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Kapitel 1

San Francisco, 1990.
Eigentlich ging Isabel nicht allein aus. Aber in ihrem winzigen Apartment war ihr allmählich die Decke auf den Kopf gefallen. So hatte sie beschlossen, das Nachtleben der Stadt zu erkunden.
Nun saß die junge Frau hier in dieser schicken Cocktailbar in der Nähe des »Union Square« an einem glattpolierten schwarzen Tresen und zog am Strohhalm ihres Mai Tais. Einer der drei Barkeeper, die hektisch hinter der Theke herumhantierten und wie am Fließband Drinks mixten, hatte es mit dem Rum zu gut gemeint. Isabel sah den Jungs fasziniert zu, während um sie herum Gäste quatschten und im Hintergrund dezente Musik lief. Das war wirklich beeindruckend, wie flink die das konnten. Sie wäre dazu viel zu ungeschickt.
Schließlich wandte sie sich wieder dem Innern der Bar zu, wo sich inzwischen eine Menge Leute tummelten. Das Stimmengewirr übertönte beinah die Musik und beißender Zigarettenqualm hing in der Luft. Aus den Augenwinkeln heraus registrierte sie einen attraktiven blonden Typ, der auf einem Barhocker einige Schritte von ihr entfernt saß. Das lange Deckhaar hatte er sich sorgfältig nach hinten gekämmt und trug es im Nacken und an den Seiten kurz. Seinen schlanken Oberkörper umhüllte ein rotes Hemd und die langen Beine steckten in einer engen schwarzen Jeans.
Der Unbekannte starrte gedankenverloren auf die Granitplatte des Tresens und fuhr mit dem Finger am Rand seines Glases entlang. Er wirkte irgendwie verloren, hatte jedoch eine Ausstrahlung, die Isabel einnahm, denn sie musste einfach immer wieder zu ihm hinüberschielen. Beiläufig spielte sie mit ihrer roten Haarsträhne, und als er kurz die Bar überblickte, erkannte sie seine blasse Haut und die hohen Wangenknochen. Der Kerl war wirklich heiß.
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Könnte er einer von ihnen sein? Vorsichtshalber verschloss Isabel jetzt ihre Gedanken, solange sie sich nicht sicher war, und betrachtete ihn weiterhin unauffällig von der Seite. Denn falls sich ihr Verdacht bestätigte, würde er ihre Gedanken hören, wenn sie auf ihn gerichtet waren. Welch glücklicher Zufall, dass sie ausgerechnet hier auf einen Unsterblichen traf. Diese einmalige Gelegenheit durfte sie sich nicht entgehen lassen. Vielleicht war er auf der Suche nach einem Abenteuer oder genoss das Bad in der Menge. Was ging gerade in ihm vor? Checkte er die Lage hier, war er auf der Jagd? Noch nie war sie den Unsterblichen so nahe gekommen. Isabels geübtes Auge konnte sie allmählich unter den Menschen erkennen. Die geschmeidige Art, sich zu bewegen, die Ausstrahlung, das Aussehen machten es für die junge Frau unverständlich, dass Sterbliche den Unterschied nicht wahrnahmen. Durch ihren Job für eine Organisation, die paranormale Phänomene untersuchte, wusste sie über Vampire Bescheid. Jedenfalls fand sie den Kerl überaus attraktiv und die mögliche Gefahr, die von ihm ausging, reizte sie. Gern würde Isabel diesen Typen kennenlernen und fasste einen aberwitzigen Entschluss. Sie wollte mit ihm flirten und riss dazu die mentale Barriere in ihrem Kopf nieder, damit er ihr Interesse hören konnte. Kurz danach spürte sie bereits seine Kraft eindringen. Das war die endgültige Bestätigung, dass er das war, was sie vermutete. Ein Unsterblicher!
Er las jetzt in ihr und sie überlagerte ihre wahre Identität schnell durch weibliches Anhimmeln. Sie hatte die telepathische Begabung, mit der sie den Vorgang spüren und die Gedanken dieser Wesen hören konnte, wenn die es zuließen.
Der Vampir wandte kurz den Kopf in Isabels Richtung und schnell wich sie seinem Blick aus, sonst wäre ihr Anstarren viel zu auffällig.
Abermals sah sie hinüber, doch da stand der Hocker verlassen da. Mist, wo war der Typ hin? Hatte sie ihm nicht gefallen, als er sie abgecheckt hatte?
Sie schaute wieder auf ihr Glas, während rechts von ihr plötzlich jemand »Hi« sagte.
Ach, du Scheiße! Der Vampir stand direkt neben ihr. Isabels Puls schnellte augenblicklich hoch. Verdammt! Das hörte er doch.
»Ich wollte dich nicht erschrecken«, meinte er.
Britisches Englisch! Sicherlich kam er von dort. Seine Stimme klang angenehm tief, das gefiel ihr. Jetzt durfte sie keinen Fehler machen, nicht offenlegen, wer sie wirklich war. Unsterbliche waren auf die Beobachter oft nicht gut zu sprechen, weil sie ihnen nachschnüffelten.
»Hi«, entgegnete sie und sofort stieg ihr das Blut in den Kopf und der Schweiß brach ihr aus. Peinlich! Das roch er doch. Ihr Gegenüber stellte sich als Jack vor.
»Isabel«, sagte sie, als er höflich ihre Hand nahm. Das erste Mal, dass sie einen von ihnen berührte. Tatsächlich hatte er sehr zarte, seidige Haut. Wie würde sich erst der Rest anfühlen? Bei dem Gedanken durchfuhr sie ein wohliger Schauer. Seine Aura hatte die junge Frau bereits eingefangen. Wie machten sie das nur, einen so zu verzaubern?
Jack bestellte zwei weitere Drinks und ließ sich auf dem Hocker neben ihr nieder. Als die beiden Gläser vor ihnen abgestellt wurden, führte er es zu Isabels Erstaunen an den Mund. Doch sie sah, dass er nicht schluckte. Er nippte nur zum Schein daran. Amüsant, dass sie seine Täuschung durchschaute.
Während der Unterhaltung öffnete Jack den Mund natürlich nicht weit genug, um die Eckzähne zu verbergen, doch Isabel fiel das makellose Weiß auf. Erleichtert stellte sie fest, dass seine Lippen rötlich und die Wangen rosig waren. Das bedeutete, er hatte frisch getrunken, und das beruhigte Isabel ungemein. Wie wäre Sex mit so einem Wesen? Vielleicht sollte sie es herausfinden. Nach der Jagd waren Vampire aufgekratzt und lüstern. Mal sehen, welchen Verlauf der Abend noch nehmen würde.
Die oberen Knöpfe seines Hemdes standen offen, sodass sie einen Blick auf seine blasse, haarlose Brust erhaschen konnte. Gern würde sie darüber streichen und die Vorstellung machte sie an.
Jack versuchte während ihres Gesprächs, immer wieder in Isabels Gedanken vorzudringen. Das Abblocken seiner geistigen Kraft schien ihn zu verwirren, so misstrauisch wie seine blaugrauen Augen manchmal dreinschauten. Da fiel ihr etwas anderes ein. Wie lange konnte sie die Barriere im Kopf aufrechterhalten, wenn sie sich auf ihn einließ? Doch sie fegte ihre Bedenken sofort wieder zur Seite. Irgendwie würde es schon gehen.
Jack fragte auf einmal: »Wo möchtest du noch hin? Hier ist es ziemlich langweilig.«
Isabel war sich nicht sicher, ob er ihre Gedanken nur erraten oder gelesen hatte. Kam er eventuell doch durch ihre Mauer? Sie musste vorsichtig sein.
»Egal. Du kennst bestimmt etwas Interessantes.« Wollte er sie jetzt abschleppen?
Er glitt geschmeidig vom Barhocker, nahm ihre Hand, und so schlenderten sie aus der Bar, bis zum Bürgersteig hinaus. Dort winkte Jack zur linken Seite, aber Isabel sah kein Taxi heranfahren. Was kam jetzt? Rief er etwa noch mehr herbei?
Leichte Panik befiel sie, als eine dunkle Limousine mit getönten Scheiben neben ihnen anhielt und Jack galant die Tür öffnete. »Steig ein. Wir fahren zu meinem Hotel.« Er grinste schelmisch. »Wir werden viel Spaß haben. Das verspreche ich dir!«
Der Chauffeur war glücklicherweise ein Mensch, denn mit zwei Vampiren wäre Isabel überfordert gewesen. Also beschloss sie, das Risiko einzugehen und einzusteigen. Jack fiel neben ihr in die Ledersitze und strich durch ihre Haare, als der Wagen anfuhr: »Mir gefällt langes rotes Haar.«
Das Hindurchstreichen verursachte ein unbeschreibliches Kribbeln auf ihrer Kopfhaut und der Unsterbliche rückte näher heran. Seine Nähe verunsicherte Isabel, aber andererseits wurde das Verlangen nach ihm stärker.
»Küss mich!«, schwirrte auf einmal durch ihren Kopf, und als seine unvorstellbar zarten Lippen ihre berührten, schoss eine Stichflamme der Erregung in ihr hoch. Isabel stöhnte auf, und als Jacks warme, raue Zunge folgte, erwiderte sie zaghaft den Kuss. Sie könnte sich schließlich an den längeren, spitzen Zähnen verletzen.
Der Unsterbliche wurde fordernder, glitt mit einer Hand unter ihren Rock und drängte seinen unnachgiebigen Oberkörper an ihren.
»Zieh dein Höschen aus«, hauchte er in ihr Ohr und Isabel registrierte aus den Augenwinkeln, wie die Trennwand zum Fahrer hochfuhr. Wollte er es gleich hier tun? Er küsste ihr Dekolleté, leckte ihren Brustansatz, aber irgendwie traute sie sich noch nicht so recht, seine Zärtlichkeiten zu erwidern. Er musste sie ja für total verklemmt halten. Schließlich schob Isabel eine Hand unter sein Hemd, befühlte die harten Brustmuskeln und allmählich vergaß sie die Zähne und was er war. An ihrem Körper kribbelte es, wo er sie berührte, und immer mehr sehnte sie sich nach der Vereinigung.
