Vor dem Hintergrund der Hochindustrialisierung in Preußen, den Folgen der „Industriellen Revolution“ entrollt sich hier dem Leser die Geschichte des persönlichen Schicksals zweier junger Menschen, Nick und Rebekka.
Rebekka ist ein Kind der für damalige Verhältnisse typischen Arbeiterklasse, die nach dem raschen Wandel des Landes vom Agrarstaat zum Industrieland unter der wachsenden Verarmung zu leiden hatte. Aus ihrer Sicht... mehr anzeigen
Vor dem Hintergrund der Hochindustrialisierung in Preußen, den Folgen der „Industriellen Revolution“ entrollt sich hier dem Leser die Geschichte des persönlichen Schicksals zweier junger Menschen, Nick und Rebekka.
Rebekka ist ein Kind der für damalige Verhältnisse typischen Arbeiterklasse, die nach dem raschen Wandel des Landes vom Agrarstaat zum Industrieland unter der wachsenden Verarmung zu leiden hatte. Aus ihrer Sicht erfahren wir die trostlosen Lebensumstände der Arbeiterklasse, denn ihr Vater ist Packer in der Zigarrenfabrik von Alois Herder, einem Fabrikanten, der seine Arbeiter unterdrückt und ausbeutet.
So mag Rebekkas Familie als typisches Beispiel stehen für das Elend, das nach der Reichsgründung und dem Wandel der Ständegesellschaft zur Klassengesellschaft zahllose Arbeiter ereilte.
Der Vater, der in „guten Zeiten“ noch Träume hatte (er wünschte sich einen eigenen Gutshof), hat sich dem Alkohol und dem Glücksspiel ergeben. Er wird nicht damit fertig, dass seine Söhne gestorben sind und nur seine Töchter weiterleben dürfen.
Besonders Rebekka, die älteste Tochter, hat darunter zu leidem. Sie hasst ihren Vater, schafft es nicht, wie ihre jüngere Schwester eine Art von Beziehung zu ihm aufzubauen.
In dieser Situation lernt sie Nick, den Stallburschen, kennen und von Beginn an scheint die beiden ein unsichtbares Band zu verbinden, das zunächst durch die Liebe beider zu Pferden geknüpft wird.
Nick, ein Waisenjunge und Neffe von Alois Herder, wird von dem Fabrikanten gleichsam als Gefangener gehalten. Er arbeitet im Stall und darf diesen außer sonntags nicht verlassen. Karl, Nicks Vater, hatte nach seiner Rückkehr aus Amerika seinen Bruder Alois gebeten sich um seinen Sohn zu kümmern, als er wusste, dass er sterben werde.
Alois, der seinem Bruder nie verziehen hat, dass dieser sich sein Erbe hat auszahlen lassen um in die „Neue Welt“ zu gehen, sinnt nach Rache und vollzieht diese nun an seinem Sohn Nick. Sein leichfertiges Versprechen, sich um Nick zu bemühen, ist somit eine Genugtuung für ihn.
Er begründet sein Verhalten vor sich selber in bigotter Heuchelei mit Gottesfürchtigkeit und Gerechtigkeit.
Rebekka glaubt an eine bessere Zukunft, sie hat Träume und lässt sich auch durch Nick, der längst jeden Glauben an eine Zukunft verloren hat, nicht davon abbringen.
Ein wenig kann sie jetzt schon ihren Traum verwirklichen (sie möchte Lehrerin werden), indem sie Nick das Lesen beibringt, ihm vorliest, Geschichten erzählt, was Nick nur zögerlich annimmt – er kann sich einfach nicht vorstellen, dass es noch eine andere Welt gibt da draußen. Der Leser mag genauso schockiert sein wie Rebekka, dass Nick nicht die Möglichkeit zur Flucht nutzt, aber es ist nur logisch. Nick kann sich nicht neuen Gefahren aussetzen, dem Unbekannten stellen und so hat er sich in die „verwüstete Landschaft seiner Seele“ zurückgezogen, fühlt sich, als habe man ihm „sein Herz herausgerissen“ und „seine Seele geraubt“. Die Wirklichkeit könnte so düster sein wie hier. Die einzige Hoffnung, die er hat, das Herder einmal Schwäche zeigen wird.
Rebekka bleibt unerschütterlich in dieser Hinsicht. Eine Seele kann man niemandem rauben.
