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Kapitel 1

Knisternd prasselte das Feuer in der Ecke der kleinen Hütte. Mein Atem dampfte. Ich zitterte und meine Zähne klapperten aufeinander. Das Feuer, bislang mein bester Freund schien mir keine Wärme mehr spenden zu wollen. Gedankenverloren starrte ich in die Flammen. Wo hatte das alles angefangen? Ach ja, genau. Vor fünf Jahren. Ich schluckte und versuchte die Erinnerung zu verdrängen, die noch immer zu schmerzhaft für mich waren.

„Carrie“

Ich schaute auf, als ich meinen Namen hörte. Kalte, graue Augen streiften meinen Blick und eine dünne Gestalt mit dunklen, fast schon fettigen Haaren kam auf mich zu. Doch meine Gedanken waren zu weit entfernt, als dass ich ihr mehr Bedeutung geschenkt hätte.

„Carrie Elisabeth Crown.“

Ich zuckte zusammen und richtete endlich meine Aufmerksamkeit auf meinen großen Bruder. Lak war neunzehn und hatte die Vaterrolle bei uns im Haus übernommen, seit mein Vater vor fünf Jahren spurlos verschwand. Meine Mutter war seitdem nicht mehr dieselbe gewesen. Doch Lak hätte diese Aufgabe nie übernehmen dürfen, dass wusste ich. Er war ernster geworden, um nicht zu sagen: gefühlslos. Manchmal, wenn ich ihn abends beobachtete, machte er mir schon fast Angst mit der Kälte in seinen Augen. Wieder fröstelte es mir. Ich stand seufzend auf und rückte ein Stück an den Kamin.

„Meinst du nicht, es wäre eine gute Idee, mal wieder die Schule zu besuchen?“

Lak schien es heute auf ein Gespräch angelegt zu haben. Wieder seufzte ich innerlich. Die Schule. Ich war eigentlich immer jemand gewesen, der gerne zur Schule gegangen war, doch in den letzten Wochen schien meine Konzentration wie weggeblasen zu sein.

„Ich weiß nicht.“

Meine Stimme war leise und heiser. Wann hatte ich das letzte Mal gesprochen? War es vor zwei Wochen gewesen? Drei? Mein Blick wanderte zum Fenster. Draußen malte es Sternsterne an die beschlagene Fensterscheibe und mir schaute ein fünfzehnjähriges Mädchen mit braunen Augen entgegen. Im Licht der Flammen schienen sie fast Golden zu leuchten. Der leicht verträumte Blick deutete auf meine lebhafte Fantasie hin. Das hatte jedenfalls mein Vater behauptet, bevor er verschwand. Manchmal glaubte ich, dass Lak sein Aussehen geerbt haben musste, so ähnlich sahen sie sich. Ich nicht. Ich sah noch nicht einmal meiner Mutter ähnlich, egal, wie oft sie mir das zu vermitteln versuchte. Meine rotbraunen Haare fielen mir wie ein Wasserfall über die schmächtigen Schultern und ließen mein Gesicht noch schmaler erscheinen, als es ohnehin war. Dabei war ich gar nicht so dünn, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Okay, in Sport war ich nicht die Beste und bis auf Mathematik schien mir auch kein Fach so richtig zu liegen, aber das hatte nicht zu bedeuten, fand ich. Ich mochte mein Aussehen. Vor allem die leicht spitzen Ohren, die jedoch meistens unter meiner dichten Haarpracht verschwanden. Sie verliehen mir etwas Mystisches und dazu hatte ich ein herausragendes Gehör. So zuckte ich zusammen, als das Feuer ein lautes Knacken von sich gab. Lak seufzte. Ich glaubte zu wissen, was er dachte. Er machte sich Sorgen. Um mich. Meine Noten waren schlechter geworden und mit der Zeit weigerte ich mich ganz, die Schule zu besuchen. Ich hatte mich immer mehr in mich zurückgezogen und eine Appetitlosigkeit plagte mich bereits seit Wochen. Das lag alles an diesen Träumen. Ich wagte es nicht zu schlafen, doch auch am Tag schienen sie mich zu verfolgen.

Männer auf Pferden. Das Geschrei von Kindern. Rauch in der Luft. Und der Gestank nach Tod. Jemand rief mir zu, ich solle endlich etwas machen. Aber was? Ich konnte mich nicht rühren. Der Gestank breitete sich aus. Dann brach der Mann zusammen, ein Schwert ragte aus seinem Rücken. Eine Scherbe fiel aus seiner Hand und offenbarte einen kleinen Raum, vermutlich ein Kellerverließ. Ein Mann, der mir sehr vertraut war und den ich vielleicht sogar als meinen Vater erkennen konnte, saß zusammengesunken in der Zelle. Kurz schaute er nach oben: „Hilf mir, Ignisaeri.“

An dieser Stelle wachte ich immer schweißgebadet und meist mit einem Schrei auf den Lippen auf und konnte die restliche Nacht nicht mehr einschlafen. Was hatte das zu bedeuten? Wo war mein Vater? Und warum hatte meine Mutter seit fünf Jahren kein Wort mehr über ihn verloren?

