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Wir bauen uns ein Atomkraftwerk

 

 

 

Im Zuge meiner Verehrung für die Elektro-Pop-Band „Kraftwerk“, begann ich mich in den siebziger Jahren für Atomenergie zu begeistern. In deren Stück „Radioaktivität“ hieß es:

Radioaktivität, wenn's um unsere Zukunft geht

 

Genau! Das war es doch. Man brachte uns Schülern damals bei, dass die weltweiten Vorräte an Erdöl und Kohle schon bald (kalkuliert war Mitte der neunziger Jahre) erschöpft sein würden. Was gab es da besseres und anderes als Atomenergie? An Solar- oder Windkraftwerke dachte damals noch niemand, ganz zu schweigen von Erdwärme. Und Wasserkraft, das konnte man doch vergessen. Die ach so harmlose Kernenergie war dagegen die beste aller Alternativen. Der liebe Onkel vom ZDF erklärte das im Fernsehen doch so schön. Er wusste, dass die Sonne schließlich auch ein Atomkraftwerk war, und dagegen hatte doch niemand etwas. Und Radioaktivität? Die gab es schließlich auch auf der Erde, und sie war in uns allen und überall.

 

Da gab es aber doch tatsächlich ein paar Spinner, die dagegen waren und lauthals protestierten. Was für Idioten! Die hatten doch keine Ahnung. Nein, wir waren (fast) alle für die „friedliche Nutzung“ der Kernenergie.

 

Dann kam Loriot im Fernsehen. In dem Sketch mit Familie Hoppenstedt schenkte der liebe Opa nach fachkundiger Beratung seiner Enkelin „Dicki“ ein schönes neues Spiel zu Weihnachten: „Wir bauen uns ein Atomkraftwerk“. Das war alles ganz einfach, denn es ist ja für Kinder. Aber: „Wenn man einen Fehler macht, gibt es eine Explosion. Es macht Puff und die Kühe fallen um, und die kleinen Häuser und Bäume“.

 

Darüber konnte auch ich lachen, verkannte jedoch (wie die meisten) den ernsten Hintergrund. Mein Kumpel Torsten hingegen sah das anders, und versuchte mir zu erklären, wie das gemeint war. Ich zerstreute jedoch seine Bedenken. „In der Zukunft haben die Autos einen Atomreaktor als Antrieb und wir haben Raumschiffe, die mit Kernenergie zum Mond und zum Mars fliegen“, behauptete ich. So stand es schließlich auch in den wissenschaftlichen Büchern, die ich gerne las.

 

Jahre später trat ich in die SPD ein. Auch dort war die Linie klar für Atomenergie. „Die Grünen“ waren anderer Meinung, das erntete bei uns damals nur Kopfschütteln. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern würde.

 

Doch dann passierte es. Am 26.04.1986 wollte man in Tschernobyl (seinerzeit Sowjetunion) im dortigen Kernkraftwerk eine Simulation eines vollständigen Stromausfalls durchführen. Durch einen Bedienfehler und eine unglückliche Verkettung weiterer Umstände kam es zu einer großen Explosion und in deren Folge zu mehreren Bränden. Das war ein Super-GAU, genau das was niemals hätte passieren dürfen. Es hatte „Puff“ gemacht, wie in dem Sketch von Loriot.

 

Erst zwei Tage später trudelten die ersten Meldungen über den Vorfall bei uns in Deutschland ein, und weitere zwei Tage später, am 30.04.1986 sah man das erste Bild von dem Brand in der Tagesschau. Wie schlimm das Ganze war, wurde erst nach und nach bekannt. Besonders Süddeutschland und Österreich wurden von der radioaktiven Strahlung kontaminiert. In den Zeitungen und im Fernsehen wurden Listen veröffentlicht, was man alles nicht mehr essen sollte: Wildbret, Pilze, Milchprodukte, Obst und Gemüse. Panik brach aus. Nicht so in der DDR. Obwohl man ja viel näher an der Katastrophe lag, wurden die Sache dort heruntergespielt und unsere Berichterstattung als „westliche Hetzkampagne“ bezeichnet. Die Bevölkerung Ostdeutschlands futterte daher bedenkenlos all das, was wir mieden.

 

Ich selbst war völlig konsterniert. Eine Welt war für mich zusammengebrochen. Jetzt mutierte ich vom leidenschaftlichen Befürworter zu einem Gegner der Atomkraft und nahm erstmals an Protestkundgebungen teil. Zufällig traf ich auf einer dieser Veranstaltungen Torsten wieder, der mich lächelnd begrüßte und sich ein „Ich habe es Dir ja immer gesagt“ nicht ersparen konnte.

 

Niemand kennt die genaue Anzahl der Menschen, die weltweit an den Folgen der Tschernobyl – Katastrophe verstarben, Schätzungen gehen von 4.000 aus. Dazu kommen die wirtschaftlichen Folgen der betroffenen Länder, die gar nicht genau zu beziffern sind. 6.400 km² landwirtschaftliche Nutzfläche im direkten Umfeld des Unglücks sind so stark belastet, das sie aufgegeben werden mussten.

 

Trotz alledem gingen bis 1989 weitere sechs KKW in Deutschland in Betrieb. „Wir bauen uns ein Atomkraftwerk“ galt noch immer, trotz aller Proteste. Die Frage der Endlagerung unseres Atommülls ist bis heute nicht geklärt.

 

Ich kann darüber nur den Kopf schütteln, so wie ich es damals über die Atomenergie-Gegner tat. Immerhin beschlossen Bundestag und -rat Ende 2011 den endgültigen Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie, nachdem sich am 11.03.2011 in Fukushima/Japan ein weiterer Super-GAU ereignete. Aber erst im Jahre 2022 soll das letzte deutsche KKW vom Netz gehen.

 

Die meisten anderen Länder, so z.B Frankreich und Belgien ignorierten auch das japanische Unglück und bauen sogar noch neue Kernkraftwerke. Bleibt zu hoffen, dass es nicht erneut „Puff“ macht, wenn wieder jemand etwas falsch macht. Sonst werden noch viele Häuser und Kühe umfallen, um auf Loriot zurückzukommen.

 

 

 

 

 

 

Impressum

Bildmaterialien: www.wikipedia.de
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
All den Opfern von dem Unglück in Tschernobyl und anderen KKW-Super-GAUs gewidmet.

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