eBooks „Nichts“
Es wurden 3983 eBooks für den Suchbegriff „Nichts“ gefunden.
Helmut Schmidt
Julia - Roman 1. Kapitel
- Liebe
- Deutsch
- 1 Wörter
- Keine Altersempfehlung
- 1057
- 2
-1-
Julia 1. Kapitel
Im Wartezimmer gab es nur noch einen Stuhl der nicht besetzt war. Seit mehr als einer Stunde saß ich hier mit elf Patienten in diesem tristen Raum. Die Stühle waren unbequem; keiner sagte ein Wort. Die Luft war stickig, obwohl ein Fenster geöffnet war. Meine Füße schmerzten wie nach einem zehn Kilometer-Marsch. Ich hätte diese unbequemen Pumps nicht anziehen sollen, dachte ich. Ich taxierte die Menschen im Raum und mir fiel auf, dass ich im Vergleich zu allen anderen Frauen doch recht üppig gestylt war. Das störte mich aber nicht besonders. Ich liebte es, meine Haare schick zu frisieren, ein dezentes, aber gutaussehendes Make up aufzulegen und große Ohrringe zu tragen. Mein Kleiderschrank hatte fast eine halbe Stunde leiden müssen, bevor ich mich für ein sehr elegantes, ultramarin-blaues Kostüm entschieden hatte. Es war mir immer wichtig einen guten Eindruck zu machen und zu hinterlassen. Aber mein Styling spielte für mich jetzt absolut keine Rolle. Ich fühlte mich hier nicht sehr wohl in diesem Warteraum. Ich wünschte mir eigentlich nur, dass die Tür geöffnet wurde und die Arzthelferin endlich den nächsten hereinbitten würde. Die meisten Patienten beschäftigten sich eifrig mit den Illustrierten, einige saßen nur stumm da und starrten auf den Boden; die Frau mir gegenüber durchsuchte nun schon zum vierten mal ihre Handtasche; aber ihrem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass sie nicht finden konnte, was sie vermisste. Ich fing an darüber nachzudenken, ob sie überhaupt wusste, was sie suchte. Ich schätzte sie auf Anfang 50; etwa zehn Jahre älter als ich. Hin und wieder blickte sie zu mir herüber. Sie war eine attraktive Frau, wirkte sehr nervös. Okay, sie könnte viel mehr aus ihrem Typ machen; aber vielleicht fehlten ihr die finanziellen Mittel oder sie brauchte einen Farb-und Stilberater – möglicherweise war sie aber auch schwer psychisch krank und bemerkte gar nicht, wie altbacken ihre Frisur wirkte und das ihr Pulli offensichtlich zu heiß gewaschen worden war, die schreckliche Farbe dabei völlig außer acht gelassen. Sie wirkte völlig verkrampft und unruhig. Aber besonders entspannt fühlte ich mich auch nicht. Der Mann, der neben mir saß, gab in
-2-
regelmäßigen Abständen leichte, aber nicht zu überhörende Stöhn-Geräusche von sich. Ich hatte keine Ahnung, warum er das tat, er tat es eben. Ich wartete seit einiger Zeit sogar darauf, dass ein erneutes Stöhnen von ihm zu hören war und überlegte, ob die Abstände dazwischen immer zeitgleich waren; aber das konnte ich nicht hundertprozentig beurteilen. Eine junge Frau am Fenster strickte mit sehr dicken Nadeln an einem Pullover in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Wahrscheinlich wollte sie das selbstgemachte Teil heute Abend noch verschenken, obwohl es in dieser Jahreszeit bestimmt keiner tragen würde, wenn man nicht schwitzen wollte. Ich stellte mir vor, wie sie es am Abend in Windeseile noch auf dem prallgefüllten Küchentisch in Geschenkpapier einwickelte, die Beschenkte es dann eine Stunde später auspackte und sie dann mit Schrecken mit ansehen musste, dass sie vergessen hatte die Fäden zu vernähen. Irgendwie sind die doch alle bekloppt hier, dachte ich. Und ich saß mit all denen in diesem Wartezimmer. Was machte ich hier bloß? Ob es ein Fehler war hierher zu kommen? Sollte ich wieder gehen? Wie konnte Carmen mich nur hierher schicken? Ich überlegte, ob ich mein Taschenbuch erneut hervorholen und ein weiteres Kapitel lesen sollte; es war ein sehr spannendes Buch – etwas neues von Nora Roberts, konnte mich in einer Atmosphäre wie dieser aber nicht besonders gut auf das Geschehen in dem Buch konzentrieren. Vielleicht bekam ja irgendjemand gleich hier einen Anfall oder so was. Ich entschied mich dann nach einer Weile für eine der wenigen Illustrierten, die noch auf dem Tisch lagen, fing gerade an, darin herumzublättern, als plötzlich und endlich die Tür wieder geöffnet wurde. „Frau Julia Bartens bitte für Dr. Reiser“. Ich war erleichtert, dass das Warten für mich ein Ende hatte und folgte der Sprechstundenhilfe, die mich in das Zimmer zu Dr. Reiser führte, meine Krankenakte nicht sehr galant auf seinen Schreibtisch knallte und sofort darauf wortlos wieder verschwand. Wahrscheinlich hatte sie sich gestern Abend von ihrem Mann getrennt, dachte ich; vielleicht hat sie aber auch ihre Periode und damit ein Problem. Zumindest wirkte sie äußerst unfreundlich und schlecht gelaunt. „Frau Bartens, bitte nehmen Sie Platz“, begrüßte mich dann freundlicher der
-3-
mir bislang völlig unbekannte Neurologe und Psychiater Dr. Ludwig Reiser. „Was kann ich für Sie tun?“ – Recht jung für einen Arzt, ging es mir durch den Kopf. Vielleicht zu jung. Aber sympathisch. Und dazu noch gutaussehend; und das nahm mir zunächst schon ein wenig die Angst, dass ich einem mir völlig fremden Menschen meine Probleme anvertrauen sollte. Er trug ein weißes Polo-Shirt, von dem keines der Knöpfe geschlossen war, so dass seine schwarzen dichten Brusthaare zu sehen waren, was mich für einen winzigen Augenblick leicht erregte. Sein Haupthaar war voll, und raffiniert geschnitten; er war bestens rasiert; an der Stirn war eine kleine Narbe zu sehen; (wahrscheinlich war er als Kind irgendwann einmal unglücklich gestürzt oder die Narbe war das Ergebnis einer Schlägerei mit einem Kommilitonen während seiner Studienzeit); seine Augen waren dunkel – ein Südländischer Typ, den ich mir sehr gut mit nacktem Oberkörper in einer Strand-Cocktailbar auf Mallorca vorstellen könnte, während ich bei ihm meine vierte Pina-Colada bestellte und im Hintergrund ein Sommerhit aus den Lautsprechern meine gute Laune steigerte, dachte ich. Seine Frau war zu beneiden, mit einem solchen Mann gesegnet zu sein – zumindest optisch. „Sie sind das erste Mal hier, ja?!