keine Kritiken liest. Für sein Seelenheil. Weil das etwas (Schlechtes) mit einem macht. Sie beeinflussen, manipulieren, greifen ein. Bisher habe ich noch bei jedem berühmten und erfolgreichen Schriftsteller gelesen, dass er hunderte Kritiken haben kann, die ihn in den Himmel loben, aber die eine negative, die merkt er sich im Wortlaut, die überdauert alles, die stellt all das Positive in den Schatten. Die eine, die nagt, und selbst hundert Lobgesänge können diesen schwarzen Schleier nicht lüften.

Daher haben sich souveräne Autoren angewöhnt, keine Kritiken und Rezensionen zu lesen. Und vermutlich ist das die beste Entscheidung, um auch weiterhin ein souveräner Autor zu bleiben.

Noch ein Spruch, oder vielmehr ein Zitat, oder nicht einmal das, eine Szene aus dem Film "Birdman – Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit". Der Protagonist und Star Riggan (exzellent gespielt von Michael Keaton) trifft auf eine Kritikerin, die ihm sagt, dass sie sein Bühnenstück zerreissen wird. Ohne das Stück gesehen zu haben, aus Prinzip, weil sie ihn und seinesgleichen hasst. Er hält daraufhin einen Monolog, der mir wahnsinnig aus der Seele spricht und dessen Wahrheitsgehalt auch der Film zeigt. Sinngemäß meint er, dass er ALLES riskiert, und der Kritiker NICHTS. Er (der Kreative) investiere, Zeit, Geld, seine Karriere, sich selbst, aber sie (die Kritikerin) höchsten ein paar Wörter in einem Artikel. Sie wäre faul, denn sie könne sich, ohne sein Werk überhaupt zu sehen, ein paar Wörter aus den Fingern saugen, noch dazu klischeehaften, schlechten Text, sie riskiere eben nichts, NICHTS, im Vergleich zu ihm … und so weiter.

Oh ja, ich saß da wie weggeblasen. Denn es ist das, was ich immer wieder empfinde, nicht nur, wenn ich Kritiken zu meinen eigenen Büchern lese, sondern zu jenen anderer Autoren, noch dazu welchen, die ich persönlich heiß liebe. Man sitzt Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre an seinem Werk, setzt dabei das Wohlwollen seines Umfeldes auf Spiel, verzichtet auf soziale Interaktion, auf Gesellschaft, zieht den Unmut des Partners oder der Kinder oder von Freunden auf sich, weil man schreiben muss. Hunderte Stunden komponiert man alleine vor sich hin, Zeit, viel Zeit. Ist man beruflich Autor, ist diese Zeit alles. Zeit, in der Kosten anfallen, wie Miete, Krankenversicherung, Steuer, Energie, Spesen, Essen, Kleidung, Hygiene … und, je nachdem, das alles nicht nur für sich selbst, sondern auch seine Kinder, Partner, Tiere … Von den äußeren Strapazen um Geld und soziales Umfeld abgesehen, verlangt so ein Buch das meiste jedoch von einem selbst ab, der Seele, dem innersten. Es ist ein Schlachtplatz des Selbstvertrauens, in dem sich Muse und Zweifel bekriegen und zerfleischen. Dass Bücher überhaupt je fertig werden, ist das eigentliche Wunder, denn bisher beobachte ich, dass Autoren nicht gerade zum Völkchen mit besonders stabilem und hohem Selbstvertrauen gehören. Und dann hocken sie alleine im Kämmerchen, müssen alleine bestimmen, ein Blindflug über Schluchten, in denen die Stalagmiten der Selbstzweifel wie Speere in die Höhe stehen, nur bereit, sie im Fall des Falles aufzuspießen, die Aasgeier der Selbstzensur kreisen und versuchen schon beim Schreiben ganze Fetzen aus dem Fleisch zu reißen. Schreiben hat wenig mit diesen romantischen Ideen zu tun, des ganz vor Inspiration dahinfliegenden Autors. Ja, diese Momente gibt es, diese Augenblicke des Flows, in denen alles geil ist, aber das sind eher Ausnahmen, als die Regel. Oft schreibt man "trotzdem" und selten ist der Stolz hinterher ungetrübt. Man kennt die Schwächen, aber man wächst mit der Aufgabe und man weiß, man wird nie ein perfektes Werk abliefern, da man stets bereits bei der Überarbeitung besser wird. Und dann kommt der Moment, da man es hinauslässt, in die Welt, der Moment, da sich zeigt, ob all die Schlachten in einem selbst und mit dem Umfeld einen Sinn hatten, ob sie es Wert waren. Ob es richtig war, sich so zu entblößen, ob es richtig war, dem Leser ein bisschen von sich selbst zu geben …

… und was riskiert ein Kritiker? Im besten Falle liest er das Buch von vorne bis hinten, ein paar Stunden Lesezeit. Von seiner Kritik hängt nicht seine Existenz ab, sein heiles Familien- und Soziallleben, sein Selbstvertrauen. Von seinem Inneren gibt er nichts. Er plagt sich nicht mit Selbstzweifel, wie seine Kritik aufgefasst wird, von ihrem Erfolg hängt nicht ab, ob er die Miete zahlen kann, oder seinen Kindern mal ein richtiges Weihnachtsgeschenk.

Daher sollten einzig die Verkaufszahlen für einen Autor relevant sein. Kritiken und Rezensionen sind höchstens ein Gewicht, womit ich beim Statement von Kennedy Marr bin. Es ist nicht irrelevant, dass ich Rezensionen und Kritken bekomme. Im Gegenteil, je mehr je besser. Aber man sollte sie wiegen, nicht lesen, denn Kritiken zerstören Kreativität.

Aber was ist mit den positiven Kritiken und Rezensionen? Bauen die nicht auf? Jein. Einerseits ist es so, dass man, wenn man Rezensionen und Kritiken liest, man selten vor den negativen halt macht. Wer sich den positiven neugierig nähert, kann selten die negativen ignorieren, und diese zerstören in der Regel jeglichen Benefit durch positives Feedback, wie unfair das auch ist. Wenn man ein wenig sensibel ist und bei Lesern gut ankommen möchte, können positive Rezensionen und Kritiken auch dazu führen, dass man sich durch sie manipulieren lässt, "mehr desselben" schreibt, statt seinen kreativen Ideen zu folgen.

Aber wie sehr ich auch hinter dieser Philosophie stehe, noch ist die Neugier einfach stärker, egal wie zerstörerisch die Kraft ist.

 

Stil als Leidenschaft

 

 

Ich musste gerade googeln, was "sich" für ein Wort ist. Ein Reflexivpronomen. Meine Schulzeit ist lange her und damals wollte ich nur Aufsätze schreiben. Irgendwelche lateinische Namen für deutsche Wörter interessierten mich nicht. Mir war egal, wie man ein Wort nennt, nicht egal hingegen war mir, wo es im Satz stehen soll, wenn ich mit einem halbwegs guten Stil schreiben möchte. Und wenn ich heute nach grammatikalischen Regeln googeln möchte, muss ich zuerst herausfinden, wie man bestimmte Wörter und Regeln überhaupt nennt.

 

Jetzt, über 23 Jahre nach meiner Reifeprüfung, entwickle ich Interesse für all diese grammatikalischen Begriffe und Gesetze. Und zwar echtes Interesse. Mir passiert es immer wieder, dass ich nachts im Bett liege, den Schlaf herbeisehne, und plötzlich durchzuckt es mich: Was ist "sich" für ein Wort? Nicht selten entstehen solche Fragen, nachdem ich ein Wort in einem ungeschickten Zusammenhang gelesen habe, und mich die verquere Satzstellung auch noch Stunden später beschäftigt. Warum klingen manche Sätze so gut und natürlich? Warum klingen manche Sätze so holprig? Warum sind manche Absätze ein einziger wohltuender Fluss, selbst wenn sie komplexte Gedankengänge beinhalten? Warum sind andere Absätze eine Qual und ich muss sie mehrmals lesen, weil sie so unnötig kompliziert klingen, obgleich sie doch Simples transportieren? Das zu untersuchen bereitet mir Freude, und hilft mir ungemein, mein eigenes Schreiben zu verbessern. Hoffe ich zumindest.

 

Bei der Frage nach gutem Stil stoße ich immer wieder auf die Erkenntnis, dass es am Besten ist, so zu schreiben wie man spricht – aber von den Unarten der Umgangssprache bereinigt. Was man in einem Gespräch kaum aus dem Bauch heraus formulieren würde, liest sich oft auch schlecht. In einigen der folgenden Artikeln möchte ich ein paar jener Probleme erörtern, die ich immer wieder bei Selfpublishern entdecke, die kein Lektorat beansprucht haben. Dort aber nehme ich das lieber hin, als in Büchern von Verlagen, wo ich von einem Lektorat ausgehe. Von Lektoren erwarte ich, dass sie in Fragen der Sprache sattelfest sind, und Autoren auf unschöne Formulierungen stoßen, die diesen noch nicht bewusst sind.

 

An mir selbst sehe ich, wie viel ich erst im Laufe des Schreibens und Überarbeitens lerne, wie immer wieder Fragen auftauchen, die immer mehr in die Tiefe gehen. Einst war mir unbegreiflich, wie es möglich ist, über gewisse grammatikalische Phänomene ganze Doktorarbeiten zu schreiben, oder dass sich da ein Hand voll Experten über Jahre hinweg streiten. Mittlerweile kann ich derartige Auswüchse nachvollziehen.

Lese ich mit meinem heutigen Wissen Texte aus meinen Anfängen bei BookRix, entdecke ich, dass ich zwar manches instinktiv richtig gemacht habe, aber so manche Formulierungen würde ich heute so nicht mehr schreiben. Sie sind nicht an sich falsch, aber ich finde sie ungeschickt. Mein Blick hat sich geschärft. Leider mit der Nebenwirkung, dass er auch beim entspannten Lesen aktiv ist.

Bücher, die ich vor Jahren noch lesen konnte, und die mich bewegten, sind mir heute manchmal unerträglich, weil sie so mies geschrieben sind. Dafür wiederum kann ich Texte in anderen Büchern auf eine Weise schätzen, die mir zuvor nicht zugänglich war. Damit verliere und gewinne ich in gleichem Maße. Ähnliches kenne ich auch von meinen stümperhaften Versuchen in vielen anderen kreativen Bereichen, etwa Musik. Was einst irgendeine gute Musik war, die irgendetwas berührte, harmonisch war, eventuell eine eingängige Hookline hatte, wurde plötzlich in ihre Elemente zerlegt. Ich achtete mehr auf die einzelnen Instrumente, darauf, wie und wann und in welcher Intensität sie einsetzen, inwiefern auch Musk jener Spannungskurve wie etwa Geschichten folgen und so weiter. Auf der einen Seite verdarb mir das manche Musik, weil es ihr den Zauber raubte. Auf der anderen Seite aber war ich plötzlich in der Lage, mehr zu hören und das, was ich dann als gut empfand, war richtig gut, füllte etwas, das nicht nur das Herz flutete, sondern auch den Verstand.