Jack küsste die Innenseiten ihrer Schenkel und ein scharfer Schmerz ließ die junge Frau zusammenzucken. Instinktiv packte Isabel ihn an den Haaren, um ihn wegzureißen, aber sein Kopf gab keinen Millimeter nach, war starr wie bei einer Statue. Dafür breitete sich jetzt an dieser Stelle eine pulsierende Wärme aus, ihre Mitte begann zu pulsieren, wurde feucht und ein unterdrücktes Grollen kam aus Jacks Richtung. Er musste sich wohl im Zaum halten und Isabel zweifelte kurz an ihrem Vorhaben.
Da hielt die Limousine vor dem Hoteleingang und der Unsterbliche richtete sich auf, als wäre nichts gewesen, stieg flink aus und half ihr aus dem Wagen. Das schnelle Umschalten von ihm verwunderte die junge Frau. Unsterbliche schienen wirklich eine gute Körperbeherrschung zu besitzen und diese katzenartige Geschmeidigkeit faszinierte die Beobachterin.
An der Rezeption nahm Jack die Schlüssel entgegen und sie begaben sich in seine Suite.
Dort standen Champagner und eine Platte mit Häppchen auf einem Servierwagen bereit. Dann schleppte er nicht zufällig eine Sterbliche hierher, folgerte Isabel. Er tat so etwas vermutlich öfters nach seiner Jagd. Sie gab sich entzückt über das Arrangement und Jack lächelte wohlwollend. Er griff nach der Champagnerflasche. »Du bist interessant«, sagte er und stellte Isabel eine überraschende Frage, die sie regelrecht durchfuhr. »Kannst du Gedanken lesen?«
Sie schüttelte schnell den Kopf. »Nein, wie kommst du darauf?«
Er goss zwei Gläser ein. »Nur so.« Es irritierte ihn wohl immer noch, dass er nicht in Isabels Kopf sehen konnte. Nun reichte er ihr eines der Gläser. »Cheers, Isabel! Auf eine unvergessliche Nacht!«
Sie lächelte lasziv. »Hoffentlich.« Dann erblickte sie den Koffer. »Auf Urlaub hier?«
Er setzte sich in einen Sessel der Sitzgruppe und musterte sie. »Eigentlich schon.«
Was suchte er? Wollte er sie ergründen?
Da spürte Isabel seine geistige Kraft mit voller Wucht auf ihre mentale Barriere prallen und gleichzeitig erhob sich Jack fast zu schnell für menschliche Verhältnisse. Er konnte sich gerade noch bremsen. Jetzt stand er vor ihr, übrigens fast einen Kopf größer, nahm ihr das Glas ab und küsste ihre Halsbeuge. Da war er wieder, der schwache Stromstoß, gefolgt von dem scharfen Schmerz und diesmal gesellte sich ein starker Druck an der Wunde hinzu. Isabels Haut schien in dem Unsterblichen verschwinden zu wollen und schlagartig wurde ihr klar, was das bedeutete. Oh, verdammt! Er trank von ihr, er wollte sie töten. Sofort stemmte sie sich mit aller Kraft gegen seinen Brustkorb, aber aus Jacks harten Armen gab es kein Entrinnen. Konnte er ihr überhaupt nach der Jagd eine tödliche Menge rauben? Sie wusste es nicht, hoffte nur, dass dem nicht so war.
Sein Saugen schmerzte zuerst, aber dann erfasste Isabel Wärme und Erregung wie vorhin auf dem Rücksitz der Limousine. Vor ihren Augen tanzten Farbkleckse, sie hatte das Gefühl zu schwanken und auf einmal lag sie auf dem Bett, wobei ein lächelnder Jack sich über sie beugte. Spöttisch sagte er: »So ist das also, kleine Spionin! Ich wusste doch, dass etwas dahintersteckt. Du kannst mir sowieso nicht gefährlich werden, deshalb verschone ich dich.«
Er lachte, entblößte dabei seine spitzen Zähne, die Isabel instinktiv erstarren ließen.
»Reiß dich zusammen!«, ermahnte sie sich und gab sich taff. »Jack, vögel mich. Deswegen sind wir doch hier.«
Überrascht blickte der Vampir auf sie herab, grinste dann breit. »Für eine Sterbliche bist du wirklich ungewöhnlich!«
Isabels scheinbare Furchtlosigkeit wirkte. Er war wieder an ihr interessiert und es turnte ihn an, dass sie keine Angst zeigte, wie die Erektion an ihrem Oberschenkel verriet.
»Ich mag starke Frauen und ich werde dir in die Augen schauen, wenn ich komme. Mal sehen, ob du dem Anblick standhältst.«
Das klang fast wie eine Drohung. Auf was hatte sie sich da nur eingelassen? Aber irgendwie ahnte sie, dass Jack ihr nicht wehtun wollte. Er spielte mit ihr und dieses Spiel erregte ihn. Bei der Kostprobe von ihr hatte er sicherlich das Tor zu ihrer Seele geöffnet und somit erfahren, wo sie arbeitete. Aber zum Glück hatte er sehr gelassen darauf reagiert.
»Wo und wie hast du heute gejagt?«, fragte sie, um auf ein anderes Thema zu lenken.
Seine Miene wurde augenblicklich ernst. »So, interessiert dich das? Kommt das dann in meine Akte?«
»Nein, das bleibt unter uns«, beruhigte sie ihn. »Ich bin aus eigener Neugierde hier.«
Er stand vom Bett auf, streifte das Hemd von den Schultern und warf es in den Sessel daneben, gefolgt von den Jeans. Nun sah Isabel seinen Körper in voller Pracht. Überall samtige Haut und nirgends ein störendes Haar. Fasziniert betrachtete sie das Muskelspiel seines Rückens und Isabels Furcht verflog sofort, denn dieser Prachtkerl weckte ganz andere Gelüste in ihr. Jacks Vorderseite war genauso athletisch und sie brannte darauf, ihn zwischen den Schenkeln zu fühlen. Das änderte sich auch nicht, als er einen Wimpernschlag später zu ihr aufs Bett kroch, denn sie hatte nicht gesehen, wie er den Weg vom Sessel zum Bett zurückgelegt hatte. Nun versteckte er seine wahre Natur nicht mehr vor ihr, was allerdings gewöhnungsbedürftig war.
»Wir reden nicht gern darüber. Es ist eine Notwendigkeit!«, entgegnete er tonlos.
War er einer der Vampire, den das Gewissen deswegen quälte?
Ohne weiter darauf einzugehen, schlang Jack seine zarten, festen Arme um ihre Schultern und legte die weichen Lippen auf ihre. Die Küsse lösten ein unbeschreibliches Verlangen aus, das Isabel so noch nie erfahren hatte. Sie vergaß das gefährliche Gebiss völlig und gab sich furchtlos dieser Begierde hin, die sich durch ihre Adern fraß. Jacks Mund wanderte zu ihrem Hals, liebkoste die Haut über der Halsschlagader, während seine Finger ihren Slip beiseiteschoben und in die Nässe ihres Schoßes tauchten. Sofort schoss ein heißer Stoß durch Isabels Körper, stöhnend bäumte sie ihr Becken der Hand entgegen, die sie penetrierte. Schwer atmend klammerte sie sich an den Unsterblichen, konnte es kaum noch erwarten, endlich von ihm ausgefüllt zu werden. Doch Jack hielt sie weiter hin, zog schließlich die Finger heraus, um diese genüsslich abzulecken, wobei ihm ein lustvolles Knurren entwich. Dann zerriss er kurzerhand ihr Höschen und schob sich unbeherrscht zwischen ihre Schenkel. Seine Spitze drängte sich bereits an ihre Scham, als er mit einem kurzen Zittern innehielt und dann langsam, aber zielstrebig in sie glitt.
Ach, welche Wonne! Seine Bewegungen waren kräftig, unbeherrscht, fast schmerzhaft. Isabel geriet in einen Zustand, in dem sie außer ihm nichts mehr wahrnahm. Nur sie beide existierten und die Dimensionen schienen aufgehoben. Ein Funke loderte in Jacks blaugrauen Augen, die Wogen der Lust schlugen immer höher, und als Isabel schließlich der Höhepunkt überrollte, riss Jack fauchend seine Kiefer auseinander. Dieser Anblick verpasste ihr regelrecht eine kalte Dusche und sie hatte das Gefühl zu fallen. Ihr Liebhaber lag heftig atmend neben ihr, solange sie noch die Orgasmuswellen durchzuckten. Der Vampir brauchte ebenfalls einige Minuten, bis er sich gefasst hatte, und sie fragte sich, ob sie vorhin in der Luft geschwebt waren. Sie gestand ihm, dass sein Anblick beim Orgasmus sehr ernüchternd wirkte. Dieses Raubtiergebiss so knapp über ihrem Gesicht zu haben, war beängstigend.
Er stand lächelnd auf »Siehst du! Ich bin nicht harmlos. Auch wenn ich frisch getrunken habe. Sollen wir trotzdem weitermachen?«
Isabel wunderte sich. »Du hast noch nicht genug?«
Jack ergriff blitzschnell ihre Hand und zog sie schwungvoll auf die Füße. »Ich denke, ihr seid so gut über uns informiert. Dann solltest du wissen, dass uns einmal noch lange nicht genügt. Außerdem macht es Spaß mit dir.«
Daraufhin führte Jack sie in das Badezimmer, in dem ein gefüllter Whirlpool mit Kerzen umringt wartete.
Isabel wusste nicht mehr, wie oft sie sich in dieser Nacht liebten. Jack bediente sich einfach an ihrem Körper. Er konnte ihre Lust, ihre Begierde irgendwie steuern. Am Ende war sie kaum noch ansprechbar, erinnerte sich nur noch bruchstückhaft an das Geschehen und fühlte sich total ausgelaugt.

