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Leseprobe

Metainformationen zum Buch

Sonja bleibt im Park in einer vom Regen aufgeweichten Wiese mit ihren Rollstuhl stecken. Martin kommt ihr zunächst zögernd zur Hilfe, woraufhin sie sich über den Park, die Stadt und den ganzen Rest unterhalten. Beide sind auf ihre eigene Weise einsam und Einsamkeit sowie Scheinfreundschaft in sozialen Netzwerken, dubiose Bekanntschaften über das Netz werden auch auch zum Thema. Sonja ist mißtrauisch aufgrund schlechter Erfahrungen mit Bekanntschaften im Netz. Trotzdem verabreden sich beide, woraufhin sie sich jeder für sich die Frage stellen, ob sie ihre Einsamkeit durchbrechen sollen und wirklich zum Treffen erscheinen.

Festgefahren

Inhaltsverzeichnis

  1. Titelei:
    1. Titelseite
    2. Metainformationen
    3. Epigraph
    4. Vorwort
      1. Zum Inhalt
      2. Technisches
  2. Erzählung: Festgefahren
  3. Anhang: Titelblatt (Vektorgraphik)

Epigraph

Um die Einsamkeit ist’s eine schöne Sache, wenn man mit sich selbst in Frieden lebt und was Bestimmtes zu tun hat.

Johann Wolfgang von Goethe

Es kämpft jeder seine Schlacht allein.

Johann Christoph Friedrich von Schiller

Überlege wohl, bevor du dich der Einsamkeit ergibst, ob du auch für dich selbst ein heilsamer Umgang bist.

Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

Ich muß viel allein sein. Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.

Franz Kafka

Es ist dumm, sich über die Welt zu ärgern. Es kümmert sie nicht.

Marc Aurel

Auch Einsamkeit hat ihre Gecken, und sie verraten sich meist dadurch, daß sie sich als Märtyrer aufspielen.

Arthur Schnitzler

Mancher Mensch hat ein großes Feuer in der Seele, und niemand kommt, um sich daran zu wärmen.

Vincent van Gogh

Vorwort

Zum Inhalt

Die Handlung der Erzählung spielt im nördlichen Teil des Georgengartens, einem der Herrenhäuser Gärten in Hannover. Vom Charakter her haben beide Personen der Erzählung Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, eine Ähnlichkeit, welche natürlich beabsichtigt ist, Namen sind allerdings geändert.

Technisches

Die skalierbaren Vektor-Graphiken im Buch haben eher dekorativen Charakter. Es handelt sich um abstrahierte Graphiken den Ort des Geschehens betreffend oder aber Portraits von Personen der Geschichte, jedoch stellen diese keineswegs Darstellungen von realen Personen dar, insbesondere keinesfalls jenen mit oben erwähnter Ähnlichkeit im Charakter.

Technisch wurden bei diesem EPUB einige Hilfen integriert, um dem Leser besseren Zugang zum Inhalt zu ermöglichen. Es gibt etwa verschiedene Stilvorlagen, zwischen denen gewählt werden kann. Bei einem Darstellungsprogramm, welches EPUB komplett interpretieren kann, wird eine solche Auswahlmöglichkeit verfügbar sein. Von daher kann somit leicht zwischen heller Schrift vor dunklem Grund sowie dunkler Schrift vor hellem Grund gewechselt werden. Für eigene Einstellungen eignet sich der ebenfalls alternativ verfügbare einfache Stil, welcher lediglich einige Strukturen hervorhebt oder anordnet.

Wem der voreingestellte Stil weniger zusagt, kann einfach einen anderen Stil zum Beispiel nur mit der üblichen, schlichten visuellen Hervorhebung von Absätzen lediglich durch einen vergrößerten Abstand zum Absatz davor oder danach auswählen, beziehungsweise die Interpretation von Autoren-Stilvorlagen komplett deaktivieren, stattdessen eine eigene Stilvorlage verwenden.

Einige Darstellungsprogramme sind allerdings fehlerhaft, bieten keine Wahlmöglichkeit an. Falls der voreingestellte Stil dann suboptimal empfunden wird, gilt die Empfehlung zur Verwendung eines leistungsfähigeren Programmes, welches EPUB korrekt interpretiert.

Einige alternative Stile variieren spielerisch klassische Methoden der Textdekoration.
So ist der Stil Rubri entstanden, als Rückbesinnung auf Initiale sowie Rubrikationen.
Rubrikationen sind alte Techniken, um besondere Textstellen in Werken hervorzuheben. Mitnichten erst seit Gutenberg wird in Druckwerken rubriziert, bereits von den alten Ägyptern ist Rubrizierung bekannt.
Initiale, Versalien oder Majuskeln als besondere Kennzeichnung von Abschnitten von Werken sind etwas jünger, vermutlich aber ebenfalls bereits mindestens eintausendfünfhundert Jahre im Gebrauch, ursprünglich etwa verwendet, um Anfänge von Gedichtzeilen oder Strophen besonders hervorzuheben. Dies wurde aus der Poesie dann ebenfalls in die Prosa übernommen. Die Initiale sorgt durch ihre Größe, Innenabstände, Positionierung für den Effekt der besonderen Kennzeichnung des Anfangs einer selbständigen Substruktur im Werk, bei dieser Stilvorlage eben am Beginn von Absätzen.
Rubri-D ist eine Variante von Rubri samt heller Schrift vor dunklem Grund.

Zwei weitere Variationen zum Thema Kennzeichnungen von Absätzen sind mit den Stilvorlagen Alinea sowie D-Alinea verfügbar. Neben Rubrizierung einiger Strukturen sowie der Einrückung von Absätzen verwenden diese beiden Stile zur Kennzeichnung von Ende und Anfang eines Absatzes das Absatzzeichen Alinea, zudem eine gespiegelte Variante davon. D-Alinea ist eine Variante inklusive heller Schrift vor dunklem Grund, bei Alinea liegt dunkle Schrift vor hellem Grund vor.

Mittels der Stilvorlagen Ecke sowie D-Ecke werden ferner Einrückungen von Absätzen sowie Überschriften stark betont, insbesondere weil Absätze und Überschriften in farblich leicht anders hinterlegte Boxen einschließlich abgerundeten Ecken gefaßt sind, welche passend zur Einrückung links oben die stärkste Abrundung aufweisen, welche Einrückungen des Textes plausibel oder gar notwendig macht.

Stil Element thematisiert besonders semantische Textauszeichnung, macht diese für einige Elemente als Marginalien sichtbar. Daneben werden einige wichtige Attributwerte ebenfalls sichtbar gemacht.

Verfügbare alternative Stilvorlagen:

  • hell auf dunkel: Hellgraue Schrift vor dunkelgrauem Hintergrund
  • dunkel auf hell: Dunkelgraue Schrift vor hellgrauem Hintergrund
  • finster: Helle Schrift vor dunklem Hintergrund, farbige Variante
  • vergilbt: Dunkle Schrift vor hellem Hintergrund, farbige Variante, Voreinstellung
  • Pogo: Stil im blau-violetten Bereich samt Farbverlauf als Hintergrund – wie der Name schon andeutet hinsichtlich des Lesevergnügens etwas aggressiver, fordernder
  • blau: Blauer Stil, dunkle Schrift vor hellem Grund
  • grün: Grüner Stil, dunkle Schrift vor hellem Grund
  • Rubri: Stilvorlage samt Rubrizierung sowie Initiale
  • Rubri-D: Stilvorlage samt Rubrizierung sowie Initiale, dunkler Stil
  • Alinea: Stilvorlage samt Rubrizierung sowie Alinea, heller Stil
  • D-Alinea: Stilvorlage samt Rubrizierung sowie Alinea, dunkler Stil
  • Ecke: Stilvorlage mitsamt stark betonter Einrückung, heller Stil
  • D-Ecke: Stilvorlage mitsamt stark betonter Einrückung, dunkler Stil
  • Tag: Ein einfacher, heller Stil
  • Nacht: Ein einfacher, dunkler Stil
  • Schatten: Einfacher Stil einschließlich Schatteneffekten
  • Kante: Semantische Strukturen sind mit Kanten hervorgehoben
  • Rand: Semantische Strukturen sind mit Rändern hervorgehoben
  • Gauß: Semantische Strukturen sind durch Hintergrundfarben mitsamt diffusen Rändern hervorgehoben
  • Struktur: Semantische Strukturen sind durch Hintergrundfarben hervorgehoben
  • Element: Am linken Rand werden einige Elemente als Randnotiz benannt, wichtige Attributwerte werden zudem explizit angegeben; eine Hilfe zur Textanalyse aufgrund der semantischen Textauszeichnung
  • einfach: Einfacher Stil ohne Farbangaben, besonders geeignet zur Kombination mit eigenen Vorgaben
  • kein: keine Autorenstilvorlage, besonders geeignet zur Kombination mit eigenen Vorgaben

Autorin sowie Mitarbeiter dieses Buches haben keinerlei Einfluß auf Mängel, Fehler, Lücken in der Interpretation von EPUB durch das jeweils verwendete Darstellungsprogramm. Bei Darstellungsproblemen sollten diese zunächst analysiert, lokalisiert werden. Dazu kann es unter anderem als erster Schritt helfen, mit verschiedenen Programmen auf Reproduzierbarkeit zu prüfen oder auch mit speziellen Prüfprogrammen zu verifizieren, daß insbesondere im Buch selbst wirklich kein Fehler vorliegt.
Entsprechend wird es anschließend möglich sein, eine zielführende Fehlermeldung korrekt zu adressieren. Die Autorin sowie Mitarbeiter können je nach Fehler durchaus die korrekten Ansprechpartner sein. Bei der Qualität aktueller Darstellungsprogramme können dies jedoch gleichfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit die Entwickler dieser Darstellungsprogramme sein. Entsprechend sind möglichst präzise Angaben zum Problem bei einer Fehlermeldung immer hilfreich.
Generell ist die Fehlerrate bei Darstellungsprogrammen vom Typ Brauser gängiger Anbieter deutlich geringer als bei speziellen Programmen oder Erweiterungen für Brauser zur Interpretation von EPUB. Insofern kann es bei größeren Problemen mit der Darstellung ebenfalls ein Ausweg sein, das EPUB-Archiv zu entpacken (es handelt sich bei EPUB immer um ein Archiv vom Typ ZIP, das Buch alsdann direkt im Brauser zu lesen, wozu zunächst die Datei Inhaltsverzeichnis.xhtml im Verzeichnis Inhalt aufzurufen ist, um einen Einstieg in die Lesereihenfolge sowie einen Überblick über den Inhalt zu bekommen. Über die Verweisfunktion des Verzeichnisses kann anschließend jeweils der gewünschte Inhalt aufgerufen werden.
Dieses Vorgehen kann gleichfalls nützlich sein, um Probleme oder Fehler zu lokalisieren. Bei Einzeldokumenten sind überdies andere Prüfprogramme verwendbar.

Bei automatischen Konversionen dieses Buches im Format EPUB in andere Formate können diverse Mängel auftreten, welche sowohl an Fehlern sowie Problemen naiv, einfach konzipierter Konversionsprogramme als auch an dem Format liegen können, in welches konvertiert wird. Autorin sowie Mitarbeiter dieses Buches haben keine Kontrolle über spätere Manipulationen oder Formatkonversionen, haben also keinen Einfluß auf die komplette Verfügbarkeit von Inhalten oder Hilfen solch manipulierter Versionen. Empfohlen wird daher dringend die Verwendung des unveränderter Originals, ferner die Präsentation dieses Originals mittels eines leistungsfähigen Darstellungsprogrammes.

Manuell ist eine Vereinfachung einiger Techniken sowie Merkmale des Buches recht problemlos möglich. Inhalte können anders aufbereitet werden, damit diese auch in verminderter Qualität in anderen Formaten verfügbar werden. Insbesondere bei wohl noch immer recht beliebten proprietären Amazon-Formaten (Mobipocket oder KF8) ist die Erstellung eines passend vereinfachten EPUBs relativ einfach, aus welchem sich ein lesbares Buch in diesen minderwertigeren Formaten erzeugen läßt, sofern hinreichende Kenntnisse hinsichtlich EPUB samt der Möglichkeiten dieser Formate vorliegen.