Überhaupt finde ich, dass Musik viel mit dem Schreiben gemeinsam hat. Das bemerke ich auch oft in Diskussionen mit Musikern. Die grundsätzlichen Gesetze der Kreativität, aber auch des Aufbaus, des Zugangs, sind gleich. In der Tat erscheint mir ein Text grundsätzlich sehr viel mir Musik, mit Melodie und Takt zu tun zu haben. Ich höre Sätze, die ich lese. Durch ihre Betonung und Satzzeichen erhalten sie Melodien und einen Rhythmus. Oft erkenne ich daran, ob ein Satz stimmig ist. Wenn Melodien und Rhythmus eines Textes repetitiv werden, oder disharmonisch, ist das oft ein Hinweis auf Fehler oder grammatikalische Desaster. Ich schreibe nach Gehör. So kann man das sagen. Natürlich ist das nicht der einzige Parameter, bei weitem nicht, aber einer der wichtigsten.

Kann man Schreiben lernen, oder ist das alleine Sache des Talents? Gibt es überhaupt so etwas wie Talent? Diese Frage findet man früher oder später in fast jedem Forum zum Thema Schreiben, zum Thema Kunst und Schöpfung im Allgemeinen. Oft arten die Argumente dahingehend aus, dass selbsternannte Genies und Talente meinen, Lernen schade dem genetischen Mojo, das ihrer Gabe zugrundeliege und Untalentierte sollten die Finger vom Schreiben lassen, denn ohne dieses Mojo würden sie über peinliche Stümperhaftigkeit ohnehin kaum hinauskommen.

Meine Ansicht dazu: Talent ist ein natürliches, gesteigertes Interesse an etwas, woraus sich eine Leidenschaft entwickelt, die dazu führt, sich mit etwas so oft und intensiv zu beschäftigen, dass man darin zwangsläufig richtig gut wird. So jemand braucht nicht erst einen Lehrer, der ihm vorschreibt, wann er was zu lernen hat, er will oder muss es aus sich selbst heraus. Anders, als vielleicht Untalentierte, analysiert er jeden Text fast automatisch darauf, warum er schlecht oder gut ist und neigt dazu, verschiedene Stile und Textformen auszuprobieren. Er möchte die Blackbox des Schreibmysteriums öffnen, und nicht, sie wie ein Mysterium anbeten oder fürchten. Vielleicht fasst er vieles intuitiv schneller auf, aber das Wissen hockt nicht in den Zellen. Er muss es sich genauso erarbeiten.

Ein Freund sagt dazu: Talent bestimmt einzig und allein, wie schnell man etwas lernt.

Für mich ist in solchen Diskussionen oft schnell klar, wer Talent hat, und wer nicht. Jene Leute, die meinen, ein Talent oder Genie hätte es einfach in sich, und jeder Einfluss durch Lernen wäre ein Sakrileg wider die Natur der Gabe, sind in der Regel nicht die Talente und Genies in der Runde. Ein Talent verweigert sich nicht den Elementen seiner Leidenschaft, es ist begierig darauf. Wer Talent oder Genialität vorschiebt, um nicht lernen zu müssen, weil er es ja im Blut hätte, leidet eher unter narzisstischen Anwandlungen, und das ist deren Texten auch zu entnehmen. Meistens sind sie verschwurbelt und pseudoliterarisch, ihnen fehlt die natürliche Leichtigkeit, weil sie glauben, darin zeige sich die Genialität. Aber das ist falsch. Ein Genie kann komplexe Inhalte so einfach darstellen, dass sie praktisch jeder versteht. Es kann Sätze schreiben, die direkt dort ankommen, wo sie ankommen sollen. Ein Talent oder Genie empfindet es weder als mühsam noch als Affront gegen seine gottgegebene Natur, sich mit Parameter seiner Leidenschaft auseinandersetzen zu müssen. Es zieht daraus sogar einen Lustgewinn.

In den folgenden Beiträgen möchte ich das eine oder andere Thema rund um Stil oder schöneres Schreiben aufgreifen, das mir selbst beim Erkennen einen Lustgewinn bescherte.

 

Wo steht "sich" im Satz?

 

 

Immer wieder lese ich Sätze, die zwar nicht prinzipiell falsch sind, aber seltsam holprig klingen. Der Grund ist oft, dass ein Reflexivpronomen (da haben wir es), an der falschen Stelle steht. In der Schule nannten wir es rückbezügliches Fürwort, und meint Worte wie: mich, dich, sich, uns, euch, mir oder dir. Sehr oft beobachte ich, dass dieses Wort in einem Satz an der falschen Stelle steht, und ihn damit unnatürlich klingen lässt.

 

Weil Kai sich verliebt hat, hat er keinen Hunger.

Weil sich Kai verliebt hat, hat er keinen Hunger.

 

Ich tippe darauf, dass schon beim laut Vorlesen klar wird, dass die zweite Version besser klingt. Als Faustregel kann man sagen, dass das Reflexivpronomen in einem Satz stets so früh wie möglich eingebaut wird.

 

Gestern hat Horst ihn im Wirtshaus getroffen. [–]

Gestern hat ihn Horst im Wirtshaus getroffen. [+]

 

Heute hat mein Mann sich verletzt. [–]

Heute hat sich mein Mann verletzt. [+]

 

Ich wurde rot, als Paul mich ansah. [–]

Ich wurde rot, als mich Paul ansah. [+]

 

Wenn Klaus sich nochmal umdreht, liebt er mich. [–]

Wenn sich Klaus nochmal umdreht, liebt er mich. [+]

 

Bei meinen Recherchen kam ich dazu, dass im Großen und Ganzen beide Versionen als zulässig gelten, beziehungsweise als Variation. Die erste Version ist allerdings etwas verdreht und nicht besonders schön. Das hat so ein bisschen was mit gewollt hochtrabend und wenig mit leserlichem Sprachfluss zu tun. Erlaubt wäre die erste Variante meiner Ansicht nach nur, wenn sie etwas betont.

 

Ich wurde rot, als Paul mich ansah (und nicht Simon.)

Gestern hat Horst ihn im Wirtshaus getroffen (und nicht den anderen.)

 

Es gibt dazu ausholende Regeln, aber ehrlich gesagt … ich gestehe, dass mir das aktuell schon nahezu in die Mathematik geht und es mir zum derzeitigen Standpunkt nicht gelingt, das möglichst schön kurz zu fassen, ohne so lange mit Substantiv, Objektiv, Pronomen, und so weiter um mich zu schießen, bis sich jeder Satz seltsam anfühlt. (Und nicht: bis jeder Satz sich seltsam anfühlt.) Meine Faustregel wäre daher, das Sich oder Mich oder Dich so früh wie möglich in den Satz zu integrieren, es sei denn, es soll gezielt betonen.

 

PS: Sollte ich es schaffen, dies in eine simple, verständliche Regel zu packen, die ich auch nachvollziehbar aus dem Stegreif formulieren könnte, werde ich sie gerne nachreichen.

 

Nachtrag: Sehr ähnlich verhält es sich auch mit anderen Wörtern, wie etwa "nicht". "Gestern hat Horst ihn im Wirtshaus nicht getroffen" klingt nicht so harmonisch, wie "Gestern hat Horst ihn nicht im Wirtshaus getroffen." Da mir gerade die anderen Beispiele nicht einfallen wollen, gelobe ich, sie zu notieren, wenn sie mir unterkommen, und hier nachzutragen. Manchmal denkt man so intensiv über diese Satzstellung nach, dass man nicht mehr weiß, wie es nun besser klingt. Dann schreibe ich zb, beide Varianten eines Satzes in eine eigene Textdatei, mache etwas ganz anderes, oder lese einen guten Text, um mein Gehirn auf guten Klang zu eichen, und dann lese ich die Sätze nochmal. Ein anderer Weg ist, sich die Sätze von einem Vorleseprogramm vorlesen zu lassen. In der Alltagssprache kommen manchmal Wörter deswegen später im Satz, als man sie aufschreiben würde, weil man noch nicht weiß, worauf man hinauswill. Ich tippe darauf, das ist auch der Grund, warum das beim Schreiben passiert. Zumindest ist es bei mir so, dass ich kaum Sätze vor dem Schreiben ausformuliere, sie fließen raus, keine Ahnung, woher. Oft bemerke ich Fehler auch nicht direkt nach dem Aufschreiben. Daher ist für mich essentiell, einen Text nach der Vollendung mehrmals zu lesen.

Unpersönlich passiv

 

 

Man wird verarscht.

Ich verarsche dich.

 

Na? Was klingt direkter? Was knallt?

Richtig.

 

Vor einigen Jahren, ich stand noch in Saft und Blüte als Druckvorstufentechnikerin, bekam ich einen Auftrag zur Aufbereitung, in der ein paar alte Herren für ein Jubiläum eine witzige Broschüre angefertigt hatten. Neugierig las ich rein und bekam schon bald eine richtige Aversion gegen diesen Text. Was konkret mich so dermaßen abschreckte, wurde mir erst ein wenig später bewusst. Die Männer haben sämtliche lustigen Anekdoten verfasst wie Gesetzestexte, beziehungsweise, wie sie Polizisten in einem Bericht formulieren würden.

Zunächst gab es keine bestimmte Person, die etwas ausgesagt oder jemand bestimmten angesprochen hat. Eine bewährte Methode, sich aus der Verantwortung zu ziehen und besser niemanden konkret zu meinen, um Animositäten zu verhindern. Man freut sich. Man schämt sich. Man lädt ein. Hinter dem "man" kann jeder und niemand stecken. Nennen wir es: Schrödingers "man".

Aber manchen Leuten ist diese Distanzierung noch nicht genug. Sie legen es darauf an, dass nicht nur irgendjemand irgendwem etwas sagt oder tut, nein, sie wollen, dass hinter all dem keine Absicht steht, sondern eine diffuse Maschinerie. Der Mensch als Opfer. Das namenlose, nicht näher benannte Irgendwas, das von etwas noch viel Diffuserem gesteuert wird. Damit auch ja wirklich niemand an irgendetwas schuld ist, und man auch wirklich zusammengekauertes Opfer ist, ohne die geringste Chance, etwas gegen das Namenlose zu unternehmen.

So in etwa.

Dann wird gelacht. Dann wird eingeladen. Es wird sich geschämt. Es wird sich gefreut. Man wird umgeleitet.

Das mag Karl-Heinz, der Polizist, in seinem Bericht schreiben, um nicht die Gnackwatschn vom Oberstleutnant zu kassieren, aber in einem Roman oder einem Essay hat das keinen Platz. Je aktiver und direkter die Sprache, umso tiefer trifft sie.

Man wird nicht herumgeschubst, sonder Kai schubst Roland herum. Man wird nicht gemobbt, sondern die Siebtklässler mobben die Erstklässler. Es ist nicht so, dass man keine Chance hat. Sondern dass die Lehrer Jonas keine Chance geben.

Vor einigen Jahren bekam ich mal einen Text zu lesen, den ich korrigieren sollte. Der Inhalt des Textes war sehr schön, aber die Autorin hatte ihn konsequent passiv geschrieben. Dem Protagonisten wurde also permanent etwas getan oder gesagt. Der Protagonist wurde damit zu einer diffusen, nicht greifbaren und nicht spürbaren Person. Er hatte keinen Willen und da auch der Antagonist, jener, der dem Protaginisten alles gesagt und angetan hat, keinen Namen bekam, wurde der Text so diffus, dass ich noch heute, wenn ich an ihn denke, an Seidenlaken denke, die mir den Blick auf die Szene versperrten. Ich spüre Luft, Wind und eine nebelhafte Wand, durch die ich nicht dringen konnte.

