Nicht weinen können, auch wenn das ein Schritt hin wäre zur Erlösung, zur Befreiung.
Wieso kann der Mensch weinen?
Wieso kann er lachen?
Haben wir Menschen außerordentlich starke Gefühle - im Gegensatz zur Tierwelt - die es erforderlich machen, dass der Mensch sich zusätzliche Ventile verschafft?
Dampf ablassen kann?
Ist sonst der Überdruck zu mächtig?
In Deinem Buch erscheint es so, als ob Deine Protagonistin sich sehnt nach dem... mehr anzeigen
Nicht weinen können, auch wenn das ein Schritt hin wäre zur Erlösung, zur Befreiung.
Wieso kann der Mensch weinen?
Wieso kann er lachen?
Haben wir Menschen außerordentlich starke Gefühle - im Gegensatz zur Tierwelt - die es erforderlich machen, dass der Mensch sich zusätzliche Ventile verschafft?
Dampf ablassen kann?
Ist sonst der Überdruck zu mächtig?
In Deinem Buch erscheint es so, als ob Deine Protagonistin sich sehnt nach dem Weinen, es eigentlich erwarte und selber nicht verstehen kann, warum sie nicht einfach losheult - das erschiene ihr als die normale Reaktion. Sie versteht sich selber nicht.
Ihr Gefühl betrachtest Du in Zeitlupe, stellst es dar als Hauptereignis. Erzähltempo und erlebte Zeit müssen nicht immer eins zu eins übereinstimmen.
Manchmal verzögert sich für einen selber im Erleben die Zeit, scheint langsamer abzulaufen.
Kann ein Vorteil sein, um besser reagieren zu können.
Es gibt beim asiatischen Kampfsport Techniken, die genau das beabsichtigen: den Zeitfluss verzögern, wie in Zeitlupe die Aktionen des Gegners studieren und betrachten.
Vielleicht ist das ihre 'Therapie': die Therapie, die ihr Körper einschlägt von ganz alleine.
Die Verzögerung, das genaue Analysieren dessen, was ist.
Bewusstestes Wahrnehmen.
Diese Zeitverzögerung hast Du sehr gut eingefangen.
Als stilistisches Mittel ist es hier angebracht.
So wie in einem Kinofilm eine rasante, packende Kampfszene technisch verzögert und verlangsamt wird, so läuft in dem Kopf Deiner Protagonistin ein Film ab, der langsamer ist als ihr normaler Lebensrhythmus.
Auch im Schock-Zustand verschieben sich die Bilder zueinander, sind abgehackt, verlangsamt, verzerrt.
Es scheint mir, als ob der Körper sich jeweils das für ihn passende Programm raussucht.
Es ist wie mit dem Fieber: es ist eine Abwehrmaßnahme des Körpers, ein Heilvorgang, den er initiiert.
Das Fieber ist nicht die Krankheit.
Wenn für Deine Protagonistin noch nicht der Moment des Weinens ideal wäre, dann wählt der Körper andere Methoden, um mit solchem Stress fertig werden zu können.
Es kann aber auch sein, dass der Mensch momentan völlig unfähig ist, angemessen zu reagieren.
Weil das Ereignis ihn schlicht überfordert in seiner Härte und Brutalität.
Trotzdem glaube ich, dass wir in uns uralte, bewährte Programme haben, die solche Situationen als Standard kennen - und wissen, wann sie aktiv werden müssen.
Schock, Verzweiflung, Verlust - alles das sind Situationen, die in den Jahrhunderttausenden unserer stammesgeschichtlichen Prägung erfolgreich bewältigt werden mussten.
Das erlösende Weinen ist wohl nicht die einzige wirksame Reaktionsmöglichkeit in Bezug auf Trauer und Verlust.
Ich war fasziniert von Deinem Text - war neugierig, wie es weitergeht.
Gott als Gesprächspartner, dem man auch heftigste Vorwürfe machen kann - und trotzdem sollte man sich danach bei Ihm entschuldigen.
So als ob man einen Freund zu Unrecht beschuldigt hat.
Um Verzeihung bitten.
Doch zum Verzweiflungs-Zeitpunkt stellte es sich so dar, als ob Gott der allein Schuldige sei.
Haupttäter.
Erst der Schuldvorwurf - explizit ausgesprochen - kann hier Klarheit bringen - im Nachhinein dann.
Die Erlösung, das Therapeutische besteht dann darin, zu erkennen, dass man das Optimale und Gerechte gefordert und erwartet hat.
Doch das, was man bekommen hat, das ist die Realität.
Und die ist chaotisch, willkürlich, launenhaft.
Dieser Realität all ihre Eigenarten zu verzeihen, ist die eigentliche Meisterleistung eines reifen Menschen.
Gott kann einem in solchen Fällen helfen, den Weg dorthin zu finden.
Auch wenn Er sich zwischenzeitlich anschreien lassen muss dafür. :-)
Dein Buch betrachte ich als wertvoll.
Die Ausführlichkeit, mit der Du ihren Leidensprozess, ihre Unfähigkeit schilderst, die von allen erwarteten Gefühlsreaktionen zu zeigen, ist Dein Thema - und als solches genau getroffen.
Das Weinen in der Kirche ist demzufolge auch von solcher Vehemenz, dass es wirkt wie ein Staudamm, der urplötzlich bricht. Das auslösende Ereignis, der Riss in dieser Staudamm-Mauer ist der Zettel mit der Requiem-Notiz.
Wieder das Sakrale.
Es scheint, als ob in Notsituationen der Bezug zum göttlich-feierlichen katalysierende Wirkung haben kann.
Katharsis.
Reinigung durch die Nähe Gottes.
LG
Phil Humor