Peawyn Hunter
The Shadowbride
Die Eós Chroniken
Hier möchte ich gerne meine wunderbare Coverdisignerin loben, die dieses wunderschöne Coverbild mit mir durchgeplant und dann für mich erstellt hat.
Ehrlich, ich hätte mir kein schöneres Cover vorstellen können!
Vielen lieben Dank an Büsra Yalaman alias sunshineandbirds.
♥
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http://feuersternfantasy.deviantart.com/art/Landkarte-Eos-542726342
Weißer Nebel lag wie Schatten über den saftgrünen Hügeln, die das winzige Dorf Rule umgaben, während die Zwillingsmonde ihr kaltes, weißes Licht auf die Erde scheinen ließen. Eichen und tote Kastanien ragten wie Ungeheuer in die Höhe und schienen mit ihren Ästen nach den Lebenden zu greifen, während hunderte gelber Augenpaare durch die hohen Gräser leuchteten. In der Ferne kreischte eine Eule.
Zwar waren die Nächte in Rule, fernab jeglicher Zivilisation schon immer unheimlich gewesen, denn auf der kleinen namenlosen Insel, auf der dieses Dorf steht, wimmelte es von gefährlichen Raubtieren, aber diese Nacht war noch unheimlicher, als alle Nächte, die er zuvor erlebt hatte. Immer wieder, wenn diese Eule in der Ferne kreischte, stellten sich seine Nackenhaare beinahe senkrecht auf, was an ein Wunder grenzte, denn als kleiner Junge hatte man schließlich weitaus weniger Nackenhaare, als ein Tier. Und ab und zu heulte ein Rudel Wölfe, was ihn tief in die Decken sinken ließ. Jeder Schatten in seiner kleinen Kammer, jeder Stuhl schien ein Monster zu sein, das ihm etwas schreckliches antun wollte.
Ein Knacken von draußen ließ ihn endgültig aufspringen und zur Tür rennen. Beinahe stolperte der fünfjährige Junge über die Beine seiner Wollhose, als er die Tür aufmachte und auf den Gang hechtete.
Aber er rannte nicht zuerst zu seinen Eltern, die in der Stube ihrer kleinen Hütte schliefen, da sie es ihm verboten hatten. Sie sagten, er könne sie bei Dingen stören, die kleine Kinder nichts angingen. Er hatte nie verstanden, was sie damit gemeint hatten, aber er hatte immer auf sie gehört. Wie jedes Mal, wenn er Angst allein im Dunkeln hatte, flüchtete er sich in das zweite Kinderzimmer: das seiner großen Schwester.
Er öffnete leise die Tür mit seinen Patschehänden, schloss sie hinter sich und schlich zum Bett.
Wie immer hatte sie ihn längst gehört.
»Was tust du hier, Damien?«, murmelte sie verschlafen und richtete sich in ihren Laken auf.
Seine Schwester war schon fünfzehn, hatte wunderschöne hazelnussbraune Haare, die er manchmal flechten durfte und hellgrüne Augen, die immer etwas amüsiert blitzten. Ihre Haut war kalkweiß und makellos, beinahe wie seine. Er hatte nur im Gegensatz zu ihr dunkelbraunes Haar, wie das eines Bären. Manchmal scherzte sie damit, dass er vielleicht in Wirklichkeit ein Bärenjunges war, man ihm das Fell bis auf den Kopf ausgerupft und ihn dann vor ihre Tür gelegt hatte. Oftmals war er dann beleidigt und zog eine Schnute.
»Ich habe Angst«, wimmerte der Kleine mit angstgeweiteten Augen.
Als sie sah, dass er sogar zitterte, schlug sie die Bettdecke zurück und machte ihm etwas Platz. Er krabbelte neben sie und schmiegte sich gegen ihre weiche Brust, als sie die Arme ausstreckte.
»Hattest du wieder diesen Traum?«, fragte sie nun sanft und strich ihm das wirre Haar aus der Stirn.
Er nickte leicht. »Ich will das nicht mehr träumen, Sera.«, nuschelte er.
Sera gab ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn. »Ich habe dir doch neulich erklärt, warum du diesen Traum hast, Damien. Du bist etwas Besonderes.«
Damien erinnerte sich an das Gespräch. Daran, wie ihn seine Eltern angesehen hatten, als nicht sie, sondern seine Schwester ihm erzählt hatte, weshalb die anderen Bauern seine Familie mieden und sie ansahen, als hätten sie allesamt die Pest. Warum Minka, Damiens Lieblingskatze eines Tages tot vor der Tür lag, vergiftet von den übrigen Dorfbewohnern. Seine Mutter, Helena, hatte geweint und sein Vater hatte ihn nur mit Abscheu angesehen, als wäre er ein Tier. Genauso wie er Sera ansah.
Denn ein Fluch lastete auf seiner Familie. Es musste ein Fluch sein, nicht umsonst würden die Götter seine Eltern mit zwei Kindern strafen, die das Nekromantengen in sich trugen. Die magische Macht, die Toten zu kontrollieren und wieder zu erwecken, auf, dass sie niemals Ruhe finden würden. Noch immer verstand er nicht, warum die anderen Dorfbewohner seine Familie hassten, dafür war er noch zu klein.
Aber seit diesem Gespräch mieden die eigenen Eltern ihre Kinder und überließen sie sich selbst. Oft hörte er seine Mutter weinen, wenn sein Willem auf den Feldern war und er sich nicht um seine Frau kümmerte, und Damien wollte einfach nur von ihr in den Arm genommen werden. Jedes Mal, wenn er sich ihr näherte, wich sie zurück und starrte ihn voller Angst an. Es war nicht die Angst, wie vor einer Spinne oder einem großen Hund. Es war Todesangst, die er in ihren Augen sah.
Manchmal saß er nach solch einer Begegnung auf seinem Bett und blickte den ganzen Tag aus dem Fenster, ignorierte die Rufe zum Essen, und genoss die Stille, während er sich an sein einziges Kuscheltier klammerte, das seine Mutter in den ersten Monaten seines Lebens, genäht hatte... als sie ihn noch geliebt hatte. Jetzt hasste sie ihn. Er wusste, dass sie ihn hasste. Zwar machte sie es nie so deutlich wie sein Vater Willem, aber sie zeigte es, indem sie ihn auf körperlichem Abstand hielt und nur das Nötigste mit ihm besprach.
»Sera?«
Seine Schwester hob den Kopf und blickte ihn durch die Dunkelheit an. »Hm?«
»Was ist ein Bastard?«, fragte er unwissend.
Sie zuckte merklich zusammen und schüttelte den Kopf. »Warum willst du das wissen, Damien?«
»Papa hat es gestern zu mir gesagt.«
Sera kniff die Lippen zusammen und plötzlich tropfte etwas auf sein Gesicht. Eine Träne? »Das musst du nicht wissen, okay? Denk einfach nicht mehr darüber nach.« Sanft strich sie ihm über die Wange und bettete ihren Kopf neben seinem. »Ich habe dich lieb, Damien. Und ich werde dich beschützen.«
»Hab dich auch lieb.«
Kurz, bevor er dabei war wegzudösen, krachte es und das ganze Haus schien zu beben. Heiße Luft strömte durch das Fenster in das Zimmer und rotes Licht beleuchtete alle Umrisse. Damien schrie auf und auch Sera war völlig erschrocken im Bett hochgefahren.
Sie strampelte die Decke weg, packte ihn unsanft am Arm und zog ihn zum Fenster. Als sie hinaus blickte, traute sie ihren Augen kaum: Das Dorf stand in Flammen, die in den Himmel schossen. Schwarze Reiter warfen Fackeln auf die Häuser und schlachteten die Dorfbewohner ab. Blut tränkte den Boden, das Vieh der Bauern lief panisch durch die Straßen, versuchte zu fliehen.
»Was ist los, Sera?«, fragte Damien weinerlich, da er nicht über den Rand der Fensterbank sehen konnte.
Alles was er sah, waren die Flammen, die sich in Seras tränennassen Augen wiederspiegelten.
Sie reagierte nicht, starrte nur nach draußen, bis Damien ängstlich an ihrer Hand zerrte. Schlagartig wurde sie wieder klar im Kopf. Sie musste ihren kleinen Bruder hier wegbringen. Diese Reiter schienen keinen Unterschied zwischen Alt oder Jung, zwischen Mann, Frau oder Kind zu machen. Sie glaubte sogar, ein Baby mit aufgeschlitztem Leib in einer Pfütze liegen zu sehen. Inständig hoffte sie, dass es wohlmöglich ein sehr kleines Ferkel war.
»Damien, wir müssen hier weg.«, flüsterte sie und griff unter seine Arme, hob ihn auf ihre Hüfte. »Wir gehen jetzt nach unten, nehmen eine Decke und satteln Oskar in der Scheune. In Ordnung? Und dann reiten wir weg.«
»Was ist mit Mama und Papa?«, wimmerte der Kleine.
Stimmte. Sie hatten ja auch noch Eltern. Sie war es so sehr gewöhnt, sich nur um sich und um Damien zu kümmern, dass sie ihre Eltern oftmals einfach ausblendete. Also musste sie auch noch ihre Eltern mitnehmen. Super.