Plötzlich stieg meine Temperatur von Eiskalt auf Heiß um und ich verkniff mir nur mit Mühe einen Aufschrei. In mir stieg der Drang auf, einmal in das Kaminfeuer zu greifen und für einen kurzen Moment kämpfte mein Körper mit meinem Verstand. In diesem Moment wurde ich von Lak nach hinten gerissen. Ich hatte gar nicht wahrgenommen, dass ich mich letzten Endes doch dem Feuer genähert hatte.

„Bist du völlig übergeschnappt?“

Lak keuchte. Er schien ziemlich mit mir gekämpft zu haben. Und er war stinksauer. Ich schluckte, empfand aber sonderbarer Weise keine Reue, sondern starrte ihn nur verständnislos an. Der Drang in das Feuer zu greifen, war in den Hintergrund gerückt, aber für mich immer noch ziemlich präsent. Fast zitternd kroch ich vom Feuer weg, aus Angst vor meiner eigenen Reaktion. Sofort wurde es wieder kalt, doch ich wagte es nicht, näher an das Feuer zu rücken. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht loszuheulen. Eigentlich war ich nicht nahe ans Wasser gebaut, aber diese Situation hatte mich komplett überfordert. Immerhin war ich nicht mehr Herr über meinen eigenen Körper gewesen. Kurz überlegte ich, ob ich mich bei Lak entschuldigen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Stattdessen stand ich auf und verließ wortlos das Zimmer. Über eine Leiter gelangte ich schließlich auf den Dachboden. Hier war mein Reich. Auf dem Boden lag mein Schlaffell und an der Wand stapelten sich Bücher. Mein Lebenselixier. Oft reichte mir ein Abenteuerroman als Frühstücksersatz. Wieder etwas, was mein Bruder nicht verstand. Immerhin waren Buchfiguren nicht greifbar und die Welten, die vielleicht beim Lesen entstanden, waren weder materiell noch logisch zu erfassen. Vor allem bei meinem Lieblingsgenre: Der Fantasieroman. Ich wickelte mich in eine der Decken, die neben dem Fell für kalte Nächte bereitlagen und beobachtete eine Spinne an der Decke. Davon gab es hier oben reichlich. Doch ich hatte mich inzwischen an ihre Gegenwart gewöhnt. Dass war auch kein Wunder. So oft, wie ich in letzter Zeit hier oben war. Vielleicht hatte Lak ja doch Recht und ich sollte mal wieder die Schule besuchen. Ein Kratzen vom Dach riss mich aus meinen Gedanken und ich schrak hoch. Es war einmal vorgekommen, dass wir einen Marder auf dem Dach hatten, doch dies war eindeutig schwerer. Dann waren leise Schritte zu hören und etwas in mir geriet in Alarmbereitschaft. Lautlos schlug ich die Decke zurück und schlich leise zurück zu der Leiter. Egal, was es war. Ich sollte Lak und meine Mutter auf jeden Fall vorwarnen. Als ich ein Klirren unten hörte, wusste ich jedoch, dass meine Warnung zu spät kam. Schnell stieg ich die Leiter wieder hoch und suchte meinen Dolch, den mir einst mein Vater zu meinem neunten Geburtstag geschenkt hatte. Er schimmerte leicht bläulich und seine Schnalle stellte einen schreienden Drachen da. Lautlos und mit der Leichtigkeit einer geübten Kletterin überwand ich die letzten Stufen und schlich zur Tür zum Wohnzimmer. Sie war noch einen Spalt offen. Offenbar hatte ich vorhin vergessen, sie zu schließen. Mir stockte der Atem, als ich die Situation vor mir sah. Mein Bruder kniete am Boden, an seiner Kehle lag ein scharfes Messer, das im Licht des Kamins gefährlich schimmerte. Ich folgte dem Messer mit dem Blick und schaute mir seinen Träger genauer an. Ein schwarzer Umhang verbarg den größten Teil des Angreifers. Nur ein paar schwarze Strähnen schauten unter der Kapuze hervor. Unter dem Umhang trug der Fremde ein dunkles Hemd, dass nur wenig seine Muskeln verbarg. Seine Hand war in einen Lederhandschuh versteckt, doch mir fiel ein großer Ring auf, der an seinem Mittelfinger funkelte. Ein Ahornblatt, das an den Rändern ausfranste und in fünf Blutstropfen endete. Ich ließ meinen Blick weiter schwenken, bemüht kein Geräusch zu machen. Im Raum waren noch fünf weitere Personen. Vier Fremde in Uniformen und meine Mutter, die ohnmächtig zu Füßen des einen Fremden lag, der am nächsten zu meiner Tür stand. Eine kaum zu bändigende Wut stieg in mir hoch, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Der Fremde schien meinem Bruder etwas zuzuzischen und ich lauschte angestrengter, bis ich endlich verstand, was er sagte.

