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Fahles Mondlicht brach durch die Wolkendecke, tauchte den um verwitterte Grabsteine wabernden Nebel in gespenstisches Schwefelgelb.
"Grabesstille", murmelte der Besucher und zuckte zusammen, als diese vom Ächzen uralter Bäume unterbrochen wurde.
Wind kam auf, ließ Blätter raunen und Nebelschwaden sich zu Gestalten formen, die dem Mann zu winken schienen. Schaudernd verkroch er sich tiefer in den abgewetzten Mantel, schalt sich flüsternd einen Narren, aus Bequemlichkeit den Weg über den Friedhof genommen zu haben. Er spielte mit dem Gedanken umzukehren und musste unwillkürlich lächeln. Der Weg zurück war nicht kürzer als jener, welcher noch vor ihm lag.
Energischer schritt er nun aus, fühlte sich zurück versetzt in die Kindheit, als nächtliche Friedhofsgänge den Mut erprobten.

Der Wind nahm zu, mit ihm Geräusche, welche frösteln ließen. 'Nur nicht umsehen', dachte der Mann. Er kannte den Teufelskreis, in dessen Strudeln Panik lauerte. Eine Bö riss ihm den Hut vom Kopf, ließ ihn tänzelnd hinter Grabsteinen verschwinden. Die Versuchung ihm zu folgen, hielt sich in Grenzen. Im Geiste sah er Untote damit Frisbee spielen und eilte weiter. Die ersten Regentropfen peitschten sein erhitztes Gesicht, gingen in Hagelkörner über, was ihn bereuen ließ, dem Hut nicht gefolgt zu sein. Er sah sich um und entdeckte eine Gruft, deren Tür in einer Nische lag. Sie bot ein wenig Schutz und er nahm dankbar an.
Der Hagelsturm zwang ihn, sich eng an die Tür zu pressen. Jemand hatte eine Eisenstange vor ihr im Mauerwerk verkeilt, sie störte. Er zog sie heraus und stellte sie hochkant in die Nische. Ein paar Zentimeter waren so gewonnen. Der Wind heulte, der Hagel prasselte ... aber da war noch etwas. Das Ohr fest an die Tür gepresst, konnte er Geräusche im Inneren vernehmen. Waren das Stimmen? Hatte noch jemand Schutz gesucht? Er drückte die rostige Klinke und ... die Tür ließ sich tatsächlich öffnen. Er kramte sein Feuerzeug aus den Manteltaschen und betrat die erste Stufe. Ein bestialischer Gestank ließ ihn zurückprallen, der schmerzhaft peitschende Hagel trieb ihn wieder nach vorne. Er hielt schützend sein Taschentuch vor den Mund und rief ein gedämpftes, "Hallo?"
In der Gruft blieb es still. Er hatte doch Stimmen gehört. Vielleicht Jugendliche, welche ebenfalls ihren Mut auf die Probe stellten, oder gar ein junges Liebespaar?

