nach längerem Zögern habe ich mich doch entschlossen, hier eine Stellungnahme zu Deinem Kommentar zu geben. Aber schließlich sind wir hier in einer Philosophiegruppe.
Ich kann in gewisser Weise nachvollziehen, dass eine gläubige Katholikin sich durch diese Geschichte brüskiert fühlt, aber verstehen kann ich es nicht. Eigentlich gibst Du mir ja Recht und es ist auch objektiv nicht zu bestreiten, dass die Missstände in der mittelalterlichen Kirche auch unter damaligen Gegebenheiten und Denkmustern nicht zu tolerieren waren. Nicht umsonst gab es zahllose Reformationsversuche, die alle in Strömen von Blut endeten. Kirche und Staatsmacht waren damals nicht zu trennen. Über die Rolle der Frau brauchen wir nicht zu diskutieren, oder? Und sicher ist auch richtig, dass 'die Kirche' heute sich gewandelt hat, wenn sie sich auch immer noch mit gewissen Dingen schwer tut, ob zu Recht oder zu Unrecht will ich jetzt gar nicht diskutieren. Es geht um eine Kurzgeschichte, die im frühen Mittelalter spielt. Es gibt eine Protagonistin und einen Antagonisten. Und dieser Antagonist ist nun mal keine sehr liebenswerte Person. Das kommt in Geschichten ebenso vor, wie in der Realität. Hildegard, so glaube ich, ist in 'Visio' als die starke Frau dargestellt, die sie vor 900 Jahren ganz offensichtlich war. Sie hat sich kein Blatt vor den Mund genommen, weder dem Klerus gegenüber, noch gegenüber sexuellen Praktiken, wobei ich mir wörtliche Zitate verkniffen habe, eben um keine religiösen Gefühle zu verletzen. Hildegard hätte sehr viel drastischer argumentiert, soviel zur Sprache! Eine Frau, auf die die Kirche stolz sein sollte, ebenso wie deren Mitglieder! Und wenn jetzt ein Atheist sich bestärkt fühlt – so what?
Was ich aber überhaupt nicht tolerieren mag, sind die Relativierungsversuche, die bei allen Problemdiskussionen auftreten.
Beispielsweise:
"Wenn wir nicht die Waffen liefern tun's andere" - Werden wir dadurch weniger skrupellos?
"Stalin, Mao, Pol Pot, Idi Amin haben auch Millionen umgebracht" – Werden dadurch die Schandtaten der Nazis weniger schlimm?
"Andere Religionen behandeln Frauen noch immer wie Menschen zweiter Klasse" – Wird das Verhalten unseres Kulturkreises vor einigen Jahren noch dadurch weniger borniert?
Diese Liste ist beliebig verlängerbar.
Nicht einmal ein wissenschaftlicher Artikel muss relativieren. Wenn jemand über Hexenverfolgungen im Mittelalter schreibt, muss er nicht ständig betonen, dass es das auch in Asien gegeben hat und heute noch in Afrika. Dadurch wird's um keinen Deut besser, im Gegenteil!
Und in einer in drei Tagen heruntergeschriebenen Kurzgeschichte schon gar nicht. Nichts für ungut, Genovevea, aber 'Visio' ist eine Geschichte, die in der Geschichte spielt. Nichts weiter.

1 Punkt

Annelie

Aber es ist grenzwertig, deine Erzählung in Zusammenhang mit Hildegard von Bingen und dem Glauben des damaligen Volkes zu vermitteln. Dein Text löst bei Menschen, die weder mit Glauben noch mit Kirchengeschichte aufgewachsen sind, Wut aus. Ihre Überzeugung, dass die Religion nichts Gutes gebracht hat, wird hier bedient. Obwohl du am Schluss schreibst, dass die Person, die hier die Gemüter erregt, eine reine Phantasiegestalt von dir ist, hat der Text seine Wirkung getan.
Dass die Institution "Kirche" sehr viele und schreckliche Irrtümer und große Fehler begangen hat, ist uns allen klar.
Doch wo Menschen an die Macht gelangen - gleich ob weltliche oder geistliche - ist die Verführung, diese zu missbrauchen seit allen Zeiten da gewesen.
Du weißt selber, dass du gut zu schreiben verstehst aber es stört mich, dass hier ein Bild entsteht, dass die, die schon immer sagten, "Religion sei nichts als "Opium fürs Volk" und sich an der "frauenfeindlichen Zeit" empören, ihre Ansichten bestätigt finden.
Die gab und gibt es nicht nur im Umfeld der katholischen Kirche und ist heute, wie im Mittelalter, Standard einer weiteren Religion, die Millionen Menschen prägt.