Festgefahren

Entspannt, mit ausgestreckten, gekreuzten Beinen saß Martin auf einer Parkbank. Es war früher Nachmittag sowie Freitag, für diese Woche hatte er genug geforscht. Als Glück im Unglück konnte er bezeichnen, daß seine Meß-Apparatur erst einen Defekt aufwies, als bereits reichlich Daten gemessen, gesammelt, abgespeichert waren, nachdem er diese Woche praktisch durchgearbeitet hatte. Natürlich waren seine Meß-Anlagen derart angelegt und konfiguriert, daß bei Messungen immer gleichzeitig automatisch vom Meßrechner gespeichert wird, von daher bedeutete ein Defekt keinen Datenverlust. Bei einigen Typen von Meßreihen kann indes erst ab einer gewissen Länge mit statistischer Signifikanz gerechnet werden. Dies Kriterium war immerhin erreicht, also sicherlich keine vergebliche Woche. Wochen vergeblicher Mühe hatte es natürlich auch bereits reichlich gegeben, aber Martin war ziemlich resistent gegen Frustration, konnte hartnäckig sein, brachte deswegen durch systematisches Vorgehen alles wieder auf die Reihe sowie in Ordnung. Ordnung und ebenso Relevanz ist natürlich zum guten Teil auch immer eine Frage der Sichtweise, abhängig davon, welche Weltsicht vorliegt oder wie interpretiert wird, was gemessen, erlebt wird, wie jemand die eigene Person, nebstdem eigene Handlungen sieht. Martin dachte öfter darüber nach, reflektierte zudem über sein Selbst, sein Tun, das Universum und den ganzen Rest sowieso, solcherlei Fragen interessieren ihn, darin liegt auch ein guter Teil seiner Motivation, überhaupt Forschung als primäres Ziel anzusehen, dazu kommt automatisch die hartnäckige Notwendigkeit einer immer wiederkehrenden Reparatur defekter Geräte, ohne Frust weitermachen teils erst, um nach langer Durststrecke irgendetwas vorweisen zu können, was er für von Belang hielt.

Messungen kann man versuchen zu reproduzieren, kann eigene Irrtümer oder jene von anderen prüfen, überdies aufdecken, vieles besser machen. Zwar ist ebenfalls diese Welt ein Rätsel, aber wahrlich deutlich weniger rätselhaft, deutlich durchschauberer noch als Menschen es für Martin waren. Daher fühlte er sich trotz aller Unwägbarkeiten und überraschender Ereignisse in seinem Labor oder vor seinem Rechner ziemlich sicher, anders als im Umgang mit anderen Personen. Gut, mit denen kam er auch zurecht, solange bloß flüchtige Begegnungen stattfanden, soziale Belanglosigkeiten. Im näheren Kontakt jedoch waren ihm Menschen seltsam fremd – und dennoch, wer ist schon gerne immer allein in der Welt, von der er wahrlich gleichfalls mitnichten behauptete, wirklich viel davon verstanden zu haben, wenn auch auf seinen Spezialgebieten vielleicht mehr als die allermeisten anderen. Menschenwerk, solcherlei Sicht von Menschen auf Dinge, Sachverhalte, Wahrnehmungen, all dies ist im Grunde einfach, leicht systematisch zerpflückbar sowie analysierbar wie eigene Ideen. Menschen hingegen sind nicht einfach, unterbinden zudem meist überdies Störungen, Widerspruch, Korrektur, wenn andere ihre Sicht der Dinge bereits eingehend untersucht, hernach verworfen hatten. Menschen waren daher für Martin immer kompliziert sowie schwer interpretierbar.

Trotz des Defektes konnte er im Grunde halbwegs zufrieden sein, wenngleich immer ein unschönes Gefühl aufkommt, wenn die Woche trotz einer defekten Apparatur abgeschlossen wird. Aber gleichfalls ist als wichtig einzustufen, was ebenfalls guttut: Gelegentlich eine Pause einlegen, sein eigenes Leben nicht komplett unter Arbeit vergraben, Aufmerksamkeit ganz anderen Dingen schenken. Also hatte er alles stillgelegt, Daten gesichert, hatte für diese Woche Feierabend gemacht. Abschalten und Ausspannen zur rechten Zeit ist wichtig, auch oder gerade wenn man allein auf sich gestellt ist, jegliche Arbeit nahezu selbst einteilt. Gerade dann ist die Versuchung einer Ablenkung groß: entweder irgendwo bei Nebensächlichkeiten versacken oder nichtsdestotrotz gar kein Ende finden, Nebenschauplätze priorisieren. Da wären mehr soziale Kontrollen durch andere durchaus nützlich gewesen, darauf konnte Martin kaum zurückgreifen, er mußte selbst sein Gleichgewicht, seinen Weg finden, da würde ihm letztlich niemand sonst helfen wollen oder gar können.
Nächste Woche war also Reparatur angesagt, ferner natürlich Auswertungen aller Daten, welche während seiner Messungen lediglich grob mit einem seiner Programme vorausgewertet waren, um deren Qualität beurteilen zu können. „Egal jetzt!“ dachte er sich, streckte seinen Leib, gähnte „Schluß für diese Woche!“

Eine aus seiner Sicht attraktive Frau, vielleicht etwas jünger als er, hatte offenbar den Entschluß gefaßt, jene Wiese des Parks mitsamt ihrem Rollstuhl zu queren sowie damit vermutlich den Weg abzukürzen. Martin schaute interessiert, wie sich das entwickeln würde, ihre Absicht schien ihm nicht allzu schlau, denn es hatte kürzlich ergiebig geregnet, häufigere Schauer über Tage, ferner war auf ihrem Weg diese Wiese an einer Stelle ziemlich tief, da würde ihr Vorhaben vermutlich zum Einsacken kommen. Aber ihre Aktion wirkte forsch, resolut, wie diese Frau da so durch die Gegend rollerte. Bei so viel offensichtlichem Willen wollte Martin keinesfalls sofort oberschlau eingreifen, auf wahrscheinliche Probleme dieser Wiese hinweisen – einer aufmerksamen Beobachterin sollte eigentlich klar sein, daß man da, wenn überhaupt, bloß sehr zügig und mit viel Kraft durchkommen konnte. Ansonsten war nicht so viel los im Park. Da würde also auch sonst niemand eingreifen oder gar helfen, mahnen. So bot sich für Martin einfach an, das aufkommende Drama in aller Ruhe zu verfolgen. Irgendwie setzte er gleichfalls sowieso lieber auf einen eigenen Irrtum, zu gerne wollte er erkennen, daß diese beherzte Frau ihre Lage, Fähigkeiten doch besser einschätzen konnte als er von seiner komfortablen Position auf der Parkbank aus. Diese couragierte Dame mußte sicherlich deutlich besser als er wissen, wie ausgeprägt ihre Fähigkeiten sind, wieviel Kraft ihre Hände aufzubringen vermochten. Im Grunde war dies ein einfaches Experiment. Er war folglich gespannt darauf, ob seine Prognose zutreffen würde oder ob er einmal mehr überrascht würde. Bereits an trockenen Tagen war diese sogenannte Hundewiese sicherlich keineswegs so einfach mitsamt eines Rollstuhls durchquerbar, denn jener Rasen war mitnichten besonders gepflegt, jene Fläche keinesfalls besonders eben.

Am Rand ist diese Wiese noch ziemlich eben und fest, von daher kam die energische Dame zunächst hinlänglich gut voran, aber im Folgenden wurde ihr Mühen sichtlich anstrengender, was diese bei ihrem Drang jedoch mitnichten weiter abhielt. Martin behielt letztlich Recht mit seiner Vermutung, schnell war ihr Rollstuhl in jener feuchten, beinahe sumpfigen Wiese eingesackt. Waren Spuren des Rollstuhls über den Rasen anfangs zunächst unbedenklich gewesen, gruben dessen Reifen nun tiefe Rillen durch den weichen Boden, woraufhin jene unbeirrbare Rollstuhlfahrerin überdies längst feststeckte. Martin nickte, dies Ergebnis paßte gut zu seiner vorherigen Abschätzung. Frühere gelegentliche Gänge quer über die Wiese hatten ihn mit dem weichen Boden um jenen Bereich unlängst bekannt gemacht. Ihre Position des Steckenbleibens hatte er so auf vielleicht zwei Meter genau geschätzt, nicht schlecht, obwohl er bislang heute gar nicht über diese Wiese geschlendert war, zudem selbst keine Erfahrung mit Rollstühlen hatte.

Es war wahrlich keine gute Entscheidung gewesen, dort langzurollern, im Park sind genug Wege angelegt, welche überdies für Rollstuhlfahrer gut brauchbar sind, wozu also unbedingt über diese Wiese?
Abenteuerlust?
Eine Variante zu dem Vandalismus jener Leute, welche unbedingt mitsamt ihren Sportfahrrädern quer durch den Wald rasen müssen, statt auf Wegen zu bleiben?
Solch eine Vorstellung einer vandalierenden Rollstuhlfahrerin amüsierte Martin ebenfalls ein wenig. Gleich darauf allerdings dachte er nach, befand derlei Ideen als Vorurteil, warum sollte man Rollstuhlfahrern in dieser Hinsicht mehr oder weniger zutrauen als Zweibeinern oder Radfahrern, wobei letztere jene Wiese nicht zu durchqueren versuchen, sondern meist innerhalb dieses Parks lieber auf dem Weg blieben. Es hatte bereits einmal einen Unfall im unbeleuchteten Park aufgrund eines temporären Kunstwerkes gegeben, welches einem nächtlichen Querbeet-Radfahrer ohne Licht einen beherzten Salto über das Vorderrad hatte machen lassen. Ortskundige waren hier also eher vorsichtig.

Jene zielstrebige Frau wirkte allerdings eigentlich nicht vandalistisch, wie gehabt entschlossen, geradezu irrational konsequent, arbeitete munter weiter – im Grunde den Rollstuhl tiefer ins Erdreich hinein, sah weder links noch rechts, werkelte ziemlich verbissen, unbeirrt, zupackend trotzig.
Übrigens – den Vandalen wird stark übertrieben schlechtes Benehmen sowie willkürliche Verwüstung nachgesagt, dieses antike Volk unterschied sich dabei nicht signifikant von anderen Völkern der Antike, hatte lediglich von einflußreichen Leuten einen schlechten Ruf verpaßt bekommen.

Martin schien, also sei diese schneidige Rollstuhlfahrerin mit ihrer rechten Hand ein bißchen unsicherer, kraftloser bei der Sache, was ihre Angelegenheit sicherlich momentan mehr erschwerte. Aber er wollte erst einmal bei dem Spaß nicht stören und blieb so weiter entspannt auf seiner Bank, beobachtete lediglich interessiert. Wenn derlei Aktionen jetzt kein neuer Trend würden, somit plötzlich hunderte von Rollstuhlfahrern diese Wiese durchwühlen würden, wäre eine Erholung des Rasens problemlos möglich, kein wirkliches Problem also.

