Um es vorweg zu nehmen: Ausnahmen bestätigen immer die Regeln. Wenn wir hier über den durchschnittlichen Berliner reden, dann sind damit echte Originale bzw. Urtypen gemeint, deren Zahl (leider) immer geringer wird. Ur-Berliner sind NUR Menschen, die schon einige Generationen lang in dieser Gegend wohnen.
Zugezogene zählen da sowieso nicht! Auch, wenn sie sich noch so gut darum bemühen, einen „auf Eingeborenen“ zu machen. Wenn jemand in Gütersloh geboren wurde, und in den 60ern in die Stadt kam, weil er vielleicht nicht zur Bundeswehr wollte, zählt er nicht zu den Typen, die hier gemeint sind. Da kann er noch solange versucht haben, sich zu integrieren. Äußerlich wird zwar oft so getan als ob, aber ein echtes Original wird er nie.
Also Vorsicht, wenn jemand behauptet, ein echter Berliner zu sein! Solche Anmaßung kommt früher oder später heraus. Und seien es nur kleinste Nuancen in der sprachlichen Ausdrucksweise. Wir entlarven sie alle! J. F. Kennedy konnte 1963 zwar laut verkünden: „Isch bin ain Belina.“, aber das half dem Ami nicht. Die eingeborenen Insulaner jubelten ihm zwar zu, aber nur aus Höflichkeit, die ihnen förmlich angeboren ist. Oder sie fanden es einfach nur lustig, wie er den Satz vom Zettel ablas? Wer weiß...
Die Geschichte von Berlin war seit Ende des letzten Weltkrieges ziemlich tragisch. Die Stadt wurde durch die Siegermächte in Sektoren eingeteilt. Grob gesagt, in eine westliche und eine russische Region. Die Berliner mussten sich mit dieser Zeit arrangierten. Was sollten sie auch tun. Immerhin konnte aber jeder noch zwischen Ost- und Westberlin hin- und herfahren.
Aber es kam noch schlimmer. Genosse Spitzbart, alias Walter Ulbricht und seine Äußerung „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ errichtete sie tatsächlich. Ganz plötzlich an einem Sonntag, dem 13. August 1961 wurde aus Westberlin eine abgeschnittene Insel mitten in einem kommunistisch regierten Land. Verwandte Berliner wurden radikal durch Stacheldraht und Mauern getrennt, konnten sich später nur noch einseitig besuchen. Und Berlin war nur noch für die Bürger aus der Zone (DDR) eine Hauptstadt. Das ging den Westberlinern total auf den Keks. Den Mauerbau vergaßen die Berliner dem kommunistischen Regime nie. Von nun an mussten sie damit leben, ob es ihnen passte oder nicht.
Die Westberliner, geschützt durch die alliierten Natomächte, arrangierten sich trotzdem, da sie ja fast westdeutschen Status und somit die harte Währung hatten, überall hinreisen und frei nach Schnauze reden konnten. Die auf der anderen Seite mussten 40 Jahre warten, bis sie ihre Verwandten wieder nach Gusto besuchen konnten. Das war vielleicht ein bewegener Moment als die Mauer fiel. Und das Berliner Wort des Jahres 1989 war „Wahnsinn“. Alle jubelten und alle redeten, wie ihnen der Schnabel gewachsen war. Reines Hochdeutsch war damals in Berlin selten zu hören...
Wobei wir bei einem besonderen Merkmal der Berliner Originale gekommen sind, dem ortsüblichen Dialekt, besser gesagt Jargon. Aus „Dich“ oder „Sie“ wird „Dir“, oft auch ein kurzes „Dia“. „Dia kriegn wa ooch noch“, heißt wörtlich nicht, dass man irgendwann Kleinbild-Dias bekommt, sondern: „Ihnen wird irgendwann der Arsch auf Grundeis gehen!“
Diese Sprache wird schon lange in Berlin und im Umland Brandenburgs gesprochen, ist aber im Rücklauf begriffen. Ob das nun ärgerlich ist, weiß ich nicht. Für die Kommunikation mit anderen Bewohnern Deutschland aber durchaus sinnvoll.