“, fragte er dann, weil ich nicht spontan auf seine Frage geantwortet hatte; so dass ich den Eindruck hatte, ich stand hier etwas unter Zeitdruck. Verständlich, wenn noch elf weitere Patienten hier bei ihm Seelen-Striptease machen sollten; oder zumindest vier oder fünf, wenn der Rest dann bei dem Kollegen Dr. Schildmeyer vorgeladen wurde. Ganz davon abgesehen, wie viele weitere hier noch einen Termin hatten heute. Wieso bestellen die sich hier so viele Patienten auf einmal, die dann doch Stunden im Wartezimmer „ausharren“ müssen? Plant man hier nicht richtig? dachte ich. „Ja, ich bin…, also meine Freundin meinte, dass ich Hilfe benötige“, begann ich etwas unsicher. „Fein, wobei kann ich Ihnen also helfen?“ Ich sah mich um in dem Raum und schwieg eine Weile. Irgendwie war ich nach dem langen Warten gar nicht bereit jetzt „behandelt“ zu werden. An den Wänden hingen geschmackvolle Bilder, Regale waren vollgestopft mit Fachbüchern; die Behandlungsliege war mit einem knallroten Laken bespannt. Auf dem Schreibtisch stand neben dem
-4-
Computermonitor, die Sprechanlage zum Vorzimmer, vielen Schreibutensilien, Stempeln und sonstigem Papierkram ein kleiner Bilderrahmen, den ich leider nur von hinten sehen konnte. Wahrscheinlich ein Foto seiner Frau oder seiner Kinder, dachte ich. „Woran denken Sie gerade, Frau Bartens?“, fragte er mich mit einem Kugelschreiber in der Hand, leicht schmunzelnd und beobachtend. Und spontan antwortete ich: „Ich denke an die Patienten im Wartezimmer, die sich jetzt immer noch so fühlen wie ich mich bis vor einer Minute noch gefühlt habe; wartend und ungeduldig. Sie warten darauf, dass Sie hier mit mir fertig werden – wenn ich dass mal so sagen darf – und deshalb fühle ich mich eingeengt und unter Zeitdruck“, meinte ich, während meine Augen an der Grünpflanze auf der Fensterbank hingen blieben, die meines Erachtens dringend Wasser brauchte; welches mir aber heute recht unwahrscheinlich schien, dass das passieren würde; weil bestimmt die Arzthelferin „Madame Schlechte Laune“ dafür zu sorgen und diese ja ihren miesesten Tag seit langem hatte. „Machen Sie sich oft Gedanken über das Wohl anderer? Kommt es häufig vor, dass Sie in erster Linie weniger an sich selbst denken ?“, fragte er; und ich spürte, dass wir mit diesen beiden Sätzen schon mitten in der Behandlung waren, und der gutaussehende, charmante, sicherlich verheiratete Vater von zwei phantastischen wohlerzogenen Töchtern im nächsten Augenblick in meiner Akte schreiben würde, dass ich an einem Helfersyndrom leide. „Nein, das war nur so ´n Gedanke – Entschuldigung“, antwortete ich. „Sie müssen sich dafür nicht entschuldigen“, sagte er. Und dann folgte: „Sagen Sie mir doch bitte, warum Sie der Meinung sind, dass Sie sich dafür entschuldigen müssten“. Ich schaute einen Moment nach unten und überlegte, welche Antwort jetzt die richtige wäre. Der Mann war schon dabei mich seelisch auszuziehen; und das gefiel mir nicht. Ich hatte geahnt, dass dieses Gespräch in der Gemeinschaftspraxis Dr. med. Ludwig Reiser und Dr. Udo Schildmeyer - Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie so ablaufen würde. Ich hatte es hier also ganz offensichtlich mit Dr. Reiser zutun, obwohl mich niemand danach gefragt hatte, ob ich vielleicht nicht lieber von Herrn Dr. Schildmeyer behandelt werden möchte. Aber den kannte ich ja auch nicht.
-5-
Er beobachtete mich irgendwie belustigt; das machte mich nervös. So attraktiv wie noch vor einer Minute war er plötzlich nicht mehr. Er wartete auf meine Antwort. „Frau Bartens?“ – Und ich sagte dann: „Ich habe mich nur dafür entschuldigt, weil dieser Satz nicht nötig gewesen wäre – wir haben damit nur Zeit verloren“. – „Sie denken also, dass Sie anders hätten antworten sollen?“ Meine Güte, was mache ich hier eigentlich, ging es mir durch den Kopf. Worüber rede ich mit diesem Typen? Warum habe ich das Gefühl, dass dieser Mensch hier eine gewisse Macht über mich ausübt? Was sollte das? Ich begann also noch mal von vorne. „Sie haben mich gefragt, woran ich gerade denke. Und wahrscheinlich haben Sie erwartet, dass ich Ihnen als Antwort mein Problem anvertraue, denke ich; ich meine warum ich eigentlich hier bin, womit ich nicht klarkomme“, erwiderte ich etwas vorsichtig. Es machte ihm Spaß diese – meines Erachtens – schwachsinnige Unterhaltung zu führen und meinte: „Sie sind also der Meinung, dass Sie auf meine Fragen so antworten müssen, damit ich zufrieden bin? Frau Bartens, ich habe sie gefragt, woran Sie denken, und Sie haben mir gesagt, dass Ihnen die wartenden Patienten durch den Kopf gehen. Das war ehrlich und völlig richtig. Jede andere Antwort hätte nicht der Wahrheit entsprochen“. Ich nickte leicht zufrieden und schaute dann etwas verunsichert wieder einen Moment auf meine Schuhe. Na, dann ist es ja gut, dachte ich. Dann können wir ja nun noch mal von vorne beginnen. Ich überlegte einen Moment, wie ich diesem Mann jetzt am besten mein Problem beibringen könnte, aber dabei wurde ich schon wieder unterbrochen von ihm: „Sie schauen nun schon das zweite mal nach unten, Frau Bartens. Verraten Sie mir doch bitte, ob Sie sich unwohl fühlen hier“. „Ich fühle mich nicht unwohl; ich schaue nur gerne mal hin und wieder hier und dort hin. Außerdem tun mir meine Füße weh, weil ich die falschen Schuhe gewählt habe. Und wohin soll ich denn sonst schauen? Ich hab´ mir ihr Zimmer doch schon angesehen“, protestierte ich; und fühlte mich nach dieser Frage jetzt mehr als unwohl. „Und ? Gefällt es Ihnen?“ – „Was ?“ – „Na, mein Behandlungszimmer. Ist es für Ihren Geschmack stilvoll eingerichtet, oder was würden Sie verändern?“, bohrte er und lehnte sich nun zum ersten Mal
-6-