Im Grunde lief gerade automatisch ab, was seinen Fähigkeiten praktisch exakt entsprach – messen, beobachten, mal eine Hypothese aufstellen sowie prüfen, allein sein Ding durchziehen, im Anschluß einen Artikel drüber schreiben, mal einen Vortrag halten, mal zu einer Konferenz damit fahren. Bei Personen hatte Martin keine ausgeprägten Affinitäten, sozialen Kompetenzen, was ihn unterdessen mitnichten sonderlich störte, Kontakte mit Kollegen reichten im Grunde innerhalb vergangener Jahre, aber in letzter Zeit war es irgendwie noch stiller um ihn geworden, da fühlte er sich längst ein wenig allein.
Hatte er sich zurückgezogen oder waren seine Bekannten während der letzten Jahre einfach allmählich bedingt durch den Beruf fortgezogen in die Welt?
Aber so ist das eben. Dinge ändern sich. Wer weder Neigung noch Talent beim Knüpfen neuer Kontakte hat, sitzt eben irgendwann, eher früher als später allein auf irgendeiner Parkbank, beobachtet dabei nur noch, wie das Leben anderer munter vorbeizieht, was Menschen so treiben, welche man ohnehin lediglich mangels detailliertem Verständnis bloß verwundert zur Kenntnis nehmen kann.
Auf andere zugehen?
Das war für ihn problematisch, mitnichten seine Sache, Spezialität, Neigung. Er war eben ein Eigenbrötler. Es mußte einen konkreten Anlaß geben, um auf andere zuzugehen, damit derlei Konfrontationen mit anderen Personen Sinn ergaben. Kontakt fiel ihm nicht einmal besonders schwer, solange jedenfalls ein definiertes Thema, eine definierte Motivation vorlag. Fragte man ihn, so gab er gern Auskunft, half gern im Rahmen seiner Möglichkeiten. Persönlich war er hingegen lieber wie folgt vorgegangen: Bei eigenen Recherchen bleiben, selber probieren, experimentieren, Lösungen selber finden, statt andere danach fragen.

So beobachtete er gleichfalls jetzt eine ganze Weile, bis er auf jenes doch offensichtliche Problem jener Rollstuhlfahrerin zu reagieren bereit war.
Diese hatte sich nicht einmal umgedreht, um Hilfe gerufen oder gebeten, hatte bislang ebenfalls kein Mobiltelephon gezückt.
Was sollte er jene zielsichere Person also belästigen, damit in eine peinliche Lage bringen?
Immerhin hatte diese sich den Schlamassel selbst eingebrockt, da dürfte wahrhaftig unangenehm sein, von anderen gleich unaufgefordert angesprochen zu werden, noch bevor der eigene Fehler selbst verarbeitet ist.

Es kam ihm schließlich jedoch in den Sinn, wenn jene Frau so eigensinnig und eigenbrötlerisch wie er wäre, so würde weiterhin einige Zeit vergehen, bis diese ihren Blick nach Hilfe schweifen ließ. Bei solcherlei Einstellung und vielleicht mit wenigen Bekannten hatte jene Dame vielleicht überdies kein Mobiltelephon dabei, immerhin ein möglicher Sachverhalt, wenngleich vielleicht unterdessen etwas unbedacht, wenn jene couragierte, zielstrebige, entschlossene Frau trotz ihrer besonderen Merkmale auf solche Abenteuer Lust hatte, dazu aufgelegt war. So nickte er also, zog seine Beine an, stand gemütlich auf, schlenderte schräg von hinten an das Elend heran, welches sich in Form jener immer noch eifrig, nun allerdings doch etwas nachlassend werkelnden Frau manifestiert hatte. Ganz so unbeirrbar war ihre Erscheinung nicht mehr, gleichwohl nichtsdestoweniger beeindruckend.

Angekommen fragte er, was ihm garantiert keinesfalls besonders leicht fiel, betont ruhig und nebenbei: „Darf ich vielleicht helfen?“
Die Frau hielt inne, schaute, wobei ihr Blick Martin folgte, welcher weitergegangen war, nun mit geringem Abstand neben ihr stand, nebenbei insgeheim feststellend, daß der Boden hier beileibe ziemlich aufgeweicht war.

Zögernd nickte die Frau: „Vermutlich komme ich hier allein höchstwahrscheinlich nicht mehr raus!“
Martin bestätigte: „Stimmt, eine festgefahrene Situation, schwierig, den gesamten eigenen Leib wieder an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Es hat bekanntlich länger geregnet, da ist derlei Sumpfigkeit hier an dieser Stelle des Parks keineswegs so überraschend.“
Seine Gesprächspartnerin räumte ein: „Ich hatte den kürzlichen Regen für den Moment meines Impulses vernachlässigt, war hier bislang zudem niemals zuvor. Mein Gedankenblitz ging dahin, mal mutig drauflos fahren. Nun erfolgt allerdings eine gewisse Ernüchterung samt Feststellung, daß ich mich in eine schwierige Situation manövriert habe.“
Martin nickte: „Naja, bekommen wir schon wieder hin. Sollte gemeinsam kein Problem sein.“
Anschließend faßten seine Hände beherzt hinten die Griffe an, zogen den Rollstuhl rückwärts. Dies Unterfangen war anfangs relativ schwer, weil ihr Rollstuhl bereits ordentlich festgefahren, eingegraben war, aber allmählich ging seine Rettungsaktion doch voran, bald war ihr Stuhl aus den Spuren gedreht, daraufhin zügig weiter aus dem Matsch gezogen, weg von der aufgeweichten Stelle zurück auf den festen Weg. Wie so oft hatte konzentriertes, methodisches Vorgehen zügig zu einer Lösung geführt.

Den Rasen jener Wiese verunzierten hingegen unschöne Spuren, so daß Martin unbemerkt von Sonja nach einem Blick darauf sein Gesicht verzog. Dieser Anblick wirkte ziemlich unerfreulich, unangemessen, war indes nun nicht mehr zu ändern, obwohl jene Furchen im Rasen Martin leicht quälten.
Auf dem Weg angekommen kommentierte dieser: „Gut, dieses Problem hätten wir erledigt.
Besser vermutlich auf dem Weg bleiben, wohin wolltest du eigentlich?“
Diese Frau war sichtlich unzufrieden mit sich, Unterstützung benötigt zu haben, sprach gleichwohl: „Danke für deine Hilfe. Ich war eigentlich ohne dringliches Ziel unterwegs, einfach mal raus, was unternehmen, irgendeine Gegend selbständig erkunden, dazuhin erlangte jener steinerne Pavillon dort meine Aufmerksamkeit, wollte mal genauer angesehen werden.“
Martin erwiderte: „Oh, den. Da geht zwar ein Weg drumherum, aber jener Pavillon selbst hat unten ein paar Treppenstufen, drinnen steht noch eine Büste von Leibniz, diese ist folglich also aufgrund des Rollstuhls schwieriger erreichbar, also Leibnizens Büste, nicht jener Pavillon drumherum. Ist sozusagen weder zugänglich noch barrierefrei, ein älteres Bauwerk eben, deutlich über zweihundert Jahre alt. Ich kann bei Bedarf mal mitkommen, will dir aber nicht lästigfallen.“
Sie schüttelte ihr Haupt, worauf eine ihrer Hände kurz nachdenklich durchs Haar fuhr: „Nein, ist schon in Ordnung, meine Name ist übrigens Sonja.“
Sonja sah zu Martin auf, während beide damit begonnen hatten, den Weg entlangzuschlendern.
Der Angesprochene erwiderte indessen knapp: „Martin“.
Daraufhin schwiegen beide kurze Zeit, flanierten locker mit angemessenem sozialen Abstand, jedoch nebeneinander in gleicher Richtung.

Sonja sah ungern einfach so grundlos zu jemandem auf, besonders jetzt, wo ihre Behinderung verhinderte, einfach aufzustehen, um Leuten von sich aus auf Augenhöhe zu begegnen, so mied Sonja nun, den Blick Martin zuzuwenden. Daß er ihre Karre aus dem Dreck gezogen hatte, behagte ihr ebenfalls keineswegs so richtig, obwohl Sonja eingestehen mußte, ohne Hilfe wären ziemliche Probleme aufgekommen. Doch prinzipiell war es selbstverständlich keinesfalls sein Verdienst, ihre Wahl, daß er ging, sie jedoch rollte. Sonja konnte bis heute nicht richtig verdauen sowie akzeptieren, daß sie nun so ihr weiteres Leben durch die Gegend rollern sollte, aber sie mußte sich wahrscheinlich dran gewöhnen, ihr Los schließlich irgendwann hinnehmen. Je eher Akzeptanz gelänge, desto besser wäre ihr selbständiges Weiterkommen.

Am Pavillon angekommen umkreisten beide diesen. Dieses Ziergebäude, auch Leibniztempel genannt, ist vom Grundriß her rund, besteht unten aus Stufen, darauf tragen massive ionische Säulen ein hohes Kuppeldach mitsamt einer lateinischen Inschrift oder jedenfalls einer lateinisch anmutenden Inschrift, welche auf Gottfried Wilhelm Leibniz hinweist. Leibniz ist in der Stadt beliebt, man hatte einiges nach ihm benannt, unter anderem einen Keks, die Landesbibliothek sowie ebenso die Universität. Daß man ihn allerdings vor 1800 mit diesem Bauwerk quasi zu einem Gott erhoben hatte, schien jedoch leicht grotesk zu sein, hatte in seiner Absurdität mithin genauso eine recht lustige Komponente, welche obendrein den Namenskult in der Stadt bereits zeitlich vorweg karikiert hatte. Martin gab seine Kenntnisse diesbezüglich zum Besten, Sonja fühlte sich angemessen unterrichtet, schmunzelte gar ein wenig über solcherlei Anekdoten.

Martin fragte nach: „Willst du da rein?
Ich helfe bei Bedarf.“
Sonja schaute ihn unsicher an: „Lohnt der Aufwand?“
Martin lächelte: „Nein. Aber wir machen es einfach trotzdem.“
Und so wartete er gar nicht weiter ab, sondern wuchtete den Rollstuhl mitsamt Sonja einfach die Treppen rückwärts hinauf, was wegen großer hinterer Räder hinreichend gut machbar war. Eine mittig auf einem Sockel angebrachte Betonreplik der Leibnizbüste war durch blinde Zerstörungswut längst deutlich beschädigt. Diese Skulptur steht allein und ungeschützt in dem Pavillon, ist den Vandalen ziemlich schutzlos ausgeliefert, daher hatte man unlängst das Original gegen eine Replik getauscht. Immerhin hat diese Beton-Büste den Angriffen bereits mehr entgegenzusetzen als das Original, von daher war Leibnizens Antlitz bislang weiterhin gut erkennbar.

Martin hatte natürlich Recht, so spannend war es hier beileibe nicht. Daher half er Sonja bald darauf die Treppen hinab, worauf beide ein Stück weiter durch den angelegten Park nach englischem Stil bummelten, herum um ein Gewässer, weiter über die Augustenbrücke, auf derem höchsten Punkt mittig beide einen Moment voller Stille gemeinsam verweilten, wobei ihre Blicke über den Teich schweiften, den Enten, Bläßhühnern, Gänsen, Schwänen und Möwen gewidmet. Jener Park heißt Georgengarten, gehört zu den Herrenhäuser Gärten. Grob nördlich von ihrem derzeitigen Standort liegt der Berggarten, westlich der Große Garten. Der Georgengarten zieht sich ziemlich lang weiter zum Süden hin, westlich entlang der Nordstadt bis zum Königsworther Platz, also bis beinahe zur Innenstadt. Nicht vollends am südlichen Ende liegt obendrein ferner das Welfenschloß, Hauptgebäude jener vor einigen Jahren nach Leibniz umbenannten Universität, dort liegen weiterhin Welfengarten und Prinzengarten, welche ebenfalls zu den Herrenäuser Gärten gehören. Sonja war an der Straßenbahnhaltestelle Herrenhäuser Gärten ausgestiegen, hatte danach einen Blick auf das erst jüngst erneut aufgebaute Herrenhäuser Schloß geworfen, um daraufhin den großen Garten zu umrunden. Sonja war anschließend bereits auf dem Rückweg den Weg An der Graft zwischen Großem Graten und Georgengarten entlagengefahren, um hernach spontan zum Georgengarten abzubiegen, hatte zu dem Zeitpunkt erst hier auf dem Weg den Pavillon gesehen, endlich spontan die vermeintliche Abkürzung über die Hundewiese gewählt. Da Sonja keineswegs sonderlich trainierte Arme vorweisen konnte, war das bereits ein gutes Stück Weg bis zur Wiese gewesen, auch von daher hatte Sonja es nun keinesfalls mehr besonders eilig, die Erkundung weiteren unbekannten Terrains fortzusetzen.

