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Kurtchen als i-Dötzchen

Es war so weit, die Schule wurde für Kurtchen eine ernste Sache, übermorgen soll es los gehen!

Kurtchen bekam ein flaues Gefühl in der Magen Gegend. Selbst seine Einwände, wer sorgt dann für Feuerholz oder guckte sich dann für etwas essbarem um, halfen nichts.

Dann musste er wohl wie sein Bruder, der schon zwei Jahre zur Schule ging, jeden morgen mit den Schulsachen unter dem Arm zur Schule marschieren. Also, ganz geheuer kam ihm die Sache ganz und gar nicht vor!

 

Kurtchen strolchte ziellos durch die Siedlung, die durch die neuen Leute sehr lebhaft geworden ist. Viel mehr Kinder rannten jetzt spielender Weise zwischen den Nissenhütten herum. Der Junge hörte eine bekannte Stimme seinen Namen rufen, er drehte sich zu den Rufer und sah erfreut Theo mit seiner Schwester!

Kurtchen erzählte den Beiden, dass er ab übermorgen in die Schule muss! Theo gab sofort bedauernde Laute von sich, während Elisabeth vergnügt los plapperte, das ist ja toll, Schule ist nämlich prima. Kurtchen sah Elisabeth ungläubig überrascht an: „Woher willsse dat denn wissen?“ Elisabeth lachte Kurtchen vergnügt an: „Ich spiele manchmal mit einem Mädchen, dass letztes Jahr in die Schule gekommen ist und die hat es gesagt!“

 

„Pah, Mädchen.“ Kam es abfällig von Theo.

„Erzähl mal mehr davon.“ Forderte Kurtchen Elisabeth auf.

Inzwischen hatten die drei den Hügel erreicht, der eigentlich aus einer Menge Trümmer bestand, aber jetzt komplett zu gewachsen war. Sie setzten sich auf ein Stück Gras und Elisabeth erzählte, was sie von dem Mädchen über die Schule erfahren hatte.

„Du lernst nicht nur rechnen und schreiben und lesen. Du lernst auch viele Lieder und malen darfst Du mit Buntstiften.“ Kurtchen staunte Bauklötze, was sind denn nun schon wieder Buntstifte?

Nach den Buntstiften musste er seinen Bruder fragen, unbedingt.

Aber, jetzt machte Elisabeth ein schwer geheimnisvolles Gesicht, das Beste an der Schule ist, dass Du jeden Tag Essen bekommst!!

 

Kurtchen sah das blonde Mädchen wie ein Wunder mit offenen Mund und weit aufgerissenen Augen an: „ Jeden Tag gibt es Essen?“

Elisabeth nickte Kurtchen fröhlich an: „Jeden Tag, wirklich!“

Kurtchen wiegte seinen Kopf nachdenklich hin und her, hört sich ja gar nicht sooo schlecht an, dass mit der Schule.Wieso hat sein Bruder nie davon erzählt?

Und als er dann noch erfuhr, dass Elisabeth in einem Jahr auch in die Schule kam, war für Kurtchen die Welt wieder etwas in Ordnung.

 

Der große Tag kam und seine Mutter zupfte und zog an seinen verschlissenen Sachen vergeblich herum, es blieben alte Klamotten. Kurtchen nahm sein kleines Bündel Schulsachen, die mit einem dicken Gummi zusammen gehalten wurden und los ging es.

Auf dem großen Schulhof standen eine Menge Kinder mit ihren Müttern, einigen sogar mit Mutter und Vater und zum ersten Mal schämte sich Kurtchen seiner armseligen Klamotten! Direkt ihm gegenüber stand eine kleine Gruppe Eltern mit ihren Kindern, aller feinst gekleidet!

Kurtchen erkannte den Bäcker, zu dem er die aus den Trümmern heraus gepickten Mauersteine gebracht hatte und Kurtchen dämmerte es ganz hinten in seinem Kopf, dass hier etwas nicht stimmen konnte.

