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Laertes

Laertes.
(Oder wie Heiner seinen ersten Hahn schlachtete)

Eine Geschichte aus dem Leben.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig.
Gewidmet meinem Schwiegersohn, ohne dessen Hilfe die Geschichte nie zustande gekommen wäre.
Juni 1995
Nachdem Laertes, der dreivierteljährige Hahn, nicht nur Unruhe, sondern auch Aufruhr in den Hühnerhof von Heiner und Rieke gebracht hatte, stand für Heiner, unserem Schwiegersohn, fest, Laertes muss weg. Laertes stört. Der Althahn duldete keinen Nebenbuhler, und die Hennen, einschließlich des Zwerghuhns lehnten nicht nur das machohafte Gebaren Laertes ab, nein, sie waren einfach empört darüber, weithin hörbar an dem aufgeregten Gegacker.
Nach einem besonders heftigen Streit zwischen den beiden Hähnen, setzte Heiner den Tag fest, an dem Laertes mittels des Schlachtbeils vom Hühnerhof entfernt werden sollte.
Somit nahm das Schicksal für Laertes seinen Lauf.
Armer Laertes! Armer Heiner !
Zuerst suchte Heiner ein Kochrezept aus. Laertes sollte mit einer Füllung, bestehend aus Zwiebeln, Knoblauch, Schinkenwürfeln und Küchenkräutern in die Ofenröhre geschoben werden.
Das Festmahl wurde aus 21.00 Uhr festgesetzt.
Nach dem Frühstück fuhr Heiner mit Rieke zum ca. 17 km entfernten Städtchen, um die benötigten Zutaten frisch einzukaufen.
Wieder zuhause angekommen, zog Heiner sich standesgemäß für die Hinrichtung Laertes an. T-Shirt, Boxer – Short und einen wadenlangen mit weißer Farbe befleckten Malerkittel, den er aus Bequemlichkeit nicht zuknöpfte. Dann zimmerte sich Heiner einen Hauklotz mit drei Beinen drunter. Voller Stolz zeigte er meinem Mann drei lange Nägel, die er irgendwann einmal aufgehoben hatte, und die er jetzt für seinen Schlachtklotz verwenden wollte, aber infolge einiger Fehlschläge krumm schlug.
Armer Laertes !
Die Frage meines Mannes, warum er denn nicht den vorhandenen Hauklotz, der fürs Holzhacken bestimmt war, für das feierliche Ritual nehmen würde, schob Heiner mit dem Argument beiseite, dass dieser Klotz für ihn (und wahrscheinlich auch für Laertes Haupt) nicht bequem genug sei, um dem armen Laertes darauf den Todeshieb zu versetzen.
Endlich hatte Heiner es geschafft. Der Schlachtaltar war fertig.
Jetzt stand ihm die schwere Aufgabe bevor, Laertes einzufangen.
Vergeblich !

Laertes lief im wahrsten Sinne des Wortes um sein Leben, Heiner mit einem eigens für diesen Zweck geschnitzten Betäubungsknüppel hinterher
Nach drei vergeblichen Versuchen tauchte Heiner, inzwischen war es Mittag geworden, vollkommen erschöpft bei mir in der Küche auf und meinte in seiner bayrischen Mundart : „I hob ni denkt, dass des damische Vieh so schnell tät lafn könne.“
Der Kommentar meines Mannes darauf: : Nicht, dass du gleich kaputt bist und der Hahn lebt immer noch.“
Ich setzte noch einen drauf, indem ich sagte: “Na ja, dann wird halt Heiner gefüllt und in die Röhre geschoben.
Lachend begab Heiner sich daraufhin wieder auf Laertesjagd.
Armer Heiner ! Armer Laertes !
Schließlich und endlich schlug für Laertes die letzte Minute, ein kurzes Zucken noch, dann entschwand Laertes Seele in den Hühnerhimmel, oder, weil er ja so ein böser Macho war, vielleicht auch in die Hühnerhölle.

Für Heiner begann die zweite schwierige Aufgabe. Laertes musste von dem prächtigen Gefieder befreit werden.
Die Bank vor dem Hause schien der geeignete Platz zu sein. Heiner setzte sich auf die Bank, stellte einen Eimer zwischen seine Beine, und unter den kritischen Blicken und Kommentaren eines kleinen Dorfjungen, ging es los.
Hei, wie die Federn flogen! Sie wirbelten um Heiner und um den Eimer herum. Der weiße Kies vor dem Haus bekam einen schönen Federteppich, und ein Teil schwebte auch in den dafür vorgesehenen Eimer. Die Prozedur ging schneller vonstatten, als ich nach der zeitaufwendigen vorangegangenen Jagd dachte.
Heiner entfernte anschließend in der Küche mit einer Zange eine besonders hartnäckige Flügelfeder. Ich gab ihm noch den Tipp den restlichen Flaum abzubrennen. Nachdem auch das erledigt war und Heiner in seinen Fachbüchern nachgelesen hatte, was beim Ausnehmen eines Hahnes zu beachten ist, und er sich dank seiner Sanitäts-Ausbildung im Krankenhaus in der Anatomie genügend auskannte, traute er sich zu, Laertes Innereien zu entfernen, ohne dabei die Galle zu verletzen
Armer Laertes !
Ich beschloss diesem Schauspiel nicht beizuwohnen. Bevor ich mich entfernte, entfuhr mir ein kleiner erschrockener Schrei:
„Oh, Heiner, du blutest ja am Bein.“ Ich dachte ernsthaft, Heiner hätte sich bei dem Kampf mit Laertes eine Verletzung zugezogen, und Laertes, boshaft, wie er war, hätte Reinhold in die Wade gebissen,. Heiner konnte mich beruhigen: „Na, das is nu a Blut von Laertes „
Beruhigt entfernte ich mich
Draußen herrschte eine unheimliche Ruhe. Was war anders als sonst ?
Der Hühnerhof !
Es herrschte nach all dem Krähen und Gegacker der letzten Tage eine unbeschreibliche Ruhe. Mein erster Gedanke, im Hühnerhof herrscht Trauer um Laertes. Aber auch da konnte Heiner mich beruhigen. „Na, die trauern nich, die san froh, dass sie etze a Ruh hobn.“
Inzwischen war Heiner ein bisschen unsicher geworden, ob Laertes nicht doch schon zu alt war, um uns nicht nur als sättigende Mahlzeit, sondern auch als gefüllte Delikatesse vorgesetzt zu werden. Bevor er also mit der Füllung begann, wälzte er erst einmal seine schlauen Bücher und las mir triumphierend vor, dass man sogar noch einen zweijährigen Hahn essen kann, und Laertes war ja wohlgemerkt erst 3/4 Jahre alt. Zwischendurch beteuerte er mir noch, dass ihm so ein selbst gezüchteter und selbst geschlachteter Hahn viel besser schmecken würde, als einer aus der Tiefkühltruhe.

