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Annas
Konfirmation
im Jahr 2004

Die Feier in der Kirche zu Beulnitz

Das Buch zum Film
in einer gekürzten BookRix-Ausgabe
(ohne Anlagen) in 2 Fortsetzungen
von Jürgen Köhler


Fortsetzung 2





Zu 14:
Konfirmationsspruch

Ich hörte, unsere Anna hat sich ihren Spruch selbst ausgesucht. Er lautet:

"Irret euch nicht. Gott läßt sich nicht spotten. Was der Mensch säet, das wird er ernten."

Damit kann ich wenig anfangen und ich begreife nicht, was in so einem 14 jährigen Mädchen vorgeht, wenn sie für ihr weiteres Leben diesen Spruch wählt.

Wieso soll ich als gläubiger Christ annehmen, daß Gott sich von mir verspotten läßt ?
Das heißt doch, wenn ich Gott enttäusche oder verspotte oder nicht ernst nehme, erhalte ich das, was ich wollte. Wiederum: Wer wollte schon etwas Negatives? Und wenn ich Positives erhalte, brauche ich den Spruch nicht, denn dann ist ja alles klar.

Den Jugendlichen lagen die Sprüche zur Auswahl vor. Den Sprüchemacher bzw. -Auswähler muß ich schelten, der solch ungereimtes oder schwer verständliches Zeug den jungen Leuten vorlegt.

Nimmt man nur die zweite Hälfte, ist die Weisheit zwar auch nicht die Größte, aber es gibt einen Sinn. Was der Mensch säet, das wird er ernten.
Kommt schlechtes Wetter oder irgend etwas anderes dazwischen, stimmt das zwar auch nicht mehr, aber im Grunde ist die Aussage ja sinnbildlich zu sehen und als Spruch schon brauchbar.
Es tröstet, wenn etwas schief ging, weil man sich sagt, ich bin selber schuld.
Und umgekehrt freut man sich über den selbst erarbeiteten Erfolg.

Der Segen, den der Pfarrer jedem Kind mit gibt, lautete:

"Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist
gebe euch seine Gnade, Schutz und Schirm vor allem Übel.
Stärke und Triebe zu allem Guten,
das ihr bewahrt werdet im Glauben an Jesus Christus.
Friede sei mit Euch!"

Also irgendeiner von der Heiligen Dreifaltigkeit wird es schon richten. Die Drei zu nennen ist rhetorische Pflicht in der christlichen Religion. Es ist so wichtig, wie bei uns jede größere Rede damit begann ‚In Auswertung der Beschlüsse des 4. Plenums des Politbüros der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands …‘.

Die Beschwörungsformel ist zwar altdeutsch und etwas verworren-umständlich formuliert, aber man erkennt die gute Absicht.
Die Jugendlichen sollen vor allem Übel bewahrt werden, in ihnen sollen Kräfte zum Guten heranwachsen.
Das Wichtigste zuletzt: sie sollen im Glauben bewahrt werden.

Dazu beschwört der Pfarrer die Hilfe des Himmels, anstatt davon auszugehen, daß es genügend überzeugende Argumente für den Glauben gibt. Aber gerade dies ist eben nicht der Fall und deshalb bitte er um Hilfe.
Es kommt einer Kapitulation gleich.

Dann die Worte, die mir jedes Mal, auch heute noch, nahe gehen:
Friede sei mit Euch!
Gibt es etwas Schöneres, als mit diesem Segen Gottes das Haus zu verlassen?
Diese Formel gibt es in vielen Religionen. Sie ist so urmenschlich, so himmlisch einfach und wohltuend. Auch wenn man nicht daran glaubt: der Mensch; der sie ausspricht, verbreitet damit eine angenehme Atmosphäre.
Wieso kommt so etwas? Die Aura dessen, der die Worte mit Bedacht spricht, verströmt eine Energie, die unser Innerstes als angenehm registriert. Sprechen wir von einer besonderen Atmosphäre, so versteckt sich dahinter sicher irgendeine Strahlung oder Energie, die positiv oder negativ auf unser Empfinden wirken kann.


Zu 15:
Unterhaltungskonzert

Nun folgt wieder eine angenehme Unterhalts- und Entspannungsmusik. Die Gemeinde wird nicht zum Mitsingen einbezogen. Wohltuend nach einem anspruchsvollen Zuhören.

