„Linus, du weißt doch, Wettschulden sind Ehrenschulden!“
Angestrengt versuche ich, meine zitternden Hände mit einem Taschentuch vom Schweiß zu befreien. Vergeblich!
Mir ist absolut bewusst, warum ich mich normalerweise von sämtlichen Wetten und Glücksspielarten fernhalte. Erstens bin ich der Meinung, dass da sowieso alles getürkt ist und sollte dies doch nicht der Fall sein, habe ich einfach kein Händchen dafür. Ich tippe grundsätzlich auf das Falsche und jegliche Wette verliere ich haushoch.
Und trotz dieses Wissens stehe ich hier, am Hintereingang des Black and White, einem kleinen Club für Homosexuelle, mit angrenzenden Hinterzimmern, in denen man auf Wunsch eine Aufführung an der Pole Stange genießen kann.
Eigentlich nicht mein bevorzugtes Etablissement, da es sich mitten in der Pampa in der Nähe meines Wohn- und Arbeitsortes befindet. Bei meinen Streifzügen durch das Nachtleben bin ich nicht scharf darauf, meinem Nachbarn und Hausarzt Herrn Dr. med. Huber oder gar meinem Chef zu begegnen und fahre daher lieber die knapp 100 km in die nächste Großstadt, um mich in die Anonymität der Nacht zu stürzen.
Vorausgesetzt natürlich, ich verspüre das Verlangen danach. Was, wenn ich ehrlich bin, das letzte Mal vor knapp drei Jahren vorgekommen ist. Damals war ich noch mit Silvio liiert und wir verbrachten einen witzigen Abend in irgendeinem No-Name Club.
Wenn ich an unsere Trennung zurückdenke, so lief diese nüchtern-dramatisch ab. Ja, so etwas gibt es.
Wir saßen damals wie üblich abends gemeinsam am Esstisch und verspeisten selbstgemachte Pasta, als er mir plötzlich erzählte, dass er das Haus seiner Großtante auf Sizilien geerbt hatte und nun in Betracht zog auszuwandern. Ach was, in Betracht zog, die Sache war eigentlich schon beschlossen, was mir ein Blick in seine Augen bestätigte. Nach beinahe acht gemeinsamen Jahren kennt man seinen Partner eben.
Er erzählte mir, wie unglücklich er seit einiger Zeit hier in Deutschland war. Der Job machte ihm keinen Spaß mehr, die Menschen gingen ihm auf den Zeiger und überhaupt war er des ganzen Flairs überdrüssig. Das Einzige, was ihn hier noch hielt, war ich.
Also fragte er mich, ob ich ihn begleiten möchte. Er erklärte mir, dass er mich liebte, noch immer nach all den Jahren, aber das er es hier einfach nicht mehr aushalten würde. Sein Herz zog ihn nach Hause.
Ich habe einige Zeit gebraucht, um das zu verdauen. Und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum einen hatte ich geglaubt, dass wir beide mit unserem Leben glücklich waren. Sicher, in so einer langen Beziehung blieben Streitereien nicht aus, besonders nicht bei zwei so unterschiedlichen Charakteren, wie Silvio und ich sie besaßen. Er, der rassige Italiener, immer mit einem charmanten Lächeln und einem originellen Flirtspruch auf den Lippen und ich, der stocksteife Deutsche, der die Sicherheit einer Privatversicherung einem Urlaub vorzog.
Dennoch passten wir zusammen. Wir konnten über die Sprüche des anderen lachen, ergänzten uns im Alltag und fanden einen gemeinsamen Mittelweg, sodass wir glücklich waren. Schienen, muss ich wohl eher sagen.
Denn während ich mit unserer kleinen Wohnung, dem abgesicherten Arbeitsplatz und meinem Jahreswagen zufrieden war, bemerkte ich nicht einmal, wie sich mein Partner nach Hause, sehnte.
Das war schlussendlich auch der Punkt, der für mich ausschlaggebend war, Silvio ziehen zu lassen. Nicht nur, dass ich mir ein Leben auf Sizilien nicht vorstellen konnte, allein die Tatsache, dass mir nicht aufgefallen war, dass er nicht mehr auf dem gleichen Weg wie ich gehen wollte, war für mich ein Grund, sich zu trennen. Bis dato war ich davon überzeugt, ihn beinahe in- und auswendig zu kennen.
Tja, wie man sich täuschen kann.
Nachdem Silvio damals abgereist war, litt ich erst an Liebeskummer und anschließend an der Einsamkeit, musste allerdings auch irgendwann eingestehen, dass vor allem das gemeinsame Leben mich bei ihm gehalten hatte. Natürlich mochte, l i e b t e ich Silvio auf seine eigene, unverfälschte Art, doch die ewige und in Stein gemeißelte Liebe war es nicht. Wenn es die überhaupt gibt. Ich bin eigentlich Realist genug, um zu wissen, dass so etwas wie unendliche Liebe nur im Märchen vorkommt. Dafür sind wir Menschen schlussendlich zu große Gewohnheitstiere.
Das Ganze liegt jetzt schon zwei Jahre in der Vergangenheit zurück und ich habe mich mit meinem Leben als Single ganz gut arrangiert. Ich arbeite immer noch in der gleichen großen Firma als Chefchemikant, lebe in derselben Wohnung wie damals und fahre auch noch den identischen Jahreswagen. Ab und zu, wenn ich weniger Überstunden mache, verspüre ich so etwas, wie Sehnsucht nach einer Partnerschaft, nach einer Person, die mich mit einem Lächeln auf den Lippen zu Hause Willkommen heißt.