Sonja wies fragend auf eine Bank, Martin nickte, er nahm daraufhin Platz, Sonja stand samt ihrem Rollstuhl schräg daneben, so schauten beide über das kleine Gewässer grob Richtung Leibniztempel. Sonja stellte halbwegs zufrieden fest, daß ihre Begegnung nun auf Augenhöhe ganz gut paßte. Beide plauderten ein wenig über Park, Stadt sowie den ganzen Rest. Martin gab ebenfalls Auskunft über Persönliches. Ihre Plauderei funktionierte erstaunlich gut, so gelang eine ziemlich lockere Konversation bei zunehmend entspannterer Atmosphäre, welche beiden sichtlich Vergnügen sowie Kurzweil bereitete. Martin vermied dabei Themen wie Rollstuhl, Behinderung, ohne daß dies als auffällige Lücke bemüht umgangen wurde. Ebenfalls überging er jene abwegige Tour über jene sumpfige Wiese, was Sonja sehr recht war. Eine solche Themenauswahl wäre ihr aus mehreren Gründen unangenehm gewesen.

Martin fragte alsdann nach: „Warum bist du allein unterwegs?“
Sonja antwortete mit geringfügig selbstironischem Ton samt krausgezogener Nase: „Es ging mir offenbar um den Beweis, daß ich weiterhin allein einige Kleinigkeiten schaffe, habe es sodann doch gleich in den Sumpf gesetzt. Seit dem Unfall kommt mir mein Leben ohnehin ziemlich überflüssig vor, eine Last für andere. Naja, damit du nicht nachfragen brauchst – Querschnittslähmung vor etwa zwei Jahren durch einen Unfall. Die haben mich hinterher unverlangt halbwegs zusammengeflickt, seitdem mache ich eben auf Krüppel. Auf fünftes Rad am Wagen habe ich allerdings eigentlich keine Lust, will lieber alles selbst hinbekommen. Um Hilfe bitten ist nicht gerade meine Spezialität, Mentalität, umso ärger dieser Zustand.“
Martin lächelte aufmunternd, vertraut mit dieser Mentalität: „Ja, derartige Bitten fallen mir ähnlich schwer, mache lieber allein mein Ding, als Strategie wird dies allerdings irgendwann kritisch, wenn Bekannte und Kollegen immer weniger werden, weil diese wegziehen oder diese lediglich noch einmal pro Jahr auf einem Treffen auftauchen. Ganz allein ist doch nichts. Und beim Gespräch, bei einer Diskussion werden oft erst Gedanken und Ideen ausformuliert, im Diskurs mit anderen unterliegen diese ebenso einer gewissen kritischen Prüfung auf Konsistenz sowie Plausibilität. Eigentlich sind Menschen eher schlecht dazu geeignet, allein zu sein. Man arbeitet, forscht und macht bekanntermaßen doch ebenso zur Mehrung gemeinsamen Wissens, zur Schaffung neuer Möglichkeiten, um gemeinsames Leben sowie Existenz zu sichern. Zutreffend ist, im konkreten Fall werkele ich wahrlich gerne allein und kniffle aus, was ich gern wissen will. Immerhin besuche ich ein paarmal pro Jahr Verwandtschaft aufgrund von Geburtstagen, das ist wirklich ein plausibler Anlaß.“
Sonja winkte mittels einer vagen Handbewegung ab: „Verwandtschaft – meine Eltern, wir hatten uns vorher längst irgendwie auseinandergelebt. Diese haben deutlich andere Vorstellungen, als jene, welche mein Leben im Laufe der Jahre bestimmt haben. Aber gut, mein Unfall hat mir einen ordentlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Und nach dem Unfall standen meine Eltern plötzlich vor mir, wollten sich intensiv kümmern, als wäre ich erneut Kleinkind oder plötzlich blöd im Kopf. Irgendwie wirkte ihr Verhalten so, als hätten meine Eltern gewonnen, ich verloren, als wäre das alles Konsequenz, Niederlage meiner Sichtweisen, meiner Versuche sowie Bestrebungen, mich zu lösen. Da kam bei mir ziemlich Panik auf, habe zudem so richtig Arschloch gespielt. Dieses Verhalten haben meine Eltern auch nicht sehr lange durchgehalten. Jetzt ist es ziemlich ruhig an dieser Front geworden. Wir telephonieren gelegentlich.
Klar, gibt obendrein ferner reichlich Ärzte, welche eine ganze Weile getobt, herumgedoktert haben, als Anschluß daran die sogenannte Rehabilitation, um mich auf Kurz zu trimmen, auf mein neues Schicksal einzustimmen, fit zu bekommen.
Was Kollegen anbelangt – tja, da hat meine neue Rolle als Querschnittgelähmte nicht mehr richtig ins Bild gepaßt. Notfalls hätte das Unternehmen mich eher als Quotenkrüppel ins hinterste Eck abgeschoben. Einmal davon abgesehen ist das Gebäude nicht einmal rollstuhlgerecht konzipiert, da hatte natürlich niemand so richtig Lust, bloß wegen mir umzubauen. Mein Fall hat immerhin ein klein wenig Streß ausgelöst, wie man den Konzern da nochmals rauswinden könnte. Gut, bei Bewerbungen gibt es immer irgendwelche Gründe für Ablehnungen, allein bei bereits Angestellten kommt man schnell in Verlegenheit. Meine Wahl war letztlich lieber zur allgemeinen Erleichterung ihre angebotene großzügige Abfindung anzunehmen, um mich weiteren ständigen Demütigungen zu entziehen. Die Reaktionen nach dem Unfall waren ziemlich desillusionierend und enttäuschend. Ich habe mich schließlich irgendwie damit arrangiert – so nach außen hin jedenfalls. Innerlich ist weiterhin das Stadium der Akzeptanz fern. Immerhin, in Heimarbeit kann ich zurzeit wie gehabt ein paar Sachen machen, wenn Kollegen jemanden auf meinem Spezialgebiet brauchen können. Gelegentlich wird sogar diesbezüglich noch nachgefragt, gleichwohl vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis ein neuer Mitarbeiter dieses Aufgabenfeld kompetent übernimmt. Ohne Kontakt zum Publikum fällt unter den Voraussetzungen keineswegs unangenehm auf, wenn ein paar Sachen von mir in Heimarbeit aus der Ferne beigesteuert werden.
Mein Begehren war überdies eine eigene Wohnung, ihre Abfindung hat erleichtert, irgendwas Barrierefreies zu finden. Eigentlich bin ich hier in der Stadt einzig wegen des Unfalls gelandet, bin danach jedoch geblieben. Ich habe bald festgestellt, daß hier U-Bahnstationen mit Fahrstuhl ausgestattet sind, fast sämtliche Straßenbahnstationen ferner Hochbahnsteige haben, da war alsdann mal mutig mein Beschluß ein eigenständiger Ausflug ohne Begleitung. Dabei bin ich letztlich offenbar auch prompt versumpft.“

Martin schaute Sonja an: „Hochbahnsteige in dem Ausmaß gibt es auch erst seit ein paar Jahren. Es sah immerhin mitnichten so aus, als würdest du schnell aufgeben, wirktest ziemlich entschlossen, energisch, zielstrebig, tapfer …“
Sonja lachte kurz bitter, zuckte ihre Schultern: „Oh, anfangs, nach dem Unfall lag mein Körper nur lethargisch wie ein nasser Sack herum. Wenn ich überhaupt bei Sinnen war, hat mein Körper eher als ein Übungsstück für Ärzte gedient, wo einfach mal jeder was dran herummachen durfte. Mich beschlich ein beklemmendes Gefühl von Ausgeliefertsein, Einsamkeit, Nutzlosigkeit. Gut, übermäßig kontaktfreudig und sozial besonders geschickt war ich nie, nun wuselten haufenweise Leute geschäftig um mich herum, was jetzt allerdings ebenfalls keineswegs nennenswerte Gesellschaft bedeutet. Verweigerung war meine Reaktion, besonders als die Mediziner mir mitteilten, daß und wie jener Unfall mich erwischt hatte. Komplette Unlust bezüglich solch eines Lebens war meine erste Assoziation. Da es ohnehin keine freie Auswahl gibt, wird danach jedoch nicht gefragt. Mein Drama hat angedauert, denn natürlich haben reichlich Ärzte trotzdem energisch geflickt und betreut. Solcherlei Unterfangen waren überdies ziemlich schnell derart nervig, daß ich so ungefähr alles gemacht hätte, um da rauszukommen, also ließ ich mich bei einer Rehabilitation plagen. Richtig abgefunden habe ich mich mit der Situation immer noch nicht, gleichwohl zunehmend arrangiert.“

Martin fragte nach: „Hmm, wenn sonst nichts hilft, müssen eben technische Lösungen her. Gesendet wurde mal eine Dokumentation, da wurde von Exoskeletten berichtet oder desgleichen speziellen Maschinen, welche einen in eine aufrechte Position bringen könnten, unterstützen oder den kompletten Bewegungsapparat funktionell ersetzen …“
Sonja schaute ihn an: „Stimmt, klingt interessant, habe gleichfalls davon gehört, ist allerdings mutmaßlich momentan mitnichten auch nur ansatzweise ausgereift, selbst ohne Lähmung existieren da anscheinend bis auf Weiteres Probleme beim praktischen Einsatz. Derlei Technik ist ebenfalls geplant, im experimentellen Einsatz als Unterstützung für Arbeiter, welche schwere Lasten wuchten müssen. Ein Einsatz für Menschen mit eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten wäre darüberhinaus sehr spannend. Gelähmte wären ohne Aufsehen unterwegs, weniger auffällige Extrawurst und Sonderbehandlung, dafür Begegnung nunmehr auf Augenhöhe. Derlei Hilfstechniken wären sehr interessant und relevant. Mich hat das nichtsdestoweniger erst einmal alles so mitgenommen, daß ich massiv geblockt habe, nachdem man mich halbwegs zusammengeflickt hatte. Ich wollte meine Ruhe statt Informationsflut, Ohren zuklappen, verdrängen, weghören. Vielleicht sollte ich im Laufe der nächsten Monate wahrhaftig einmal erneut das Gespräch mit den Ärzten suchen, dieses gezielt in solche Richtungen lenken, um herauszufinden, was dabei für mich drin sein könnte. Diese Zukunftsperspektiven geben mir durchaus einen neuen Impuls. Andere Menschen richten sich kaum nach Minderheiten, im Gegenteil, in großer Mehrheit wird behindert. Erst einmal war mein Anliegen entkommen, unbedingt raus, denn Überdruß war unlängst meine Reaktion auf tägliche Fummelei. Kannst dir niemals vorstellen, wie arg mir zusetzte, daß mir plötzlich derart heftig auf den Pelz gerückt wurde, weil keine Selbständigkeit mehr vorhanden ist, wenn geguckt wird, was nun schon wieder schiefläuft. Ich hätte wild um mich schlagen können, um alle Leute loszuwerden. Geht jedoch nicht so einfach, bin sowieso immer darauf angewiesen, daß mir geholfen wird. Immerhin kam irgendwann eine Chance auf eine eigene Wohnung, woraufhin jedenfalls teilweise abermalig mehr Ruhe eintrat.
Natürlich ist noch immer äußerste Vorsicht geboten, sorgsam prüfen, ob ich mich versehentlich gestoßen, gar unbemerkt verletzt habe. Ohne Gefühl im halben Leib muß immer kritisch untersucht werden, um kleinere Macken gesorgt werden, sonst droht umgehend erneute Intensivbeobachtung durch andere Leute, denen man aber gar nicht nahe ist. Es ist letztlich überaus entwürdigend, dem ausgeliefert zu sein, weil offenbar eine selbständige Versorgung keine realisierbare Option ist.
Doppelt schlimm, denn die meisten Leute in dem Bereich sind tatsächlich hilfsbereit sowie motiviert, sofern nicht bereits frustriert.“