Als die Siebenundzwanzigjährige am nächsten Morgen in der Suite erwachte, schmerzte jeder einzelne ihrer Muskeln und Knochen. Sie kroch vom Bett, konnte kaum gehen, weil sich zwischen ihren Beinen alles wund anfühlte, und schlurfte zum Bad.
Ihr Spiegelbild verpasste ihr einen gehörigen Schock. Über den ganzen Körper waren blaue Flecken und Bisswunden verteilt und im Gesicht prangten dunkle Ringe unter den Augen. Erschöpft sank Isabel auf die Stufe der Wanne. Sie musste gestern völlig irre gewesen sein, sich so in Lebensgefahr zu begeben. Jack hätte sie töten können, nachdem er seinen Spaß mit ihr gehabt hatte. Mit Leichtigkeit hätte er ihr das Genick brechen können und sie liegen lassen wie ein benutztes Spielzeug. Nein, wahrscheinlich hätte er ihre Leiche entsorgt wie die seiner Opfer. Die Beobachter wussten nicht genau wie, aber irgendwohin mussten die Vampire die ganzen Toten wegschaffen. Bei der Menge, die vermutlich jede Nacht in San Francisco anfiel.
Während Isabel noch grübelte, fühlte sie sich auf einmal deutlich besser. Der Muskelkater am ganzen Körper und das Brennen zwischen den Schenkeln wurden schwächer, die Flecken und Wunden verblassten ein Stück weit. Lag das am Tageslicht? Vertrieb das Sonnenlicht die Spuren des Unsterblichen?
Sie beschloss, seinen Koffer durchzusehen, der allerdings nichts Besonderes enthielt. Natürlich nicht! Einige Hemden, Hosen, Socken und Schuhe. Wo Jack wohl tagsüber schlief?
Plötzlich klopfte es an der Tür und jemand rief: »Zimmerservice.«
Isabel zog schnell den Bademantel über und öffnete die Tür einen Spalt weit. Ein Angestellter mit einem Servierwagen stand davor. »Ihr Frühstück, Ma´am.«
Nachdem er gegangen war, betrachtete sie das opulente Mahl. Das sah wirklich lecker aus und sogar Blumen waren darauf arrangiert. Sie entdeckte einen weißen Umschlag in den Blüten. Neugierig öffnete sie das Kuvert und faltete das Papier darin auseinander.

