Prolog
Seit ich mich erinnern kann, interessieren mich ferne Länder, fremde Völker, Sitten und Gebräuche. Infolgedessen habe ich mein persönliches Einkommen nie auf Banken gehortet, sondern stets wieder in Reisen investiert. Entweder bin ich ein besonders neugieriger Mensch, oder in meinen Adern fließt ein kräftiger Schuss Abenteuerblut.
Vermutlich liegt die Wahrheit wie so oft im Leben irgendwo in der Mitte. Wo auch immer, ganz sicher bin ich der geborene Reisende.
Meine Exkursionen mit Autos, Schiffen, Flugzeugen, auf Pferden, Eseln, Kamelen, Elefanten führten mich zu den entlegensten Plätzen auf allen Kontinenten. Der Besuch der Ruinenstadt Angkor Wat im Dschungel Kambodschas während einer Vollmondnacht, die Besteigung des Fujiyama, des heiligen Berges der Japaner, ausgedehnte Streifzüge durch das Labyrinth der Verbotenen Stadt in Peking und die spektakuläre Schiffspassage auf dem Oberlauf des Nils in Ägypten gehören zu den Höhe- punkten meiner privaten Unternehmungen.
Geschäftsreisen hingegen bedeuten für mich eine besondere Herausforderung, kommt es doch dabei sofort zu „hautnahen“ Kontakten mit unbekannten Partnern und zum Eintauchen in andere Kulturen. Anlässlich solcher Begegnungen müssen fremde Sprachen verstanden, Religionen bedacht, Vorurteile abgebaut, nationale Eigenarten berücksichtigt werden. Nur so können wirtschaftliche Verhandlungen einen erfolgreichen Verlauf nehmen. „Made in Germany“ verkauft sich im Ausland nicht von alleine, dazu sind unsere deutschen Preise zu hoch. Während meiner vielen Firmenbesuche in teilweise sehr exotischen Gegenden kam es keineswegs immer zu bedeutungsvollen Treffen mit angenehmen Zeitgenossen.
Gelegentlich galt es auch obskure Situationen zu meistern. Doch davon später.
Außerordentlich gerne erinnere ich mich dagegen an eine Episode mit der tief verschleierten Prinzessin Yasmin, Tochter des saudischen Königs Khalid, die ich im Geschäft unseres Händlers in Riad aus der Ferne beobachten durfte. Ein anderes Mal überredete mich Diktator Saddam Husseins Stellvertreter Tariq Aziz zu einem nächtlichen Fußballmatch in einer Bagdader Kaserne. So trat ich als Mitspieler im Team des irakischen Innenministeriums gegen die Mannschaft der Nationalen Polizei an.
Dass man im tropischen Thailand mit einheimischen Frauen bis zur Erschöpfung Walzer tanzen, im nächtlichen Hongkong den Atem des chinesischen Drachens spüren, sich in einem New Yorker Luxushotel halb nackt auf der sechzehnten Etage wiederfinden und im winterlichen Südschweden einem hochkarätigen Diplomaten begegnen kann, waren für mich ganz neue Erkenntnisse.
Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.
Diese Feststellung von Matthias Claudius in Urians Reise hat nach wie vor Gültigkeit. Reisen ist das Salz in der Suppe des Lebens, es macht den Menschen geistig offener, vielleicht auch intelligenter.
Auf jeden Fall kann es einen großartigen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis der Menschen unserer Welt leisten.
Wolfgang Kaufmann
Leseprobe
Im Banne des chinesischen Drachens
Lim Bo Ming hält unsere Produkte für ungeeignet
Langer Marsch durch die Kronkolonie
Dinner mit Lily und Luciano
Erfolg eines Sängers in Hongkong
Geheimnisse einer Amme
Der alte chinesische Geschäftsmann mit den weißen Haaren, dem ich in Hongkongs Pei Ho Street gegenüber- saß, sah sich meine elegant aufgemachten teuren Kataloge aufmerksam an. Bedächtig und ohne zu sprechen blätterte er geräuschvoll die bunten Hochglanzseiten um, eine nach der anderen.
Er ließ sich Zeit. Dabei befeuchtete er andauernd die Spitze des rechten Zeigefingers mit der Zunge wie ein indischer Geldwechsler, um die fast noch druckfrischen Bögen der neuen Broschüren besser voneinander trennen zu können. Zwischen seinen Augen bildete sich eine tiefe Falte vom vielen Stirnrunzeln.
Möglichst unauffällig versuchte ich, während er be- schäftigt war, die Immobilie, in der ich mich befand, zu bewerten, um die Kreditwürdigkeit meines Klienten richtig einschätzen zu können.
Alle chinesischen Geschäfte in Asien, das wusste ich, ähneln einander wie ein Ei dem anderen: schmales Gebäude, Eingang mit Stahljalousie, vier Etagen, graue Außenfassade. Im Erdgeschoss ist entweder der Laden oder das Büro eingerichtet, während in den engen Stockwerken darüber Lager und Schlafräume für Familie und möglicher- weise auch Angestellte untergebracht sind.
