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Kurzgeschichte

Überraschung am Grab - Kurzgeschichte über die Freundschaft

„Clary, bitte höre mir doch nur ein einziges Mal zu!“

„Nein, Sam. Ich-“ Meine Augen schwammen in Tränen. Mein bester Freund, den ich seit sieben Jahren kannte, hatte mir gerade gebeichtet, dass er mich liebte. Und ich, konnte einfach nicht ihm das Herz brechen und ihm sagen, dass ich es nicht tat. Jedenfalls nicht so. Das er mir diese Nachricht ausgerechnet mitten auf der Beerdigung meines Bruders Stefan erzählen musste, machte es auch nicht besser. Er war mit seinen dreiundzwanzig Jahren noch nicht einmal in der Lage gewesen ein Motorrad richtig zu führen und hatte dafür bezahlen müssen. Vielleicht war aber auch der plötzlich auftauchende Baum Schuld an seinem Tod. Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse. Sam hatte sich seine Liebeserklärung vermutlich auch anders vorgestellt. Das ich in seine Arme sinken würde, traurig, alleine und er mir den Rücken stärken würde. Aber so jemand war ich nicht. Für meine siebzehn Jahre war ich sehr selbstbewusst und hatte in den letzten Jahren wenn dann ihm eher den Rücken freigehalten. Wenn ich daran dachte, war es vermutlich in Wirklichkeit nur eine Tolerierung meinerseits gewesen. Er hatte mich angehimmelt und ich war froh gewesen, dass sich jemand für mich interessierte. Vielleicht war es wirkliche Freundschaft gewesen. Aber wo die Liebe anfängt, da hört bei mir der Spaß eben auf. Ich wappnete mich für einen zweiten Versuch.

„Sam. Ich liebe dich ja auch.“ In Sams Augen glomm Hoffnung auf. Hoffnung, die ich jetzt definitiv zerstören würde. Denn meine Worte würden sein Herz in Scherben zerspringen lassen.

„Ich liebe dich. Aber auf eine andere Art und Weise. Du warst für mich immer nur ein Freund, ein Kumpel oder gar ein Bruder, mit dem ich alle Geheimnisse teilen konnte. Mit dem ich jedes Abenteuer bestand. Mein bester Freund, eben.“

Sams Miene wurde eiskalt. „Aber nicht mehr.“, stellte er hart fest.

Ich biss mir auf die Lippe und schüttelte den Kopf. „Es tut mir Leid.“

„Ach, spar dir deine Worte.“, verächtlich sah er mich an. Sein verletzter Blick traf mich tiefer, als ich es je für möglich gehalten hätte. Ich schluckte schwer und konnte die Tränen in meinen Augen nicht länger verdrängen. Kleine Kristalle rollten mir über meine kalten Wangen und tropften auf den dunklen Humusboden. Ich trat schnell auf das Grab zu und ließ meine weiße Rose hinabsinken in die Tiefe.

„Leb wohl, Stefan!“, dachte ich, ehe ich rasch zur Seite trat, um Sam an das Grab treten zu lassen. Für ihn war mein Bruder nur ein Kumpel gewesen, so wie er es für mich war. Sam ließ ebenfalls eine Blume in das Grab fallen, allerdings eine Gerbera. Ich glaubte ihn sogar leise: „Ich pass auf sie auf, Steph.“, flüstern sie hören. Dann drehte er sich wortlos um und verließ den Friedhof, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich sah ihm lange nach, bis sich mein Vater schließlich räusperte.

„Clary, kommst du?“ Ich nickte, starrte noch einmal in Richtung Friedrichseingang, in der Hoffnung meinen Sam zu sehen, dann seufzte ich und folgte ihnen in Richtung Gemeindehaus, in dem wir die Beerdigung feiern wollten. Eine Feier zu Ehren meines Bruders. Irgendwie ziemlich schräg. Und ohne Sam würde es sicher für mich wie eine Katastrophe werden. Kein Sam, der mich bei Laune hielt. Kein Sam, der die langen Reden der Familie in Zeichensprache übersetzte, um mich aufzumuntern. Und kein Sam, der mir notfalls den Teller leeressen würde, wenn mir wieder einmal der Appetit vergehen würde.