Doch immer wenn diese Gefühle auftreten, schnappe ich mir ein gutes Buch, dazu eine Flasche Rotwein und vergrabe mich in meinem Bett. Gefühle sind kontrollierbar und mit meinen nun bald 36 Jahren bin ich kein Teenager mehr, der sich von seiner Libido führen lässt.
Dachte ich zumindest, bis zu dem Augenblick, in dem mir meine beste Freundin Silke einen Strich durch die Rechnung machte.
„Linus, du weißt, ich liebe dich wirklich sehr, aber wenn du zu meinem Abschiedsabend nicht mitkommst, dann werde ich dich erwürgen!“
„Liebe Silke, was kann ich denn dafür, dass du eine unglaubliche Affinität für Schwule hast und dir nun ausgerechnet als Abschiedsgeschenk von deinen Freunden einen Abend im Black and White aussuchen musstest? Ich zwinge dich schließlich nicht, mit deiner ganzen Familie nach Schweden auszuwandern.“
„Linus, ich warne dich, du kommst! Du kannst dich dann wieder in deinem Maulwurfloch verkriechen, wenn ich weg bin“,
sprach sie und wer wäre ich, mich gegen eine Furie zu stellen?
Eigentlich verlief der Abend besser, als ich erwartet hatte. Ich unterhielt mich gut mit Silke, ihren Freunden, die entfernte Bekannten von mir waren, trank gemütlich mein Bier und hatte Spaß. Zumindest bis zu dem Punkt, als einer der knapp bekleideten Kellner an unseren Tisch kam und den Hauptakt für den Abend ankündigte, welchen Silke extra bestellt hatte.
Verschwörerisch lehnte sie sich zu mir und klimperte mit ihren langen Wimpern.
„Ich wette mit dir, dass du den Blick nicht von ihm lösen kannst.“
„Nicht alle Männer denken ausschließlich mit ihrem Schwanz und nicht alle Schwule lassen sich rein von ihrer Libido steuern.“
„Ach komm, du hast doch nur Schiss, dass du verlieren könntest. Wenn du so unglaublich überzeugt davon bist, dass du den Tänzer nicht mit Blicken ausziehst und einen teuflisch heißen Tanz zwischen den Laken absolvieren willst, dann geh doch auf meine Wette ein!“
Sie wusste, dass sie mich damit hatte. Ich ließ mich schon seit Kindesbeinen nicht gerne als Angsthase betiteln, was mir den einen oder anderen Knochenbruch eingebracht hatte. Zwar war ich in den letzten Jahren ruhiger geworden, aber mein Ehrgefühl biss mich in diesem Moment schmerzhaft in den Allerwertesten. Und ich war zu diesem Zeitpunkt auch wirklich sicher, dass ich gar nicht verlieren k o n n t e. Ich hatte nur zwei Dinge unterschätzt:
Die Raffinesse und Verschlagenheit einer Frau.
Die ersten zwei Minuten der Vorführung liefen für mich eigentlich ganz gut, auch wenn ich zugeben musste, dass der Tänzer wahrhaft unglaublich aussah: Dunkelbraune, glänzende Locken, die wirr während seiner gekonnten Bewegungen hin und her wippten; glatte, mokkafarbene Haut, unter der sich imposante Muskeln im Takt der Musik anspannten und ein faszinierendes Schauspiel boten; ein Mund, so verführerisch, wie eine Schale dunkelroter Kirschen und Augen, die so tief in meine Seele blickten, als könnten sie so selbige stehlen.
Dennoch konnte ich, nachdem ich fünfmal kräftig geschluckt hatte, meinen Blick triumphierend von dem Tänzer lösen und zu Silke schauen. Sie lächelte mich nur wissend an, legte den Kopf schief und zwinkerte.
„Warte mal ab, bis er sein Hemd öffnet.“
Erst war ich irritiert, wendete dann aber brav meinen Kopf wieder in Richtung Pole Stange, an der der Tänzer gerade in langsamen, lasziven Bewegungen die Knöpfe seines schwarzen Hemdes öffnete. Von diesem Moment an blieb für mich die Zeit stehen.
Als Erstes kam eine haarlose, gut definierte Brust zu Tage, anschließend folgte der Ansatz seiner Bauchmuskeln und eine Sekunde später verschwand sein Hemd irgendwo im Nirwana. Mitsamt meinem Verstand.
Es gibt ein Geheimnis, welches ich schon seit Jahren wie meinen Augapfel hüte. Ich besitze einen Fetisch. Falsch, nicht irgendeinen, wie andere Menschen vielleicht. Manche stehen auf Lippen oder Augen, welche beide nicht zu verachten sind. Andere bekommen bei knackigen Hintern oder schmalen Hüften einen trockenen Mund.
Ich hingegen erstarre bei einem perfekten Bauchnabel. Haarlos, symmetrisch rund und nach innen gekehrt, mit gleichmäßigen konzentrischen Falten und einem winzigen kleinen Punkt in der Mitte. Es gibt wenige Männer mit einem derart schönen Nabel.
Der verfluchte Tänzer war allerdings einer dieser Männer. Doch nicht genug damit, dass er genau in mein Raster fiel, er setzte noch einen obendrauf. Ausgehend vom Bund seiner hautengen Pants, die ihm tief auf den Hüften saß, bis hinauf zu seinen Rippenbögen war er tätowiert. Ein Feuerwerk in den berauschendsten Rottönen, welches für mich direkt aus der Hölle kam, explodierte auf seinem Bauch, rückte diesen kleinen, perfekten Nabel ins rechte Licht und verhinderte so, dass ich auch nur den Hauch einer Chance sah, meine Augen abzuwenden.