Kleine Statistik:
Während des Gottesdienstes kommen 12 Musikstücke zu Gehör. Fünf Mal darf die Gemeinde mitsingen. Die Orgel ist 6 Mal im Einsatz. Je drei Mal hören wir ein Saxofon oder eine Art Combo, also Schlagzeug, Gitarre und Keyboards. Zwei Mal tritt eine Bläsergruppe auf. Also ein erstaunlich abwechslungsreiches, vielseitiges musikkulturelles Programm.


Zu 19:
Zwei Bergsteiger in der Kirche

Dann kommt eine Einlage, extra für die Jugendlichen und von diesen ausgedacht, damit es ihnen nicht zu langweilig wird und sie ihren Spaß haben.

Ein Bergsteiger seilt sich von der Empore über der Orgel in das Kirchenschiff ab. Eine junges Mädchen hält das Seil straff. Beide gehen danach vor an den Altar.
Beide mit ihrem Bergsteigergeschirr am Körper und der Kletterkleidung stehen vor dem Altar, der Gemeinde zugewandt und das Mädchen sagt irgend etwas über ‚Abhängen‘ und ‚es kommt auf den Halt und die Absicherung an‘. Ich verstehe kaum etwas, auch jetzt nicht, wenn ich das Video wiederholt durchlaufen lasse. Das Mädchen ist kein Mädchen, eher eine jener geschlechtslosen Jugendlichen, die sich provokativ gegen die alten Sitten- und Moralvorstellungen benehmen. Ohne Ehrfurcht vor dem Altar, ohne Rücksicht auf eine Gottesdienstfeier, ohne Gefühl für eine Konfirmationsfeierlichkeit schwadroniert sie im Gassendeutsch irgendwelche Texte in einer rotzigen Art in den Kirchenraum und kommt sich ganz toll dabei vor.

Damit trifft sie wohl die Seele der Konfirmanden, die sich dabei scheinbar trefflich amüsieren.

Wegen solcher Zugeständnisse der jungen Generation gegenüber, sprach ich Eingangs von einem Jahrmarkt in der Kirche.
Man will andeuten, daß Gott junggeblieben ist und die Jugend versteht und die Kirche überhaupt nicht mehr das ist, was sie einmal war, sondern nun eine Unterhaltungsstätte für Jedermann (in diesem Fall eine Turnhalle). Aufgeschlossen auch für Dich und Dich. Gott hat doch für alles Verständnis und uns so lieb. Religion soll doch Spaß machen. Christus ist doch der Inbegriff von Liebe. Und die Engel sangen doch ’Freuet Euch!...‘

Und tatsächlich. In der Kirchengeschichte hat es derartige Abkehr von einer Ehrfurcht gegenüber dem Schöpfer und Erhalter des Himmels und der Erden immer wieder einmal gegeben. Jesus selbst trieb den Unrat aus dem Tempel hinaus. Die Kirchenobrigkeit und viele in den Klöstern waren Jahrhunderte lang durch Orgien und Schlemmerei zu Genussmenschen zu Lasten der Armen dieser Welt verkommen (der Papst selbst mußte 1309 bis 1376 nach Avignon umziehen, weil er Rom entweiht hatte!!!, doch dort ging die Völlerei ungezügelt weiter). Als der Papst die Opern verboten hatte, spielte man in der Kirche die Opern eben als Kantate (Schäferspiele im Barock). Das Bistum von Meißen wurde in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nach Dresden / Bautzen verlegt, weil der Bischof es durch seine Lebensweise entweiht hatte. Es gibt viele dicke Bücher, wo über die Entweihung christlicher Heiligtümer und Kultstätten berichtet wird. Gehäuft seit 50 Jahren wurden Kirchen in Museen und Konzertsäle umfunktioniert. Ich habe in der Versöhnungskirche ein weltliches Spektakel zum Urfaust aufgenommen. Mit der großen Schauspielbühne hat man den Altarbereich völlig zugebaut.

Die Kirche läßt zu, daß mit ihren Heiligtümern umgegangen wird, als wäre es irgendein Alltagszeug.

Damit zeigt sie an, daß es keinen Gott gibt, daß Kirchen nur Menschenwerk sind, daß die Altäre nichts Heiliges an sich haben, daß es nur eine Dekoration für eine mystische Sitzung, für irgend so einen Event ist.

