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Gendern oder nicht gendern, das ist hier die Frage

 

 

Geboren wurd´ ich in den Siebzigern,

da sprachen die Chefs noch von Mitarbeitern.

Ich fühlte mich stets angesprochen, keine Frage,

obwohl ich als Gene zwei X-Chromosome trage.

Ich selbst war auf mein Geschlecht nie so erpicht

und darum gendere ich auch einfach nicht.

 

Später nahm man die Frauen auch sprachlich mit auf.

Es gab Mitarbeiterinnen und Kundinnen zuhauf.

Bürgerinnen, Wählerinnen und Teilnehmerinnen

auch Einwohnerinnen, es gab kaum noch Entrinnen.

Verbessert hat das die Bezahlung der Frauen leider nicht

und deshalb gendere ich immer noch nicht.

 

Zufrieden war ich mit meinem Körper nicht immer:

erst Akne, dann Falten, es wurd´ immer schlimmer.

Doch über eines bin ich heute noch froh:

ich kam als Frau zur Welt und fühl´ mich auch so.

So geht es nicht allen, die Nachricht hat mich erreicht

und ich vermute, im falschen Körper zu stecken ist nicht sehr leicht.

 

 

 

 

 

Es liegt mir fern, fremde Menschen zu dissen,

wo die Unterschiede liegen, will ich gar nicht so genau wissen.

Ich suche lieber Gemeinsamkeiten,

dann braucht man sich auch nicht so oft streiten.

Ein Sternchen soll Menschen nun vereinen.

gesprochen soll eine Pause das Gleiche meinen.

Doch es hört sich so komisch an, sprech´ ich es aus,

mir ist diese Sprache deshalb ein Graus.

 

Ich bekam zwei Kinder von meinem Mann,

Sie fragen: was stellt sie sich dann so an?

Denen haben wir früh erklärt: wir sind alle gleich,

ist deine Haut dunkel oder ganz bleich.

«Mama, ich laufe mit Samira von der Schule nach Haus.

Ich muss etwas betteln, doch der Umweg macht ihr nichts aus!»

Als ich die nette Samira sah, merkte ich an: «Sie ist ja schwarz, das hast du gar nicht erzählt...»

Irritiert sah meine Tochter mich an: «Mama, das ist doch egal, das habt ihr doch erklärt!»

Ich war wirklich stolz, dass sie so gut auf uns hört

und fühlte mich gleichzeitig ein wenig belehrt.

Diesen Weg finde ich gar nicht verkehrt:

es ist einfach nicht mehr erwähnenswert.

 

 

 

 

 

Liebst du einen Menschen vom gleichen Geschlecht

ist das normal - Hauptsache die Liebe ist echt.

Und auch hier konnte ich noch lernen vom eignen Kind

als ich zeigte, wie offen wir in der Gesellschaft sind.

Als Beispiel nahm ich Elton John und Udo Walz, die waren zufällig im TV.

Ich erklärte, dass beide homosexuell und erfolgreich sind, das weiß ich ganz genau

Empört schaute mich meine Zehnjährige an und fing an zu hissen:

«Der schneidet Haare und der macht Musik, mehr muss ich doch gar nicht wissen!»

Ich war wieder stolz, dass sie so gut auf uns hört

und fühlte mich wieder ein wenig belehrt.

Würde jemand seinem Kind erklären, dass Sabine Wolf zu den Heten gehört,

wäre ich entsprechend verdattert und wohl auch etwas empört.

 

Was soll denn der Sülz, hier ging`s doch ums Gendern,

will sie denn daran gar nichts ändern?

Noch tu ich mich damit etwas schwer,

doch ich denke, jammern hilft ja nicht mehr.

Herabgesehen habe ich auf alte Leute,

die Worte von gestern nutzten in meinem Heute.

Die sprachen von Fräulein, Oheim oder Grammophon.

Was jetzt kommt, das ahnen Sie vielleicht schon.

Sprache entwickelt sich, das war immer schon so

und deshalb gender ich jetzt und find’s richtig so.

 

 

 

 

 

Wir sollten viel mehr auf innere Werte schauen,

uns trauen, wirklich nach vorne zu schauen.

Wo du herkommst oder wie du aussiehst, ob mit oder ohne Handicap

Hauptsache, dein Herz ist am rechten Fleck

Ob Sternchen, Pause oder Unterstrich

keiner bleibt mehr außen vor und deshalb gender ich.

 

Impressum

Texte: Sabine Wolf
Bildmaterialien: Bookrix-Vorlage
Tag der Veröffentlichung: 24.08.2021

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