Während seiner gesamten folgenden Darbietung, war mein Blick auf seinen Bauch, die Tätowierung und vor allem auf seinen Bauchnabel gerichtet. Silke behielt recht: Alles was ich mir in diesem Moment wünschte, war meine Zunge über seine Haut gleiten zu lassen, das Salz zu schmecken, seinen ureigenen Geruch in mir aufzunehmen und mich an ihm zu verbrennen.
Ich habe keine Ahnung, welche Hitze ein Feuerwerk während seiner kurzen Lebenszeit entwickelt, doch ich bin mir sicher, dass es der Temperatur meiner persönlichen Hölle gleichkommt.
Wer mit dem Feuer spielt, wird sich zwangsweise verbrennen.
Das hatte mir schon meine Großmutter immer gepredigt, aber nein, ich musste mich ja auf die verdammte Wette einlassen. Deswegen stehe ich nun mit gelartigen Beinen hier und klopfe an die Hintertür des Black and White. Innerlich hoffe ich im ersten Moment, dass die Tür geschlossen bleibt, schimpfe mich dann aber anschließend selbst einen Feigling und straffe meine Schultern. So schlimm wird es schon nicht werden.
Sekunden verstreichen, dann dreht sich der Türknauf und plötzlich befinde ich mich Auge in Auge mit dem dunkelhaarigen Tänzer. Sein Auftreten ist nicht weniger atemberaubend, wie auf der kleinen Tanzplattform, auch wenn er heute eine legere beigefarbene Stoffhose und ein dazu passendes khakifarbenes Hemd trägt. Statt mit Knöpfen ist das Hemd fest mit einer Schnur gebändigt, lockert sich erst um die Brust herum.
Wenn ich nur daran denke, was sich darunter versteckt, wird mein Hals ganz eng und mir fällt das Schlucken schwer. Mit Gewalt zwinge ich mich zu einem schmalen Lächeln und strecke ihm meine Finger entgegen.
„Linus Degenhardt. Silke hat einen Termin für mich zum Devil Dance vereinbart.“
Beherzt ergreift mein Gegenüber meine Hand und ich spüre eine angenehme Wärme und kräftigen Druck, als er sie schüttelt. Um seine Lippen zieht sich ein Lächeln und in seinen Augen liegt ein nicht zu definierendes Leuchten.
„Raphael Hohenbeck. Ich bin dein Tanzpartner für heute“, antwortet er mir mit sanfter Stimme und mir fällt auf, dass ich ihn das erste Mal sprechen höre. Diesen Termin und alles Weitere hat Silke für mich vereinbart, um mir anschließend nur die Zeit und den Ort mitzuteilen. Natürlich nicht, ohne mir noch einmal einzuschärfen, da auch ja aufzutauchen. Sollte ich mich drücken, würde sie es erfahren. Egal in welchem Land sie dann auch sei.
Er tritt einen Schritt zurück und macht eine einladende Handbewegung, der ich, nach einen unauffälligen, tiefen Atemzug, folge. Ich stehe in einem angenehm beleuchteten Flur, von dem rechts und links mehrere Türen abgehen. Einige Meter vor mir entdecke ich eine angelehnte Tür mit der Aufschrift Lokal. Ein Stein poltert von meiner Kehle direkt in meinen Bauch und rumpelt dort fröhlich vor sich hin, beschert mir auf diese Weise ein mulmiges Gefühl.
„Du darfst gerne vorgehen. Hier ist es doch ein wenig zu eng und ungemütlich für unseren Tanz“, raunt mir eine Stimme von hinten zu und ich spüre die Hitze, welche von dem fremden Körper ausgeht, in meinem Rücken. Beinahe fluchtartig mache ich einen Schritt nach vorne, lasse meinen Blick über die Schulter wandern und sehe in ein verschmitzt grinsendes Gesicht.
Wäre mein Mund nicht so staubtrocken und hätte sich keine Krähe in meinem Hals häuslich eingenistet, würde ich ihm am liebsten eine bissige Antwort entgegenschleudern, weil mir seine Aufforderung zeigt, mit wie wenig Begeisterung ich hier bin. So aber presse ich nur meine Kiefer aufeinander und gehe mit schnellen Schritten zu der angelehnten Tür, öffne sie schwungvoll.
Ganz ohne Gäste wirkt der offizielle Bereich des Black and White sehr viel größer, als ich vermutet hätte. Nicht nur der Tresen, der sich rechts von mir an der Wand entlang zieht, auch die Tanzfläche auf der linken Seite haben auf einmal eine ganz neue Dimension angenommen. Durch die indirekte Beleuchtung in verschiedenen Naturfarben, kommt eine gemütliche Stimmung auf, die mich, wenn ich ehrlich bin, etwas beruhigt.
„Möchtest du vorher etwas trinken oder willst du es direkt hinter dich bringen?“, fragt Raphael und tritt dabei vor mich. Er ist einige Zentimeter größer als ich, sodass ich meinen Kopf in den Nacken legen muss, um ihm in die Augen sehen zu können. Ich atme seinen Duft, eine Mischung von Moos und Regen, ein und für einen Moment driften meine Gedanken in eine Richtung ab, in der ich sie nicht sehen will. Ich will mich von dem Kerl schließlich nicht um den Finger wickeln lassen!