»Die kommen auch mit, Damien.«, versprach Sera und schnappte sich eine Wolldecke, die sie um ihren Bruder legte, dann öffnete sie die Tür, rannte mit ihm auf dem Arm den Gang entlang.
Ein Schrei ließ sie am Treppenabsatz innehalten.
Ihr Herz blieb für Sekunden stehen, denn sie wusste ganz genau, wem der Schrei gehört hatte. Es war Helena, ihre Mutter. Damien in ihren Armen hatte angefangen zu zittern wie Espenlaub, als sie langsam, zeitlupengleich die Treppe hinunter schritt. Als sie die Stube betrat, drückte sie Damien eng an sich, damit er das nicht sehen musste.
Ihre Mutter lag auf dem Boden, die hellgrünen Augen weit aufgerissen, die Kehle durchgeschnitten. Dickes Blut sickerte durch ihr Kleid und auf den Boden. Die Wand hinter ihr war rot gesprenkelt. Willem stand unbeweglich neben ihr und starrte auf sie herunter, während ein Mann in einer schwarzgrünen Robe hinter ihm stand. Sein Blick fuhr zu dem Mädchen und ihrem Bruder hinüber und die Klinge glitt wie durch Butter durch Willems Kehle. Blut spritzte und der leblose Mann fiel krachend zu Boden, bedeckte halb den Körper seiner Frau.
Sera schluchzte bereits und auch Damien fing an zu weinen, auch, wenn er nichts von all dem gesehen hatte, da sie ihn noch immer schützend an ihrer Brust festhielt.
»Sieh mal einer an«, sagte der Mann und lächelte bösartig.
Jetzt erst bemerkte Sera die beiden anderen, die an der Tür standen.
»Sieh dir mal ihre Augen an, Rod«, grinste einer der beiden. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist das eine kleine Totenbraut.«
Der angesprochene Mann, Rod, nickte anerkennend. Er hatte schwarzes Haar und die Eckzähne schienen ein wenig länger zu sein, als bei anderen Menschen. Seine Augen waren golden, was irgendwie bedrohlich wirkte. Er musste um die zwanzig sein.
»Eine kleine Nekromantin«, sagte Rod. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir an diesem Arsch der Welt eine finden würden... was hast du da auf dem Arm?«
Ängstlich wich Sera zurück. Ihre Eltern waren tot und obwohl sie ihre Eltern gehasst hatte, dafür, dass sie sie und ihren Bruder wie Dreck behandelt hatten, empfand sie Schmerz über den Verlust. Vielleicht nicht so viel, wie es für eine Tochter angemessen gewesen wäre, aber sie empfand ihn.
»Bitte lasst uns gehen...«, wimmerte sie und wich zurück, als dieser Rod einen Schritt näher kam.
Er riss die Decke weg und starrte auf Damien hinunter. Kurz weiteten sich seine Augen, als er Damiens strahlend blaue Fenster zur Seele erblickte. Irgendwas schien ihn an ihrem Bruder zu irritieren oder zu faszinieren. Schließlich wanderte sein Blick zu Seras Gesicht und ein bösartiges Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus.
»Haltet den Jungen fest«, befahl Rod und trat zurück.
»Nein!«, schrie Sera, aber der erste Mann hatte sie bereits gepackt, der zweite riss ihr Damien aus den Armen.
»Der Kleine könnte sehr nützlich für uns sein.«, sagte Rod und löste seinen Gürtel.
Sera wagte nicht, sich zu bewegen, denn dieser Bulle von einem Mann hatte schließlich ihren kleinen Bruder in seiner Gewalt. Damien stand stocksteif, mit riesen großen Augen auf dem Boden, eine Pranke des Mannes auf seiner schmalen Schulter.
»Aber zuerst, sollte er abgehärtet werden, was meint ihr, Jungs?«, fragte Rod lachend und nestelte am Bund seiner Hose herum.
Da erst begriff Sera was er mit abhärten meinte. Wimmernd wich sie zurück, bis der Anführer dem einen ein Zeichen gab. Er schoss vor und ergriff sie am Arm, drückte sie runter auf den Boden, direkt ins Blut ihrer Eltern. An die nächsten Minuten, vielleicht sogar Stunden erinnerte sich Sera nicht mehr genau. Sie spürte nur den Schmerz, als Rod ihre Röcke hoch riss und dann in sie eindrang. Sera schrie sich die Kehle wund vor Schmerz, hörte zwischendurch auch Damien schreien bis der reißende Schmerz zwischen ihren Schenkeln dumpf und taub wurde und sie wie eine willenlose Marionette unter dem Mann lag, der ihre Eltern ermordet hatte und nun ihren kleinen Bruder dabei zusehen ließ, wie er sie vergewaltigte.
Ihre Augen waren auf den Boden und das Blut gerichtet, während ihr Körper immer wieder von ihm erschüttert wurde. Irgendwann wurde ihr Schoß entsetzlich heiß und dumpf hörte sie ihn kehlig aufstöhnen, bevor er sich aus ihr heraus riss und sie von sich stieß. Nur langsam schloss sie die Schenkel wieder, aber sie starrte wie traumatisiert an die Decke, bis sich ein vertrauter Körper an sie schmiegte.
Damien kniete neben ihr und hatte sich auf ihren Brustkorb geworfen. »Was hat er mit dir gemacht?« Seine kleinen, kindlichen Augen glitzerten vor Tränen.
Doch Sera lächelte nur und setzte sich auf, zog ihren Bruder an sich und küsste ihn auf den Kopf. »Nichts... es ist alles gut.«
Rod blickte kalt zu ihr herunter, beugte sich zu den beiden hinab und ergriff ihren Kiefer. »Du solltest dich jetzt von deinem Bruder verabschieden... du wirst nämlich hier bleiben, mit ihnen.« Er deutete auf die Leichen ihrer Eltern.
»Nein, Sera, nein!«, wimmerte Damien an ihrer Brust.
»Lasst mich mit Euch gehen.«, flehte Sera tonlos und sie konnte nicht fassen, wie viel sie bereit war, für Damien, für ihren kleinen Bruder aufzugeben. »Ich werde alles tun, was Ihr verlangt... alles. Nur lasst mich bei ihm bleiben.«
Rod blickte genervt umher, dann zu seinen Kameraden, die diesem Vorschlag nicht genzlich abgeneigt waren. Er schien sofort zu verstehen, was sie damit meinte, dass sie alles tun würde, was er verlangte. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Schön. Dann wird dein kleiner Klammeraffe ein wenig spielen gehen, wenn wir Zuhause angekommen sind, nicht wahr?«
Sera nickte kaum merklich, drückte Damien dabei aber fester an sich.
Erst, als sie auf den Blutinseln ankamen, mehrere Wochen später und Sera ihren kleinen Bruder tatsächlich spielen schickte, begriff sie das ganze Ausmaß ihrer Liebe zu Damien. Sie gab sich selbst auf, damit sie ihn nicht alleine lassen musste. Nie hatte sie ihre Geschwisterliebe mehr unter Beweis gestellt.
Die Bäume flossen wie unheimliche Schatten an uns vorrüber. Nebel lag zwischen den Bäumen wie die Schleier einer Braut und immer wieder lugten gelbe, unheimliche Augenpaare zwischen den Schatten der Bäume hervor, die mich fröstelnd ließen. Ab und zu heulte ein einsamer Wolf nach seinem verlorenen Rudel, was irgendwie seltsam bedrückend klang.
Fröstelnd in der seltsamen Kälte des ersten ernstzunehmenden Sommertages, saß ich auf diesem morschen, umgestürzten Baumstamm und starrte in die Flammen des Lagerfeuers, das mein Käufer angezündet hatte. Die Geschehnisse wirbelten noch immer wie wild durch meinen Schädel, obwohl es schon beinahe zwei Wochen her war, als mich dieser unheimliche, schweigsame alte Mann gekauft hatte. Noch immer wollte er mir nicht sagen, wohin die Reise ging, nur, dass sein Herr eine Dienerin für sein Anwesen brauchte.
Ich zog den schwarzen Umhang fester um meine mageren Schultern, die noch immer bei jeder Bewegung schmerzten. An dem Tag, als mich der Mann gekauft hatte, war ein Fest in des guten Herrn Moros Anwesen gewesen. Ich erinnerte mich noch an den Tumult, als der erste Aufseher des Herrn versucht hatte die Highländersklavin zu vergewaltigen und der Herr ausgerastet war. Er hatte den ersten Aufseher verscheucht... und ich war ihm in die Hände gefallen, gerade, als ich hinter den Stallungen hervor gekommen war, um ins Haus zu gehen. Der Schlächter hatte seinen Namen nicht umsonst gehabt. Er hatte mir gefohlen, mich auf den Boden zu knien und mich an dem Holzpfahl festzuhalten, an dem die Sklaven ausgepeitscht wurden. Ich hatte ihm gehorchen müssen.
Erschöpft schloss ich die Augen, als ich mich daran erinnerte, wie er seine lederne Peitsche hatte auf meinen Rücken nieder sausen lassen. Vier Mal hatte das Leder in meine Haut geschnitten, da war der Herr erst richtig wütend geworden und hatte nach dem erfolgreichen Verkauf seiner wertvolsten Sklavin - die Highländerin - an einen Hexer, der wohl plötzlich aufgetaucht war, den Schlächter hatte von Rufus, dem neuen ersten Aufseher, auspeitschen lassen.