Sprachwissenschaftlich gesehen handelt es sich eigentlich nicht um einen Dialekt, sondern um einen so genannten „Metrolekt“, einer aus vielen unterschiedlichen Mundarten entstandene Sprache dieser Großstadt. Schuld hatte Friedrich II. von Preußen, auch der alte Fritz genannt. Er war nach seinen geführten Kriegen nicht mehr sonderlich fremdenfeindlich, und so konnten sich in Berlin und Umgebung viele Emigranten ansiedeln (nicht zu verwechseln mit der heutigen Zeit).
Die eigentliche Berliner Schnauze ist ein charakterliches Merkmal dessen, was viele Besucher als derben Humor, ja vielleicht auch als Unhöflichkeit bezeichnen. Ist es eigentlich nicht. Die Meinung resultiert allein aus Unkenntnis über diese liebenswerten Lebewesen. Oder man ist einfach zu empfindlich, zu sensibel.
Schnell wird man als Berliner deshalb in eine Schublade gesteckt, die einem eigentlich nicht passt. Und deshalb ist der Ruf eigentlich nicht der beste. Unfreundlich, ruppig, große Schnauze, rücksichtslos, rechthaberisch sind unter anderem Attribute, die uns Hauptstädtern gern zugewiesen wird. Aber das ist nur die halbe Wahrheit!
Zugegeben, unsere Worte sind manchmal etwas derb und vielleicht energisch, für empfindliche Ohren und Sensibelchen sicherlich auch etwas einschüchternd. Aber wenn der Berliner zu einem Fremden etwas sagt, ist eine große Barriere schon gebrochen.
Zu netten Touristen und Gästen sind wir immer auskunftsfreudig, sogar mehrsprachig, wenn es irgendwie geht. Wir zeigen ihnen hilfsbereit den Weg, selbst wenn er uns unbekannt ist, und das beweist doch unseren guten Willen und auch soziale Kompetenz.
Kann sein, dass man mit dem heutigen „Multikulti“ nicht so recht einverstanden ist bzw. zurechtkommt, aber die Zeiger der Uhren stehen nicht still. Man muss sich anpassen, und das haben Berliner gelernt. Die vor einigen Jahren in Kreuzberg und Umgebung zu findenden Aufkleber „Berlin does not love you“ sind zwar durchaus noch aktuell, aber nur für diejenigen, die sich entschlossen haben, für immer in diese Stadt zu ziehen. Oder für diese Schwärme von Atzentouris (Ballermann-Touristen), die einfach “nur” bis in den Morgen feiern und Party machen wollen.
Klingt traurig, ist aber wahr, auch wenn Berlin inzwischen leider den Ruf einer Partystadt besitzt. Aber wenn man es genau betrachtet: In München, Köln oder Hamburg wird auch nicht jeder gleich mit offenen Armen empfangen, oder? Und unter uns gesagt: Bald sind die Mietpreise hier so hoch wie in München, dann haben sich diese Aufkleber von selbst erledigt. Man braucht nur ein wenig Geduld, und die ist uns (Ur-)Berliner mit der Muttermilch eingegeben worden...
Nun kann jeder für sich entscheiden, ob man den Bayrischen oder den Berliner Dialekt besser findet. Beide bilden ja ein kulturelles Erbe, und man weiß sofort, aus welcher Ecke man stammt. Eines haben beide Sprachen aber gemeinsam: Sie können Dialoge ungemein abkürzen.