Unauffällig schüttle ich meinen Kopf, nicke dann in Richtung des Eingangs der Separees.
„Direkt anfangen. Aber ich warne dich schon im Voraus: Ich kann nicht tanzen! Ich will hinterher keine Beschwerden wegen blutiger Zehen.“
Er lacht kurz herzhaft, greift einfach nach meiner Hand und zieht mich hinter sich her.
„Das ist nicht schlimm. Du musst gar nicht viel machen. Lass dich einfach überraschen.“
Am liebsten würde ich ihm meinen Arm entreißen, halte mich dann aber doch zurück. Schließlich bin ich kein bockiges Kind und je eher diese Sache einigermaßen reibungslos über die Bühne geht, desto schneller bin ich wieder zu Hause auf meiner Couch, mit einem Buch und der angefangenen Flasche Rotwein von gestern Abend.
Wenige Augenblicke später befinde ich mich in einem Raum, in dem sich nur eine kleine, etwa einen Meter hohe, runde Bühne mit einer Stange in der Mitte befindet. In einer Ecke erspähe ich einen Tisch, auf dem verschiedene Getränke stehen und vor der Empore führen einige Treppenstufen nach oben.
Der Boden ist mit weichem, dunkelrotem Teppich ausgelegt und die Wände sind in einem Sandton gehalten. Obwohl der Raum eher schmucklos wirkt, macht er auf mich keinesfalls einen ungemütlichen Eindruck.
„Das ist einer unserer Trainingsräume. Deswegen ist er nicht so aufgehübscht, wie die anderen Tanzzimmer.
Du kannst gerne deine Jacke auf dem Stuhl ablegen.“
Ich drehe mich ein wenig nach rechts, entdecke Raphael dort neben einem weiteren Tisch und zwei Stühlen. Sein Blick mustert mich eindringlich, sodass mir unwohl wird. Genauso hat er während des Tanzens auch geschaut. So tief und geheimnisvoll, als würden wir uns schon seit Jahren kennen.
„Silke hat gar nichts erzählt? Über mich, den Club oder den Tanz?“, fragt er mit einem lauernden Unterton in der Stimme, der mich vorsichtig werden lässt. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und lege meine Stirn in Falten.
„Nein. Hätte sie mir denn irgendetwas erzählen sollen?“, frage ich automatisch.
Eine Weile herrscht unangenehmes Schweigen zwischen uns, bis er schließlich seufzt und mich anlächelt.
„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es war ihre Entscheidung. Auch wenn es dir möglicherweise nicht recht ist, würde ich vorschlagen, dass wir erst tanzen und anschließend reden.“
Stimmt, ich finde diesen Vorschlag in der Tat nicht gut, insbesondere jetzt nicht, da ich weiß, dass es irgendetwas gibt, das ich wissen sollte. Leider habe ich im Augenblick nicht den Eindruck, dass ich ihn von seinem Vorhaben abbringen kann. Also seufze ich ergeben auf, zucke mit den Schultern, gehe die paar Schritte auf ihn zu und lege meine Jacke auf einem der beiden Stühle ab. Mein Blick bohrt sich fest in seinen. Ich weiß nicht, woher ich plötzlich diesen Mut nehme, aber die Tatsache, dass er und Silke ein Geheimnis vor mir haben, weckt meinen Kampfgeist.
„Dann sollten wir beginnen.“
Er blinzelt kurz irritiert, fängt sich aber schnell wieder und nickt. Vielleicht hat er mit mehr Widerstand gerechnet, aber ich kann für gewöhnlich gut einschätzen, wann es angebracht ist hartnäckig an einer Sache dran zu bleiben und wann ich mir die Zähne ausbeiße. Das ist meine Art von Menschenkenntnis.
Mit eleganten, wiegenden Schritten geht er an mir vorbei auf die Bühne zu, stoppt kurz neben der Treppe und zaubert unter ihr einen kleinen, gepolsterten Hocker hervor. Oben angekommen, stellt er ihn mittig vor der Stange ab. Von dort schaut er zu mir herunter und lockt mich mit einem Winken seiner Hand.
„Komm schon, Linus, oder bist du schüchtern? Keine Angst, ich bin nicht der Teufel und ich verspreche hoch und heilig, dass ich dich nicht auffressen werde.“
Auch wenn er das wohl nur im Spaß gemeint hat, bin ich keinesfalls sicher, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit hinter seinen Worten steckt. Doch wie Silke sagt: 'Wettschulden, sind Ehrenschulden'. Daher straffe ich meine Schultern, schreite auf die Bühne zu und stehe ihm im nächsten Augenblick gegenüber.
„Und jetzt?“
„Jetzt setzt du dich da hin und nimmst deine Hände auf den Rücken.“
Ich sehe ihm mit wachsendem Unbehagen in die Augen. Wieso, zum Kuckuck, soll ich meine Hände auf den Rücken legen? Was hat er vor?
„Ich dachte, wir tanzen“, sage ich ausweichend und schaue unruhig zwischen ihm und dem Hocker hin und her.
Sein Blick ist weich, während er leicht eine Hand auf meine Schulter legt, mich mit sanfter Gewalt zu dem kleinen Sitzmöbel dirigiert und zum Hinsetzen zwingt. Mein Kopf befindet sich auf der ungefähren Höhe seines Bauchnabels und alleine die Erinnerung an Selbigen, lässt ein wollüstiges Stöhnen in meiner Kehle aufsteigen, welches ich nur schwerlich herunter schlucken kann.