Und so hatte Moros mich notdürftig für weniger Geld verkauft und zwar an diesen unheimlichen Mann, der kein Wort mit mir wechselte.
Kurz drehte ich den Kopf zu ihm herum. Der Mann hockte neben einem Baumstumpf und machte irgendwas an der Satteltasche seines Wallachs, die vor ihm im Gras lag. Schließlich blickte ich wieder zum endlosen Wald zu beiden Seiten des Pfades, auf dem wir uns gerade ausruhten. Innerlich befand ich es für dumm, auf einem Pfad zu campieren, da doch jeden Moment ein Bandit oder so etwas auftauchen könnte, aber dieser Mann hatte nur leise gebrummt, dass diese Pfade so abseits jeglicher Zivilisation waren, dass wir hier niemanden treffen würden. Höchstens ein Kaninchen oder so.
Nun ja. Ich glaubte ihm das einfach mal, denn davon hatte ich, als Sklavin, keine Ahnung. Mein Leben verbrachte ich in den Anwesen des guten Herrn Moros und ich konnte froh sein, als Baby bei ihm gelandet zu sein. Es gab genug Sklavenhändler, die mich ebenfalls hätten finden und mit in ihren Bestand hätten aufnehmen können und da hätte ich sicherlich nicht von mir behaupten können, mit sechzehn Jahren noch Jungfrau zu sein. Außerdem war es landesweit bekannt, dass Moros seine Sklaven besser behandelte, als andere. Dass sie gesund waren und kräftig und einigermaßen gut genährt. Sonst gäbe es wahrscheinlich auch zu viele Verluste innerhalb seines Sklavenbestandes.
Der Mann erhob sich und strich sich einige feuchte graue Strähnen zurück, die sich aus seinem Rossschweif in seinem Nacken gelöst hatten, dann fuhr er sich durch den Bart. Die graugrünen Augen blickten mich nachdenklich an, bevor er anfing, Erde über das klägliche Lagerfeuer mit dem Fuß zu scharren.
Mit einem Brummen deutete er dann zu dem braunen Wallach hinüber, der nach seiner Masse zu urteilen, ein Kaltblut war.
Zitternd vor Kälte und Unbehagen stand ich wackelig auf, als mein Käufer sich auf den Sattel schwang. Mir hing das rabenschwarze Haar feucht über die Schulter und mein Pony klebte an meiner Stirn, sodass ich es beiseite strich und stolpernd zu ihm ging.
Wie bei jeder Pause, die wir taten, hielt er mir dann seinen Arm hin, den ich ergriff und er zog mich hinter sich auf das Pferd. Ich hielt mich in seinem zerfledderten Umhang fest, bevor er das Pferd in Bewegung setzte und ich mir weitere Stunden auf diesem ungemütlichen Gaul den Hintern platt sitzen durfte.
Wir waren nun beinahe zwei Wochen unterwegs und ich hatte keine Ahnung wohin wir gingen. Ich hatte nur eine ungefähre Ahnung, dass es nach Süden ging und wir dann weiter nach Westen geritten waren. Mehr wusste ich nicht, denn es war Sklaven nicht erlaubt, Kartenlesen zu lernen. Sie würden vermutlich wissen, wo am wenigsten Zivilisation war und dahin abhauen, um dem Schicksal des Sklavenlebens zu entkommen. Und das durften vor allem die Händler, die ein Geschäft mit Menschenhandel betrieben, nicht zu lassen.
Nach weiteren Stunden in der unendlichen Wildnis dieses Landes, einmal sah ich einen schwarzen Fuchs am Waldrand vorbei schleichen, wurden die Bäume kahler und die Erde seltsam schwarz. Es wurde unheimlicher und kühler, was mir irgendwie Angst einjagte. Die kahlen Äste der Bäume schienen nach mir zu greifen und manche Löcher in den Bäumen wirkten wie unheimliche Grimassen.
Und dann ragten drei gewaltige schwarze Turmspitzen in den dunklen Gewitterhimmel hinauf in die Höhe. Konnte das möglich sein? Waren die Geschichten etwa wahr?
Ich hatte erstmals daran gezweifelt, dass die Legende Quinn Denero existierte, als die Alten in den Sklavenkammern Geschichten über ihn erzählt hatten. Dann jedoch war er auf dem Fest aufgetaucht und hatte die highländerische Sklavin für dreihundert Goldstücke gekauft. Und nun sollten die Geschichten um diese mysteriösen dunklen Türme wahr sein?
Die Geschichten, dass das Land darum herum gespickt mit verrottenen Leichen und Skeletten war und ein dunkler Nekromantenmeister im größten der Türme hausen sollte, auf Rache gesinnt für etwas, das in seiner Vergangenheit geschehen war, worüber niemand etwas wusste? Die Menschen sagten, er sei unheimlich schweigsam und niemand hätte eine Begegnung mit ihm überlebt, wobei ich mich fragte, woher dann die Geschichten kamen? Und er sollte Frauen liebend gerne quälen und auspeitschen lassen, um sich an dem Schmerz zu erfreuen, die sie dabei empfanden.
Ich merkte nicht, wie sehr ich angefangen hatte zu zittern - noch stärker als zuvor.
Nur zu gut erinnerte ich mich an die unheimlichen Geschichtsstunden in den dunklen Sklavenkammern. Damals hatte ich meine Zelle mit mehreren Kindern meines Alters geteilt. Der alte Uldo hatte eine Kerze angezündet, die unheimliche Schatten an die Wände des Sandsteingefängnisses geworfen hatten und hatte mit wilden Gesten die spannendsten Geschichten zum Besten gegeben. Dies war für uns Sklaven der einzige wirklich erfreuliche Zeitvertreib, den wir betrieben hatten und konnten. Als ich von den Schattentürmen hörte, war ich gerade dreizehn geworden und hatte mich zitternd vor Furcht an ein Mädchen gepresst, weil ich die ganze Nacht darauf nicht hatte schlafen können. Der Tag danach war noch schlimmer gewesen, da ich so dreist gewesen war, bei der Arbeit einzuschlafen. Dies war das erste Mal gewesen, als mich der Schlächter hatte auspeitschen lassen. Zwar waren es nur zwei Hiebe gewesen, aber dieser Schmerz auf meinem zarten Rückgrat war mir ins Hirn gebrannt. Niemals hatte ich die Angst und die Verzweiflung vergessen, die ich als kleines Mädchen, halb nackt dort am Holzpfahl empfunden hatte.
Wenn ich das alles also richtig sah, war der Herr meines Käufers dieser unheimliche Nekromant, von dem niemand wusste, ob es ihn tatsächlich gab. Ich wusste es nun. Es musste wahr sein, oder weshalb schleppte dieser alte Mann mich in den wohl entlegensten Teil der Welt?
Und, wenn die Geschichten stimmten und wahr waren, dann... würde mich ein noch grauenvolleres Schicksal erwarten, als mit dreizehn Jahren zum ersten Mal ausgepeitscht zu werden und noch immer des Schlächters Spuren auf meinem Rücken zu spüren.
Der Wald lichtete sich allmählich und ein gewaltiges totes Ödland erstreckte sich vor uns. Der Pfad bestand aus schwarzer Erde und in der Ferne versuchte die Sonne sich vergeblich durch die schwarzen Gewitterwolken zu kämpfen. Blasses, totes Gras wucherte zwischen verkrübbelten, kahlen Bäumen, die ihre Äste wie knochige Finger nach den Lebenden ausstreckten. Raben saßen auf den Bäumen, beobachteten uns, wie wir vorbei ritten.
Mir wurde noch kälter, als zuvor und zitternd vor Angst blickte ich mich in dieser öden Landschaft um, die nach Tod schrie.
Mir kam die Legende wieder in den Sinn, die Uldo einmal über diese Schattenländer erzählt hatte. Angeblich sollte der Nekromant ein alles verzehrendes Feuer entsandt haben, grün wie Gift, das die Landschaft rund um die Türme zerfressen hatte. Nur kahles Ödland war übrig geblieben und es gab kaum Tiere, die hier draußen überhaupt noch leben wollten. Raven, Geier und Ratten waren die einzigen, die sich hierher trauten. Und die Fledermäuse, die des Nachts ihre unheimlichen Gesänge in den Himmel jagten.
Ich erschauderte bei dem Gedanken daran.
Als wir uns stetig auf die drei gewaltigen Türme zubewegten, bemerkte ich, dass sie aus schwarzem Stein erbaut worden waren, die Spitzen der Türme waren mit schwarzen Ziegeln und Wasserspeiern besetzt, die ihre Augen direkt auf uns zu richten schienen. Beinahe glaubte ich zu sehen, wie einer den Kopf hob, schüttelte aber den Kopf, da das absolut absurd war.
Mein Blick wanderte über der Schulter des Mannes gerichtet über die Türme. Der in der Mitte war der höchste und breiteste. Die anderen waren deutlich kleiner und an den Füßen der Türme waren sie mit einer Art Haus verbunden. Es wirkte alles sehr bedrückend und seltsam tückisch. Als würde ein ständiger Schatten über diesen Landen herrschen und alles und jeden beobachten.