lässig zurück an die Rückenlehne des Schreibtischstuhls. – Das Gespräch blieb für mich absolut unsinnig. Ich hatte nach dem schlechten Opening gehofft, dass wir nun eine „normale“ Unterhaltung beginnen würden, aber er wollte es anscheinend nicht. Solche banalen Kommunikationen hatte ich schon oft geführt mit Männern, die mich mit einem halbvollen Glas Bier in der Hand in Pubs oder Kneipen dumm von der Seite anquatschten, wenn sie schon leicht angeheitert waren und das Anmachen für sie somit leichter war; und bei denen ich es dann genoss sie abblitzen zu lassen; aber erst dann, wenn ich ein ebenso etwa zehnminütiges schwachsinniges Gespräch mit denen geführt – um nicht zu sagen – sie total verarscht und irgendwie - gewonnen hatte. Hier war es nicht anders; nur, dass dieser Typ Arzt war und mich nicht anbaggern wollte; was im Grunde eigentlich schade war, wenn er nicht so gut aussehen würde, obwohl jetzt von Minute zu Minute seine attraktive Optik mehr und mehr nachließ. „Entschuldigen Sie, es ist ein Behandlungszimmer; was soll man denn daran großartig stilvoll einrichten? Außerdem ist es ihr Behandlungszimmer, das können Sie doch einrichten wie Sie es für richtig halten. Ich bitte Sie ja auch nicht in meine Wohnung zu kommen und mich zu beraten was ich verändern soll“. Ich überlegte kurz ob ich das so hätte sagen sollen; schaute Dr. Reiser dann aber direkt in die Augen und nicht mehr nach unten, zu der Grünpflanze, den Bildern an den Wänden, dem Fotorahmen von hinten auf dem Schreibtisch; aber den klebenden Blick in seine Augen hielt ich nicht lange stand. „Und schon wieder haben Sie sich entschuldigt“, meinte der Doc und hatte sogar recht damit. (Ich finde das richtig scheiße hier, Doc Reiser – wir labern hier nun schon seit fünf Minuten über diesen Raum, über meine Gedanken und vor allem über meine taktvolle Art, mich zu entschuldigen; was ich aber anscheinend nicht darf. Wenn ich nicht schon krank bin, dann machst Du mich krank, Doc Reiser, ja! Und lange werde ich mir das hier bestimmt nicht mehr antun, außerdem bringen diese Scheiß-Schuhe mich um) „Die Blume braucht Wasser“, sagte ich ganz spontan; „und knallrote Bettlaken finde ich richtig daneben. Erst mal sieht ein knallrotes Laken für mich tuntig aus, hinzu kommt, dass diese Farbe bestimmt abfärbt und somit alleine
-7-
gewaschen werden muss, weil man sonst alles versaut – zusammen mit anderen Textilien, meine ich. Die Bilder an den Wänden gefallen mir allerdings“. Vielleicht war das nun die richtige Antwort, die er hören wollte. „Na bitte – Und ohne sich dafür zu entschuldigen, sagen Sie mir das?“ – „Sie haben es mir verboten“, sagte ich bestimmend; obwohl das nicht ganz richtig war. Dr. Reiser musste darüber lachen; ich fand es alles andere als komisch, dann wechselte er das Thema. „Sie sagten vorhin, dass eine Freundin Ihnen geraten hat, Sie sollten einen Psychiater aufsuchen, Frau Bartens“. Ich hatte keine Ahnung, was das nun sollte. Ich wusste aber, dass ich mich bestimmt wieder hervorragend mit meiner besten Freundin Carmen verstehen würde, und zwar nachdem ich sie erwürgt hatte, weil sie mir diesen Gehirnklempner empfohlen hatte. Dr. Reiser bestimmte das Gespräch. Er stellte die Fragen, ich hatte zu antworten; ganz nebenbei wurde aber jede Bewegung die ich machte auseinandergepflückt, jede Antwort sowieso. Jetzt wurde Carmen in dieses Gequatsche hineingezogen. Nein, das lasse ich nicht zu, dachte ich und reagierte dementsprechend. „Wir sollten nicht vom Thema abweichen, Herr Dr. Reiser. Ich bin mit Ihrem Behandlungszimmer noch nicht fertig. Das Bild dort auf Ihrem Schreibtisch; ist das Ihre Frau? Ich kann es leider nur von hinten sehen.“ – Er schmunzelte wieder. Ich spürte genau, dass er mich für komplett durchgeknallt hielt, aber das war mir egal. Ich hasste es, dass diese gelehrten Psycho-Mediziner sofort die Macht über die Patienten hatten; dabei war doch allgemein bekannt, dass über 70 % aller Psychiater selbst in psychiatrischer Behandlung waren. Kein Wunder; die mussten sich ja auch den ganzen Tag die Geschichten von „Bekloppten“ anhören. Er nahm den Bilderrahmen in seine Hände und betrachtete das Foto darin. „Ja, das ist meine Frau. Möchten Sie das Foto sehen?“ Ich hätte jetzt erwartet, dass er es auf seinen Platz hätte stehen lassen, sofort umgedreht und mir zeigte, aber er hielt die Zügel in diesem Spiel fest. „Nein“, antwortete ich kurz. „Ich frage mich nur, warum Sie ein Bild Ihrer Frau hier auf Ihrem Schreibtisch stehen haben. Sie sehen sie doch heute Abend sicher schon wieder. Oder ist sie vereist? Ich meine, es geht mich nichts an – Entschuldigung…“ (oh scheiße, jetzt hatte ich dieses Wort schon wieder
-8-
gesagt; und gleich musste ich ein drittes Mal erklären, warum – deshalb versuchte ich noch schnell die Situation zu retten) „Entschuldigen Sie bitte das Wort „Entschuldigung“ – das wollte ich eigentlich gar nicht sagen; denn wozu sollte ich mich entschuldigen, nicht wahr?!“. Und bevor er einhaken und mich wieder foltern konnte, sagte ich: „Vielleicht hat Ihre Frau auch ein Foto von Ihnen auf dem Schreibtisch stehen, falls sie an einem Schreibtisch arbeitet; oder aber auch eins in ihrem Portemonnaie oder zumindest in ihrer Handtasche – ist ja okay – wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass Sie sich immer noch lieben oder sich immer wieder irgendwie ansehen müssen; und wenn es nur auf einem Foto ist. Es könnte natürlich auch einen anderen Grund haben“. Ich machte eine kurze Pause; wollte ihm diesen Grund gar nicht nennen; aber diese Chance bekam ich nicht. „An welchen Grund denken Sie da, Frau Bartens ?“ Er sollte ihn hören, diesen Grund, doch dazu benötigte ich vorher eine kleine Information, und diese durchaus nichts bringende Unterhaltung fing an, mir in einer gewissen Weise Spaß zu machen. „Wie viele Patienten behandeln Sie hier am Tag?