Ich hatte da so wegen der ¾ Jahre von Laertes meine Zweifel.

Ein paar kleine Schwierigkeiten hatte Heiner noch bei der Füllung zu überwinden Laut Heiners Aussage hatte bei Laertes schon die Leichenstarre eingesetzt und Heiner hatte ein wenig Mühe den toten Laertes gefügig zu machen. „ So ein damisches Vieh ! „
Aber endlich war der große Moment gekommen. Laertes mit Butterflöckchen bestückt wurde in die Röhre geschoben und Heiner saß mit einem Glas Wein in der Hand und einem Buch auf dem Schoß davor und schaute alle 5 Minuten in den Backofen, ob Laertes noch nicht braun wurde.
Zwischendurch bekam er seine Zweifel, ob die Zeitangabe im Buch stimmt, ob die Ofentemperatur hoch genug eingeschaltet , kurz, ob Laertes vielleicht nicht doch zu alt war? Nein, aber da stand es doch schwarz auf weiß, zwei Jahre kann ein Hahn alt sein.

Laertes brauchte zwar seine Zeit, aber pünktlich um 21.00 Uhr als Rieke von der Arbeit kam, war Laertes braun genug.

Jetzt sollte die Belohnung für all die Mühe und Plage des Tages kommen.

Heiner ließ es sich nicht nehmen, Laertes höchstpersönlich zu Tisch zu bringen. Er benutzte dafür ein glattes randloses Plastikbrett.

Riekes Einwand : „Heiner, warum nimmst du denn keinen großen Teller dafür? „ wischte er mit der Bemerkung weg : „ Na, es geht auch so.“

Gerade, als Heiner von der Küche ins Esszimmer wollte, kam es fast zu einem Zusammenstoß mit mir. Laertes kam ins Rutschen. Ich fing ihn im letztern Moment auf und ein leiser Aufschrei von mir, als ich merkte, dass er auf der anderen Seite wieder ins Rutschen kam. Dieses Mal gelang es Heiner, ihn im letzten Moment aufzufangen.

Trotz der rutschigen Angelegenheit brachte es Heiner fertig, Laertes unversehrt auf den Tisch zu bringen. Stolz und Beifall heischend blickte er in die Runde und wir wussten, was wir ihm schuldig waren und bestaunten Laertes.
Mit einem riesengroßen Messer, mit dem man gut ein halbes Schwein hätte zerlegen können, machte sich Heiner nun daran den armen, gefüllten und gebräunten Laertes zu tranchieren. Aber selbst da erwies sich Laertes noch als bösartiger Hahn. Er versuchte immer wieder unter den geschickten Fingern von Heiner und dem riesigen Messer drunter wegzuschlüpfen.
Heiner ließ nicht locker, bis er Laertes bis auf sein Rückgrat zerlegt hatte. Riekes Versuch Heiner zu überreden, die Geflügelschere zu benutzen, wurde von Heiner dabei ignoriert.

Wir kauten den ersten Bissen gezwungenermaßen sehr lange. War Laertes etwa doch schon zu alt ?

Mein Mann schweigsam. Rieke zu enttäuscht oder vielleicht auch gestresst von der Arbeit:: „Also ich weiß nicht, mir schmeckt ein gegrillter Hahn aus der Imbissstube aber besser."
Armer Heiner !

Er tat mir leid und ich versicherte schnell, dass Laertes vorzüglich schmeckt, hob hervor, wie saftig seine Brust doch sei.
Aber ein bisschen makaber fand ich es schon, dass die Reste von Laertes, dem Althahn und seinen Hennen, einschließlich des Zwerghuhns am nächsten Tag serviert wurden. Und noch makaberer fand ich es, dass das Hühnervolk sich regelrecht auf seinen einstigen Lebensgefährten gestürzt hat und nichts, aber auch wirklich gar nichts von ihm übrig ließ..

Armer Laertes !

Zeichnungen stammen von meiner Tochter Steffi.

Impressum

Texte: Doris Frese
Tag der Veröffentlichung: 10.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinem Schwiegersohn gewidmet

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