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Zwischen Himmel und Ozean

 

 

Vor ihnen gab es das Schimmern des Ozeans, jetzt mit der Farbe von Stahl oder gewaltigem Eisen, ewig und kraftvoll, mit der belagernden Kälte dieser Zeit.

Er befand sich mit weiteren Passagieren auf der Tragfläche des Flugzeugs inmitten des schimmernden, eisigen Wassers, doch nahe der Küste und den gewichtigen, bedeutenden politischen Verwaltungsgebäuden, unweit das Sekretariatshochhaus des UNO-Hauptquartiers.
Der Himmel und der Ozean waren in diesen Minuten wie ewige Souveräne. Den Zivilisten und Geschäftsleuten gegenüber übermächtige Räume und Flächen, unbeeindruckt, besser, kolossal, ungeheuer, duldsam, abgeklärt, achtunggebietend, scheinbar ewige allgewaltige Größen der Welt und Souveräne. 

Er blickte vom Himmel wieder hinab zum von Eisschollen übersäten gewaltigen, eisenfarbenen Ozean. Vor ihnen das gewaltige Schimmern des Ozeans.

Beinahe wären sie alle beim Aufprall auf das Wasser getötet worden, dachte er.

Es war vielleicht wegen des Politikums im Nahen Osten, dachte er, denn es gab keinen Sturm an diesem Tag und keine Gewitter oder irgendein grausames Unwetter, dass sie wie ein strafendes Instrument hier nahe der Küste und den fortgeschrittenen Stätten der Zivilisation hätte richten können. Wie ein der Technik und den Menschen überlegener, allmächtiger König. Doch die Technik hatte nicht den Kräften und Gesetzen im Himmel standhalten können. So blickte er wieder über die kalte, stählerne See zur Küste mit den Lagerhäusern, Wohngebäuden und hell leuchtenden Hochhäusern und Kränen und Wolken dahinter, und links über das Wasser zu den Barkassen und Touristenbooten wenige Kilometer weiter entfernt, während er rauchte, auf dem Tragflügel des abgestürzten Passagierflugzeugs und weiteres verstehen wollte. Vielleicht waren es Terroristen, dachte er.

Denn beinahe wären sie alle getötet worden, ausgeliefert wie in einem jähen Kriegsmoment. Beinahe ein Wasser voller Särge. Furchtbare Härte, ein Schimmern von Dankbarkeit und Ahnen der grausamen Wogen und Wellen des Eismeeres.
Vielleicht war es ein Terroranschlag und hing zusammen mit einem Politikum und dem militärischen Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft gegen das Barbarenkalifat des IS?

Vielleicht sind auch die Industriestaaten verwundbarer geworden durch die Anti-IS-Politik, die die gesamte internationale Staatengemeinschaft weiterhin heftig beschäftigt wie Boten eines grässlichen Krieges, dachte er. Es sind wohl US-Militärbasen zwischen Mossul und Kobane, der Stadt der Wende, errichtet worden und wurden amerikanische Kampfflugzeuge gegen den barbarischen IS im Nahen Osten entsandt. Das war ein wichtiger Schritt gegen die Fanatiker, so wie einst die Alliierten die Faschisten bekämpften, und eine rettende militärische Weichenstellung, aber vielleicht sind unsere Flugzeuge hier und anderswo noch mehr zur Zielscheibe geworden. Es lockt vielleicht noch mehr zur Schlagader, wie tollwütige Hunde, die Blut lecken. Es war ein sehr seltsamer Himmel und Tag. Der Tod war empor gestiegen und lauerte wie ein Schafott zwischen dem Himmel, der Zivilisation, der Millionenmetropole und dem Schimmern des ewigen, gewaltigen Ozean. Beinahe wären wir alle zerrissen worden auf dem Wasser. Das Flugzeug war am Himmel wie aus einer Ordnung geschlagen worden.

Vielleicht war es hier auch ein Versuch durch verfluchte Terroristen und Fundamentalisten, die ihren Hass mit der mörderischen und selbstmörderischen Falle über den Atlantik trugen. Das war eine These, die rasch durch seinen Kopf flog, inmitten dieser unwirklichen Zeit auf dem schwimmenden Flugzeug nahe der Großstadt und fortgeschrittenen Stätte. Von Fluggästen hin zu beinahe Schiffbrüchigen nahe an der Stadt, dachte er kurz.

