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Hijacking

 

Wasser, nichts als Wasser, soweit sein Blick reichte. Er trieb verloren in einem umgekehrten schwarzen Himmel, endlos, schwer wie Quecksilber und tief, dass er erschauderte.
Armandos dunkelbraune Haut schmerzte von der stechenden Sonne, die senkrecht am Himmel stand.
Seit vor drei Tagen das Boot zerstört wurde, trieb er, an ein großes Brett geklammert, auf der offenen See. Sein Mund war ausgedörrt und der Durst quälte. Doch nicht mehr so schlimm, wie am Tag zuvor. Er war nahe dran, das Brett einfach loszulassen und sich seinem Schicksal zu ergeben, denn eine Rettung schien unwahrscheinlich. Sicherlich war er weit von allen Schifffahrtsrouten entfernt. Seine Kräfte schwanden allmählich und so dämmerte er in einen Zustand zwischen Traum und Wachsein:
Möwen kreischten im Hafen von Djibouti. Die Sonne brannte vom Himmel, als wolle sie den Regen der letzten Tage mit Gewalt aus dem kargen Land zurückholen. Er sah dem Treiben auf den Docks zu. Seemänner vergnügten sich und scherzten mit Dirnen. Arbeiter beluden Schiffe, Kaufleute feilschten mit den Kapitänen um Waren. Er verspürte ein Verlangen, einfach durch die bunten Gassen zu streifen und von einem besseren Leben zu träumen. Damals war er gerade vierzehn. Später einmal würde er sich hier in Djibouti ein Leben aufbauen, fern von den strengen Regeln seines Dorfes und dann würde er ein geachteter Mann sein.
Ein Windstoß kühlte sein Gesicht, kurz darauf spürte er einen stechenden Schmerz. Direkt vor seinen Augen war eine Möwe gelandet und hackte in seine Lippe. Er schlug nach dem Tier, aber traf nicht.
,,Verschwinde, weg mit dir!", fluchte er. Die Möwe flog kurz auf und setzte sich wieder. Diesmal an's Ende des Brettes.
Dort wartete sie geduldig, bis ihm die geschwollenen Augenlider vor Erschöpfung zufielen. Ein scharfer Schnabelhieb ließ ihn erneut hochfahren. Brüllend und halb ohnmächtig fuchtelte er mit den Händen und griff ins Leere. Die Möwe flog auf und landete vis-a vis knapp außer Reichweite. Dort saß sie, neigte das Köpfchen zur Seite und beobachtete linkisch den Schiffbrüchigen.
,,Verdammtes Vieh", dachte er. Dann versank er abermals in einen Wachtraum.
,,Mein lieber Junge, du fehlst mir so. Könnte ich dich doch noch einmal sehen, dir alles erklären, dir und deiner Mutter. Dabei waren wir so nahe dran. Du solltest es einmal besser haben und eine Schule besuchen. Wir hätten ein anderes, gutes Leben begonnen, wir alle zusammen. Und nun...endet meines hier. Warum habe ich nur versagt?"

,,Armando, du frecher Kerl, ich sag's meinem Vater, höre sofort damit auf!" Ein lautes Mädchenlachen schoss durch seine Erinnerungen. Damals als sie sich kennenlernten, er und Theresa, lachte sie immer so.
Er hatte ihr am Anfang sogar etwas vorgemacht. Seine Masche abgespult. Und dann hatte sie sich in ihn verliebt, ihn regelrecht festgehalten. Es war ihm sogar unangenehm, als sie sich einfach so unters Kleid fassen ließ, als hätte er ein Anrecht darauf. Das passte nicht in sein Spiel. Und als er die Nacht mit ihr verbrachte, plagte ihn hinterher sein Gewissen.
Aber das war bevor er sich in ihre schwarzbraunen Augen verliebte und sie zur Frau nahm, als er noch nicht bemerkte, wie geheimnisvoll ihre kaffeefarbene Haut duftete. Später dann roch sie nach Abfällen, die sie weit draußen auf den Halden vor der Stadt sammelte, so wie alle es taten.

,,Wenn etwas schief geht, musst du schießen, Armando. Du darfst nicht zögern! Wir sind sonst verloren, vergiss das nicht, hörst du?", ermahnte ihn einer seiner Kameraden.
,, Ja, ich werde schießen,“ erwiderte Armando, ,,macht Euch keine Sorgen. Ihr könnt euch auf mich verlassen."
Sie näherten sich längsseits dem Ozeanriesen und richteten fest entschlossen ihre Panzerfäuste auf die Kommandobrücke. Mit Megaphonen forderten sie den Stopp der Maschinen und gingen schwer bewaffnet an Bord. Es war noch einfacher als sie dachten. Die Mannschaft war totenbleich vor Schreck. Alle zitterten vor Angst, ein Matrose nässte sich ein. Sie fühlten sich sicher und niemand bemerkte, wie einer der Offiziere plötzlich seine Pistole zog. Armando richtete seine Kalashnikov auf ihn und befahl die Waffe auf den Boden zu legen, doch der Offizier schoss im selben Moment. Wie von einem Hammer getroffen fiel Armando nach hinten auf den Stahlboden. Seine Maschinenpistole schlugen sie ihm aus den Händen.
Alles ging schnell. Kurz hintereinander brachen weitere Schüsse los. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Mannschaft seine Kameraden überwältigte. Nacheinander wurden sie von den Matrosen mit Eisenstangen erschlagen. Als die Reihe an ihm war, sprang er über Bord.
Mit den Panzerfäusten schossen die Matrosen das Boot in Stücke, mit dem sie gekommen waren.

