Liebes - bin voller Arbeit.
Ich schreibe, ich schreibe, ich schreibe an einem Theaterstück, - jeder verlangt so vieles von mir; ich zerbreche daran!
Oh nein, - ich habe dich nicht vergessen!
Liebes, -
ich will nicht, dass du gehst!
Ich will,
dass du mich verstehst.
- Bleibe hier!
- Bleib bei mir!
Theaterstück: "Ein Kleines Stück Vom Paradies";
AKT I
Szene 1
(Ouvertüre - Lied zum Beginn)
AUFENTHALTSRAUM – VORM FENSTER
ALBERT (ca.25), starrt aus dem Fenster und beginnt zu singen.
ALBERT
(Wink' Mir Zu - Lied)
Wink' mir zu, fremdes Du.
Sende mir Lächeln zu.
Wenn ich wüßt' was um mich hier geschieht,
welche Welt ihre Macht hier bezieht.
Welcher Traum tatsächlich geträumt ist,
welch' Realität hat mich geküsst.
Ob draußen eine and're Welt existiert,
in der man sich niemals verliert?
Wink' mir zu, fremdes Du.
Sende mir Lächeln zu.
Gestern habe ich mich schwer verletzt,
ich verfing in einem Spinnennetz.
Mein Porzellanengel ist gemein;
fällt zu Boden, zerbricht sich ein Bein.
Meine Puppen hat man mir geklaut.
Doktor Fromke ist böse und laut.
Und die Schwester hat mich gewarnt,
denn meine Manie wurde enttarnt;
ich darf nicht mehr unter ihren Kittel schau'n,
sonst werde ich noch verhauen.
Ich bin klein in dieser weißen Welt,
die von morgen niemals erzählt.
Nur treue Stimmen in meiner Wand,
verstehen meinen wirren Verstand.
SOFIE (ca. 25), Kleid, betritt den Raum und geht auf Albert zu.
SOFIE
Hallo!
ALBERT
(dreht sich hastig zu Sofie um)
Hallo!
SOFIE
Oh, habe ich dich erschreckt?
ALBERT
Nein. Ein bisschen vielleicht.
SOFIE
Ich mag dich anschauen. Ich mag, wenn du hier - jeden Morgen - vorm Fenster ...
ALBERT
(fällt ihr ins Wort)
Ich weiß. Ich beobachte dich schon seit ...
(kurze Pause)
Eigentlich habe ich dich schon immer beobachtet.
SOFIE
Du hast mir ja einmal zugewinkt.
ALBERT
Ach dies. Ja, hab' ich, beim Vorbeigehen. Du erinnerst dich noch daran?
SOFIE
Es war wirklich toll, weil du's warst!
(kurze Pause)
Ich mag - ich mag die dunklen Ränder unter deinen Augen. Und deine Art und Weise, - wie du hier ...
ALBERT
(fällt ihr erschrocken ins Wort)
Oh, dein Kleid, schau nur, ein Fleck an der Brust!
(sie holt ein weißes Taschentuch heraus und schaut danach)
SOFIE
All meine Kleider sind von Hand gemacht.
ALBERT
(staunend)
Hmm.
SOFIE
Und meine Worte sind unsterbliche Gedanken.
ALBERT
Wie meinst du das?
SOFIE
Wenn ich spreche, so habe ich noch Hoffnung.
ALBERT
Sind deine Kleider wirklich ...?
SOFIE
Wirklich. Alles Handarbeit!
ALBERT
Und das Taschentuch in deiner Hand?
SOFIE
Auch dies. Alles!
ALBERT
Wow!
SOFIE
Ich bin keine kleine Sache, weißt du, die schweigsam schlafen gehen kann.
ALBERT
Ruhst du erregt?
SOFIE
Ich bin ein stetes Wachen. Ich bin eine Sehenswürdigkeit in Männerträumen, die ihnen die Seele teilt.
ALBERT
Es ist wirklich schön mit dir zu reden.
SOFIE
Ich fühle das gleiche wie du.
ALBERT
Es ist nicht, dass ich dir da mal zugewinkt habe ...
SOFIE
Aber nein! Ab nun winken wir uns lebhafter, und dies - ständig zu. Oder noch viel mehr, - wir überlassen das Winken sich selbst und begrüßen uns gleich mit Küssen, wie zum Frühling.
ALBERT
Mitten im Winter?
SOFIE
Frühling wird kommen. Frühlinge sind wunderschön. Besonders der letzte, Neunzehnhundertund ..., ach, ist mir entfallen. Ich flatterte in ihm herum, in feurigen Farben. Lebhaftes Ich.
ALBERT
Der Winter wird gehen (?)