Er rauchte weiter seine Zigarette. Es war von einem Kilometer zum anderen zur Falle und ungemeinen Gefahr für die Insassen und Ausgelieferten geworden, sagte er sich. Unter ihnen das ewige Meer mit den Eisschollen und der bald wohl belagernden, bedrängenden Kälte. Unweit die Kongresszentren und das Gewimmel der menschlichen Zivilisation in den Straßen, Fabriken, Vierteln mit den Arbeitern, Aufsteigern, Armen, Reichen, den Abgeordneten im Senatsgebäude, den Unternehmern und dem Volk in den Straßenbahnen, unweit des machtvollen Ozeans, Himmels und der allgewaltigen Natur. Über ihnen der plötzlich zuschlagende Himmel und an ihren Füßen das Wasser des Ozeans, dass jetzt wie eine graue, brechende Wand und ungeheure Kraft schimmerte, souverän, hart, allgewaltig, silbern, ewig, unbeeindruckt.
Bald blickte er wieder zu den anderen Leuten des Absturzes, unter denen manche über den Kapitän staunten. Sie hatten nicht ihr Leben und ihre Familien, ihre Welt, ihr Sein verloren und waren froh über die seltsame Landung auf dem Ozean.

Manche sprachen über ihre Familien und über die Landung wie über eine irre, glückliche Fügung. Neben den Verstummten, die nichts vom Staunen und nichts von Vergleichen des Piloten zu Kommandeuren oder Anführern hielten. Sie waren zu einer eingeschüchterten, geschlagenen Wortlosigkeit befohlen. Keine Worte an dem gewaltigen Schimmern des ewigen Ozeans und seltsamen Himmels.

 

Der Mann blickte wieder etwas benommen umher. Auf dem linken Flugzeugflügel saßen Börsenhändler, vielleicht ehemalige Soldaten, Werksarbeiter, die dem Verderben entkommen waren, vielleicht einem Anschlag durch irre, verdammte Isis-Terroristen, dachte der Mann wieder, der zu ihnen und dann über das Wasser blickte. Auf dem rechten Flügel saßen der Werbevertreter und Bankangestellte direkt nebeneinander, hatten vor dem Betreten schon miteinander geredet. Beide trauten weder dem Himmel, noch der Erhöhung des Kapitäns noch der entstandenen Ausgangssituation.

Sie hatten sich vor dem Flugstart über ein Spiel der Boston Celtics, und über den neuen, möglichen Kurs einer Trump oder Clinton geführten Regierung, der Ausrichtung beim neuen, großen Spiel im Nahen Osten, und dem zusätzlichen Einsatz gegen das IS-Kalifat, ausgetauscht. Sie hatten im Flugzeug nebeneinander zusammen gesessen. Nun fanden sie sich seit einigen Minuten treibend mit dem Flugzeug auf dem Wasser, in Sichtweite der fast geisterhaften, unwirklichen Küste und Großstadt. Es fühlte sich an wie an einer irren Prozession.

Die Amerikaner hatten davongetragene Siege im Jugoslawien Krieg und Feldzug gegen den irakischen Usurpator 2003 mit Paraden in den amerikanischen Zentren gefeiert, mit der Befreiung Bagdads, Erbils, gesiegt mit teils wirksamen Strategien aus der Luft und zur Wüste, dachte er an eine Tv-Dokumentation, in die er frühmorgens kurz geschaut hatte. Aber hier, in diesen Minuten wurde jedem im Flugzeug, jedem, auch das wirklich Hohe und Allmächtige fürwahr, dachte er zwischendurch, über der Politik und der imperialen Haltung eines Staates, einer Nation. Da gab es wohl einen König im Himmel, der vieles entschied, weil er es so zu entscheiden gedachte. Er rauchte und blickte zur widerspenstigen Küste. Etwas verwundet und verwirrt wie ein Mann an einem seltsamen Marsch oder Tagesdämmern.