Sollte das die Absicht sein, dann ist dieses Stilmittel, gekonnt eingesetzt, genial. Allerdings kaum über mehr als ein oder zwei Seiten zu ertragen, dann möchte man nämlich, dass endlich irgendeine Aktion beginnt, dann erwartet man, dass sich irgendetwas tut, irgendein Wille, ein Ziel oder zumindest eine Persönlichkeit zutage tritt. Und nun habe ich man geschrieben. Doch eigentlich konnte ich das nicht länger als ein oder zwei Seiten ertragen und ich wollte, dass sich endlich irgendetwas tut. Ich wollte, dass dieser Protagonist in diesem Text endlich Kontur bekam, endlich greifbar wurde, endlich irgendetwas tat.

Ich bin kein Freund von Opferkult. (Nicht umsonst nennt man das Passiv auch Leideform. Nö. Nicht umsonst, wird das Passiv aus Leideform genannt. Nö:) Nicht umsonst heißt das Passiv auch Leideform. Einerseits macht mich konsequentes Passiv richtig aggressiv, andererseits verwässert es die Bilder, die ein Text hervorrufen könnte. So ist es ein anderes Bild, wenn ich mich über einen passiven Text aufrege, als wenn man von einem passiven Text aggressiv wird. Wenn man gemobbt wird, entsteht kaum ein Bild, aber wenn Jürgen Benjamin mobbt, schaut die Sache schon anders aus.

Während des Schreibens dieses Textes habe ich bemerkt, wie oft ich unbewusst das Passiv aber auch "man" eingesetzt habe. Manche Sätze musste ich drei Mal umformulieren, aber jedes Mal klang es nacher frischer, aktiver, direkter. Nun achte ich, Schande über mich, bei diesen Essays hier nicht so intensiv auf alle Regeln, die ich hier verbreite, aber in Geschichten und Romanen achte ich bewusster darauf. Da stört es mich aber auch mehr. Fast automatisch formuliere ich auch Sätze in Büchern um, wenn sie mir zu abstrakt und passiv daherkommen. In den meisten Fällen ist das möglich, ohne den Sinn zu verwischen, und in den meisten Fällen klingt es auch wesentlich besser.

Das bedeutet nicht, dass das Passiv überhaupt nicht vorkommen darf, aber wenn, dann sehr bewusst und sehr gezielt. In den meisten Fällen aber gelingt mir selbst bei scheinbar hoffnungslosem Passiv, eine aktive Variante zu erzielen, indem ich eben andere aktiv mache. Dann wird der Protagonist nicht geliebt, sondern der Antagonist liebt den Protagonisten.

Idee geklaut?


Nun ist es mir bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr passiert: Ich entwickle eine Idee für einen Roman, und kurz, bevor ich anfange, ihn zu schreiben, entdecke ich, dass eine Kollegin auf BookRix dieselbe Idee gerade zu einem Buch geformt hat, beziehungsweise ein paar gravierende Elemente sich frappant überschneiden.

Beim ersten Mal habe ich meine Idee nach einigem Hadern in die Aservatenkammer verschoben. Zu besonders war das Thema im Genre Gay-Romance, um die gemeinsame Leserschaft NICHT auf die Idee zu bringen, ich hätte da vielleicht das Thema aufgeschnappt. Lust, mich zu rechtfertigen, von wegen, aber meine Idee war vorher da, hatte ich nicht. Ich wollte nicht einmal ansatzweise in diese Verlegenheit kommen, das hätte es mir restlos vermiest.

Nun habe ich nach einigen Wochen und einem gravierenden Tief wieder eine Idee entwickelt, arbeite seit einigen Tagen daran, sie formt sich und wächst, ja, sogar Klappentext und Cover habe ich schon … und was entdecke ich? Gerade wurde eine Gay-Romance veröffentlicht, in der ein entscheidendes Element identisch mit meiner Idee ist. Ein Element, das nicht üblich in diesem Genre ist und daher durchaus zur Vermutung verleiten kann, ich hätte es abgeschaut.

Was also tun? Wieder in die Aservatenkammer damit? Wieder wochenlang durch die öligen Spinnenfäden des nächsten Tiefs waten und hoffen, bei der nächsten Idee passiert das nicht erneut? Oder diesen Roman einfach so weiterschreiben, wie geplant, und es drauf ankommen lassen? Wäre es so schlimm, sich zu rechtfertigen? Könnte ich damit leben, dass man mir vielleicht Ideenklau unterstellt? Müsste ich damit klarkommen, eventuell böses Blut zu ernten? Oder ist alles halb so schlimm? Vielleicht fällt es ja niemandem auf? Vielleicht unterscheiden sich die Geschichten in Schreibstil und Plot ausreichend, um mir nicht zu unterstellen, die Idee geklaut zu haben?

Ich habe ein wenig im Internet recherchiert. Dieses Phänomen scheint öfter vorzukommen als man denken mag. Auch mir ist es schon mit anderen Ideen passiert, allerdings in der Form, dass ein "berühmter" Autor diese Idee bereits auf dem Markt hatte. Auch da habe ich dann von der Idee abgelassen. Nun, bis zu einem gewissen Grad sind ähnliche Ideen ja sogar usus. Ich denke da an die BDSM-Romanzen-Welle, die SoG ausgelöst hat. Vermutlich könnte man da auch Ideenklau schreien, oder man macht einfach ein neues Nischengenre daraus.

Es gibt Themen, die wiederholen sich. Stiefbrüder. Übergewichtige. Lehrer-Schüler. Landleben. Ich denke, da braucht es kein Inspiriert werden oder Ideenklau, diese Ideen sind zu unorginell, beziehungsweise irgendwie in der Vita des einen oder anderen Autors angelegt. Ich finde es nicht problematisch, wenn "an sich" ein Thema von mehreren Autoren aufbereitet wird, auch in einem Nischengenre nicht. Auch ich kenne es, dass ich, nachdem ich einen spannenden Roman beendet habe, aus dessen Themenwelt ich noch nicht raus will, nach "einem Buch wie diesem" suche. Dann freut mich, dass mehrere Autoren dieses Thema bearbeitet haben. Blöd ist jedoch, wenn in einem überschaubaren Genre zwei Autoren zur selben Zeit dasselbe Thema veröffentlichen. Wenn man die Gleichheit nicht durch Interesse und Suche findet, sondern die Bücher eventuell sogar nebeneinander in den Ranglisten stehen. Autsch.

Vor einigen Jahren ist diese "Idee-Geklaut"-Problematik auf BookRix so hochgekocht, dass sich sogar eine Gruppe formiert hat, die absichtlich in einer Art Partnerschaft Plagiate vonenander schrieb, um zu beweisen, dass es darauf ankommt, "wie" Ideen verarbeitet werden, und nicht, "dass" es dieselben Ideen sind. Ein Weg ist immer noch, sollte man eine solche Parallele feststellen und den eigenen Roman noch nicht fertig haben, die Idee umzuschreiben. Ich denke, genau das werde ich tun. Beziehungsweise mal den Roman der Kollegin lesen, um die notwendigen Parallelen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Im besten Fall bekommen die Leser Lust, die jeweils andere Geschichte zu lesen, einfach, weil sie noch nicht richtig loslassen wollen.

Ich berichte, wie es ausgeht.

Ich-Erzähler-Schwammkopf

 

Nachdem ich nun eine ganze Weile keinen Internetzugang hatte, nutzte ich die Gelegenheit zu lesen. So ackerte ich einen guten Teil meiner Bibliothek erneut durch, manche Bücher habe ich zuletzt vor fünfzehn Jahren gelesen. Normalerweise bin ich ein eher langsamer Leser, aber ich kam richtig in Fahrt und schaffte zuletzt ein Buch pro Tag.

Dabei ergab es sich aus Zufall, dass ich rund acht Bücher hintereinander las, die in der Ich-Perspektive geschrieben waren. Ein nicht zu geringer Teil sogar in Präsens. Normalerweise mag ich diese Perspektive nicht, und nun bemerkte ich einen weiteren Grund, weshalb sie mir unsympathisch ist.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber als ich das erste Mal Asterix und Obelix in einem Film sah, war ich von den Stimmen geschockt. Ich hatte bis dahin an die fünfzehn Bände gelesen, immer und immer wieder, und nie darüber nachgedacht, welche Stimme die Protagonisten haben.

In meinem Kopf existiert eine Erzählerstimme. Sie ist schwer greifbar, charakterlos, sie ist wie ein Summen, das das Lesen begleitet. Sie besticht dadurch, dass sie unaufdringlich ist, dass sie weder durch Dialekt noch durch andere Eigenheiten die Erzählung übertönt und davon ablenkt. Das ist unter anderem einer der Gründe, warum ich keine Hörbücher mag. Ich finde die Erzähler lenken vom Text ab.

Nun benötigt ein Ich-Erzähler eine starke eigene Stimme. Ist es beim Erzähler in der dritten Person erwünscht, dass er in den Hintergrund tritt, wäre es beim Ich-Erzähler wichtig, dass er greifbar wird, durch seine Sprachmelodie oder seine Wortwahl. Er müsste eine intensive Eigenheit entwickeln, die sich gegen meinen summenden Erzähler in meinem Kopf durchsetzt. Ein Satz des Ich-Erzählers müsste so eigen sein, dass ich ihn konkret mit diesem Protagonisten verbinden kann. So, wie ich ein deutliches Bild vor Augen habe, wenn ich mich an einen Satz meiner Schwester oder eines Kollegen oder meines Partners erinnere.

Leider sind die wenigsten Ich-Erzähler in Romanen "starke" Erzähler, wo jeder einzelne Satz klar macht, wer da spricht. Ich beobachtete, dass ich keine Unterschiede mehr machte. Von einem zum nächsten Buch hatte ich es plötzlich mit demselben Protagonisten zu tun, bloß, weil sie beide aus der Ich-Perspektive und im Präsens schrieben.

Es mag bei anderen anders sein, aber ich habe ein Problem, in meinem Kopf visuell neue Menschen zu erschaffen. Sie leben als Wesenheit, aber nicht physisch greifbar. Ich finde es zudem störend und in den meisten Fällen total unsympatisch und überheblich, wenn sich ein Ich-Erzähler selbst beschreibt. Wenn ich etwas zu sagen habe, dann ist dafür nicht relevant, wie ich aussehe, es sei denn, ich beziehe mich auf etwas, das meinen Körper betrifft. So halte ich es auch bei Romanfiguren. Mich interessieren die Gedanken, Erfahrungen und Erlebnisse eines Protagonisten, und es ist dafür selten relevant, wie er aussieht.

In meinem Kopf existiert eine Art Erzählerschatten. Müsste ich ihn beschreiben, wäre es ein Mann um die dreißig mit schwarzen kurzen Haaren, eher blass und schlank. Er hat aber kein spezielles Gesicht, beziehungsweise würde ich es mit "normal halt" oder "gewöhnlich" beschreiben.

Wenn ich nun einen Roman in einer Ich-Perspektive zu lesen beginne, sieht der Erzähler immer mal so aus. Er ist ein dreißigjähriger Kerl, etwa eins achtzig, dunkelhaarig, blass, schlank, mit "normaler" Stimme und "normalem" Gesicht. Drückt mir der Ich-Erzähler nun sein Aussehen auf, ändert das nur sehr wenig daran. Mein Haupterzähler ist stärker und radiert die Selbstbeschreibungen sofort wieder weg, sofern sie nicht für die Erzählung relevant sind. Und selten beschreibt ein Ich-Erzähler ständig, wie er aussieht. Tut er es, wirkt er selbstverliebt.

