Zunächst soll klar sein, dass meine Meinung nur die eines Lesers und nicht repräsentativ ist. Vielleicht klingt mein Kommentar wegen der Kürze etwas hart, ist er aber gar nicht, deswegen jetzt eine längere Version.
Beim Lesen werden Bilder erzeugt. Ein Teil des Bildes wird vom Autor vorgegeben, der andere vom Leser hinzugefügt. Es gibt keine Faustregel bzgl. der Aufteilung; in Abhängigkeit des Erzählten kann der Autor dem... mehr anzeigen
Zunächst soll klar sein, dass meine Meinung nur die eines Lesers und nicht repräsentativ ist. Vielleicht klingt mein Kommentar wegen der Kürze etwas hart, ist er aber gar nicht, deswegen jetzt eine längere Version.
Beim Lesen werden Bilder erzeugt. Ein Teil des Bildes wird vom Autor vorgegeben, der andere vom Leser hinzugefügt. Es gibt keine Faustregel bzgl. der Aufteilung; in Abhängigkeit des Erzählten kann der Autor dem Leser mehr oder weniger Raum für Phantasien lassen. Im vorliegenden Text werden viele Klischees bemüht. Das hat den Vorteil, dass der Autor wenig beschreiben muss, denn das Klischee ruft Bilder wach. In diesem Fall sind es Filme wie "Es war einmal in Amerika", "Good Fellas" oder "Der Pate", die die kurz angerissenen Szenen im Kopf des Lesers mit Leben füllen. Explizit geschrieben ist allerdings nur wenig. Kaum etwas wird vom Autor vertieft; er beschreibt oberflächlich und es bleibt dem Leser, das Beschriebene in seinem Kopf zu vertiefen. Warum gehorcht Franco junior seiner Mutter nicht, die ihn warnte, nicht so zu enden wie sein Vater? Warum blieb er bei seinem mordenden Freund? Was waren seine Gedanken während der einzelnen Schritten seiner Karriere zum Gangsterboss? Ausformulierte Gedanken und Gefühle sucht man vergebens in diesem Text, hier und da leuchten kleine Hinweise auf, deren Interpretation gänzlich dem Leser überlassen wird. Und genau das ist das Risiko beim Bemühen von Klischees; als Antonio Franco umbringt, magst du kurz innegehalten haben, ich nicht. Du magst den Grund gekannt, das Drama nachempfunden haben, ich nicht. Das Lieblingsessen zum Geburtstag zu kochen, ist für dich Ausdruck einer liebenden Mutter? Vielleicht ist sie ideenlos und macht es jedes Jahr. Vielleicht gefällt die Vergangenheit ihrem Sohn nicht, tatsächlich verändert er sie ja mit Waffengewalt.
Bei mir lief ein anderer Film ab als in deinem Kopf, weil der Autor mir die Regie überlassen hat. Du schreibst von Liebe; hat Franco seine Kinder geliebt? Hat er mit ihnen viel Zeit verbracht, ihnen gerne die Windeln gewechselt? Oder hat es ihn genervt, wenn sie nachts zu schreien anfingen, weil er müde von der "Arbeit" nach Hause kam?
Einige Sätze haben mir sehr gefallen, die italienischen Begriffe fand ich gelungen. Die Szenenfolge hat mich nicht überrascht. Du hast auf wenig Raum mit einigen Momentaufnahmen eine sehr lange Geschichte erzählt. Bei mir erzeugt sie leider kein Mitgefühl mit den unbekannt gebliebenen Protagonisten, aber genau das hättest du vorbereiten müssen, wenn du sicher hättest sein wollen, dass die Pointe bei jedem Leser sitzt.
Aber wie gesagt, ich bin nicht repräsentativ. Wenn deine Geschichte deinem Zielpublikum gefällt, ist sie genau so richtig wie sie jetzt ist. :)
Jacob