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"Mama, Kevin hat gesagt, der Lukas hat gesagt, dass das Klavier eine Frau war."
"So ein Blödsinn, Jennifer. Da hat Kevin mal wieder nur mit halbem Ohr hingehört. Sprich leise, Papa guckt Fußball. Was hat der Lukas denn sonst noch so gesagt?"
"Hat Kevin nichts von gesagt."
"Schatz, Lukas kommt aus Polen. Da hat der Lukas bestimmt etwas auf Polnisch gesagt, und unser Kevin hat das falsch verstanden."

"Geht das in der Küche auch leiser, da bei euch? Du kannst mit dem Abendessen langsamer machen. Ich ess' erst in der Halbzeit. Mann, du Vollidiot, mach' das Ding doch einfach rein, Du lahmer Sack!"



"Deck schon mal den Tisch, Jennifer. Aber leise, damit der Papa nicht gestört wird."

"Du Arsch, weißt du überhaupt, warum du auf dem Platz bist? Geh ran!"



"Ein Glück, dass es heute nur Brote gibt. Da kann der Papa essen, wann er will. Jennifer, warte mal. - Horst, es gibt heute sowieso nur Butterbrote. Die kannst du auch vor dem Fernseher essen."

"Wie, was ist das denn? Zum Abendbrot sitzen wir gefälligst wie eine ganz normale Familie am Tisch zusammen. Ich komm dir gleich rüber, du lahme Tüte, von wegen Abseits."



"Also gut, wie du willst. Jennifer, dann deck weiter."
"Mama, wirklich, der Kevin hat gesagt, der Lukas hat gesagt, dass die Frau ein Klavier war."

"Du lahme Sau, wer hat dir denn erlaubt, auf dem Platz zu stehen!"


"Jennifer, jetzt hör auf mit dem Unsinn. Der Lukas ist ein netter Kerl. Aber die Mutter ist allein erziehend und hat hier nicht so viel Kontakt. Woher soll der arme Lukas denn richtig Deutsch sprechen? Hol Papas Bier aus dem Keller und sag Kevin, er soll jetzt Schluss machen am Computer."
"Immer ich. Warum muss Kevin nicht helfen? Immer sitzt der am Computer."
"Jennifer, ich hatte heute bei Schlecker viel in die Regale einzuräumen. Mir tut der Rücken weh. Hör auf rum zu maulen."

"Halbzeit. Essen, dalli, dalli! Gleich geht's weiter. Hoffentlich scheißt der die mal ordentlich zusammen in der Pause."


Alle vier sitzen am Tisch - wie es sich gehört. Helga hat vergessen die Schürze abzulegen. Sie streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Spätestens heute Abend muss sie sich die Haare waschen, so fettig wie die sind. Und neue Tabletten gegen die Rückenschmerzen braucht sie auch dringend. Horst hat sein Jogginganzug-Oberteil abgelegt. Beim Fußball ist ihm so richtig warm geworden. So sitzt er jetzt eben im Unterhemd am Tisch. Und Paula ärgert sich. Ärgert sich, dass die Unterwäsche schon nach wenigen Wäschen einen Grauschleier hat. Egal, welches Waschmittel sie ausprobiert. Horsts Ellenbogen liegen auf dem Tisch, der Mund wird zwecks Nahrungsaufnahme zum Brot geführt und die langen Achselhaare triefen vor Achselschweiß.

"Kevin, was gibt's Neues?"
"Der Lukas redet schon Scheiß. Von wegen das Klavier war eine Frau und so."

"Meinst du den Polacken von gegenüber, Kevin?"


"Horst, bitte, die kommen aus Polen, ja. Aber der Lukas ist doch hier geboren."

"Sag ich doch, die Polacken. Kevin, der hat wahrscheinlich polnisch gesprochen. Sowieso 'nen Unding, dass die draußen polnisch sprechen. Das sollte verboten sein. Hol mir noch`n Bier, Jennifer."


"Immer ich."

"Mach hinne, sonst lernste mich kennen."



