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Unroman(t)ische Romantik?

 

 

„Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke.“, diktierte Goethe 1829 seinem treuen Eckermann in die Feder. Schon ein notorisch gefühlsverwirrter Heinrich von Penthesilea-Kleist, ein hymnengewaltiger Dionysos-Christus-Hölderlin und ein hochkomischer Jean Paul (Richter) als "wie vom Mond gefallener" Grenzgänger waren seinem homergeschulten Griechengeschmack zu angekränkelt.

 

War das der Kampf zwischen antiken Klassikern und revidiert „finsterstem Mittelalter“, zwischen heidnischem und christlichem Rom, zwischen Klassizisten und Modernen, klassischem Gelehrtenlatein und romanhaften Volksromanzen, rationaler Klarheit und unbewussten Phantasmen, logischen Aussagen und mythischen Sagen, zwischen maßvollem Kopfkosmos und maßlosem Herzchaos, Tag und Traum, Logik und Mystik, öder Wahrheit und schönem Wahnsinn?

 

„Romantisch“ Ist heutzutage nicht, was in Kulturgeschichten als europäische Geistesepoche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Dichtern und Denkern, Malern und Musikern galt. Romantisch nennen wir nur noch sentimentalen Gefühlsüberschwang ohne egoistische Berechnung und schwärmerisch überspannte Liebesfilme. Das gemeine Volk der gewöhnlichen Sterblichen war immer sentimental und melodramatisch, hochmoralisch und rechtgläubig. Es fühlte romantisch und dachte realistisch zugleich. Es saß auf seinem Pisspott, steckte den Kopf in die Wolken und kam immer verlässlich zurück auf seinen (fliegenden) Teppich. Es träumt wie ein Kind von St.Georg-Helden und Jungfrauen, die aus den Klauen von Drachen zu befreien sind.

 

Hegels "Volksgeist" war romantischer Idealismus, eine einzige Auseinandersetzung mit seinem vermeintlich nur frivolen Hauptgegner Schlegel, dessen subjektivistische Ironie er objektiv korrigieren und dialektisch toppen wollte. 

 

Die deutsche Frühromantik um 1800 war bei Friedrich Schlegel und seinem Freund Friedrich von Hardenberg eher eine rationale Kopfgeburt als emotionale Entgrenzung. „Universalpoesie“ vermischte zwar alle klassischen Gattungen, aber diese fragmentierten „Chamfortaden“ voller Witz-Esprit und “romantischer Ironie“ strebten kein klassisch vollendetes Kunstwerk mehr an, sondern ein magisches Feuerwerk von Geistesblitzen in unauflösbar paradoxer Spannung zwischen Gefühl und Gedanke, Bild und Begriff, Metaphorik und Metaphysik. Die frühromantischen Fragmente in der Zeitschrift "Athenäum“ waren noch höchst unromantisch wirkende Aphorismen im Stil der französischen Moralisten des 17./18. Jahrhunderts gewesen, weder Fisch noch Fleisch, wie Hegel hoehnte, Denken als Dichten. 

 

Typisch für die epochale Entwicklung der Romantik war dann 1804 Schlegels Konversion vom 1789-Republikaner der Barrikaden zum katholischen Mittelalter der gotischen Dome. Der frühverstorbene Hardenberg-Novalis träumte schon in Jena von einem utopischen Europa der Stauferkaiser wie später die Heidelberger Hochromantik um Baader und Görres. Die feudale Spätromantik eines Joseph von Eichendorff endete dann im phantastischen Bummelleben seines unsterblichen "Taugenichts" und nicht nur in den Spukgeschichten eines trunksüchtig zerrissenen Gespenster-Hoffmann mit seinem Kater Murr und Kapellmeister Kreisler.

 

Lief die Romantik aus in gutbürgerliche Biedermeieridylle der pressezensur-reaktionären Metternich-Ära oder im „Vormärz des jungen Deutschland“ bei Büchner, Grabbe und einem Heinrich Heine (der romantische Sehnsucht nicht mehr ausdrücken konnte, ohne sich sofort selbstironisch zu dementieren – bis hin zu einer somatisierten Selbstlähmung, die ihm frühen Tod bereitete)?

 

Und heute, was darf nun noch romantisch ohne exaltierten Kitsch genannt werden : Eine antibürgerliche  Liebesaffäre contra „spießiger“ Ehevernunft z. B. oder wenn ein Milliardär seine Putzfrau heiratet?

Ganz im Gegenteil.

 

„Einen Brief in den Postkasten werfen und heiraten – zwei der wenigen Dinge, die noch ganz romantisch geblieben sind; denn um romantisch zu sein, muss ein Ding unwiderruflich sein.“

"Gut sein ist ein weit kühneres Abenteuer als eine Weltumsegelung."

(Gilbert Keith Chesterton, 1874-1936)

 

Und sicher ist es nicht romantisch, die Wirklichkeit zu idealisieren und das Ideal damit für realisiert zu halten.

 

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Tag der Veröffentlichung: 22.12.2024

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