Ein Beispiel von einem Einkauf beim Metzger soll das einmal verdeutlichen:
„Tach, hamse frische Blutwurscht?“
„Nee, ham wa nich. Wie wärs mit Buletten?“
„Nee, hattn wa jestern.“
„Denn nehm se doch n paar Schnitzl, sind janz frisch.“
„Is ne Idee, mach ick.“
Dieser Dialog verkürzt ungemein die Redezeit. Wir Berliner lieben nunmal kein langes Gerede und möchten schnell auf den Punkt kommen. Würde man das Ganze ins Hochdeutsch übersetzen, würde es in etwa so klingen:
„Einen wunderschönen guten Tag. Ich möchte heute Blutwurst mit Sauerkraut machen und hätte gern 400 g. Die schmeckt einfach köstlich bei ihnen.“
„Tut mir schrecklich leid, aber unser Renner kam heute leider nicht mit. Als Alternative könnte ich ihnen unsere köstlichen Frikadellen anbieten, die sind wirklich sehr lecker. Hausgemacht.“
„Schrecklich nett von ihnen, aber wir hatten erst gestern welche zum Mittagessen. Haben sie vielleicht etwas anderes, was sie mir empfehlen können?“
„Dann kann ich ihnen unsere frischen Schnitzel anbieten, sie werden begeistert sein.“
„Eine ausgezeichnete Idee, meine Gattin wird verzückt sein. Sensationell, das mache ich sehr gerne!“
Ob das nun in Bayern noch kürzer geht, vermag ich nicht zu beurteilen. Fakt ist: Berliner lieben das Direkte, sie wollen keine Zeit verschwenden . Man redet nicht um den heißen Brei rum. Und diese Eigenschaft wird von manchen Touris auch als Unhöflichkeit gewertet. Aber wie man sieht, hat alles einen guten Grund.
Der Ur-Berliner ist von Natur aus schlagfertig, pfiffig und passt genau auf, was sein Gegenüber sagt oder wie etwas rüberkommt. Eine einfache Frage wie: „Können Sie mir sagen wie spät es ist?“, kann durchaus mit nur einem kurzem „Ja“ beantwortet werden. Aber selten. Dafür müssen noch andere Faktoren beisammen sein: wie wird gefragt, wer fragt und in welchem Ton.
Berliner mögen die Gemütlichkeit. Ihnen sind Kneipen oder kleine rustikale Restaurants viel lieber als dieses moderne Schickimicki-Ambiente, das man häufig im Zentrum Berlins antrifft, wo sich die Touristen tummeln. Man trinkt gemütlich seine Molle, was nichts anderes ist als ein kühles Blondes und quasselt über Gott und die Welt oder spielt einfach nur Skat. Leider wird der Kneipen-Notstand in dieser Stadt immer größer.
Es gibt aber auch Momente, wo ein Berliner auf Bier verzichtet. Zum Beispiel am St. Patricks Day. Dann wird er solidarisch zum Whiskey-Kenner! Und dann kann man nach einigen Gläsern auch die berühmte Berliner Schnauze hören: "Watt isn datt für een Jesöff?". Oder im Pub: "Ick hau Dir gleich eene in de Fresse, du grüner Chinese! Trink dein Torfjesöff jefälligst alleene" Das ist sicher nicht so gemeint wie gelallt. Berliner sind halt etwas direkt, aber weder bösartig noch aggressiv. Das ist ihre wahre Natur! Da kommt sicher die preußisch germanische Rasse zu Tage, die japanische Touristen so lieben. Die knipsen dann den freundlichen Berliner gern, obwohl der ihnen gerade den falschen Weg gezeigt hat („Ick macken Foto von dich, hi hi.“).
Manchmal beweisen die Berliner aber auch, dass sie ganz witzig sein können. Sie verdrehen humorvoll ein paar Wörter mit voller Absicht. Beispiel:
„Der Professor is ne große Konifere.“ Nun, fast jeder weiß, was er damit meint: Er ist eine Koryphäe, ein Experte. Dass es sprachlich nicht ganz korrekt ausgedrückt ist, ist dem Berliner vollkommen schnuppe (egal). Immerhin zeigt er damit den guten Willen, auch Fremdwörter in seinen Wortschatz mit einzubinden. Und nur das zählt! Außerdem beweist es, dass dahinter eine große Portion Humor steckt, man ein verkappter Kabarettist ist. Solche Wortverdreher hat ja schließlich auch Jürgen von der Lippe parat gehabt, zum Beispiel als er Peter Maffay veralberte und ihn als gebürtigen Muränen bezeichnete.
Bei Ladenschildern wie „Fun for Kids“ oder „Happy New Stile“ rümpfen Berliner die Nase: „Könn die Hirnis nich richtisch deutsch? Vasteht ja keen Schwein!“
Selbstverständlich verstehen sie das, aber: Man sollte schließlich auf dem Teppich bleiben. Wo kommen wir denn dahin, wenn in unserer Heimatstadt jeder machen kann, was er will. Solche Aussagen sind eindeutig und zeugen von einer gewissen Solidarität unter den Berlinern: „Jawoll, so jeht dat nich! Da kann ja jeder komm.“
Der Berliner ist absolut tolerant, es gibt aber Grenzen. Wenn jemand an einer Wurstbude Currywurst mit Pommes und Majo bestellt, hat er bei Eingeborenen schon verschissen. In Berlin heißen die nämlich Pommes frites, ausgesprochen: Pommfritz und nicht anders. Und Majo? Nee, geht gar nicht, da gehört eine deftige Currysoße rüber!