„Hallo, mein Kleiner. Lang nicht gesehen. Sag mal, wo ich denn meine Süße? Wo ist denn meine kleine Flammenbändigerin, um die vor fünf Jahren Herind so tapfer kämpfte?“

Mit einem Schlag wurde mir klar, dass ich gemeint war. Herind war mein Vater. Doch was war mit Flammenbändigerin gemeint. Ich atmete leise aus und drückte mein Ohr fester gegen die Tür, um auch ja nichts zu verpassen.

„Du wirst sie nicht finden.“

Die Stimme meines Bruders klang schon fast hämisch und ich fragte mich, woher er den Mut fand. Außerdem wunderte es mich, dass er den Mann, der ihn bedrohte zu kennen schien. Fieberhaft suchte ich in meinen Erinnerungen nach der so mühevoll verdrängten Situation vor fünf Jahren, doch ich konnte mich wie so oft in letzter Zeit nicht konzentrieren.

„Sie ist viel zu schlau, als dass du sie jemals finden wirst. Also scher dich zum Teufel und nimm dein ganzes Teufelspack hier mit.“

Erschrocken über die Worte meines Bruders stieß ich die Vase auf der kleinen Kommode neben der Tür um. Blumen und Wasser verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen, doch ich beachtete es nicht. Im Raum nebenan war es totenstill geworden.


Kapitel 2

„So, so. Wir werden sie also nicht finden.“, feixte der Mann, der meinen Bruder in der Gewalt hatte und lachte. Es war ein kaltes, hämisches Lachen und unwillkürlich überfiel mich eine Gänsehaut. Ich hörte, wie sich Schritte langsam der Tür näherten. Mein Atem ging schneller und mein Herz schlug mir bis zum Hals.

„Und was ist dann das hier?“, fragte der Mann und riss die Tür auf. Im letzten Moment konnte ich mich noch in den Schatten unter meiner Leiter retten und versuchte angestrengt, mich zu verstecken, während sein Blick suchend durch die Gegend schweifte. Einmal glaubte ich, dass er mich gesehen hatte, doch sein Blick wanderte weiter. Schließlich ließ er ein enttäuschtes Schnauben hören.