„Das ist so nicht ganz richtig. Der Devil Dance ist ein Tanz des Teufels. Das schließt zwar gewisse 'Aufmerksamkeiten' des Partners nicht aus, aber hauptsächlich tanze ich erst einmal für dich. Daher brauchst du dir auch keine besonders großen Sorgen darüber machen, dass du nicht tanzen kannst.“
Seine Stimme klingt ganz warm, während er das sagt und um mich herum geht, meine Hände hinter dem Rücken verschränkt. Für einen Moment spüre ich seinen Atem über meinen Nacken huschen, sodass mir eine Gänsehaut über den Körper kriecht, dann ist er plötzlich wieder vor mir, geht in die Hocke und sieht mich mit ernstem Blick an.
„Genieß es, Linus“, bittet er sanft, greift zwischen die Beine des Hockers und auf einmal erklingen die leisen Töne eines klassischen Musikstückes, das mir entfernt bekannt vorkommt. Es ist irgendeine Aufnahme von James Newton Howard zu einem der letzten Kinofilme, den er musikalisch unterlegt hat.
Wenn der Mann vor mir in diesem Moment nicht beschlossen hätte, sich zu bewegen, dann wäre mir vielleicht sogar eingefallen, welcher Film das nochmal war, so aber ist das ausgeschlossen.
Mit einer fließenden Bewegung erhebt er sich, tritt einen Schritt zurück und fängt meinen Blick mit dem seinen ein. Für einen kurzen Moment findet so etwas wie ein Duell zwischen uns statt, dann schieben sich seine Hände plötzlich vor sein Gesicht, fahren in die Locken und verwuscheln diese. Einige Ringel fallen ihm ungebärdig in die Stirn, doch das scheint beabsichtigt oder es stört ihn einfach nicht.
Seine Fingerspitzen streichen in einer lasziven Geste hinter die Ohren, fahren die Haut an seinem Hals entlang, verharren am Rand des Hemdes, um anschließend ganz langsam die Schnürung zu lockern. Sein ganzer Körper bewegt sich dazu rhythmisch zum Takt der Musik, während er mir immer mehr seiner makellosen Haut präsentiert.
Erst seine Brust, dann erkenne ich die Ansätze der Tätowierung und im nächsten Augenblick explodiert das erste Feuerwerk in meinem Bauch, ein zweites folgt und mit dem dritten beginnt ein Kribbeln in meinem Unterleib, das sich kaum mehr aushalten lässt, je näher er seinem Bauchnabel kommt. Als schließlich der Stoff seines Hemdes über die Schultern auf den Boden gleitet, schlage ich stöhnend den Hinterkopf gegen die Stange, spüre den eintretenden Schmerz jedoch kaum. Mein Blick hat sich unweigerlich an seinem Nabel festgesaugt.
Mit äußerster Konzentration schaffe ich es, der Spur seiner Hände weiterhin zu folgen und erhasche so mehr von dem Feuerwerk auf seiner Haut. Mit wiegenden Hüften und genau auf den Takt der Musik abgestimmten Bewegungen öffnet er die Stoffhose, lässt sie über seinen Hintern nach unten rutschen und steigt heraus. Wann er seine Schuhe abgestreift hat, ist mir im Moment schleierhaft, aber ich war ja schließlich mit anderen Dingen beschäftigt.
Mein Blick gleitet über Raphaels wohldefinierte Beine und verharrt schließlich gebannt an seinem Schritt. Ich kann das nicht ändern, selbst wenn ich in diesem Augenblick wüsste wie, dann würde ich es nicht einmal wollen.
Er präsentiert mir ohne Scheu eine schwarze, sehr knapp sitzende Pants, die optisch wirklich gut ausgefüllt ist und wenn das Licht meinen Augen keinen Streich spielt, dann lugt da seine Eichel zum Gruß heraus. Alleine dieser Anblick reicht aus, dass ich meine Hände um die Stange verkrampfe.
Den absoluten Höhepunkt bildet aber das kleine Bildchen, welches ich auf der rechten Seite der Pants, ungefähr auf Höhe des Beckenknochens, entdecke. Ein kleiner, roter Teufel blinzelt mir entgegen und streckt gleichzeitig die Zunge raus.
Mein Herzschlag hat sich ohne mein Zutun verdoppelt, das Blut rauscht mir beunruhigend in den Ohren und ich habe das Gefühl, dass sich ein Schlossgespenst in meiner Lunge niedergelassen hat, so sehr rasselt mein Atem. Zumindest wenn ich es schaffe, ihn zitternd über meine Lippen zu jagen.
Hilflos hebe ich den Blick, sehe Raphael direkt in die Augen. Dieser hat meine Musterung mit stoischer Ruhe und nur leicht tänzelnd über sich ergehen lassen, kommt nun langsam und mit der Geschmeidigkeit eines gefährlichen Tieres auf mich zu. Er stoppt nicht vor mir, sondern steigt über meine Beine, sodass sein Bauch nur wenige Zentimeter von meiner Brust entfernt ist.
Ich kann ihn riechen. Moos und Regen steigen erneut in meine Nase, dieses Mal noch vermischt mit dem ureigenen Wohlgeruch eines Mannes. Mein Blick ist immer noch in dem seinen vergraben, aus Angst, dass ich mich nicht mehr kontrollieren kann, wenn ich ihn loslasse. Für einen Moment lässt er mich noch gewähren, schüttelt dann sanft den Kopf und vollführt mit seinem Körper eine wellenartige Bewegung. Sein Bauch mit den vielen bunten Farben kommt mir dabei gefährlich nahe und ich kann ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Das scheint ihn zu animieren die Bewegung zu wiederholen, einmal, zweimal und plötzlich küsse ich die seidenglatte Haut über seinen Bauchmuskeln, oberhalb des Nabels.