 

Guten Appetit, kleine Spionin. Du hast Dich gut gehalten. Deshalb werde ich Dir einen Einblick in mein Leben gewähren. Du hörst von mir. Jedoch muss unsere kleine Party unter uns bleiben.
Bye Jack

 

Sie musste schmunzeln. Solch eine Fürsorge hätte sie von einem Vampir gar nicht erwartet, dass er einem One-Night-Stand ein Frühstück servieren ließ. Okay, Jack hatte beschlossen, dass es nicht bei der einen Nacht bleiben sollte. Einblick in sein Leben. Das klang interessant und nach einer einmaligen Chance. Natürlich würde niemand von der Organisation davon erfahren. Später wollte Isabel in den Archiven nach seiner Akte suchen. Wenn sie ihn wieder traf, musste sie mehr über ihn wissen.

Kapitel 2

 Die Protectoris, für die Isabel arbeitete, beobachteten seit vielen Jahrhunderten die Unsterblichen. Doch diesen Wesen war es suspekt, von Menschen ausspioniert zu werden, denn sie hielten ihre Existenz vor der Welt verborgen, um ihre Art zu schützen. Als zukünftige Beobachterin hatte Isabel ihre telepathischen Fähigkeiten schulen müssen, denn die Vampire durften keinen Verdacht schöpfen, dass sie observiert wurden. Die junge Frau sammelte jedoch erst noch Erfahrungen, denn der Job konnte sie in Lebensgefahr bringen, wenn sie ertappt werden würde. Die Protectoris hüteten ihre Informationen über die Unsterblichen seit der Gründung streng. Die Archive in den Institutionen, voll mit Aufzeichnungen der Lebensläufe und manchen Erinnerungsstücken, waren gut gesichert. Wenn Isabel schließlich bereit für ihre Aufgabe als Beobachterin sein würde, bekäme sie einen Unsterblichen zugewiesen und fügte dann der jeweiligen Akte neue Erkenntnisse hinzu. Daher ließ sie es sich nicht nehmen, dort nach Informationen von Jack zu suchen.

Während sie die Treppen ins Untergeschoss hinunterstieg, dachte sie über die körperlichen Spuren der Liebesnacht mit dem Vampir nach. Zu ihrem Erstaunen waren die schnell verblasst und am nächsten Tag völlig verschwunden gewesen. Dafür blieben die psychischen Erinnerungen umso mehr präsent. Manchmal meinte sie, den Unsterblichen immer noch an ihrem Körper spüren zu können, und ab und zu verlor sie sich in Tagträumen über Jack. Wann würde er sich wieder melden, wenn er ihr weitere Einblicke geben wollte? Hoffentlich bald! Sie gehörte nämlich nicht zur geduldigen Sorte.
Im riesigen Archivraum des Instituts mit unzähligen raumhohen Regalen folgte Isabel dem Wegweiser zu »J«, denn die Mappen waren nach Vornamen geordnet. Unsterbliche änderten diesen erfahrungsgemäß selten, passten den Namen höchstens den jeweiligen Landessprachen an, in denen sie lebten. Zum Glück stand »J-a« ziemlich am Anfang der Regalreihe, und so fand Isabel ihren Jack relativ schnell. Sie verzog sich mit seiner Akte an einen der Tische im Vorraum, wo einige Kollegen ebenfalls über Unterlagen brüteten, und schlug den abgenutzten Einband auf.
Jack war doch nicht mehr so jung, wie sie zuerst gedacht hatte. Immerhin um die zweihundert!
Er war 1771 in London geboren worden, stammte aus einer bürgerlichen Familie. Seine Verwandlung war mit sechsundzwanzig geschehen und sein Schöpfer war nicht bekannt. Noch heute lebte er in der Nähe von London mit einer Gefährtin.
Isabel befiel Enttäuschung. Er war also in festen Händen! Sie hieß Lorraine, aber viel mehr stand hier nicht über sie. Aber was hatte die Beobachterin auch erwartet. Sie konnte sich doch nicht einbilden, dass sie als Sterbliche einem Vampir etwas bedeuten könnte. Sie war ein Urlaubsflirt für ihn gewesen. Sie hatten ein schönes Abenteuer zusammen gehabt und mehr nicht. Sicherlich sah Jack das genauso und würde sich nie wieder melden. Diese leeren Versprechungen kannte sie ja von menschlichen Männern, deswegen machte sie sich da keine unnötigen Hoffnungen.
So vertiefte sich die junge Frau in den folgenden Wochen noch weiter in die Lebensläufe von Unsterblichen und ging nach Einbruch der Nacht mit wachsameren Augen durch die Stadt, um eventuell welche zu beobachten. Aber immer wieder drifteten ihre Gedanken zu Jack ab und was sie mit ihm erlebt hatte. Falls er sich nicht mehr melden würde, konnte sie es immerhin als außergewöhnliche Erfahrung einordnen.