„Offenbar doch nur ein Tier.“, ließ er laut für die Anderen vernehmen, verharrte noch kurz an Ort und Stelle und kehrte schließlich zu den Anderen zurück, die Tür nun hinter sich schließend. Ich atmete erleichtert auf. Lange hätte ich es hier drinnen nicht mehr ausgehalten. Verborgen unter Decken, die bereits mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren, hatte ich das ein oder andere Mal mir nur schwer ein Niesen verkneifen können. Doch das war jetzt ja egal. Ich rappelte mich so leise es ging hoch und befreite mich noch von einer lästigen Spinnwebe, die sich widerspenstig an meinem gefütterten Morgenmantel verhakt hatte. Gedankenverloren zupfte ich noch ein bisschen länger an dem Stoff, obwohl die Spinnwebe schon lange nicht mehr zu sehen war. Mein Bruder hatte Recht. Wenn die Fremden mich wirklich suchen sollten, aus welchem Grund auch immer, dann sollte ich dringend das Weite suchen. Doch wo sollte ich hin? Leise hangelte ich mich die Leiter hoch zu meiner Ecke und suchte mir den nächstbesten Jutebeutel heraus, in dem ich all die wichtigen Habseligkeiten von mir stopfte. Einen dicken Pullover, meine Fellhandschuh, Zettel und Stift, einen Wasserbeutel, meine Fellmütze, ein Bild von unserer Familie und schlussendlich noch meinen Lieblingsroman. Die Tribute von Panem. Dann tauschte ich meinen Morgenmantel gegen den Fellumhang aus. Immerhin herrschten draußen Temperaturen von bis zu minus fünfzehn Grad. Nahrung würde ich mir unterwegs suchen. Bei der Leiter schwankte ich kurz, dank des ungewohnten Gewichts, konnte mich jedoch schnell wieder fangen. Bis zu der Falltür waren es nur wenige Schritte. Durch den Keller gelangte ich so nach draußen. Ein eisiger Wind wehte und ich schlug den Kragen um und kramte nach den Handschuhen und der Mütze. Kurz schaute ich noch hoch zum Haus, ob die Luft rein war, dann rannte ich leichtfüßig in den Wald. Der Jutebeutel schlug hart gegen meinen Rücken, doch ich drosselte mein Tempo nicht. Es war gerade einmal zehn Uhr am Morgen. Ein paar Krähen flatterten aufgeschreckt durch meine Schritte auf und ein Eichelhäher stimmte in ihr Geschrei mit ein. Fast hätte ich mich dazu hinreißen lassen, stehenzubleiben und den Vögeln zu lauschen. Doch dann erinnerte ich mich an meine derzeitige Situation und augenblicklich verschnellerten sich meine Schritte, bis ich fast fluchtartig rannte. In Gedanken entschuldigte ich mich bei meiner Familie dafür, dass ich sie einfach zurückgelassen hatte. Doch ich wusste, dass sie so besser dran waren, als wenn ich mich gezeigt hätte. Dennoch blieb das schlechte Gewissen, bis ich drei Stunden durchgerannt war. Inzwischen war ich halb durchfroren und konnte meine roten Wangen fast nicht mehr spüren. Noch immer war um mich herum nichts als Wald zu sehen. War ich etwa in die falsche Richtung gerannt? Nein. Das konnte nicht sein. Vielleicht hatten mich meine Füße absichtlich in eine andere Richtung gelenkt, denn, wenn die Fremden mich schon Zuhause fanden, würden sie die Schule und somit meinen Unterschlupf, den Schulschuppen, auch bald finden. Ich seufzte und versuchte mich kurz zu orientieren. Ein Wolf heulte auf, doch ich war mit der Flora und Fauna hier genügend vertraut, sodass ich keine Angst empfand. Ich rieb meine Hände aneinander, um wieder etwas Gefühl in ihnen zu bekommen und setzte mich wieder in Bewegung, die Nase im meinem Kragen verborgen. Langsam wurde ich müde und auch ein Gefühl des Hungers machte sich in mir breit, doch ich wagte es nicht stehen zu bleiben. Erst ein lautes Knurren rief mich zur Ordnung. Mit geübtem Auge betrachtete ich die Spuren im Schnee näher. Ich hatte Glück. Die Spuren des Rentieres schienen noch frisch zu sein. Aufmerksam auf meine Umgebung achtend, folgte ich der Spur. Allerdings gelang es mir erst nach einer weiteren halben Stunde überhaupt, das Tier zu Gesicht zu bekommen. Vorsichtig schlich ich näher. Da waren sie. Tatsächlich. Doch nicht nur das von mir verfolgte Rentierweibchen. Nein, eine ganze Herde hatte sich eng zusammengedrängt und versuchte sich so vor der Kälte zu wappnen. Ein gelungenes Fressen für mich. Ich lauschte auf meinen Herzschlag, suchte mir das schwächste Tier in der Herde aus und warf meinen Dolch. Er traf mit einer präzisen Genauigkeit die Brust des Rentiers und bohrte sich durch den Schwung direkt in das Herz. Die Herde bracht in Panik aus und floh in alle Himmelsrichtungen, während ich langsam auf das tote Rentier zuging. Es war ein Jungtier. Vermutlich hätte er in diesem Jahr das erste Mal an einer Brunft teilgenommen. Ich schaute mich um. Das Rentier war eindeutig zu schwer, um es wegzutragen, aber roh würde ich sein Fleisch nur in Mengen vertragen. Die Lichtung, auf der ich kniete, schien allerdings gut geschützt zu sein, sodass ich mich entschied, ein Feuer zu errichten. Mit ein paar Tritten gelang es mir den Schnee soweit zur Seite zu schaufeln, dass ich genügend Platz für ein Feuer hatte. Ich seufzte. Es würde schwer werden, hier trockene Zweige und Rindenstückchen zu finden. Dennoch versuchte ich mein Glück und nahm dann zwei Feuersteine aus meiner Tasche, die nach ein paar Funken auf die noch feuchten Zweige sie zum Qualmen und schließlich zum Brennen brachten. Ich legte ein paar große Steine in die Nähe des inzwischen ansehnlichen Feuers und begann mithilfe eines spitzen Steins, kleine Fleischstücken aus dem Rentier zu schneiden, die ich zum Erhitzen auf die Steine nahe dem Feuer legte. Ein besonders großes Stück spießte ich auf einen Stock und hielt es über die lodernde Glut. Langsam spürte ich, wie die Wärme zurück in meine Finger und Zehen floss. Es war ein berauschendes Gefühl. Als der Fleischbrocken fertig war, wickelte ich ihn erst in ein großes Blatt und anschließend in ein Tuch ein, dass ich noch von dem Deckenstapeln unter meiner Leiter gegriffen hatte (Alternativen suchen!) steckte in den Jutebeutel zusammen mit drei Streifen roten Fleischs. Sie würden mir später als Abendessen dienen. Auch die Steine hatte gute Arbeit geleistet. An den Fleischstreifen kauend, schaute ich in die Flammen. Sie waren so schön und man konnte glatt bei ihrem Anblick sämtliche Sorgen vergessen. Nachdem ich den letzten Fleischstreifen verschlungen hatte, kuschelte ich mich näher an die inzwischen nur noch glimmenden Ästchen. Ich war müde und schloss nach einigem Hin-und Wider mit meinem Gewissen schließlich die Augen. Ich wusste, ich hatte maximal eine Stunde, um zu schlafen, doch wenn ich mich weiter so verausgaben würde, würde mein Körper dies nur noch maximal eine Woche mitmachen. Was danach wäre, wollte ich mir gar nicht vorstellen.