Je näher wir diesen Türmen kamen, beschlich mich ein seltsames Gefühl. Eine Vorahnung, aber ich konnte nicht genau erkennen vor was.
Ein kühler Wind wirbelte mein Haar auf, das wie wild um mein Gesicht herum peitschte, aber ich ignorierte es.
Nur langsam kamen wir voran und blieben schließlich am Fuße der Türme stehen, die in den Himmel aufragten und gigantisch wirkten, jetzt, wo ich ihnen so nahe war. Efeu rangte sich seltsam dunkel die Steine hinauf, aus denen die Türme bestanden. Aber so unheimlich es hier auch war, umso angenehmer roch es hier. Es roch nach Pferden, Heu und Stall, denn neben dem kleinsten Turm befand sich ein kleiner Anbau, aus dem zwei schwarze Pferdeköpfe lugten und mich neugierig betrachteten. Wenigstens etwas, was ich kannte. Mit Pferden hatte ich schon immer gut auskommen können, deswegen hatte ich in Moros Anwesen oft bei den Pferden gearbeitet. Ich hatte zwar nicht reiten dürfen, da es einem Sklaven verboten war, höher zu sitzen, als jemand mit einem besseren Stand. Denn auf einem Pferd zu sitzen bedeutete Macht zu haben. Und Sklaven verdienten keine Macht, nicht einmal Anerkennung.
Mein Käufer stieg elegant wie ein Berglöwe von dem Wallach hinunter, ergriff die Zügel und führte das Tier zu dem Stallanbau, um es dort an einen Pfosten zu binden. Schließlich wandte er sich mir zu, ergriff meine Taille und hob mich herunter.
Wackelig landete ich auf meinen Füßen, die eiskalt waren, obwohl ich kleine Stiefel trug, die er mir vor unserer Abreise aus Eashos und meinem alten Sklavenleben gekauft hatte. Mit einem geschnaubten »Hm« deutete er auf eine kleine Tür in diesem Hausähnlichen Vorbau, dann griff er nicht gerade sanft nach meinem Oberarm, den er beinahe umfassen konnte und schleppte mich zur Tür. Dahinter befand sich ein karger Raum mit gepolsterten Stühlen und Bänken. Direkt gegenüber der Eingangstür befand sich eine weitere Holztür, die in den mittleren Turm führte.
Zitternd blickte ich mich um, als wir in dem riesigen Turm standen, am Fuße einer steinernden Treppe ohne Geländer. Nur kurz erhaschte ich einen Blick auf eine dunkle Falltürklappe im Boden des steinernden Turmes, als mich mein Käufer auch schon die schwindelerregende Treppe hinauf zerrte.
Nur schwer konnte ich ihm folgen. Seine Schritte waren lang und er nahm immer zwei Stufen auf einmal, aber meine Beine waren zu kurz dafür und ich war zu klein. Halb getragen, halb selbst stolpernd erklommen wir den Turm bis meine Oberschenkel schmerzten. Er blieb vor einer Klappe in der Decke stehen und öffnete sie, stieß mich vorwärts und ich blieb auf einem schmalen Gang stehen, der im Kreis um einen inneren Steinring Platz fand. Zitternd presste ich mich gegen die steinernde Wand, als er ebenfalls hoch kletterte.
Erneut ergriff er meinen Arm und zog mich grob den Gang entlang bis zu einer schweren eisenbesetzten Tür aus festem Eichenholz. Bedächtig drückte er die Klinke hinunter und die Tür schwang mit einem leisen Knirschen auf und mein Käufer schleuderte mich plötzlich in die Mitte des Raumes dahinter.
Hart kam ich auf dem Steinboden auf, fühlte unter meiner ausgestreckten Hand einen weichen Teppichläufer mit Fransen. Leicht hustete ich und schluckte hart, da ich unangenehm auf der Brust gelandet war und nun nach Atem rang.
»Ich habe eine Sklavin gekauft... wie Ihr wolltet, Meister.«, sagte der Mann, wobei ich bemerkte, dass er jetzt beinahe mehr gesprochen hatte, als auf der gesamten, zweiwöchigen Reise, die wir hinter uns hatten.
Langsam hob ich den Kopf und blinzelte in das Licht eines brennenden Kaminfeuers. Der Kamin befand sich mir direkt gegenüber, war mit zwei unheimlich dreinblickenden Skulpturen versehen, die aussahen wie Dämonen. Die steinernden Zungen hingen aus ihren zähnefletschenden Mäulern und sahen so aus wie Grimassen. Mir fröstelte es bei dem Anblick.
Aber mein Blick glitt beinahe zeitgleich zu einem mächtigen, gepolsterten Stuhl aus schwarzem Holz, der mit der Rückenlehne zu mir vor dem Kamin stand. Alles was ich erkennen konnte, war eine muskulöse Hand, die auf der Armlehne ruhte. Der Zeigefinger tippte immer wieder auf das schwarze Holz.
»Wie viel hast du für sie gezahlt, Winston?«, wollte die dunkle, grollende Stimme des Fremden auf dem Stuhl wissen.
Die Stimme versetzte mir eine unangenehme Gänsehaut auf den Armen und Beinen, als ich mich schwerfällig in eine sitzende Position stemmte.
»Achtig Goldmünzen.«, antwortete Winston hinter mir.
Stille.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, aber ich versuchte mich zwanghaft an die Dinge zu erinnern, die ich als Sklavin gelernt hatte, sodass ich den Kopf senkte und mich still verhielt. In Gegenwart der höher gestellten Herrschaften durften wir nicht sprechen, sonst wurde einem die Zunge herausgeschnitten oder - wie es eine beliebte Art vom Schlächter gewesen war - mit einem gezielten Schnitt in den Hals die Stimmbänder durchtrennt. Das war die neuere Methode beim Rauben der Stimme, da beim Herausschneiden der Zunge eine große Sauerei angerichtet wurde und manche den Blutverlust auch nicht überlebten oder daran erstickten. Außerdem durften wir den besseren Menschen auch nicht in die Augen sehen, es sei denn, man hatte es uns erlaubt.
Doch als ich das Rascheln von Stoff hörte, konnte ich nicht umhin, den Kopf zu heben. Der Mann war aufgestanden, ich sah seinen Hinterkopf. Er hatte dunkelbraunes Haar, das mich an das Fell eines Grizzlys erinnerte. Einmal hatte ich einen Bären gesehen, als der gute Herr Moros ein paar Sklavinnen und mich mit zu einer Jagd außerhalb von Eashos genommen hatte, um den Jägern beim Lager als Mundschenk zu dienen. Damals hatte ich auch das erste Mal erfahren, wie ein Mann zu Frauen niederen Standes sein konnte. Einer hatte mir an den Hintern gefasst und drauf geschlagen, bis Moros es bemerkt hatte und den Jäger angefahren hatte, dass er seine dreckigen Pfoten von seinem Eigentum lassen sollte.
Komisch das mir die Erinnerung gerade durch den Kopf schoss. Ich verdrängte sie und ließ den Blick über den muskulösen Körper des Mannes gleiten. Jedenfalls das, was ich von hinten von ihm sehen konnte. Er trug ein Magiergewand in Blau mit verschlungenen Schriftzeichen darauf gestickt. Sofort konnte ich erkennen, dass es Drachensprache war.
Zwar konnte ich als Sklavin nicht lesen, aber man erkannte Drachensprache, wenn man sie sah.
Plötzlich drehte sich der Mann um, den Winston als Meister bezeichnet hatte, und ich zuckte unter dem intensiven Blick seiner kristallgrünen Augen zusammen, senkte den Blick auf den teuren Teppich. Kurz schoss mir der Gedanke durch den Kopf, was für schöne Ornamente darauf waren, als ich Schritte hörte, kaum hörbar.
Zwei schwarze, lederne Stiefelspitzen blieben direkt vor mir stehen, dann geschah eine Weile lang gar nichts.
»Und du bist sicher, dass dieses magere Ding arbeiten kann?«, grollte die Stimme von oben auf mich herab.
Ding?
Ich hörte, wie Winston hinter mir unbehaglich das Gewicht verlagerte. »Dieser fette Sklavenhändler bestätigte mir, dass sie seit sie sieben ist den Haushalt in Ordnung gehalten hat und ihre Arbeit immer zuverlässig erledigte.«
»Hm«, machte der Mann vor mir nur.
Mein Blick war starr auf seine Stiefelspitzen gerichtet, bis er langsam um mich herum schritt und hinter mir stehen blieb. Und auf einmal blieb mir die Luft weg. Was würde er mit mir tun?
Stoff raschelte, als er sich hinter mich kniete, dann strich er mir beinahe sanft das nasse Haar nach vorne, sodass ich Schnappatmung bekam und zitternd auf dem Boden kniete. Die Angst war ein gefräßiger Ball in meinem Innern, der mich beinahe wahnsinnig machte.
Und dann zerrte er den Mantel von meinen Schultern und mir flossen sofort Angsttränen über die Wangen. Würde er etwa...? Hier? Auf dem Boden vor diesem alten Mann...? Vielleicht hatte ich nichts besseres verdient als Sklavin, schließlich konnten andere nicht von sich behaupten, auf eine nette und freundliche oder vielleicht sanfte Art entjungfert zu werden, aber.... Aber so doch nicht! Nicht mit ihm, nicht hier und nicht so!