 


Gut einen Monat nach der unvergesslichen Nacht im Hotel klingelte um drei Uhr morgens Isabels Telefon. Sie tastete nach dem Störenfried auf ihrem Nachttisch und hob verschlafen den Hörer an ihr Ohr. Eine amüsierte Männerstimme meldete sich: »Hallo, kleine Spionin! Hast du dich gut erholt?«
Hatte sie richtig gehört oder war sie noch in einem Traum gefangen?
»Jack?«, grunzte sie schlaftrunken. »Bist du es wirklich?«
Ein herzhaftes Lachen ertönte am anderen Ende. »Wer denn sonst? Ich möchte mein Versprechen einlösen.«
Sofort war Isabel hellwach. Sie erinnerte sich an den Zettel am nächsten Morgen auf dem Frühstückstablett. »Einblick in dein Leben. Wie soll es ablaufen?« Sie konnte nicht verhindern, dass sich Euphorie in ihre Stimme mischte. Eigentlich wollte sie sich abgeklärter geben, damit er nicht dachte, sie hätte wochenlang auf seinen Anruf gewartet.
»Ich hole dich morgen Abend ab, dann fahren wir zu mir.«
Isabel war sofort einverstanden, brannte darauf, mehr über ihn zu erfahren und ihn wiederzusehen. Am Ehrgefühl der Vampire war wohl etwas dran. Sie hielten sich an ihre Versprechen.
Nun erwartete sie gespannt den nächsten Abend. Wo würde er sie hinführen, wenn er nicht in San Francisco lebte? Zu ihm hatte er gesagt. Etwa in London? Das konnte sich Isabel nicht so recht vorstellen. Sie stand ratlos vor ihrem Kleiderschrank. Sollte sie sich edler kleiden oder lieber lässig und bequem. Vielleicht ein Mittelding. Dann war sie für mehrere Situationen gerüstet. Sie entschied sich für eine schwarze Stoffhose und eine helle Bluse.