Er rauchte still und blickte gedankenversunken über das Wasser. Verfluchte, unglückselige Minuten! Seine Frau in der Heimatstadt hatte nicht das Alter einer Witwe und wäre noch zu jung, um so plötzlich um ihren verstorbenen Mann zu weinen. Er blickte auf das Wasser. Das Wasser des Meeres war undurchdringlich.

Es verging eine Weile. Die beiden Männer warteten auf eins der Boote. Es sollte sie endlich an Land holen – an die hämische, widerspenstige Küste.

"Du hast deinen Auftrag von der Werbefirma und wirst es zum Glück noch angehen können, nach dieser heiklen Wasserlandung", wiederholte der Bankangestellte bald angestrengt und lächelnd.

"Ich hab einen Auftrag, der sich dem Abschluss zuneigt und mir und unserem Unternehmen Coleman´s Publicity Firm eine gute Ausgangslage für den Abschluss liefert", erwiderte der Werbevertreter bald. "Es gibt da ein sehr gutes Getränkeunternehmen an der Küste, dass sich zwar in einem hässlichen Gebäude eingerichtet hat, aber eine neue Kampagne für das ganze Jahr an der Ostküste gönnt, damit sie noch mehr Gewinne und Umsätze erzielen. Das bringt auch uns und mir was Gutes für das ganze Jahr", fuhr er fort und rauchte wieder seine Zigarette. Es klang für Sekunden so, als hätte ihm der heikle, beinahe tödliche Absturz aus dem Himmel nichts anhaben können und wäre der Puls- und Herzschlag gleichbleibend - wie beim Einstieg am New Yorker Flughafen La Guardia.

Sie bemühten sich um einen natürlichen, einfachen Dialog, trotz des außerordentlichen Zustands, aber das Gesicht des Werbevertreters wurde wieder schwerer.

"Das ist doch etwas."

"Ein Jahreshauptgewinn vielleicht."

"Dann hat sich ja vieles gelohnt", sagte der ältere Bankangestellte.

Der Jüngere blickte über das stahlgraue Wasser in die Ferne, sagte etwas später:

"Ich habe an meinen Kredit bei der Bank gedacht, die 70. 000 Dollar für das gekaufte Haus wären eine schwere Bürde für meine Frau geworden. Sie wäre viel zu jung, um mich zu verlieren und ich wohl noch zu jung, wie der König da oben im Himmel entschied, um das Leben zu verlieren. Zum Glück gab es noch die Landung."

Der Andere blickte zu ihm, klopfte ihm auf die Schulter und schaute wieder zur Küste. Sie hatten keine Antworten zu dem seltsamen Trudeln und beinahe steinartigen Absinken aus dem Himmel, dafür war es noch zu früh. Die Ursache käme noch ans öffentliche Licht.

Vor vier Tagen hatte er sich von seiner Frau verabschiedet und war wegen seines geschäftlichen Auftrags in eine andere amerikanische Stadt gelangt. Jetzt gehörte er zu den Insassen des Flugzeugunglücks vor der New Yorker Küste. Ob es Gott bestimmte, das sie nicht verbrannten, die Fähigkeit oder seligen Entscheidungen des Kapitäns? Zumindest würde er sehen, wie das Baby in ihrem schönen Leib und Bauch heranwuchs, dachte er und das Baby nicht ohne einem beim Flugzeugabsturz umgekommenen Vater aufwachsen müssen.

Die Sonne blinkte ab und an in den Wrackteilen und hing über der Silhouette der Stadt wie ein kurz zuvor, glühender, dann zusammengehämmerter Metallkorb, nicht Wärme speiend. Blasse Strahlen, die wieder Siegreiches und Hoffnung hätten vermitteln sollen, aber nur karg auf den Gesichtern zitterten. Minuten der Armseligkeit, der Feindseligkeit! Er zog an der Zigarette und blickte über das Areal der Wrackteile; es schienen zwischen den Eisschollen keine Leichen auf dem Wasser zu treiben.

Er blickte über den Ozean. Vor ihnen weiterhin das ungeheure, gewaltige Schimmern des Ozeans, mit der Farbe von Stahl oder gewaltigem Eisen, ewige Größe und kraftvoll, mit der belagernden Kälte in diesen Minuten.