Das Phänomen also war nun, dass mein Ich-Erzähler über mehrere Romane von verschiedenen Schriftstellern derselbe blieb. Irgendwann vermengte sich das und ich dachte: Was stellt er sich so an, er hat doch schon dieses oder jenes erlebt (in dem anderen Buch). Bald wurde dieser Eindruck so stark, nicht den Protagonisten des aktuellen Buches zu lesen, dass ich mir schwer tat, weiterzulesen. Immer wieder musste ich unterbrechen und mir sagen, dass es NICHT der Kerl aus dem anderen Buch ist. Auch wenn er ich sagt, ich, ich, ich.

Irgendwann bedachte ich das aus der Perspektive des Autors. Wäre ich damit glücklich, wenn der Protagonist eines anderen Autors, eines anderen Buches, in MEINE Geschichte einfällt und dort MEINE Protagonisten verdrängt? Eher nicht.

Wie gesagt, es gibt auch sehr starke Ich-Erzähler, die schaffen es, sich von den anderen anzuheben. Sie durchbrechen den Summton meines Erzählerdummies und werden greifbar.

Interessant übrigens: Bei diesen Büchern kam einmal auch eine Frau vor und einmal ein Teenager. Der Teenager unterschied sich deutlich, er war so eigen, dass ich ihn in den anderen Büchern nicht wiederfand. Die Frau jedoch war ein Grenzfall. Sie war nicht stark genug ausgeprägt in ihrer individuellen Sprache, sodass sie immer wieder zu meinem männlichen Erzählerdummie wurde und durchaus in anderen Büchern auftauchte.

Man kann sich vorstellen, wie fatal es ist, wenn in einem Buch mehrere Ich-Erzähler auftauchen. Wenn der Autor nicht gekonnt jedem eine starke eigene Erzählstimme geben kann, verschmelzen die Protagionisten zu einem einzigen Schwammkopf, einem Gebilde mit Selbstbetrachtungsproblematik. Ich habe Bücher deswegen schon zur Seite gelegt, weil ich mitunter dauernd hin und herblättern musste, um herauszufinden, in wessen Kopf ich gerade stecke. Erzählton blieb bei allen Protagonisten gleich. In einem Buch sogar, egal, ob ein Superschurke mit einem IQ von über 200 erzählte, oder eine Borderline-Frau. Da kann ich nicht weiterlesen.

 

Ich weiß, vor allem Anfänger schreiben lieber in der Ich-Perspektive. Leider passiert genau jenen aber auch, dass sie den Protagonisten nicht mehr von sich selbst abgrenzen. Es gibt keine eigene Erzählstimme mehr und spätestens mit einem Wechsel von Protagonisten wird alles ziemlich schwammig. Daher würde ich raten, die Ich-Perspektive nur zu wählen, wenn man der Figur eine starke Sprache geben und diese bis zum Ende des Buches durchhalten kann. Und nur wenn man es echt drauf hat, zwei völlig verschiedene Erzählstimmen parallel durchzuhalten, sollte man sich einen Ich-Perspektivenwechel antun. Andernfalls wird es passieren, dass fremde Protagonisten in euren Büchern ein- und ausgehen und sich die Leser nicht mehr erinnern, welches Buch und welcher Prota von euch ist. Es kann auch, wie in meinem Fall, das Lesevergnügen schmälern. Selbst über mehrere Seiten hinweg schaffte es das letzte Buch nicht, mir den neuen Ich-Erzähler zu zeigen. Derselbe Typ verfolgt mich schon über mehrere Geschichten hinweg.

 

Die Bereitschaft des Lesers zur Fehlertoleranz

 

Einst, als ich "nur" Leser war, ging ich mit Texten, die ich las, gnädiger um. Da ich auch Legastheniker bin, beziehungsweise in vielen Fragen der Grammatik und Rechtschreibung nicht geübt, mir ebenso viele stilistische Aspekte nicht bewusst waren, konnte ich über eine Menge Textverbrechen hinwegsehen.

Seit ich selbst Autor bin, und mich naturgemäß ständig mit Text befasse, auch, wie man ihn besser macht, was stilistische no-go's sind, wie das mit der Grammatik und Formatierung aussieht, bin ich auch als Leser enorm kritisch geworden. Am deutlichsten wird mir mein Zwang zum Perfektionis beim Konjunktiv. Speziell – ich habe mich dazu schon erschöpfend ausgelassen – das "als ob" plus Präsens. Ich HASSE es. "Als ob" fordert den 2. Konjunktiv. "Als ob" leitet eine "Lüge" ein, also etwas, das höchstens vermutet oder angedeutet oder als Vergleich betrachtet wird, nicht aber eine feststehende Tatsache. Auch Konjunktiv 1 ist an dieser Stelle falsch, da dies bei Behauptungen benutzt wird. Nun, leider gibt es vor allem in Büchern, Filmen und Serien der letzten Jahre diese Tendenz, "als ob" mit dem Präsens zu verknüpfen. Selbst auf Autorenblogs stolpere ich zu oft über dieses Verbrechen. Und ja, wenn ich Verbrechen sage, empfinde ich es so. Es kann mich von jetzt auf gleich dazu veranlassen, ein Buch, Blog, whatever nicht mehr weiterzulesen.

 

Nun habe ich, wie im vergangenen Kapitel bereits erwähnt, eine sehr intensive Lesephase hinter mir, bei der ich vor allem Bücher verschlungen habe, die ich vor zehn bis zwanzig Jahren bereits gelesen habe. Unter anderem einen meiner amerikanischen Lieblingsautoren, von denen ich jedes Buch blind kaufe. In seinen Büchern wird konsequent das "als ob" mit dem Präsens verknüpft. Das ist nicht die Schuld des Autors, sondern der Übersetzerin (und wieder einmal frage ich mich, ob Verlage jeden Bimpf beauftragen, unabhängig der Befähigung). Nun, wenn man weiß, wie sehr ich das "als ob"+ Präsens verabschaue, weiß man auch, wie allergisch ich darauf regaiere (bis zum lauten Aufschrei oder das Buch durch den Raum schmeißen, Serie/Film abdrehen.) Doch hier las ich eine ansonsten gut geschriebene und interessante Geschichte, die ich unbedingt lesen wollte. Ein klassischer Konflikt. Ich wollte nicht wahrhaben, dass die Übersetzerin diese Bücher mit diesem Textverbrechen beschmutzt hat. Übrigens nicht das einzige Idiotische. Beispielsweise stehen sich Protagonisten einander gegenüber und küssten einander "den Nacken". Solche Sätze musste ich mehrmals lesen. In meinem Hirn fanden abenteuerliche Verrenkungen statt. Ich fragte mich, ob ich irgendetwas nicht richtig mitbekommen habe, dass sich die Protas vielleicht doch eher Bauch an Rücken stehen. Dann aber erinnerte ich mich aus meiner Arbeit mit 3D-Programmen, dass es im Englischen offenbar kein vergleichbares Wort für "Hals" gibt. Der Hals wird als "neck" beschrieben. Als mir das bewusst wurde, konnte ich über diese Fehler hinwegsehen. Für die Übersetzerin war das aber eine mehr als schwache Leistung. Ich bin der Meinung, als Übersetzer sollte man beide Sprachen ausreichend kennen und vor allem lieben, um nicht derartige Schnitzer zu produzieren, sei es stilistisch, sei es von der Übersetzung her. In beiden Fällen hat die Übersetzerin den Autor sabotiert.

Wie auch immer, ich musste also lernen, über diese Dinge hinwegzusehen. Ich wollte das Buch weiterhin lieben. Und ich schaffte es. Mit jedem "als ob" und jedem Nacken an der falschen Stelle, musste ich mich abhärten. Es drehte zwar meinen Magen um, aber es war möglich, weil der Inhalt stark genug war, weil ich das Buch schon kannte und wusste, dass es gut ist. Ein neues Buch hätte ich wohl nicht weitergelesen, gestehe ich.

Nun weiß ich wohl, dass ich selbst als Autor genug peinliche Schnitzer in meine Texte einbaue. Mal, weil mir noch gar nicht bewusst ist, welche Schnitzer man begehen kann, mal, weil ich, als ich den Roman schrieb, von manchem Schnitzer noch nichts wusste. (Und offensichtlich hätte mir da ein Lektor auch wenig geholfen.) Jüngst las ich zwei meiner älteren Sachen durch und war teilweise beschämt, welche Fehler ich eingebaut hatte. Und nie wies mich ein Leser darauf hin. Auch Leute, die ich persönlich kenne, lasen diese Geschichten, und sagten nichts. Beide Geschichten wurden sogar damals noch von einer Kollegin lektoriert. Auch aus dieser Richtung kein Hinweis. Die Bücher gehören zu meinen beliebtesten, also hat wohl niemand diese Schnitzer als zu störend empfunden, um Spaß am Lesen zu haben – oder aber, wie ich, die Bücher stillschweigend beiseite gelegt.

Nun, vielleicht ist es so, dass viele meiner Leser sind wie ich früher, und schlichtweg gar nicht das Know-How haben, solche Fehler aufzuspüren. Vielleicht ist es auch so, dass Leser diese Schnitzer zwar bemerken, aber tolerant sind und sich davon das Vergnügen nicht nehmen lassen. Letzteres lerne ich gerade selbst als Leser wieder. Zumal ich immer öfter feststelle, dass vor allem neuere Bücher immer mehr Fehler aufweisen und ich dennoch die Begeisterung beim Lesen fühlen möchte. Ob es aber jemals aufhört, wehzutun? Ich hoffe es.

 

Nackte Angst

 

 

Aktuell befinde ich mich im Endspurt meines aktuellen Romans und seit über einer Woche ringe ich mit mir, weiterzuschreiben. Oh, ich ringe nicht bloß, alles in mir sperrt sich. Zunächst, ich hatte eben über 10.000 Wörter hochgeladen, erst einmal Pause von einem oder zwei Tagen, um durchzuatmen. Dann Prokratination. Zwei weitere Tage konnte ich mich mit angefallenem Zeug ablenken und mir sagen, dass das ja nötig war. Doch die ganze Zeit über schwelt schon so ein eigenartiges Gefühl in mir.

Zunächst schrieb ich – sogar einigermaßen inspiriert – rund 3.000 Wörter des nächsten Kapitels. Am nächsten Tag las ich es durch und überarbeitete es. Jeder Satz des Dialogs, den ich änderte, ändert den ganzen Gesprächsverlauf. Rund drei Tage bastelte ich an der Szene, ungefähr sieben verschiedene Gesprächsverläufe. Die Szene war auf 4.500 Wörter angewachsen und allmählich hatte ich nicht nur die Nase voll davon, sondern auch Angst, davor, sie noch einmal durchzulesen. Ich würde sie wieder verändern und wieder und wieder. So könnte ich ganze Jahre ins Land ziehen lassen, sollte ich nicht vorher den Computer zertrümmern.

Ich kam schließlich zu der Erkenntnis, dass ich dieses Kapitel löschen muss. Einer der Gründe, warum es sich nach jedem Mal durchlesen völlig verändert, ist einerseits, dass es keine echte Relevanz für die Geschichte hat. Andererseits, dass die Charaktere einbrechen. Sie verhalten sich nicht authentisch, nicht so, wie sie sind. Nachdem man rund dreißig Stunden an einer Szene herumgebastelt hat, rund 4.500 Wörter näher am ersehnten Ende ist, tut es besonders weh, diese Arbeit löschen zu müssen. Aber es hat keinen Sinn, der Geschichte zu schaden, nur weil man Mühe hineingesteckt hat. (Leute, noch jetzt möchte ich losheulen, wenn ich an dieses Muss denke, es tut sauweh.)

