Yolanas Vergleich mit dem Schiff trifft es ganz gut. Wenngleich in vielen Bereichen schön, ist diese Geschichte doch auf eine merkwürdige Art „schief“.
Rein formal betrachtet finden sich für Deine Verhältnisse ungewöhnlich viele Rechtschreibfehler. Die sind allesamt eher der Flüchtigkeit zuzuschreiben, kratzen in ihrer Anzahl aber durchaus schon an der Grenze des Störenden. Tendenziell setzt Du das ein oder andere Komma zu viel, davon abgesehen kann ich aber keine grundlegende Regelschwäche entdecken. Insofern alles zu verschmerzen, vielleicht einfach noch einmal wachen Auges durchsehen.
Zu Deinem Stil wurde bereits einiges gesagt. Auch mir gefällt er über weite Strecken gut. Wie immer zeugt Dein Ausdruck von einem großen Wortschatz, die Abwechslung in Deinen Sätzen ist bemerkenswert. Allerdings wirken hier die Satzkonstruktionen teils fahrig (z.B. „Er liebte die Abgeschlossenheit und Sicherheit, die ihm dieser Raum mit all seinen künstlerischen Fähigkeiten jede Nacht zu geben bereit war“, S.10) Davon abgesehen, dass sich im Beispielsatz das „seinen“ rein grammatikalisch betrachtet auf den „Raum“ bezieht, scheinen auch die künstlerischen Fähigkeiten fehl am Platze zu sein. Was haben sie mit der Sicherheit des Raumes zu tun? Dieses bildhafte, mitunter fast lyrische Element, das Du durch Deine Wortwahl in die Sätze bringst, wirkt hier – bedingt durch den merkwürdigen kausalen Zusammenhang - leicht aufgezwungen. Weitere Sätze dieser Art gibt es zwar, es sind aber nur wenige. Überwiegend ist Dein Stil demnach sehr treffsicher.
Bezüglich der Charaktere liegt der Fokus stark auf Djascha. Über die anderen Figuren erfährt man nicht genug, um sich ein Urteil über sie bilden zu können, auch wenn Minas kindlicher Wesenszug am Anfang schön dargestellt ist. (Nicht negativ gemeint, es geht eben primär um Djascha.)
Bei Djascha gerate ich dann leider ins Stolpern, was viel zu dem „schiefen“ Eindruck beiträgt, den die Geschichte hinterlässt. Zum einen wurde bereits angesprochen, dass seine Trauer und Verzweiflung am Ende für sich gesehen sehr plötzlich kommen und seltsam in der Luft hängen, was vor allem daran liegt, dass Mina nach ihrer starken Anfangsszene gar nicht mehr präsent ist. Djascha denkt nie an Mina, sondern immer nur an seine Puppen. Das wirft er sich am Ende dann zwar auch selbst vor (S.27), aber dennoch fehlt im gesamten Mittelteil eben der Bezug zu Mina, der das Ende glaubhaft und ergreifend gemacht hätte. Selbst als Djascha klar wird, dass sein Händler tot ist, blitzt nur kurz der Gedanke an das Einkommen und damit die Sorge um Mina auf (S.21). Eventuell hätte es schon gereicht, hier eine längere Passage einzuschieben, in der Djascha sich ausführlicher um Mina sorgt.
Zum anderen erscheint mir Djaschas Gedankengang zur „Rettung“ Minas leicht seltsam. Er ist überzeugt davon, dass Gott ihn für seine Anmaßung bestraft (S.27). Warum will er diese Strafe dann durch eine weitere Anmaßung abwenden? Sein Glaube scheint mir recht fest zu sein. In diesem Fall müsste er doch zu dem Schluss kommen, dass nur eine Abkehr von seinem blasphemischen Verhalten die Strafe mildern kann.
Darüber hinaus kann ich Yolana zustimmen. Emotional könnte insbesondere der Schluss mehr Raum vertragen. In Bezug auf Mina gilt das aber auch für den Rest der Geschichte, wie weiter oben bereits erwähnt.
Als konkrete Vorschläge:
Mehr Gedankenrede seitens Djascha, in der Mina vorkommt. Wenn Du den Eindruck vermitteln kannst, dass Djascha in erster Linie für Mina arbeitet (und eben ob dieser Arbeit den tatsächlichen Umgang mit ihr vernachlässigt) und nicht für sich selbst, biegt sich das Ende in die richtige Richtung. Außerdem könnte in einer längeren Fassung die Diagnose des Medicus mehr Raum einnehmen. Ein ausformuliertes Gespräch zwischen ihm und Djascha würde einerseits dem Tempo guttun (Stichwort „Wörtliche Rede“) und andererseits den entscheidenden Wendepunkt der Geschichte soweit dehnen, dass er nicht mehr ganz so unvermittelt kommt. Zudem wäre das eine gute Gelegenheit für Djascha, noch mehr Emotionen zu zeigen. Wie gesagt, bloß Vorschläge.
Weiter geht es mit den Namen. Bei denen frage ich mich, ob sie zu Venedig passen. Da Venedig hier aber ohnehin starke fantastische Elemente aufweist, ist die passende Namensgebung in dieser Hinsicht kein Muss. Ob Venedig überhaupt sein muss, wage ich zu bezweifeln. Die Stadt hat keine tragende Rolle für die Geschichte und ohne ihre Nennung hätte vielleicht etwas von der Verwirrung anderer Kommentatoren in Bezug auf augenscheinliche Realität vermieden werden können. (Tatsächlich wird die Information, dass man sich in Venedig befindet, relativ plötzlich eingeworfen.)