Oder man verlangt als Tourist bei einer einheimischen Bäckersfrau ein paar Berliner. Dann kommt mit Sicherheit die Frage: „Wolln se die mit Titten oder die mit Schwänzen?“ oder "jeht nich, ick bin alleene und unbezahlbar." Sicher weiß die nette Frau, was der Kunde damit meint, nämlich Pfannkuchen, aber Spaß muss sein. Und was bei den „Ausländern“ Pfannkuchen sind, das heißt in Berlin übrigens Eierkuchen. Soviel Allgemeinwissen sollte man schon mitbringen...
Ein Beispiel: Man kann ziemlich sicher sein, dass selbst nette Berliner jene Politessen, die ihre Knöllchen an Windschutzscheiben heften, als Schnepfen oder Pissnelken bezeichnen. Schließlich ist man doch maßlos enttäuscht, wenn man für ein paar Minuten im KaDeWe war, um nur ein paar Austern zu schlürfen sowie ein Piccolo zu trinken, und dann solch eine dämliche Zahlungsaufforderung vorfindet: „Ick werd ja nich mehr, diese dämliche Schnepfe, irjendwann dreh ick der den Hals um!“ Da werden sogar die feinen betuchten Berliner Pinkels sauer. Verständlich, oder?
Berliner sind eigentlich genügsam und überhaupt keine Korinthenkacker. Aber wenn im Lokal das gezapfte Bier im Glas unter dem Eichstrich liegt, dann könnte es leicht Ärger geben, falls es eine Wiederholung gibt. Obwohl der Kellner vielleicht nichts dafür kann, muss er büßen: „ Pass ma uff, Du abjebrochner Riese, nich noch ma, verstehste. Ick zieh Dir sonst de Hammelbeene lang, biste lachst!“ Das ist nur ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl, so etwas sollte man aber ernst nehmen. Berliner lassen sich nicht bescheißen (übers Ohr hauen), bei so etwas siegt das uns angeborene Gerechtigkeitsgefühl. Ein Unkundiger kann sich jederzeit davon überzeugen, wenn er sich im Fernsehen ein Fußballspiel ansieht, bei dem Herta BSC mitspielt.
Natürlich wissen wir Berliner, dass unsere Stadt nicht perfekt ist, ganz im Gegenteil, aber von Touristen lassen wir keine Kritik zu. Mein Gott, die unpünktliche S-Bahn, die oft ausfällt, dann der häufige Pendelverkehr und die unmöglichen Baustellen überall. Wir Eingeborenen haben uns zwar nicht daran gewöhnt, sehen es aber ziemlich gelassen: „So ne Scheiße! Immer det gleiche. Sobalb ne Schneeflocke uff de Schiene fällt, läuft jarnicht mehr bei diesem Drecksverein!“ (Berliner Verkehrsbetriebe). Bei so einem kleinen emotionalen Ausfall erntet man traurige, aber wohlwollende Blicke, auf Applaus kann man allerdings lange warten, die Ernte fällt aus, totsicher.
Also ein kleiner Rat von einem Ureinwohner: Man sollte sich vorher erkundigen, was hier los ist und was man möchte. So einfach mal relaxt in Berlin ankommen und die Stadt erkunden, um was zu erleben, Pustekuchen!
Kleiner Tipp: So ist es u.a. nicht üblich, einen Busfahrer nach einer unbekannten Haltestelle zu fragen, es sei denn, man ist der Kaiser von China. Schließlich gibt es auch in Berlin Fahrpläne oder „seh ick dit falsch“.
Und sich auch nicht wundern, wenn vielleicht ein trauriges Thema angesprochen wird. Der klinische Tod eines Prominenten wird vom Berliner mit einem kurzen Satz kommentiert: „Wieda eena weniga.“ Ja, auch wir können melancholisch und mitleidsvoll sein.