“ – „Das ist ganz unterschiedlich; aber im Schnitt sind es etwa zwanzig; warum fragen Sie“, lautete seine Antwort, die natürlich sofort wieder mit einer Frage gekoppelt war; um mir ganz deutlich zu stecken, dass er immer noch der Arzt war – ich die Kranke. „Nun ja“, begann ich, „wenn wir mal davon ausgehen, dass die Hälfte dieser Patienten weiblich ist, und – ganz unabhängig von ihren Problemen – davon wieder fünfzig Prozent noch recht attraktiv, ich meine, was Sie unter attraktiv verstehen, und jede Frau Ihnen hier persönliches, privates, ja, meistens sicherlich auch intimstes aus ihrem Leben erzählt, dann könnte es doch gut möglich sein, dass Sie sich hin und wieder in die Gefahr begeben, sich in die eine oder andere zu verlieben. Und in einem solchen Moment schauen Sie dann auf das Foto Ihrer Frau und sehen, wie schön und makellos sie doch ist, und das es sich nicht lohnt, diese wahrscheinlich perfekte, immer verständnisvolle Ehefrau zu betrügen; und wenn dieses Betrügen auch nur im Kopf stattfindet“. Pause. Er starrte mich nur an; sein Schmunzeln war verschwunden, aber sein rechter Mundwinkel war ganz leicht angehoben, so dass ich den Eindruck bekam, dass er mir
-9-
damit zwar weiterhin seine Macht zeigen wollte, ich ihm aber auch endlich mal die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt hatte; ja, ich hatte einen Stachel ausgefahren und ihn getroffen, dachte ich, und diese Situation war für ihn irgendwie neu – zumindest hatte ich das Gefühl; und es hätte mir eine Art Befriedigung verschafft, wenn es denn so wäre; denn diesen Gesichtsausdruck, den er nun auflegte, war neu für mich und ich sah diesen nun zum ersten Mal bei ihm. Ich überlegte, wie es nun weiterging und wie er nun reagieren würde. Wahrscheinlich würde er mir jetzt das Bild zeigen; was aber nicht geschah. Er hielt es weiterhin in seinen Händen und fragte mich dann: „Halten Sie sich für attraktiv, Frau Bartens?“ Damit hatte ich nun nicht gerechnet. „Bitte ?“ – Er wusste genau, dass ich die Frage akustisch bestens verstanden hatte, genoss aber meine Verunsicherung und wiederholte sie, setzte sogar noch einen drauf. „Ob Sie sich für attraktiv halten. Wie sehen Sie sich selbst? Finden Sie, dass Sie makellos sind, optisch perfekt?“ - „Ich bin ganz sicher nicht makellos und perfekt. Weder optisch noch charakterlich. Wer behauptet das schon von sich? Wenn ich all das wäre, dann säße ich sicher nicht hier bei Ihnen, oder? Und was Attraktivität betrifft, ich denke, dass sollte man von sich selbst nicht sagen; ich mache das zumindest nicht. Das sollen andere entscheiden; außerdem ist das eine Geschmacksfrage“; und das war meine ehrliche Meinung dazu. „Das ist eine selbstbewusste Einstellung, Frau Bartens. Verraten Sie mir aber doch jetzt bitte, warum Sie davon ausgehen, dass all diese positiven Eigenschaften auf meine Frau zutreffen?“ – Verunsichert schaute ich wieder nach unten zu meinen immer noch schmerzenden Füßen. Dieses Wort – ja, dieses Wort sollte jetzt kommen, denn jetzt passte es wirklich und würde auch seinen Sinn erfüllen. Ich musste es sagen, und wenn ich Glück hatte, würde er es sogar annehmen diesmal. Ich sollte auch nicht länger warten damit. Ich schaute wieder hoch, sah ihn an und wagte es; und zwar deutlich. „Entschuldigung, Herr Dr. Reiser – Sie haben recht. Es gibt keinen Grund, dass ich mir über Ihre Frau ein Urteil erlaube; das war nicht sehr höflich von mir“. Ich wollte noch ein zweites „Entschuldigung“ hinterher schieben, ließ es dann aber bleiben. Er sah mich weiter an und schwieg.
-10-
Kein Kommentar von Dr. Reiser warum ich so geantwortet hatte. Ich sah wieder auf meine Schuhe, begann meine Füße aneinander zu reiben, überlegte kurz, ob ich mich trauen sollte, meine Schuhe auszuziehen, ließ es bleiben, sah wieder hoch zu ihm. Unser Schweigen dauerte an. Nach etwa zwei Minuten (obwohl es mir wie mehrere Stunden vorkam) ertrug ich es nicht mehr. „Und?“ sagte ich. Und endlich brach auch er die unerträgliche Stille. „Ich denke, dass Sie das Foto doch ganz gerne sehen würden, und ich frage Sie, wie ist sie denn dann, meine Frau, wenn Sie nun plötzlich Ihrer Meinung nach doch nicht perfekt ist, Frau Bartens ?“ Das war zu viel. Dieser Mann verarschte mich. Ja, er verarschte mich so, wie es schon zu viele Männer getan hatten. Ich hatte keine Lust mehr, diese „Behandlung“ noch länger über mich ergehen zu lassen. Keine Minute länger würde ich mir das hier antun. Es war mir scheißegal, ob hier ein Psychiater, ein Staatsanwalt oder gar der Papst persönlich vor mir saß. Ich kochte vor Wut, stand auf, und dann schrie ich es laut heraus: „Das weiß ich doch nicht. Was denken Sie eigentlich wer Sie sind und was wir hier machen? Diesen Psycho-Terror können Sie sich an den Hut stecken. Und jetzt zeigen Sie mir endlich dieses Scheiß-Foto von Ihrer Frau, verdammt!“ Im gleichen Moment riss ich ihm den Bilderrahmen aus der Hand, schaute darauf und sah eine sehr hübsche, lächelnde, blonde Frau von etwa vierzig Jahren. Das Foto war oben rechts unter dem Rahmen mit einem schwarzen Trauerband versehen… [mehr]
Stichwörter: Roman, Liebe, Drama, Arzt
Kostenlos
borgi53
Der Bus kommt!
- Kurzgeschichte
- Deutsch
- 1760 Wörter
- Ab 10 Jahren
- 235
- 4
Der Bus kommt!
Mit meinem Reisegutschein mache ich mich am Montag auf den Weg nach Anrath. Anrath ist ein kleiner beschaulicher Ort in der Nähe von Krefeld. Um 6 Uhr in der Früh steuere ich mein kleines Auto auf das Gelände der Reisegesellschaft. Nur noch ein paar Minuten, so der Busfahrer, dann geht es los.
Herrlich, denke ich, einen ganzen Tag für mich alleine. Die Sonne geht auf, der Himmel hat viele Farben, es wird ein schöner Tag.
Der Busfahrer gibt grünes Licht, ich darf nun endlich in den Bus. Er weist mir den Platz zu, Nummer 29. Er bemerkt das die Sitznummern immer am Rand der Sitze stehen. Die Sitze 29 und 30 haben aber keine Nummern, befinden sich aber genau gegenüber der Kaffeemaschine. Der Motor brummt, und inzwischen habe ich meinen Platz ohne Mühe gefunden. Der Busfahrer und ich starten nun in Richtung Kirche um dort noch eine Dame abzuholen, weiter 7 Stationen sollten folgen.