Auf Grundsatzebene widerspreche ich Vincent in diesem Punkt aber. Denn eine begründende Erklärung zu den fantastischen Elementen halte ich in diesem Fall nicht für notwendig. Magie scheint etwas allgemein Akzeptiertes, wenn auch Verbotenes zu sein in Deinem „Venedig“. Sowohl der Händler, als auch die Kundin wissen um derlei Kräfte. Kurz gesagt: Die fantastischen Elemente sind präsent genug, um erahnen zu lassen, dass das nicht das historische Venedig ist, in dem vor historischen Menschen ein fiktionales dunkles Geheimnis verborgen wird, das nach einer Erklärung verlangt. Vielmehr ist es ein losgelöst von der Realität zu betrachtendes Venedig mit eigenem Kontext. Dass dieser Kontext nicht erläutert wird, liegt in der Art einer Kurzgeschichte begründet. Als störend empfinde ich es nicht. Im Gegenteil, es lässt angenehmen Raum für Spekulationen.
(Ich bin mir allerdings darüber im Klaren, dass diese Frage immer wieder heftig diskutiert wird. Es ist wohl auch ein Stück weit Geschmackssache.)
Dass Minas Leidenschaft für Puppen anderen Puppen gilt als den lebenden, die ihr Vater hauptsächlich herstellt, stört mich nicht. Hier geht es denke ich vielmehr um die allgemeine Leidenschaft für Puppen, die Mina gegeben sein muss, damit sie später das Handwerk ihres Vaters weiterführen kann. Darüber, dass diese Grundvoraussetzung vorhanden ist, freut Djascha sich logischerweise.
Was die magischen Puppen angeht, frage ich mich allerdings, wie sie leben bzw. welchem Zweck sie dienen. Scheinbar bekommt Djascha sehr genaue Vorgaben für die Puppen (S.9), es lässt sich also vermuten, dass seine Auftraggeber ganz bestimmte Menschen haben wollen. (Vielleicht liebgewonnene Verstorbene?) Dennoch scheint es egal zu sein, wessen Seele in die Puppe fährt. Wenn es also dieser bestimmte Mensch sein soll, dann bestimmt offenbar das Äußere der Puppe die Person, die dabei herauskommt. Das wäre das umgekehrte Bild, da normalerweise doch die Seele mehr oder weniger die Persönlichkeit ausmacht. Oder verstehe ich diese Puppen völlig falsch und sie sind mehr wie leere Hüllen mit dem gewünschten Aussehen, die man noch „erziehen“ kann, sodass sie zur gewünschten Person werden? Hier sehe ich etwas Klärungsbedarf.
Etwas ausführlicher hätte ich mir auch Djaschas Wandel zum Mörder gewünscht. Dafür, dass er beim ersten Mord doch arge Probleme hat (S.22), steigt er danach recht schnell zum gefürchteten und unerkannten Todesbringer auf, der beinahe jede Nacht Seelen sammelt (S.25).
Sonstige Unklarheiten im generellen Handlungsverlauf kann ich aber keine ausmachen. Da bereits über die Umsetzung des Themas diskutiert wurde, merke ich aber noch an, dass ich damit keinerlei Probleme habe Für mich ist Djascha sehr deutlich der Usurpator, der die Rolle Gottes übernimmt, indem er Leben erschafft. Natürlich verdrängt er Gott nicht und erstellt lediglich Kopien (was ihn letztlich scheitern lässt) – doch trotzdem reißt er göttliche Gewalt an sich. Somit ist das Thema schön eingearbeitet. Diesbezüglich von mir also keine negative Kritik.
Abschließend sei gesagt, dass Deine Geschichte tatsächlich nicht im klassischen Sinne spannend ist. Weder gibt es viele treibende Aktionen, noch viele tragende Dialoge. Dennoch zieht es mich in das Geschehen hinein, was vor allem an dem düsteren Flair liegt, das schon mehrfach in vorigen Kommentaren erwähnt wurde und das mir sehr zusagt. Djaschas Werkstatt und seine Tätigkeit sind so interessant beschrieben, dass es mir Spaß macht, beides im Verlaufe der Geschichte näher zu erkunden. Die dunkle Atmosphäre trägt ihr übriges dazu bei.
Alles in allem ist „Der Puppenhändler“ also eine toll erzählte Geschichte, die primär an der etwas schillernden Hauptfigur krankt, deren Gefühle und Motive sich nicht ganz konsequent durch die Handlung ziehen. Mit noch gründlicherem Feinschliff lässt sich daraus aber sicher ein rundum gelungenes Werk machen.
Gruß,
Mithan
P.S.:
Beim ersten Lesen kam mir der Gedanke, dass Mina eventuell von Anfang an eine Puppe ist, weil nirgends eine Mutter erwähnt wird. Ist unter Berücksichtigung des Endes natürlich unwahrscheinlich, aber für eine längere Fassung würde ich mir eine kurze Randnotiz zur Mutter wünschen. Zwingend notwendig ist die aber nicht, denn man muss nicht unbedingt wissen, was mit der Mutter passiert ist, damit die Geschichte funktioniert.