Ungehindert öffnete er die Knöpfe des Kleides an meinem Rücken und schob es ein Stück von meinen Schultern. Und dann fühlte ich raue Finger auf meiner eiskalten, durchnässten Haut immer weiter hinunter.
Unvermittelt schluchzte ich auf und die Hand erstarrte.
Ruckartig sprang der Mann hinter mir auf.
»Du hast eine ausgepeitschte Sklavin gekauft? Die Striemen sind entzündet, Winston!«, knurrte der Mann.
»M-meister... Ich habe nicht gewusst...«
»Halt die Klappe!«, knurrte der Mann und legte mir den Mantel wieder um die Schultern, den ich ergriff und fest um mich schlang.
Also... wollte er mich doch nicht...? Mir fiel ein Berg vom Herzen.
»Steh auf«, befahl er mir von hinten.
Zitternd gehorchte ich und stemmte mich hoch, blieb etwas wackelig auf den Beinen stehen und starrte den Kamin an, während ich auf einen weiteren Befehl wartete.
»Sag mir deinen Namen, Sklavin.« Die Stimme war leise und doch hatte er einen immer drohenden Unterton darin, als wolle er einen warnen, ja nichts falsches zu sagen.
Ich hauchte: »Annabeth.«
»Lauter, verdammt! Ich versteh kein Wort, wenn du so winselst.«
Heftig zuckte ich zusammen und kniff die Augen zusammen. »Annabeth«, antwortete ich lauter.
»Annabeth... das ist kein Sklavenname. Woher stammst du?«
Warum wollte er das wissen? Schließlich war ich nur eine Dienerin, er hatte mich nicht einmal anfassen wollen, weshalb wollte er dann unbedingt wissen, weshalb Annabeth kein Sklavenname war? Ich wusste es ja selbst nicht einmal. Nur Anhand der Decke und dem Körbchen, in denen ich als Säugling wohl vergraben gewesen war, hatte man feststellen können, dass ich aus dem Norden stammte. Woher ich genau kam, konnte man daran allerdings nicht sehen.
»Als... als Säugling wurde ich vor die Tore von Eashos gelegt. Man sagte mir, dass ich aus dem Norden kam.«, sagte ich und zog den Mantel enger um meinen Körper.
»Von wo genau?«, hakte er nach und ich merkte an einer seltsamen Aura, dass er schräg hinter mir stand.
»Ich weiß es nicht.«, murmelte ich.
Leise, katzengleiche Schritte erklangen und der Mann umrundete ich, wobei ich zum ersten Mal einen genaueren Blick auf ihn werfen konnte.
Das Gewand, das er trug, reichte ihm bis zu den Knien und wurde an der Hüfte mit einem braunen Ledergürtel gehalten, in den altertümliche Runen eingraviert worden waren. Das Gewand besaß einen langen V-Ausschnitt, der seine muskulöse Brust offenbarte. Sie war haarlos und ab und zu blitzte eine helle Narbe auf. Die Größte davon war eine, die sich quer über die definierten Bauchmuskeln zog. Wer ihm das wohl angetan hatte?
Mein Blick wanderte unvermittelt nach oben zu seinem Gesicht. Grüne Augen musterten mich von Kopf bis Fuß. Sein Gesicht an sich wirkte hart wie Stein. Es war unbeweglich und jegliche Art von Emotion war - wahrscheinlich - schon vor Jahren verschwunden. Egal, was man diesem Mann angetan hatte, er hatte seine Menschlichkeit dafür eingebüßt, um hier in Frieden zu leben. Wobei... Frieden schien relativ zu sein.
Aber ich war nicht so entsetzt über die schiere Gleichgültigkeit in seinen Augen, sondern von den Narben, die sich quer über sein Gesicht zogen. Von der rechten Schläfe über seinen Nasenrücken und zu seinem linken Kiefer hinunter. Beinahe sah es aus... wie Kratzspuren eines Tieres.
»Hast du in meinem Gesicht gefunden, was du suchst?«, fragte er unvermittelt.
Ich zuckte zusammen, schüttelte den Kopf und richtete mein Gesicht demonstrativ dem Boden zu. Bei den Göttern. Ihn einfach anzustarren, war ich von allen guten Geistern verlassen?
Er schnaubte, dann entfernten sich seine Schritte, wobei ich wieder leicht den Kopf hob. Der Meister war zu einer Truhe hinüber gegangen, die neben einem Tisch auf dem Boden stand, auf dem sich Bücherstapel und Schriftrollen befanden.
Er öffnete sie und holte etwas heraus, bevor er sich zu mir umdrehte und es mir entgegen warf.
Ungeschickt fing ich den Stoffhaufen auf.
»Drei Kleider. Du wirst sie wahrscheinlich kürzen und enger machen müssen, so klein und zierlich wie du bist. Dein Zimmer befindet sich im zweiten Turm und ich erwarte, dass du die Türme in Ordnung hälst. Heute gebe ich dir noch frei, wegen deinen Wunden, aber morgen wirst du mit deiner Arbeit beginnen. - Winston, bring sie hinunter zu Masha. Sie soll die Verletzungen verbinden.«, befahl er und winkte seinen Diener heran.
Der ergriff meinen Oberarm und zog mich wieder hinüber zur Tür. Völlig benommen folgte ich ihm, da ich von dieser Begegnung irgendwie sehr geplättet war. Keine Ahnung wieso, aber er hatte mich eingeschüchtert und wusste, wie man selbstsicher auftrat. Er wirkte dominant und wusste das.
Winston schleppte mich die ganzen Stufen wieder hinunter und wir betraten den Vorbau der Türme, ehe er eine weitere Tür öffnete, die zum zweiten Turm führte. Hier befand sich, unterhalb der riesigen Treppe, eine Küche. Öfen verbreiteten angenehme Wärme, Tische mit duftendem Essen standen an den Wänden und Holzbretter waren an die Wand genagelt, an denen man frisch erlegte Tiere aufhängte. Inmitten dieser skurielen, beinahe idyllischen Szene, stand eine mollige Frau in einem hellblauen Kleid mit befleckter Küchenschürze und streng zurück geknotetes Haar, in dem sich ein Netz befand. Das musste diese Masha sein, von der der Meister gesprochen hatte.
»Winston, was bringst du mir da in die Küche?«, schnauzte sie im Befehlston.
Ich zog verängstigt den Kopf ein und blinzelte in das Licht der brennenden Öfen.
»Die neue Arbeitskraft vom Meister, Weib.«, zischte Winston hinter mir zurück, bevor er an mir vorbei ging, sich eine Flasche, deren Flüssigkeit verräterisch nach Rum aussah, griff und sich auf einen Hocker vor den größten Ofen setzte. Er kippte einen großen Zug hinunter.
Die Frau, die wohl Masha war, blitzte ihm wütend hinterher, dann blickte sie mich an und kam auf mich zu. Sie ergriff meinen Oberarm und hob die Brauen. »Dieses gebrechliche Kind? Das kann doch nicht einmal einen Korb voll Wäsche tragen.«
»Musst du mich nun auch anschnauzen, Weib? Der Meister hat mir eben auch schon eine Standpauke gehalten, weil ich sie für achtzig Goldmünzen gekauft habe. Dabei hatte sie auch noch frische Peitschenstriemen auf dem Rückgrat.«, knurrte Winston und nahm noch einen kräftigen Schluck.
Mir wurde übel, wenn ich ihn so ansah. Ein alter, verbitterter Mann, vom Leben gezeichnet und trinkend wie ein Loch.
Unsicher blickte ich zurück zu der Frau. »Ich kann arbeiten.«, nuschelte ich kaum hörbar.
»Wie meinen?« Masha wandte sich wieder mir zu.
Unsicher blickte ich zu Boden. »Im Anwesen in Eashos habe ich die Ställe in Ordnung gehalten und ich habe im Haus gearbeitet. Ich kann arbeiten.«, wiederholte ich.
Sie hob sichtlich skeptisch die Augenbrauen. »Hm-hm... wenn das so ist, willkommen.« Leicht lächelte Masha und deutete auf einen Schemel neben einem Tisch, der direkt neben den Treppenstufen stand. »Dann setz dich mal und ich schaue mir die Striemen auf deinem Rücken an.«
Ich sah hinüber zu Winston, der sich völlig unbeteiligt zeigte und weiter in die Flammen starrte, als würde er eine Szene aus der Vergangenheit darin sehen. Immer wieder runzelte er die Stirn.
Rasch wandte ich den Blick ab und ging hinüber zu dem mir zugewiesenen Schemel und ließ mich erschöpft darauf fallen. Das alles schien so unwirklich und unglaublich, denn alle Geschichten über diese Türme schienen falsch zu sein. Leider war ich wohl eine der Personen, die die Wahrheit kannte oder kennenlernen durfte... und nicht weitererzählen konnte.
Masha kam mit einem Schemel in der einen und mit einem kleinen Holzkasten in der anderen Hand zu mir und ließ sich mir gegenüber nieder. »Wie ist dein Name, Kind?«, fragte sie diesmal sehr freundlich und verständnisvoll, während sie in dem Kasten auf ihrem Schoß herum kramte.