Es ist unmöglich, diesen Reflex zurückzuhalten oder ihn auch nur vorauszuahnen. Es ist einfach geschehen. Genauso, wie es für mich in diesem Moment selbstverständlich ist, mit der Zunge um den Bauchnabel zu kreisen und sie anschließend in ihm zu versenken. Bei allen Göttern jeglicher Zeiten! Er schmeckt so unglaublich gut. Kein Wort könnte beschreiben, welche Vielzahl an unterschiedlichen Aromen gerade in meinem Mund explodiert.
Mein Schwanz drückt sich unangenehm gegen den Stoff der Jeans, verlangt nach Aufmerksamkeit oder wenigstens nach Befreiung aus dem engen Käfig, doch meine Hände sind in diesem Moment nicht gewillt ihm Folge zu leisten.
Raphael ist damit beschäftigt, meine Haare in Unordnung zu bringen, dabei auch über meinen Hals zu streicheln und ich versuche krampfhaft mich noch immer an der Stange festzuhalten, aus Angst fortgespült zu werden. Die Welt kippt gerade aus ihrer senkrechten Achse und ich habe keine Ahnung, in welchem Universum sie wieder aufschlägt.
Mit kleinen Küssen und sanften Bissen bedecke ich seinen Bauch, wandere immer wieder in den Nabel und spüre, wie die Eichel meines Gegenübers ab und an gegen mein Kinn stößt. Als der teuflische Tänzer einen kleinen Schritt nach hinten rückt, glänzt seine Haut feucht von meinem Speichel und seine Brust hebt und senkt sich in einem hektischen Takt. Sein Kehlkopf hüpft ein paar Mal aufgeregt und auf einmal sitzt Raphael auf meinem Schoß. Das ging so schnell, ich konnte nicht einmal blinzeln.
Der direkte Körperkontakt bringt mich zum aufstöhnen und als er dann auch noch beginnt, sich lasziv an mir zu reiben, packe ich mit beiden Händen grob seine Hüften. Seine Finger wandern von meinen Haaren zu den Wangen, fixieren so meinen Kopf und er versenkt seinen Blick in meinem. Ein dunkles Glimmen verbrennt mich, zieht meine Seele zu ihm hin und ganz langsam kommt sein Gesicht immer näher.
„Las los, Linus“, flüstert er kurz vor meinem Mund, presst seinen anschließend darauf und teilt mit einer Leidenschaft meine Lippen, die das letzte Fünkchen Vernunft in meinem Kopf ausbläst. Als er schließlich seine Hüfte gewaltsam rhythmisch gegen meine presst, ist es um mich geschehen. Ich winsle in unseren Kuss, zucke unter Raphael und für einige Augenblicke wird es Dunkel in meinem Kopf
Als ich sehr langsam aus meinem postkoitalen Zustand zu mir komme, hält mich Raphael sanft in seinen Armen, verteilt kleine Küsse auf meinem Schopf und den Schläfen. Die Musik muss irgendwann verklungen sein, denn außer unserer beider Atem und dem unregelmäßigen, wummernden Bass meines eigenen Herzen höre ich nichts.
Vorsichtig versuche ich, meine verkrampften Finger von seiner Hüfte zu lösen. Bestimmt wird er unangenehme blaue Flecken davon tragen. Apropos unangenehm...
„Raphael, würdest du bitte von mir runter gehen?“, bitte ich ihn mit krächzender Stimme und spüre, wie sich sein Körper versteift, er sich wie in Panik an mich drückt. Er schüttelt den Kopf vehement und ich höre in leise aufseufzen.
„Dann haust du ab.“
Seine Stimme zittert fast unmerklich, doch ich kann die Unsicherheit deutlich heraushören. Nichts ist in diesem Moment von dem so selbstsicheren Tänzer von vor ein paar Minuten mehr übrig. Diese Tatsache verwundert mich zwar, doch will ich ihn gerade nur von mir runter haben, bevor ich über etwaige Bedeutungen dieser Entwicklung nachdenken kann.
„Ehrlich, Raphael, ich bin gerade in meiner Hose gekommen. Selbst wenn ich jetzt die Chance zur Flucht hätte, würde ich das nicht tun“, brumme ich, schiebe dabei einen Finger unter sein Kinn und drehe seinen Kopf so, dass er mich ansehen muss.
Eine sanfte Röte liegt auf seinen Wangen. Anscheinend traut er mir nicht, wie mir ein Blick in seine Augen verrät, daher versuche ich es mit einem kleinen Lächeln.
„Du willst nicht die Flucht ergreifen?“
„Nein, erst einmal will ich aus meiner verklebten Hose raus. Und dann will ich eine Erklärung was das hier alles sollte.“
Mir ist die gesamte Situation unsagbar peinlich. Nicht einmal als Teenager ist mir so ein Fauxpas passiert. Und anscheinend sieht man mir das auch an, denn Raphael lacht kurz auf und erhebt sich anschließend. Er blickt sich unschlüssig um und nickt dann zu dem Tisch mit den beiden Stühlen.
„Leg deine Sachen am besten da hin, ich hol dir schnell ein feuchtes Tuch und eine Pants von mir. Ich glaube, wir haben in etwa die gleiche Größe.“
„Aber ohne Teufel“, rufe ich ihm noch hinterher und höre ein leises Lachen.
