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Ort des Geschehens: Ein kleines italienisches Dorf am Gestade des Meeres. Ich war unter den Gästen.


Hier sind Alessandra und Orazio aufgewachsen, haben als Kinder miteinander gespielt, sind zusammen in die kleine einklassige Schule gegangen und haben sich, Schritt für Schritt und behutsam, ineinander verliebt.

Anfangs konnten sie die aufkeimende Leidenschaft vor allen versteckt halten, dann aber brach sie sich Bahn und war nicht mehr zu verheimlichen: Die Blicke, die Worte, die schnellen Berührungen sprachen eine deutliche Sprache, nicht nur für den Kundigen.

Die trockenen Alten sahen mit feuchten Augen zu und erinnerten sich weit, weit zurück: Ihr Leben zurückverfolgend ließen sie alles Schlechte und Schwere abfallen und behielten nur den glänzenden Teil ihrer eigenen Liebes-Geschichte übrig: l’amore!

Manch einer der Spiel- und Schulgefährten beneidete die Liebenden und nahm sie sich zum Vorbild; für alle war ihre Liebe ein Fest, ein Sieg des Leichten über das Schwere, ein Traum, der in das Leben geperlt ist.

Viele Jahre verbrachten Alessandra und Orazio als fidanzati, Verlobte, und waren sicher vernünftig genug, nicht alles für die Zeit ihrer Ehe aufzubewahren, sondern sich während dieser Vorbereitungszeit kennenzulernen, im Guten wie im Schlechten.

Von langer Hand wurde die Hochzeit geplant, Jahre im voraus der Termin festgelegt, an dem sie sich vor dem Altar einander anvertrauen sollten.
Ein großes Hochzeitsmahl wurde geplant und vorbereitet, an dem das ganze Dorf teilnehmen sollte, und, um die Einladung an die einzelnen Familien zu überbringen, wurden hunderte von Säckchen von mit Zuckerguß überzogenen Mandeln bestellt; eine Woche vor dem Ereignis gingen beide promessi sposi, Hand in Hand, von einer Tür zur anderen, um die Einladung auszusprechen.

Der Tag war nun festgesetzt: das weiße Brautkleid genäht, die Haare geschmückt, der Strauß bestellt, der Reis vorbereitet, der auf die Beiden vor der Kirche niederregnen und eine reiche Nachkommenschaft wünschen sollte.
Im ristorante waren die Tische gedeckt: drei Teller übereinander, drei Gläser vor jedem Tellerturm, die gestärkten weißen Servietten zu kunstvollen Gebäuden gefaltet. Die Blumen würden morgen in aller Frühe kommen, frisch und duftend, in derselben Farbe wie die des Brautstraußes, der dann schon in die Luft geschleudert und bei derjenigen gelandet sein würde, die als Nächste heiraten sollte.

Alessandras Vater war die ganze Zeit der Vorbereitungen krank im Bett gelegen und konnte immer weniger zu den Plänen beitragen, die sich darum drehten, wie das Fest noch prächtiger gestaltet werden könnte.

Am Vorabend der Feierlichkeiten, als das Haus schon vom Singen und Lachen der Verwandten bebte, starb er plötzlich.

Mit einem Schlag war alles wie abgeschnitten. Das Brautpaar war wie vom Blitz getroffen; die stämmigen Frauen, Mütter und Tanten, mußten eine Entscheidung treffen. Allen war klar: Diese Freudenlawine konnte nicht mehr gebremst werden.

Der bedrückte Familienrat besprach alles Für und Wider und kam endlich zu dem Schluß: Das Fest sollte seinen Lauf nehmen, das Totenzimmer abgeschlossen und Schweigen darüber gebreitet, der eingetretene Tod sollte am übernächsten Tag zur Kenntnis genommen und gebracht werden.

Alessandra und Orazio schluckten tapfer ihre Tränen herunter und waren während der Feierlichkeiten sogar in der Lage, sie in Freudentränen zu verwandeln.

Alles klappte wie am Schnürchen.
Allen Eingeweihten schien es, als ob der Vater sich von seinem Lager erhoben und seinen Geist in die feiernde Gesellschaft getragen habe, um die Schönheit und Unschuld des Festes zu beflügeln. Tatsächlich hatten die Lebenden und der Tote ja alles Menschenmögliche getan, um das Fest der Liebe zu besiegeln.

Und so war es.
Es flossen Tränen der Trauer, der Freude. Der Wein, den der Vater selbst geerntet und gekeltert und für die Festivität vorgesehen hatte, floß in Strömen und glättete im Lauf des Festes den Abgrund zwischen Leben und Tod, machte alle gleich, wissend oder unwissentlich.

Am nächsten Tag wurde er zu Grabe getragen.
Alle Hochzeitsgäste folgten seinem Sarg. In Liebe.



Impressum

Texte: Coyright bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2010

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