Natürlich wurde es ein ziemliches Saufgelage, an dem ich mich auch nicht wenig beteiligte, selbst wenn mein Vater mir immer wieder warnende Blicke zuwarf. Aber ich wollte vergessen. Meinen Bruder, der mir stets zur Seite stand und vor allem meinen ehemaligen besten Freund. Mir wurde übel, bei dem Gedanken an seinen verletzten Blick.

„Ich glaube, ich muss mal an die frische Luft.“, raunte ich meinem Vater zu, der jedoch viel zu sehr in ein Gespräch mit meinem Onkel vertieft war, als das er mich gehört hätte. Ich glaube, es ging um Stefans Leistung im Fußballverband des Ortes.

Mehr schwankend als gehend kam ich endlich an die Tür hinaus in die Freiheit. Mein Magen rebellierte und ich verpasste nur knapp die kleine Engelsstatur neben der Tür. Bor, ich trinke nie wieder so viel dachte ich. Noch immer konnte ich den faden Beigeschmack meiner Magensäure schmecken. Sollte ich wirklich wieder hinein in diese ausgelassene Gesellschaft? Ich entschied mich dagegen und beschloss mir lieber ein wenig die Gegend anzuschauen. Meine Schritte führten mich durch schmale Gassen, bis hin zu einem Park. Mein rumorender Magen hatte sich inzwischen wieder halbwegs beruhigt und so meiner Müdigkeit Platz gemacht, an der der übermäßige Alkoholgenuss nicht gerade unschuldig war.

„He, Süße. Noch so spät unterwegs?“ Ein paar Männer hatten sich in der herannahenden Dunkelheit herangeschlichen und schienen mein Vorbeikommen geradewegs zu begrüßen. Ich ihres allerdings nicht. Ich warf einen Blick über meine Schulter und beschleunigte automatisch meine Schritte. Mist, sie waren zu fünft. Mit einem Blick nach vorne, verbesserte ich mich. Zu sechst. Denn ein einziger Schatten stand auf dem Weg vor mir und erst als ich die nächste Laterne erreichte, konnte ich seine Gesichtszüge erahnen. Wallendes Haar um kräftige Schultern, ein amüsiertes Funkeln in den Augen und ein gut gebauter Körper in Lederjacke und Jeans. Um es besser zu sagen: Ein absoluter Traumtyp. Wie heißt es so schön? Liebe auf den ersten Blick. Und das schien es tatsächlich zu sein. Tausende Schmetterlinge begannen in meinem Magen zu tanzen, mein Herz schien einen Marathon mit sich führen zu wollen und meine Gedanken waren wie benebelt. Was machte nur eine solche Schönheit hier draußen in der Dämmerung in einem Park. Ob er hier war, um mich vor den Typen hinter mir zu beschützen? Ein hoffnungsvolles Lächeln schlich mir übers Gesicht, als ich Schritt für Schritt auf ihn zuging.

„Kaum zu glauben, dass um diese Uhrzeit noch solche Schönheiten herumlaufen.“ Seine Stimme jagte mir Schauer über den Rücken. Was für ein Klang. Er schien direkt von meinem Ohr zu meinem Herzen geleitet zu werden, dass beschloss noch schneller zu schlagen, dass ich fast fürchtete, es würde sich überschlagen, wenn nicht sogar stehenbleiben. Meine Schmetterlinge tanzten wilder und ich begann zu strahlen. Schönheit hatte er mich genannt. Dabei sah er doch selber aus wie ein Engel.

„Bist du ein Engel?“ Mist, das war mir doch jetzt nicht wirklich herausgerutscht, oder?