Irgend etwas beunruhigte ihn, stimmte nicht, aber es war nicht greifbar. Zögernd ging er tiefer. Der Gestank war noch immer abscheulich, wurde jedoch durch die offene Tür ein wenig erträglicher. Auch auf einen weiteres, "Hallo?", kam keine Antwort. Ihm war nicht wohl, doch über ihm gewann der Sturm an Stärke, so dass er die Stufen vollends nach unten ging. Das Feuerzeug spendete nur kläglich Licht und beim ersten Schritt auf ebenem Boden verfing sich sein Fuß in etwas Weichem. Hart schlug er mit der Stirn auf steinernen Grund, benommen tastete er nach dem Feuerzeug. Die suchende Hand fand etwas, das ihm einen entsetzten Schrei entlockte. Die Benommenheit war mit einem Schlag gewichen. All seinen Mut zusammen nehmend, ließ er die Finger noch einmal über den Boden gleiten und fand die spärliche Lichtquelle. Nun kniete er wimmernd, im Kampf mit sich selbst, was besser wäre. Die unheimliche Dunkelheit, oder sehen müssen, was er erfühlt hatte. Die Sehnsucht nach dem Licht gewann. Vor ihm lag der klägliche Rest eines einstigen Menschen. Für einen Moment unfähig sich zu rühren, starrte er auf eine Leiche, die bei genauerem Hinsehen als weiblich zu erkennen war. Jedenfalls sprach die Kleidung dafür. Allmählich kam Leben zurück in die erstarrten Glieder. Er streckte die Hand mit dem Feuerzeug vor, um besser sehen zu können. Dunkle Flecken auf dem steinernen Podest. Dass musste Blut sein. Er hob die Hand weiter und was er sah, ließ ihn in die Höhe und einen Schritt nach hinten schnellen. Blut an der Wand des Sarkophags. Frisches Blut. Der Mann musste sich zwingen, noch einmal hinzuschauen und erkannte, dass es nicht einfach ein Fleck war, sondern ein Symbol oder Zeichen. Ein Kreis, in dessen unterem Drittel sich eine Art Halbmond befand. Plötzlich geschah etwas, dass ihn herum wirbeln ließ, um die Treppe hinauf zu stürmen. Vor seinen Augen hatte sich neben dem Kreis begonnen, etwas Neues zu formen. Ein H, ein i ... mehr wollte ... konnte er nicht ertragen.
Er kam nicht weit. Zwei Schritte, dann stürzte er wieder und noch im Fallen wusste er den Grund. Eine zweite Leiche, am Fuß der Treppe. Logisch. Die erste hatte ihn durch den Sturz zur zweiten befördert. Über ihm tobte der Sturm, riss für einen Moment die Wolkendecke auf, er sah ... blonde Haare und ein Kleid. Zwei Frauenleichen, Zeichen aus frischem Blut ... die sich vor seinen Augen erweiterten.
"Raus hier!".
Er sprang auf und ... eine Bö schlug die Tür zu.
Er hörte ein weiteres Geräusch und während er die Stufen hochstolperte, begriff er, was ihn vorhin stutzig gemacht hatte:
*Hier unten konnte keiner sein ... die Tür war von außen blockiert.*
Noch ehe er versuchte, die Tür aufzudrücken, wusste er, was das zweite Geräusch verursacht hatte.
Er hämmerte wie ein Wahnsinniger gegen das Metall und schrie. Es war sinnlos. Niemand würde ihn zu dieser Zeit hören.
Vielleicht würde er ja etwas da unten finden, mit dem er die Tür aufstemmen konnte. Wieder stieg er hinab. Ein eisiger Hauch streifte seine linke Wange. Er zündete das Feuerzeug und zwang sich, auf den Sarkophag zu schauen. Es waren weitere Zeichen aus frischem Blut hinzu gekommen. ein W, ein i, etwas weiter weg ein U, ein n ... das Feuerzeug erlosch. Ein eisiger Lufthauch streifte seine rechte Wange und der Mann begann zu schreien. Er schrie, bis seine Stimmbänder versagten und sein Verstand sich in der Dunkelheit der Gruft verlor.

Drei Jahre später verkauften die Besitzer die Familiengruft und fanden drei Leichen, deren Identität schnell herausgefunden war.
Über den Tathergang jedoch zerbrechen sich die zuständigen Beamten noch heute die Köpfe.


"Lass uns ein wenig an die frische Luft gehen."
Er saß da und versuchte vergeblich, sich ein wenig Dreck aus dem Fingernagel zu pulen. Das tat er immer, wenn ihm langweilig war.
"Fahr zur Hölle", nörgelte sie, "ich schwelge gerade in Erinnerungen."
"Da brauche ich nicht hin zu fahren, die habe ich hier ... bei dir."
Er sagte es wie einer, der sich seinem Schicksal längst ergeben hatte.
Sie warf ihm einen Blick zu, der ihn getötet hätte, würde er noch unter den Lebenden weilen.

