Der fromme Osterhase
aus dem Buch, „Das Tal der Apfelbäume“
von Andreas Petz
Ach, wie herrlich ist doch der Frühling! Sehnsuchtsvoll haben wir Menschen ihn nach diesem lange andauernden Winter erwartet. Nachdem die Welt für lange Zeit unter einer weißen Schneedecke begraben war, erscheinen uns die Farben des wundervollen Frühlings noch viel intensiver. Das satte Grün der Wiese ist wie eine engelhafte Sinfonie für die Seele, zart wie Harfentöne, durchwoben von den violetten und hellgelben Tupfen der Krokusse, die sich einfügen wie der Klang eines Pianos. Hier und da erklingen, wie feine Glöckchen, in leuchtendem Gelb die zarten Blüten der Narzissen, und wie hohe Trompetentöne sprießen einige Märzenbecher zwischen den Grashalmen in die Welt.
Und mitten hinein in dieses Konzert, da feiern wir Menschen die Osterzeit. Herrlich ist es, zuzuschauen, wenn die Kinder am frühen Ostermorgen hinausspringen in die farbige Frühlingswiese, um das Osternest zu suchen, das der Osterhase dort für sie versteckt hat.
In einem kleinen Dorf, da machte sich ein junges Mädchen mit dem Namen Karolina etwas Sorgen, ob denn der Osterhase auch für sie ein Nest verstecken würde, denn ihre Familie war sehr arm.
Aber der fromme Osterhase, der machte keine Unterschiede; er versteckte für die Kinder der armen Eltern genauso ein Nest wie für die der reichen.
Allerdings gab es beim Inhalt der Nester manchmal doch einen Unterschied. Da der Osterhase wusste, wie es um die Familie von Karolina stand, versteckte er für das Mädchen sogar ein ganz besonderes Nest. Karolina fand es nach längerem Suchen unter einem dichten Busch im weichen Moos. Hocherfreut nahm sie das Nest mit ins Haus und stellte es fröhlich vor den Eltern auf den Tisch.
Was waren die Eltern erstaunt, als sie erkannten, dass in dem Nest einige kleine Eier aus purem Gold lagen! Zuerst erschraken die Eltern: Das musste ein Missverständnis sein! Der Osterhase hatte sich bestimmt vertan. Aber dann entdeckte Karoline zwischen einigen bunten Hühnereiern einen Zettel. Sie reichte den Zettel ihrem Vater, denn sie selbst konnte noch nicht lesen. Auf dem Zettel stand: »Die kleinen Eier aus Gold sind für euch, da ihr unverschuldet in Armut geraten seid und damit es euch bald wieder besser geht. Der Osterhase!«
Oh, wie glücklich war die Familie von Karoline da! Nun konnten sie genügend Nahrung kaufen, und auch das eine oder andere Kleidungsstück war dringend notwendig.
Vor Freude spielten und sangen sie zusammen als Dank für den Osterhasen ein wundervolles Lied. Die Mutter von Karolina spielte auf einem alten Klavier, das sie einst von ihren Eltern bekommen hatte, der Vater spielte dazu auf seiner Geige und Karolina auf ihrer Flöte.
Als sie nach den Osterfeiertagen zum Händler in ihrer Ortschaft gingen, um eines der Goldstücke zu tauschen und Waren einzukaufen, war dieser sehr erstaunt. Er prüfte das Goldstück sehr genau und fragte, wo sie es denn herhätten. Nun, die Familie von Karolina war immer ehrlich, und so sagten sie auch jetzt die Wahrheit: »Das Gold lag im Nest, das Karolina vom Osterhasen bekommen hat. Es lag auch ein Zettel dabei, dass dieses Gold wirklich für uns ist«, sagte Karolinas Vater und zeigte dem skeptischen Händler den Zettel des Osterhasen. Der Händler tauschte das Goldstück gegen Geld und Waren.
Als sich im nächsten Jahr das Osterfest näherte, da dachte der Händler immer noch an das Gold, das der Osterhase der Familie von Karolina geschenkt hatte. In der Nacht zum Osterfest schlich er vorsichtig in den Garten; er wollte sich dort verstecken, um dem Osterhasen heimlich zu folgen. So wollte er das Versteck des Osterhasen finden, denn er vermutete, dass der Osterhase noch viel mehr Gold besitzen würde, und das würde er sich holen.
Es fiel ihm sehr schwer, die ganze Nacht wach zu bleiben, und der Osterhase ließ unglaublich lange auf sich warten. Erst als die Nacht sich dem Ende zuneigte und die Sonne ganz sacht über den Rand der Erde blickte, da hüpfte der Osterhase heran. Er war ziemlich groß und trug einen schweren Korb an dicken Riemen auf seinem Rücken. Der Händler duckte sich tief ins Gras und beobachtete, wie der Osterhase das Nest für Karolina hinter dem Schuppen versteckte.
Als der Osterhase weiterhüpfte, schaute der Händler zunächst nach dem Nest: Er wollte wissen, ob wieder goldene Eier darin liegen würden, und tatsächlich, da waren erneut sechs kleine, goldene Eier im Nest von Karolina. Als der Händler die Hand ausstreckte, um sich die goldenen Eier zu holen, da erklang plötzlich von überall her eine wundersame Musik.
Der Wind blies über das Gras und es hörte sich an, als würden mehrere Geigen und Harfen spielen, die Buschwindröschen flöteten dazu in hohen Tönen, Krokusse sendeten Klaviermusik aus, der Löwenzahn brummte einen tiefen Bass und die Märzenbecher spielten dazu Trompetentöne. Von hoch oben hörte man von den Palmkätzchen Töne wie von einer Oboe und die Narzissen läuteten dazu wie silberne Glöckchen.
Als diese zauberhafte Melodie das Ohr des Händlers erreichte, wurde er furchtbar müde und schlief vor dem Nest von Karolina wie betäubt ein. Er konnte weder die goldenen Eier stehlen noch dem Osterhasen folgen.
Als Karolina in den Garten rannte, um nach ihrem Osternest zu suchen, da entdeckte sie nach einiger Zeit den tief schlafenden Händler neben ihrem Nest.
Schnell nahm sie es und rannte ins Haus: »Mutti, Vati, draußen im Garten liegt der Händler und schläft. Er lag neben meinem Osternest!«
Der Vater ging hinaus, um nachzuschauen, und tatsächlich, da lag der Händler und schlief tief und fest. Alle Versuche, ihn wach zu bekommen, waren vergeblich. Seine Angehörigen wurden geholt, und als auch sie ihn nicht wach bekamen, da wurde er auf eine Trage gelegt und nach Hause getragen.
Sieben Tage und Nächte schlief der Händler durch, und als er erwachte, da stand doch tatsächlich der Osterhase an seinem Bett. Er hatte seine kleine Pfote wie zur Warnung erhoben und schüttelte verneinend den Kopf, dann verschwand er still und leise.
Seitdem fürchtete sich der Händler jedes Jahr vor der Osterzeit, besonders, wenn irgendwo ein Instrument gespielt wurde. Deshalb kam er auch nie mehr in die Nähe von Karolinas Elternhaus, denn dort wurde, gerade zur Osterzeit, immer sehr viel musiziert.
© Andreas Petz
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2018
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