So gräbt sich die Kirche Schritt für Schritt ihre eigenen Fundamente ab. Denn zu einem Sinn gehört auch eine Form. Man kann die Religion dem Wissen unserer Zeit anpassen (was man aber eben nicht tut!), aber man darf nicht dabei die Ehrfurcht und Heiligkeit in Frage stellen. So denke ich als Atheist (oder Agnostiker) und als Bewahrer unserer Kulturgüter.

Zu Sinn und Form:
Während man liebend miteinander schläft, sieht man sich keinen Kriegsfilm an.
Wo man in Andacht zu Gott oder welchen Kräften auch immer, verweilt, übt man nicht Bergsteigen und spielt Jazzmusik.
Nicht alles, was wir anders machen, als früher, ist Fortschritt und Zukunft.
In unserer gegenwärtigen unendlichen Experimentierfreude entstehen unvorstellbare Verbesserungen und gleichzeitig unglaubliche Rückschritte und Entartungen. Es ist schwer, besonders für die Jugend, sich hier auf das rechte Maß und die richtige Richtung zu orientieren.


zu 21.
Aufruf zu einer Spende

Während die Gemeinde den Choral singt ‚Herr, segne uns‘, wird eine Kollekte eingesammelt. Der Pfarrer bereitet die Spender auf Sinn und Zweck der Gabe vor. ‚Das Geld in unserem Haushalt reicht vorne und hinten nicht. ‚ es wird Geld gebraucht für die Jugendarbeit, Altenarbeit, Schwesternstation und für den Kindergarten. Er bittet um ‚ihr Opfer‘.
Also nicht nur 50 Cent. Um ein Opfer.

Ich weiß nicht, was meine Frau gegeben hat. Ich hatte mit meiner Filmerei zu tun und gab wahrscheinlich nichts.
Das war nicht gut.

Denn die Kirche lebt von Spenden und braucht für die Erhaltung der denkmalgeschützten Bauwerke und für die vielseitigen sozialen Zwecke tatsächlich viel Geld, Auch wenn die sozialen Aktivitäten der Kirche in bestimmter Weise eine Alibifunktion besitzen und viel Gelder von den Spenden für Erhalt und Mehrung des kirchlichen Reichtums Verwendung finden wird, bin ich für solche Gaben, weil wir in unserem Land zur Betreuung der Jugend, der Alten, der Kranken und der Hilfesuchenden kaum bzw. nicht ausreichende Alternativen haben.

Die Menschheit braucht aber nicht Kirchen, damit es eine Wertevermittlung und soziale Leistungen gibt. Dies kann und muß ein aufgeklärter Staat allemal auch gewährleisten können. Es dürfen sich für Betreuungs- und Hilfeleistungen beliebige Vereine und Gemeinschaften bilden, die in gleicher Intensität humane Ziele angehen. Und es gibt ja tatsächlich auch viele solche Organisationen.
Doch verläßt sich offenbar der Staat und die Gesellschaft darauf, daß die Kirche in der humanen Nische besonders wirksam wird.

Wir müssen jedoch endlich begreifen, daß auch wir nichtgläubigen Menschen – sozusagen ohne Gottes Auftrag - verpflichtet sind, solidarisch, hilfsbereit, samaritanisch, tröstend gegenüber unseren Mitmenschen zu sein.

Bevor wir die Kirchen durch unsere Ungläubigkeit ganz auflösen, haben wir die Pflicht, unsere Gesellschaft insgesamt menschlicher zu gestalten.

Zurzeit sind die Religionsgemeinschaften noch ein Auffanglager für Mitbürger, die sich nach einer Welt voll menschlicher Wärme sehnen und dafür auch bereit sind, etwas zu tun.
Und dann gibt es noch die da draußen, die kalte, harte Welt. Diese zweigeteilte Welt hat ursächlich nichts mit Gott und Religion zu tun, sondern nur mit unserer Bequemlichkeit, sich in Nischen zurückzuziehen und den Anderen die übrige Welt zu überlassen.


Zu 22:
Gebet: Dank für die Spende

"Laßt uns beten. ‚Gott, Du Ursprung allen Lebens…".

Jetzt bedankt man sich bei Gott für die Spende und bittet ihn, sie möge zum Nutzen der Bedürftigen verteilt werden.