Kapitel 3

Ein Knacken riss mich aus meinem unruhigen Schlaf. Diesmal war der Traum anders gewesen. Statt meinem Vater hatte ich in der Scherbe eine Uhr gesehen, deren Zeiger in Rekordzeit über das Ziffernblatt rasen. Traumdeutung war eigentlich nie mein Fall gewesen, aber müsste ich meine Träume deuten, würde ich sagen, dass die Zeit drängt. Wieder ein Knacken, diesmal ganz in der Nähe. Sofort war ich hellwach. Das Feuer neben mir war inzwischen ausgegangen. Lediglich ein dunkler Fleck Ruß erinnerte noch an die Farbpracht, die vorher hier in den Himmel loderte. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber es war definitiv zu lange gewesen. Schnell packte ich meine Sachen zusammen, schnitt mir noch einmal ein großes Stück Rentier ab und ließ es zusammen mit den Feuersteinen in meinen inzwischen bis zum Rand gefüllten Jutebeutel gleiten. Ich hoffte, das Buch nimmt bei dieser Reise nicht allzu viel Schaden. Um den Rest des Rentiers würden sich die Wildtiere kümmern. Vorsichtig spähte ich in alle Richtungen und versuchte herauszufinden, wie weit meine Verfolger noch von mir entfernt waren. Da, ein dunkler Schatten fünf Bäume weiter links. Er schien mich noch nicht bemerkt zu haben. Vorsichtig wich ich zurück, bis-KNACK. Mist. Warum musste ausgerechnet hier ein trockener Ast liegen. Der Mann schaute auf. Schwarze Augen trafen mich hart.

„Hier ist sie!“.

Der Ruf drang kaum an mein Ohr, da fuhr ich schon herum und rannte los. Ich hörte den Mann hinter mir keuchen, doch ich dachte gar nicht daran, stehen zu bleiben. Meine Sportnote mochte nicht die Beste sein, doch wie hieß es so schön: „Angst verleihe einem Flügel“. Und es stimmte. Ich spürte den Waldboden unter mir nicht mehr, so schnell rannte ich durch den Wald. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich betete zu mir allen unbekannten und bekannten Göttern, dass ich nicht stolperte, denn ich wusste, dass dies mein Todesurteil sein würde. Meine Verfolger holten auf. Laut ihren Schritten waren es schon vier. Ich versuchte mein Tempo zu erhöhen, dabei schrie mein Zwerchfell jetzt schon vor Schmerzen auf. Ich versuchte meine Atmung an meine Schritte anzupassen. Eins, Zwei. At-men. Eins, Zwei. At-men. So vertieft im Zählen, bemerkte ich anfangs gar nicht die kleine Gestalt, die von links meinen Weg kreuzte. Erst ein lautes „Au“ riss mich in die Wirklichkeit zurück und im wahrsten Sinne des Wortes von den Füßen. Zusammen rollten wir einen kleinen Abhang herunter, bis in ein kleines Gebüsch. Ich wollte gerade wieder aufspringen und weiterennen, da drückte mich eine kräftige Hand wieder zu Boden.

„Unten bleiben.“, zischte es in mein Ohr. Kurz fürchte ich, entdeckt worden zu sein. Doch die Stimme war anders als die, die bei uns zu Hause war. Viel jünger, kräftiger und vor alle wärmer.