Nervös wartete Isabel am nächsten Abend am Fenster. Immer wieder wechselten ihre Augen von der Straße zur Armbanduhr. Jetzt müsste Jack bald kommen.
Wie gestern am Telefon besprochen erschien die dunkle Limousine pünktlich und Isabel schnappte ihre große Handtasche, in die sie das Nötigste eingepackt hatte, und verließ aufgeregt die Wohnung.
Kaum war sie vor das Haus getreten, öffnete der Chauffeur die Hintertür für sie. Im Inneren erwartete sie ein lächelnder Jack, der heute eine graue Bundfaltenhose und einen schwarzen Rolli trug. Zu warm für Kalifornien, aber das Wetter in England war ja auch um einiges kühler. Sein Gesicht wirkte hagerer, seine Wangenknochen traten stärker hervor. Lag das an dem Rolli oder war es ein Zeichen des nahenden Hungers?
Er hauchte anzüglich: »Vertreiben wir uns die Zeit, bis zum Ziel, Isabel.«
Sosehr sie sich auch freute, ihn zu sehen, zögerte sie. Doch Jack kam ihr zuvor, küsste sie und da war abermals dieser Stromschlag, diese Erregung. Aber heute fühlte sich seine Haut kühler an als letztes Mal und war auch blasser. Ein untrügliches Zeichen, dass er Blut brauchte. Isabels Besorgnis quittierte er mit einem Lächeln. »Keine Angst! Ich bin noch nicht hungrig.«
Sie fragte unsicher: »Wann?«
»Übermorgen, wenn du es genau wissen willst. Und …« Sein Mund kam dicht an ihr Ohr. »Du darfst mich bei der Jagd begleiten.«
Isabel erschrak, doch zugleich war sie sich der Ehre bewusst, dass er sie dabeihaben wollte. Normalerweise jagten nur enge Vertraute oder Gefährten gemeinsam. »Ich bin geschmeichelt, dass du mir das erlaubst.«
Jack grinste. »Mal sehen, was du davon hältst. Es gibt allerdings eine Bedingung. Alles, was du in den nächsten Nächten erfahren wirst, muss unter uns bleiben. Keine Aufzeichnungen! Nichts für eure Akten.«
Das würde Isabel schwerfallen. »Nicht mal meinem Boss?«
Ein scharfes »Nein« entfuhr Jack. »Wenn du dich an die Abmachung nicht halten kannst, dann muss ich dich hier lassen und verschwinde für immer.«
Isabel erklärte sich notgedrungen einverstanden, denn sie wollte unbedingt diese einzigartige Chance ergreifen. Der Unsterbliche schien erleichtert über ihre Einwilligung zu sein.
Inzwischen erreichte der Wagen das Rollfeld des Flughafens, und als Isabel den geöffneten Privatjet dort stehen sah, war klar, dass es tatsächlich zu ihm nach London ging. Einerseits verlockend, andererseits beängstigend. Sie musste ungefähr zwölf Stunden an der Seite eines Unsterblichen verbringen, ohne eine Möglichkeit zur Flucht. Vorsichtshalber hatte die junge Frau ihren Boss von diesem Treffen mit Jack unterrichtet. Falls ihr etwas zustoßen sollte, wusste er, wo sie zu finden war.
Jacks Privatjet war nicht gerade klein. An Bord empfing Isabel gediegene Eleganz und unaufdringliche Beleuchtung. Die Kabine wirkte wie ein Wohnzimmer mit den cognacfarbenen Ledersesseln, den eingebauten Tischchen und Schränkchen aus edlem Holz. An einer Wand hing ein großer Fernsehschirm. Jack geleitete sie zu einem der Sessel. »Nimm Platz.«
Nach dem Start, als die Maschine sich noch im leichten Steigflug befand, öffnete er eine Minibar mit den Worten »Bedien dich! Ich wusste nicht, was du gern trinkst, deswegen habe ich verschiedene Getränke besorgen lassen.«
Isabel sah sich die Auswahl an und griff nach der Cola. Jack schmunzelte. »Typisch Ami!« Danach öffnete er ein weiteres Schranktürchen und holte einen Teller, der mit einer Metallhaube abgedeckt war, heraus. »Bitte sehr! Extra für dich. Ich hoffe, es schmeckt.«
Währenddessen setzte sich der Unsterbliche in den gegenüberliegenden Sessel, fischte sich eine Zeitung vom Tischchen, schlug sie auf und legte einen Fuß auf den Oberschenkel. In dieser Haltung wirkte er absolut menschlich, wie er so lässig dasaß und den »Guardian« durchblätterte. Da er jedes Mal relativ schnell zur nächsten Seite wechselte, fragte sie sich, ob er den Text überhaupt las, aber vermutlich konnten Vampire so zügig lesen. Isabel dachte an seine Akte. »Wer ist eigentlich dein Schöpfer?«
Er ließ die Zeitung sinken und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich weiß es selbst nicht.«
Sie schluckte einen Bissen des herrlich zarten Filets hinunter. »Wurdest du angefallen?«
Kopfschüttelnd antwortete er: »Nein, ich wusste, was mich erwartet. Ich gehörte schon einige Jahre einem Geheimbund an. Nach meinen Lehrjahren sollte ich schließlich aufgenommen werden. Beim Ritual der Umwandlung durfte ich meinen Erzeuger nicht sehen. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass er alle Mitglieder erschaffen hatte.«
Inzwischen hatte Isabel aufgegessen und legte das Besteck auf den Teller zurück. »Und wie wurde das Ritual abgehalten?«
Jack starrte vor sich hin, als würde er direkt in seine Vergangenheit blicken. »Es fand in einem Gewölbe statt. Ich musste alle möglichen Dinge versprechen, die den Orden betrafen, bevor die anderen den Raum verließen und die Fackeln löschten. Da stand ich in der Finsternis und spürte, dass noch jemand hier war. Kalte Hände fassten meine Schultern an, kühle Lippen drückten sich an meinen Hals und schließlich der schmerzhafte Biss. Ich wehrte mich jedoch nicht dagegen, weil ich ja die Unsterblichkeit wollte. Als ich von dem anderen trank, erkannte ich seine Gestalt. Es war ein uralter, glatzköpfiger Mann. In der nächsten Nacht erwachte ich in einem Gewölbe mit einigen Sarkophagen darin, wo wir alle schliefen. Als ich noch ein Mensch war, wusste ich nicht, wo die anderen ruhten. Natürlich war ich gespannt auf meine Veränderungen. Die anderen Mitglieder begrüßten mich in unseren offiziellen Räumen, gaben mir neue Kleider und ich sollte mich in einem Spiegel bewundern. Tja, mir gefiel natürlich, was ich sah. Du kennst ja unsere Vorzüge.« Dabei grinste er zweideutig.
»Allerdings.« Isabel rief sich seinen Marmorkörper ins Gedächtnis, den sie hoffentlich bald wieder berühren durfte.
Er lächelte vielsagend und fuhr dann fort: »Der erste Nachtausflug war überwältigend. Diese ganzen Eindrücke. Zuerst gingen wir wie Sterbliche durch die Straßen. Erst später zeigten sie mir, wie hoch wir springen konnten, und wir jagten über die Dächer der Stadt. Nun, die nächste Nacht war wichtiger. Mein erstes Opfer! Ich war so aufgeregt wie vor der ersten Liebesnacht. Angst hatte ich auch, etwas falsch zu machen. Es war üblich, dass sie mir jemand ins Haus brachten. Eine ahnungslose Dirne, mit der sie mich allein ließen. Ich sollte mich von meinem Instinkt leiten lassen. Als ich ins Zimmer kam, erwachte sofort die Gier. Der ganze Raum war erfüllt von ihrem Geruch und ich hörte deutlich ihren Herzschlag. Ich meinte, den Verstand zu verlieren, als ich ihren pulsierenden Körper an meinem spürte. Diese Ekstase beim Trinken kann kein Sterblicher begreifen. Es war herrlich!«
Seine Miene spiegelte absolute Verzückung wider und Isabel wollte genauer wissen, was ihn so ins Schwärmen brachte. »Versuch, es zu beschreiben.«
Seine Finger strichen vom Hals zum Oberbauch. »Na ja, die Hitze strömt in mich, wie wenn du einen heißen Tee trinkst. Doch es bleibt nicht im Magen, sondern strahlt in den ganzen Körper aus. Innerhalb von Sekunden, und dann sehe ich die Gedanken meines Opfers, kombiniert mit dem speziellen Geschmack des Blutes. Der ist bei jedem anders. Mein Herz imitiert den rasenden Puls, das ist das Beste. Dabei wünsche ich mir jedes Mal, dass der Trunk ewig dauert. Doch der Tod kommt schnell. Ich fühle es am unregelmäßigen Herzschlag und an den umwölkten Gedanken. Wenn sie sterben, ist der schönste Teil vorbei. Danach folgt nur noch das Bauchvollschlagen, bevor das Blut kalt wird.«
Isabel hing an seinen Lippen. »Ist es wirklich besser als ein Orgasmus?«
Grinsend antwortete er: »O ja, viel besser. Der größte Kick ist beides zusammen. Sex und Trinken!«
Sie musterte ihn. Das Gerede über das Aussaugen hatte ihn erregt und in seinem Blick lag etwas Wildes. Isabel war neugierig auf das Raubtier in ihm, das er ihr schon bald präsentieren wollte. »Wer ist deine bevorzugte Beute?«
Jack überlegte. »Hm, Männer eher als Frauen. Ich mag Gegenwehr.«