 

Jetzt entdeckte Kurtchen auch noch große bunte Tüten?, die die Kinder in ihren Armen hielten, fragend sah er seine Mutter an und guckte stumm wieder weg. Er hatte die Tränen im Gesicht seiner Mutter gesehen.

Die vielen Kinder wurden von einem unglaublich dicken Mann in Klassen aufgeteilt und Kurtchen musste mit vielen anderen in das andere Schulgebäude gehen. Von Kindern erfuhr er während des Weges, dass der dicke Mann der Rektor der Schulen ist.

 

Als alle Kinder in dem Klassenraum waren, erfuhren sie von dem Lehrer den Ablauf des Unterrichtes, auch die Pausen wurden genannt und nach dem Unterricht gibt es die Schwedenspeise. Kurtchen staunte, hat Elisabeth doch richtig erzählt.

Der Lehrer überprüfte die von den Kindern mit gebrachten Schulsachen und schrieb sich auf, was bei dem einen oder anderen fehlte.

Der Lehrer ging anschließend zu den großen Schrank, der neben der grünen Tafel stand und holte aus dem Schrank Stifte, Griffel, sogar zwei Schiefertafeln waren dabei.

Kurtchen bekam eine kleine Pappschachtel, in der sechs bunte Stifte waren, ein Buch und ein Heft.

 

Am nächsten Tag bekamen alle Kinder tatsächlich warmes Essen, hier musste Kurtchen böse grinsen, denn vorher gab es einen Löffel Lebertran und der war einfach entsetzlich. Kurtchen war wirklich ein Allesesser, aber so ein Schweinekram hatte er noch nie gegessen. Nur mit allergrößter Mühe und Selbstbeherrschung gelang es ihm, das Zeugs herunter zu würgen, erst dann bekam er das Essen!

 

Am dritten Schultag hatte Kurtchen seine erste Prügelei mit einem der „feinen“ Jungens, Kurtchen bekam ein blaues Auge, aber der Feine lief heulend und schreiend zum Lehrer und beschwerte sich.

Was ihm aber nur eine Strafarbeit einbrachte, Kurtchen hatte danach das unbestimmte Gefühl, dass die Welt ein klein bisschen freundlicher geworden war.

 

Schnell war Kurtchen in dem Rhythmus des Schulbesuches eingebunden, dass ihm dadurch viel Zeit fehlte, die er sonst für das herum stöbern genutzt hatte, störte ihm schon sehr.

Aber einfach nicht zur Schule gehen, ging ja gar nicht. Leider.

Fortan bestimmte der tägliche Schulbesuch Kurtchens Tagesablauf, nach der Schule wurden die Schularbeiten gemacht. Die Schiefertafel kreischte furchtbar, wenn er mit dem Griffel die Buchstaben darauf kratzte. Die Buntstifte mussten für den nächsten Tag gespitzt werden. Die Schiefertafel musste sehr, sehr sorgfältig behandelt werden, da sonst die Buchstaben verwischt wurden und Kurtchen musste alles noch ein mal schreiben.

Irgendwie hatte sich im Laufe der Wochen Kurtchens Leben neu einreguliert, er hatte wieder etwas Zeit zum herum stöbern, ab und zu konnte er auch das eine oder andere mit nach Haus bringen.

Unmerklich wurde es besser, Kurtchen bekam neue Schuhe, auch eine Hose und ein Hemd, sogar ein Tornister für die Schule bekam er. Erstaunt und ungläubig sah der dünne Junge in die neue Welt.

 

 

Kurtchen und die Sommerferien

 

 Kurtchen wechselte nach dem vierten Schuljahr in das gewaltig große Schulgebäude auf der Waldstraße. Das riesige Gebäude erdrückte schier die Schulkinder. Hinter der großen, zweiflügeligen Tür war eine große Treppe über die ganze Breite des Treppenhauses. Auf der ersten Etage war gleich rechts von der Treppe, das große und düstere Büro von dem Rektor und zwei Klassenräume. Gegenüber der Treppe ging das Treppenhaus weiter hoch zu den anderen Klassenräumen, links der Treppe ging es in den Keller. Dort waren die Toiletten und Duschräume!