„Was?!“, wollte ich fragen, doch eine Hand legte sich über meinen Mund und zischte. „Scht“. Ich nickte nur leicht, als Zeichen dafür, dass ich verstanden hatte, doch die Hand verharrte auf meinem Mund, als fürchtete mein Nebenmann, dass ich doch noch das Wort ergreifen könnte. Ein Knacken in der Nähe lenkte mich von meinen nachdenklichen Gedanken ab. Oben am Kopf des Abhangs hatten sich inzwischen meiner vier Verfolger eingefunden und scannten die Umgebung nach mir ab. Sie schienen nicht auf die Idee zu kommen, dass ich vielleicht seitlich in einem Gebüsch liegen könnte, sondern glaubten nach ihren Gesichtern eher, dass ich weitergerannt sein musste. Und so dauerte es nicht lange, bis sie an uns vorbeihasteten und wieder in den Tiefen des Waldes verschwanden. Endlich wurde der Druck auf meinem Mund kleiner und ich drehte mich um. Moosgrüne Augen starrten mich neugierig an. Dazu eine kleine Nase und ein zierlicher Mund. Weiße, struppige Haare schauten unter einer Fellkapuze hervor und für einen kurzen Moment war ich versucht, die Kapuze abzustreifen, um zu gucken, ob das wirklich seine Haare waren. Als ich meine Musterung bei seinen Kleidungsstücken fortsetzen wollte, merkte ich, dass er mich immer noch anstarrte und rappelte mich rasch auf, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass die Männer wirklich verschwunden waren.

„Danke für deine Hilfe.“ Die Worte verließen meinen Mund, ehe ich überhaupt Zeit hatte, die Situation gerade eben zu überdenken. Sie hatten etwas Abschließendes, Verabschiedendes. Für einen Moment war ich beschämt für mein Verhalten, dann drehte ich mich um und bemühte mich, den Abhang wieder hinaufzusteigen.

„Warte!“, rief der Junge, doch ich blieb nicht stehen und schaute auch nicht zurück, sondern konzentrierte mich auf die Wurzeln vor mir. Wenn ich eine davon rausbekomme, könnte ich mich an ihr hochhangeln und-

„Wo willst du hin?“ Dem Jungen schien ziemlich egal zu sein, dass ich auf seinen Ruf nicht reagiert hatte. Ich antwortete nicht, sondern stampfte weiter den Pfad entlang, mich an der Wurzel festhaltend.

„He!“ Ich spürte eine Hand auf der Schulter und unwillkürlich überkam mich ein Gefühl der Wohle, so, als ob ich den Jungen, der meine Schulter umklammerte, ewig kennen würde. Ich zitterte. So ein Gefühl der Heimat hatte ich schon ewig nicht mehr empfunden.

„Bitte, lass mich los!“ Meine Stimme war leise. Ich hatte mich keinen Zentimeter mehr bewegt, seit ich das ungewohnte Gewicht auf meiner linken Schulter gespürt hatte. Meine Gedanken rasten. Wer war der Junge? Ob er meine Verfolger kannte? Konnte ich ihm trauen? Ich musste schnell hier weg, ehe die Männer wiederkamen. Die Männer. Plötzlich überkam mich wieder die Panik und fast schon hastig griff ich die Wurzel weiter entlang, den Jungen mit mir ziehend, der noch immer nicht losgelassen hatte. Erst oben wagte ich es, nach einem Blick in alle Himmelsrichtungen, mich zu ihm umzudrehen.

„Was willst du?“, fragte ich. Ich war etwas außer Atem, aber meine Stimme war fester geworden, worüber ich echt froh war. Immerhin hatte ich schon genug mit meinen Gefühlen zu kämpfen und ein weiteres Zeichen der Schwäche wollte ich mir nicht erlauben. Immerhin konnte ich mich auch alleine verteidigen. Der Junge betrachtete mich näher. Diese Musterung gefiel mir nicht. Sie machte mir Angst. Er schien zu interessiert zu sein und nebenbei schien er auf etwas zu warten. Zweifelnd sah ich ihn an.

„Ja?“, harkte ich nach. Diese zwei Buchstaben verdeutlichten sowohl meine Frage, als auch den immer noch mich musternden Blick.

„Was wollen die Palinas von dir?“

Dieses Mal war es an mir zu schweigen und ihm einen musternden Blick zuzuwerfen. Warum wollte er DAS wissen? Konnte ich ihm überhaupt trauen? Und wer waren die Palinas? Waren das die Männer, die meinen Va- Nein, ich verbat mir diesen Gedanken und verdrängte rasch die Erinnerung an vor fünf Jahren.

„Außerdem habe ich dich hier im Wald noch nie gesehen!“

Ich zog meine linke Augenbraue hoch.

„Tatsächlich.“ Meine Stimme klang schnippisch, denn die Angst in mir wurde immer stärker. Kurz war ich noch unentschlossen, doch ich hatte mich längst entschieden.

„Naja, wird auch nicht wieder vorkommen!“ Mit diesen Worten drehte ich mich abrupt um, schulterte meinen Jutebeutel und stampfte wieder in den Wald hinein.

„Warte.“ Offenbar war das Gespräch für ihn noch nicht beendet. Ich seufzte, drehte mich jedoch nicht noch einmal um.

„Du kannst jetzt nicht gehen!“

Etwas in seinem Tonfall hatte sich geändert. Nun drehte ich mich doch noch einmal um. Er befand sich noch immer an der Stelle, wo ich ihn stehen gelassen hatte, drei Meter derzeit von mir entfernt.