Wir Berliner sind gutmütig und tierlieb. Deshalb sind die männlichen Wesen hervorragende Familienväter und Ehepartner. Kinder mögen sie auch, sie dürfen nur nicht zu laut sein oder gar ihr Bier umstoßen. Absolute Todsünde! So etwas könnte durchaus dazu führen, das er laut wird: "Blöde Jöre, lass mia in Ruhe und jeh jefälligst spieln!" So etwas ist normal, genauso wie der Ausdruck: "Ick kann die Arschlöcher nich mehr sehn." Dieses Zitat ist wörtlich aus der deutschen Geschichte übernommen, als Arminius die Römer im Teutoburger Wald verprügelt hatte.
Wobei wir zum wesentlichen Punkt kommen. Der Berliner will seine Ruhe. Die ist ihm heilig, komme, was wolle. Und diese Sehnsucht danach wird von Nichtkennern manchmal fehlinterpretiert. "Lass mia in Frieden, Du Saftsack!" ist ein so sinnlicher Ausdruck nach Suche von Harmonie und Zärtlichkeit, dass man Berliner einfach lieben muss.
Berliner lieben die Natur, besonders Wald und Wasser. Und davon gibt es eine Menge in der Stadt und Umgebung Brandenburgs. Das wusste man schon in den 20er Jahren. An den Wochenenden zog es die Kiezbewohner, die teilweise in ärmlichsten Verhältnissen dort hausten, ins Grüne. Man kann sich jederzeit davon überzeugen, wenn Zeichnungen von Heinrich Zille, auch Pinsel-Heinrich genannt, betrachtet werden.
Und so ist es auch heute noch. Wenn es nicht das Strandbad oder ein Gartenlokal am Wasser ist, dann sind Dampferfahrten gefragt. Viele besitzen oder mieten auch ein kleines Grundstück, oft auch mit kleinem Wochenendhäuschen, das liebevoll Laube genannt wird. Dort entfaltet sich Ruhe und Besinnlichkeit, gepaart mit Gemütlichkeit und man kann „seine Beene baumeln lassen“. Und wenn dann noch ein Bierchen und ein Eisbein mit Sauerkraut in der Nähe ist, dann schwebt der Berliner auf Wolke sieben.
Nun, allzu viele gibt es nicht. Karneval bzw. Fasching kann man in Berlin nur feiern, wenn man absoluter Insider ist und sich auskennt. Mit Köln oder Aachen ist es allerdings nicht zu vergleichen, ist mehr kleines Kneipentheater oder wie wir Berliner sagen, Ringelpiez mit Anfassen. Ebenso wird der Besucher vielleicht Umzüge von Schützenvereinen vermissen. Vielleicht liegt es daran, dass Glanz und Gloria nicht (mehr) so unser Ding sind. Das hat uns Kaiser Wilhelm versaut. Schützenvereine gibt es natürlich auch, aber ich habe noch nie ein Mitglied in schneidiger Uniform gesehen, die voller Orden glänzte. Mit einem Satz: „So wat Beklopptes jeht uns am Arsch vorbei.“ Womit alles gesagt ist.
Aber dafür haben wir schöne Weihnachtsmärkte und die reichlich. Und dort wird auch etwas für Kinder geboten und die Glühweinstände sind bis 24 Uhr offen! Nicht so wie zum Beispiel in Kassel, wo man ab 21 Uhr nichts mehr zu trinken bekommt und die Klappen dann runter gehn. Will sagen, in Berlin gibt es reichlich Feste, ob die nun Tradition haben oder nicht.
Und wenn wir schon dabei sind, kann ja auch über das Essen gesprochen werden. Traditionelle Gerichte gibt es schon, so zum Beispiel Bockwurst mit Kartoffelsalat, Blut- und Leberwurst mit Sauerkraut, Buletten, Schmalzstullen, Senfgurken, Soleier, Matjes, Molle und Korn, Eisbein mit Erbsenpüree und Sauerkraut (!), aber auch Königsberger Klopse und Rouladen mit Rotkohl. Wir Berliner essen gerne deftig.
