Das Amtsgericht hatte für den 17. Januar ein Verfahren wegen des Vorwurfs des mutmaßlich versuchten Bankenbetrugs in zwei Fällen angesetzt und der Richter schritt an jenem Vormittag bereits zum Flur hinaus. Doch noch hörte man nicht dessen der Hauptversammlung geltenden Stimme durch den Gerichtsflur hallen, wie ein hellhöriges Läuten zu einer heiklen, heiklen Angelegenheit. Man hörte das leise Stimmengewirr der vor dem Gerichtssaal 1876 zusammenkommenden Schöffen wegen jener Verhandlung unter dem Aktenzeichen: 117 DS 257/10.
Draußen trat vor der dürren, von Schneeflecken gefleckten Böschung und der Parkplatzschranke der Angeklagte hervor und schritt auf das Gerichtsgebäude zu, ohne es zu betreten. Der anstehende Verhandlungstag, der dreckige Schnee, ein mögliches Urteil, was könnte alles Verfluchtes passieren. Hoffentlich wird der Richter an einer gerechten Lösung interessiert sein und nicht wie ein Feind auftreten, der nur an einem Sieg des Apparates interessiert ist, dachte er.
Der Vorgeladene blickte bald zum Gerichtsgebäude mit den zigfachen, spiegelnden Fenstern, zuvor waren ihm die vielfachen emporkletternden Fenster und die üble, irritierende, hämische Wucht der fünfzig, sechzig Fenster in der Waagerechte, in keins konnte er hineinsehen, noch nie derart ins Auge gesprungen.
Er wandte sich ab vom Justizgebäude und blickte dann umher: Unter zwei von der Winterkälte der Vorwochen geschwächten, kahlen, kargen Bäumen ging ein Arzt entlang. Dann vernahm er das Schreiten dreier Ordnungsbediensteter, die sich mit Koffern zu einem Parkhaus begaben. Unweit vernahm man das Bellen von Hunden. Er blickte die Straße hinab, in der Ferne nahm er Wohnblocks mit rauchenden Schornsteinen und Fenstern in sein Blickfeld. Dürre Wohnblocks, die mit ihren noch dünneren Fenstern das Licht einer verhangenen, grauen Morgensonne abfingen. Das Abbild eines für die meisten Stadtleute gewöhnlichen Wintervormittags.
Doch im Fall der angeklagten Personen Abbild und Darstellung eines außergewöhnlichen Wintervormittags, an dem im Gerichtssaal über die Schuld im mutmaßlichen Bankenbetrug, über Reue und einen möglichen Bruch im Leben verhandelt werden sollte.
Er blickte von den Wohnblocks mit den Arbeitern und vereinzelten Flüchtlingsfamilien zum Himmel und dann wieder zum Gerichtsgebäude. Dann blickte er vom Gerichtsgebäude zum Himmel und wieder zu den Wohnblocks mit dem dünnen, weißen Sonnenlicht.
Die Hauptverhandlung steht wirklich an. Aber es wird sich schon erklären lassen gegenüber dem Richter mit der Sache im September. Hoffentlich wird er nicht wie ein Feind auftreten. Denn wir haben ja niemand gekillt oder einem der Bankangestellten ins Gesicht geschlagen oder die Angestellten erpresst. Vor etwa 16 Monaten hatte er jemanden geschlagen in einer Bar, jemandem in einer Bar gegen 3 Uhr morgens die Nase gebrochen mit einem Kopfstoß, es war dabei zu keiner Gerichtsverhandlung oder polizeilichen Vorladung gekommen, erinnerte er sich, aber in dieser Bankenangelegenheit hatte er keinen der Angestellten geschlagen oder bedroht.
Wenig später war er im Gebäude und hörte den leitenden Richter, der die Sache unter dem Aktenzeichen 117 DS 257/10 endlich aufrief. Der Protokollführer schritt vorneweg und in den Gerichtssaal. Der Vorgeladene schritt bald ebenso hinein. So fand sich er sich im Gerichtssaal Nummer 1876 ein.
Punkt 11:30 Uhr begann die Gerichtsverhandlung.
"Das Amtsgericht verhandelt unter dem Aktenzeichen 117 DS 257/10 gegen Sie, Herr R. -- wegen des Vorwurfs des mutmaßlichen Betrugs von zwei Banken: Der Bank in der Limmerstraße 10 am 10.9.2017 und der Bank in der Hannoverschen Straße 110 am 17.9.2017", schwang die anklagende, bestimmte Stimme des Richters durch den Saal Nummer 1876.
"Stimmt es, dass Sie am 10. September die Bank in der Limmerstraße Nummer 10 mit ihrer Partnerin Sara T. -- aufsuchten?"
Als er zum Richter blickte, sah er dessen schmächtiges Gesicht, die Amtskleidung und das dürre Profil eines etwa 52-jährigen Mannes, der auch sonst wo in einem Verwaltungsapparat eingesetzt werden konnte, dachte er.
Aber er führte hier ja das Wort. Das war jetzt nicht mehr veränderbar. Jemand mit einer immensen Verantwortung, die jetzt die nächsten Jahre in seinem Leben mitentschied, über Freiheit entschied, über eine mögliche längere Haftzeit und schlagende Schatten im Leben. Hoffentlich wird dieser Richter es gerecht und anständig zu Ende bringen.
Die Amtskleidung machte ihn nun zu dem Mann der Justiz und zu einer wirkungsreichen Instanz (...)
"Mittlerweile kann niemand mehr mit gesunden Menschenverstand so manche Urteile nachvollziehen. "
Ich glaube, Deutschland positioniert sich noch sehr gut unter den intakten Rechtsstaaten der internationalen Staatengemeinschaft, die Gesetze haben sich nicht weitestgehend verändert... mehr anzeigen
"Mittlerweile kann niemand mehr mit gesunden Menschenverstand so manche Urteile nachvollziehen. "
Ich glaube, Deutschland positioniert sich noch sehr gut unter den intakten Rechtsstaaten der internationalen Staatengemeinschaft, die Gesetze haben sich nicht weitestgehend verändert und werden auch von der Justiz verteidigt. Vielleicht wird dieser falsche Eindruck, es würden nur lasche Urteile gesprochen, auch durch falsche und zu populistische Berichterstattung in den Medien oder durch gewisse Kreise geweckt.
In der Geschichte jedenfalls gibt es einen klaren Rechtsbruch gemäß der Gesetzeslage, aber für die Protagonisten ist es nicht so eindeutig. Der Vorgeladene versucht sich zwischen einer Loyalität zur ehemaligen Partnerin, noch bestehenden Gefühlen und dem, was noch kommen könnte, zu finden, mit List, schwacher Reue, Ausweglosigkeit.
Und der Richterspruch und das Urteil sprechen ja schon für eine noch intakte Justiz. Aber die Welt der beiden Protagonisten, die wegen des Bankenbetrugs vorgeladen wurden, doch nur er erschien, gerät komplett aus den Fugen ....
Da hast Du natürlich recht!