Ein Ehepaar steigt ein, der Busfahrer erklärt wieder das die Sitze Nummern haben, und ganz leicht zu finden sind. Gut gelaunt begrüßt man sich, und sucht die Sitzreihe. Ich hätte nicht gedacht das es so schwer ist. Hast du unsere Sitze gefunden Klara? Nein, ich habe meine Brille vergessen, und ohne Brille sehe ich nichts. Kannst du mal gucken, du hast doch die Brille mit. Aber auch mit Brille läuft er bis hinten durch, um dann festzustellen das er wieder zurück muss. Dieses Spielchen wiederholt sich an fast jeder Haltestation. Der Bus ist nun voll besetzt, und um 8 Uhr geht es endlich auf die Autobahn in Richtung Brügge.
Ich muss feststellen, dass ich das Küken hier im Bus bin. Mit 59 Jahren alleine auf den Weg zu einem wunderschönen Tagesausflug. Etwas seltsam beäugt von den „noch älteren“ Herrschaften hier im Bus, habe ich beschlossen den Tag zu genießen.
Eine allein reisende Dame in der ersten Reihe, und meine Wenigkeit, ansonsten alles alte Ehepaare, und eine Gruppe Damen sind hier on Tour.
Hinter mir, ein altes Ehepaar, (so denke ich), sie unterhalten sich lautstark. Wobei sie mehr redet als er. Guck mal Franz, ein Single Hotel. Das wäre was für uns. Meine Ohren, ob sie es wollen oder nicht, hören alles mit. Wieso Single Hotel denke ich?
Er antwortet etwas genervt, dass sie doch schon verheiratet wäre. Mit etwas leiserer Stimme antwortet sie ihm, dass DER ja nie da wäre.
Wie ich mich da so täuschen konnte? Die sahen wirklich aus wie ein altes Ehepaar. Nun ist ihr kalt geworden, und möchte gerne von ihm gewärmt werden, wozu er aber keine Lust hat, und gähnt ganz laut.
Das Ehepaar vor mir, futtert nur, Salzgebäck, Schokoriegel, dazwischen ein Schluck Wasser aus der Flasche, dann ein Brötchen. Es ist 9 Uhr, und der Bus rollt über die Autobahn. Ich sehe aus dem Fenster, und das monotone Motorengeräusch macht mich müde. Meine Augen fallen zu, und es folgt ein Sekundenschlaf. Aufgeweckt von dem Geräusch einer zischenden Coladose, sitze ich wieder gerade in meinem Sitz.
Ein Ehepaar zu meiner rechten Seite, lächelt mich an. Sie rote Haare, er rotes Hemd, roter Kopf und dicke Ränder unter den Augen. Ein Säufer, denke ich, so sehen Säufer aus. Sie redet, und redet, von Ärzten und Behörden, denen sie mal anständig die Meinung gesagt hat. Er nickt! Ob die zwei überhaupt ein Ehepaar sind, frage ich mich? Seine Haare sind Öl-grau, wobei ich mich frage wie viel Öl er benötigt hat um aus dem Vogelnest eine „Frisur“ zu machen.
Ich wäre so gerne mal Mäuschen, was sich in den vorderen Reihen so abspielt.
Der Busfahrer kündigt eine kleine Pipipause an. Nun erheben sich alle von ihren Plätzen, um in das Restaurant zu kommen. Die Toiletten befinden sich in der ersten Etage. Ha, ich bin die Erste auf dem stillen Örtchen, nicht zu vergessen, ich bin ja das Küken:-)) Als ich den Ort wieder verlassen will, stehen 50 Personen in Reih und Glied vor der Türe, und betrachten mich von oben bis unten. Was sie gedacht haben, werde ich wohl nie erfahren.
Der Busfahrer hat inzwischen Kaffee gekocht, und lenkt ein das er auch ein Jäckchen hat. Ein Cognacjäckchen für den Kaffee. Sekt für den Kreislauf hat er auch an Bord, ich entscheide mich für Kaffee, schwarz, und ohne Jäckchen.
Die Dame aus der ersten Reihe kommt auf mich zu. Wir wechseln ein paar freundliche Worte, und stellen fest das wir den gleichen Vornahmen haben. Irmgard, ein schöner alter Name, wie sie findet. Da gehen unsere Ansichten schon sehr auseinander, wie ich finde. Sie ist Witwe, seit einem Jahr, und muss wieder unter die Leute. Haben sie noch einen Mann, fragt sie mich. Und als ich antworte das ich noch einen Mann habe, fällt ihre Unterlippe etwas ab. Sie sucht eine Reisebegleitung für weitere Unternehmungen.
Die Fahrt geht weiter, alle haben sich erleichtert, und steigen nun wieder ein. Manche suchen wieder ihren Sitzplatz, ist eben nicht so einfach.
Um 11:30 Uhr erreichen wie Brügge. Am Busbahnhof wartet schon ein Reiseführer. Da die Gruppe so groß ist, sollten zwei Reiseführer vor Ort sein. Ein kurzer Anruf, und wir erfahren das der zweite Führer private familiäre Probleme hat. So muss Ernst, so h durch die heißt unser Held von Brügge, die Führung alleine mit uns unternehmen.
Ernst, schreit sein Wissen in die Gruppe, aber bei den meisten kommt nur Bahnhof“ an. Einige fotografieren, andere unterhalten sich, und wieder andere stieren durch die Gegend.
Ernst gibt sich wirklich große Mühe, und bei der Hitze in der Stadt eine beachtliche Leistung. Nach über einer Stunde ist die Führung, und Ernst am Ende. Wir applaudieren, und rennen in sämtliche Himmelsrichtungen davon.
Drei Stunden zur freien Verfügung. Brügge ist eine schöne Stadt, da gibt es viel zu sehen, wenn nicht gerade Montag wäre. Da haben nämlich die Museen geschlossen, aber die vielen Restaurants sind geöffnet. Einige Leute aus dem Bus sitzen schon wieder und stärken sich. Ich laufe durch die Stadt, das dicke Kopfsteinpflaster passt zwar wunderbar ins Stadtbild, ist aber für die Füße eine Herausforderung.
Ich versuche die Straßenseite zu wechseln, was nicht ganz ungefährlich ist. Die Pferdedroschken haben ein ganz schönes Tempo drauf, und die Hufe der Pferde dröhnen laut über den Asphalt. Eine halbe Stunde für 39 Euro, dass kann sich sehen lassen, und ich beschließe mir das zu verkneifen.
Als ich um die Ecke biege, entdecke ich ein kleines romantisches Lokal. Ich brauche eine Stärkung, und meine Füße eine Pause. Eine Stunde zieht ins Land, und nun bleibt nicht mehr so viel Zeit. Wie schnell die zeit doch vergeht, denke ich, und mache mich auf den Weg noch einige schöne Ecken zu entdecken.