Nicht nur deswegen, schon seit meinem letzten Upload hat mich eine lähmende Traurigkeit befallen. Ist es wegen des Endes der Geschichte? Ich weiß nicht. Eigentlich müsste ich nur noch ein Mal in den Schreibfluss kommen, und die Geschichte ist fertig. Aber ich schaffe es nicht. Ich setze mich hin und bekomme Herzrasen, Bauchschmerzen, Händezittern, ich komm mit dem Atmen kaum hinterher. Angst. Blanke Angst. Dennoch habe ich mich gezwungen. Nur noch eine Sitzung, verdammt, dann hast du es geschafft. Ich quälte mich rund vier Stunden herum. Für nicht einmal hundertfünfzig Wörter. Mein Hirn fühlte sich an wie ein Stein. Schlimmer, es war, als säße zwar mein Körper hier, aber das ICH wäre irgendwie weg.

Mittlerweile ist es zum Heulen. Ich heule auch. Jeden Tag. Wenn ich das Haus verlasse, um einzukaufen, fühlt sich mein Körper tonnenschwer an. Es ist mühsam, die Hand zu heben. Gestern, nach dem gescheiterten Versuch, das verdammte Buch zu Ende zu schreiben, lag ich den ganzen Nachmittag wie gelähmt auf dem Sofa. Konnte kaum denken und fühlen. Habe mir dann mit Gewalt irgendwelche Erinnerungen und Gedanken herangezogen, die mich normalerweise stark berühren, sei es Freude, sei es Widerwille. Ja, man kann sagen, ich habe versucht, mich zu martern, um IRGENDEINE emotioale Reaktion zu erzeugen. Nichts. Auch meinem Partner konnte ich nichts weiter bieten, als ein gelähmtes, bleiernes Gesicht, Tränen, Schweigen, Reglosigkeit.

Jetzt schreibe ich immerhin diesen Text. Noch kämpfe ich gegen die Depression an, die sich nicht bloß anschleicht, sondern die mir seit einer Woche mit der Keule ständig eines überbrät. Aber ich stehe auf, immer wieder, versuche mich festzuhalten am Leben. Ich will nicht, dass die letzten Kapitel, wie bei Ben, erst in einem halben Jahr fertig werden, weil mich die Depression in die Knie zwingt. Nur zwei, drei Kapitel noch, herrgott! Und so banal das ist, ich brauche das auch finanziell. Mein Vermieter nimmt keine Rücksicht auf Depressionen. Liefere ich nicht, bin ich geliefert. Das macht es nicht besser, ich weiß. Der Blick auf die aktuellen Verkaufszahlen jagt mir eisige Schauer über den Rücken, macht mir Angst, Angst, Angst. Sollte ich ausblenden. MUSS ich ausblenden. Mit dem Druck weiterschreiben ist auch nicht einfach.

Allerdings ist mir dieser Bammel vor dem Ende nicht neu. Ich erlebe ihn eigentlich bei jeder Geschichte. Bei Satellit weiß ich nicht, wie oft ich es geschrieben habe, wie viel Hass ich schon empfunden habe, weil es einfach, zum Verrecken, nicht wollte. Aus heutiger Sicht war jeder Versuch gut. Damals konnte ich das so nicht sehen. Ben, gut, Ben hatte Nemesis-Dimensionen. Tote Poeten, eine Qual. Kein schwuler Land, meek, die letzten zwei Kapitel habe ich mindestens fünf Mal umgeschrieben. Also sollte ich das hier schon kennen. Blöderweise fällt diese Phase nur mit einer Zeit zusammen, in der ich jedes Jahr tiefe emotionale Einbrüche habe. Ende August/anfang September ist meine Schwarzphase. Da fetzt es mich stets hin, drückt es mich runter, da ersaufe ich im Dreck meiner Seele. Ich bin ohne Haut. Ich kann selbst gute Wörter wie Speerspitzen empfinden.

Dennoch. Ich werde nicht aufgeben. Ich DARF nicht aufgeben. Niemand hat gesagt, dass das Leben schön ist. Oder leicht. Oder sinnvoll. Schon gar nicht meine Depressionen. Alles, was mir bleibt, ist, weitermachen. Auch, wenn ich jede Minute meines Lebens kotzen möchte.

Liebe

 

Immer wieder begegnet mir in Geschichten von – ich muss es leider so sagen – Anfängern ein "verfrühtes" Liebesgeständnis. Da kennen sich zwei Männer gerade einmal nur vom Sehen oder ein paar mehr oder weniger heißen Stunden, und schon fallen die drei Worte. Unglaubwürdig. Meist höre ich an diesem Punkt auf, zu lesen.

Warum?

Ich glaube an Liebe auf den ersten Blick, wobei ich es "Verliebtheit" auf den ersten Blick nennen würde. So unromantisch das ist, das ist eine rein chemische Reaktion. Pheromone, optische Kompatibiliät, Hormonstatus, Situation. Es gibt Studien zu diesem Phänomen. Was die beiden Protagonisten mitmachen, ist eine hormonelle Achterbahnfahrt. Nicht Liebe. Es ist Verknalltsein. Verschossensein. Verliebtsein. Aber nicht Liebe. Defintiv NICHT Liebe.

Warum?

Liebe ist für meinen Begriff etwas, das nur zwischen Menschen entstehen kann, die sich gut kennen. Betonung auf: GUT. Die Phase der Verliebtheit ist die denkbar schlechteste, um einen anderen Menschen so kennenzulernen, wie er ist. Vor allem in den ersten Monaten, den Monaten der Verliebtheit, tun Menschen so ziemlich alles, um dem zu gefallen, in den sie sich verknallt haben. Zurückweisung tut weh. Das will man vermeiden. Man gibt sich von er allerbesten Seite, ist vielleicht spontan, obwohl man sonst schwer in die Gänge kommt, zieht sich gut an, obwohl man sonst bis Mittags im Pyjama herumläuft, begeistert sich für französische Filme, obwohl man sonst nur Blockbuster schaut. Man anektiert die Vorlieben des anderen, findet alles toll, aufregend, neu, geil.
Aber diese Phase geht vorbei. Notgedrungen und Gottseidank. Verblieben wir darin, würden wir verblöden. Das ist nicht einmal zynisch gemeint. Der Hormoncockteil würde unserem Gehirn massiven Schaden zufügen. Und mal ehrlich, frisch Verliebte wirken auf andere nicht gerade besonders intellektuell.
Nach einigen Wochen oder Monaten ist diese Honeymoon-Phase also vorbei und die Realität schleicht sich ein. Erst dann lernt man den anderen "wirklich" kennen. Wenn die Masken fallen. Wenn die Hormone keinen Weichzeichner über ihn legen. Wenn man nicht mehr um jeden Preis imponieren und gefallen will. In dieser Zeit trennt sich die Spreu vom Weizen. Wo es nur sexuelle Anziehung war, kommt es bald zur Trennung. Wo es mehr Gemeinsamkeiten gibt, hält es länger. Liebe, so würde ich sagen, entsteht erst, wenn man den anderen in seinen verschiedenen Phasen kennt. Krank, besoffen, übernachtig, bei seinen Eltern, mit seinen Freunden, an guten und an schlechten Tagen, wenn er sauer ist, wenn er glücklich ist und so weiter. Das braucht Zeit. Das kostet Nerven. Nicht alles ist so toll. (Ist alles toll, hat man vielleicht noch einen Hormonstau.) Erst dann kann man erkennen, ob man sich liebt. Wenn man den anderen mit seinen Stärken und Schwächen liebt. Wenn man ihn mit seinen Träumen und Ängsten liebt. Wenn man ihn nicht verändern will, aber ihn dabei unterstützen, zu werden, wer er sein will. Insofern würde ich sagen, dass bei "reifen, erwachsenen Menschen" ein "Ich liebe dich" frühestens nach einem Jahr, eher nach zweien erfolgen kann.

Warum sage ich "reife, erwachsene Menschen"? Wir alle waren in der Pubertät. Wir wissen, wie es ist, keinerlei Lebenserfahrung zu haben. Wir wissen, wie es ist, wenn alles, was wir von Liebe wissen, aus dem Fernseher oder Büchern stammt, oder von Leuten vorgelebt wird, die schon ewig zusammen sind. Eine Beziehung von zwei Stunden ist da schon "die längste Beziehung, die ich je hatte". Hinzu kommt oft dieser Hang zum Melodramatischen, der in dieser Lebensphase überhand nimmt, verstärkt mit der Schar der Gegner, die man sich möglichst groß denkt. Ich nenne das gerne auch dieses Romeo und Julia Phänomen. Die beiden kannten sich auch nicht. Sie war erst 12 oder 13(!) – er ungefähr 14 oder 15(!). In diesem Alter ist man noch nicht lange aus der Phase draußen, mit Barbie und He-Man College-Party und Hochzeit zu spielen. Und nun wird dasselbe mit dem eigenen Körper geübt. Große Liebesschwüre sind da einfach ein Teil davon.

Was bedeutet das für Bücher?

Wenn sich da zwei naive, unreife Teenager mit wenig Lebenserfahrung Liebesschwüre zuhauchen, ist das einigermaßen authentisch. Aber wenn sich zwei erwachsene Menschen begegnen, und "erwachsen" würde ich da bereits bei 18 Jahren ansetzen, ist es einfach nur unglaubwürdig bis nervtötend, nach wenigen Stunden oder Tagen mit "ich liebe dichs" um sich zu werfen. Das geht nur, wenn sich die Protagonisten schon vorher lange kennen. Kommen zwei "beste Kumpels" zusammen, könnten sie diese drei Wörter gerne noch vor dem ersten Kuss sagen. Aber Fremde müssen sich, so meine ich, immer mindestens ein halbes bis ganzes Jahr kennen. GUT kennen. Kommt das "Ich liebe dich" früher, muss es gut begründet werden. NICHT (!) mit Liebe auf den ersten Blick. Gewisse Störungen in der Reife dagegen sind glaubwürdig. Also, ja, psychische Störungen bis geistige Behinderung lasse ich noch gelten, oder jemand, der eine Kaspar Hauser Vergangenheit hat. Alle anderen: macht euch nicht lächerlich. (Es sei denn, es ist Essenz der Geschichte, dass sich einer mit diesem Spruch – mehr ist es in der Anfangsphase nicht – lächerlich macht.)

Tja. Leider wurde mir mit einem dramatisch vorgebrachten "Ich liebe dich" nach wenigen gemeinsamen Stunden wieder einmal eine Geschichte verleider. Narf.

 

Der schwarze Hund

 

Es ist schwer, in Worte zu fassen, wie es mir geht und was mich bewegt. Das Problem mit Depressionen ist, dass durch ihre Brille alles sinnlos erscheint. Wozu also irgendetwas aufschreiben? Ein weiteres Symptom ist, dass man glaubt, man fällt allen anderen zur Last und niemand interessiert sich für einen. Wozu sollte man also noch mitteilen, wie es einem geht? Und wem? Zumal man die Zuversicht verloren hat, dass sich daran je wieder etwas ändern wird.