Das wirkt auf mich etwas sonderbar:
Hat man Bedenken, daß hier Geld veruntreut wird oder in die falschen Hände kommt?
Warum muß man sonst Gott für so eine übliche, normale Tätigkeit, wie die wöchentliche Verteilung der Kollekte, um Hilfe bitten?

Am Altar wurden 6 Körbchen, in denen das gesammelte Geld liegt, aufgestellt. Das finde ich eine sehr schöne Geste.

Was mich immer wieder stört, ist der Umstand, daß man sich bei Gott für die Spenden bedankt, aber nicht bei den Spendern!
So, wie man sich für das Essen im Gebet bei Gott und nicht laut und deutlich, zumindest auch, freundliche Worte für die Hausfrau findet.

Damit zeigt sich, wie die Religion zum Kult wird. Ein Kult, der den Menschen mißachtet und zunehmend alles der unsichtbaren, höheren Dreieinigkeit zuschreibt. Wahnsinn!



Zu 23:
Laßt uns miteinander und füreinander beten.

"Wir beten zu Gott, weil wir Vertrauen zu ihm haben. Er hält alles in seiner Hand. Die Jugendlichen, die heute ihre Konfirmation feiern, die Familien und Gäste. Wir wünschen, daß alle heute an diesem Tag, Freude erleben. Die Konfirmanden sollen spüren, wie schön es ist, wichtig und ernst genommen zu werden…"

Was ist das für ein Kauderwelsch an Gebet. Man redet mit Gott, aber auch über ihn in der dritten Person.(er hält …) Man bittet nicht, sondern schreibt ihm vor, was passieren soll (wir wünschen … sollen spüren).
So ein Ton und Inhalt ist aus der Sicht der Religion niveaulos, aber ansonsten gut gemeint.

Es zeigt mir wieder, daß man keinen oder zu wenig Respekt vor Gott hat. Man verwendet die alten Formeln, aber es ist kein echter Glauben mehr dahinter.

Die Religion verkommt zur Vereinsmeierei, wo man sein Zuhause hat und in bestimmten Kreisen eine Achtung genießt. Es gehört halt heute zum guten Ton. Anpassung der Ostdeutschen an die alte, westliche Kultur, die uns wieder eingeholt hat oder auf die wir zurückgeworfen wurden.

Dann ein Gebet für die Gemeinde, sie möge sich um die Jugend kümmern. Ein Gebet für die frisch Getaufte und ihre Familie.

Aber keine Gebete für die Kranken und Einsamen, die Gefangenen und Armen, die Obdachlosen, Arbeitslosen, oder die sonst irgendwie in Not sind und Hilfe brauchen.
Zu meiner Jugendzeit war das noch üblich. Da betete man auch, daß man meinen Vater aus dem Internierungslager bald frei läßt. So persönlich war es einmal. …

Man hat also wahrscheinlich nicht nur die Bindung zu Gott sondern auch zur Gemeinde und den Menschen ringsum fast schon verloren.
Der Kirchenvorstand wird eben daran gemessen, wieviel Kirchenmitglieder er hat, wie sie mit dem Geld klar kommen und daß sie vorweisen können, was so alles in der Gemeinde bewegt wird.

"Wir beten nun die Worte, die Christus uns gelehrt hat:‘

Das Vaterunser:

"Vater unser, der Du bist im Himmel"

Eine überflüssige Bemerkung, die wie eine Postanschrift klingt. Gott ist überall gegenwärtig. er ist nicht nur im Himmel auf einem Thron. Wenn ich ihn anrufe, hört er mich, ob er sich nun gerade im Himmel oder anderswo befindet. So lehrt es uns jedenfalls die Bibel.

"geheiligt werde Dein Name."

Das laß ich als Grußformel gelten. Es zeigt einen ehrfurchtsvollen Abstand zu dem Allmächtigen und Gott wird sich freuen, wenn er so geehrt wird. Es ist aber auch gleichzeitig Heuchelei, wie man einen Fürsten ‚Euer Gnaden‘ nennt, so schmiert man seinem Vater Honig ums – ich weiß nicht was.

