schön geschrieben. hat mir richtig gefallen, beste gr
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1. Er blickte zu den dünnen Sternen und dem Mond über dem Gebäude und dem dahinter weiterlaufenden Bergkamm. Ismail wandte sich dann dem gewaltigen Gebäude zu, massiv, es schien wie ein eilig im Krieg oder Chaos verlassenes Gerichtsgebäude, ein imposantes, verlassenes, seltsames Verwaltungsgebäude, dachte er. "Im zwanzig Minuten sind wir an der Bar, endlich beim Palo und werden uns gut betrinken", sagte Daniel. "Bestimmt." "Und endlich ein paar Bier und guten, irischen Whiskey bestellen." "Da werden wir auch gleich noch hinkommen", erwiderte Ismail. "Hoffentlich." "Ja." "Aber dieses verfluchte Haus mit den Sektentreffen kannst du nicht einfach im Bergkamm zurücklassen? Dann marschieren wir direkt weiter zur Französin und zur Bar." "Das mit den Sektentreffen ist bestimmt nur Gerede Es ist nur ein Drecksgebäude mit Spritzen, ein paar Ratten und Obdachlosen wohl in den verwahrlosten, verdreckten Zimmern." "Das Gerede klingt anders." "Man wird es gleich sehen", erwiderte Ismail. Sie befanden sich nach einem Fussmarsch am Pfad vor dem riesigen, in der Finsternis noch mit mächtigen Konturen dem Verfall entgegen arbeitenden Gebäude. Es befand sich etwa 250 Meter vor dem höchsten Punkt des Bergkamms und gehörte einst einem Tabakunternehmer, wussten sie. Es waren etwa zwei Kilometer hinunter zur unbefahrenen, nächsten, beleuchteten Straße der Kleinstadt. Sie hielten inne, ihre Taschenlampen leuchteten über das wildwuchernde, verfinsterte Gelände und dann blickten sie wieder empor zu einer veränderten, grotesken Szene: tatsächlich wie zu einer bedrohlichen, fahlen und majestätischen Stätte, an dem vielleicht wirklich Rituale einer Sekte durchgeführt wurden, wie an einem Opferstein der Inka oder Antike, dachte Ismail für Sekunden, ohne es auszusprechen und es dann wieder belächeld. Es war sehr verstörend. Herrje! Ein seltsamer, unheimlicher Gegenentwurf zum stillen, kleinstädtischen Bild. Es war - mitten im Bergkamm - fast wie an einem Justizgebäude oder einer im Krieg beschlagnahmten Villa oder Kaserne, mit hohen Türpforten. Es gab einige, dünne Sterne am Himmel. Und das schwache, blakende Licht und eine schwache, kaum vernehmbare Stimme in der obersten Etage des Gebäudes. Daniel war nach dem Soldatendienst in der Jägerkaserne hergekommen, Ismail nach seiner Rückkehr als Fotoreporter aus einem Kriegsgebiet zum Treffpunkt in der Kleinstadt am Wettbüro mit den Werbeplakaten zu Boxveranstaltungen und zu von der Polizei ausgeschriebenen Fahndungsplakaten nach Juwelierdieben und Casinoräubern an der Litfasssäule hergekommen. Die Palo Bar, auf dem Bergrücken, hatten sie länger nicht besucht. Jetzt waren sie an der vorderen Seite des Bergkamms an einem wilden, unebenen, unbetretenen Pfad hinausgeschert, eine Steigung hinaufgeklettert und direkt vor dem ehemaligen Tabakunternehmerhaus. Sie waren ein ordentliches Stück den Bergkamm hinaufmarschiert. Ismail beschloss vor dem Weitermarschieren zum Palo das Haus etwas auszukundschaften. Bald stieg Ismail alleine hoch, in der Jackentasche steckte sein Messer, wie in einen verschlagenen Winkel einer mysteriösen, stillen, abgelegenen Welt ... Schon wenig später hörte er Daniel in einiger Entfernung an den Stufen zum Haus und spürte seinen stärkeren Puls. Er ging weiter. Plötzlich drängte sich sehr stark die Vergangenheit dieses Hauses auf, die Verwicklung von Materiellem, menschlichen Schicksalen, besserer Vergangenheit und bleibenden Bedürfnissen der Menschen, nach Status, nach Reichtum durch Kaufmannsgeschick, Fleiß. Dann dachte er an irgendeine Verschlagenheit, an Triumphe, an das Fabrikantensein, an Erschütterungen durch Kriege und Verwandlungen von Gesellschaften nach 1945, an verwundete Menschen und niedergerungene Träume, an das einfache Brot, an das Geld für mehr im Leben, an die Welt mit ihren Gezeiten aus Krieg und Frieden, Recht und Rechtsbrüchen, mit den schweren Umbrüchen im Leben ... Bald leuchtete er im Raum neben dem Geländer auf den Boden, auf dem Drogenpfeifen lagen. Zudem lose Zeitungsblätter mit Schlagzeilen zu Juwelierdieben aus irgendeiner, fast erloschenen Zeit herumflatterten. Dann leuchtete er über Kleidungsstücke, verbrannte Möbelstücke und Wände. Dann schritt er einen Korridor entlang. Mit dem Taschenlampenkopf schob er eine Tür zu einem zweiten Flur auf, an dessen Ende plötzlich Lichtfunken irgendwohin flohen und umher schwirrten wie Fliegen ... Es roch nach Essen, nicht nach verfaulenden Essensresten, an die sich Ratten heranmachten, sondern nach frischem Essen und Bier. Er sah das irritierende Licht einer Petroleumlampe im Raum. Vielleicht befand sich ein Obdachloser hier, vielleicht ein Sektenmitglied oder Gangster. Jetzt war er ganz oben und schritt, mit dem bereiten Messer in der Tasche, in den abgelegensten Winkel des Hauses schließlich zu jenem Mann, der mit der Ordnung und dem Bau seines Lebens gebrochen hatte, der vor der Polizei geflohen war, (...)
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