Man sagt, Depression wäre [auch] unterdrückte Aggression. In der Tat befinde ich mich in einem Wechselspiel zwischen Wut und Sinnlosigkeit. Denn Wut erscheint mir sinnlos. Die Sinnlosigkeit macht mich wütend. Es ist ein Teufelskreis, in dem sich Wut zu Selbsthass ausdehnt. Zynisch könnte man sagen, wenigstens habe ich noch IRGENDEIN Gefühl. Ist ja auch nicht unüblich, dass einem selbst der Sinn nach Hass schwindet.

Schwer ist auch, zu erkennen, was Ursache und Wirkung ist. Bisweilen denke ich, ich bin depressiv, (beziehungsweise erst wütend, dann depressiv, weil sich mir die Sinnlosigkeit der Wut erschließt), weil ich nicht schreiben kann. Ich will es, aber ich kann nicht. Das frustriert mich. Das ist okay, wenn es MAL vorkommt, wenn es MAL eine Woche dauert. Wenn man aber mittlerweile vier – VIER – 4!!! – Monate jeden Tag zu schreiben VERSUCHT, aber es klappt einfach nicht, dann zermürbt es. Es macht einen fertig. Nicht selten endet das in blankem Selbsthass, in Heulkrämpfen und in massiven Existenzängsten. Nicht selten denke ich mir, ich schmeiß alles hin, alles. Mein Leben lang wollte ich Schriftsteller sein, nun bin ich es, und kann nicht mehr schreiben. Wozu also das alles noch? Wozu, verdammt noch einmal?

Dann aber wiederum denke ich, dass ich vielleicht nicht schreiben kann, weil ich depressiv bin. Ich halte es für einen Mythos, dass Depression und ähnliche seelische Krankheiten besonders kreativ machen. NICHT im aktuen Schub jedenfalls. Mir kann niemand erzählen, dass man die Kraft aufbringt, oder die Motivation, etwas zu erschaffen, wenn einem alles sinnlos erscheint. Das Gefühl der Sinnlosigkeit ist das Schlimmste.

Diesen Text hier, den möchte ich seit Jahren schreiben. Vermutlich habe ich ihn schon hunderte Male geschrieben. Aber ich beende ihn nie. Meistens lösche ich ihn. Warum? Sinnlosigkeit. Wem ist mit so einem selbstmitleidigem Gejammere geholfen? Mir kann man nicht helfen. Glaubt mir, ich habe es versucht. Tabletten, Therapien, Reha, ich habe Leute, die sich die Beine ausreissen, mir ein Quäntchen Zuversicht zu impfen, ich rationalisiere wie ein Weltmeister, um die falschen Gefühle und das falsche Weltbild, das eine Depression verursacht, ad absurdum zu stellen. Ich versuche, es mit Logik zu entkräften.

Aber was hilft Logik, wenn das Gemüt erkrankt ist? Es schafft nur die Erkenntnis, dass man eben einer Wahrnehmungsverschiebung aufsitzt, an der man nichts ändern kann. Chemie. Neurologie. Hormone. Traumata. Ich heule schon wieder. Aber ich behaupte neuerdings dauernd, wie gut es mir geht. Weil ich WILL, dass es mir gut geht. Weil es mir einige Monate gut gegangen ist und ich ums verrecken nicht wahrhaben will, dass er wieder da ist, der schwarze Hund. Ich will ihn tottreten, ich will ihn aushungern, indem ich ihn ignoriere. Ich grinse mir eine Fratze und betone immer öfter, wie verdammt gut es mir geht. Was ich alles erfolgreich mache, damit es mir gut geht. Ich erzähle von Plänen, von meinem neuen Roman, an dem ich seit vier Monaten sterbe.

Wen belüge ich? Mich? Die anderen? Spielt es eine Rolle?

Aktuell macht mich am meisten fertig, dass ich nicht schreiben kann. Das heißt, ich kann durchaus schreiben, hier, diesen Scheißtext etwa, den schreib ich gerade. Oder PNs, oh, ich kann meterweise PNs schreiben. Auch fange ich alle zwei Tage mit einem Roman an, oder einer Kurzgeschichte, oder IRGENDWAS. Aber alles ist scheiße.

Nun könnte man sagen, es liegt an meiner Wahrnehmungsverschiebung durch die Depression, dass ich alles, was ich schreibe, scheiße finde. Woher soll ausgerechnet ICH das beurteilen können, wenn mir doch ohnehin alles sinnlos erscheint? Dass ich ÜBERHAUPT Texte schreibe ist da schon ein Kraftakt, einer, der mir regelmäßig den Selbsthass an den Hals jagt. IST es schlecht, was ich schreibe? Oder sehe ich es nur so?

Ich bin davon überzeugt, dass es so IST. Ich habe Vergleiche zu meinen bisherigen Büchern. Die begannen alle aktiv. Egal welchen Text ich aktuell beginne, es ist immer nur blablabla. Es entsteht keine Handlung. Ähnlich wie hier nudel ich ewig um irgendwelche Aspekte herum, stelle philosophische Thesen auf, die sich in den Schwanz beißen. Ich schaffe es, tausend, zweitausend, dreitausend bis zu zehntausend Wörter zu fabulieren, in denen kein Prota irgendetwas macht. Nur Innenschau. Nur Erinnerung. Nur Gedanken und Selbstzweifel und Zweifel an der Wahrnehmung. Jeder gedachte Gedanke wird umgehend in Frage gestellt, die Wahrnehmung ebenfalls. Es geht vom Hundertsten ins Tausendste und am Ende hat der Prota noch immer keinen Finger gerührt. Ich ERKLÄRE. Das ist es. Ich kann nicht mehr entscheiden, was ich schreibe. Alles, der ganze Brei im Hirn, wälzt sich in das Schreibprogramm, unstrukturiert, langweilig und sinnlos, wie ich bin, wie meine Gedanken sind.

Oh, doch, selten Mal gelingt mir sogar Handlung. Wobei ... das Äußerste an Handlung waren zwei Kerle, die sich im Café gegenübersitzen. Zehntausend Wörter lang. Ich meine, da gehört schon ein gewisser Wahnsinn dazu, das so auszuwälzen.

All das spricht dafür, dass es die Depression ist, die mir das Schreiben verleidet, und nicht die Unfähigkeit zu schreiben, die mir die Depression beschert. Andererseits kann man das vermutlich nicht restlos trennen. Las heute einen kurzen Artikel zur Motivation von Charakterfiguren, den ich recht interessant in Bezug auf mich und meine aktuelle ... wollen wir es SCHREIBBLOCKADE nennen? ... fand:

 

Glaube - Potential - Aktion - Resultat.

 

Der Glaube legt fest, wie viel Potential man freisetzen kann.
Das Potential legt fest, welche Aktionen man setzen kann.
Die Aktionen setzen fest, welche Resultate man erzielt.
Die Resultate legen fest, woran wir glauben.

 

Es wird schon deutlich, dass ich da in einem Teufelskreis stecke, fast egal, was am Anfang stand. Aktuell verliere ich den Glauben an mich bzw. daran, dass ich schreiben kann. Das schmälert mein Potential, weswegen ich weniger oder schlechter schreibe, dadurch weniger oder keine befriedigende Resultate erziele und meinen Glauben oder mangelnden Glauben festige.

Die Frage ist nun, wo beginnen, um da auszubrechen? Logisch betrachtet wäre es, mal in Aktion zu treten. Also schreiben, oder? Was aber, und das ist ja mein Problem derzeit, wenn das, was man schreibt, scheiße ist? Man bestätigt sich ebenso. Also wo dann ansetzen? Daran glauben, dass man GUT schreibt? Aber wie geht das? Affirmationen? Selbstbeschiss? So tun, als wäre man lobotomiert und klatsche zu jedem Scheiß?

Ich stecke fest. Ich weiß, ich müsste nur mal wieder was schreiben und veröffentlichen und eine positive Schleife käme in Gang. Einfach sehen, dass es noch irgendjemanden interessiert, ob und was ich schreibe. Einfach sehen, dass das, was ich schreibe, für andere okay ist. Das würde einiges bewirken, denke ich. Nur, ja, ich müsste es erst einmal schaffen. Daran scheitere ich eben seit Monaten. Und so kommt nicht nur kein positives Feedback mehr, keinerlei Anzeichen, dass das was ich mache relevant ist, nein, ich koche in der Suppe meines Selbsthasses, in der alles, was ich mache, mich nur weiter bestätigt, wie scheiße das ist, was ich tu.

Und der wohl beste Beweis ist dieser Text. Er steckt fest. Es geht nichts weiter. Es ist nur Lamentieren, Lamentieren, Lamentieren. Schon wieder bin ich an dem Punkt, an dem ich das hier löschen will. Weil ich den seltsamen Anspruch habe, was ich schreibe müsste einen Anfang und ein Ende und eine Pointe haben, oder zumindest anderweitig unterhalten. Das hier kann nichts. Und ungefähr so klingt bisweilen jeder Versuch, eine weitere Gay-Romance zu schreiben.

 

Amen, Scheißwelt.

Schreiben ist die halbe Arbeit

oder: warum gratis nicht kostenlos ist und ein Gratisbuch sogar besser sein sollte

Da las ich doch jüngst im Rahmen einer Diskussion zum Leserschwund, dass es keinen Unterschied mache, ob man ein Buch lese oder mit dem Smartphone spiele. Als Autorin MUSS ich da doch sofort etwas darauf schreiben. Etwas, das ich ohnehin schon lange mal hier festhalten wollte und das vor allem Autoren betrifft, die Gratisbücher veröffentlichen.

Es ist einige Monate her, als mich ein Kollege frustriert anschrieb: Er hatte eine Kurzgeschichte gratis veröffentlicht, die Werbung für seinen Roman machen sollte. Aus diesem Grund bestand das Gratisbuch zu 80% aus einer Leseprobe für den Roman. Die Leser waren extrem angepisst. Die Folge: eine Menge negativer Rezensionen.
Der Kollege war darüber verletzt und verärgert. Immerhin habe er die Geschichte gratis veröffentlicht. Die Leser zahlen ja nix, warum haben sie Ansprüche und beschweren sich?

Ich denke, wer einer solchen Sichtweise folgt, hat nicht begriffen, was Schreiben und vor allem Lesen ist und wie das zusammen funktioniert.
Dabei ist es simpel.

Stell dir vor, nach einem tollen Sommer sitzt du mit Freunden beisammen und ihr unterhält euch über den Urlaub. Ihr reicht die Smartphones mit den Urlaubseindrücken herum. Fotos vom Strand, den Bergen, einem leckeren Cocktail, einer grandiosen Sehenswürdigkeit und Karin, an deren großen Zeh ein Krebs hängt. Und dann ist da Jochen. Jochen reicht ebenfalls sein Smartphone mit Urlaubseindrücken herum. In Form von Texten. Darin beschreibt er das Meer, den schiefen Turm von Pisa, das opulente Frühstücksbuffet im Hotel und so weiter. Keine Fotos. Nur kurze Textschnipsel.
Macht doch keiner.
Und wenn, wage ich zu behaupten, dass die meisten Leute das Smartphone weiterreichen würden, ohne diese Texte zu lesen.
Stellen wir uns nun vor, Karins Krebs-am-Zeh-Foto hat ein Grieche gemacht, der kein Wort deutsch spricht. Trotzdem kann jeder dieses Foto betrachten, autsch sagen und lachen.
Stellen wir uns vor, der Grieche hätte diese Szene geschrieben. Mit seinen Schriftzeichen, seiner Sprache. Wer dieser Sprache nicht mächtig ist, wird nie erfahren, was Karin am Strand zugestoßen ist. Der Text wird sinnlos.