Martin unterbrach: „Du solltest dich vielleicht auch mal nach einem Sportrollstuhl samt extra breiten, geländegängigen Reifen umsehen, dann könntest du ebenfalls in dieser Hinsicht selbstsicherer agieren …“
Sonja erwiderte: „Oh, ein Seitenhieb mußte ja noch kommen, daß du ein wenig meine jüngste Wunde stichelst. Aber natürlich, dahinten eine Abkürzung nehmen wollen, das war unvorsichtig sowie unbedacht, indes vielleicht ist deine Idee tatsächlich gut, damit ich mich besser selbst wieder aus mißlichen Lagen befreien kann, vielleicht samt einem Hilfsmotor lediglich für kritische Situationen. Ich muß wohl wirklich mal gucken, was angeboten wird, damit ich selbständiger sein kann, vermeiden kann, mich irgendwie festzufahren, steckenzubleiben, Hilfe zu benötigen.“
Martin meinte: „Na, war doch nicht so schlimm, konnte dir ja helfen. So völlig ohne Risiko und kleine Schelmereien ist das Leben sowieso überaus langweilig.“
Sonja stimmte zu: „Manchmal muß man eben Dampf ablassen, aber wenn man solch eine Einschränkung hat, dann kommen schnell Bedenken, daß einen Abenteuerlust und Übermut schnell in Schwierigkeiten bringen können. Jegliche Erfahrung dieser Art, in derlei Klemme zu sitzen, macht meine zukünftigen Angelegenheiten weiterhin ärger. Deshalb hütet man sich, ist übervorsichtig, mag gar nichts mehr riskieren. Man hockt in der eigenen Butze, eigene Sorgen gelten einzig noch jener mühsam erlangten Selbständigkeit, welche man deswegen allerdings kaum ernsthaft nutzt, diese Angelegenheit wird zum Dreh- und Angelpunkt. Und da allein in eigener Wohnung fällt einem bald indessen die Decke auf den Kopf, selbst wenn ich regelmäßig Kurse, Therapien besuchen soll, damit die Muskeln meiner Beine nicht komplett abbauen, zudem jene meiner Arme massiv aufbauen. Solche Aktivitäten schlagen die Zeit obendrein kaum wirklich gut tot.
Ich bin eben Einzelkämpferin, trotzdem ist Selbständigkeit unter solchen Prämissen gar nicht so einfach, draußen, außerhalb der Wohnung und speziell ausgelegter Umgebungen erst recht schwierig.“

Martin meinte: „So ideal barrierefrei ist vieles letztlich wahrlich nicht …“
Sonja erwiderte: „Naja, teilweise gibt man sich schon Mühe, sehr gute Vorbereitung ist nichtsdestotrotz immer hilfreich, denn oftmals sind Zugänge besonders bei älteren Gebäuden mitnichten offen sichtlich, da kann ein eigentlich einfaches Anliegen schnell zum Abenteuer werden, zum Suchspiel. Welche Not und entwürdigende Pein ferner, wenn dringend eine für Rollstühle geeignete Toilette gesucht wird, diese indes nicht auffindbar ist. Vielleicht wurde bereits jene Hemmschwelle überwunden, wurden mehrere Leute danach gefragt, welche wiederum schulterzuckend ratlos, schuldbewußt wirkten. Derartige Szenen sind allseits demütigend. Immerhin können wir inzwischen vieles im Netz erledigen, da können wir unsere Wohnungen hüten, viel von dort aus veranlassen, ohne persönlich überhaupt in Erscheinung zu treten. Aus dieser Perspektive ist mir gar nicht mehr so klar, warum derlei Möglichkeiten andere so intensiv in Anspruch nehmen, welche fröhlich springen können, überall hinkönnen, freiwillig ihre Fähigkeiten ungenutzt lassen, dafür vor dem Rechner daddeln. Aber so gesehen sind diese Bequemlichkeiten für Mehrheiten relevante Optionen, welche meinen Bedürfnissen einmal sehr zugute kommen.“

Martin ergänzte: „Ja, dafür sind dort viele Angebote wahrhaftig hilfreich. Hingegen eine Chance, Angebote tatsächlich für alle barrierefrei und zugänglich umzusetzen, wird oft vertan. Teils werden derartige Netzwerk-Angebote natürlich ebenfalls als wahrlich barrierefreie Toilette, als Entsorgung genutzt, für alles, was irgendwie mal raus muß, daraufhin vollkommen ungeniert und überall hin sowie ohne jede Hemmung, Rücksicht auf andere oder Einhaltung von sozialen Regeln. Alles wird beschmutzt, beschädigt, was frei zugänglich ist. Statt sorgsamer Hege und Pflege dieser Freiheiten treten typische Probleme bei zunehmender ökonomischer Nutzung einer solchen Allmende zutage.
Andererseits, was dich vermutlich weniger betrifft, aber besonders für Sehbehinderte werden oft künstliche Barrieren geschaffen, ebenso für andere bei speziellen Darstellungsprogrammen und Geräten. Dabei war dies Netzwerk einmal als Information von allen für alle gedacht und auch konzipiert. Erst wenn ein Projekt schlecht, mangelhaft, inkompetent umgesetzt wird, wird es problematisch. Durch Ignoranz erfolgt somit schnell abermals Diskriminierung von Personen, welche nicht gerade zur Zielgruppe gehören, derlei Entwicklungen sind sehr dumm. Alt wird wahrlich jeder einmal, sofern nicht zuvor gestorben wird. Mit dem Alter kommt folglich in der Regel überdies diese oder jene kleine oder auch größere Einschränkung. Ein Unfall ist genauso schnell passiert. Jeder hat so seine Macken, besonderen Merkmale, da ist Diskriminierung von Personen selbstverständlich völlig unangebracht, bringt ferner niemandem persönlich einen Vorteil, lediglich boshafte Freude.“
Sonja nickte: „All diese Phänomene kann ich inzwischen gut nachvollziehen. Wenn Projekte im Netz funktionieren sollen, bleibt eigentlich keine Wahl. Entweder mitmachen, Privatsphäre aufgeben, alle Sicherheitsvorkehrungen an den Programmen lockern oder derlei Angebote erscheinen defekt, darin kommen neuerlich künstlich aufgebaute Barrieren zum Vorschein. Behinderung ist nicht zwangsläufig bei einem selbst, Behinderung erfolgt durch andere, zudem durch äußere Umstände, welche durch andere bewirkt, bestimmt werden. Wenn einer Mehrheit alles Schnurz ist, was diese persönlich nicht behindert, bleiben die Barrieren. Wenn eine Mehrheit alles ablehnt, was anders denkt und ist, bleibt die Chance auf Teilhabe praktisch aus. Diese Leute stellen unausgegorenes Zeug ins Netz, weil unverstanden blieb, wie man Inhalte für alle zugänglich hält. Vielen kommt offenbar überdies gar nicht in den Sinn, daß jeder Menschen anders ist, zudem oft andere Geräte zur Darstellung verwenden, welche andere Sichtweisen und Möglichkeiten haben, wo eine Interaktion aufgrund einer Verwendung anderer Geräte geringfügig anders funktioniert. Ich habe das in letzter Zeit öfter mal gesehen, wie schnell dadurch Problemen aufkommen können, wenn Anbieter von Informationen im Netz bei konkreter Umsetzung von Projekten stur egozentrisch vorgehen.
Folgt Form nicht Funktion, stattdessen individuellem Geschmack von Designern, Fricklern, ergibt dies Vorgehen ruckzuck massive Barrieren.
Hat eine Person Einschränkungen, Behinderungen, egal ob persönlicher oder technischer Art, muß diese besonders schnell voll ins Risiko gehen, sich noch wehrloser gefallen lassen, daß Konzerne Risiken auf Nutzer abwälzen. Obendrein gibt es einige Angebote im Netz, welche trotzdem funktionslos, sinnfrei bleiben – oder jedenfalls allein für bestimmte Gruppen so aussehen, als hätten derlei Angebote Sinn oder Funktion. Indessen was soll ich machen, ich brauche das, bin darauf angewiesen, mein Leben damit zu organisieren, wenn ich selbständig wohnen und leben will. Viel kann ich erledigen und leben, ohne meine Wohnung zu verlassen. Nun, Zeit bleibt mir jetzt jedenfalls genug, um auszuknobeln, wie meine Aktivitäten zwischen verschiedenen Programmen aufgeteilt werden müssen, wie Spuren dort anschließend nochmalig sorgsam beseitigt werden, um meine Rechte zu wahren. Konzerne sind relativ kreativ, um Daten möglichst vieler unbedarfter Leute abzuschöpfen, Programme solcherart umzugestalten, daß noch mehr Leute unbekümmert, unwissend ihrem Begehren hilflos ausgeliefert sind, ferner deren Aktivitäten für eigene Zwecke auszunutzen, wo im Grunde selbstverständliche Zurückhaltung, Diskretion, Privatsphäre angemessen wäre. Noch gibt es allerdings keine Notwendigkeit für technische Genialität bei Nutzern, um den gröbsten, beim eigenen Rechner eingenisteten Schnabernack erneut aufzuspüren und anschließend zu beseitigen.
Abwehr ist ein andauerndes Geduldsspiel, ein eigentlich sinnloser Zeitvertreib, eine Arbeit wie jene von Sisyphos. Allein steht jeder samt seiner überflüssigen, aufgebürdeten Last vor einem Berg, den es zu erklimmen gilt. Immer wieder wird den Programmen hinterhergeräumt, doch kurz vor dem Erreichen des Ziels geht die Chose abermals von vorne los, sobald derlei Programme nochmals benutzt werden. Dennoch gilt: immer weitermachen, das Spiel wiederholen, wer dabei sein will. Wer aufgibt, hat schon verloren. In der Mühe des Schaffens, der Wiederholung liegt die Herausforderung, immerhin ebenso eine gewisse trotzige Lust, nicht aufzugeben. Die Arbeit des Sisyphos ist wie das Leben selbst, ergebnislos bleibend, kein tatsächlich final erreichbares Ziel, doch jeder Aufstieg ist etwas anders. Rollt der Stein nochmals hinab, schaut Sisyphos jedes Mal erneut, schnaubt, eilt hinterher, wird weiterhin dennoch trotzig von vorne beginnen, sonst hat Sisyphos versagt, ist endgültig gescheitert …“