Chinesen interessieren sich normalerweise weniger für moderne Wohnkultur oder teure Wohnhäuser. Sie halten das für eine Verschwendung von Zeit und Geld. Lieber investieren sie zunächst einmal soviel wie möglich in den Warenbestand ihrer Geschäfte oder kaufen Aktien von weiteren Firmen, um schneller Profite zu erwirtschaften. Nur der Erfolg zählt. Diesem Ziel wird alles untergeordnet:
Sechzehn-Stunden-Arbeitstag, das Wegstecken von Tiefschlägen, das Verdauen von Rückschlägen, das Durchboxen bis zur Spitze.
Entweder gelingt der Erfolg heute oder erst in zehn oder zwanzig Jahren. Chinesen haben – so glaube ich – ein anderes Zeitverständnis. Und sollte es in diesem Leben noch nicht klappen, bliebe ja das nächste.
Um mich herum herrschte derweil die ganz normale asiatische Familienhierarchie, denn ein Ladengeschäft ist gleichzeitig Wohn-, Fernseh- und Arbeitszimmer, Auf- enthaltsraum und häufig auch noch Küche. Hier wird gearbeitet, gelebt, geliebt und gestorben. Säuglinge der Großfamilie krabbelten lächelnd oder schreiend um mich herum.
Eine Amme, den Mund voller Goldzähne, hielt die muntere Schar bei Laune. Die älteren Kinder trugen Schuluniformen – blaue Hosen und weiße Hemden die Burschen, rote Röcke und weiße Blusen die Mädchen – und saßen im Schneider- sitz, Hausaufgaben verrichtend, auf dem Fußboden.
Eine Stereoanlage hämmerte mit schätzungsweise fünftausend Watt in den Boxen kantonesische Arien. Bei all dem Krach saß ein uraltes Großmütterchen vor dem Fernsehapparat und verfolgte unbeirrt eine Werbe- sendung über Kühlschränke, ein Lächeln auf den Lippen. Vermutlich war sie völlig taub. Ein Teil der Angestellten löffelte, an Glasvitrinen gelehnt, mit Hingabe dampfende Nudelsuppe, während Verkäuferinnen, an Tischen sitzend, mit Stäbchen Reis aus silbernen Schalen aßen. Diese Aktivitäten faszinierten mich, gingen doch ständig einheimische Händler ein und aus, wurde die fortwährend hereinströmende Laufkundschaft bestens bedient. Niemanden schien dieses Chaos auch nur im geringsten zu stören. Glückliche Chinesen!
„Ich kann Ihnen nach Durchsicht eines Teils der Unter- lagen schon sagen, was mir an Ihren Produkten nicht gefällt.“ Lim Bo Ming blinzelte mich über den Rand seiner Brillengläser auffällig milde an, vermutlich um die Gefühle des Fremden aus Europa nicht zu verletzen. Erstaunt erwiderte ich seinen Blick. Ich saß diesem Mann schon volle vier Stunden in diesem Tollhaus auf der Pelle. Auf diese Antwort war ich jedoch nicht vorbereitet.
Bestimmt würden die Preisverhandlungen nun von vorn beginnen. Eventuell entsprachen die vorgeschlagenen Rabatte noch nicht seinen Vorstellungen.
Chinesen sind Händler, schätzen das Feilschen. Man wird sich schließlich irgendwo in der Mitte einigen. Sie respektieren Autorität, sogar Arroganz. Schwäche dagegen wird nicht geachtet.
Mit dem Taschentuch tupfte ich mir das Gesicht ab, die tropisch feuchte Luft im Raum war zum Schneiden. Am liebsten wäre ich in diesem Augenblick in der märchen- haften Tailong-Bucht, Hongkongs schönstem Badeplatz, zum Schwimmen gewesen. Schnell unterdrückte ich diese Wunsch vorstellung, denn es ging weiter.
…
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Zum Autor
Wolfgang Kaufmann, Absolvent des Deutschen Instituts für Publizistische Bildungsarbeit in Düsseldorf, war als Redakteur für deutsche Tageszeitungen tätig, bevor es ihn 1968 nach Südostasien zog. In den 12 Jahren seines Aufenthaltes in Laos, Thailand, Südvietnam und Kam- bodscha erlebte er den allmählichen Niedergang der Weltmacht USA und den Einzug der nordvietnamesischen Truppen in Saigon. Danach ging er in die Industrie und reiste durch Europa, Nordamerika, Arabien und Asien. Heute arbeitet er als freier Autor und lebt mit seiner Familie in Bayern.
Texte: erschienen im Amicus Verlag
ISBN 978-3-939465-59-1
Tag der Veröffentlichung: 25.05.2010
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Widmung:
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