Was will ich damit sagen?
Schreiben ist nur eine Hälfte der Arbeit. Anders, als bei einem Foto oder Film, reicht es nicht, diesen Text jemandem vor die Nase zu legen. Spricht er nicht die Sprache oder ist Analphabet, ist dieser Text sinnlos für ihn, egal wie unterhaltsam er ist. Der Leser muss Energie und Zeit aufwenden. Er muss die Buchstaben zu Wörtern formen, die Wörter zu Sätzen und die Sätze zu Absätzen. Das reicht aber noch nicht. Es wäre strunzlangweilig, einfach nur Mengen an Wörtern aufzunehmen. Ein schlechter Text vermag auch nichts weiter, als das Hirn des Lesers mit faden Wörtern zu füllen.
Die eigentliche Aufgabe des Lesens betreibt der Leser selbst, bzw. sein Gehirn. Die Wörter triggern seine Innenwelt, er baut aus Sätzen und Absätzen Szenen in seinem Kopf, fügt sie zu sinnvollen Abläufen zusammen.
Er erlebt die Geschichte.

Wie gut er sie erlebt, wie sehr er mit Haut und Haar dabei ist, ob er dabei weinen oder lachen kann, hängt dabei nicht alleine davon ab, wie gut der Autor den Text geschrieben hat. Ja, natürlich, ein guter Autor wird den Großteil der Leser erreichen, wird mit den Innenwelten der Leser so gekonnt spielen wie ein Virtuose. Dennoch, um beim Bild des Musikers zu bleiben, wenn das Instrument verstimmt ist, kommt nichts dabei heraus.

Das erklärt beispielsweise grottige Rezensionen unter genialen Büchern. Klar sind die Mengen an Rezensionen im jeweiligen Bewertungsspektrum ein Hinweis darauf, wie gut ein Buch ist. Hat ein Buch lauter 1-Stern-Bewertungen, kann man davon ausgehen, dass der Autor sein Handwerk nicht verstanden hat. Vielleicht hat er sogar einen genialen Text geschrieben, aber so sperrig und verschnörkelt, dass er in den meisten Lesern nichts auslösen konnte. Oder er hat einen guten Text geschrieben, aber so viele Fehler darin, dass das Kopfkino ständig gestört wurde. Oder er hat wirklich Mist gebaut und die Charaktere fallen auseinander. Heißt: erst entsteht im Leser das Bild eines Menschen, dann zerstört der Autor es, indem der Charakter unlogisch handelt oder in jeder Szene ein anderes Wesen oder Aussehen hat. Oder der Plot ergibt keinen Sinn.
So oder so entstehen die meisten negativen Rezensionen, weil das Kopfkino gestört wurde. Das kann aber nicht nur auf handwerkliche Fehler des Autors hinweisen, sondern auch auf individuelle Eigenheiten des Rezensenten. Beispielsweise liest er einen Teenieroman, ohne sich in Teenies einfühlen zu können, weil er einer anderen Generation angehört oder er als Teeni völlig andere Erlebnisse hatte, sodaß ihm die Geschichte absurd erscheint. Oder sein Ex war genauso wie einer der Protas und daher empfindet er nur Wut statt romantische Gefühle. Manchmal haben Rezensionen mehr mit dem Rezensenten zu tun, als mit dem Buch.

Ohne die Arbeit des Lesers kann eine Geschichte nicht zum Leben erwachen. Damit ist auch ein Gratisbuch nicht kostenlos. Cover und Klappentext erzeugen eine Erwartung. Der Leser investiert Zeit und Energie, um die Geschichte zu lesen. Werden seine Erwartungen nicht erfüllt, wird er enttäuscht sein und sich um seine Zeit und Energie betrogen fühlen. Immerhin hätte er diese Zeit und Energie in ein Buch investieren können, das ihn besser unterhält. Und deswegen muss auch ein Gratisbuch Qualität haben. Nur, weil es nichts kostet, heißt es nicht, dass der Leser nichts investieren muss oder keine Ansprüche haben darf.

Da die meisten Autoren Gratisbücher aus Werbezwecken auf den Markt bringen, wäre es fatal, die Leser zu enttäuschen, indem sie ein halbgares Werk auf den Markt bringen. Vor allem, wenn man davon ausgehen kann, dass man viele Leser erreicht. Im schlimmsten Fall vergrault man damit Leser, die vielleicht die anderen Romane gekauft hätten. Und einmal von einem Autor enttäuscht, ist es kaum möglich, den Leser wieder für sich zu gewinnen.

Ebenso verhält es sich, wenn in dem Buch nicht das ist, was man mit Cover und Klappentext versprochen hat. Eben beispielsweise eine Leseprobe für einen anderen Roman, der 80% des Buches ausmacht. Das empfinden Leser als Verarsche, als Betrug. Sie stellen sich bei einem Buch mit, sagen wir mal, hundert Seiten Umfang auf einen unterhaltsamen Nachmittag in der Hängematte ein. Kinder sind außer Haus, Limo steht daneben, Handy ist auf lautlos, für Stunden wird man nun in eine Traumweld abdriften. Yey.
Und dann ist nach dreißig Minuten Schluss.
Abgesehen von der Enttäuschung tritt dabei auch zu deutlich zutage, dass der Autor einfach nur marketinggeil war und ihm die Geschichte ziemlich egal war. Gar nicht gut.

Fazit: Besser KEINE Gratisgeschichte als eine, die ihr nur gratis hergebt, weil ihr euch nicht bemühen wolltet. Vielleicht sollte eine Gratisgeschichte, so sie Werbung für eure kostenpflichtigen Romane machen soll, sogar BESSER sein. Auch Großkonzerne machen nicht mit Montagsprodukten Werbung, sondern im Gegenteil: mit dem Besten vom Besten. Und unterschätzt nie die Zeit und die Energie der Leser, die ihr mit euren Romanen einfordert. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollten euren Texte so gut sein wie möglich.

Not Avaliable

 

Nun, eines meiner unsympathischen Hobbies ist wohl, über Verlage herzuziehen. Das heute wird wieder so ein Beitrag, aber anders:

 

Mir ist nun schon wiederholt passiert, dass Bücher, die ich verdammt gerne lesen würde, nicht mehr erhältlich sind. Ja, man kännte sie mitunter für 100,- auf dem Gebrauchtmarkt kaufen, aber was hat der Verlag davon? Noch besser: Was hat der Autor davon? Und vor allem: Was soll das, 2018?

Ich kann ja nachvollziehen, dass ein Verlag ein Buch, das nicht mehr so oft nachgefragt wird, nicht auf Halde drucken möchte. Ist ja auch wirtschaftlich sinnvoll. Aber in Zeiten von E-Book und Book on Demand ist das doch auch für Verlage kein Problem mehr, selten nachgefragte Bücher zur Verfügung zu stellen. Ich hätte nicht einmal ein Problem damit, dann ein wenig mehr zu bezahlen, sofern ich weiß, dass sowohl der Autor als auch der Verlag ihr Geld bekommen. In mir sperrt sich allerdings alles, ein Buch von jemandem für horrende Summen zu kaufen, der nicht eine Sekunde daran gearbeitet hat.

Muss ich dann wirklich Piratenseiten konsultieren, einfach, weil es das Produkt nicht mehr gibt?

Wenn sich ein Verlag nicht die Mühe machen möchte, E-Books oder Book on Demand zu bemühen, warum verkauft er die entsprechenden Rechte nicht an Verlage, die nicht total verkrustet sind und bei denen die Stöcke bis zum Gaumenzäpfchen im Arsch stecken? Oh, ja, ich bin wütend. Richtig, richtig wütend. Etwas kaufen zu wollen und am Gatekeeper Verlag zu scheitern, das ist der Teil des Kapitalismus, der mich ehrlich ankotzt.

Die Liste der Bücher, die ich heutzutage 2018, nicht bekomme, weil die Verlage zu faul, zu geizig oder/und zu vorgestern sind, um sie gemäß der heutigen Standards für Leser verfügbar zu machen, wächst. Und ich kann kaum beschreiben, wie sehr ich mich diesbezüglich für diese Branche fremdschäme.

Und sie hasse, hasse, hasse.

So. Was bleibt mir also?

Das Buch, das ich suche, ist auf deutsch nicht mehr erhältlich. Interessanterweise schaffen sie es in englisch, durchaus auch E-Books anzubieten. Da ist das Buch aber auch noch erhältlich. Auch, wenn ich englisch mittlerweile gut verstehe, weil leider die meisten echt interessanten und inhaltsstarken Sachen nur im englischsprachigen Raum verfügbar sind, aber beim Lesen bevorzuge ich noch deutsch. Auch, weil beim Lesen von englischen Texten für mich die Sprache im Vordergrund steht, ich möchte aber den Inhalt aufsaugen.

Ich sage es nur ungern, aber in dieser Sache finde ich fast ein Pro-Argument für Piratenseiten. Interessanterweise schaffen sie das, was Verlage nicht schaffen. Auch, wenn ich mich nicht in diese Niederungen begeben werde, sondern mir lieber jetzt mal drei oder vier Finger vor Hass auf solche idiotischen Geschäftspraktiken – oder eher Geschäftst-nicht-praktiken abbeißen werde.

Was Filme betrifft, gibt es mittlerweile auf Youtube eine Menge Kanäle, die vergriffene oder ältere Filme kaufen und verbreiten, ganz legal. Ich wünschte, so was gäbe es auch für Bücher. Nein, nicht die üblichen Leihdienste, die es gibt, die führen diese Bücher ja alle nicht. Sondern jemand, der tatsächlich vergriffene Bücher wieder zugänglich macht.

Ehrlich. Ich bin gerade so was von frustriert, deswegen, ich kann das kaum ausdrücken. Es deprimiert mich regelrecht. Auch, weil ich keinen Tau habe, wie ich an diese Bücher rankommen soll. Es hätte ja nicht einmal Sinn, die Autoren persönlich anzuschreiben, was ich ohne zu zögern tun würde, die werden ihre Bücher ja nicht in allen Sprachen lagernd haben.

Also verbleibe ich damit, jedem in einem Verlag, der an einer entsprechend verantwortlichen Stelle sitzt, Ameisen im Arsch und zu kurze Hände zum Kratzen zu wünschen. Viel Spaß, ihr Saubacken.

 

M+M und explizite Sexszenen – Pontius Pilatus wäscht seine Hände im Vorwort

 

Jetzt mal zu einer Sache, die mir schon eine ganze Weile aufstößt (und nicht nur mir):

 

WARUM ZUR HÖLLE WARNT IHR LESER VOR SEXSZENEN ODER HOMOSEXUALITÄT?

 

Steht ihr so wenig zu dem, was ihr tut? Hält ihr Leser für total dämlich?

Es scheint ein Problem unserer Zeit zu sein. Die Zeit der Trigger-Warnings und politischen correctness. Jedes Schneeflöckchen muss behandelt werden, als hätte es eine Art psychische Glasknochenkrankheit. Und die Autörchen gleich mit hinzu. Denn was ist eine solche Warnung mehr als ein Schutzschild, auf das bloß kein Unbill auf sich gezogen werde. Es ist eine vorauseilende Rechtfertigung. Leute, die ihr das Buch vielleicht nicht mögt, lest es nicht. Denn wenn ihr es lest, schreibt ihr mir vielleicht eine grobe Rezension und ich Schneeflöckchen würde daran zugrundegehen.