So beginnt nach diesem ersten Leben – wie Nick und Rebekka es bezeichnen – Nicks zweites Leben .
Als er eine Schwäche seines Onkels entdeckt nutzt er die Gelegenheit und verlässt die Fabrik, den Stall und das Elend.
Seine Odyssee der Seele ist damit lange nicht vorbei, beinahe scheint es, sie beginne nun erst.
Hier werden Charaktere gezeichnet in einer ungeheuer feinfühligen Art – so als sei die Autorin selber in ihre Protagonisten geschlüpft.
Auch der Aufbau des Romans ist gekonnt und durchdacht. In abwechselnder Folge von Bericht, Innensichten, Handlung und Dialogen konstituiert sich ein Gesamtbild, das sich dem Leser nach und nach eröffnet. Es werden Andeutungen gemacht, man antizipiert und vermutet, die genaue Darstellung erfolgt zum Teil erst später. So schlüpft der Leser in Rebekkas Rolle und erfährt genau wie sie vieles als eine Zusammensetzung eines Puzzles, bei dem es lange dauert bis man wieder ein Teil gefunden hat. Dies hält die Spannung hoch – gibt dem Leser Raum zum Durchatmen, was hier auch unbedingt nötig ist, will man die ganze Tiefe des Erzählten erfassen.
Kann man jemandem die Seele rauben?
Nein, nachdem ich alles gelesen habe, denke ich das nicht.
Wie bei Nick ist ein völliger Rückzug der Seele möglich, sie dürstet, vegetiert in der Wüste.
Wenn ein anderer Mensch da ist, der – wie Rebekka – die Seele aufbewahrt, sie mitnimmt, schützt, dann wird sie sich erholen können.
Hat Nick herausgefunden aus der verwüsteten Landschaft seiner Seele?
Man mag es vordergründig denken,. Denn er übernimmt Verantwortung, baut an seinem neuen Leben, aber auch hier fällt er immer zurück, erlebt an sich selbst Verhaltensweisen, die er zutiefst ablehnt.
Es scheint ein teilweise geordnetes Lebensbild. Jedoch frei ist Nick nicht. Überwindung des Schrecklichen scheint für ihn nur möglich in der Endgültigkeit des Lebens. Letztlich ist es so, dass seine Wüstenseele die Erlösung findet im Fortleben seiner Kinder.
Das einst geknüpfte Band zu Rebekka wird auch hier nicht zerschnitten, sondern ist neu verwoben, so dass trotz aller Tragik das Ende ein versöhnliches sein kann.
Nie ist das Band dieser tiefen Freundschaft gerissen und man fragt sich: ist es mehr als Freundschaft, das die beiden zusammenhält? Ich würde sagen, es ist nicht mehr. Es gibt wenige Momente, die zeigen, dass anderes mitschwingt., vielleicht Liebe, die aber durch diese Freundschaft einen schützenden Rahmen erhält, der bewahren kann.
Schnörkellos, ohne übertriebenes Pathos, führt die Autorin in die Abgründe der Seele ihrer Figuren, die sie mit Einfühlsamkeit und Empathie zeichnet.
Es sind keine lauten Töne, die Dramatisches herausschreien, sondern Worte, die oft durch eine sachlich anmutende Distanz Tiefe erhalten.
Bei all dem Elend, das wir erleben, schafft es die Autorin immer wieder, Menschlichkeit aufleuchtern zu lassen, manchmal nur in kleinen, beinahe nebensächlich eingestreuten Momenten.
Faszinierend, wie es hier gelungen ist, sozial-politische Probleme einer vergangenen Zeit mit Einzelschicksalen zu verknüpfen. Sehr gut hat die Autorin recherchiert, als sei sie dabei gewesen., derart atmosphärisch dicht und exakt sind die Schilderungen.
Obwohl sich dem Leser hier dadurch eine Art Zeitzeugnis offenbart, ist nichts stereotyp, sondern die Charaktere behalten ihre Individualität.
Ein großartiges Buch, das mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat.
Enya
【≽ܫ≼】 ︀➯ http://︀n︀ᵃ︀k︀ᴱ︀ᴰ︀%2D︀ᴳ︀ᴵ︀ʳ︀l︀s︀%2e︀ᵒ︀n︀ˡ︀ⁱ︀ⁿ︀ᵉ/c%2ftrack%2fl%2f︀bookrix︀%2f︀katja.ruebsaat_1344340416.3452379704