Ihr hatte es nicht gereicht, ihm zu Lebzeiten alles zu vermasseln, nein, ihre Bosheit vereitelte auch seinen genialen Plan, sich ein für alle mal von ihr zu befreien. Griesgrämig schielte er zu seiner Holden. Sie schenkte ihm ein entzückend vergeistigtes Lächeln und säuselte:
"Oh, ich weiß, woran du gerade denkst, aber denk nicht mal daran, wieder mit deinen Vorwürfen anzufangen. DU hast mich, bis ins Detail geplant, ermordet. ICH hingegen bin unschuldig. Man wird sich ja wohl noch wehren dürfen!"
Der Ausdruck im Gesicht des Geistes war nicht gerade geistreich, als er maulte:
"Du hast es ganz gewiss mit Absicht getan."
"Ach", giftete sie, "du hirnrissiger Stümper glaubst also wirklich, ich bin so dämlich und PLANE ein Leben nach dem Tod mit DIR?! Sieh dich doch mal an! Du warst ja schon als Lebender eine jämmerliche Figur, aber jetzt ähnelst du eher einem zerfledderten Putzlumpen, als einem richtigen Geist. Ist übrigens auch der Grund, dass ich nicht die Absicht habe, mit dir diese Gruft zu verlassen. Nicht auszudenken, wenn es hier andere gäbe und sie uns sehen würden. Erspar mir also diese Peinlichkeit."

Putzlumpenspuki zog den Kopf ein und jammerte:
"Hasilein glaub mir, ich würde ja alles tun, mich von dir ... äh, dich von mir zu befreien, aber dazu müssten wir einen finden, der uns erlöst. Ich denke mal, der Himmel ist groß genug, dass wir uns dort aus dem Weg gehen können."

"Idiot!" ,tobte sie, "darüber solltest du dir keine Gedanken machen, DU landest nämlich in der Hölle! Du hinterhältiger Mörder! Hast mir eingeredet, ich bräuchte Erholung und mich zu meiner Mutter geschickt. Mit dem Auto! Fast 2000 Kilometer, damit du genug Zeit hast, alle Spuren zu verwischen, ehe ich vermisst werde. Ich dumme Kuh bin drauf reingefallen. Oh ja, tolle Idee, keine Gelegenheit zu verpassen es allen zu erzählen."
Sie war in Rage, krallte sich einen Sargdeckel, schleuderte ihm diesen an den Kopf und wurde noch wütender, weil er (selbstverständlich), durch ihn hindurch fuhr, um an der Wand der Gruft zu zersplittern.
"HA!", schrie sie, "nicht einmal DAS ist mir vergönnt!"

"Naja", sagte er kleinlaut, "musst aber zugeben, dass es verdammt pfiffig war, dich zu erwürgen, in den Seesack zu packen und für alle Nachbarn sichtbar als Gepäck in den Kofferraum zu wuchten."
Er kicherte, als er sich daran erinnerte, wie er anschließend eine ihrer unsäglichen Perücken aufgesetzt hatte. Die letzten Ehejahre hatten aus seiner einstigen Gazelle etwas gemacht, was einem Sumo-Ringer ähnelte und so passte er auch problemlos in eines ihrer Kleider. Also sahen die Nachbarn seine gestresste Ehefrau davon fahren.
Nun blieb ihm das Kichern in der luftigen Kehle stecken. Der Rest war weniger lustig.
Monate hatte er gesucht, um ein Versteck zu finden, welches sein künftiges Geheimnis für die Ewigkeit barg. Dann segnete ein Bekannter das Zeitige und bei dessen Beerdigung entdeckte er diese Gruft. Er suchte das Gespräch mit einem der Totengräber und erfuhr, dass die Grabstätte zwar in Familienbesitz sei, aber von dieser Familie seit langem keiner mehr im Land lebe und neue Beisetzungen nicht zu erwarten seien. Das ideale Versteck also. Eines Nachts schlich er zur Gruft und versuchte, sie zu öffnen. Er war mit allerhand Werkzeug ausgestattet, aber letztendlich benötigte er einen großen Stein und eine lange Eisenstange, um sie auszuhebeln. Den Stein rollte er ins Gebüsch, die Stange jedoch stellte er gedankenlos neben die Tür der Gruft, welche sich nach außen öffnete.

Der lang ersehnte Tag kam. Ein Schlafmittel im Nachmittagstee garantierte wenig Gegenwehr, als er sie mit einer Wäscheleine von ihrer fettleibig bedingten Kurzatmigkeit erlöste. Nicht das geringste Anzeichen von Reue war ihm anzusehen, als er nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Friedhof den Kofferraum öffnete.
Dem vergeistigten Mörder sträubten sich die Haare, bei der Erinnerung an das folgende Geschehen.