Gerade als ich mich fertig ausgezogen habe und irgendwas zum bedecken meines Intimbereiches suche, vernehme ich ein leises Räuspern hinter mir. Raphael steht unsicher mit einem Tuch und einem Karton in den Händen da, hat lolligroße, runde Augen und starrt meinen Schwanz an.
Ich sehe, wie seiner sich unter dem Stoff der Pants regt und bevor er einfach nur vom Starren und möglichem Kopfkino kommt, schreite ich energisch auf ihn zu und nehme ihm die Sachen ab. Scheiß auf die Intimsphäre, ein zweiter Unfall dieses Ausmaßes muss nun wirklich nicht sein.
„Die ist ja sogar noch verpackt“, versuche ich seine Aufmerksamkeit von meiner Mitte abzulenken und wedle mit der Schachtel vor seinen Augen hin und her. Das scheint zu wirken, denn er schaut auf und nickt.
„Ja, ich hab hier ein kleines privates Zimmer, in dem ich allerlei Dinge aufbewahre.“
Ich ziehe erstaunt meine Augenbrauen zusammen. Ob wohl alle Tänzer des Black and White hier ein privates Zimmer besitzen? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen. Schließlich handelt es sich um einen Club und keinen gemeinnützigen Verein. Bevor wir weiter reden, drehe ich mich ein wenig zur Seite, so dass ich nicht direkt auf Raphaels persönlichem Servierteller stehe, befreie ich mich erstmal von den Samenspuren und ziehe die Pants an. Passt perfekt.
Kurz sehe ich mich hilflos um, da ich nicht weiß, wohin wir uns am besten setzen sollen und die Stühle nicht besonders einladend aussehen, lasse mich dann einfach auf dem Boden nieder und lehne meinen Rücken gegen die Wand. Raphael scheint noch einen Moment unschlüssig, denn er steht einfach einfach nur da, tut es mir dann allerdings gleich.
„Also, ich bin sehr gespannt darauf, was du mir alles erzählen willst.“
Ich betone das willst auf eine Art und Weise, dass ihm bewusst sein dürfte, dass er nicht besonders viel Spielraum hat. Ich will die Wahrheit von ihm hören und zwar alles, was er mir bisher vorenthalten hat.
Er seufzt und ich beobachte, wie er sich die Haare aus dem Gesicht streicht und die Beine an den Körper zieht. Anscheinend ist seine Erregung abgeklungen. Ist die Wahrheit so ernüchternd oder hat er einfach nur Angst vor dem, was jetzt geschehen wird?
„Silke und ich sind befreundet. Wir kennen uns nun schon seit einer halben Ewigkeit, haben uns allerdings irgendwann aus den Augen verloren. Meine Familie und ich, wir kommen von hier, ich bin im Nachbardorf aufgewachsen und war mit ihr im gleichen Kindergarten und derselben Gesamtschule.
Als ich älter wurde, wollte ich unbedingt in die Großstadt. Ich wollte hier nicht versauern und so eigenbrötlerisch werden, wie viele der Dörfler eben sind. Also hab ich studiert, bin gereist und hab mich ausgetobt, Erfahrungen gesammelt. Gute, wie Schlechte. Doch irgendwann hat es mich wieder zurück zu meinen Wurzeln gezogen.
Und nicht nur mich. Meinem Bruder ging es genauso. Bis dato dachte ich zwar immer, dass er mit seinem Leben in der Großstadt vollauf zufrieden ist, hatte mich aber getäuscht. Wir haben lange überlegt, was wir hier auf dem Land machen könnten, mit all unserem Wissen. Was fehlt hier in der Umgebung? Womit können wir so viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen, dass unser Projekt ein Erfolg wird?
Es hat am Ende dann dennoch ganz schön viel Überwindung gekostet, den Grundstein für diesen Club zu legen.“
„Das Black and White gehört dir?“, frage ich vollkommen perplex.
„Nicht alleine, aber ja, es gehört zur Hälfte mir“, antwortet er, nicht ohne Stolz in der Stimme.
Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich war der festen Überzeugung, dass er nur ein ganz gewöhnlicher Tänzer ist. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir über Raphael bisher nicht sonderlich viele Gedanken gemacht. Das sieht jetzt anders aus.
„Ist es denn normal, dass der Eigentümer gleichzeitig auch einer der Tänzer ist?“
Für einen Moment ist es still in dem kleinen Raum, dann schüttelt er langsam den Kopf und räuspert sich, sieht dabei stur geradeaus.
„Nein, eigentlich nicht. Zum einen war das mein Abschiedsgeschenk für Silke und zum anderen...“
Als er nicht weiterspricht, strecke ich meine Hand nach seinem Kinn aus und drehe seinen Kopf in meine Richtung, suche mit meinen Augen die seinen.
„Und zum anderen?“, frage ich langsam.
„Du“, kommt es gekrächzt von ihm.
Ich blicke ihn verwundert an. Er scheint es ehrlich zu meinen, zumindest vermute und hoffe ich das, auch wenn er mich damit ratlos macht.
„Aber du kennst mich doch gar nicht.“
„Doch, irgendwie schon“, murmelt er verlegen und ich sehe, wie Röte über seinen Hals und die Wangen krabbelt.
Ich muss ziemlich verwirrt aussehen, denn er seufzt und leckt sich über die Lippen. Über seine kirschroten, zum Küssen einladenden Lippen.