 

Das Passagierflugzeug mit der Flugnummer 1549 war auch an diesem Donnerstag wieder zur exakten, bewährten Zeit aus der Stadt aufgestiegen. Doch nur wenige Minuten später zerriss und spottete der Himmel, eine hämische Fläche. Der Mann blickte nach rechts. Unweit trieb eine Eisscholle vorbei. Auf ihr fraßen Seemöwen einen Fischkadaver. Dahinter kamen Boote näher. Er hielt inne, schloss seine Augen. Waren es vielleicht IS-Terroristen, die einen Anschlag auf das Flugzeug geplant hatten, weil sie die Moderne hassten? Die Vernunft als Kompass und Friedensgarant der Moderne ächteten, wie eine Drecksbande den erfolgreichen Säkularismus und die Türme, die verfassungsrechtlichen, freiheitlichen Errungenschaften einer Gesellschaft und Meilensteine des 20. und 21. Jahrhunderts mit ihrem Hass zertrümmern wollten?


Er zog an der Zigarette und war verstummt. Er dachte an die Zeit im Flugzeug, die Angst der Büroangestellten, Arbeiter, Börsenhändler, Wissenschaftler, der Kinder, Schreckstarre eines Offiziers, und führte sich den Spott des Himmels vor Augen, über den Büroeinheiten, makellosen Gebäuden. Erstarrt war dieses Flugzeug, wie versteinert waren all die Menschen angesichts des Ausgeliefertseins.

Jetzt zog das Flugzeug dem Fliegen im blassen Himmel das merkwürdige Schwimmen unweit der Eisschollen, Handelsschiffe, Haie, Fische vor, dachte er müde. Er blickte zu anderen Passagieren, die bereits auf ein Boot kletterten.

Dann über das stahlgraue Meer zur Hafenseite. Mehr Barkassen, größere Boote und Schlepper tummelten sich dort, steuerten zur Absturzstelle.

"Glaubst du, es war jemand an Bord?"

"Wäre jemand da gewesen, ein IS-Terrorist, wäre es existentieller und die Hölle für alle geworden."

"Du denkst also, es lag an der Maschine", schob der jüngere Mann ernster nach. Unterdessen sah er neben einer Fähre ein weiteres Rettungsboot zur Unglücksstelle rasen, wo weitere Überlebende hinein gefischt wurden. Es war ein seltsames Areal, jedoch scheinbar ohne Toten, Ertrunkenen, eine fahle Wunderstätte.

"Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie alt sie ist und ob sie sich nicht mehr im Himmel halten konnte wegen eines technischen Fehlers oder mehr dahinter steckt", sagte der Bankangestellte. "Aber die Wartungshefte und Recherchen der Polizei und zuständigen Instanzen werden es schon zeigen."

"Richtig. Aber jemand hat in den letzten Minuten großes Erbarmen gezeigt", sagte der Jüngere, der zu den Interpretationen zur Rettung auch Gottes Beigabe hinzufügte.

Der Andere erwiderte nichts. Zu diesem Zeitpunkt war es für jegliche Interpretation und Erklärung lediglich ein Ansatz. Der Jüngere zog an seiner Zigarette und blickte über das hämisch wirkende, übermächtige Wasser und dann zu Vögeln, die die Boote überflogen.

Bald rasten die ersten Passagiere, die man einbootete, in mehreren Booten vorüber. Von dort signalisierte man ihnen, sie würden ebenso schnellstmöglich an Boot und an Land gebracht werden. Drei Minuten später war dies der Fall. Bald steuerten sie zur Küste. Mit einer Decke über ihren nassen, kargen Schultern tranken sie bald heißen Tee in Bechern.

Jetzt sah man zwei hilfsbereite und hellere Gesichter der Küstenpolizei, die nicht mehr wie die Gesichter der anderen Minuten ausschauten, dachte er. Nicht wie einer bösartigen Anordnung ausgeliefert waren, in die sich der Schreck mit einer feinen Messerklinge geritzt hatte. Dann suchte sein Blick die Mole und Piers auf. Der Hafen kam näher, zivile und verwaltbare Ordnung und Beherrschbarkeit des Seins. Instanzen, die im Ausnahmezustand sehr nah waren. "Die Leute in den Hubschraubern können 's bestimmt genauso wenig glauben. Was werden die Zeitungen und Radios berichten", begann der Werbevertreter nach einer Minute wieder und drehte sich zum Bankangestellten.