"Dein Reich komme"

Ich denke, Gottes Reich gibt es bereits. Ich denke, daß wir nach dem Jüngsten Gericht darin Einlaß finden können. Soll diese Bitte, Gottes Reich soll kommen, eine Bitte sein, Sterben zu dürfen, damit man eher dort Einlaß findet? Soll das Reich Gottes zu uns kommen? Doch wohl nicht. Wir bitten doch, in seinem Reich einst aufgenommen zu werden. Und warum sagen wir das nicht so deutlich?

Also müßte es heißen:
Hilf uns, daß wir so ein Leben führen, was uns erlaubt, einst in Dein Reich zu kommen.

"Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden"

Das ist ja nun die Krönung, daß man seinem Vater gestattet, sein Wille geschehe bei ihm zu Hause und auch bei mir hier. Mir bleibt doch sowieso nichts anderes übrig, als seinen allmächtigen Willen geschehen zu lassen, wo und wie auch immer. Das ist sicher als Demutsgeste gedacht, ist jedoch völlig am Thema vorbei.

Bei der Gelegenheit müssen wir auch einmal darüber nachdenken, ob Gott überhaupt mit seinem Willen in unser Leben eingreift. Er hat uns doch den freien Willen gegeben und er läßt alles so geschehen, wie wir Menschen es angehen.

Wäre es nicht sinnvoller, wir würden darum bitten, daß wir stets die richtigen Entscheidungen fällen, daß wir überhaupt die Lage klar überblicken können, um uns richtig zu entscheiden. Wir sind doch unseres Glückes Schmied. Was wir säen, werden wir ernten. Und ein alles vernichtender Hagelschauer kommt nicht von Gott, sondern ist durch ein Geflecht von Gesetzmäßigkeiten und Zufällen zustande gekommen.

Gottes Wille ist auf wenige Eingriffe in ein sich selbst regulierendes System beschränkt. Diese Erfahrung haben wir nun doch eindeutig gemacht.

"Unser täglich Brot gib uns heute"

Hier sieht man deutlich, wie das Gebet zu einer sinnlosen Leier verkommen ist. Wie kann man Gott anrufen und um Brot – das ist eine Metapher, heißt im übertragenen Sinne für Nahrung und Kleidung - bitten, wenn man doch das Nötigste bereits hat?

Christus hat uns dieses Gebet gelehrt. Aber doch nur als Beispiel kann es gedacht gewesen sein. Man kann doch nicht 2000 Jahre lang unentwegt das gleiche Gebet verwenden, wenn sich die Zeiten und die Lage wesentlich geändert haben und ganz andere Probleme anstehen.
Das gilt natürlich für uns Wohlstandsmenschen.

Vielleicht könnte man heute beten
‚hilf uns, daß wir mit dem Nötigen zufrieden sind und nicht in Verschwendung verfallen und das andere Erdbewohner nicht durch unsere Schuld in Not und Elend leben müssen.‘

"Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern"

Ein Kuhhandel mit Gott:
Ich vergebe das mir zugefügte Unrecht und du vergibst mir meines.

Ein Gebet was dadurch sinnlos wird, wenn ich es nicht bereue, was ich getan habe oder wenn ich dem Anderen sein Unrecht mir gegenüber nicht verzeihen kann oder wenn ich gar kein Unrecht begangen habe oder es in keinem Verhältnis zu dem meines Schuldners steht. Oder umgekehrt.
Mit so einer hausbackenen, routinemäßig abgearbeiteten Bitte, für den Fall, daß es zutreffen könnte, kann man doch Gott, den Vater, nicht belästigen.

Es sei denn, Gott gibt es nicht und ich bete nur, um damit meine Sinne zu beruhigen – als Yogaübung sozusagen. Dann muß uns ja der Inhalt nicht stören. dann ist dies eine Formel, die uns als Formel irgendwie hilft, aber ansonsten keine Bedeutung hat.

"Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen."

Der Fremdgeher zum Beichtvater ‚Gott hat mich wieder einmal in Versuchung geführt und ich Trottel bin darauf reingefallen. Habe selber Schuld. Hatte an diesem Tag kein Vaterunser gebetet und Gott wird gedacht haben, meine gestrige Bitte galt nur für Gestern‘
So simpel wirkt diese Gebetsstelle auf mich.