Unter Mobilisierung all seiner Kräfte wuchtete er sich den Sack auf die Schulter. Dieser war nicht zugebunden und ... fing plötzlich an zu zappeln. Seine Ungeduld wurde ihm zum Verhängnis. Er hatte nicht lange genug zugedrückt. War aber auch kein schöner Anblick, als sie von hochrot zu blau im Gesicht wechselte und ihre hässliche Zunge aus dem Mund quoll. Hätte der Geist noch eine Haut besessen, wären ihm in diesem Moment Federn gewachsen. Er schüttelte sich heftig, dann erlag er zum hundertsten Mal diesen Bildern.
Das Zappeln wurde heftiger, und während er hart kämpfte, ihre Beine unter Kontrolle zu halten, trafen ihn im Kreuz plötzlich die Schläge eines Dampfhammers. Sie hatte Kopf und Arme aus dem Sack befreit. Es waren nicht so sehr ihre Schreie, die ihn fast zu Tode erschreckten (der Friedhof lag weit außerhalb), sondern die Erkenntnis, dass er den Kampf gegen dieses tobende Walross verlöre, würde es Boden unter den Füßen bekommen. Mit letzter Kraft erreichte er die Tür der Gruft und mit einem Arm eisern ihre strampelnden Beine umklammernd, zog er mit der andern die Türe auf. Sein Opfer hatte längst begriffen, dass es hier um weit mehr als einen handgreiflichen Ehekrach ging und kämpfte wie ein Berserker. Als der arg gepeinigte Mörder die erste Stufe hinunter ging, krallte sich die zukünftige Tote in die Mauer der Gruft, rutschte ab und brachte damit in dem Moment die Eisenstange (welche ihr Gatte vor Tagen an die Außenmauer gelehnt hatte!) ins Kippen, in welchem ihr Mann nach hinten hangelte, um die Tür zu schließen. Der Ehemann fand ihr Geschrei sehr rücksichtslos und nun doch beunruhigend laut. So nahm das Schicksal seinen Lauf.
Die Tür krachte zu, die Stange fiel um und verkeilte sich im Mauerwerk des Rahmens, wovon der bemitleidenswerte Ehemann jedoch nichts mitbekam. Er hatte im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun und wankte mit seiner Bürde gerade die Stufen hinunter, als ihn eine fürchterliche Erkenntnis traf:
'Er hatte keine Waffe, um sein Werk zu vollenden. Sie würde ihn in ihrer Raserei platt machen, sobald er sie von seiner Schulter warf. Und DAS würde sehr bald geschehen, denn seine verweichlichten Knochen knackten unter ihrem Gewicht sehr bedenklich. Und da geschah es. Ein Rest ihrer einstigen Liebe zu ihm musste wohl erwacht sein, denn scheinbar in einem letzten Anfall innigster Zuneigung, rollte sie sich nicht nur von seiner höllisch schmerzenden Schulter, sondern gleich noch alle verbleibenden Stufen hinunter, schlug reichlich ungraziös mit dem Schädel an einen Sarkophag-Podest und brach sich dabei lobenswert umsichtig und deutlich hörbar das Genick.
Der verblüffte Beinahe-Mörder plumpste vor Schreck auf den Hintern und weinte vor Rührung, ob so viel Entgegenkommens, bitterlich. Ein paar Minuten später wurden es allerdings Tränen ohnmächtiger Wut, denn die Tür der Gruft ließ sich keinen Zentimeter mehr öffnen. Tagelang kämpfte er, um dieser düsteren Stätte zu entkommen. Hin und wieder hörte er auch Menschen, die er hätte zu Hilfe rufen können, jedoch fand er es unzumutbar, die Anwesenheit seiner nunmehr wackelköpfigen Gattin erklären zu müssen. Am dritten Abend kratzte er wieder, halb verdurstet und kraftlos, mit einem Stein am Mauerwerk, in denen die Türangeln verankert waren, als er ein höhnisches Gelächter hörte. Er fuhr herum und als er in das dämonische grinsende Gesicht seiner teuren Verblichenen sah, traf ihn gnädig der Schlag.
Seitdem waren sie wieder vereint und diesmal blieb ihm nicht mal mehr der Trost: "Bis das der Tod euch scheidet."

