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Der geheimnisvolle Schlüssel

Es dämmerte gerade, kühle Luft drang durch das Fenster, als Ella ihrem Mann vorschlug jetzt schon einen kleinen Spaziergang am Strand zu machen. Nebelschwaden zogen langsam über den Strandboden und lösten sich auf, je näher sie die den Ferienwohnungen kamen.
Ihr Urlaub war schon fast zur hälfte vorbei, und sie genossen jede Minute die sie gemeinsam verbringen konnten.
Ella war 78 Jahre und ihr Mann Pete war fast 10 Jahre älter als sie. Beide waren gezeichnet von ihrem ereignisreichen Leben und lebten so, als würde jeder Tag ihr Letzter sein.
Sie waren für ihr Alter noch ziemlich rüstig und gut zu Fuß. Wie zwei Teenager schlenderten sie im weichen kühlen Sand dahin.

Ella hatte etwas auf dem Herzen, sie wollte Pete überreden, nach ihrem Urlaub endlich in schön gelegenes Altenheim oder in ein Heim in dem betreutes Wohnen abgeboten wird, zu ziehen. Ihre kleinen Wehwehchen wurden von Jahr zu Jahr mehr und Ella wurde die ganze Arbeit allein ihn ihrem großen Haus langsam zu viel. Aber Pete lehnte das bis jetzt immer ab, er wollte nicht aufs Abstellgleis gestellt werden.
Als sie so den Strand endlang gingen versuchte sie mit den Argumenten „Gemeinsam ist es überall schön und wir würden uns schon einleben“ , es Pete schmackhaft zu machen, aber dieser schien ihr gar nicht richtig zuzuhören.
Er legt den Arm um ihre Schulter und meinte: „Wir reden später darüber mein Schatz, ja? Schau da, der schöne Sonnenaufgang, ist das nicht wundervoll, wie die Farben in einander laufen und sich mit dem Nebel vermischen?“
Ella schaute der Sonne entgegen und lehnte ihren Kopf an ihn: „ Ja, es ist wirklich schön, dieser Ort ist so wunderbar, ich will gar nicht hier weg.“
Pete nickte nur zustimmend mit dem Kopf und ging mit Ella im Arm weiter.

„ Autsch!!!“ rief Ella und hielt sich schmerzverzerrt das Bein. „Ich hab mich irgendwo gestoßen, da muss was im Sand sein.“ Sie zeigte auf den kleinen Sandhügel, bei dem etwas Glitzerndes herausragte.
Pete wollte sich gerade bücken um nachzusehen was da im Sand steckt, als von weiten das Nebelhorn des Leuchtturms ertönte.
Dieses Geräusch kannten die beiden schon, aber nun kam es ihnen viel lauter vor und flößte beiden Unbehagen ein. Ella klammerte sich vor angst an Pete´s Arm und eine Gänsehaut verbreitete sich auf ihrem Körper.
Aus irgendeinem Grund hatte Pete den Eindruck, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zu geht, denn auch er hatte ein Gefühl der Angst in sich.
Dennoch siegte seine Neugier. Er wollte wissen gegen was Ella getreten hatte. Deshalb bückte er sich und zog den harten Gegenstand aus dem Sand.

Es war eine Flasche. Eine sehr alte Flasche. Das blinde Glas ließ den Blick nach innen nicht zu und auch durch drehen und wenden konnten beide nichts erkennen, nur dass auch was Klapperndes darin war.
Wieder war das Nebenhorn zu hören und beide zuckten zusammen.
„Komm, wir gehen zurück“, meinte Pete „Irgendwie ist das alles komisch.“
Ella nickte „ Ich hab auf meine alten Tage richtig angst, ich will auch hier weg. Komm gehen wir Frühstücken, und dann schauen wir uns an was da drin ist.“
„Ok, “ meinte Pete, „ aber ich will noch vor dem Frühstück die Flasche öffnen, ich würde sonst keinen Bissen runterkriegen.“

Mit der Flasche unter dem Arm gingen beide zurück in ihre Ferienwohnung. Auf dem Weg, kramte Pete sein Taschenmesser aus seiner Hosentasche und versuchte verzweifelt den Korken aus der Flasche zu bekommen.

„Nun warte doch, ich werde dir gleich helfen.“ Meinte Ella als sie die Tür aufschloss. „Wenn ich die Flasche fest halte, dann kannst du den Korken besser entfernen. Komm mein Lieber, nur Geduld.“ Sie zwinkerte ihm schelmisch zu, und ging in den Wohnraum.
Gemeinsam versuchten sie nun den Korken zu lösen, aber dies erschien als ziemlich mühsam. Kleine Schweißperlen glitzerten auf Pete´s Stirn und seine Hände fingen vor Aufregung schon an zu zittern.
Auf einmal und mit einen dumpfen „Ploppp“ sprang der Verschluss in hohem Bogen aus dem Flaschenhals.
Gebannt starrten Ella und Pete auf die Flasche. Nichts passierte. Irgendwie hatte Pete was anderes erwartet. Irgendwas Außergewöhnliches. Aber nichts passierte.
Er nannte sich innerlich schon einen Dummkopf, und dachte….wir sind doch hier nicht im Märchen...und versuchte mit dem kleinen Finger das Blatt aus der Flasche zu fischen.
Mit der Zunge leckte er über seine Oberlippe ….gleich hatte er es geschafft. Zum Vorschein kam ein vergilbtes Schriftstück, das mit geschwungenen Buchstaben beschrieben war.