Der Engel lachte. Was für ein faszinierender Klang. Bei ihm vergaß ich meine Sorgen über Sam, Stefan und sogar die warnende Stimme in meinem Inneren. Das Strahlen auf meinem Gesicht wurde breiter.

„Sie gehört mir!“, rief er den anderen Männern zu. Mist, die hatte ich glatt vergessen. Sie gehört mir. Was für eine Nachricht. Er würde mich beschützen.

„Alles klar, Boss.“ Die Männer hinter mir lachten und ich erstarrte, als der Griff meines Engels um mein Handgelenk fester wurde. Er gehörte zu ihnen! Er war eindeutig einer von ihnen! Und ich war ihm glatt in die Falle gelaufen. Verzweifelt versuchte ich mich loszureißen, doch der Griff des Mannes, der mir inzwischen eher wie der Teufel persönlich vorkam, war zu fest.

„Hilfe.“, schrie ich, so laut ich konnte. „Hilfe, Sam!“ Im nächsten Moment wurde mir der Mund zugehalten und ein Messer stoppte kurz unter meinem Kinn.

„Na na na! Wer wird denn hier so viel Lärm machen!“ Er lachte gemein. Meine Knie wurden weich, denn noch immer hatte dieser Klang eine ganz besondere Wirkung auf mich, egal was er hier tat. Ihm schien das voll und ganz bewusst zu sein.

„Wenn du tust, was ich dir sage, Kleine. Dann tue ich dir nichts!“, zischte er mir ins Ohr. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Keine Sekunde zweifelte ich an seinen Worten. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich hatte nie einen Selbstverteidigungskurs besucht, da ich zum Fechten ging. Doch hier hatte ich weder eine Waffe, noch die Möglichkeit mich von der Waffe zu befreien, die viel zu nahe an meinem Hals war. Okay, egal. Ich muss einen kühlen Kopf bewahren! Wer kommt um diese Uhrzeit alles in einem Park vorbei? Vielleicht ein Müllmann oder ein Obdachloser? Ganz gewiss niemand, der mir helfen könnte und würde. Was die Männer mit mir vorhatten, wollte ich mir gar nicht erst ausmalen. Sie würden mich vermutlich in die nächstbeste Ecke zerren und dann-

„Lass sofort mein Mädchen los!“ Augenblick. Diese Stimme kannte ich doch. Soweit das Messer an meiner Kehle es zuließ, hob ich den Kopf und suchte die Umgebung nach der Herkunft der Stimme ab. Aus dem Schatten einer großen Linde löste sich zu meiner großen Freude Sam, die Augen auf mich und meinen Entführer gerichtet. Meine Hoffnung kehrte wieder zurück und die Tränen, von denen ich nicht mal etwas bemerkt hatte, wurden deutlich weniger.

„Sam“, hätte ich gekeucht, wenn mir nicht eine Hand jeglichen Sprechversuch verhindert hätte und mir die Luft zum Atmen nahm. Der Mann hinter mir lachte hämisch. Dieses Lachen mobilisierte eine ungeahnte Kraft in mir. Mit einer schnellen, kräftigen Kopfbewegung zielte ich nach hinten und traf mit voller Wucht seine Nase. Mit einem lauten Krachen brach sie und der Mann ließ heulend sein Messer fallen. Taumelnd versuchte ich mein Gleichgewicht wiederzufinden, denn der Mann hatte mir unfreiwillig einen Stoß verpasst.

„Clary!“ Sam rannte zu mir und verhinderte knapp einen Sturz meinerseits. Bevor ich mich jedoch bedanken konnte, kamen die fünf Kameraden meines Entführers wutentbrannt in unsere Richtung. Sam warf ihnen nur einen beunruhigten Blick zu, ergriff meine Hand und wir rannten los. Nach rechts, nach links und wieder nach links. Im letzten Moment sahen wir, dass es eine Sackgasse war und konnten noch schnell die Richtung ändern. Hinter uns hörten wir die Rufe und die donnernden Schritte der Männer. Ängstlich blickte ich mich um. Da, ein Schatten von rechts.