Hildegard von Bingen sollte wirklich nicht zu deiner Vorstellung eines erfundenen "sodomistischen Mönches" und der Unterhaltung mit ihm in einer Sprache, die ihr sicher nicht gerecht wird, herhalten.

Annelie

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Und leider wohl nicht ohne Wahrheit, auch wenn es eine Geschichte ist. Ich bin nun wirklich nicht der Typ, der Mittalaltergeschichten gerne liest, aber diese hier ist wirklich gut.
Und so nachvollziehbar in ihren Dialogen. Deine Ortsbeschreibungen sind immer genau und alles ist gut recherchiert. So ist das Gerüst deiner Geschichte stabil und trägt die erfundene Handlung sicher durch den Text. Wow, ich bin einmal mehr wieder unglaublich beeindruckt!
Ich könnte ehrlich glauben, dass es genau so war...
Erste Klasse!
Viele Grüße, Gabi.

Gegen Scheinheiligkeit und Machtgier gibt es leider kein Mittel.

Die Dosis macht das Gift...

Angewidert wegen des Hasses und der offensichtlichen Intrigen und Frauenfeindlichkeiten, die durch einen Mönch beispielgebend sprechen.
Die Kirche, die Religion predigt von Liebe, man verehrt die Maria, Frauen werden Nonnen und widmen sich den Hilfbedürftigen, dennoch werden sie in einer schrecklichen Art und Weise beleidigt und warum?
Aus Angst, sie würden sich emanzipieren, würden Erfolg für sich verbuchen und den Männern der Kirche etwas wegnehmen, nämlich ihren Reichtum. Widerwärtig ist diese Scheinheiligkeit, nur widerwärtig.
Was die Hildegard nun zu sich genommen hat, um eine Vision zu bekommen ist völlig unerheblich, auch die Schamanen und andere versetzten sich mit diversen Hilfsmitteln in Trance, um etwas zu sehen. Sie deuteten das nach dem damaligen Verständnis.
Da ich an keinen Gott glaube, halte ich dieses Hineininterpretieren von göttlichen Offenbarungen für reine Spekulation.

Für mich ist das Selig-oder Heiligsprechen Humbug, reine Show, um die Gläubigen bei der Stange zu halten. Wenn alles gut inszeniert ist und das ist es, dann klappt es auch. An "Göttliche Offenbarungen" mag glauben, wer will, ich nicht.

Wenn die Hildegard Gutes getan hat, offensichtlich war sie ein kluge, auch geschäftstüchtige Frau, die sich durchzusetzen wusste, dann mag sie in Ehren gehalten werden. Das Riesengesumse um ihre Person sieht für mich allerdings heute sehr nach Personenkult aus, den ich eigentlich verabscheue. Ihre Verdienste in allen Ehren.
Für mich sind auch Nonnen und Mönche Menschen, Würdenträger sowieso. Diese gefordertetn Erniedrigungen und Anbetungen empfinde ich sehr befremdend, die Art zu sprechen auch.(sich selber als unwürdig zu bezeichnen, ist mir absolut unverständlich. Religionen, die den Menschen entwürdigen, Kirchenfürsten, die verlangen, dass die Menschen vor ihnen auf den Knien herumrutschen, sind mir mehr als unsympathisch.
Nein Danke! Meine Auffassung von Menschenwürde sieht anders aus.

Bert hat das Thema super dargestellt. Die Charaktere sind lebendig und die Sprache ist meisterhaft. Die Geschichte ist interessant erzählt und somit sehr gut zu lesen. Selbst hier gibt es noch Humor...ich stelle mir gerade diese wehrhaften Nonnen vor...

Hildegard von Bingen wusste, dass gegen fromm sein bis in den Wahnsinn, ein Kraut gewachsen war.