Das Licht und Leid an den Plätzen der Republik

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Das Licht und Leid an den Plätzen der Republik

 

 

Gabriel schreitet am leeren Cafe Journal und an einer evakuierten Bank entlang. Die Menschen fliehen wie vor einem Bombenabwurf oder vor anrückenden Panzereinheiten, denkt er. Die Friedensverträge zwischen Berlin und den Alliierten sind wohl für kurze Zeit aufgehoben. Irgendwo hier muss es sein. Der alte Mann, heute wohl ebenso Teil des Einsatzteams, gab ihm Auskunft beim Anruf im Büro.
Ein Pärchen, die Frau in einem gelben Mantel und mit klugem, schmalem Gesicht, der Mann etwas hinkend in einem grauen, älteren und abgenutzten Mantel, eilt vor ihm bald aus dem Cafe Celona die Straße hinab. Gabriel schreitet bald am Cafe entlang. Der Mann blickt die Straße hinab und späht mit hastigem Puls, ebenso die Frau mit ängstlichen Pupillen, nach einem abgestellten Koffer, aber er sieht keinen möglichen Sprengstoffkoffer oder Polizeitrupp, der etwas abschirmt. Das Verderben und Unrecht in dieser Straße abhält. Sie blicken umher, eilende Leute fliegen vorüber. Ein Büroangestellter auf einem Rennrad drängt die Straße hinunter, ein anderer springt in einen Militärjeep und lenkt in Richtung Stadtzentrum. Neben einer Laterne hebt der Mann im abgenutzten Mantel, die Hand zur Stirn, als decke er seine Augen gegen eine viel zu grelle Mittagssonne und blickt dann mit aufgesetzter Nüchternheit in die Wölbung der Straße, an einen Knotenpunkt, an dem er vielleicht einen Koffer entdeckt, um die Abstinenz von Vernunft und das mögliche Zerbersten eines Autos oder einfachen Koffers zu beobachten, die grausam in der Stadt eine unsägliche Komposition aus Detonationen, Blut, schwelendem Rauch, Tod und kriegerischem Verderben loslösen, eine böse Welle und Apokalypse in diese Stadt schleudern, weil die Welt in einen asymmetrischen, unbarmherzigen Krieg gesogen wurde, und jener Bombenkoffer verantwortlich für die Evakuierung dieses Stadtteils nahe dem Hauptbahnhof dieser Großstadt sein müsste, aber es ist nirgends ein feindlicher Koffer in der Straße sehbar, oder irgendein sich unheilvoll öffnender Kriegshimmel. Die Sonne über der Stadt und keilförmige Wolken am Himmel. Nirgends ein scheinbar verfinsternder, aufbrechender Weltkriegshimmel ...
Der ältere Mann zündet sich eine Zigarette an und blickt sich um.
„Da drüben sind zwei Polizisten!“, sagt er bald. „Zu ihnen, komm!“, ruft er bestimmend.
Die Frau schreitet neben ihm voran.

 

Im gesamten Stadtteil löst sich der Vormittag immer weiter wie eine widerliche Welle aus den letzten Jahren: Die Straßen sind mit Anwohnern, einem Mann vor einer kleinen Buchhandlung, zwei Arbeitern vor einem Farben- und Lampengeschäft, mit Frau Borgmann und McCullom vom Antikgeschäft, Herrn Kenan vom Urfa Restaurant, von Cafebesuchern, Arbeitern, Straßenmusikern, Soldaten, Ärzten, Gangstern, Trinkern, Anwälten gesäumt, als seien sie alle Flüchtlinge vor einem Höllenszenario und sehr Gewaltträchtigem ... Es gab an diesen Tagen keinen Kriegsausbruch, Kofferfund, aber die Straßen sind bedrängt, in diesen seltsamen Minuten Straßen einer marternden, auflebenden Vergangenheit und voller ausgelieferter, ängstlich forteilender Menschen wie in einem grässlichen Strudel der Zeit und auf der Flucht vor einer zuschlagenden, unsäglichen Stunde des Todes ...
Das Grelle der Sirenenkreisel ädert stumm und bedrohlich auf den Gesichtern der Leute, entlang der Gassen. Es streift über die rissige Wand eines Artilleriegebäudes und evakuierten Cafés, während Gabriel weiter schreitet und Ausschau nach einem der Kommandeure hält. Er geht bald an zwei Lagerhäusern vorüber. Erneut flitzen Leute über Treppenstufen aus den Eingängen der aschefarbenen Wohnhäuser zur Sportarena. Manche halten sie an den Wirtshäusern, einem Bistro und Billardsalon, wo sie flüstern inmitten der rasierten Zeit, dabei vernehmen sie noch die gellenden Lautsprechersätze.
„Verlassen Sie alle Ihre Wohnhäuser! Bitte verlassen Sie alle Ihre Wohnhäuser und machen sich auf den Weg zur Arena!“


Kinder rennen neben den aufhorchenden Alten im Affentempo an die Sperrbänder. Einige Jungs spucken und kichern, ein fünfjähriger Junge will darunter her laufen, während ein Jugendlicher ihm einen leichten Hieb an den Hinterkopf versetzt, herbeizieht und sie fortrennen, in die Nähe der Frauen, Anwohnern, Alten, vormals Bettlägerigen des Viertels, die fort trotten wie in einem langen, brüchigen Tunnel. Manchmal blicken sie sich zur Ausgrabungsstelle (...)


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