„Vorsicht!“, rief ich Sam zu und gerade noch so, konnte er einem Messerstoß ausweichen. Einer der Männer schien eine Abkürzung genommen zu haben und stand uns direkt gegenüber mit dem Ziel erst Sam und dann später mich umzubringen, wenn sie alle mit mir fertig waren. Mir gruselte es bei dem Gedanken daran. Schnell griff ich nach dem Erstbesten, was ich fand. Einen alten Schürhaken. Na ja. Besser als nichts! Meinen Freund hinter mich schiebend trat ich dem Mann mit dem Messer furchtlos entgegen. Er warf einen verächtlichen Blick auf meinen Schürhaken und pfiff einmal ganz laut durch die Vorderzähne. Ich wusste, wir würden von hier wegmüssen, ehe seine Verstärkung kam.

„Wenn ich jetzt sage, rennst du los!“, raunte ich Sam zu. Er nickte kaum merklich, doch ich glaubte seine Angst beinahe zu riechen.

Von links oben holte ich aus und versuchte es mit einem schnellen Quart, immer auf eine gleichmäßige Gewichtsverlagerung achtend. Der Mann wehrte wie erwartet ab und schnitt mir sogar leicht durch den Schwung ins Handgelenk. Den Schmerz ignorierend versuchte ich es als nächstes mit einer Oktav. Damit hatte er wohl nicht gerechnet, denn das Messer flog in einem hohen Bogen über unsere Köpfe und blieb in einer Mülltonne stecken. Mit einer ebenso schnellen Bewegung kam mein nächster Schlag von oben. Der Mann versuchte ihn abzuwehren, allerdings eine Sekunde zu spät. Krachend landete der Schürhaken auf seinem Kopf. Noch während er zusammenbrach, stieß ich ein schnelles „Jetzt“ aus und wir rannten wieder los. Plötzlich wusste ich, wo wir waren.

„Da vorne rechts.“ Sam warf mir einen kurzen Blick zu. Ich wusste, lange würde er nicht mehr durchhalten. Ich war immer die Läuferin von uns Beiden gewesen. Doch ich sollte Recht behalten. Zwei Abbiegungen später kam bereits das Gemeindehaus in Sicht. Dies schien Sam, der inzwischen mehr hinter mir herkeuchte, als dass er rannte neuen Mut zu geben, den er rannte wieder schneller. Fast zeitgleich kamen wir so an dem Gemeindehaus an, an dem mich meine Eltern schon erwarteten. Mein Vater schien eindeutig verärgert zu sein, doch als er unseren Zustand und mein blutendes Handgelenk bemerkte, verrauchte sein Zorn sofort und machte der Besorgnis Platz.

„Was ist passiert?“, fragte er, keinen Wiederspruch duldend.

Immer noch nach Luft schnappend erzählten wir ihnen von den Männern und ich beendete meinen Bericht schließlich mit den Worten: „Sam ist ein Held. Er hat mich gerettet. Ich bin froh, dass es solche Freunde wie Sam gibt.“ Ich nickte Sam zu und er bat mich noch auf ein Gespräch unter vier Augen, dass ich ihm sofort gewährte.

„Clary, ich weiß, dass du nicht die gleichen Gefühle für mich empfindest wie ich für dich, aber-„

Ich legte ihm meinen Zeigefinger auf die Lippen.

„Du warst für mich da, Sam. Und das ist das Einzige, was für mich zählt. Du bist und wirst für mich immer mein bester Freund bleiben.“

Sam zögerte. Er schien etwas sagen zu wollen. Doch dann nickte er. Es war gut, so wie es war. Und mit diesem Gedanken gingen wir Hand in Hand zu meinen Eltern zurück.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.07.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mein erster Versuch einer Kurzgeschichte. Bitte respektiert das. Die Idee und das Cover verbleiben urheberrechtlich bei mir!

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