"Viele spekulieren über einen Extremisten."

Die Worte klangen nach.

"An einen versuchten Terroranschlag dachten bestimmt nicht wenige Leute. Aber hier saßen ja Insassen von verschiedenen Kontinenten und Religionen im Flugzeug und es hätte uns alle getroffen. Außerdem ist die Moderne der Menschheit auch eine Fortführung", erwiderte der Bankangestellte und steckte sich eine Zigarette an, dann fuhr er gedankenvoll fort: "Eine Fortführung der menschlichen, geistreichen, sich immer wieder weiter entwickelnden Zivilisation. Es begann im herrlichen Mesopotamien mit den erfindungsreichen Hethitern und Sumerern, mit den ersten Städten, Zitadellen, Schulen, Verfassungsinstanzen, politischen Denkräumen, Weltkarten und dem ersten Bierausschank, erstreckte sich weiter über das Ägyptische und Hellenische mit Athen, großartig Aufklärerische von 1789 in Frankreich, von der ruhmvollen, amerikanischen Verfassung, bis hin zur heutigen Allianz der Demokratien mit Europa nach dem Zweiten Weltkrieg - all das ist ein Strom der Menschheit, der verschiedenen Völker, die sich zu Fortschritt bekennen. Das ist etwas davon und daraus gewachsen. Es ist also kein statischer Gegenentwurf zu etwas Anderem, sondern daraus gewachsen."

Er blickte vom Andere dann über die Eisschollen nun zur Küste.

„Das ist daraus gewachsen und heute werden sie wohl von einem Wunder berichten, von einem Absturz ohne Toten. Nicht weit vom Kollaps der Menschlichkeit bei Ground Zero."

Der Andere nickte und blickte ebenso über das Meer nun zur Küstenseite.

"Für einen Moment dacht ich, es wären Terroristen", griff der Jüngere wieder auf.

„Das hätte sein können wie beim Angriff und den Explosionen in London oder Frankreich durch IS Schergen", sagte der Bankangestellte. "Es hätte sein können, dass sie sich an der Unterstützung Amerikas für die Säkularen und demokratischeren Lager im Nahen Osten stören, allmählich, nach dem Sieg in der mutigsten Stadt der Welt in unseren Tagen, in Kobane, auch den Druck in Rakka durch die Allianz und unsere Soldaten spüren und einfach die proamerikanische Militärführung und Ordnung ablehnen und bekämpfen, aber auch ohne amerikanischer Führung, den Siegeszug des Maßvollen und Säkularen in der Welt über das Fanatische und Vernunftlose dreckig beneiden und generell ablehnen."

„Vielleicht war es so", antwortete der Jüngere gedankenvoll. "Vielleicht war auch niemand von ihnen an Bord. Wer weiß."

"Jedenfalls hat sich der Pilot nicht vom Todeshauch verwirren und sich in die Hölle ziehen lassen."

"Ein kluger, konzentrierter Mann ohne der Hand eines Trinkers oder eines feigen Mannes!"

Die Männer lächelten mit einem Antlitz aus noch nicht verbannter Erschrockenheit und kargem Aufwallen von Erleichterung. Der Jüngere strich mit der Decke über seine kalten Haare und wischte den Schweiß von Hals und Nacken.

"Trink noch etwas."

"Danke."

Sie tranken wieder etwas vom heißen, in der kalten Luft dampfenden Tee.

Die beiden Helfer waren weiter vorne und betreuten eine unter Schock stehende, ältere Frau, die mit ihrem Kreislauf rang. Das Boot steuerte bald die Mole an. Nach einer Weile schaute er zum Bankangestellten, der sich über das intelligente, längliche Gesicht fuhr und zum stahlfarbenen Wasser.
Der Jüngere knöpfte dann die Schwimmweste zu und blickte dann zum Himmel auf mit fernen Augen, etwas innehaltend, wie bei einem raschen Gebet. Fast hat man mir Frau und Kind genommen, spürte er mit ergriffenem, aufgewühltem Herzen.