„Und wieso nicht?“, fragte ich entnervt. Ich musste weiter. Ich hatte maximal noch eine Stunde, ehe es so dunkel wurde, dass ich die Hand vor Augen nicht mehr erkennen konnte.

„Niemand der die Palinas verärgert hat, überlebt die Nacht allein!“. Ich schnaubte. Wenn er wüsste…

„Außerdem hast du mich gesehen.“ Seine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, doch sie schlugen in mich ein, als hätte er sie geschrien.

„Bitte?!“, fragte ich nach. Ich glaubte, ihn nicht recht verstanden zu haben. Außerdem begann er mir langsam Angst zu machen.

„Keiner der Homini darf je eines der Arsanimali sehen, hören oder auf sonst irgendeine Art und Weise wahrnehmen. Sollte dies unter widrigen Umständen zustande kommen, ist der Arsanimali dazu verpflichtet, einen Oblivisci wirken zu lassen. Zu Widerhandelnde werden bestraft.“ rezitierte er offenbar irgendein Gesetz und ließ damit mehr Fragezeichen in meinem Kopf entstehen, als das er sie beantwortet hätte.

„Es tut mir Leid, aber du musst mit mir kommen.“, schlussfolgerte er. Ich schüttelte entsetzt den Kopf und wich zurück, als er ein Seil aus seinem Hemd zog und auf mich zukam. Das konnte er vergessen. Schnell zückte ich meinen Dolch und wich weiter zurück. Konnte ich denn niemand mehr vertrauen? Der kurze Moment der Unaufmerksamkeit reichte. Hart stieß ich mit meinem Rücken an einen Baum. In diesem Monet sprang der Junge nach vorne und hatte mich schneller gefesselt, als ich es sehen konnte. Der Dolch steckte bei ihm im Gürtel und das Seil, das meine Hände verband, hatte er in einer Hand zu liegen und zog mich mit sich. Ich hatte Mühe nicht zu stolpern oder meinen Jutebeutel zu verlieren, der nun mehr an meinen Oberarmen als auf meinen Schultern hing.

„Bitte, warte.“, stieß ich hervor. Ich hatte es längst aufgegeben, ihn davon zu überzeugen mich freizulassen, da ich nur auf taube Ohren gestoßen war. Wie lange wir bereits durch den Wald wanderten, wusste ich nicht, aber inzwischen hatte sich die Dunkelheit wie ein schwarzes Tuch über uns gelegt und ich fragte mich, wie er bei der Dunkelheit noch sehen konnte. Plötzlich hörte ich Stimmen. Ich lauschte konzentrierter. Es war die Stimme eines Mannes, doch bevor ich seinen Worten Gehör schenken konnte, wurde er bereits von einer Frau unterbrochen. „Ich weiß nicht, Gan. Du weißt doch, das Fer gerne einmal Wanderungen unternimmt, und-“ Ein Zucken an meinen Fesseln lenkte mich für einen kurzen Augenblick von dem Gespräch ab und ich stolperte. Fluchend rappelte ich mich wieder hoch und versuchte, mich zu orientieren, ehe der Zug an meinen Handgelenken mich wieder vorwärts trieb. Die Bänder des Jutebeutels scheuerten meine Oberarme auf, ich war so müde, dass ich fast taumeln musste und meine Handgelenke waren von dem dicken Seil beinahe wund. Doch ich wagte es nicht, mich zu beschweren. Endlich erreichte ein Lichtpunkt meine Augen. Rasch wurde er größer, bis wir schließlich an ein Lagerfeuer kamen. Die Gespräche dort verstummten sofort, als sie uns sahen.

„Wo warst du solange? Und wen hast du da mitgebracht?“, fragte der Mann. Ich erkannte seine Stimme von dem Gespräch vorhin wieder. Er sah den Jungen mit fast schon verärgerten Blicken an. Sie schienen sich gut zu kennen. Aber vorher? Ich musterte ihn etwas genauer. Eine braune Mähne, ein voller, aber gestutzter Bart und dunkelblaue Augen, die wie Kristalle im Feuer glänzten. Statt zu antworten, trat der Junge näher an das Feuer, mich hinter sich herziehend und wandte sich an die dritte Person am Feuer, die ich bis zu dem Zeitpunkt nicht einmal bemerkt hatte. Ein bereits etwas älterer Mann mit weisen, grauen Augen und weißem, dichten Haar, der einen langen Umhang trug. Er hätte gut als Gandalf durchgehen können. Sehnsüchtig dachte ich kurz an die Tolkien-Bücher. Zuhause sich in einem Buch verkriechen, war das Eine, aber hier draußen selbst ein Abenteuer zu erleben, war etwas ganz anderes.

