eBooks „Flucht“
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Deniz Civan Kacan
In einer irischen Stadt, fern des Krieges
Kurzgeschichte
- Kurzgeschichte
- Deutsch
- 1443 Wörter
- Ab 12 Jahren
- 250
- 1
Der Mann blickte aus dem Fenster hinaus in die Nacht mit dem Sterneflackern am irischen Himmel und dann in die Dubliner Straßen, die manchmal wegen der Straßenlaternen oder den Fenstern eines Pubs oder Hauses heller wurden. „Wenn er nicht ans Mittelmeer gereist wäre und da geblieben wäre, hätte er wenigstens in der Fabrik unseres Onkels arbeiten können, wo sie auch im Krieg, zwar weniger, aber noch immer Olivenöl in Kanistern oder Flaschen in die ganze Welt verkauften und einen Verdienst und ein bislang sicheres Haus gehabt hätte“, sagte der Mann, der im hinteren, abgedunkelten Bereichs des Taxis saß. "So wäre er nicht an diese Schlepper, diese Hunde geraten." „Der Krieg trieb viele zu diesen Schleppern, aber vielleicht geht es ihm doch gut und hören Sie bald gutes von ihm", erwiderte der Taxifahrer. "Man weiß nie, was das Leben und erst Recht nicht, was der Krieg für einen plant und bereit hält", sagte der Taxikunde. "Aber da wäre er wenigstens in der Fabrik unseres Onkels und wohl in Sicherheit gewesen." Der Taxifahrer hörte die abgeschwächte Stimme und steuerte bald das Taxi in eine Dubliner Seitengasse. "In der Irish Times las ich, dass auch in diesem Jahr sehr viele Männer und Frauen auch an unserer Küste gelandet sind. Aber sie hoffen, dass sie durch das spärlich verdiente Geld in den Fabriken hier oder auf den Obstplantagen in Süditalien etwas zurückschicken können zu ihren Leuten und sie da hochhalten. Ihr Bruder hat es wohl ähnlich gemacht", fuhr der Taxifahrer fort, der mit dem Blick in den Spiegel ein wenig in das Schattige des hinteren Taxis drängte, aber nur den abgewandten, zum Fenster lehnenden Kopf des Mannes erfasste. "Wann ist ihr Bruder denn auf der italienischen Insel gestrandet?“, fragte der Taxifahrer, dessen weißbärtiges, unteres Gesicht manchmal schemenhaft unter den Laternen der schweren Nacht schimmerte. Der Mann, der zum Flughafen von Dublin chauffiert wurde, knöpfte die oberen Knöpfe seines Mantels auf und rieb über sein Gesicht. Er war still und dachte an die Situation des Bruders im entfernten Lager. Es waren schwierige Wochen. Wäre er doch auf dieser wunderschönen, grünen, irischen Insel oder erst gar nicht aufgebrochen und diesen Schlepperhunden begegnet. Schon vor 12 Tagen wollte er zum irischen Flughafen aufbrechen, aber wegen der ausufernden, pechartigen Vulkanaschedecke am Himmel Europas, wegen des Ausbruchs eines isländischen Vulkans, war der Flugverkehr von Athen bis Belfast gesperrt worden. Niemand konnte von Europa fort- oder herfliegen. Europa war abgeriegelt. Europa war eine isolierte Insel ohne freien Himmel. Aber jetzt war die Isolation Europas vorüber. Der europäische Aschehimmel war fort und auch die Fluglinien in Irland waren wieder in Betrieb. Endlich konnte er zur Insel im Mittelmeer aufbrechen, vor der die Küstenwache fuhr, vor der sich Erfolgsgeschichten und viele Tragödien mit Toten, mit den ertrinkenden Boatpeople ereigneten und die sich wohl der wichtigen Angelegenheiten annahmen. „Seit wann ist er auf Lampedusa?“, fragte der Taxifahrer erneut. „Seit März.“ "Seit März?" "Ja, er ist nicht über Istanbul nach Europa gekommen, sondern über den Südweg nach Lampedusa." „Und sie wollen ihn in seiner Unterkunft auf der italienischen Insel besuchen?“ "Wenn er es in ein Lager geschafft hat." Sie sagten dann nichts und fuhren eine Weile durch die Arbeitervororte in Dublin, die still und in der Nacht erstarrt schienen. Dann brach der Mann wieder für wenige Sekunden sein Schweigen. „Ich muss. Ich weiß nicht, ob er noch lebt. Es gibt keine Nachricht von ihm. Wenn er wirklich tot ist, braucht er ein würdevolles Begräbnis und einen Grabstein mit seinem Namen, seinem Geburtsjahr, wenn nicht da, dann in seiner Heimatstadt", sagte der Mann. "Es ist wie verflucht ... Für ihn gibt es vielleicht nichts mehr in dieser Welt, keine Wettkämpfe oder Anrufe in die Heimat, keine Kinder, keinen Neuanfang in Dublin oder Hamburg, keine Träume, die er in einer europäischen Stadt als Arbeiter, Maschinenbaustudent, Ingenieur oder vielleicht auch gesegneter Ringer gehabt hätte. Er ist ein sehr talentierter Ringer. Zweifellos könnte er in der britischen Profiliga einsteigen und mitringen können. Die Überfahrt des Mittelmeers war für viele Menschen sehr riskant, ich weiß nicht, ob das Meer auch für ihn zum Totenmeer oder doch zum gesegneten Meer wurde. Aber er ist ein guter Schwimmer." Dann brach er kurz in Gedanken ab und fuhr etwas später fort: "Aber leider gibt es keine Nachrichten seit seinem Aufbruch, nur seinen Brief, er würde nach Lampedusa aufbrechen wollen. Niemand hatte ihn erschossen bei einer Demonstration oder einem Aufstand in den Lagern. Das Meer hat ihn vielleicht tot an Lampedusa angespült. Meinen Bruder, der ein erstklassiger Ringer war ... Vorher gab es nur die Flucht in irgendeine andere Welt ohne Kriege, Hunger …“ „Aber vielleicht hat er es auch geschafft und wartet dort auf sie.“ „Ich habe keinen Brief seither von ihm gekriegt (...) [mehr]
Stichwörter: Europa Heimat, Krieg und Frieden Hoffnung Untergang im Meer, Insel des Aufbruchs, Traum vom Besseren
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