Voller Erfurcht legte er es auf den Tisch und begann zu lesen. Teilweise war die Schrift fast nicht mehr lesbar, aber man konnte den Inhalt des Textes mit etwas Mühe entziffern.
Pete las laut vor:

Mein Schatz ist hoffentlich bei dir in guten Händen,
und ihr nutzt ihn gut.

Mit ein wenig Glück werden wir uns bald begegnen,
dann wird alles gut.

Der Schlüssel der Zeit wird den Weg euch weisen,
und nimmer mehr kann dann die Zeit euch Kummer bereiten.

Schließt auf die Tür und tritt herein,
die Vergangenheit wird dann einerlei sein.



Immer wieder las Pete die Zeilen und konnte doch nicht verstehen, was das Schriftstück aussagen wollte.
„Welcher Schlüssel wird denn da gemeint? Schau mal nach, Ella, ist noch ein Schlüssel in der Flasche?“
Kopfüber schüttelte Ella die Falsche. Klirrend rutschte ein kleiner Schlüssel aus dem Flaschenhals und fiel direkt in Ella´s Ausschnitt.
„Huch!!!“ rief Ella lachend, „hier drin sollte aber er nicht landen.“
„Ist doch ein schöner Platz zum landen.“ Meinte Pete lachend zu Ella.
„Alter Schwerenöter“ sagte Ella stieß ihren Mann mit dem Ellenbogen leicht in die Rippen und zog noch lachend den Schlüssel aus ihrer Bluse.
Er war nicht größer als ein Briefkastenschlüssel, aber er hatte eine ganz besondere Form.
Er war geschwungen wie eine Art Notenschlüssel, genau konnte man ihm keine Form zuordnen, aber er strahlte irgendwie etwas Besonderes aus.
Pete nahm Ella den Schlüssel aus der Hand und betrachtete ihn ausgiebig von allen Seiten.
„Was es wohl mit ihm auf sich hat?“ dachte Pete laut.
„Ach was,“ meinte Ella, „ was soll es denn damit auf sich haben, da hat sich einer einen Spaß gemacht, nichts weiter. Komm jetzt Pete, wir wollten doch Frühstücken.“
„Wie kannst du jetzt ans Essen denken, hast du denn gar keine Fantasie? Was, wenn es wirklich so eine Art Zauberschlüssel ist. Sollten wir nicht versuchen herauszufinden wo der Schlüssel hingehört?“
„Nun sag mal, hat dir das Alter deine letzten Gehirnzellen zerfressen? Was sind denn das für Töne? Zauberschlüssel….pah! Komm schon, Schatz, denk mal realistisch.“

Geknickt ging Pete mit Ella zum Essen, in seinen Gedanken wirbelten immer noch das Schriftstück und der Schlüssel. Hatte denn Ella recht und alles ist nur ein Spaß? In seinem Kopf drehte sich alles.
Ella bemerkte, dass Pete mit seinen Gedanken wo anders war und fragte sich ob sie vielleicht nicht doch etwas zu hart zu ihm war. Sie kannten sich jetzt schon so viele Jahre und sie wussten jede Einzelheit des anderen. Die letzte gemeinsame Zeit die ihnen noch blieb, und das war nicht mehr so wahnsinnig lange, wollten sie ausnutzen um ohne Streit, ohne Stress und mit viel Liebe zu leben.
Also wenn Pete so viel Freude an diesem geheimnisvollen Schlüssel hat, dann wollte sie ihm dies nicht verderben und sich gemeinsam mit ihm auf dieses Abenteuer einlassen.

„Wir sollten nach dem Essen noch mal zum Strand, damit du dir die Stelle an dem die Flasche lag genauer ansehen kannst. Vielleicht finden wir ja noch einen Hinweis, der helfen kann, dieses kleine Rätsel zu lösen?“ meinte Ella und sah ihren Mann liebevoll an.
Erstaunt nahm Pete Ella´s Hand: „Vorher hast du aber was anderes gesagt.“
„Ach, vergiss was ich alte Kuh gesagt habe, schauen können wir ja. Und vielleicht finden wir ja was.“
Freudestrahlend drückte er ihre Hand und lächelte sie an. Genau das war die Frau die er so wahnsinnig liebte. Mit ihm durch dich und dünn und auch wenn es noch so schwachsinnig war.