Wie war das noch mal, wo muss ich wieder zum Bus? Der Schweiß läuft, und das Herz klopft. Ich muss mich an der Kirchturmspitze orientieren. Geht doch, jetzt bin ich wieder auf dem richtigen Weg.
Es ist 16:30 Uhr als ich den Bus wieder entdecke, also noch eine viertel Stunde und dann geht es wieder in den Bus. Langsam treffen meine Busleute auch wieder ein. Der Busfahrer zählt durch, und stellt fest, dass zwei Leute fehlen. Die mit den roten Haaren, und der mit dem roten Hemd, und den Rändern unter den Augen. 48 Augenpaare stieren in eine Richtung, aber die zwei sind nicht zu sehen. Unmut macht sich breit, einige stöhnen. Bin fix und fertig, will nach Hause, puh war das anstrengend. Eine halbe Stunde zieht ins Land, und plötzlich tauchen die zwei auf. Sie hatten sich verlaufen, allgemeines Kopfschütteln, dann schließt der Busfahrer die Türen, und ab geht es.
Es ist ruhiger geworden im Bus, die Gespräche leiser, einige sind in tiefe Träume gefallen und schnarchen vor sich hin. Eine Pipipause fällt aus, weil wir schon spät dran sind. Einige freuen sich auf das Abendprogramm, was ich jetzt ja überhaupt nicht verstehen kann. Die hinter mir entdecken bei einem Blick aus dem Fenster das es nieselt. Och nee, ruft die Frau. Morgen muss ich früh raus, Damentreffen. Dann muss ich mir ja noch die Haare vorher waschen, sonst sind die so krisselig.
Du hast gesagt, es regnet nicht, und deshalb habe ich meinen Schirm auch nicht dabei. Er brummelt etwas vor sich hin. Bin ich froh das ich alleine unterwegs bin.
Wir verlassen die Autobahn, und es ist 20 Uhr. Jetzt müssen die sieben Stationen wieder abgearbeitet werden. Nach und nach verlassen alle so langsam den Bus. Der Ton wird schärfer wenn man nicht bis drei den Ein-Ausstieg verlassen hat. Da wird auch schon mal gerempelt. Gut das ich die Letzte bin die aussteigen muss.
Mir geht durch den Kopf“Die Ersten werden die Letzten sein“, steht schon in der Bibel.
Die Dame aus der ersten Reihe, müsste nun auch aussteigen, aber sie denkt nicht daran. Sie torkelt von der ersten Reihe auf mich in der 29 Reihe zu. Nicht weil sie zu tief ins Glas geschaut hat, nein sie hatte eine Eingebung.
Sie fragt mich, da ich doch mein Auto auf dem Parkplatz bei dem Busunternehmen geparkt habe, ob sie sich mir anschließen dürfe. Dann käme der Busfahrer doch auch schneller nach Hause. Ob das der einzige Grund für ihre Bitte ist, schießt es mir durch den Kopf. Sie setzt sich zu mir, und erzählt das sie „dumm wie sie ist, Bier für jemanden besorgt hätte“, und die Flaschen ziemlich schwer zu schleppen sind.
Aha, denke ich, habe ich mir doch gedacht das nicht der Busfahrer der Grund ist. Aber ich bin ja nicht so, und nehme sie natürlich mit.
Auf dem Parkplatz verabschieden wir uns von dem netten Busfahrer, und laufen auf mein Auto zu. Sie schreit über den Parkplatz“ Nein, ich glaube es nicht, mein Traumauto! Ich bin mir nicht sicher ob sie mein Auto meint, und schaue mich um welche Autos noch auf dem Gelände stehen. Aber sie meint wirklich mein Auto. Ein Cabrio, wie schön. Er hat zwar nach 11Jahren schon einige kleine Beulen, aber ich liebe dieses Auto sehr, und es macht mich ein bisschen Stolz das die Dame mich darum beneidet.
Ich fahre sie mit ihren Bierflaschen bis vor die Haustüre. Inzwischen ist es 22 Uhr und in Anrath sind die Bürgersteige hochgeklappt. Außer einer Katze ist niemand mehr zu sehen. Mit lautem Getöse verlässt die Dame mein Auto, und lädt mich spontan zum Kaffee ein. Nicht jetzt sofort, aber wenn ich zufällig in Anrath bin. Ich verspreche es, und habe die Finger meiner linken Hand über Kreuz.
Winke, Winke, und dann bin ich auf dem Weg nach Hause.
Ein Einsteigen-Wohlfühlen-Aussteigen Tag geht zu Ende.
Schön war`s.
Text
Irmgard Borgmann
Bild: Irmgard Borgmann [mehr]
Kostenlos
Bernhard Ganter
Der Tunnel
Roman
- Belletristik
- Deutsch
- 1993 Wörter
- Keine Altersempfehlung
- 1600
- 9
Der Tunnel (Roman) von Bernhard Ganter
(www.bernhard-ganter.de)
erscheint im April 2008 im Lerato Verlag
€ 9.95 ISBN: 978-3-938882-72-6
Der Autor über seinen Roman & LESEPROBE
ich weiß, ich werde nicht jeden Leser erreichen, aber ich habe mich selbst erreicht.
Warum ich einen Roman über einen Dorftrottel schrieb, werde ich oft gefragt. Ich habe mich mit dem Schreiben an dieser Geschichte mit der Spezies „Dorfdepp“ auseinandergesetzt. Nein, Dorfdeppen gibt es nicht. Und Joseph Staudinger war eben kein Dorfdepp, kein Dorftrottel, er war wie Du und Ich, ein Lebewesen mit seinen Sehnsüchten - nicht mehr, nicht weniger. Dachte, ich als halbwegs gescheiter Mensch, begnadet zu sein: Ich bin der Wissende! Das war mein großer Irrtum. Habe bei meinen Bekanntschaften in so genannten höheren und studierten Kreisen festgestellt, die wahren Nationsdeppen in ihrer selbsternannten, oft unerträglich arroganten High Society, sind zahlreicher und gefährlicher für die Gesellschaft, als es je ein Mensch wie Joseph Staudinger sein konnte. Abgehobenheit ist stets die Mutter des eigenen Unverstandstands. Ich habe viele dieses Genre „Mensch“ auf dem Sterbebett dann jammern und klagen gehört, was man verpasst hat, was man anders hätte machen sollen im Leben. Dann kam Joseph Staudinger, mein Protagonist, in mein literarisches Leben und hat mich gefesselt und geknebelt, ohnmächtig gemacht. Durch ihn habe ich gelernt: Ich bin nicht der Nichtwissende! Was sagte schon König Salomo? Wer viel weiß, der muss viel leiden... denn siehe was unter der Sonne geschieht, es ist alles ganz eitel und haschen nach dem Wind. Joseph Staudinger haschte nicht nach Reichtum, Wissen und Macht, wie viele andere, er haschte nur nach Liebe und Anerkennung, die man ihm verwehrte, weil er eben der Dorfdepp war. Ich habe Joseph Staudinger eine Frau gegeben, die Liebe, nach der er sich tief in seinem Herzen sehnte, aber ich habe ihm auch in meiner Unwissenheit ein schreckliches Ende bereitet. Und trotzdem habe ich ihm mit diesem Buch ein Denkmal errichtet, über seinen Tod hinaus – ich habe ihn unsterblich gemacht, ihn den Dorftrottel, den keiner ernst nahm, über den alle lachten. Ich habe ihn zumindest für eine kurze Zeit mit Glückseligkeit bedacht. Aber die, die ihn verhöhnten und quälten, die ihm Liebe und Anerkennung verwehrten, werden irgendwann so unbedeutend diese Welt verlassen, wie sie gelebt haben und keiner wird sich je an sie erinnern. Joseph Staudinger gab mir seine Geschichte, ich gab ihm den in Granit gehauenen Grabsteinspruch: Intelligenz und Einfältigkeit sind unzertrennliche Geschwister.