SOFIE
Der Frühling wird kommen. Die Augen werden sich öffnen. Und ich schreibe dir jeden Tag ein neues Gedicht. Eine Sofie als deine Braut mit Käsebrot. Sofies sind dazu da, - du wirst mich gern haben. Sag doch ein flammendes Wort!
ALBERT
Ein Sprachlabyrinth versteckter Sätze bist du.
SOFIE
Rilke werde ich morgen lesen und griechisch lernen! Und dann nach der Sonne Ausschau halten, mit nachdenklichem Unsinn.
ALBERT
Oh, welch' bewegliches Hirn du servierst mir hier zum Frühstück ...
SOFIE
Mit Sofie gefüllt! Und esse du heut zum Mittag viel, Burgen aus Sahne und Käsebrot, denn Abendessen gibt's heute nicht, - nur eine romantische Welt.
ALBERT
Ich entzweie mich, - werde ein Teil von dir sein.
SOFIE
Nicht jetzt! Jetzt hab' ich Knoblauch im Munde, um dich zu küssen, wie ich's gern möchte.
ALBERT
Heut Abend an nicht gedecktem Tisch?
SOFIE
Ich für dich - muschelhaft! Und weil ich heut so wohl und glücklich bin, schreibe ich meiner Mutter einen ungeöffneten Brief: "Mama, herumwandern darf ich wieder mal in der Psychiatrie. Deine Sofie". Gut, nicht! Und es reimt sich!
ALBERT
Der kommende Frühling wird heiß, und voller dich erfasst.
SOFIE
Zitronen statt Orangen werde ich dir darreichen, jeden Tag aufs Neue. Meine Verstreutheit wirst du lieb haben.
ALBERT
Die hab' ich schon. Wenn bloß der Winter schon fort wäre.
SOFIE
Ach, der Frühling wird kommen. Dann kann man den Mantel wieder ausziehen. Man kann den Mantel anziehen, siehst du! Und wenn die Sonne scheint, ihn wieder ausziehen, siehst du!
(sie zieht den Mantel aus und an)
ALBERT
Ich bin verblüfft, was du so alles kannst!
SOFIE
Das ist noch nichts! Ich kann Wolkenschatten machen auf Marmorstufen! Ja, Schatten von Wolken bin ich! Warum malt mich denn bloß kein Künstler?!
ALBERT
Ein Frühlingsobjekt auf so dünnem Faden in einer Welt aus Komik und Dramatik und aus Sein und Schaden.
SOFIE
In unser Welt! Hochzeiten werden wir morgen feiern, mit salutierden Offizieren unserer anormalen Welt. Tag für Tag. Jeden Tag heiraten wir aus Neue! Was für ein Theater wird dies sein, ...hmm!
Sofie singt "Alltäglich - ".
Kaspar Hauser und du,
ein Licht ohne Tagesruh'.
Stimmen tanzen im Hirn,
Würmer wohnen da drin.
Sommer geht. Winter kommt.
Frühling niemals erwacht.
Gelb und bunt ist der Herbst;
nur ein grauer Pelz für dich -
alltäglich.
Du bist Horror und Schmerz;
Dorian Grays einsames Herz.
In Nofretetes Schlaf,
wanderst du auf und ab.
Hin und her geht dein Traum,
findet nie seine Ruh'.
Noch ein Schritt, dann der Tritt
gegen dein inneres Ich -
alltäglich.
SOFIE
Schau, da draußen ist die Welt.
(sie schaut Richtung Fenster)
So viele glückliche Menschen dort, - vielleicht glücklicher als wir.
ALBERT
Wie viele?
SOFIE
Vielleicht acht. Vielleicht zehntausend in so mancher Stadt.
ALBERT
Glücklicher als wir?
SOFIE
Schau nur, da kann man noch den Restmond sehen.
(beide blicken Richtung Fenster)
Bald wird die Sonne über ihm erscheinen. Und bald schon kreist sie über die ganze Stadt.
ALBERT
Die Stadt da draußen ist doch so eng, und hat kaum Platz für so viel Helligkeit, meinst nicht.
SOFIE
Doch. Da ist noch genug Freiraum, um sie aufzunehmen, ich hab's erlebt Tag für Tag.
ALBERT
Und doch ist die Nacht friedlicher und erfüllter als der Tag.
SOFIE
Oh, ich habe die Sonne und ich habe die Nacht erlebt und gespürt - was für Nächte! Wie oft lag ich einfach da an der Seite irgendeines jungen Mannes, den ich für eine bestimmte Zeit so arg begehrte. Seite an Seite in Schweigen vergraben. Stunden der Stille, bis ein müder Sonnenstrahl das erste Wort sprach. Ich liebte die Nacht, die die ganze Stadt mit friedvoller Farbe bemalte. In der Lautlosigkeit der Dunkelheit nahm ich jeden Schlag seines Herzens und jede Erschütterung seines Körpers wahr. Aus mir wurde die Heldin der Nacht.