Kurze Zeit später waren sie auf dem Weg zum Strand. In der einen Hand hatte er den Schlüssel und an der anderen Hand hielt er Ella ganz fest.
Sie gingen durch den Sand und das laufen kam ihnen ganz leicht und einfach vor. Sie fühlten sich als könnten sie fliegen oder einfacher gesagt, sie fühlten sich jung.
Als sie an der Stelle angelangt waren, an dem die Flasche gelegen war, konnten sie nichts Außergewöhnliches entdecken.
Sie schauten sich um und Ella entdeckte in kleiner Entfernung eine kleine Kapelle. Verwundert schauten sie sich an. Beide konnten sich nicht an diese Kapelle erinnern.
„War die vorher schon da?“ fragte Ella.
„Ich weiß nicht so genau, auf alle Fälle sehe ich sie grad zum ersten Mal.“ Antwortete Pete und machte sich schon auf den Weg. „Wenn die Kapelle verschlossen ist, dann könnten wir doch den Schlüssel ausprobieren.“ Er öffnete seine Finger und betrachtete das kleine geschwungene Etwas in seiner Hand. Der Schlüssel begann zu leuchten, immer heller je näher sie der Kapelle kamen.
Ganz aufgeregt liefen sie die kleine Böschung hinauf und blieben außer Atem vor der verschlossenen Tür stehen.
Mit großen Augen schauten die beiden die schwere Eingangstür an. Sie hatte kein Türschloss und auch keine Türklinke. Nichts wo sie den Schlüssel einführen konnten.
„Was machen wir jetzt?“ fragte Ella.
Pete zuckte mit den Schultern und versuchte gegen das schwere Holz der Türe zu drücken. Langsam ließ sie sich aufschieben und zaghaft er riskierte einen Blick in das Innere der Kapelle.
Fast enttäuscht schob er die Tür ganz auf und sah auf einen schmalen Gang, der mit wenigen Stühlen bis zu einem ganz normalen Altar führte.

Hand in Hand gingen sie hinein und Schritt für Schritt näherten sie sich dem kleinen Altar, der mit vielen Blumen geschmückt war.
Auf dem Altar stand eine Art Box, zirka 30 x 30cm groß, und dies konnte man von vorne öffnen. Ein kleines Schloss verschloss den Zugang. Goldene Gitterstäbe umrankten dieses Schloss und verhinderten so den Zugang zum Allerheiligsten. Jesus am Kreuz, beleuchtet von einer brennenden Kerze war hinter den Stäben zu erkennen.

Ella deutete stumm auf das kleine Schloss. Sie nickten sich gegenseitig zu und dann nahm Pete den Schlüssel und führte ihn ein. Wie von Zauberhand drehte sich der Schlüssel einmal um seine eigene Achse und die Gitterstäbe öffneten sich. Kaum war die Box offen, kam ihnen ein helles Licht entgegen, das in ihren Augen blendete. Schützend hielten sie sich ihre Hände vor die Augen, als das helle Licht sie umschloss und hinein zog.

Ella zitterte vor Angst und klammerte sich an Pete. Als dieser seine Frau anschaute um sie zu beruhigen, sah er was ganz wundervolles. Er sah seine Frau, sie war jung und stark. Nicht gebrechlich und gealtert, nein, sie war jung. Ihr Haar leuchtet in einem dunklen Braun und die Haut in ihrem Gesicht war straff und glatt. Sie sah einfach fantastisch aus.
Auch Ella sah ihren Mann an und auch er hatte seine Jugend von früher wieder. Er war der stattliche, attraktive Mann, denn sie vor vielen Jahren kennengelernt hatte.

Wie konnte das sein? Waren sie ein einer Art Wunderwelt? Sie wussten es nicht.
Sie gingen nur Hand in Hand weiter dem Licht entgegen. Sie betraten eine Welt, die ihrer alten Welt ähnelte. Viel Grün mit Häusern und Seen. Früchte hingen an den Bäumen und kleine Bienchen umschwirrten die vielen leuchtenden Blumen. Der Himmel erschien in einem wunderbaren Blau und die Sonne strahlte in ihrem schönsten Gelb.
Mit großen Augen blickten sie sich um und konnten sich an der Schönheit der Natur gar nicht satt sehen.
„Ella, was meinst du, möchtest du hier bleiben?“ fragte Pete seine Frau.
„Mein lieber Schatz, mit dir würde ich überall bleiben. Wenn uns diese Welt will, dann wäre es wunderschön mit dir hier an diesem Ort zu bleiben.“
Pete lächelte seine Ella an, nickte ihr zu und nahm sie in seine Arme. Zärtlich küsste er sie und ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchflutete ihre Körper.
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Der Besitzer der Ferienwohnung, öffnete mit einem Generalschlüssel die Wohnung von Pete und Ella. Sie hatten nicht ausgecheckt und nun wollte er mal nach dem Rechten sehen.
Als er den Schlafbereich betrat, blieb ihm der Schreck in Gliedern stecken. Pete und Ella lagen tot auf dem Bett. Ihre Hände waren ineinander verschlungen und auf ihren Gesichtern lag ein glückliches Lächeln.
Er bekreuzigte sich und dachte, Gott möge euch beschützen, egal wo ihr auch jetzt seit.


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Tag der Veröffentlichung: 12.05.2010

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