Ich habe diese Geschichte nicht nur für den Leser geschrieben, sondern für mich selbst. Der Roman hat sich in meinem Kopf verselbstständigt, von Seite zu Seite eine Eigendynamik entwickelt, die mich anfänglich erschreckte, doch je mehr sie wuchs und sich veränderte, desto mehr begriff ich mich selbst, wurde von Zeile zu Zeile an denen ich mich hakte und quälte, kleinlaut. Jetzt wünsche ich: Ich wäre Wissender! Man möchte vieles im Leben erreichen, doch auf keinem Grabstein ist letztendlich zu lesen: Er hat es geschafft, er war der Unverzichtbare, der ewig Lebende, der ewig Weise, für den er sich in seiner gescheiten Dummheit hielt. Ein Dorftrottel jedoch lebt in seiner kleinen, großen Weisheit, sucht nach Anerkennung, nach Liebe, nach Erfüllung seiner Träume – er, genauso wie der Nobelpreisträger. Ich habe den Roman „Der Tunnel“ geschrieben, habe mich mit Joseph Staudinger auseinandergesetzt und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass das Morgen jedem ein Ende setzen wird, mit oder ohne Reichtum, mit oder ohne Liebe, mit oder ohne Anerkennung, mit Intelligenz oder ohne. Am Ende steht das Vergessen. Ob sich jemand mit meiner Geschichte auseinandersetzen will, bleibt jedem selbst überlassen. Mich interessieren nicht die „Beautiful People's“, nicht die so gerne gelesenen Happyends der abertausenden von Geschichten die schon geschrieben wurden und uns belügen, wir uns in das Kokon Einfältigkeit verpuppen, um abermals als Einfältige entschlüpfen. Mich interessiert die Eieruhr, die rieselnden Körnchen aus Liebe, Leidenschaft, Angst und Hoffnung und ihre Vergänglichkeiten. Lebenswege besonderer Menschen eben, so wie die Existenz von Joseph Staudinger, der in seiner Verzweiflung die Zweitfrau eines reichen Arabers stahl, sich in sie verliebte, und daran zugrunde ging. Für solche Geschichten lebe ich, dafür schreibe ich …weil Schreiben Leben, Liebe und Hoffnung überdauert. Lasst uns manchmal etwas dümmer leben, vielleicht leben wir dann ein kleines bisschen glücklicher. Fazit: die so hoch gepriesene geistige Elite hat es, trotz enormen Geistesmästen in Wissenschaft, Ethik und Philosophie, nicht geschafft, die Welt lebenswerter, den Menschen liebenswerter und gerechter zu machen - noch immer schlagen wir, wie zu Neandertalers Zeiten, einst mit Keulen, heute mit vermeintlicher Intelligenz, auf uns ein. Die Opfer sind Menschen, wie Joseph Staudinger. Bernhard Ganter
Der Dorfdepp Staudinger ist lediglich dann in der Dorfgemeinschaft willkommen, wenn die anderen einen Grund zum Lachen suchen. Die düster erscheinende Zukunft wird aber unvermittelt rosig, als Aisha in sein Leben tritt. Sie ist die Zweitfrau eines reichen Arabers. Staudinger glaubt, sein „halbes Leben mit halben Freunden und halben Träumen“ endlich in eine andere Richtung bringen zu können. Geschickt versteht es der Autor, dem Leser die Figur Joseph Staudinger näher zu bringen. Staudinger wirft einen Blick auf die Gesellschaft, zeigt deren Abgründe und Absurditäten. Diese Wahrheit ist nicht immer leicht zu ertragen. Faszinierend sind die Momente, in denen Staudinger tiefe, philosophische Erkenntnisse preis gibt, nur um im nächsten Moment wieder kindlich naiv daher zu kommen. Erst am Ende verdichten sich all diese Fragmente zu einem unerwarteten Höhepunkt, der den Leser unvermittelt mit einem Schauer des Schreckens entlässt.
Yvonne Henninger, Freisinger Tagblatt/ Münchner Merkur
„Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.“ Diese schmerzliche Erfahrung muss Joseph Staudinger sein Leben lang machen. Zuhause, in dem kleinen Bergdorf in den Berner Alpen, nimmt Joseph keiner ernst. Denn er ist einfältig, naiv, etwas zurückgeblieben, eben der Dorftrottel. Das macht Bernhard Ganter in seinem neuen Roman „Der Tunnel“ auf eindringliche Weise evident. Dabei überwindet der Leser zusehends die innere Distanz zu dem Sonderling, er kommt dessen Gefühlswelt, Ängsten und Hoffnungen nahe. Aus Mitleid wird Mitgefühl, echte Anteilnahme. Ein fesselnder Prozess, den Bernhard Ganter inszeniert. Der Autor beschreibt in schnörkelloser Sprache die brutalen Unterdrückungsmechanismen, denen Joseph schon als Kind ausgesetzt war. Wie er als pubertierender Bub linkisch die Nähe zum anderen Geschlecht suchte und von der Dorfgemeinschaft verstoßen wurde. Allmählich durchschaut der Leser, wer die tatsächlich Einfältigen sind. Eine großartige Lektüre, spannend wie ein Krimi und gleichzeitig ein feinfühliger Entwicklungsroman.
