Mein durchsichtiger Freund
Ich sass da, auf meinem Bett, mit dem Rücken lehnte ich an der Wand, die Flasche in der Hand und lachte.
Ich hörte mich selbst lachen und ich hörte daraus den Wahnsinn.
Dann nahm ich noch ein Schluck und das Zeug fühlte meinen Mund und lies meine Zunge automatisch nach mehr verlangen. Es machte meine Zunge schwer und unbrauchbar, es brannte meine Speiseröhre hinunter und ich öffnete meine Augen wieder.
Da sah ich es direkt vor mir.
Das abgeblätterte Glück - die Tapete viel fast von den Wänden und hatte einen gelblichen Stich. Eine Wärme fühlte mich langsam von innen aus und nun wusste ich, dass jemand bei mir ist. Jemand der mich schon längst kennt und immer wieder neu begrüßt.
Mein Freund.
Das abgeblätterte Glück hatte ich mit vielen Bildern überklebt. Von meinen Kindern, meiner Familie, meine gezeichneten Bildern.
Meine Kinder, die bei meinen Ex-Freund leben, weil das beschissene Jugendamt mir sie abgenommen hat!
Scheiss Deutschland!
Da wo ich her komme war es besser! Polen.
Und ja verdammt, ich kam illegal her!
Ohne Pass lebte ich hier und dann irgendwann bekam ich einen, wie ich dazu kam weis ich nicht mehr. Mein Erinnerungsvermögen ist nicht grade das beste, was ich zu bieten habe.
Ich hasse meinen Ex. Irgendwann werde ich ihn dafür umbringen, dass er meine Kinder hat. Das sind meine Kinder und sie gehören zu mir! Zu ihrer Mutter!
Mein Freund lehnte gegen mein Knie, er verströmte einen so betörenten Geruch, dass ich nicht anders konnte, als weiter meine Zunge zu erschweren und in mir zu brennen. Mein Freund gab mir Geborgenheit, denn er machte es in mir warm. Er war da, wenn man ihn brauchte.
Meine Hände waren um meinen besten Freund geschlossen. Ich hatte kleine Hände - Wurstfinger, wie man dazu sagte. Meine Hände waren zart mit keinerlei Hornhaut - aber sie waren auch brutal.
Sie haben es geschafft, dass ich keine Kinder mehr bekomme.
Ja, Recht hatten meine Hände!
Soll ich den Kinder bekommen, damit so Arschlöcher wie mein Ex sie mir wegnehmen?
Jetzt war ist sowieso zu spät.
Meine Hände haben die Gebärmutter aus mir geholt und nun kann ich keine Kinder mehr bekommen. Ich hab es selbst gemacht, bin fast verblutet, aber irgendein Idiot hat den Krankenwagen geholt.
Und deshalb lebe ich noch.
So eine Scheiße aber auch.
Ich will nicht leben!
Scheiss Alkohol, ich wollte doch immer aufhören und immer wieder nahm ich den nächsten Schluck.
Meine Blickfeld verschwamm noch mehr und Tränen liefen über mein Gesicht. Ja, meine Kinder. Wie mein kleiner Sohn mich begrüßt hatte, als ich ihn besuchen durfte, er hatte ,,Mama!” gerufen und ist mir in die Arme gesprungen. Grundschulalter, aber ganz schön pfiffig für sein Alter. Und im Hintergrund mein Ex.
Ich stand auf und die Flasche fiel zu Boden, der Inhalt ergoss sich über den Boden, doch das interessierte mich nicht. Konnte ich gleich aufheben, nachdem ich im Bad war.
Ich tappte rüber zum Bad und ging aufs Klo. Wegen meinem Kumpel musste ich oft auf`s Klo.
Als ich rausging, sah ich meine Mitbewohner am Küchentisch sitzen. Bei denen strahlten die Farben, weiss umhüllten sie, während über mir eine Wolke schwebte. Eine schwarze Wolke, die mich aufsaugen wollte.
,,Hey” begrüsste ich sie und hob matt die Hand. Sie schauten auf und das Gespräch von ihnen verstummte.
Meine Mitbewohnerinnen waren ein junges Mädchen, 18 Jahre alt und eine 26jährige verheiratete Frau. Die verheiratete hatte auch einen Sohn im Alter von 8 Jahren, auch sie hatte ihn wegen dem Jugendamt verloren. Und die junge hatte keine Ahnung vom Leben, wollte ihr Abi machen und hatte noch so Flauselen, wie Träume im Kopf.
Aber wir hatten auch unsere Gemeinsamkeiten.
Annette, die verheirate schnupfte und tat sonst was mit ihrem weißen Zauberpulver - die junge war zu dünn und sie heulte oft. Und wir wohnten alle hier.
Ich schlappte zu ihnen und setzte mich auf den letzten freien Stuhl. Die Junge hatte wieder ihren Laptop vor der Nase, sie schrieb viel, an was auch immer. Annette rauchte eine.
,,Darf ich?” fragte ich, sie hielt mir eine hin und ich griff nach ihr.
Vorbei.
Beim zweiten Versuch, hatte ich die Zigarette in der Hand und zündete sie an. Der ersten Zug war immer am intensivsten. Ich blies denn Rauch über mein Kopf, weil die Junge nicht rauchte. Die war sowieso komisch. So jung und dann hier.
Schnell war die Zigarette geraucht und Annette in ihrem Zimmer verschwunden, ich stand auf und spürte mit einer atmeraubende Wucht wie schnell sich das Gefühl der Übelkeit sich in mir ausdehnte. Ich strauchelte ins Bad und erbrach in die Toilettenschüssel und so verlies mich mein Freund wieder. Als ich fertig war mit Würgen, ließ ich mich neben die Kloschüssel plumpsen und wischte mit meinem Ärmel über den Mund.
Langsam stand ich wieder auf, spülte ab und schlappte in mein Zimmer, ich bemerkte wie die Junge mir hinterher sah und schloss meine Zimmertür hinter mir ab.
Dann sah ich, dass mein Wodka über den halben Fußboden verteilt war.
Naja, egal ich hatte ja noch ein paar Flaschen neben meinem Bett stehen und die Wohnung gehörte sowieso nicht mir.
Obdachlosenheim eben.
Ich griff nach meinem neuen Freund öffnete ihn und schaute raus. Fernsehen hatte ich keinen - hatte kein Geld.
Einmal hatte die Junge mal zu mir gesagt, dass ich mit meinen Freunden aufhören soll und im Krankenhaus war ich deswegen auch ein paar mal. Die Junge hatte keine Ahnung.
Nur mein Freund hatte Ahnung.
Ich spielte mit meinen Finger und lächelte.
Einen weiteren Schluck und der Geschmack von erbrochenem war wie weggewischt.
Mein Freund holte mich hier raus, ja, aus der Schlucht des Dunklen, das mich anzieht, des dunklen Nichts, in dem ich irgendwann verschwinde. Aus meiner Hölle holte er mich und da schien das Glücklichsein doch nicht mehr weit.
Der Himmel noch eine Handbreit entfernt.
Ein Schritt weiter und ich bin im Himmel - ein Schritt zurück und ich bin in der Hölle.
Tag der Veröffentlichung: 12.05.2011
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