Der Mensch droht mit dem Finger zu Gott hoch und sagte ‚und führe mich bloß nicht in Versuchung, du Schelm.‘

Genau so unehrlich wie der Schwur vor Gericht oder im Parlament bei Übernahme einer höheren Funktion ‚Ich schwöre. So wahr mir Gott helfe!‘
Erstens, ist eine Einschränkung zu einem Schwur nicht zulässig. Man kann bei einem Schwur nicht Wenn und Aber dazu sagen.

Aber in unserem Staat darf man dies, wenn man Christ ist. Jeder weiß, daß Gott nicht direkt (bzw. überhaupt nicht) hilft.
Wie kann man so einen Schwur als Rechtsgrundlage zulassen?
Wenn der Schwörende also sein Versprechen nicht einhält, hat ihm Gott nicht geholfen und er kann folglich nicht für seine Fehlleistung zur Verantwortung gezogen werden.
Deshalb werden wohl die Führenden unserer Gesellschaft auch so ungenügend zur Verantwortung gezogen. Ja, die DDR-Funktionäre. Die hatten so einen Schwur nicht geleistet. Die konnte man – obwohl es diesem Staat überhaupt nicht zustand - durch die Gerichte schleifen.

In einem Staat, wo die Trennung zur Kirche im Grundgesetz festgeschrieben wurde, weil es seit der Französischen Revolution so ‚in Mode‘ ist, sind derartige ‚Ausrutscher‘ für mich regelrecht ein Skandal.

Es zeigt, wie geistig zurückgeblieben, gutgläubig, gedankenlos, hinterhältig, oberflächig die Menschen heute, in einer Zeit höchster Leistungen der Wissenschaft und Technik, noch sind.

Wie zurückgeblieben die Gesellschaft ist gegenüber den Produktivkräften.
Und immer wieder spielt bei Entwicklungsrückständen die Religion und Kirche die maßgebliche Rolle!

So einfach ist das Verhältnis Mensch zu Gott nicht, legt man die Bibel zugrunde. Da Gott uns freien Willen läßt, sind wir auch für alles selbst verantwortlich. Gott kann auch nicht einmal dem Zufall einen kleinen Schubs geben. Trotzdem bezeichnen wir oft im Übereifer einen Zufall als Gottes Fügung.

"Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit"

Bei dieser Schwärmerei für Gottes Reich und Herrlichkeit müßte man doch tatsächlich um den sofortigen Tod bitten, damit man endlich seine Ruhe hat und diese andere Welt genießen kann.

Eine Herrlichkeit in Ewigkeit ist wahrscheinlich nicht nur für mich unvorstellbar.
Es würde nichtbeschreibbar langweilig sein. Wo liegt der Reiz, in diese andere Welt zu wechseln?

Ich verstehe die Selbstmordattentäter nicht. Auch nicht die Gläubigen mit dem Gefasel vom Himmelreich. Es hat doch keiner eine Ahnung, was uns da erwartet und wie unsere Sünden im Leben angerechnet und wie bestraft werden.
In welchem Maße muß ich bereuen, damit mir alles vergeben wird.
Es wird viele Dinge geben, die kann ich aus tiefsten Herzen niemals bereuen. Es war so und es war schön oder nützlich so.
Aber wie wird Gott das sehen und darauf reagieren?

Gibt es Kategorien im Himmel und in der Hölle?
Einen hungrigen, geknechteten Einwohner im Mittelalter kann man schnell mit einem zu erwartenden Wohlstand im Himmel begeistern. Aber wenn man schon in einem relativen Wohlstand lebt, auf was will man sich da nach seinem Tod noch freuen?
Auch aus dieser Sicht hat die Religion heute für uns keinen Anreiz mehr.

Je intensiver man sich mit der Religion beschäftigt, je mehr Fragen tauchen auf, je unklarer, verwirrter wird das Gesamtbild, je mehr Zweifel und schließlich die Gewissheit kommen auf:
So, wie uns die Religion das Überirdische mit Gott und dem Drumherum erklärt, geht es nicht. Gott gibt es weder so noch anders.

Wir können aber den Kräften, die für uns noch unsichtbar, hinter unserem Rücken sozusagen, die Fäden ziehen – hier sei besonders die Evolution genannt - Gott nennen und dies als etwas Heiliges verehren. Damit bekämen wir auch eine andere Einstellung zu all den Dingen und Zuständen, die uns heute solche Sorgen bereiten. Wir würden als Individuum und als Gesellschaft besser und nützlicher werden, indem wir zum Beispiel unseren Glauben mit dem Wissen von heute und morgen, an die Grundeinsichten der Ureinwohner unserer Erde angleichen.