Später führte er Isabel in einen winzigen Raum ohne Fenster mit einem Bett darin. War das seine Schlafkabine?
»Leg dich hin. Du bist müde«, meinte er und damit hatte er recht. Trotz der faszinierenden Erzählungen holte Isabel die Müdigkeit ein und sie setzte sich auf die weiche Matratze. Jack erschien ihr ebenfalls träge, so wie er schläfrig dreinschaute und sich schwerfälliger bewegte. »Du anscheinend auch.«
Der Unsterbliche nickte nur, während er sich auszog und die Kleidung in den Wandschrank hängte. »Zieh deine Sachen aus, dann verstaue ich sie hier ebenfalls.«
Den nackten Kerl vor sich zu sehen, führte Isabel in Versuchung. Sie berührte Jacks makellosen Rücken und hatte im nächsten Augenblick seine Brust vor sich. Viel zu schnell für ihre Augen hatte er sich umgedreht. Wie war es dann sonst, wenn seine Kräfte gegen Morgen nachließen?
Er knöpfte ihre Bluse auf, dann ihre Hose, und als er ihr den Slip von den Beinen zog, flüsterte er: »Ich möchte, dass du bei mir zu Hause keinen trägst. Es turnt mich ab, wenn ich das beim Entkleiden vorfinde.«
Den Gefallen konnte sie ihm tun. »Also, gut. Wie du wünschst!« Was er sonst wohl noch für Vorlieben hatte? Hoffentlich keine abartigen.
Isabel beugte sich vor und traf auf seine Lippen. Weich und verführerisch wie immer. Behutsam erwiderte er den Kuss und ließ sich mit ihr auf das Bett sinken. In Erwartung eines Liebesspiels schob die junge Frau ihre Hand zwischen seine Beine, doch da war sprichwörtlich tote Hose. Jack bedauerte: »Ich bin müde, Isabel. Verzeih!«
»Gut, dann geh ich und lasse dich schlafen.«
Er hielt ihren Arm fest, als sie vom Bett aufstehen wollte. »Du brauchst nicht zu gehen. Du darfst bei mir schlafen. Allerdings kannst du während des Tages nicht hier raus. Deshalb …« Er öffnete einen Schrank. »… ist hier etwas zu essen und zu trinken.« Er dachte wirklich an alles.
Nun schmiegte sich Isabel im Bett an den Vampir und unterhielt sich mit ihm, bis seine Stimme allmählich stockender wurde und ihm auf einmal die Augen zufielen. Im nächsten Moment erschlaffte sein kompletter Körper. Isabel schloss nun ebenfalls die Lider und schlief kurz darauf ein.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Im Raum brannte immer noch ein schwaches Licht. Nun konnte sie Jack in Ruhe betrachten. Er lag auf der Seite und hatte den Kopf auf beide Hände gebettet. Sie schlug das Laken zurück, streichelte zaghaft über seine haarlosen Beine, aber er regte sich wirklich nicht. Der Unsterbliche war ganz steif. Da wurde Isabel mutiger. Im Moment war er absolut wehrlos. Soweit sie wusste, konnten sich Vampire in der Totenstarre nicht bewegen. Also zog sie seine Lippen auseinander, obwohl der Anblick sie immer noch ängstigte. Da waren sie, die Eckzähne. Nicht viel länger als menschliche, aber die daneben sahen auch spitzer aus als normal. Das verursachte dieses furchterregende Aussehen, wenn die Vampire den Mund aufmachten, und durch das Weiß blitzten die Zähne stärker auf in der Dunkelheit. Sie strich vorsichtig über die obere Zahnreihe und wunderte sich über die glatte Beschaffenheit. Alles an diesen Wesen schien glatt zu sein. Die Haut, die Haare und auch die Zähne. Der Glanz von Jacks blondem Schopf spiegelte sonst alle Lichtreflexe, doch heute war er von Gel verklebt. Isabel küsste seine Lippen. Merkwürdig! Sie tat das, obwohl er wie eine Leiche neben ihr lag. Dann drückte sie ihr Ohr an seine Brust, ob man vielleicht irgendetwas hörte. Angeblich hatten sie keinen Herzschlag, aber eventuell war da sonst etwas. Tatsächlich nahm Isabel ein Pochen im Innern wahr, das in regelmäßigen Abständen erfolgte. War das sein Puls? Wenn, dann schlug das Herz nur schwach und wurde deshalb nicht erkannt.
Irgendwann aß Isabel von den Sandwiches, die Jack bereitgelegt hatte, und machte sich danach in der angrenzenden Toilette frisch.
Was fand er an ihr? Zumindest war sie keine gewöhnliche Sterbliche für ihn. Interessierte ihn die Organisation oder dass sie telepathische Fähigkeiten hatte? Isabel war sich sicher, dass er ihr nichts Böses antun wollte. Sonst würde er sie niemals an seinem Schlafplatz dulden. Er schien ihr absolut zu vertrauen. Vielleicht offenbarte er ihr das alles, weil er sich mal outen musste und das ewige Versteckspiel satthatte. Die Außenwelt durfte von den Unsterblichen nie erfahren. Die Computerdaten des Instituts waren sehr gut gesichert, denn Jäger hatten schon öfter versucht, das System zu knacken, um an Aufenthaltsorte von Vampiren zu kommen. Die Beobachter gaben auch Warnungen an ihre Schützlinge heraus, aber das gestaltete sich schwierig, weil sie Menschen nicht vertrauten. Wenn sie über den Orden Bescheid wussten, dann war es eher möglich.
Ein lautes Bing riss Isabel aus ihren Gedanken und das Anschnallzeichen über der Tür leuchtete auf. Nun zog sie sich zügig an. Neben ihr wälzte sich Jack inzwischen wie ein Mensch von einer Seite zur anderen. Er murrte im Schlaf, sein Haar war zerzaust und aus dem leicht geöffneten Mund tropfte Speichel ins Kissen. Isabel musste lachen, weil er so menschlich aussah. Nur im Schlaf schienen diese Wesen frei von Überheblichkeit zu sein.
Auf einmal wurden sie so durchgerüttelt, dass Isabel an den Schrank stieß und Jack vors Bett fiel. Natürlich, die Landung! Aber der Unsterbliche schlummerte unbekümmert weiter, als wäre nichts gewesen. Erst als die Maschine aufs Rollfeld fuhr, wachte er langsam auf. Lächelnd sah sie auf den blinzelnden Jack herunter und grüßte: »Guten Abend. Gut geschlafen?«
Er erwiderte ihr Lächeln. »Ja, sehr gut. Wo sind wir gerade?«
»Soeben gelandet.«
»Prima!« Jack nahm seine Kleider aus dem Schrank und schlüpfte hinein. Endlich öffnete sich auch die verriegelte Tür, das Flugzeug stoppte und die Triebwerke erloschen. Isabel folgte dem Unsterblichen aus der Schlafkabine, spähte wie er aus den Fenstern, die voller Regentropfen waren. Typisch englisches Wetter!
»Es dauert noch ein wenig, bis der Chauffeur kommt. Solange warten wir hier«, sagte er.
Sie ließ sich in einen Ledersessel fallen, während er mit den beiden Piloten sprach, die nach dem langen Flug erschöpft aussahen.