"Wir wären abgestürzt, ohne irgendeiner Macht und Möglichkeit dagegen! So klein sind wir im Kosmos mit dem scheinbar unantastbarem Anspruch des Menschen auf sein Königssein, auf Herrschaft und allseitige und allzeitige Souveränität!"

Der Mann blickte wieder zum offenen, sehr weiten Meer. Der Ozean war grau und kühl und sehr, sehr mächtig, auch der Himmel, wie tausende Richter, die internationale Staatengemeinschaft zusammen. Welche Ursache sich auch hinter dem Stürzen vom Himmel befand. Es schien keine anderen Autoritäten zu geben als dem Himmel und dem Ozean.
Es war eine seltsame Größe und Erhabenheit der Schöpfung, inmitten dieses armseligen und wundersamen Chaos. Eine Weile der Wortlosigkeit verging. Die Menschen waren wie vor einem diktierenden Gericht, dass ihnen alles nehmen konnte, dachte er. Alle waren sie hilflos, gleich, ob sie einen Anwalt daheim hatten oder hohe Summen auf der Bank horteten, oder Besitztümer verfügten, die Menschen zwischen Stadt und Meer, zwischen Licht und Finsternis, sie waren Hilflose, wie Robben, die einem an der Küste und im seichten Wasser heraufjagenden Schwertwal entkommen waren, geschockt, karg, ins Gesicht und auf die Zungen geschlagen. Der Wind kam und fegte kühl über das Deck und dann zum Fernen hinaus.

Schließlich waren sie dem Land ganz nahe. Sie schauten an die Hafenmauer, an der sich Schaulustige, Kameraleute, Journalisten sammelten, ehe Polizisten einige Schaulustige und Kleinkriminelle vertrieben, die entlang der Sanitäter zu den Hafenarbeitern verschwanden.
Der Jüngere entzündete sich derweil wieder mit zitternder Hand die zur Hälfte abgebrannte, gelöschte Zigarette. Welchen Stoff kann ich aus diesem Ereignis für den anstehenden Werbespot oder Werbebanner mitnehmen, überlegte er rebellisch, opportunistisch, mit trotzigem, schwerem Lächeln.

"Was für ein herrlicher Ausblick!", sagte der Bankangestellte mit hämischem Ausdruck und dann schob er nach:

„Dieser Pilot hat uns das ermöglicht und an diesem Tag die Ewigkeit gebracht."

Der Andere lächelte.

"Eine Tat für die Zeitungen und großen Schlagzeilen in den Zeitungen. Ein Held, der nach den Eskapaden der Triebwerke im Himmel nicht nervös wurde und aufgab."

Sie lächelten und versuchten die Entwicklungen zu verstehen.

"Er hat den Leuten nicht den Tod gebracht."

Der Andere stimmte mit den Augen zu. Die Stille wurde nicht von ihren Worten, nur von den Booten und dem Wind, der Ozean und die große Stadt der Zivilisation nun heulend überflog, aufgerieben.

In dem bleiernen Gemüt dann wieder seine Frau und das ungeborene Kind und der Gedanke, ob mit dem Kind alles gut werden würde. Es würde, wenn alles gut ginge mit der Geburt, bestimmt ein so wunderschönes und niedliches Baby sein, dessen Wangen, Augen, Stirn sie küssen würden, dass er hochheben würde und umsorgen würde, als ein einzigartiges Geschöpf der Welt. Wunder unserer Welt, unserer Ehe! Der Wind blies stärker vom weiten Ozean.