Nur bei einem streiten sich sich die deutschen Gemüter: bei der Currywurst. Die echte Berliner Currywurst ist eine Brühwurst ohne (!) Darm die entweder frittiert oder gebraten und mit einer äußerst delikaten Soße auf Basis von Ketchup, Tomatenmark und Currypulver über den Tresen kommt. Die üblichen Beilagen sind Brötchen oder Pommes frites.
Viele Berliner beanspruchen die Erfindung für sich, da eine gewisse Herta Heuwer 1949 eine spezielle Soße kreierte, die dann ein großer Kassenschlager wurde. Andererseits behaupten böse Zungen, sie habe aus der Not nur eine Tugend gemacht und irgendwelche Reste zusammen gepanscht. Na ja, wie es auch sei, „ick will mir hier nich streiten“, aber nur mal anmerken, dass wir das einzigste Currywurst-Museum in Deutschland haben.
Nebenbei: Ich habe mal die ach so legendäre Currywurst im Volkswagen-Werk in Wolfsburg gegessen und war ziemlich enttäuscht, dagegen ist die vom Konnopke in der Schönhauser Allee der absolute Oberhammer (Tipp!).
Natürlich gibt es außer Speisen noch anderes, was man traditionell nennen kann. Immerhin ist Berlin fast 800 Jahre alt. Wir haben als Beispiel unseren Hauptmann von Köpenick, der ja deutschlandweit bekannt ist und dessen grandioser Kassenraub mehrfach verfilmt wurde. Alljährlich kann man ihn auf dem Köpenicker Sommerfest sehen. Und über andere bekannte Persönlichkeiten oder Örtlichkeiten zu sprechen, würde den Rahmen des Buches sprengen...
Ich denke, es wurde das Wesentliche über Berliner gesagt. Okay, Ausnahmen bestätigen die Regel, wie ich anfangs schon erwähnte, aber das ist ja überall so auf der Welt. Und was den Berliner Dialekt betrifft, er verschwindet nach und nach, auch wenn es einige Wörter gibt, die fest "eingesiedelt" sind. "Ick" (ich) ist zum Beispiel eines. Ansonsten wird diese so genannte Proletensprache nicht gepflegt, im Gegensatz zu Bayern oder anderen Gegenden. Was ich mal in einem Artikel las, bestätigte mir die Anpassungsfähigkeit von Berlinern:
"Die Tester des amerikanischen Magazins „Reader’s Digest“ meinen es gut mit Berlin: Im April kürten sie die immer wieder als rabaukig verschriene Hauptstadt in ihrer weltweiten Höflichkeitsstudie zu einer wahren Hochburg galanter Umgangsformen. Unter 35 Metropolen landete Berlin auf dem sensationellen vierten Platz." (Der Tagesspiegel). Na ja, Weltstadt eben :-).
Zum Schluss möchte der Autor betonen, dass hier fast alles mit einem gewissen regionalen "Stolz" eines Ur-Berliners geschrieben wurde. Und glauben Sie mir: Der Berliner hat sein Herz auf dem richtigen Fleck. Man muss ihn nur finden... Wenn sie mich noch fragen wollen, ob ich diese Stadt liebe, kann ich nur antworten: „Ja tu ick, Jott sei Dank gibt es zwei Seiten von ihr.“
Jörg Wernicke, Berlin 2015
Bekloppt
Das Wort bekloppt ist eines der beliebtesten Berliner Wörter. Es stammt aus dem Niederdeutschen und heißt übersetzt so viel wie „taub“ oder „dämlich“. Außerdem gibt es noch andere Begriffe, die ebenso häufig benutzt werden. So etwa beknackt, malle oder dusselig.
Bulette
Das Wort Bulette ist in Berlin sehr weit verbreitet. Kaum jemand spricht in der Hauptstadt von einer Frikadelle. Witzig sind die Begriffe, die in Berlin weiterhin für Frikadelle genannt werden: etwa Bäckerbraten oder Kampfbrötchen. Die genaue Entstehung des Wortes ist unbekannt - vermutlich wurde es aus dem französischen „Boulette“ (Fleischklößchen) übernommen. Es kam im 19. Jahrhundert bei der Besetzung Berlins durch die napoleonischen Truppen auf.
