ERSTER EINDRUCK
Auf den ersten Blick hätte ich mir etwas poetischere Sprache gewünscht ("blickte" statt "sah"; "Wachen die bewachten"; "Es handelte sich um..."; weniger umgangsprachliche Füllwörter "Dafür"), die das Geschehen etwas kontrastieren. Besonders fiel mir das im Gespräch der Hohepriesterin des Toten Gotes auf ("schwerwiegende Differenzen"/"eklatant" etc... "... solange es einen einzigen seiner Anhänger gibt. Dies ist meine Aufgabe." schöner in meien Augen: Bestimmung)
Ich hab den Eindruck, beim Hund hattest Du einen Tacken schöner formuliert ;-)
Bei dem Zitat erwartete ich zuerst, es sei irgendein berühmter toter Autor (Milton, Wilde o.Ä.), und das wäre eine Umschreibung von Dir.
Erst beim zweiten Lesen und Hinterfragen bezog ich es auf die Geschichte.
Das ist auch schön, aber ein Verstecken/Mystifizieren einer echten Person (die der unbedarfte Leser dann für fiktiv hält) hätte ich noch schöner gefunden
RECHTSCHREIBUNG:
Eigentlich alles toll, nur im ersten Satz müsste doch ein Anführungszeichen (Hadragath') für den Genitiv? Oder ein s
Auf der ersten Seite war mir etwas zuviel unpersönlich formuliert (zuviele war's hintereinander)
STRUKTUR:
Nach kurzer Einführung und der Erläuterung der Hintergründe von Athars Geburt seitens des allwissenden Erzählers beginnt die Handlung zu Athars Erwachsenenalter (etwa). Es kommt zu dem lange überfälligen Konflikt und einer Konfrontierung mit der Autorität. Athar wird gezwungen, seine Gabe absichtlich einzusetzen und zu hinterfragen.
Zurück in seiner gewohnten Umgebung fällt es ihm leichter, seine Gabe zu nutzen und er deckt die Umstände seiner Zeugung auf. Den geheimnisvollen Umständen am Grab des Toten Gottes möchte er nachgehen.
Er findet einige Antworten, landet durch Zufall in der Hauptstadt, wo er nicht hin darf, es kommt zum Höhepunkt des Konfliktes und der Lösung in einer Katastrophe.
Und einem sehr überraschenden letzten Absatz ;-)
--> Ich denke nicht, dass man etwas hätte kürzen können. Die Sinnsuche am Grab des Toten Gottes, aber dann hätte man gemoppert, dass der ja nichts hinterfragt und der Leser keine Erklärungen bekommt
DIE ENTHÜLLUNGEN
"Kindermund tut Wahrheit kund" :-) anfangs sind es vor allem Dinge, die jedem auffallen könnten (auch die unzufriedene da schlechtbezahlte Schankmaid beispielsweise) erst später tritt die magische Gabe in den Vordergrund. Normalerweise würde ich mäkeln deshalb aber ich denke mal das ist Absicht und soll zeigen, dass diese Gabe von Athar nach und nach entdeckt und verstärkt wird
CHARAKTERE
- ATHAR in seiner unfreiwilligen Macht ist sehr gut dargestellt.
Mit seiner Naivität, die er im Laufe der Geschichte verliert, und seiner Erbitterung über die Abgründe der menschlichen Seele fühle ich nicht wirklich mit ihm mit. (Ich wäre nicht überrascht an seiner Stelle ;-))
Irritierend finde ich, dass er erst beim König sich Gedanken über seine Fähigkeiten macht. Vielleicht war er vorher durch den Ärger, den er sich damit einhandelte, aber auch genug beschäftigt.
Ausserdem ist er schon, hrm, schlichtes Gemüt (zB. vergisst er vollkommen, die Händler zu fragen, wo sie hinfahren wollen).
Nicht zu seinem Charakter passend fand ich die Aussage, dass er nie sonderlich religiös gewesen war. In dem Lebenslauf, den ich von dieser Figur habe, wirkt es auf mich nicht stimmig (Sohn des Mittelstandes, wird zur Wahrheit erzogen - also die Tugenden gelehrt, dazu gehört für mich auch Gläubigkeit, wie es ja bei den Nachbarn wohl üblich ist) und wirkt so, als habe der Autor unbewusst ein Stück unserer Welt hineingeschnipselt, oder es ist extra damit ich mich als Leser identifiziere - das tue ich in dem Moment nicht. Ich denke mit: "Hä? Der war NIE religiös? Also nicht wegen der Gabe und den Gedanken der Priester, sondern er war es einfach nie? Ja, warum das denn?!?!"
Es irritiert mich. (Ja, Fianna, nach dem letzten Absatz war diese Erläuterung aber SOWAS VON nötig *rolleyes*)
- DER KÖNIG ist ein richtiger König. Er bedenkt alle Optionen, ist weise im Sinne von: er tut das, was für sein Land am besten ist. Dass er Athar nicht behält, ist für mich verständlich, denn durch die Aktion in der Schänke hat Athar bewiesen, dass er unberechenbar ist. Mehr dazu weiter unten.