Der erste Mann blickte aus dem Boot bald zur Küste mit der Stadt und zum Kai.
Wer weiß, vielleicht sieht sie die Bilder jetzt auf dem Nachrichtensender und versucht sich gut zuzureden und an ein gütiges, nicht strafendes und grausam richtendes Schicksal zu denken. Soll es auch bei der Geburt des Kindes gütig sein und uns nicht strafen! Bitte, bitte Gott, dachte er im tiefsten Herzen, gib meiner Frau und mir eine gesegnete Geburt! Das hoffte er zutiefst im Herzen. Aber es lag auch woanders, wenn es das Höhere anders wollte, dachte er bald, dann müsste man es vermutlich irgendeiner Ordnung des Göttlichen und Universums zustecken, vielleicht halfen diese Überlegungen.
Aber wir haben das hier überstanden, sind nicht gestorben. Vielleicht lag es an einem verdammten IS-Terroristen, er wusste nicht mehr. Der stahlfarbene Ozean, diese irren Minuten, dieser Vorfall hat uns jedoch nicht verschlungen. Mehr war der dem Schleier und Reich des Todes zugestellte Mensch, der nicht mehr für das gesegnete Leben kämpfen konnte, weil man es aus seiner Hand nahm, nicht möglich.

Draußen, östlich vor einem Anlegerponton konnte man zusätzliche Schiffe und Schlepper sehen, die zügig auf die Unglücksstelle, zur Stätte der Prozession, zusteuerten.
Krankenwagen, Polizeiwagen an der Küste. Ein Trupp Journalisten, die ihre Meldungen über das IS-Terrorkalifat am Euphrat und die schwärzliche Weltwirtschaftskrise hiermit begierig ablösen oder erweitern konnten.

Der Flieger indes füllte sich wie ein riesiger Metallkessel mit dem stahlgrauen Wasser. Hätten wir doch tauschen können mit einer Zugfahrt. Dann hätten wir Fabriken und Bäume gesehen und weites Land befahren, aber der Pilot hatte es ja noch geschafft, war nicht mit ihnen zerschellt. Endlich werden wir die Küste, die Straßen, die wunderbare Erde betreten, leuchtete es in seinem Inneren kurz auf.

Es dauerte nicht mehr lange und die Menschen, die dem Himmel und dem kurzen Irren auf dem Ozean entkommen waren, kletterten an einen der Landungsstege. Der Bankangestellte löste sich bald im Gedränge aus Sanitätern und Hafengängern auf. Das Bankbüro und die Kundschaft warteten. Der Andere ging in die andere Richtung und dachte nur: Da war die Erde, die sie wieder wachsen ließ!

Der Mann befand sich bald in einem Wagen der Küstenwache, der in eine der Straßen des Hafengebiets lenkte. Sie fuhren vorüber an Lagern, einer Reederei. Der Wind wirbelte und schnitt über die Mole zur graublauen See. Die Triebwerke hatten schlagartig ausgesetzt. Aber ich werde mein Mädchen bald wieder sehen und etwas verfluchtes hochprozentiges trinken heute Abend, dachte der säkulare, muslimische Werbevertreter, der seinen Job in der Werbefirma wegen der Unterbezahlung nicht immer mochte, aber seine Frau, die dynamische Nation und Chancen in seiner Heimat und das spannende Leben dort in seinem Herzen trug.

Sie fuhren durch die belebten Straßen.
Parallel würden sie in den Zeitungen Eilmeldungen und Berichte über die Maschine mit der seltsamen Landung bringen. Bei der die der Stahlfläche des Ozeans und den irren Minuten ausgelieferten Menschen nicht gänzlich bezwungen wurden. Die Ursache würde bald aufgedeckt werden von der Polizei, den Sicherheitskräften. Von allen Thesen wurde Minuten später zunächst, neben der Extremistenthese, die eines einfachen, sehr heiklen Vogelschlags als sehr Wahrscheinliche aufgegriffen in den Zeitungen, auch das Radio meldete dies. Daran hätte es wohl gelegen. Aber es schien für die Reporter wie ein Wunder vor der Küste der Zivilisationsstätte, mit dem besonnenen Kapitän, der es noch notlandete, vor dem geschwärzten Anblick auf Ground Zero. Kein hundertfacher Tod! Was war es dennoch auch für eine Armseligkeit am Himmel gewesen und eine bleibende Achillesferse für das Menschengeschlecht, gänzlich souverän über Himmel und Erde sein zu wollen!

Bald hielten sie an einer Kreuzung, wo er sich zum Sanitäter wandte.

"Wissen Sie, meine Verlobte ist schwanger."

"Glückwunsch."

"Danke."

"Sie werden zum ersten Mal Vater?"

"Es wird die erste Geburt", erwiderte er zurückhaltend. "Wenn es das Schicksal gut meint und nichts passiert."