Keuch.

Nein, wirklich, mir geht da das G'impfte auf, wie man auf gut österreichisch sagt. Ich finde das extrem unprofessionell. Wer nicht zu seinem Werk stehen kann, so, wie es ist, sollte es einfach nicht veröffentlichen. Wer mit Kritik nicht umgehen kann, lasst die Veröffentlichung. Oder anders: warum warnt ihr nicht auch vor einem schnörkellosen Stil, oder inkonsistenten Charakteren? Das stößt auch Leser vor den Kopf. Warum nicht überhaupt eine Plakette wie bei Zigaretten: "Warnung des Autors: Der Inhalt des Buches könnte Ihnen missfallen."

Ich stelle mir gerade vor, wie Autoren der großen Klassiker im Vorwort Triggerwarnungen angeben: "In diesem Buch findet Krieg statt, wer Krieg nicht mag, liest es bitte nicht." – "In diesem Buch gibt es Elfen und Hobbits." – "In diesem Buch findet ein Mord statt." – "In diesem Buch kommen Senioren vor." und so weiter. Das ist doch total lächerlich.

 

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass nicht alle Leser sich die Mühe machen, den Titel oder den Klappentext zu lesen, ehe sie ein Buch aufschlagen. Speziell, wenn sie es im Rahmen einer Preisaktion oder kostenlos erhalten. Ja, dann bekommen die einen Arschkrampf, wenn da plötzlich Männer miteinander rummachen. So what? Sie beschweren sich darüber in Rezensionen? Es gibt einen Stern? Ich verrate euch was: Es gibt eine Menge Leute, für die sind gerade 1-Stern-Rezensionen Werbung. Wenn sich da einer über Sex oder Sex zwischen Männern beschwert, ist das für sie ein Kaufgrund. Ich selbst habe schon eine Menge Bücher wegen der 1-Stern-Rezensionen gekauft.

 

Also, Leute, wenn ihr halbwegs professionell als Autor rüberkommen wollt, dann lasst den Leser selbst herausfinden, ob in eurem Buch zwei Männer miteinander bumsen. Sie werden es verkraften.

 

Exkurs dazu, weils gerade juckt: Ich gehe ja so weit, zu behaupten, die Menschheit geht deswegen so vor die Hunde, weil sie behandelt wird, als wäre sie ein dummes, unreifes Kleinkind. Nachweislich sinkt seit Jahren der IQ. Die Leute werden denkfaul bis zur totalen Verblödung. Warum? Weil sie Gefahren nicht mehr selbst abschätzen müssen. Überall gibt es Schutzvorrichtungen, Gesetze und Co, die die Menschen vor sich selbst schützen.

Das menschliche Gehirn wächst mit der Herausforderung. Etliche Studen beweisen, dass vor allem Probleme eine Art Sport für das Gehirn sind und es fit halten. Wenn man also bei jedem Schritt selbst überlegen muss, welchen Konsequenzen man sich aussetzt, bleibt man geistig fit. Wird einem das aber abgenommen, und muss nicht einmal mehr bei so etwas Simplen wie der Lektüre eines Schmachtfetzens damit klarkommen, dass da eventuell Leute miteinander rummachen, die nicht ins eigene Weltbild passen, verblödet man. Demenzerkrankungen wie Alzheimer sind eine Folge davon. Wer niemals selbst Risiken abschätzen muss, oder in Situationen gerät, die ihn fordern, wird dumm und faul.

Darunter fallen vor allem die ganzen Filterbubbles. Nur das zu lesen und konsumieren, was man kennt. Sofort stehenbleiben wie ein geblendetes Reh, wenn etwas auf einen zukommt, das man noch nicht kennt. Durch Triggerwarnungen im eigenen Krabbelkäfig verweilen, in dem es sicher und warm ist, und wo man sogar in die Windeln kacken kann, seelisch (und irgendwann auch sehr physisch, weil eben Demenz auch zu körperlicher Regression führt.) Es ist zudem ebenfalls bewiesen, dass Triggerwarnungen psychische Traumata verstärken und zementieren, als den Leuten helfen, mit ihren Traumatisierungen fertig zu werden. So oder so wird den Menschen auf ganzer Linie geschadet. Und mit den einzelnen Menschen, der ganzen Gesellschaft. Am Ende haben wir lauter Opfer, hübsch zusammengefasst in Schubladen, wie "Frauen" oder "Mütter" oder "LGBT", die man ja auch noch in fünfundsiebzig Schachteln aufsplitten kann, "Farbige" und so weiter. Gewonnen hat, wer in möglichst vielen Schubladen das Opfer spielen kann, praktisch nonstop getriggert ist und damit praktisch jede Herausforderung des Lebens einem -Ismus unterstellen kann, an dem alle anderen lernen dürfen, bloß aber nicht man selbst.

Und ja, indem man Leser davor warnt, dass in einer Gay-Romance M+M vorkommen, leistet man dieser Verblödung Vorschub.

Schneeflöckchen mögen hübsch sein, aber lebenstauglich sind sie nicht.

Klappentexte

 

Klappentexte sind so was wie der beste Freund, der dem Leser sagt, worum es in dem Buch geht, ohne ihm das Lesevergnügen zu rauben. Es ist eine Empfehlung, und daher sollte sie so viel Information wie nötig und so wenig wie möglich bieten.

Dabei sind ein paar Dinge zu beachten:

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wer hat nicht schon ein klasse Buch gelesen, und hat dann nach einem neuen Buch gesucht, das auch irgendwie so geschrieben ist? Wer hat nicht schon nach einem Film wie … oder einer Musik wie … gesucht? Nicht umsonst kommen auf jeden Bestseller eine Menge Bücher dahergeschwommen, die mehr oder weniger ein Abklatsch des Bestsellers sind. SoG beispielsweise hat es geschafft, dass in Buchhandlungen vorübergehend eine ganze Rubrik sexpliziter Frauenromane entstanden sind, mit ähnlichen Covermerkmalen.

Es ist also keine Schwäche, wenn man sich beim Klappentext an Genreübliche Traditionen hält. Worauf es ankommt, ist die Mischung aus Gewohntem und Neuem.

Leser lesen am liebsten über Menschen und wie sie ihre Probleme meistern. Für den Klappentext bedeutet das, dass der Leser erfährt, mit wem er es zu tun hat, und was das Problem ist, dass dieser Jemand überwinden muss. Weiters wäre je nach Buch noch interessant, wann die Geschichte spielt (beispielsweise im England des 18. Jhdt) oder wo (Manhattan).

Es gibt verschiedene Ansätze, wie man sich da herantasten kann.

Einer ist der Elevator-Pitch. Gibt einige Infos dazu im Internet. Auf die Schnelle: Stell dir vor du steigst in einen Aufzug und da steht ein wichtiger Mensch eines Verlags. Du hast wenige Stockwerke, ihn von deinem Buch zu überzeugen. Vielleicht gerade mal ein bis fünf Sätze. Es ist also keine Zeit, lange herumzustammeln. Wer, was, wo, wann. Diese Fragen müssen zum Warum führen: Warum man das Buch lesen sollte – beziehungsweise, warum der Verlagsmensch das Buch veröffentlichen sollte.

Eine weniger geschäftsmäßige und vielleicht zugänglichere Form, sich in ein Mindset zu verfrachten, mit dem ein Klappentext gelingt: Stell dir vor, du sitzt in einer gemütlichen Runde mit Kaffee und Kuchen (für Frauen) oder um ein Lagerfeuer (für Männer). Da hocken an die fünf oder mehr Leute beisammen, die alle etwas zu erzählen haben. Aber wer kommt zu Wort? Wem hört man zu? Wenn irgendeiner irgendwo langatmig zu schildern anfängt, wird er schnell unterbrochen. Was tut man also, rein instinktiv?  Man setzt an den Beginn der Erzählung einen Aufhänger. "Gestern hab ich im Aktenkoffer meines Mannes einen Dildo gefunden und plötzlich steht die Polizei vor der Tür." So die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, kann man sich mit der genauen Schilderung ziemlich Zeit lassen, alle werden gebannt zuhören. Das wäre dann der Inhalt des Buches.

Nicht viel mehr ist ein Klappentext. Er reißt kurz an, worum es geht, das so konkret und spannend wie möglich. Und bitte: Inhalte. Wie im Roman selbst, sollte man von hohlen Floskeln möglichst Abstand nehmen. Sie sind nämlich hohl. Und nicht selten abgedroschen. Vielleicht hat im 18. Jahrhundert irgendjemand das Versprechen "Dunkles Geheimnis" hinterm Ofen hervorgelockt, aber wir leben jetzt in einer anderen Zeit. Wir werden bombardiert mit Filmen, Serien und Büchern. Praktisch jedes Medium enthält ein "Dunkles Geheimnis", weil sonst würde man es kaum lesen. Vom Krimi bis zur Liebesgeschichte geht es in der Reise des Lesers darum, irgendwelche dunkle, geheime Aspekte zu entdecken. Wer solche Floskeln einsetzt, könnte genausogut schreiben: In diesem Buch gibt es Seiten. Sagt genausoviel über den Inhalt aus, wie "dunkles Geheimnis" und Konsorten.

Ich glaube, der Verlagsmensch im Aufzug würde in der Sekunde das Interesse verlieren, indem du "dunkles Geheimnis" sagst.

Beim Lagerfeuer und beim Kaffekränzchen würde es nur funktionieren, weil du selbst der Protagonist bist. Für deine Freunde also gehört zum Klappentext: Maria, leicht übergewichtig, geht jeden Sonntag zur Kirche, hat einen Mann, der Finanzbeamter ist, lebt in einem Häuschen am Rande der Stadt mit gepflegtem Vorgarten, findet Urlaub im Garten am Schönsten, häkelt gerne Tischdeckchen und schaut sich Rosamunde Pilcher Filme an, ist so naiv wie eine Klosterschülerin ... und die spricht von einem "Dunklen Geheimnis". Da kommt also nur Interesse auf, weil man Maria und ihre naiv-plumpe Offenherzigkeit, gut kennt, und weiß, dass die Frau nicht zu Geheimnissen neigt. Um eine Person so gut kennenzulernen, muss man aber in der Regel mindestens ein Viertel des Romanes gelesen haben. Kommt eine wildfremde Person auf dich zu und redet von einem "Dunklen Geheimnis" in ihrem Leben, ist dir das vermutlich ziemlich scheißegal. Ein Klappentext verrät viel zu wenig, um den Slogan "dunkles Geheimnis" irgendwie mit Spannung aufzuladen.

Klar?

Übrigens schreibe ich Klappentexte gerne als erstes, also bevor ich mit dem Roman beginne. Auch, wenn ich ihn im Laufe des Schreibprozesses noch ändere, ist es für einen Autor viel leichter, die wenigen Infos, die man hat, zu einem kurzen Text zusammenzufassen, als hinterher aus einer Menge Inhalt, der einem ans Herz gewachsen ist, die Essenz herauszuziehen. Der Trick dabei – zumindest für mich – ist, den Klappentext so interessant zu schreiben, dass ich selbst Lust habe, an der Geschichte zu schreiben. Zudem bemerke ich dadurch schon sehr früh, ob die Geschichte Hand und Fuß hat.

 

Impressum

Texte: Kooky Rooster
Bildmaterialien: Kooky Rooster
Tag der Veröffentlichung: 29.03.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen, die nicht aufhören können zu lernen.

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