"Nein, Papa, es war Deutsch."

"Na, was der Lukas eben so an Deutsch kann. Vielleicht hat er gesagt 'Papier für die Sau'. Die machen in Polen doch noch Hausschlachtungen. Oder er hat bei einer Messerstecherei den Kürzeren gezogen und jetzt 'war Vladimir, die Sau'. - Paula, was soll das eigentlich mit den Broten? Ich arbeite den ganzen Tag und da will ich abends warmes Essen."


"Horst, sonst gibt's ja immer warm. Das Einräumen bei Schlecker ist so anstrengend und dann noch einkaufen, putzen und waschen. Und du hast doch heute schon warm bei euch in der Kantine gegessen."

"Apropos Waschen, wo ist eigentlich mein neues Flanellhemd?"


"Das ist schon gewaschen. Ich muss es nur noch bügeln, Horst."

"Ich kann`s jedenfalls nicht anziehen. Jennifer, da kannst du auch mal deiner Mutter helfen."


"Ich helfe ja der Mama. Aber in den letzten Tagen habe ich in der Schule an einem Projekt für den Internationalen Frauentag gearbeitet. Bis spät am Nachmittag..."

"Wie, Internationaler Frauentag. Was haben wir denn hier in Deutschland mit den anderen Frauen zu tun? Wir feiern Muttertag."

"Papa, heute ist der Internationale Frauentag und der hat was mit den Menschenrechten der Frau zu tun. Es geht darum, dass die Frauen auf der ganzen Welt dieselben Rechte haben sollen wie die Männer."



"Helga, gibt's nicht wenigstens Gürkchen dazu?"



"Horst, ich habe keine Gurken mehr."

"Bei uns Deutschen haben die Frauen doch dieselben Rechte wie wir Männer. Da muss doch nicht wegen so 'nem Scheiß der Unterricht ausfallen."


"Wir haben doch sogar viel länger Schule gehabt, Papa."

"Hier, die da hinten. Wie heißen die noch? Die Marocks? Yilmaz, Fakiri. Die müssen an so 'nem Projekt teilnehmen. So wie deren Fatimas rumlaufen müssen. Ach, was sag ich. Einfach verbieten müsste man das. Wer hier leben will, soll sich gefälligst an unsere Regeln halten. Scheiße, jetzt hab ich den Anpfiff verpasst. Helga, bring mir die Brote und das Bier rüber zum Sofa. Ich muss noch mal dringend pissen gehen."



Am nächsten Morgen. Helga hat sich die fettigen Haare zu einem Zopf zusammen gebunden. Sie hat es beim besten Willen nicht mehr geschafft. Nachdem sie Horsts Hemd gebügelt hatte, ist sie wie ein Stein ins Bett gefallen. Helga öffnet den Briefkasten. Zwischen Plus- Lidl- und Aldi-Prospekten liegt ein kleiner Zeitungsartikel. Sie selbst beziehen keine Tageszeitung, aber die liebe Nachbarin hält sie mit ausgeschnittenen Artikeln aus der Region auf dem Laufenden. Es ist wirklich nur ein kurzer Artikel, fast hätte sie ihn mit dem Werbemüll weg geschmissen.

"Erstmalig in der Geschichte unserer Stadt geht der mit 2.000 Euro dotierte Literaturpreis an einen erst siebzehnjährigen Schüler. Lukas Wojciechowski, der die zwölfte Klasse des städtischen Gymnasiums besucht, überzeugte die hochrangig besetzte Jury mit seinem beeindruckenden Erstlingswerk.

In der Begründung heißt es: Der Sohn unserer Stadt ist ein Akrobat, ein Jongleur. Nur, dass er nicht mit Bällen, sondern der deutschen Sprache jongliert. Virtuos bedient er sich ihrer und schafft so mit der 'Klavierfrau' ein Meisterwerk, das den Vergleich mit renommierten deutschen Schriftstellern nicht fürchten muss."


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Tag der Veröffentlichung: 01.10.2008

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