Dufte
Wenn der Berliner etwas dufte findet, dann meint er, dass er etwas auch schnieke findet. Anderswo in Deutschland würde man wohl von „prima“ sprechen. Das Wort dufte leitet sich von „tow“ - also „gut“ - ab und ist in Berlin gegen 1900 aufgekommen. Schnieke geht auf das Wort „snicker“ zurück, das heißt so viel wie gestriegelt. Auffällig ist, dass Männer überdurchschnittlich häufig das Wort dufte benutzen, Frauen hingegen etwas eher schnieke finden.
Etepetete
„Mann, is der etepetete“, hörte man bis in die 60er Jahre von vielen Berlinern. Das Wort stammt vermutlich aus dem Niederdeutschen und leitet sich vom Wort „öt(e)“ ab, was so viel wie ruhig oder überfein heißt.
Fatzke
Als Fatzke bezeichnet der Berliner einen aufgeblasenen arroganten Menschen, Besserwisser oder eitlen Typen.
Göre
Der Begriff Göre (gesprochen Jöre) ist inzwischen deutschlandweit bekannt. Häufig wird behauptet, das Wort gehe auf das englische Wort „girl“ zurück. Wahrscheinlicher ist aber eine Ableitung aus dem mitteldeutschen Wort „gurre“ - das bedeutet so viel wie „schlecht“. Früher wurde z.B. von einer „gurren Stute“ gesprochen, später wurde das Wort möglicherweise auch auf den Menschen bezogen. Das Wort ist schon seit dem 16. Jahrhundert geläufig.
Keule
Das Wort Keule steht für Bruder. Ebenso häufig verwenden die Berliner für Bruder auch das Wort Atze. Atze heißt so viel wie speisen, füttern oder nähren. Eine genaue Ableitung für das Wort Keule ist nicht bekannt. Auffällig ist, dass in einigen Berliner Bezirken eher das Wort Atze, in anderen das Wort Keule geläufig ist. Keule ist dabei besonders beliebt im Stadtteil Wedding, in Zehlendorf wird hingegen meist von Atze gesprochen.
Molle
Die Berliner Molle ist für ein Bier in Berlin ebenso geläufig wie etwa in Bayern die Maß. Allerdings sagen das nur noch wenige. Das Wort stammt von dem norddeutschen Wort „Mulde“ ab. Neben der Berliner Molle gibt es noch den Ausdruck „ein kühles Blondes“, der auch in anderen Gegenden üblich ist.
Piefke
Begriff für einen kleinen Jungen. Ebenso geläufig für den kleinen Jungen sind in Berlin die Ausdrücke Knirps oder Rotznase.
Pinkel
Ein feiner Herr, der übertrieben vornehm tut, wird im Berlinischen abfällig als feiner Pinkel bezeichnet.
Schrippe
Damit ist schlicht und einfach ein Brötchen gemeint. Der alte benutzte Ausdruck „Bemme“ hingegen kennzeichnet eine „geschmierte Brotschnitte“ (Berliner Stulle). Der Begriff Bemme wird aber sehr selten verwendet und ist somit keine ernsthafte Konkurrenz für den Begriff Schrippe, den man überall hört.
Sechser
Sechser ist ebenso wie „Groschen“ fest im Sprachschatz der Berliner. Bis vor einigen Jahren wurde der Begriff für das 5-Pfennig-Stück benutzt. Heute bezeichnet er auch das 5-Cent-Stück.
Stulle
Die Berliner Variante für die Scheibe Brot kommt wohl aus dem Niederdeutschen. Stulle heißt dort „Stück, Brocken“. Das Wort entwickelte sich im 17. Jahrhundert zur Bedeutung „kleiner Brotleib“ und wird seither in Berlin als Begriff für die „bestrichene Brotschnitte“ benutzt. Das Wort Stulle ist vor allem auch in der Prignitz und im Ruppiner Land verbreitet.
Texte: Jörg Wernicke
Bildmaterialien: Jörg Wernicke, Collage mit Photoshop
Tag der Veröffentlichung: 15.01.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dit Buch widme ick meiner Mutta, meiner Oma und meinem Opa, mir selba sowie meiner Molle mit Korn und allen Schmalzstullen dieser Welt, dem Eisbein mit Sauerkraut und allem, wat jut schmeckt. Aber eijentlich is dit ooch ejal...