Martin fragte nach: „Aber innerhalb deiner Wohnung hocken, alles über das Netz erledigen, isoliert dich wahrlich noch mehr, du hast somit doch beinahe gar keine sozialen Kontakte mehr, wenn du dich daheim hinter deinem Rechner verkriechst.“
Sonja grinste nun zynisch: „Oh!
Unterschätze niemals die reichhaltigen Errungenschaften sozialer Medien.
Im Grunde kann da jede sein, wer oder was sie will!
Da bleibt selbst ein Krüppel komplett unauffällig, kann nahezu denselben Unfug wie andere schreiben sowie veranstalten, dabei sein. Fast all diese Aktivitäten sind letztlich schierer Unfug und ihre Akteure bleiben allein in ihrer Illusion von Gesellschaft. Indessen eigentlich, wenn Leute im Netzwerk Kontakte, Unterhaltungen pflegen, sind diese Verbindungen deswegen mitnichten weniger real, weil dieser Erfahrungsaustausch abstrakt über einen Rechner erfolgt, selbst wenn Beteiligten unbekannt bleibt, wer da in welcher Rolle hinter einem Profil verborgen ist.
Gut, viele machen sich einfach zum Narren für ihre fünf Minuten Ruhm sowie Aufmerksamkeit, aber derlei Schabernack, Killefitz gehört zum Spaß dazu, zusehen, wie andere zum Narren mutieren. Kann ebenfalls lustig sein, Leute mit Ideen vertraut machen, wie diese am besten ihren Mumpitz schaffen oder ihre Narretei am auffälligsten verbreiten. Früher blieben derlei Kapriolen eher lokal, heute kann jeder sich binnen Sekunden weltweit zum Idioten machen – wer richtig auffällig den Deppen gibt, wird mit dieser Rolle auch nie wieder vergessen. In dieser Hinsicht ist unsere Welt beileibe ein Dorf – und erst so fällt ins Auge, daß wahrlich ziemlich viele Dorftrottel darin leben.
Relativ neu sind offenbar Meinungs- oder Idiotenblasen, wo sich Gleichgesinnte bei ihren Irrungen und Wirrungen gegenseitig bestärken, bis diese sonst gar nichts mehr wahrnehmen außer ihrer virtuell verstärkten Fiktion, Torheit. Man hockt bloß noch in einer eigenen Scheinwelt, verharrt im eigenen Irrtum, wird darin aus der Ferne von all jenen bestärkt, welche gleichsam irren. Das Schmähwort des Postfaktischen ist bekanntlich zunehmend populär geworden. Jenseits profaner Realität versacken manche längst in Irrtum und Fiktion. Dabei harmoniert dies im Grunde gut mit dem Präfaktischen von Religion und Esoterik, dem Parafaktischen von Börse und Spekulation, welche längst durch eine gewaltige Finanz- und Geldblase vom realen Markt entkoppelt sind. Im Finanzgeschäft bestimmen inzwischen Fiktion, Zufall sowie Glaube den Markt, keineswegs nüchterne Fakten, war an der Börse eigentlich immer so, bereits die niederländische Tulpenmanie im sechzehnten Jahrhundert ist ein gutes Beispiel samt Zusammenbruch des Marktes aufgrund einer gewaltigen Glaubenskrise, was seitdem immer mal wieder mehr oder weniger dramatisch beim Börsenhandel wiederholt wurde.
Dabei ist vollständig klar, daß letztlich vermittels Irrtümern sowie Dummheiten nichts Stabiles aufgebaut werden kann, nichts von Verläßlichkeit, stattdessen wird auf nassem Sand im Erdbebengebiet gebaut.“

Martin lachte: „Stimmt, letztlich sind doch Tatsachen die wilden Bestien im postfaktischen Phantasiekonstrukt. Wenn hinwiederum nur genug Leute dran glauben, gelangen wir tief in eine Sackgasse, würden sozusagen im Sumpf feststecken, bevor ein solches Dilemma auffällt.“
Sonja runzelte ihre Stirn: „Oh, eine solche Anspielung mußte ja nun noch kommen. Aber solche Meinungs- oder Idiotenblasen sind gewiß Bedrohungen, welche keineswegs unterschätzt werden dürfen. Die Macht der Einbildung kann ihre eigene Realität schaffen, anders vermutlich als gedacht, aber hernach um so unvorhersehbarer und bedrohlicher. Das sieht man an vielen Religionskriegen und Börsenzusammenbrüchen. Es kommt dabei nicht mehr darauf an, was geglaubt wird, lediglich darauf, daß entweder verschiedene Glaubensvorstellungen konkurrieren, aufeinandertreffen oder eben ein Zusammenbruch des instabilen Systems durch eine Glaubenskrise stattfindet, um eine Katastrophe auszulösen. Glaube wird aufgrund des Verhaltens von Gläubigen also zum Bestandteil ihrer Realität. Nicht Fakten an sich ändern sich, sondern Denkweise, Entscheidungen, Verhalten von Leuten, damit auch ihre reale Geschichte.
Ganz typisch ist hier auch jene Vorstellung, daß alles im Leben vorherbestimmt ist oder durch irgendwelche fiktiven Götter entschieden wird – wer daran glaubt, ist faktisch im eigenen Glauben gefangen, denn warum weiterhin entscheiden, aktiv werden, Energie aufwenden, Denkleistung investieren, etwas erreichen, wenn doch alles vorherbestimmt ist, von irgendwelchen Göttern geregelt wird?
Gerade dadurch kommt es indes zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung, wer handlungsunfähig ist, sich verweigert, scheitert wie erwartet und vorherbestimmt. All das wird natürlich durch soziale Rückkopplung verstärkt. Gemeinsam unterliegen alle Beteiligten dadurch letztlich dem Wahn. In den speziellen Meinungsblasen im Netz wird eigener Irrtum durch Gleichgläubige bestärkt, jeder wähnt, nicht mehr allein zu sein.
Können so viele Gleichgesinnte irren?
Fakten?
Wissenschaft?
– Belanglos!
Du hast natürlich Recht, im virtuellen Raum, im Netzwerk gefangen, bleiben reale, persönliche Kontakte schnell auf der Strecke.“

Neugierig wollte Martin wissen: „Hast du bereits versucht, über das Netz neue, persönliche Kontakte zu knüpfen?
Da sind deine Möglichkeiten sowieso deutlich vielfältiger, da könntest du passende Bekannte deutlich leichter finden.“
Sonja lachte bitter auf: „Oh!
Nachdem meine Depression halbwegs überwunden war, ich mein Schicksal irgendwie gefressen hatte, von nun an ziemlich nutzlos und behindert zu sein, habe ich anschließend irgendwann nochmals Mut gefaßt und letztens, dabei allein innerhalb meiner eigenen Bude, ziemlich neu in dieser Stadt, ohne Bekannte vor Ort, gut durchgeschmort in eigener Stille habe ich daraufhin irgendetwas probiert, mich angemeldet bei solch einer Partnerbörse. Alles sogar nahezu ehrlich ausgefüllt. Sagen wir mal, die Reaktionen waren ziemlich gemischt.“
Martin hakte gleich nach: „Inwiefern?
Wurdest du runtergemacht wegen deiner Behinderung?“
Sonja erwiderte: „Klar ist das vorgekommen. Geht allerdings ebenso umgedreht, verfügbar sind durchaus offenbar Typen, welche auf totes, gefühlloses Fleisch stehen, genauso Typen, welche drauf stehen, deswegen leichter die Kontrolle zu haben. Gibt ferner welche mit Hoffnung auf leichtes Spiel, denn im Grunde könne ein Krüppel froh sein, wenn andere bereit für eine Interaktion wären, mich mal richtig durchzunehmen. Natürlich wurde überdies in Erwägung gezogen, daß die Durchsetzung eigener Interessen bei mir insofern einfacher sei, als da unten gewiß ohnehin kein Gefühl mehr drin sei, von daher habe ein eindringlicher Mann bestimmt keine Notwendigkeit, da besonders viel Zeit, Geschick auf meine Bedürfnisse anzuwenden, also eigentlich ganz effizient, der Mann befriedigt sich, mir verbleibt seine Gunst, mein Glück, dafür herhalten zu dürfen. Weiterhin sind da Pflegefetischisten, welche einem jegliche Selbständigkeit rauben möchten, bei denen mein Körper zur Puppe degradiert wäre. Am Ärgsten sind aber sowieso jene Fetischisten, welche ungelogen drauf stehen, wenn ihre Partnerin ihre Beine nicht bewegen kann, nichts spürt. Darauf fahren diese Typen ab, daß einem schwindelig, übel wird.“

Martin schaute Sonja nachdenklich an: „Und?
Hast du dich drauf eingelassen?
Jemanden getroffen?
Klingt faßt, als hättest du keineswegs bloß theoretisch Erfahrungen diesbezüglich gesammelt …“
Sonja schaute verlegen auf den Boden: „Auf Treffen habe ich mich schon eingelassen, da haben jeweilige Kandidaten daraufhin wahrhaftig erst einiges offenbart, mit dem diese vorher nicht heraus wollten. Einige Herren wollten offenbar Kopulation mit einer Behinderten gleichfalls gerne mal auf ihrer Erlebnisliste abhaken können. Ich bin zwar ein Krüppel, gleichwohl nicht doof, daher hatte ich eigentlich ziemlich schnell raus, was derlei Verehrer so für Bedürfnisse hatten. Bislang war für mich jedenfalls nichts Passendes dabei.
Wobei ich nicht einmal klar sagen könnte, wer wirklich passen könnte – irgendwie platonische Liebe?
Jedenfalls niemals mit Behinderten-, Pflege-Fetisch oder mittels Kontrollwahn. Ich hingegen weiß nichts mehr über meine Bedürfnisse.“

Martin betonte: „Naja, die Anziehung, das Wohlbefinden findet doch auch zum guten Teil im Kopf statt, nicht bloß im Unterleib.
Die wahren Abenteuer gibt es sowieso nur im Kopf!“
Sonja lachte unsicher, meinte dazu: „Einerseits wahrscheinlich schon korrekt, die richtige, entspannte Stimmung wird wichtig sein, sich angenommen und verstanden fühlen. Ob man die wilde Bergwanderung jedoch ebenso unter optimalen Bedingungen wie gehabt mitsamt einem Gipfelsturm abschließen kann – ich weiß es nicht. Selbst im Hirn ist da eine Verunsicherung, ist irgendwas verschoben, verschlossen, ein Bruch, ein Zweifel, Scham, Unsicherheit, ich traue mich nicht so richtig, mich damit zu beschäftigen, vielleicht auch, weil mit Ungewißheit zudem Hoffnung bleibt, irgendwann ohne Druck sowie mit Glück völlig zwanglos zum Ziel zu kommen, wo man nicht weiß, was wie tun, was fühlen, wie sich drauf einlassen.“
Martin erwiderte: „Na, was du nicht weißt, das mußt oder kannst du neugierig erforschen, lernst dabei dazu.
Tun wir derlei nicht ohnehin mit einem neuen Partner, um herauszufinden, was wie harmonieren könnte?“
Sonja nickte: „Ja, vielleicht schon, gleichwohl einfach mal so drauflos schrauben, drehen, kneten – nein, also ich glaube, das wird nichts, du hast ja bereits gesagt, im Denkkasten muß es passen, sonst bringt alle Fummelei nichts außer Verdruß, Verunsicherung, Blockade. Aus einer Gemeinsamkeit, durch Geborgenheit mag mit der Zeit sowie mittels Geduld etwas erwachsen, hoffe ich wenigstens. Indessen ich weiß es nicht, ich bin stark verunsichert in dieser Hinsicht, scheue derzeit zurück, zaudere. Vielleicht habe ich mich gleichfalls deshalb zurzeit auf niemanden einlassen können.
Allein mag ich zwar nicht sein, hingegen desgleichen weitgehend unabhängig bleiben, mag keine Last werden oder gerade allein wegen der Lähmung zum Lustobjekt degradiert werden. Ich weiß nicht mehr.
Hah!
Als Brutkasten für ein paar Kinder könnte mein Körper bestimmt noch herhalten.
Aber habe ich da fürwahr Lust drauf, mich bloß besteigen, begatten lassen, anschließend des Herren Brut austragen, letztlich zudem dankbar dafür sein dürfen, daß er mir diese Ehre erwiesen hat?
Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, daß eine Beziehung auf Augenhöhe dabei herauskommen würde, weder wortwörtlich noch im übertragenen Sinne, ich wäre wahrlich immer irgendwie ausgeliefert sowie abhängig. Es wäre zudem immer in meinem Hinterkopf, entweder mitleidig erwählt worden zu sein oder alternativ aufgrund eines Fetisches oder einer Abnormität wegen begehrt zu werden. Irgendwie ist das Mißtrauen immer im Hirn, die Leichtigkeit von früher ist dahin. Im Bedarfsfalle gelang es mir damals relativ einfach, mal jemand Passendes zu finden. Nun hingegen sind bloß noch Zweifel im Gehirn, es entweder nicht mehr zu bringen oder plötzlich einem üblen Typen mit zweifelhaften Neigungen ausgeliefert zu sein.“