"Bestimmt wird es gut werden."

"Wenn es so sein soll."

"Was wird es denn?"

„Noch können die Ärzte nichts sagen."

Er sah, wie er die Schnalle von seinem Arm nahm und sie auf einen schmalen Tisch legte.

„Und Sie wissen noch nicht, was es wird?", hakte der Sanitäter nach.

"In einigen Tagen können mir die Ärzte mehr sagen", sagte er.

"Ach, bestimmt. Und jetzt haben Sie das hier ja gut überstanden."

Das Herz des Mannes verkrampfte, als er an seine Frau und das ungeborene Baby dachte. Er tastete nach dem Briefumschlag in der Jackentasche - mit den Untersuchungen eines Arztes im städtischen Krankenhaus, neben Papieren zum Werbeauftrag. Drei Wochen zuvor hatte er an dem Krankenbett gekniet, und während der Arzt seine Frau untersuchte, wussten sie beide noch nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge werden würde. Der Arzt erklärte ihnen dann wenig später, es gebe Unregelmäßigkeiten bei einigen Aufnahmen der Kopfgegend. Es war ein Moment der Unfähigkeit, der fürchterlichen Machtlosigkeit. Hoffentlich ereilte das Baby, Wunder und bald Neugeborene nichts!

"Nach einigen Routineuntersuchungen sind Sie entlassen", meinte der Sanitäter bald und stellte einen medizinischen Koffer auf einen schmalen Tisch. Schließlich ging er nach vorne und kramte in einigen Dokumenten herum.

Noch nach Mitternacht werde ich in der Stadt und bei meiner Frau sein, sagte er sich.

Unter dem blassen Mondlicht kam er in der müden, verdunkelten Stadt an. Die Frau fiel ihm weinend und überglücklich in die Arme.

Einige Monate später fuhr er mit seiner Frau zur Entbindung in ein Krankenhaus der Stadt. Prächtige Freude taumelte in ihren Herzen. Es hatte sich alles gut entwickelt beim Baby, sie hatte es gesund zur Welt gebracht.
Dazu der Blick nach dem Höheren – vielleicht lag hier, neben ihrem Willen und der exzellenten Fähigkeit der Ärzte, wieder etwas an dem Thron des Höheren, Ordnenden, Bestimmenden, bei dem, der Leben nahm, schwere Schläge austeilte und auch das wundersame Leben der Welt wieder gab, wie er Licht, Stätten des Erbarmens, Salbungen, Monumente, Entbehrungen, Leid, Wundersames, Minuten für die Ewigkeit den Menschen gab.
Mit der Geburt verlief alles gut, er dankte Gott und dem Schicksal.

Einige Wochen darauf hatte er schließlich den Bekannten und Schicksalteilenden des Absturzes in der Bank besucht. Vielleicht würden sie auch einen Tag im Yankees Stadion ausmachen. Doch er hörte in jener Bank, dieser hätte in seinem Urlaub, bei einer Klettertour in den österreichischen Bergen, einen Unfall erlitten, sei gestürzt und läge seit Wochen im Koma. Und er dachte, es wäre schwer zu akzeptieren und nachzuvollziehen, dass das Leben, die Ordnung, vielleicht der Allmächtige jenen vor Monaten gerettet hatte und jetzt dies erleiden ließ … Er nahm es mit traurigem Gesicht auf und wollte ihn im Krankenhaus anrufen, wenn es besser ginge und er dem Tod wie einst am Himmel, zwischen den unwiederbringlichen Wolken, der Stadt im Rücken und dem Wasser entkäme, dachte er. Dann ging er aus der Bank und suchte ein Café an der Straßenecke auf, wo er einen Kaffee und ein Brötchen mit Lachs bestellte und seine Unterlagen für eine Besprechung mit einem Restaurantinhaber, der fünf Werbeschilder in Auftrag gegeben hatte, sichtete und bearbeitete, während man am Nachbartisch Gerede über das anstehende Basketballspiel der Celtics vernahm …

© Deniz Civan Kacan

 

 

Impressum

Texte: Denis Civano
Bildmaterialien: -
Tag der Veröffentlichung: 08.06.2012

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