»Annabeth«, antwortete ich leise, da ich irgendwie nicht wollte, dass Winston zuhörte.
Masha nickte leicht und kramte einen sauberen Stofffetzen hervor, auf den sie Alkohol träufelte. »Seltsam. Annabeth ist kein Sklavenname... nun gut. Leg den Mantel beiseite, damit ich deine Wunde versorgen kann.«
Nur zögerlich tat ich das, was sie verlangte.
Daraufhin stand sie auf, umrundete mich und keuchte kurz erschrocken auf. »Meine Güte... Dein Rücken, Mädchen,...«
»Ich weiß.«, erwiderte ich nur und kniff die Augen zusammen, als sie das Tuch über die Striemen gleiten ließ. Es brannte wie Drachenfeuer.
Winston war nach wie vor still, während mir Masha einen Verband um die Wunden legte und damit meinen halben Brustkorb einwickelte. Es war angenehmer und das Brennen hatte nach gelassen, sodass ich leise seufzte und erschöpft auf die Tischplatte starrte. All das war ziemlich anstrengend gewesen. Die Reise zu den Schattentürmen, die Begegnung mit meinem neuen Meister und die Tatsache, dass ich hier nie wieder weg konnte. Es war ziemlich viel, auch, wenn man von einer Sklavin erwarten durfte, dass einiges einzustecken hatte, aber selbst bei einer Sklavin war irgendwann das Limit erreicht.
Masha strich mir über die Schulter und stellte den Verbandskasten beiseite, dann setzte sie sich mir gegenüber auf den Schemel und ergriff meine Hände. »Nun erzähl' doch mal. Du kommst also aus Eashos, nicht wahr?«
Erschöpft nickte ich. »Seit ich ein Baby bin, habe ich dort gelebt.«
»Und wer hat dich aufgezogen?«, fragte sie neugierig.
Ich runzelte die Stirn. »Eine Sklavin namens Igrena... als ich in Eashos ankam hatte sie eine Fehlgeburt gehabt und hatte Milch übrig für mich. Zwei Jahre später zog sie noch ein Mädchen auf, eine Highländerin.«
Masha nickte und fragte mich noch weitere Dinge, die ich alle monoton und sachlich beantwortete. Aber eines blieb mir im Kopf und zwar, wie Winston kurz den Kopf gedreht hatte, als ich den Namen Igrena und ihr verlorenes Kind erwähnt hatte. Ob er sie kannte? Der Gedanke hatte sich bereits festgesetzt, bevor ich innerlich den Kopf schütteln konnte und dachte, dass es unmöglich so sein konnte. Aber in diesem Moment hatte ich etwas in den alten, harten, grauen Augen gesehen, was ich den ganzen Weg von Eashos zu den Schattentürmen nicht vermocht hatte, zu erkennen. Es war Hoffnung gewesen.
»Nun komm, Kindchen. Du bist völlig durchgefroren und siehst aus, als könntest du etwas Schlaf vertragen. Ich zeige dir deine Kammer.«, forderte mich Masha nach einigen Minuten des Schweigens auf.
Ich gehorchte, stand von dem gemütlichen Schemel auf und folgte Masha zur Treppe, die sich auf der rechten Seite der Tür am Turm hinauf schlängelte. Matt und erschöpft stapfte ich die Stufen hinauf, hatte das Gefühl, dass meine Glieder mit jeder Stufe in die Höhe schwerer wurde. Schließlich kamen wir im ersten Stock des Turmes an, ein Flur, ausgelegt mit dunklen Teppichen befand sich direkt hinter der Treppe.
Die alte Frau lief gemütlich und stramm den Flur entlang bis zu einer kleinen Tür. Diese öffnete sie und trat in das Zimmer dahinter ein.
»Es ist etwas spärlich möbiliert, aber ich denke, dass ist kein Problem, wenn man müde ist und seine Ruhe will.«, erklärte sie, als ich hinter ihr in die Kammer eintrat.
Es war wirklich klein und kaum mit Möbeln bestückt, aber das Bett und der kleine gepolsterte Hocker vor einem lange erloschenen Kamin würden für mich vollkommen ausreichen. In den Sklavenkammern in Eashos hatte ich sehr viel weniger gehabt. Dort hatte ich mir die Zelle nämlich mit rund fünf weiteren Personen teilen müssen und es war so eng gewesen, dass wir zusammen gerückt dort drinnen gesessen hatten, bis der Morgen graute und wir wie immer aus den unterirdischen Kammern geholt wurden.
»Es ist perfekt.«, murmelte ich leise und wanderte fasziniert in dem Zimmer umher, berührte die dicken, verstaubten Vorhänge, die vor einem breiten Turmfenster hingen.
»Ich bringe dir gleich noch Decken für die Nacht und eine Schale Eintopf hinauf. - Dort in der Truhe befinden sich alte Kleider und Nähzeug, falls du das dort abnähen möchtest.«
Ich blickte auf die beiden Wollkleider hinunter, die mir der Meister gegeben hatte und bemerkte erst jetzt, dass ich sie die ganze Zeit über wie eine Irre umklammert gehalten hatte. Dann nickte ich dankbar und zwang mich zu einem kleinen Lächeln, bevor ich die Kleider auf den Hocker legte und mich umsah.
Masha verschwand aus der Tür, ließ diese jedoch angelehnt.
Meine Gedanken wirbelten wie verrückt umher, als ich mich umsah. Das Bett war klein und stand an einer Wand. Das Bettzeug sah aus, als hätte man lange Zeit nicht in diesem Zimmer gelebt, was allein der Staub überall bestätigte. Ansonsten war das Zimmer recht kahl und wirkte kühl und ungemütlich, aber ich war mir sicher, wenn ich erst einmal ein Feuer im Kamin anmachte, würde dieser Eindruck ebenfalls verschwinden. Eines wusste ich zumindest, ich würde hier drinnen ziemlich stark aufräumen müssen, damit ich mir nicht total eingestaubt vorkam.
Nachdem ich das Bett und die Vorhänge mit den Augen untersucht hatte, ging ich hinüber zu der Truhe, welche sich direkt neben dem Kamin befand. Ich kniete mich ächzend davor, da die Striemen auf meinem Rücken doch noch ziemlich schmerzten und schob die Ärmel des Wollkleides über meine Schultern, die immer wieder herunter rutschten, da das Kleid an meinem Rücken noch immer geöffnet war, um nicht zu stramm über dem Verband zu liegen.
Nachdenklich öffnete ich die Schnallen und schob den Deckel der Truhe hoch. Staub wirbelte auf und tanzte in der Luft, sodass ich hustend eine Hand vor den Mund schlug. Als sich der Staub legte, betrachtete ich den Inhalt. Ein kleines Nadelkissen mit Nadeln, Garn und Wolle. Außerdem alte Kleider, die von Mottenlöchern zerfressen waren. Ich hob alles aus der Truhe und legte es zur Seite, da entdeckte ich einzelne Pergamentseiten am Boden der Truhe und nahm sie neugierig in die Hände.
Die Schrift war verblichen und kaum noch leserlich, zumahl ich selbst nicht lesen konnte. Eines jedoch erkannte ich am Schreibstil, es musste Drachensprache sein. Es war seltsam bedrückend, dass alles in diesem Turm mit Drachen und Tod zu tun haben schien, sodass ich die Papiere zurück in die Truhe legte. Ich wollte den Deckel schon schließen, als ich in einer kleinen Ecke einen kleinen, silbernen Gegenstand entdeckte.
Ich legte den Kopf schief, blickte zur Tür und lauschte, ob ich Masha bereits hörte, aber nein. Alles war ruhig.
Und so nahm ich den Ring aus der Ecke der Truhe und wog ihn in der Hand. Er war schwer, ein Männerring wie ich feststellte und zwar aus reinem Silber. Verschnörkelte Schriftzeichen waren in das Silber eingraviert und in der Mitte befand sich ein blauer, glühender Stein, der wie ein eingeschlossener Gletscher wirkte. Fasziniert über das, anscheinend, teure Schmuckstück, strich ich darüber und ließ den Ring in eine meiner Taschen gleiten. Schließlich befand er sich in meinem Zimmer, in meiner Truhe.
Allein dieses Wort - mein.
Das hatte es vorher nicht in meinem Wortschatz gegeben, aber es überraschte mich, wie einfach ich das benutzen konnte.
Ich stand auf, als ich wieder Schritte hörte und schloss die Truhe, stellte das Nähzeug auf den Deckel und hob gerade noch den Blick, als Masha wieder zurückkam. Sie stellte ein Speisebrett und eine dampfende Schüssel Eintopf auf die Truhe und lächelte mich dann herzlich an, als sie mir die dicken Wolldecken gab.
»Nachts kann es in den Türmen schon mal kalt werden, Kleines.«, sagte sie und tätschelte meine Schulter. »Ich möchte dir noch einige Dinge über unseren Meister erzählen. Am besten, wir setzen uns, da du einige Sachen wissen solltest.« Sie deutete auf das Bett, wo wir uns auf die Bettkante setzten.
Was hatte sie mit mir zu bereden?