„Ich habe vor einiger Zeit Silke besucht. Du erinnerst dich vielleicht noch an ihre Fotowand. Dort waren auch ziemlich viele Bilder von dir. Mal alleine, mal mit ihren Kindern, ihrem Mann oder mit ihr selbst. Ich fand dich eigentlich ziemlich langweilig. Du hattest immer den gleichen, abgestumpften Blick drauf. So in dich gekehrt. So, wie viele Leute ihn hier haben. Als ob du schon mit allem abgeschlossen hast und nur noch auf Gevatter Tod wartest.
Doch dann war da dieses eine Bild. Es zeigte dich mit ihrem Jüngsten auf dem Schoß, wie ihr grade eine Rutsche runter saust. Ich war mir in dem Moment gar nicht so sicher, wer von euch beiden der größere Lausbube ist. Deine Augen hatten dieses verschmitzte Leuchten in sich und du hast richtig gestrahlt.“
Ich erinnere mich an dieses Bild. Es ist ein altes Foto. Ein Bild, das zu der Zeit entstanden ist, als ich noch mit Silvio zusammen war. Eine Zeit, in der mein Herz noch einen paar Takt schneller ging, als jetzt. Eine Zeit, in der meine Welt noch einen anderen Rhythmus hatte und mein Leben einem eigenen Klang folgte.
„Nach unzähligen Wochen vollgepackt mit Erzählungen und Anekdoten über dich, hatte sie mich dann soweit. Ich konnte mir endlich eingestehen, dass ich mich in dich verguckt habe. Zumindest in dieses Ich von dem Bild. Während sie meine Gefühle für dich damals sofort erkannt hat, wollte ich sie einfach nicht wahrhaben. Wer verliebt sich schon aufgrund eines simplen Fotos in einen anderen?
Aber jede Chance auf ein zufälliges Treffen hast du zunichte gemacht, weil du dich von deiner Außenwelt abgeschottet hast. Das hat nicht nur sie fuchsteufelswild gemacht, sondern mich auch irgendwann. Wir beide schmiedeten Pläne, welche du mit widerlicher Leichtigkeit allesamt durchkreuzt hast und am Ende blieb dann nur noch dieser Abend. Sozusagen unsere letzte Chance.
Du hast recht, eigentlich tanze ich nicht. Ich bin zwar für den Clubbereich und die Gäste zuständig, während sich mein Bruder um alles kümmert, was mit Zahlen zu tun hat, aber man kann einen Tanz von mir nicht mieten. Ich unterhalte mich mit den Gästen, halte sie bei Laune und überlege mir Events.
Silke hingegen habe ich einen meiner begehrten Tänze zum Abschied geschenkt, nicht uneigennützig natürlich. Nachdem sie von meiner Tätowierung erfahren hat, hatte sie mir von deinen Bauchnabelfetisch erzählt.“
Ich stöhne entrüstet auf und spüre, wie mir heiß im Gesicht wird. Vermutlich habe ich es ja verdient, so wie ich mich in den letzten Monaten ihr gegenüber verhalten habe, aber wenn die Frau mir das nächste Mal in die Finger gerät, dann darf sie was erleben!
„Na ja, und der Rest lag dann in ihrer Hand. Allerdings sagte sie, dass es ein Kinderspiel wird. Sie müsste dich nur zu einer Wette überreden und dann läge es an mir, ob ich es schaffe, dich zu erobern oder nicht.
Ich weiß, das war alles nicht fair und ich hab mir wirklich viele Dinge überlegt, wie ich dich von mir überzeugen kann, aber schlussendlich hatte ich keine bessere Idee. Es tut mir ehrlich leid.“
Seine Worte sind gegen Ende immer leiser geworden.
Ich bin verblüfft. Niemals in meinem ganzen Leben hätte ich gedacht, dass es in meiner Nähe einen Menschen geben wird, dem ich dermaßen unter die Haut gehe. Ich ahne, dass nur ein paar Worte von mir ausreichen werden, um ihn entweder in den Himmel zu befördern oder in die Hölle zu stoßen. Wie hatte sich die Lage nur so komplett zu meinen Gunsten wandeln können?
Ich höre in mich hinein und merke, wie er etwas in mir zum Klingen gebracht hat: die Zuneigung zu einem anderen Mann und die Sehnsucht nach einer festen Partnerschaft. Beides vereint in einer Person: Raphael
Ganz langsam neige ich den Kopf ein wenig zur Seite und bringe mein Gesicht nahe vor seines.
„Was hältst du von einen kitschigen und altmodischen Rendezvous?“, frage ich leise, sehe, wie sich seine Augen weiten und er vor Überraschung nach Luft schnappt, dann lege ich meine Lippen sanft auf ihr Gegenpaar und hole mir einen Kuss.
Eine Woche später schreibe ich Silke folgende Nachricht:
Liebes Biest,
der Mann mit dem Namen eines Engels und der tänzerischen Fähigkeit des Teufels hat von jetzt an nur noch die Erlaubnis, in meinem oder wahlweise seinem Schlafzimmer die Hüllen fallen und die Hüften schwingen zu lassen.
Auch in seinem Namen Danke ich dir für den kräftigen Schubs und das deutliche Wachrütteln meiner Libido.
Linus
Ach ja, wie ist Schweden so?
Texte: Vollständiges geistiges Eigentum von Papilio Faye
Bildmaterialien: Pixabay - firework-211739
Lektorat: Sissi Kaipurgay - Herzlichsten Dank!
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Mein Dank geht an Sissi Kaipurgay für ihre Mühe und ihre Geduld mit mir!