Eine Stunde später kroch ein nachtblauer Bentley auf das Flugzeug zu. Isabel wollte Jack beim Einsteigen zur hinteren Autotür folgen, doch er deutete nach vorn. »Steig bitte dort ein.«
Schade! Sicherlich befand sich Lorraine auf der Rückbank. Also setzte sich Isabel auf den Beifahrersitz neben den menschlichen Fahrer. Die geschlossene Trennwand zum Fond und auch das Flüstern und das Knarren der Sitze bestätigte ihre Vermutung, dass die Unsterbliche hier war. Isabel wurde unwohl, wenn sie an das Zusammentreffen mit Jacks Gefährtin dachte. Wie sah sie wohl aus?
Der Bentley glitt völlig ruhig über die Autobahn vom Flughafen Heathrow Richtung London. Für die Amerikanerin war es gewöhnungsbedürftig, auf der anderen Seite zu sitzen. Bisher war sie noch nie in einem Land mit Linksverkehr gewesen. Während der Fahrt begann sie einen Smalltalk mit dem Chauffeur. Der Mann wusste nicht, was sein Arbeitgeber war, las sie aus seinen Gedanken.
Schließlich bog der Wagen in eine Hofeinfahrt ein, wo das schmiedeeiserne Tor den Blick auf ein älteres Anwesen inmitten des englischen Rasens freigab. Der helle Kies knirschte unter den Reifen, bis die Limousine vor der Eingangstreppe anhielt. Isabel schaute an der Fassade der alten Villa empor und hörte nur, wie der Fahrer zuerst die hintere Tür öffnete und danach ihre.
Jack stand bereits neben dem Auto und ergriff gerade eine blasse Frauenhand, als Isabel ausstieg. Nun wurde sie nervös. Eine zierliche, dunkelgelockte Frau schlüpfte aus dem Fond mit einem Porzellangesicht, deren großen braunen Augen den Gast eingehend musterten.
»Das ist Isabel«, stellte Jack sie vor.
Seine Gefährtin reichte ihr die Hand. »Lorraine. Jack hat schon einiges über dich erzählt.«
Auch ihre Finger waren so zart wie Seide. Die Unsterbliche stieg anmutig vor Isabel die Stufen zum Haus empor. Ein hochgeschlossenes schwarzes Wollkleid umhüllte ihren Körper, in dem sie noch zerbrechlicher wirkte. Umso mehr fragte sich Isabel, was Jack von ihr als Sterbliche wollte. Sie war zwar recht hübsch, doch mit Lorraines Äußerem konnte sie nicht konkurrieren. Eigentlich verwunderlich, dass sich Vampire überhaupt mit Menschen einließen, wenn sie nicht hungrig waren. Da spürte sie Jacks Hände an ihrer Taille. »Willkommen in meinem Reich!«
Die Einrichtung aus Antiquitäten passte zu einem modern wirkenden Unsterblichen nicht so recht. An der Treppe stand ein grauhaariger Butler, der den Hausherrn höflich begrüßte: »Guten Abend, Sir! Wie war Ihre Reise?«
»Guten Abend, John. Sehr gut. Kümmern Sie sich bitte um das Gepäck.«
»Sehr wohl!« Damit verschwand er und Jack führte Isabel in das Kaminzimmer.
Dort begann er, dünne Holzscheite in dem großen, offenen Kamin aufeinanderzuschichten und mit Streichhölzern und Papier anzuzünden. Die Gabe des Feuers besaß er wohl noch nicht. Isabel setzte sich in den altertümlichen Sessel davor. »Was kannst du bereits beeinflussen?«
Er starrte in die ersten Flammen. »Nicht viel. Elektrische Geräte, Autos, Tiere und Menschen. Ich kann auch Türen und Fenster entriegeln. Mir gefällt es so. Ich brauche nicht unbedingt mehr Macht. Bis jetzt bin ich ganz gut klargekommen.«
»Das glaube ich gern.« Isabel sah den Flammen zu, wie sie größer und heller wurden. »Ist Lorraine eigentlich von deinem Blut?«
Jack legte einen dickeren Scheit nach. »Wie kommst du darauf?«
Sie antwortete: »Einfach so.«
Nun setzte er sich in den zweiten Sesel vor dem Kamin und betrachtete Isabel unschlüssig. Er schien zu überlegen, ob er es ihr verraten sollte. Sie wollte gerade sagen, dass er nicht antworten müsse, wenn es anscheinend ein heikles Thema ansprach, aber da begann er bereits zu erzählen: »Ja, ich habe ihr das Blut gegeben, um ihr Leben zu retten.«
Also doch ein tragischer Grund, weswegen Jack vermutlich ungern darüber sprach. Isabel folgerte daraus, dass es keine geplante Verwandlung gewesen war.
»Vor ungefähr hundert Jahren wohnte ich mit ihr zusammen. Sie wusste alles über mich und akzeptierte es. Wir lebten so einige Jahre gemeinsam, bevor es geschah. Ein anderer Unsterblicher drang eines Nachts in ihr Schlafzimmer ein, fiel über sie her und trank sie fast aus. Ich überraschte ihn, als ich nach der Jagd ins Zimmer kam. Lorraine lag sterbend auf dem blutigen Bett, der andere flüchtete durchs offene Fenster und mir blieb keine Zeit, ihn zu verfolgen. Ich biss mir sofort ins Handgelenk und flößte ihr mein Blut ein. Wie erleichtert war ich, dass ich noch rechtzeitig gekommen war. Lorraine nahm es bereitwillig an, denn sie hatte mich immer versucht, dazu zu überreden.«
»Du wolltest sie nicht verwandeln?«
Jack überlegte. »Ich weiß es nicht. Vielleicht hätte ich es irgendwann getan oder wir hätten uns getrennt. Ich konnte ihr diesen Ausweg nicht nehmen. Weißt du, sie wollte einfach bei mir sein aus Liebe. So etwas vergeht mit der Zeit, aber unsterblich ist man für immer.«
»Wart ihr die ganzen Jahre zusammen?«
Er schüttelte den Kopf. »Mit Unterbrechungen.«
Lorraine tauchte die restliche Nacht nicht mehr auf und Isabel fragte sich, ob ihre Anwesenheit der Vampirin unangenehm war. Wusste sie, was zwischen ihr und Jack in San Francisco geschehen war? Er hatte wohl einiges über sie erzählt. Die intimen Dinge etwa auch? Vermutlich nicht, aber Lorraine konnte sich das bestimmt denken. Sie kannte die Angewohnheiten ihres Gefährten und Schöpfers sicherlich sehr genau nach dieser langen gemeinsamen Zeit.
Bis in die frühen Morgenstunden unterhielt sich Isabel mit Jack und er begleitete sie dann zu ihrem Zimmer im zweiten Stock. Er blieb im Türrahmen stehen, strich über ihre Wange und küsste sie kurz. »Schlaf gut! Tagsüber ist Personal hier, das dir deine Wünsche erfüllen wird. In deinem Schrank liegt auch wärmere Kleidung.«
Isabel wollte mehr, küsste ihn noch mal und versuchte, ihn in den Raum zu ziehen, aber es war zwecklos. Fest wie ein Baum blieb er stehen.
»Heute nicht mehr«, flüsterte er und huschte zur Treppe. Mit einem Satz war er über das Geländer gesprungen und als sie sich darüber lehnte, war er unten schon verschwunden. Beeindruckend! Es waren zirka sechs Meter bis ins Parterre.

Impressum

Texte: Zenobia Volcatio
Cover: Hannah Steinjakob Design
Tag der Veröffentlichung: 07.07.2020

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