Es dauerte eine Zeit, bis Kurtchen in dem großen Gebäude Bescheid wusste.

 

Dann gab es in den Pausen nur noch ein Thema, die Sommerferien, einige Schüler konnten sogar von Reisen erzählen, die sie mit ihren Eltern in den Ferien machen werden.

Kurtchen kam etwas missmutig von der Schule nach Haus und blieb auch während des Mittagessen sehr still.

Sein Vater kam von der Schicht und setzte sich an den Tisch, klopfte dem Jungen auf die Schultern, Kurtchen sah hoch und blickte fragend in das freundlich lächelnd Gesicht seines Vaters.

„Du weißt doch noch, dass Oma soundso in Wilhelmshaven wohnt?“

Kurtchen nickte seinen Vater an; „ Ja, dass weiß ich noch.“

„Gut, prima, dann packe morgen Deine Sachen zusammen, denn Du fährst für drei Wochen dahin!“

Kurtchen sah seinen Vater ungläubig an, es soll tatsächlich in den Ferien weg fahren!

 

Der Zug wurde von einer fauchenden, dampfenden Lokomotive in den Bahnhof gezogen. Die dunkelgrünen Waggons mit den schmalen Türen und Fenster rumpelten auf dem Gleis. Sein Vater sah nach einem bestimmten Waggon, machte die Tür auf und zeigte Kurtchen, das er einsteigen soll.

In dem Abteil waren links und rechts an der Wand Holzbänke, darüber jeweils ein Gepäcknetz.

Schnell ein Tschüss, auf Wiedersehen, gute Erholung und viele Grüße und schon setzte sich der Zug in Bewegung.

 

Nach einer langen Zugfahrt, zweimaligen umsteigen, kam Kurtchen in Wilhelmshaven an, nun stand er auf dem Bahnsteig und sah sich um, aber eine Oma konnte er nicht entdecken! Der Junge kratzte sich nachdenklich am Kopf, holte den Zettel mit der Adresse aus der Jackentasche und fragte den uniformierten Mann, wie er zu dieser Adresse kommt.

„Ganz einfach, aus dem Bahnhof immer gerade aus, die dritte Straße links!“ Kurtchen bedankte sich und machte sich auf den Weg. Nach einen strammen Marsch erreichte er das Haus Nr. 89, fand das Namensschild, klopfte, nichts, klopfte noch einmal, wieder nichts. Kurtchen klopfte jetzt sehr kräftig an die Tür, es rührte sich nichts, aber die Tür ging auf. Der Junge ging vorsichtig in die Wohnung und sah eine Frau am Küchentisch sitzen, die Arme auf der Tischplatte gekreuzt, darauf lag ihr Kopf und sie schnarchte kräftig. Kurtchen sag den Wecker nahe dem Kopf de Frau, verschlafen, grinste Kurtchen, Oma hat verschlafen.

Kurtchen setzte sich an den Tisch und aß seinen letzten Proviant auf.

 

Am nächsten Tag ging seine Oma mit ihm zum Strand, zeigte ihm die Kaiser-Wilhelmbrücke, eine große Drehbrücke, die wurde früher für die großen Schiffe benötigt, erfuhr er. Die Strand Halle folgte, das Meerwasser Aquarium und der Fischereihafen. Die Fisch-und Krabbenkutter hatten es Kurtchen sofort angetan. Oma zeigte ihm auch die kleine Heuler-Station. Hier wurden die verstoßenen kleinen Seehunde aufgepäppelt! Auf dem Rückweg sah er die Meerwasser-Badeanstalt, den Marinehafen mit den grauen Kriegsschiffen und die Garnisonskirche mit den vielen Fahnen und davor das Geschützrohr, dass von einem Treffer beschädigt worden war. Zum Schluss noch der Friesenbrunnen und ab ging es nach Haus.

 

Am nächsten Morgen bekam Kurtchen ein Päckchen in die Hand gedrückt, Butterbrote, erfuhr er, dazu drei Groschen, du willst dir bestimmt noch einmal alles ansehen.