Masha setzte sich neben mich und sah mich bedeutungsvoll an. »Eines musst du auf jeden Fall wissen: Spreche niemals, wenn der Meister dich nicht dazu aufgefordert hat und stelle ihm keine Fragen. Er ist leicht gereizt und schlecht gelaunt... außerdem solltest du nicht faul herum sitzen, wenn du Arbeit zu erledigen hast, dass kann er überhaupt nicht leiden.«
»Was... was werden meine Aufgaben sein?«, fragte ich unsicher.
»Morgens wirst du direkt nach dem Aufstehen und dich frisch machen, zum Brunnen gehen. Der befindet sich hinter den Türmen. Du holst Wasser, damit ich kochen kann. Dann bringst du dem Meister das Essen aufs Zimmer, du weißt wo das ist?«
Ich nickte.
»Gut. Dann wirst du sein Zimmer verlassen, aber erst, wenn er es dir befiehlt. Als nächstes wirst du seinen Waschzuber mit heißem Wasser füllen, danach sind deine Aufgaben für den Meister beendet. Du bekommst dann eine Stunde Pause, in der du dich mit persönlichen Dingen beschäftigen darfst. Und den Rest des Tages hilfst du die Türme in Ordnung zu halten. Treppen schrubben, Böden kehren, Abwasch erledigen, Wäsche aufhängen, Ställe ausmisten. Es wird anstrengend werden, Mädchen. Und ich hoffe, dass du dir sicher bist, dass du arbeiten kannst. Der Meister ist streng und Faulheit bestraft er hart.«, sagte Masha.
Leicht hatte ich begonnen zu frösteln, aber nicht, weil ich Arbeit nicht gewöhnt war... sondern, weil ich Angst davor hatte, was geschehen würde, sobald ich meine Aufgaben nicht gut genug erledigte. Würde er mich züchtigen? Mit Schlägen? Oder würde er gleich zur Peitsche greifen?
»Der Meister scheint ein grausamer Mann zu sein.«, wisperte ich mit ängstlicher Stimme.
»Er war nicht immer so... so erzählt man sich jedenfalls.« Sie hatte den Kopf gesenkt und blickte ihre Hände an.
Ich grub meine Finger in die Decken. »Wer ist er?«
Masha blickte auf und ihre alten Augen fixierten mich mit einem sanften Blick. »Sein Name ist Damien Black. Er soll in einem kleinen Dorf aufgewachsen sein, südlich von hier... Ein Dorf, das heute nicht mehr existiert. Seine Eltern waren Bauern, bis Nekromanten das Dorf überfielen und ihn und seine Schwester als Geiseln mitnahmen. Ich weiß nur, dass die beiden Kinder von Geburt an, die Gabe der Nekromantie beherrschten und deshalb als einzige Überlebende zu den Blutinseln gebracht wurden. Mehr weiß ich nicht, schließlich spricht der Meister nicht darüber... aber ich sehe, dass es diesen jungen Mann zerstört hat. Egal, was sie dort mit ihm gemacht haben, es muss grausam gewesen sein.«
Zitternd blickte ich Masha an. »Lebt er deswegen hier draußen? Alleine?«
Sie nickte. »Ich denke, dass er das Grauen vergessen will, das ihm dort angetan wurde. - Ich lasse dich nun alleine. Schlaf dich aus und Morgen sehen wir uns in der Küche.« Sie stand auf und ging zur Tür hinüber.
»Masha?«
An der Tür drehte sie den Kopf über die Schulter. »Ja, Kind?«
Ich schluckte. »Und... was ist mit seiner Schwester geschehen?«
Kurz zuckte sie zusammen. »Sie ist tot.«
Damit war sie fort und ich blieb alleine in der Kammer zurück.
Ich öffnete am Morgen durch einen mir unerfindlichen Grund die Augen und blinzelte in das fahle, kaum wahrzunehmende Tageslicht. Blinzelnd wälzte ich mich herum und betrachtete mein kleines, schlichtes Zimmer.
Noch immer konnte ich nicht ganz fassen, dass das meins war und ich nicht mehr in einer kleinen, ungemütlichen Zelle schlafen musste und mir diese im besten Falle auch noch mit drei anderen Sklaven teilte. Es war faszinierend gewesen, als ich gestern, kurz, nachdem Masha gegangen war, mich auf das Bett gelegt hatte und probeweise die Matratze gedrückt und geknetet hatte.
Völlig begeistert hatte ich in dem kleinen Häufchen Kleidern gewühlt, die ich nun zur Verfügung hatte und hatte ein kurzes Nachthemd gefunden, das ich überzog und mich dann in das Bett legte. Es hatte nicht lang gedauert, bis ich eingeschlafen war und mich in einem wirren Traum wieder fand.
Doch... obwohl ich mich mehr, als wohl in diesem Zimmer fand, das ich als mein Eigentum bezeichnen konnte, hatte ich, seit ich hier angekommen war, ein seltsames Gefühl. Bedrückend wirkten diese dunklen Gemäuer und auch draußen schien niemals die Sonne zu scheinen. Die ganze Zeit hing dicker Nebel über den Berghängen und den weit entfernten Wäldern, sodass die Sonne kein winziges Bisschen hindurch schien. Das bestätigte sich auch, als ich langsam aufstand und zu dem einzigen Fenster ging, das ich hier zu Verfügung hatte.
Leise gähnte ich in meine Handfläche.
Auch, wenn es sehr komfortabel war, hatte ich nicht vergessen, was mir Masha gestern erzählt hatte und zwar, mit einem sehr ernsten Unterton in der Stimme. Das Letzte, was ich wollte, war, den Meister zu verärgern. Ich hatte erlebt, wie es war, dem Schlächter ein Dorn im Auge zu sein und die Auswirkungen darauf spürte ich noch immer auf meinem vernarbten Rücken. Und ich hatte das Gefühl, dass der Meister härter bestrafen würde, als der Sklavenaufseher in Eashos.
Ich blickte mich nachdenklich um, dann ging ich zu dem Häufchen Kleider, die ich auf die Truhe gelegt hatte und suchte mir eines raus, das warm und weich war. Dieses legte ich mir ordentlich auf das Bett und begann mich dann, aus dem Nachthemd zu schälen. Es dauerte eine geraume Zeit, bis ich es mir ausgezogen hatte, da mein Rücken wieder heftiger schmerzte, aber dann schaffte ich es. Danach unterzog ich mich einer kurzen Katzenwäsche mit einem Tuch und einer Schale Wasser, die mir Mashe gestern noch hingestellt hatte. Schließlich zog ich mir das Kleid über und verschnürte das Korsett an meiner Vorderseite.
Ordentlich strich ich das einfache, beige Dienerkleid glatt, das auf jeden Fall angenehmer war, als die Sklavenkluften, die ich bisher immer getragen hatte.
Als ich mein schwarzes Haar zu einem lockeren Knoten gebunden hatte, machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. Ich stieg die Treppe hinunter, die in die Küche führte, wo mir bereits ein wohliger, würziger Geruch entgegen kam. Gebratenes Fleisch.
Am letzten Absatz der Treppe blieb ich stehen und betrachtete die Küche, in der Masha bereits herum wirbelte. Überall lagen Bleche und Töpfe herum und Mehl klebte an den Tischplatten. Kurzzeitig fragte ich mich, woher sie das Mehl nahm, schließlich gab es weit und breit keine Bauernhöfe.
»Ah, da bist du ja, Kind! Schnell, schnell! Der Meister ist bereits auf und hat heute besonders schlechte Laune. Geh und hol das Wasser vom Brunnen!«, befahl mir Masha gehetzt.
Ich nickte, machte einen Knicks und eilte los.
Der Meister war schlecht gelaunt? Besonders? Mir schlotterten bereits die Knie, dabei war ich noch nicht einmal bei ihm im Zimmer gewesen.
Rasch verdrängte ich das ungute Gefühl und huschte nach draußen. Mir wehte ein eisiger Wind entgegen, der mich augenblicklich frösteln ließ. Dafür roch die Luft umso frischer und belebender, sodass ich schnell um die Türme herum eilte. Direkt dahinter befand sich ein einsamer Brunnen mit einer Halterung, an der eine Kette und ein Eimer hing. Ich blieb vor dem Brunnen stehen und blickte hinunter.
Einige Meter unter mir schwappte eisiges Wasser umher.
Ich runzelte die Stirn, dann nahm ich den Eimer und ließ ihn ins Wasser fallen, wartete, bis er voll war, dann drehte ich die Kurbel, die den Eimer wieder hinauf holte. Mit einigem Kraftaufwand holte ich den Eimer wieder hoch und griff nach dem hölzernen Henkel, um ihn hinein zu tragen. Ich musste zugeben, dass er ziemlich schwer war, aber das würde von nun an meine Arbeit sein. Ich hatte keine Wahl.
Und so schleppte ich den Wassereimer um die Türme herum und bis in die Küche, wo mich Masha wieder erwartete und hektisch auf den Kessel im Kamin deutete. Gehorsam goss ich es in den Kessel und setzte mich auf einen Hocker, den mir Masha zeigte, dann wartete ich, bis sie fertig sein würde.
»Was tut der Meister eigentlich, wenn er wütend ist?«, fragte ich unwissend.