Nun hat uns Jesus Christus das Vaterunser selbst gelehrt und empfohlen, es zu beten. Da sind doch meine Kritik und Bedenken doch völlig fehl am Platz. Aus der Sicht des kirchlichen Dogmas mag das stimmen. Doch wenn Christus nicht Gottes Sohn, sondern ein Weltverbesserer war, der eine neue Denk- und Handlungsweise unter die Menschen gebracht hat, dann können er und die seine Worte 40 Jahre später aufgeschrieben haben, sich doch auch irgendwo einmal in ihrer Logik und Formulierung falsch ausgedrückt oder gar geirrt haben.

Oder die vielen Überlieferungen und Übersetzungen in den vergangenen 2000 Jahren haben die ursprünglichen Gedankengänge und Formulierungen wesentlich verändert. Oder diese zum Dogma gewordenen Worte des Christus waren für seine Zeit die überzeugendsten und wichtigsten und müßten auf unsere Zeit und Verhältnisse nun endlich einmal angepaßt werden.

Sei es wie es sei:
Hier gibt es genügend Bedarf zum Nachdenken und Handeln.


Zu 24:
Gehet hin im Frieden des Herrn

Zum Schluß noch einmal etwas, was der Seele gut tut.

"Gehet hin im Frieden des Herrn.
Der Herr segne Dich
und behüte Dich.
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über Dir
und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und gebe Dir Frieden.
Amen."

Derart gesegnet verlassen die Bürger zufrieden die Kirche.

‚Das war eine scheene Predicht, was der Herr Pforrer da gesocht hat:‘.
‚Ja. Das fand ich auch‘.

Einige drücken dem Seelenhirt noch die Hand, denn es ist schmeichelhaft, so einen guten Kontakt zur Obrigkeit zu haben.

Die Eltern eilen zu ihren Kindern und Gästen. Denn nun wird gefeiert. Konfirmation ist schließlich nur ein Mal.
Der Herr Pfarrer bleibt alleingelassen noch einige Zeit bei seiner Gemeinde stehen. Aber man hat heute keine Zeit und kein Ohr mehr für ihn. Er wird beiseite gelegt, wie man einen Staubsauger wegstellt, wenn die Plicht erfüllt ist. Nun ist die Kür angesagt.

*

Nach dieser Lektüre bleibt vielleicht bei dem Einen oder Anderen eine kleine Nachdenklichkeit zurück. War es nun richtig, die Anna heute so an die Kirche zu binden. Ich sage JA. In dieser Zeit des allgemeinen gesellschaftlichen, politischen, sozialen, kulturellen Niederganges ist es gut, wenn unsere Kinder zu Beginn ihres Lebens und besonders ihrer Selbstständigkeit einen gewissen Halt haben. Sie sind beschäftigt. Sie haben einen bestimmten kulturellen Umgang.

Es gibt gegenwärtig leider kaum etwas Besseres und es schadet wenig, es nützt viel.

Wenn man unsere Geschichte verstehen will, muß man sich auch mit der Religion und Kirche einmal beschäftigt haben. Man steht sonst ziemlich ahnungslos vor der Geschichte der Menschheit, vor den alten Meistern und ihren Werken.

Wichtig ist aber auch, daß unser Nachwuchs bald zur Selbstständigkeit, auch im Denken und Handeln findet und sich in gebührender Form vom Elternhaus und von der Kirche freimacht. Denn ein dauerhaftes Band zur Kirche ist, soviel wollte ich in dem Büchlein klar machen, nicht zu empfehlen.
Was die Jugend einmal glaubt, ob im Rahmen einer Religion oder in anderer Weise, ist ihre und jedem seine Angelegenheit.
Sich aber in einer Kirche mißbrauchen zu lassen, in der persönlichen Freiheit, im selbstständigen Denken, im Wahrnehmen gesellschaftlicher und politischer Aufgaben und Pflichten, das ist von allgemeinem Interesse und sollte deshalb rechtzeitig durch uns Ältere einfühlsam mit beeinflußt werden.

Impressum

Texte: Rechte des Fotos und der Abhandlung beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 13.11.2009

Alle Rechte vorbehalten

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