 

Etwas baff stand dann Kurtchen auf der Straße und überlegte, was er jetzt anstellen soll. Er drehte sich Richtung Strand und marschierte los, die Sonne schien und als er den Strand erreichte, legte er sich rücklings in das Gras und sah in die Wolken und auf das Wasser.Plötzlich stellte er fest, dass das Wasser immer weniger wurde und da fiel ihm das mit Flut und Ebbe wieder ein!

Er zog sich Schuhe und Strümpfe aus und lief herunter und stand auf dem matschigen Boden. Ich stehe auf dem Meeresboden und werde nicht nass! Kurtchen musste grinsen, dass glaubt mir in der Schule kein Mensch.

 

Der Junge ging durch den Matsch bis zum Fischereihafen und sah staunend, dass die Fischkutter alle ziemlich schräg auf dem Boden lagen, auch hier war das Wasser weg! Kurtchen lief hin und her und sah sich alles genau an. Erst ein gutes Stück weiter konnte er in der Fahrrinne ein wenig Wasser sehen!

In der Fischhalle war richtig Betrieb und neugierig ging der Junge näher und sah durch das offene Tor in die Halle. Hier wurden die Fische sortiert, mit Eis bedeckt und auf verschiedene Plätze verteilt.

Kurtchen sah die gekochten Granat (Nordseekrabben) in den Kisten und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Eine dicke Frau fragte ihn. Ob er was kaufen will, Der Junge schüttelte mit dem Kopf und fühlte nach den drei Groschen in seiner Hosentasche. Die dicke Frau fragte, ob er den Granat puhlen kann, ja, kann ich und schon hatte er eine braune Spitztüte in der Hand und die Frau scheuchte ihn aus der Halle. Ein schnelles Augen zwinkern und weg war die Frau.

 

Selig ging Kurtchen zum Strand zurück, legte sich mit dem Rücken ins Gras, platzierte die Tüte auf seinen Bauch und puhlte genüsslich eine Granat nach der anderen.Die Schalen ließ er links und rechts neben sich in das Gras fallen. Schnell kreischten jede Menge Möwen über ihn, die Vögel wurden so frech, dass er den Platz räumen musste. Sofort stürzten sich die Möwen auf die Schalen von dem Granat im Gras.

Die Sonne schien und Kurtchen lag satt und faul im Gras und sah zu, wie das Wasser langsam zurück kam. Plötzlich schreckte der Junge hoch, ich glaube, es wird Zeit, dass ich nach Haus gehe.

 

Am nächsten Morgen überraschte ihn seine Oma mit einem Turmbesuch. Kurtchen konnte sich keinen Reim darauf machen und so marschierte er mit seiner Oma los. Der Junge sah ein großes Gebäude mit einem hohen Turm in der Mitte, jetzt verstand er, was seine Oma gemeint hat.

„Das ist das Rathaus von Wilhelmshaven.“ Klärte sie Kurtchen auf.

Sie stiegen die vielen Stufen hoch und seine Oma schnaufte mächtig. Oben hatte Kurtchen einen prächtigen Blick herüber zum Strand, er sah die Strand Halle, den kleinen Hafen und erkannte jetzt, dass die Stadt gar nicht an der Nordsee lag, sondern an einer Art großen Bucht, die sich Jadebusen nannte! Seine Oma zeigte ihm, sieh, dort ganz am Horizont, dass ist die Nordseeküste!

 

Die folgenden Tage verbrachte Kurtchen am Strand und im Fischereihafen, einmal konnte er sich noch einen Liter Granat kaufen und die dicke Frau machte die Tüte ordentlich voll.Damit waren seine Groschen weg.Mit einem nie gekannten Vergnügen puhlte der Junge die Granat und genoss den herrlichen Geschmack.

Abends sagte seine Oma, dass er morgen nach hause fahren muss und Kurtchen war so etwas von enttäuscht, dass die Zeit schon vorbei war.

 

 

 

 

Impressum

Texte: Klaus Blochwitz
Bildmaterialien: Klaus Blochwitz
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2014

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