Masha wandte sich um und zuckte plötzlich ratlos mit den Schultern. »Nicht viel eigentlich... meistens ist er unfreundlich und herablassend, aber manchmal schlägt er jemanden auch. Also sei vorsichtig, Kind.«
Ich schluckte kaum hörbar und betrachtete, wie Masha in dem Kessel umher rührte, wobei sich mein Magen entsetzlich zusammenzog vor Hunger. Aber ich ignorierte das, weil ich den Meister nicht warten lassen wollte, um dann Ärger zu bekommen.
Masha füllte eine Schale mit Eintopf, holte ein Stück Brot und drapierte alles auf einem hölzernen Tablett, ehe sie sich zu mir umwandte und mir alles in die Arme drückte. »Wenn du bei ihm bist, auf dem Kaminsims steht ein Krug mit Wein. Du schenkst ihm etwas davon ein, verstanden?« Sie stellte einen Becher bedeutungsvoll auf eine freie Fläche des Tabletts.
Ich nickte nur, spürte bereits mein klopfendes Herz, denn ich erinnerte mich noch gut genug daran, wie er gestern zu mir gewesen war. Er hatte Winston furchtbar angefahren, nur, weil er zu viel für eine verletzte Sklavin bezahlt hatte. Wie würde er heute morgen auf mich reagieren?
Das, was mir dabei jedoch solche Angst machte, dass heute kein Winston dabei war, der mich im Zweifelsfalle beschützen könnte, wenn er es denn würde. Dabei war ich mir auch nicht so sicher.
Das Tablett fest umklammert verließ ich den ersten der Türme und ging in den Zweiten. Als ich am Ansatz der Treppen stand, die in den Turm hinaufführten, überkam mich ein seltsames Gefühl. Ein Schauer lief mir über den Nacken und auf meinen Armen bildete sich eine Gänsehaut.
Es war, wie ein Lufthauch, der meinen Hals streichelte und dabei Stimmen zu flüstern schien.
Diese Umgebung war mehr als bedrückend, allein die Landschaft um die Türme herum hatten mich das Fürchten gelehrt. Und ich wusste nicht einmal, weshalb die Erde dort draußen schwarz verbrannt war, umso weniger wollte ich wissen, was der Herr dieser Ländereien durchgemacht hatte. Was musste dieser Mann erlebt haben, dass er so verbittert war?
Rasch schob ich alle Gedanken an diesen düsteren Ort beiseite und stieg langsam und bedächtig die Treppen hinauf. Meine dünnen Lederschuhe scharrten über den Stein der Treppen, was das einzige Geräusch war, das von dem Turm hinauf und wieder hinunter hallte. Wenn mich der Herr jetzt nicht kommen hörte, dann musste er taub sein.
Als ich die Falltür nach oben erreichte und hoch drückte, empfing mich eine unangenehme Stille. Blinzelnd stellte ich das Tablett auf dem Boden ab und stieg in den dunklen Gang hinauf, schloss die Falltür wieder und nahm das Tablett auf, schritt durch den stillen Gang und blieb vor der Tür stehen, vor der ich am Vorabend ebenfalls gestanden hatte.
Noch zu gut erinnerte ich mich daran, wie ich am gestrigen Abend auf den Knien vor diesem Mann gehockt hatte und darum gefürchtet hatte, dass er sonst was mit mir anstellte. Nun aber hatte ich aus einem ganz anderen Grund Angst.
Wie schon in Eashos wusste ich, wie es sich anfühlte, geschlagen und gepeitscht zu werden. Sei es körperlich oder seelisch. Ich musste feststellen, dass sich mein Leben nicht zum besseren verändert hatte. Zwar würden mich Masha und Winston nicht dafür bestrafen, wenn ich etwas falsch machte, aber der Meister alle mal. Das hatte ich in seinen steinharten Augen gesehen. Er schreckte nicht davor zurück, zur Peitsche zu greifen.
Zitternd blickte ich die Tür an, sah aber keinen Weg, der daran vorbei führte und so klopfte ich zaghaft an dem harten Holz.
Ein Krachen erklang auf der anderen Seite, sodass ich zusammen zuckte und angespannt horchte, aber mir antwortete bloß Stille.
Unsicher sah ich den Gang entlang, auf der verzweifelten Suche nach Winston, der mir vielleicht helfen könnte, aber es war niemand auf dem Gang außer ich. Der Drang in mir, die Tür zu öffnen und zu sehen, was dort drinnen vor sich ging, wurde so groß, dass ich den Eisenknauf griff, drehte und die Tür öffnete.
Einen Moment lang starrte ich die zerbrochene Schale an, die zerstreut auf dem Boden lag. Dann fuhr mein Blick hinauf zum Meister, der schnaubend am Kamin stand und mich anstarrte, als wäre ich ein Ungetüm, das dort in seiner Tür steht.
»Was tust du hier?«, knurrte der Meister mich an.
Verdutzt blickte ich in sein vernarbtes Gesicht, in dem die Wut stand. »Ich... ich sollte Euch das Frühstück bringen...«, stammelte ich und hob andeutungsweise das Tablett.
Sein Blick blieb an dem Tablett haften, dann deutete er mit einem Nicken auf einen kleinen Holztisch neben dem gewaltigen Stuhl, auf dem er bei meinem ersten Treffen mit ihm gestern gesessen hatte. Ich machte einen kurzen Knicks und hechtete zu dem Tisch hinüber und stellte das Tablett mit dem dampfenden Essen darauf ab.
Plötzlich spürte ich eine Präsenz hinter mir und wandte mich um, wobei ich beinahe mit ihm zusammen stieß. Reflexartig hielt ich die Luft an und starrte auf seine muskulöse Brust, die durch seine tief ausgeschnittene Robe gut sichtbar war.
»Man scheint dir augenscheinlich nicht genau beigebracht zu haben, was die Aufgaben einer Dienstmagd sind.«, raunte er kaum hörbar.
Die Dunkelheit, der raue Klang seiner Stimme schien mich für wenige Sekunden so sehr zu hypnotisieren, dass ich nicht genau verstand, was er damit meinte. Bis mir die zebrochene Schale wieder in den Sinn kam und ich erschrocken die Luft einsog. Mir schoss augenblicklich Hitze in die Wangen, als ich mich umdrehte und auf den Boden fallen ließ. Vorsichtig kehrte ich die Scherben mit den Fingern auf einen Haufen.
»Ich weiß nicht genau, was du bist, aber eine Sklavin steckt sicher nicht in dir. Du bist langsam, hast zu wenig Ehrfurcht vor mir oder demjenigen, der dich verkauft hat, sonst hättest du bereits nach deiner ersten Auspeitschung darauf geachtet, gewisse Fehler zu vermeiden.«
Meine Finger waren erstarrt, während er sprach. Eine Gänsehaut kroch mir über den Körper, ließ die wunden Striemen auf meinem Rücken pochen und mich daran erinnern, dass ich ein Niemand war. Schließlich interessierte es keinen, was mit mir passierte. Nicht einmal meine eigene Mutter hatte es interessiert, als sie mich vor Eashos Tore gelegt hatte.
Ich biss mir auf die Unterlippe, schloss die Augen und sammelte die Scherben auf, legte sie in die Schürze, die ich um die Taille gebunden hatte. Masha hatte mich gewarnt, dass er unfreundlich und herablassend sein könnte und ich musste die Zähne zusammenbeißen und es ertragen, denn eine andere Wahl hatte ich nicht.
»Dein Haar ist rabenschwarz und deine Haut blass, also hast du in Eashos nicht draußen gearbeitet, sondern im Haus. Und dennoch prangen auf deinem Rücken Narben von Peitschenhieben? Bist du so unfähig oder weshalb hast du diese Narben?«
Meine Finger zerdrückten die Scherbe, sodass ich einen feinen Schmerz fühlte und etwas warmes, klebriges. Erst, als ich meinen Augen erlaubte, sich zu öffnen, sah ich, dass ich mich geschnitten hatte.
»Spreche ich undeutlich?« Seine Stimme wurde lauter.
Ich schnappte nach Luft und starrte ihn an. »W-was?«, flüsterte ich kaum hörbar.
»Verstehst du mich nicht, oder willst du mir nicht antworten?!« Er starrte mich durch seine smaragdgrünen Augen eindringlich an, in seinem Blick die Kälte eines verbitterten Lebens. »Hat man dir nicht beigebracht, auf Fragen zu antworten?«
Blinde Wut flutete meine Adern und ich starrte ihn benommen an. »Ich habe sie, weil es manchen Menschen beliebt und erheitert, wenn sie zusehen können, wie andere Schmerzen erleiden.«, flüsterte ich und drückte die Scherbe fester zwischen meinen Fingern, wenn ich an den Schlächter dachte, der mich meine ganze Kindheit und Jugendzeit über gequält hatte, weil es ihm Freude bereitet hatte. Nie hatte er dabei sexuelle Handlungen an mir durchgeführt, sondern nur den reinen Schmerz heraufbeschworen durch Schläge oder Hiebe.
Er schwieg einen Moment und ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten, wagte es jedoch nicht, aufzusehen.
Texte: Peawyn Hunter
Tag der Veröffentlichung: 30.08.2015
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