ALBERT
Hast du dort dein Leben gelassen?
SOFIE
Ich wurde oft genug gewart.
ALBERT
Für alles hat man dich mit Hier bezahlt.
SOFIE
Fürstlich entlohnt mit Psychiatrie. Aus dem Leben ausgeliefert. Ungerecht! Ungerecht wurde ich bestraft und musste fallen. Aber es tut gut, dass du hier bist, dass es dich hier gibt!
(kurze Atempause)
Ich die Rose, - du ihr Dorn. Sehne ich mich doch nach nichts mehr so sehr, als dir nah zu sein, der mich hier erhellen darf.
ALBERT
Wenn du mich nimmst, - gehe ich mit! Werde ich zu dir wie ein Bruder sein. Jedes Mal, wenn du dich verlierst, baue ich Brücken für dich. Ich werde dich begleiten durch deine Rock-And-Roll-Nächte bis zum Morgenlicht. Ich zünde dir jede Zigarette an, - verschone deine zitternde Hand. Ich kämme dein Haar und style es schön, - ich lasse dich nicht untergehen.
SOFIE
Vielleicht wirst du mich auch lieben, und ich einen anderen? Zum Frühstück mich essen, aus mir trinken, mir Butter auf Laib schmieren, - und ich einem anderen? Du als mein Co-Pilot mit ausgefallenen Träumen.
ALBERT
Und in Lübeck fällen wir Marzipanbäume. Und vielleicht gibt's dort keinen anderen!
SOFIE
Siehst du denn nicht, - du bist der Andere! Bei Tag und Nacht werde ich ein Engel sein, der über dich wacht, - du über mich.
ALBERT
Du meine Schwester - ich dein Blut in den Adern, wo das Leben fließt.
SOFIE
Ich, der Schlag in meinem Herzen, wo die Liebe dich begrüßt.
ALBERT
Wir sind poetisch!
SOFIE
Ich weiß!
ALBERT
Du machst mich glücklich!
SOFIE
Ich weiß. Ich fühle mich ebenfalls so!
ALBERT
Ein Zauberbrunnen der Heilung bist du, mit einer ganzen Menge schönem Gesicht. Du bist nicht falsch!
SOFIE
(berührt mit beiden Händen sein Gesicht)
Millionen von Schätzen deines Auges - oh, deines Herzens, werde ich sein, - du mein krankes Kind.
ALBERT
Erwachsenwerden können wir später.
SOFIE
Unsere Spiele können nicht verkauft werden.
ALBERT
(sein Blick fällt auf ihren Finger, der bandagiert ist)
Oh, hast du dich verletzt?
SOFIE
Ach dies, - nein, es ist nur ein Pflaster. Ich bin ungeschickt, weißt du. So was passiert mir dauernd.
KRANKENSCHWESTER (jung, hübsch) öffnet dir Tür, bleibt stehen.
KRANKENSCHWESTER
Herr Albert, es ist Zeit für Ihre Medizin. Kommen Sie!
(Albert reagiert nicht)
ALBERT
(weiter zu Sofie)
Du bist hübsch.
SOFIE
Ich weiß.
ALBERT
Ich atme - ich atme dich.
SOFIE
Ich weiß.
ALBERT
Doch ich spüre die Gesundheit eines Kranken!
SOFIE
Ich auch!
KRANKENSCHWESTER
(stehend in der Tür)
Nun verabschieden Sie sich schön von Sofie, wir müssen weiter. Sie gehen ihr schon nicht verloren.
ALBERT
(wütend)
Sie stören, Schwester!
(weiter zu Sofie)
Sind wir nicht verwirrt genug durch die Kurven unser Gegenwart?
SOFIE
Laster, Bandagen, Barbarei der Gedanken - wir mittendrin. Schuld, Pflicht, Verlust und das Leiden, alles packen wir in einen Koffer - wir mittendrin.
KRANKENSCHWESTER
Nun!
ALBERT
(zu Schwester)
Ist ja schon gut! Ich komme.
(wendet sich wieder Sofie zu)
Sehen wir uns heut Abend?
SOFIE
Ganz bestimmt. Wir werden uns sehen, und dies bereits schon zum Mittag.
Beide verabschieden sich langsam.
ALBERT
Mach's gut.
SOFIE
Mach's gut.
Sofie dreht sich um und geht.
ALBERT
(ruft ihr hinterher)
Ach, wie heißt du übrigens? Wie ist dein Name?!
SOFIE
Sofie!
ALBERT
Ich heiße ...!
SOFIE
Ich weiß! Ja, wir sehen uns!
(man hört sie noch weiter sagen)
Nichts wäre geschehen, wenn nichts geschehen wäre.
Albert geht Richtung Schwester und verlässt den Raum.