Martin meinte daraufhin scherzhaft grinsend: „Ich habe mal von einem Angebot im Netz gehört, wo Leute ihre eigene Person als Sklaven innerhalb einschlägiger Szenen anbieten. Eigentlich wäre dies genau das richtige Angebot für Personen, welche auf Hilfe angewiesen sind.
Stell dir vor, solch ein knackiger, williger Bursche als dein persönlicher Sklave nicht einzig zur Lustbefriedigung, sondern genauso für alle kleinen Alltagsprobleme, das wäre doch was!“
Sonja mußte ebenfalls lachen: „Darauf wurde ich auch irgendwann hingewiesen. Vermutung von mir: Jener Typ, welcher mir diese Option vorgeschlagen hat, wollte mich auf den Arm nehmen oder sich über mich lustigmachen, denn solche Angebote sind allesamt anders gemeint. Ich habe mir solch ein Portal im Netz mal angesehen, welches allerdings auf einer sadistisch-masochistischen Schiene läuft, ist ebenfalls keineswegs zugänglich oder barrierefrei gestaltet. Und natürlich erfüllen solcherlei Angebote in dem Sinne nicht wirklich ihren Zweck, als Leute mit Bedarf für besondere Assistenz dort kaum einen treuen Sklaven abbekommen würden, wo diese bei uns tatsächlich eigentlich optimal nutzbar wären, aber nein, potentielle Kandidaten ziehen es offenbar vor, lieber mitnichten Personen mit körperlicher Behinderung zu dienen, daraus Lust zu beziehen, es müssen in dem Zusammenhang schon Leute sein, welche rein körperlich etwas hermachen, um kontrollieren, dirigieren zu dürfen. Dies entlarvt ein gutes Stück deren Abnormität, wenn ihr Begehren gar nicht darum geht, jemandem zu dienen, welcher wirklich Hilfe benötigt, sondern sich nur einem Fetisch, einer Neigung unterzuordnen, bei welcher es nicht paßt, wenn eine Herrin nicht so vollends körperlich perfekt ist. Personen mit Behinderung, ob nun bei der Bewegung, beim Sehen, Sprechen, Hören oder auch geistig, für diese Leute wäre solch ein treuer, leistungsfähiger Diener aus freien Stücken natürlich am dringlichsten angebracht. Personen mit Behinderung sind da allerdings eher unerwünscht. Behinderungen, körperliche Probleme stören, beeinträchtigen ihre Phantasien sowie ein Ausleben eigener Bedürfnisse, welche eben doch mitnichten ausschließlich darin zu bestehen scheinen, jemandem gerne dienen zu wollen.
Aber auch relativ harmlose Kandidaten, welche ich persönlich getroffen habe, waren irgendwie seltsam, daher konnte ich mich nicht darauf einlassen. Eigentlich habe ich längst keine Lust mehr drauf, aus dem Netz jemanden zu treffen.“

Martin nickte verständnisvoll, erwiderte: „Jeder hat eigentlich mit eigenen Dummheiten schon genug Kurzweil.
Da überfordert einen zusätzliche gewaltige Dummheit sowie Ignoranz einer gesamten Menschheit ganz erheblich!“
Sonja schmunzelte, meinte alsdann: „Du wirkst friedfertig und intelligent.
Empfindest du diese Eigenschaften als Behinderung innerhalb dieser Gesellschaft?“
Martin grinste Sonja an, machte lediglich eine vage Geste mit seiner Hand. Beide fühlten tiefes gegenseitiges Verständnis.

Doch dies Gefühl dauerte nicht lange, woraufhin erneut Mißtrauen an Sonjas Gemüt nagte, Zweifel sprossen aus der Saat ihrer jüngsten Erfahrungen.
So fragte diese: „Und du?
Hast du mich etwa angesprochen, weil du besondere Interessen hast, mal was auszuprobieren?“
Martin zog seine Stirn kraus, während Sonja nun lauerte.
Martin atmete tief durch, schüttelte sein Haupt: „Ich wollte eigentlich ruhig im Park ausspannen, reflektieren, mich aus deinen Angelegenheiten raushalten, als du über jene Wiese gerollert bist.
Geht mich dein Problem irgendetwas an, wenn du dich gezielt in den Sumpf manövrierst?
Nein, eigentlich nicht, also laufenlassen, dabei genüßlich staunen. Dann habe ich demgegenüber dennoch einräumen müssen, daß du deine Karre so in den Dreck gefahren hast, daß du wahrscheinlich nicht mehr dem Elend entrinnen kannst, keine selbständige Befreiung mehr möglich. Ich glaube auch nicht, daß du weitergekommen wärst, wenn du aus dem Rollstuhl ausgestiegen wärst, versucht hättest, dahinter zu robben, den Rollstuhl so zurückzuzerren. Dabei wärst du zudem ziemlich durchnäßt worden. Also habe ich mich aufgerafft, habe gewagt, dich bei deinem Bemühen, dich selbst mit Schwierigkeiten zu beglücken, gestört und vorsichtig sowie möglichst unaufdringlich Hilfe angeboten. Obwohl du vom äußeren Erscheinungsbild erheblichen Eindruck machst, hatte ich dabei keine besonderen Experimente im Sinn, keine besondere Chance gesehen, mal was Besonderes auszuprobieren.“

Martin hatte nicht einmal empört geklungen, hatte auch nicht einmal seine Stimmlage geändert.
Sonja starrte auf den Boden, schluckte, meinte daraufhin kleinlaut: „Ich wollte dir nichts unterstellen …“
Martin erwiderte: „Kein Problem. Ist ja nichts passiert.
Soll oder darf ich dich noch zur Straßenbahnhaltestelle begleiten?
Oder willst du eine weitere wilde Fahrt hier riskieren?
Vielleicht könnte ich dir gleichfalls ein paar weitere heikle Stelle nennen …“
Martin grinste dabei nun, machte eine vage Geste durch den Park.
Sonja schaute zögernd, musterte ihn skeptisch, analysierte, mußte daraufhin jedoch gleichfalls lächeln: „Ich habe mich für heute genug verfahren, bin genug durchs Fettnäpfchen gerollert.
Genug der Tollerei!
Zurück zur Straßenbahn scheint mir angemessen. Genug Abenteuer für heute. Definitiv.“

So brachen beide auf. Martin kannte gewiß den Weg genau, Sonja mußte wohl oder übel abermals zu ihm aufschauen. Sie grübelte. Eigentlich war Martin bestimmt riesig nett, er bemitleidete sie wenigstens nicht.
Konnte Sonja glauben, daß ihre neue Bekanntschaft keine besonderen Interessen wegen ihrer Lähmung verfolgte?
Verfolgte er auf sie bezogen überhaupt irgendein Interesse?
Waren bei ihr Interessen bezogen auf ihn vorhanden?
Ihre Unterhaltung war immerhin völlig passabel verlaufen, was ihr sehr gutgetan hatte. Selbst wenn beide eine Weile gemeinsam schwiegen, war das nicht unangenehm gewesen. Sonja spürte keinen Druck, ihr Schweigen durch Belangloses zu brechen, weil die Stille drängen würde. Sie hatte ohnehin längst viel mehr ausgeplaudert, als ihr nun angemessen erschien. So viel vom eigenen Denken preiszugeben, hätte sie zuvor keineswegs für richtig gehalten, jetzt waren diese Gedanken nur so aus ihr hervorgesprudelt. Nicht einmal im Netz hätte sie so viel einer Person erzählt – erst recht nicht nach so kurzer Bekanntschaft.
Aber was bedeutete ein solcher Drang im Grunde schon?
Gut, das hier war auch eine Zufallsbekanntschaft. Und einmal mitsamt der Straßenbahn fahrend wäre sie auf und davon, diese Episode wäre erledigt. Mehr als den Vornamen, ein paar Belanglosigkeiten über ihr Leben kannten sowieso beide gegenseitig nicht.
Wollte sie Martin näher kennenlernen?
Wollte sie wirklich eine Freundschaft?
Sonja wollte Martin auch keinesfalls lästigfallen.
Andererseits, wenn eine plausible Chance für etwas Normales wahrhaftig vorhanden wäre, wäre das Risiko des Scheiterns sicherlich einzugehen, um dem weiter nachzugehen?
Was ginge im Grunde dabei verloren?
Ihre Überlegung: Wäre einer wie Martin für ihren Geschmack früher in Frage gekommen?
Äußerlich vielleicht.
Durchaus knackiger Hintern, interessante Gesichtszüge, schlank, dabei überdies keinesfalls auffällig dominant männlich oder muskulös.
Und einmal abgesehen vom äußeren Erscheinungsbild von seiner Art her?
Hatte sie darüber früher strategische Gedanken verschwendet?
Hatte sie früher etwa alles durchgeplant?
Lange Beziehungen wurden von ihr damals keineswegs anvisiert, Entwicklung abwarten, sorglos die Leichtigkeit des Seins genießen war eher angesagt gewesen.
Was war schon dabei?
Jetzt waren vollkommen andere Probleme für ihr Leben dominant, zuviele Fragen, Zweifel, Hindernisse, Barrieren.
Aber wollte sie nicht allein bleiben, sollte nun bestimmt Risiko ihre Präferenz sein?
War ihre Person bei ihrem derzeitigen Zustand überhaupt hinsichtlich frischer Freundschaft zumutbar?
Wäre es richtig gewesen, sich jetzt gar an Martin zu hängen, ihn vielleicht gar durch treuen, hilflosen Blick in die Pflicht zu nehmen?
So wollte Sonja jedoch keineswegs tricksen. Das wäre erbärmlich gewesen.
Wie war eigentlich ihr aktuelles Bedürfnis nach körperlicher Nähe?
Was fühlte sie überhaupt?
Was wollte sie noch fühlen?
Was konnte sie noch fühlen?
Würde Martin auf sowas eingehen?
Würde sie ernsthaft darauf einsteigen?
Das Grübeln ging weiter, während beide schweigend der Haltestelle zustrebten.

Bei der Haltestelle angekommen, half Martin ihr überdies die Schräge hinauf. Das war gut, denn bei dem Unfall hatte gleichfalls ihr rechter Arm Verletzungen abbekommen. Dieser war ebenfalls bislang weiterhin lediglich eingeschränkt nutzbar, es fehlt an alter Form sowie Kraft, für eine Rechtshänderin eine besonders heikle Konstellation. Immerhin, nun hatten beide gemeinsam die Steigung geschafft. Eine Anzeigetafel wies aus, daß noch ein paar Minuten Zeit für Konversation wären. Martin wollte offenbar noch bleiben, war vermutlich bereit, mit ihr auf die Bahn zu warten.
Sonja stellte alsdann überrascht fest, was ihr Mund beiläufig sprach: „Na, um auf das vorherige Thema zurückzukommen, alles kann ich doch keinesfalls im Netz erledigen. Nächste Woche muß ich mich wohl aufraffen, in der Stadt ein paar Sachen persönlich erledigen. Da habe ich ein ganz schön mulmiges Gefühl …“
Ob Martin diese Ausführungen als Anspielung verstanden hatte, ließ er im Raum stehen, meinte dazu: „Ja, in die Stadt müßte ich gelegentlich ebenfalls mal wieder, kann mir meine Arbeit gleichfalls ganz gut selbst einteilen. Wenn du jemanden brauchen kannst, welcher dich mit nutzlosen Kommentaren sowie ein wenig belangloser Konversation ablenkt, wenn es nervig wird, wir könnten uns gerne treffen. Müßten lediglich einen Termin sowie Treffpunkt vereinbaren.“
Sonja schaute ihn einen Augenblick an, überlegte, meinte daraufhin: „Dienstag, elf Uhr beim Gänseliesel-Brunnen am Steintor?
Ich warte fünfzehn Minuten, trage anschließend mit Fassung, wenn du doch keine Lust hast, stattdessen andere Pläne hast.“

Kurz darauf fuhr auch bereits eine Bahn heran und hielt. Martin nickte: „Gut, Dienstag, elf Uhr, Gänseliesel, weniger als fünfzehn Minuten verspäten …“
Danach kam ihr Abschied voneinander. Die Bahn fuhr an, beide hoben nur so eben zum Gruß je eine Hand, um bloß nichts von ihren Gedanken zu offenbaren. Keiner von beiden wollte so recht als erster aus seiner Deckung heraus.