Von dem König/den Belangen des Königreiches erfahre ich zu wenig, als dass ich für ihn Sympathie/Antipathie empfinden könnte. Er ist einfach ein König der besseren Sorte vom Scheitel bis zur Sohle, und als solcher spielt er die vom Autor zugedachte Rolle hervorragend.
- ISARIUS wirkt auf mich wie ein Vertrauter des Königs aus Gewohnheit; er ist zwar vllt klug, aber nicht in dem Sinne clever, weil er sogar einen vergleichsweise ungebildeten und ungeschliffenen jungen Burschen wie Athar nicht hinters Licht führen kann mit seinen plumpen Fangfragen (S. 14). Mir kommt es so vor, als stünde er unter Zugzwang gegenüber der Beraterin Melirra, seiner Rivalin - zu Recht.
- MELIRRA ist die Figur, mit der ich mich in der Thronsaalszene am meisten identifizieren möchte. Sie ist schlau, mächtig, vorausschauend (SIE sandte den Kundschafter aus, nicht Isarius, der über Athar stolperte), aber auch kompromisslos und ein sehr praktisch denkender Mensch (ihre Lösung: bringt Athar um). Vielleicht ist sie am ehesten so etwas wie der Sword-and-Sorcery-Charakter in der Geschichte ;-) denn sie hat ja als wahren Grund nicht den Schutz der Geheimnisträger, sondern ihren eigenen Einfluss, kämpft also nicht "für die Sache", sondern für sich selbst... Wie auch immer, anstatt an dieser Stelle um Athar zu bangen, denke ich mir "Die Frau ist sooooooooo coooool *strahl*"
KRITIK:
Nur an einigen wenigen Stellen wünsche ich mir Detailreichtum.
- Die Fesseln beispielsweise, sind sie aus Seil oder Eisen? Verspürt Athar Druck oder sind die Handgelenke wundgescheuert und was empfindet er dabei?
- Die Burg, wie sieht sie innendrin aus, ist es einer Art Renaissancepalast, ist es eine zugige Burg, ist es eine wehrfähige zugigege Burg voller Pracht (Wandgemälde, Teppiche etc.)? Das war einer der wenigen Momente in dem ich mir eine Vorgabe des Autors gewünscht hätte.
- Das Entsetzen Athars angesichts des Galgens bleibt für mich etwas blass; vielleicht liegt das aber daran, dass ich gestern erst Yolanas „Die vierte Art des Sterbens“ gelesen habe, die ganze 30 Seiten mit dieser Thematik aufwendet.
Positive DETAILS:
- Sehr schön fand ich dass Athar, der Verbrecher, sich nur an einem Trog erfrischen darf, aus dem Tiere trinken und auf dem Heu und Sabber von den Pferden schwimmt, anstatt dass er zum Brunnen oder einem Wassereimer geführt wird (S. 11)
- Melirra ist ein funkelnder Stern, der sich von den übrigen, ihre Rolle erfüllenden Charakteren strahlend abhebt. Ich LIEBE sie!
- Der tote Gott schafft ihn als Instrument seiner Rache, und lässt ihn zurück... oder lenkt er ihn? Hab das im nächsten Punkt näher ausgeführt, ich finde dieses offene für den Leser toll! (Erinnerte mich an "Gott schuf die Welt und verließ sie... oder doch nicht?")
- Die Messias-Allegorie, die Fianna am Anfang sah mit der Beschreibung der Geburt, sieht sie beim zweiten Lesen erneut, und dann auch bestätigt durch den Schauprozeß am Ende, in dem die Menge mit dem Henker in einen Dialog tritt und den Tod fordert. Athar war zwar kein Heilsbringer, doch ein Wahrheitsbringer, so dass irgendwie diese Parallele sogar etwas stand hält... (Bitte im Statement drauf eingehen, bin ich cool und aufmerksam oder nur extrem fantasievoll?) Gut, Jesus protestiert und rechtfertigt sich nicht, aber wenn man dann den Heiligen Geist bzw die schwebenden Überreste des Toten Gottes dazunimmt, hätte man über die Sohnesschaftsschiene wieder eine weitere Parallele... Ebenso dieses Sündenbock-Gedöns, welches Athar in der Menge erkennt
Vincent ist der Antichrist und will uns vom Glauben abbringen :-D
ZU ANDEREN KOMMIS:
- "Er sieht nur Lügen", d.h. doch auch, dass er die Wahrheit dahinter sieht die Wahreit hinter vorgeschobenen Äußerungen und Beweggründen... Durch das Entlarven von Lügen gelangt man zwangsläufig zu Wahrheiten.