,,Ahhh, verdammtes Vieh!" Die Möwe hatte sich erneut vorgewagt und pickte in sein Gesicht. Als er nach ihr schlug, wich sie nur knapp aus, als wolle sie ihn verhöhnen. Flink und überlegen hüpfte sie an's Ende des Brettes und musterte ihn aus sicherer Distanz. Sein zerschundenes Gesicht blutete.
,,Lass mich in Ruhe sterben, du Quälgeist", schrie er. Reicht es nicht, dass ich langsam verdurste, willst du mich auch noch bei lebendigem Leib fressen?"
Tränen rannen über seinen Wangen und dämpften ein wenig die nackte Verzweiflung. Dann wurde es totenstill. Kein Hauch wehte mehr. Der tintenschwarze Himmel drückte den Ozean bewegungslos flach um weit hinten am Horizont wieder mit ihm zu verschmelzen. Reglos und bleiern stand die Luft wie in einem geschlossenen Raum. Dunkle Wolken, deren Gleichgewicht keine Brise störte, senkten sich auf die Meeresoberfläche, einzig der Schwerkraft gehorchend und lösten sich langsam wieder in der prallen Sonne auf. Mit ihren nachschleppenden Rändern fegten sie die glatte Fläche des Wassers und hinterließen einen eintönigen öligen Schimmer.
- Zeit zu sterben.
Wildes Kreischen zerschnitt jäh die Stille. Armandos Trommelfell schmerzte. Die Möwe flatterte panisch vor seinem Gesicht. Diesmal hatte er sie gepackt, als sie sich ihm näherte. Alles Krakeelen half nichts. Beherzt biss er in den gefiederten Kopf, bis die Schale knackte. Warme Flüssigkeit rann seine Kehle hinunter und weckte die betäubten Sinne. Wie ein Leben spendender Balsam ging die Kraft dieser verdammten Kreatur auf ihn über und verwandelte sich in Hoffnung.
,,Vielleicht, wenn Gott will....", dachte er.
Noch am gleichen Tag wurde er von Fischern gerettet, die das Gewässer kreuzten. Einer von ihnen blieb mit seinem Blick an den vielen weißen Federn hängen, als er durch sein Fernglas sah.
,,Du hattest Glück," sagte er, als sie ihn aus dem Wasser zu sich an Bord zogen.,,Wenn du nicht voller Federn gewesen wärst, hätten wir dich übersehen. Das Meer ist hier draußen nämlich genauso schwarz wie du."
Armando verstand nicht mehr, was sie redeten. Er betrachtete nur die Gesichter der Männer, deren Konturen immer mehr verschwommen. Ganz langsam glitt er in einen tiefen, dumpfen Schlaf.
,,Mama, er wird wach!" Die Kinderstimme war ihm vertraut. Er spürte den Atem ganz nah über sich.
,,Du hast ja überall Wunden im Gesicht, Papa!"
Armando schlug die Augen auf, nahm ganz behutsam die kleine Hand und drückte sie an sein Herz.
,,Ich weiß, mein Junge, ich habe mit einem Ungeheuer gekämpft."

Epilog:
Der wachhabende Offizier hörte das schnarrende Megaphon zuerst. Ungläubig blickte er seitlich hinunter auf das kleine Boot. Als er realisierte, dass ein Raketenwerfer auf die Kommandobrücke gerichtet war, schaltete er die Maschinen ab. Sie brauchten nicht einmal einen Warnschuss abzugeben.
,,SOS. hier ist die Samho Dream. Bitte helft uns! Wir befinden uns seit gestern Morgen im Golf von Aden. Piraten haben unseren Tanker geentert und das Schiff in ihre Gewalt gebracht. Sie verlangen Lösegeld und drohen damit, alles zu sprengen. Bitte geht auf ihre Forderungen ein, wir werden sonst sterben. Gott sei mit uns."
Der dunkelhäutige Mann hielt seine Kalashnikov souverän im Anschlag. Sein Gesicht war vernarbt, er würde nicht einen Moment zögern, abzudrücken. Das trichterförmige Laufende richtete er abwechselnd auf den Kapitän und die Offiziere. Er musterte ihre weißen Uniformen und ihre argwöhnischen, hellen Augen.
Sie erinnerten ihn an Möwen.

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Tag der Veröffentlichung: 23.02.2022

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