"Scheiß Spiel", brummelte der Geist des einstigen Möchtegern-Mörders und schielte durchtrieben zu seiner Gattin. "Ich habe eine Idee", sagte er und schwebte euphorisch kreuz und quer durch die Gruft. Ihr Blick blieb gelangweilt. "Hör mir zu", sprach er weiter, "kannst du dich an den Film erinnern, in welchem die Geister erlöst wurden, als Menschen kamen und ihr Geheimnis lüfteten? Mensch Hasilein! Wir brauchen einen Menschen, der uns hier findet und uns erlöst!"

Frau Geist sah ihn an, als ob er nicht mehr alles beisammen hätte (womit sie ja nun nicht wirklich verkehrt lag) und nörgelte:

"Na klar, du selten dämlicher Flederwisch ... und WAS bitte soll unser Geheimnis sein? Das du mich hier unten umgebracht hast?!"

"Aber Mauseschwänzchen, genau DAS ist es. Ich habe dich ja gar nicht umgebracht. Es war ein Unfall. Wenn jetzt natürlich jemand unsere Leichen findet, sieht es natürlich aus, als hätte ich dich umgebracht ... "

"Du kurzschwänziger Ganzkörperclown HAST mich umgebracht!"

"Aber nein, Zuckerpummelchen, du bist die Treppe runter gefallen und somit durch einen Unfall gestorben. Und dann hast du mich zu Tode erschreckt, also eigentlich hast du ja mich ..."

"STOP!!! Wahage es nicht auszusprechen, wage es nicht mal, ernsthaft daran zu denken. Das ist Blasphemie ... oder so was ähnliches!!!"

Sie wirkte so furchteinflößend in ihrer Wut, dass sich ihr Leidensgefährte selbst in der Zwischenwelt an menschliche Regeln erinnerte: *Klappe halten, ducken und warten, bis der Sturm sich gelegt hat:*

Es klappte tatsächlich und er versuchte es noch einmal:

"Mein wonniges Prachtärschelchen, wir locken einen her, der lüftet das Rätsel und wir sind frei. Wir müssen ihm nur einen Tip geben. Irgendwas wird uns schon einfallen. Also pass du auf, ob einer kommt und ich überlege mir was."

Die Jahre vergingen während zwischenweltlichem Ehekrach und der Hoffnung auf Erlösung.

Bis in einer stürmischen Nacht die ehemals elfenhafte Gattin einen Jubelschrei ausstieß, da sie an der Tür der Gruft eine menschliche Regung vernahm.
Die Diskussion bzgl. der Vorgehensweise war heftig und laut.

Sie entschieden sich für eine simple Botschaft, geschrieben mit Blut. Wenn schon, dann standesgemäß.
Der Mensch kam auch wirklich die Treppe herunter. Das der Trottel über den einen stolperte, um auf die andere zu fallen, war zwar nicht vorgesehen, aber eine durchaus nette Abwechslung nach ihrer hochgradig nervenaufreibenden Zweisamkeit.

Der gestresste Zwischenweltbewohner malte übermütig den ersten Hinweis, doch ehe er ihn beenden konnte, fiel sein noch flügelloser Engel ihm in den Arm, erklärte ihn für nunmehr restlos hirnbefreit und fing selbst an, eine Botschaft zu schreiben. Dies erzürnte Herrn Geist nun wirklich ernsthaft und erstmals tat er, was er zu Lebzeiten hätte tun sollen. Er kämpfte wie ein Mann.

Sie stritten, bis der Tag anbrach, und als sie endlich zur Vernunft kamen, saß zwischen ihren weltlichen Überresten ein brabbelnder, sabbernder und völlig nutzloser Wahnsinniger. Ein wenig beschämt sahen sie ihm fünf Tage lang beim Sterben zu.


Epilog

Wenn man in stillen Nächten über einen ganz bestimmten alten Friedhof geht, kann man aus einer chic renovierten Gruft ein merkwürdiges Gepolter hören.
Manchmal auch Stimmen.
Es ist immer das Gleiche.
Ein Mann fragt nach der Bedeutung eines Kreises mit einem Halbmond im unteren Drittel.
Ein anderer antwortet, dass ein lachendes Gesicht für Freundlichkeit stünde.
Dann ein keifendes Weib,
ein frustriert maulender Mann,
und manchmal
aber wirklich nur manchmal,
die dritte Stimme:

"Haltet doch endlich mal das Maul, ihr zwei Idioten!"


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Beitrag zum Wortspielthema "Das Zeichen in der Gruft"

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