Man könnte allenfalls kritisieren, dass nur negative Wahrheiten zutage treten, beispielweise das Entwickeln von Gefühlen trotz Zwangsheirat/vermittelter Heirat o.Ä. wäre ein positives Beispiel gewesen für diese Gabe.
Da es jedoch eine Kurzgeschichte ist, wäre das ansonsten so komplex geworden, dass man dafür noch mehr Seiten gebraucht hätte.
Ausserdem mag ich als fieser kleiner Zwerg diese Einstellung, dass Menschen per se schlecht und verlogen bzw. schwach und fehlbar sind.
- "Ich würde um Deinen Tod klagen aber dann bin ich selbst nicht mehr"/er wird doch hingerichtet: woher soll Mornys das wissen? SIE ist es doch nicht, die die Gabe besitzt
- Der König könnte auf ihn zurückgreifen: Dass er Athar nicht behält, ist für mich verständlich, denn durch die Aktion in der Schänke hat Athar bewiesen, dass er unberechenbar ist. Er ist schließlich nur ein "normaler" Mensch, dessen Gabe ihn immer wieder desillusioniert. Ein König trifft auch harte Entscheidungen, muss Opfer bringen - üblicherweise Opfer der Art, die das Leben anderer Menschen betreffen (wie Athar am eigenen Leib erfährt). Ein Athar am Königs Hof wäre eine beständige Gefahr, dass er sich aufgrund der Entscheidungen des Königs gegen ihn wendet. Er hätte dann viel Insiderwissen, dass er verraten könnte bzw er könnte auch schon vorher (wegen seiner Unberechenbarkeit und Ungeschliffenheit) Fauxpas' begehen, indem er bei diplomatischen Begegnungen sich unpassend verhält. Denn Diplomatie ist nur ein höfliches Wort für Lüge, und das liegt ihm völlig fern. Er ist am Königshof absolut fehl am Platze.
- Erst nur Lügen, dann die Existenz: Ich habe es so verstanden, dass sich Athars Fähigkeiten steigern. Entweder liegt das am Gebrauch, den er besser erlernt, der es hängt mit dem Wissen zusammen, dass ansammelt (über die Hintergründe), in der Stadt sehe ich 2 Möglichkeiten: 1. Athar ist in Panik, da er weiss, dass er nicht in der Hauptstadt sein darf, und diese innere Aufgewühltheit verstärkt seine Fähigkeiten ODER 2. der Tote Gott zieht Millionen Lichtjahre entfernt an den Fäden, da er in der Hauptstadt an perfekter Position ist, um Aufsehen zu erregen
Das würde bedeuten dass in Szenario 1. Athar selbstbestimmt ist, der Tote Gott gibt ihm also die Fähigkeit mit dem Gedanken an Rache und lässt ihn dann alleine oder aber 2. Athar ist nur eine Marionette, an deren Fäden der Tote Gott zieht.
Szenario 1 finde ich interessanter, jedoch würde es auch bedeuten, dass Athar - bei einigermaßen cleverem Umgang (wie gesagt, in meinen Augen ist er ein schlichtes Gemüt) eine Eskalation und damit die Rache des Gottes hätte verhindern können. Mit etwas charakterlicher Erziehung hätte er sogar als Mitarbeiter des Königs dienen können. Von daher meinte der Autor wohl eher Szenario 2, was ich jedch nicht so schön fände.
Oder aber, 1b, der Tote Gott schafft diese Fähigkeit für Athar, erkennt dessen Charakter und überlässt ihn sich selbst, weil egal was Athar tun wird, es wird ihn auf diesen Endpunkt zuführen, so dass er freien Willen besitzt, jedoch trotzdem der Rache des Gottes dient...
DIE UMSETZUNG DES DUELLTHEMAS:
Jep, gefunden, zuerst habe ich gestutzt, aber im Endeffekt denke ich, es ist super umgesetzt. Ausser einem Sword-and-Sorcery-Theme oder einer Philosophie-Story (die aber auch nur Fragestellungen/Konflikte in eine Fantasywelt auslagern würde) fällt mir nichts ein, wie man das auf so kurzen Seiten umsetzen kann.
--> OPTIMAL UMGESETZT
DAS ENDE:
Ich habe schonmal was Vergleichbares gelesen, dort gefiel es mir nicht - hier passt es jedoch absolut rein!
FAZIT:
Die Geschichte ist schön formuliert, enthält keine überflüssigen Handlungsstränge. Das Duellthema ist perfekt umgesetzt, mit einer hochinteressanten Idee, die sehr gut ausgearbeitet ist.
Schade ist, dass wegen der Komplexität die Umgebung und Eigenarten der Welt zurückbleiben müssen, jedoch wird durch Anspielungen auf religionswissenschaftliche und philosophische Fragestellungen unserer Welt in Fiannas Augen ein Ausgleich geschaffen. Das Ende ist originell, überraschend und doch der Struktur des Buches gemessen naheliegend und stimmig.