Sabina Dannoura, Süddeutsche Zeitung
LESEPROBE:
In den Bergen, hoch oben, von eisigen Winden, vom Schnee und gefrorenem Regenwasser zerfressenen, schroffen Felsen der Berner Alpen, soll Ruitli gelebt haben, ein Gnom, ein Erdgeist, oder doch nur ein Mensch? Ein Eremit war er, meinten andere, der in den von Bergkiefern und Lärchenwäldern und seinen von Latschen bedeckten Steinhängen, mit abschüssigen Felsschluchten, an steil herab fallenden Bächen vorbei, einst sein karges Leben gefristet haben soll. Schon seit alters soll ihn niemand zu Gesicht bekommen haben, den bartlosen Mann, mit blinden Augen und tauben Ohren, wie man sich erzählte, der nur in kurzen Reimen seine Weltanschauung kundtat. Gar mancher der schwyzerdeutschen Highlander Eidgenossen glaubten daran, dass Ruitli wirklich existiert hatte und als Geist weiter ihre Gebirgsluft atmete. Ein Mönch soll er gewesen sein, der Ruitli, der sich dem klerikalen Glauben der überwiegend protestantischen Bevölkerung rebellisch entgegensetzte. Ein Prediger, jenseits des christlichen Glaubens. Der Mensch sei vergänglich, lebenslänglich, war nur einer der Weisheiten die man ihm in den längst verwesten Mund legte, indem man den Spruch auf eine hölzerne, blank gehobelte Lärchentafel am Steig neben der Klamm anbrachte, wo zwei Waldarbeiter unter mysteriösen Umständen zu Tode kamen. Ruitli soll ihnen Einhalt geboten haben, den Wald abzuholzen. Viele Touristen haben seither den Berg in der Hoffnung erklommen, Ruitli nahe zu sein. Gespürt und gefühlt hätten sie ihn, den Ruitli, hatten sie berichtet. Wer den Berg erklimmt und von hoch oben auf das Berner Voralpenland hinab sieht, in dessen Seele würde er schlüpfen und ihn nie mehr loslassen, erzählte man sich.
Auch Joseph Staudinger glaubte an Ruitli, der ihm mehr bedeutete als Kirchenmänner, die ihm allesamt die Abkehr von seinen heidnischen Ansichten und Hirngespinsten nahe legten, weil er ein Sonderling sei, ein einfältiger Mensch, den es im Sinne der kirchentreuen Gescheitheit zu bekehren galt.
* * *
Als er sich in die Araberin verliebte, die seine ganze Weltanschauung über den Haufen warf, war Joseph Staudinger gerade fünfzig Jahre alt geworden.
Der Briefträger hatte ihm an diesem Morgen keine Glückwunschkarten gebracht. Nicht, dass er darüber sonderlich traurig gewesen wäre - er hatte auch in den Jahren davor nie Glückwunschkarten zu seinen Geburtstagen erhalten - aber er bekam an diesem Tag einen unansehnlichen grauen Brief, geschrieben auf Umweltschutzpapier. Auf dem Umschlag, gleich neben dem Poststempel, prangte die rote Schrift eines Werbeaufdrucks. Wir sind immer für Sie da, wenn sie uns brauchen. Ihre Schweizerische Bundesbahn AG, SBB.
Sein Arbeitgeber teilte ihm seine vorzeitige Pensionierung mit. Aus Rationalitätsgründen, hieß es.
Und genau das war es, was ihn so irritierte. Seit er denken konnte, hatte er seine ganze Arbeitskraft dem Tunnel gewidmet, für den er als Streckenposten die Verantwortung trug.
Dreißig Sommer lang. Dreißig Winter lang. Jeden Tag war er mit seinem langstieligen Hammer unaufgefordert den Gleisen im Tunnel gefolgt. In den Vormittagsstunden prüfte er die rechte Seite und nachmittags die linke Seite. Sein ganzer Lebensinhalt bestand darin, in kurzen Abständen mit dem Hammer gegen den Schienenstrang zu schlagen. Wenn alles in Ordnung war, gab es einen hellen, langen Ton. War etwas fehlerhaft, dann klang es dumpf und kurz. Es gab im Tunnel ein Nottelefon, von dem aus er dann die nächste Dienststelle benachrichtigen konnte. Die SBB hatte das nicht von ihm gefordert, dazu gab es andere Gerätschaften. Vielmehr sollte er den Tunnel von Unrat befreien, Steinlösungen am Fels oder im Winter Schneewehen melden. Die gab es Zuhauf, und allesamt hatte er die Unzulänglichkeiten der Natur auf seiner Seite, hatte sie allesamt Ruitli zu verdanken, wie er glaubte, der mit Felsstürzen, Muränen und Lawinen seinen Arbeitsplatz sicherte. Auf einmal sollte seine Arbeit nichts mehr wert sein? Sollte durch Elektronik ersetzt werden?
Er hatte sich in den vielen Jahren nicht an das eiserne Klirren der Hammerschläge gewöhnt. Er bekam diese metallenen Klänge nicht mehr aus dem Kopf. Einmal waren sie ganz nah und manchmal wieder unbegreiflich weit weg. Wie ein Echo, das sich in der Ferne verlor. Sogar nachts, wenn er träumte, hörte er es.
Joseph Staudinger hatte die Sonne nur selten gesehen. Er verbrachte seine Tage, einer Fledermaus gleich, in der Dunkelheit des Tunnels, in dem die Züge einfuhren und wieder hinausfuhren. Schnelle Züge, langsame Züge, moderne Züge, alte Züge. Die ganze Welt war für ihn ein Tunnel, ein großes, schwarzes, übelriechendes Maul, das ihn zu verschlingen drohte. Die Menschen in den Zügen rasten an ihm vorbei, ohne dass er je ihre Gesichter erkennen konnte. Die beleuchteten Waggons zuckten wie Lichtblitze durch den finsteren Schlund seiner Unterwelt.
Ihn kümmerte es nicht, woher die Reisenden kamen und wohin sie fuhren. Das ganze Leben, die Zeit, war für ihn ein vorbeirasender Zug, der es ihm nie ermöglichte, aufzuspringen. Das einzige, was die Menschen seiner Welt hinterließen, waren leere Cola-Dosen, Bierflaschen und andere Abfälle, die sie aus den Fenstern der Abteile warfen.
Manchmal machten sich die Lokomotivführer einen Spaß daraus, mit anhaltendem, schrillem Signalton durch den Tunnel zu fahren. Er hatte sich dann jedes Mal die schmerzenden Ohren zugehalten, war schreiend mit den Ratten und Mäusen um die Wette ins Freie gelaufen.
Die von den Dieselloks rußgeschwärzte Röhre hatte sein zerfurchtes Gesicht im Laufe der Jahre, der von Menschenhand entstellten, vor Dreck strotzenden, felsigen Grottenwand, gleich patiniert. Sein graublasser Teint ähnelte dem eines Leichenbestatters. Sein schmächtiger Oberkörper hatte sich in den Jahren der Rundung des Tunnelgewölbes angepasst. Der gebeugte Rücken ließ ihn klein und zwergenhaft erscheinen. Seine gekrümmte Wirbelsäule drückte den Kopf nicht nur weit nach vorne, sondern auch tief nach unten, was ihm ein vogelhaftes Aussehen verlieh.
An dem Tag, an dem er diesen hässlichen, grauen Brief erhalten hatte, traf er auf die Araberin. Schön war sie, schön und jung. In seiner Brust war es auf einmal still geworden. Er hörte nicht mehr das Tong Tong des schlagenden Hammers, nicht mehr das Rattern und Pfeifen der Züge. [mehr]
Kostenlos