Sondermeldung
Von: Ursula Frank-PeggWir hörten Explosionen, die uns einen Schreck einjagten. Mutti und ich hatten kein Trinkwasser mehr im Zimmer, und ich nahm zögernd den Eimer, um über die Straße zu gehen und Wasser von der Quelle zu holen, die ganz in der Nähe sprudelte. Ich zog mit meinem Eimer in großer Hast los. An der Quelle hatte ich ein eigenartiges, unerklärliches Erlebnis. Als ich mich ihr näherte, sah ich einen der SS-Offiziere, der sich über das kühle Wasser beugte, um Gesicht und Hände zu waschen. Ich hielt inne, um zu warten, bis er mit seinem Ritual fertig war. Scheinbar hatte er mich trotz des beim Abstellen klappernden Eimers nicht gehört. Meine Augen weiteten sich und meine rechte Hand fing an zu zittern und fuhr unwillkürlich zum Mund, um einen Aufschrei zu ersticken, denn ich sah, wie sich das klare Quellwasser rot färbte und wie Blut von den Händen des Mannes floss. Er rieb die blutenden Hände heftig, und als er sie endlich hochhob, tropfte das Wasser wie blutige Tränen auf die Erde und bildete eine rote Lache zu seinen Füßen. Als er seine Hände schüttelte, löste sich ein blutroter Sprühregen von den Fingern und Bluttropfen spritzten auf mein Kleid. Ich tat einen Schritt auf ihn zu, weil ich dachte, er sei verwundet. Aber wie er sich mir zuwandte, um zu gehen, stieß er mich fast um. Instinktiv wusste ich, dass er mich nicht gesehen hatte. Seine kalten Augen in dem harten, gefühllosen Gesicht sahen etwas anderes für mich Unsichtbares, er war sich meiner Anwesenheit gar nicht bewusst. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Unwillkürlich atmete ich laut aus, denn ich sah kein Blut – nirgendwo einen einzigen Bluttropfen. – mein Kleid war sauber. Einen kurzen Moment war ich in eine andere Welt gesackt, von ihr umfangen worden, wo die Zeit stillstand, vollkommen von Wirklichkeit losgelöst, und eine Stimme sagte in mir: „Mörder in Uniform”
Es dauerte nicht lang, bis die unfassbare Nachricht durch das Dorf ging, dass der Bahnwärter von der SS erschossen worden war. Sie hatten sein Amtszimmer betreten und ihn am Telefon „erwischt” und unbegründet des Verrats beschuldigt, daraufhin hatten sie ihn festgenommen, an den Rand des Dorfs geschleppt und unter seinen Protestschreien, die seine Unschuld beteuerten, gnadenlos erschossen. Die Bewohner am Rand des Dorfes hatten deutlich die anklagenden Rufe an seine Frau gehört: „Ida, ich bin unschuldig!” Er hinterließ seine Frau und zwei Kinder. Scheinbar ging es um den Munitionszug, der auf den Schienen zwischen Göttingen und Bodenfelde stand und von dem regelmäßige Explosionen zu hören waren. Was hätte der Beamte damit tun sollen, wohin sollte er den Zug schicken, wenn die Amerikaner von beiden Seiten heranrückten.
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen - sie hatten lediglich nach einem Vorwand gesucht; Unschuld, Verrat spielte für sie keine Rolle.
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