Martin schlenderte anschließend entspannt von der Haltestellte, hierauf durch den Park, plante dabei, über einen gemütlichen Umweg heimzustreben. Zunächst wollte er allerdings zurück zur Wiese, mal gucken, ob er alle Spuren des Rollstuhls vorsichtig zutreten sowie halbwegs ausgleichen konnte, diese Reparaturen mußte keineswegs unbedingt anderen überlassen bleiben, was auch deutlich aufwendiger wäre, wenn derartige Schäden erst einmal verfestigt wären. Angekommen tat er also sein Bestes, um die Scharten der Wiese wieder halbwegs auszugleichen, das Gras würde sich höchstwahrscheinlich sowieso später abermals von selbst aufrichten.
Dabei grübelte er nach.
Sonja fand er sehr interessant, war allerdings keinesfalls so sicher, ob er da wirklich seinen sowie ihren Ansprüchen genügen könnte – indes, hätte sie wahrlich Interesse an einer weiteren Bekanntschaft?
Ihre Ausführungen hatten sich ohnehin eher angehört, als hätte sie unlängst gründlich die Nase voll, überdies gut zu tun mit ihren Bekanntschaften aus dem Netzwerk, was sollte er da eine Intervention wagen?
Ihre Unterhaltung war gut verlaufen, hatte Spaß gemacht, eine schöne Abwechslung, ein prima Gedankenaustausch, aber würden sie darüberhinaus etwas miteinander anfangen können?
Sind weitere gemeinsame Interessen vorhanden?
Hatte er überhaupt Lust, weiter auf Sonja einzugehen?
Spannend, interessant, wahrscheinlich angenehm wäre derlei Freundschaft durchaus, indes er hatte doch so schon genug zu tun?
Nun hatte Sonja den Anspruch, selbständig zu sein, was indessen bliebe davon bei einer engeren Freundschaft?
Martin hatte immer mehr Zweifel.
Besser doch wohl, alleine bleiben, am Dienstag gar nicht zum Treffen erscheinen, das würde eine Menge Probleme ersparen, es wäre zudem überdies damit vermieden, sich erneut miteinander auseinanderzusetzen und ebenso im direkten Kontakt eventuell aufgekommene Hoffnungen zu enttäuschen?
Seine oder ihre Hoffnungen?
Das könnte unter Vermeidung eines weiteren Treffens somit ungeklärt bleiben.
Also hingehen, erkunden, erforschen oder einfach wegbleiben, nichts riskieren? …

Sonja fuhr mit ihrer Bahn Richtung Innenstadt, jene Haltestelle samt Martin war längst entschwunden. Ihr Weg ging durch einen anderen Stadtteil. Sonja rieb überlegend über ihre Stirn.
Was hatte sie nur wieder für Dummheiten gemacht?
Erst jene dämliche Aktion, mußte unbedingt unüberlegt dort über diese Wiese fahren, was ihr wieder einmal verdeutlichte, wieviel sie noch lernen mußte, um eigene Kräfte und solche Situationen vorsichtiger sowie realistischer einzuschätzen. So würde sie nie selbständig werden, mithin von anderen abhängig bleiben. Immerhin hatte ihre Eskapade diese neue Bekanntschaft mit Martin eingebracht, was durchaus ein erfreuliches Erlebnis gewesen war. Aber sie hätte gewiß nicht so viel offenbaren dürfen, hätte niemals so hemmungslos herauskotzen dürfen, was bedrückte, zusetzte, beschäftigte. Natürlich war sie früher ebenfalls keineswegs immer besonders ausgeglichen gewesen, nach dem Unfall im Krankenhaus hatte sie demgegenüber einiges über Konzentration, Kontemplation, Haltung gelernt, also zeitlich ungefähr zwischen Selbstaufgabe und Depression, als sie eigentlich völlig verschwinden wollte, ferner überdies nachher, als sie sich zusammenriß, alles tun wollte, um da nochmals rauszukommen. Nun war dieser aufgestaute Mist doch aus ihr hervorgebrochen, was sie lieber für sich behalten hätte. Diesen Ausbruch ausgesprochener Selbsterkenntnis konnte sie keinesfalls mehr zurücknehmen, diesen Moment ihrer Schwäche, des schutzlosen Offenbarens mußte sie nun wohl so hinnehmen.

Besser wäre sowieso gewesen, solch einem interessanten Typen vielleicht versehentlich an seine Füße fahren, anschließend vielleicht etwas daraus machen.
Sich so von ihm abschleppen, aus dem Dreck ziehen lassen, war schon abermals entwürdigend sowie deprimierend.
Zudem dabei ihre blöden Verdächtigungen?
Hatten diese Kontakte bei jener Partnerbörse ihr Denken, ihre Einstellung tatsächlich bereits so verunsichert und verändert, daß gleich bei jedem neuen Kontakt Verdacht aufkam?
Und wie dämlich war es unterdessen zuletzt, ihm diese Verabredung aufzudrängen, als ob sie etwas von ihm wollte.
Wollte sie eigentlich?
Was hätte sie da nochmalig riskieren müssen?
Wollte sie wirklich mehr?
Andererseits waren ihre Unterhaltung sowie Verabredung eigentlich vollends harmlos, eine Spazierfahrt sowie ein Spaziergang durch die Stadt, ein paar Sachen endlich sowie überdies noch gemeinsam erledigen. Wenn Martin dabei nicht gelangweilt wäre, könnten beide vorsichtig weitersehen, ob ein weiteres Treffen noch in Frage käme. Doch nein, Sonja hatte Zweifel, im Ernstfall wäre ihre Person für Martin ohnehin nur eine Zumutung.
Oder aber er führte gleichwohl Unheimliches mit ihr im Schilde, indessen, wenn dem wahrhaftig so wäre, hätte er doch gleich selbst gierig ein weiteres Treffen vorgeschlagen?
Ihr Zusammentreffen blieb rätselhaft, gleichzeitig erfrischend überraschend, gänzlich unerwartet. Sonja mußte einfach weiter denken, einen Plan machen, anschließend entscheiden. Schließlich wäre es letztlich erstaunlich einfach, am Dienstag beim Treffen kneifen, jegliches Problem damit wäre von selbst erledigt. Besser wohl doch allein als auf irgendwas hoffen, was dann nur enttäuschen würde.
Oder hoffte sie gerade, weil sie irgendwie längst wußte, daß sie auch in Zukunft auf Hilfe angewiesen wäre?
Wer würde wen ausnutzen?
Wollte sie weiter im eigenen Saft schmoren, innerhalb ihrer Wohnung sitzen, sich aus dem realen Leben weiter zurückziehen, ein Internet-Zombie werden, dessen Existenz auf Aktivitäten im Netz reduziert ist?
Wäre diese Idee so schlecht?
Ist jemand denn wahrhaftig allein, wenn ausschließlich Kontakte im Netzwerk aufgebaut werden, wenn nur Kontakt zu Leuten vorhanden wäre, welche nie erfahren müßten, welch realer Zustand ihr Schicksal ist?
Kann man lediglich über das Netz ein erfülltes Sozialleben aufbauen oder braucht es dazu notwendig persönliche, geteilte, profane Realität?
Könnte leben in einer postfaktischen Illusion nicht erholsam gemütlich sein?
Muß man andere persönlich sehen, anfassen, damit erfüllende, gute soziale Kontakte gepflegt werden können?
Diese ‚Freunde‘ innerhalb sozialer Netzwerke sind im Grund ohnehin höchstwahrscheinlich lediglich Illusion und Selbstbetrug?
Von wievielen hört man nach angenommenen Freundschaftsanfragen nichts mehr?
Hätte sie Martin statt hier persönlich im Park durch ein soziales Netzwerk kennengelernt, hätten beide bereits eine Freundschaftsanfrage ausgetauscht, bestätigt und nie wieder voneinander gehört?
War ihr Verhalten jetzt eben gleichfalls eher solch eine symbolische Ersatzhandlung, welche mitnichten ernstzunehmen ist?
Würde sie lächerlich erscheinen, wenn sie wirklich zur besagten Zeit zum Treffen erscheinen würde?
Was bedeutet Freundschaft?
Wozu?
Sollte sie besser einfach die Enttäuschung vermeiden, vorsichtshalber daher ihre Erledigungen in der Stadt auf einen anderen Tag verschieben?
Ja, so sollte wahrscheinlich ihre Entscheidung ausfallen, Enttäuschung ersparen, einen weiten Bogen machen, keine Blöße geben, kein unnützes Risiko eingehen, ihre eigene Deckung akkurat hochhalten. Sie sollte stark sein, alles an Gefühl, was sie vielleicht weiterhin hatte, tief im eignen Innern verschließen, so könnte sie eine Verletzung souverän vermeiden. An ihr sollte alles abperlen. Sie sollte ein Fels in der Brandung sein, wohl wissend, daß selbst diesen die stete Kraft der Erosion irgendwann kleinkriegen würde.
Niemand vermochte für immer zu bestehen, hingegen durfte sie deshalb gleich Schwäche zeigen, wo sie doch stark und unabhängig sein wollte?
Plötzlich schien ihre Entscheidung festzustehen.
Oder war sie einfach feige geworden?
Kniff sie lieber, blieb lieber allein, statt diese Chance zu ergreifen und aktiv zu werden?
Früher war Initiative doch ihre Sache, hatte Entscheidungen einfach so leicht aus der Hüfte geschossen und getroffen?
Nun, ab Hüfte abwärts war irgendwie kein Verlaß mehr auf ihren Körper. Zwar werden Entscheidungen ohnehin im Kopf getroffen, dennoch haben restliche Randbedingungen doch immer ebenfalls einen gewissen Einfluß. Ihr Unfall hatte mehr als ihren halben Körper gekostet, innerhalb ihres Kopfes war gleichfalls irgendetwas psychologisch gelähmt und tot, das Selbstvertrauen war dahin sowie durch Mißtrauen ersetzt. Sonja hatte das Grundvertrauen in sich verloren, ebenso ihre Zuversicht.
Plötzlich wußte sie völlig genau, sie würde weiter allein bleiben, ihr lose verabredetes Treffen schwänzen. Diese Einsicht fühlte sich an wie Versagen, Scheitern, Hilflosigkeit, wie ein Kloß Beton im Magen. Sie hatte alles verloren, ihre früher so selbstverständliche Initiative sowie Risikofreude war erloschen. Aber aufgeben, komplett loslassen vermochte sie gleichfalls keineswegs, so ließ sie ihr Leben einfach unentschlossen laufen, eher dahinsickern, treiben.
Es blieb nur Leere. Dies war eine Leere in einer großen Stadt voller Menschen, über eine halbe Million davon. Dies war Leere in einem weltweiten Netzwerk von Milliarden Menschen. Eine unter vielen, dennoch allein. Immer dabei, nichtsdestoweniger abseits. Sie schaffte einfach nichts mehr, hatte den Eindruck, als zerrinne, verblasse ihr Leben im Nichts, welches allmählich, ganz langsam durch ihr Sein sickern würde, dieses zersetzen würde, um es schließlich zu zerreißen.
Allein im Nichts.
Letztlich nur noch Nichts.
Oder dennoch trotzig zum Treffen rollern?
Was verlöre sie schon dabei?
Sonja zog als Reaktion mit der rechten Faust durch, um mit voller Kraft auf ihre leblosen Beine zu schlagen, wich allerdings im letzten Augenblick nichtsdestotrotz aus, um den Rollstuhl zu treffen, daß ein mächtiger Schmerz durch ihren noch immer keineswegs völlig kurierten Arm blitzte. Sie schluckte stumm den Schmerz herunter, welcher sich widerborstig mit dem Kloß Beton dort vereinte.
Hinrollern oder nicht?
Mehr als zum Narren konnte sie sich ohnehin nicht machen …

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Tag der Veröffentlichung: 01.11.2016

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