„Ich brauche deine Hilfe.“ Der Junge sprach mit dem älteren Mann, der nun skeptisch die Augenbraue hochzog und mir einen schnellen Blick zuwarf, den ich nicht ganz deuten konnte.

„Ich bin bei meinem Streifzug auf diese Homini gestoßen, die von vier Palinas verfolgt wurde. Wir konnten sie abhängen, doch sie hat mich gesehen. Ich möchte, dass du einen Oblivisci bei ihr anwendest.“

Wieder traf mich der Blick des Alten, doch ich reckte nur stolz das Kinn. Mein Tag mochte nicht der Beste gewesen sein und ich war verdreckt, müde und wund. Doch meine Würde hatte ich behalten und so leicht würde man mich nicht unterkriegen.

„Ich verstehe.“, sagte der alte Mann und stützte sich mithilfe seines Stabes, den er neben sich gelegt hatte auf.

„Dann werde ich sie mir einmal genauer ansehen.“

Er kam um das Feuer herum auf mich zu und unwillkürlich überfiel mich eine Gänsehaut. Ich glaubte, seine Macht zu spüren und versuchte zurückzuweichen, was mir dank der Fesseln um meine Handgelenke nicht gelang. Ich ließ den alten Mann nicht aus den Augen, während er langsam auf mich zuschritt. Was hatte er vor? Er ging einmal um mich rum und musterte mich genauer, ehe er schließlich wieder vor mir stehen blieb.

„Wie lange schleppst du sie schon mit dir herum? Ihre Handgelenke sind bereits ganz wund.“ Seine Worte waren nicht an mich gerichtet, doch ich merkte, wie der Junge mir einen schnellen Blick zuwarf. War er etwa sauer auf mich? Aber ich konnte doch gar nichts dafür, dass er mich mitgeschleift hatte. Ich hatte mir die Begegnung mit ihm schließlich nicht ausgesucht gehabt.

Nun kam der andere Mann am Feuer in Bewegung.

„Ist das wahr?“, fragte er. Vorsichtig strich er über die wunde Haut an meinen Handgelenken. Ich zuckte zusammen.

„Du wirst nicht fliehen, oder?“, fragte er mich. Er war der Erste, der mich direkt ansprach und nicht wie ein Tier behandelte, dass man auf der Straße fand. Ich schüttelte den Kopf. Ich war viel zu müde, um heute Abend noch eine Flucht anzutreten und ich war mir sicher, dass der Junge mich wieder einfangen würde. Der Mann warf dem Jungen noch einen bösen Blick zu, der diesen aber nur teilnahmslos erwiderte und löste schließlich meine Fesseln. Vorsichtig bewegte ich meine Hände und verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als das Blut in sie zurückschoss. Ich hoffte, dass es keiner bemerkt hatte.

„Komm einmal näher an das Feuer. Dann kann ich sie mir ansehen.“ Die Stimme des Mannes war immer noch so freundlich, wie, als er mir die Frage gestellt hatte.

„Kein Angst. Ich bin Heiler.“, fügte er hinzu, als er meinen skeptischen Blick bemerkte.

Ist ein Heiler so etwas wie ein Arzt, wollte ich fragen, doch kein Wort verließ meine Lippen. Ich hatte zu viel Angst. Vorsichtig trat ich näher. Die Flammen frohlocken und ein wohliger Schauer durchfuhr meinen Körper, als ich sie ansah. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ausgekühlt ich war. Auf ein Zeichen des Mannes reichte ich ihm meine Handgelenke. Ausgiebig untersuchte er sie und murmelte schließlich „Cutis Sanat.“ Haut heile. Woher ich das wusste, konnte ich nicht sagen, aber es gefiel mir zu wissen, was er sagte. Fasziniert beobachtete ich, wie die Rötung an den Handgelenken schwächer wurde und das Brennen schließlich aufhörte.

„Danke.“, murmelte ich leise. Ich war mir nicht sicher, ob der Heiler mich verstanden hatte, doch er lächelte mich an und ging zurück zu der Frau, neben der er gesessen hatte. Ich vermutete, dass es seine Frau war, war mir jedoch nicht ganz sicher.

„Komm setz dich doch!“, meinte er, als er bemerkte, dass ich immer noch starr am Feuer stand. Ich warf dem alten Mann und dem Jungen noch einen abschätzenden Blick zu, die etwas abseits des Feuers eine heftige Diskussion begonnen hatten, doch ich war zu erschöpft, um ihr zu folgen und setzte mich schließlich. Das Feuer erwärmte mein Gesicht und schnell verlor sich mein Blick wieder in den Flammen.

„Woher kommst du?“

Die Frage des Mannes riss mich aus meinen Gedanken. Ich schrak hoch und sah ihn einen Moment mit einem Blick an, der zwischen Angst und Unsicherheit hin und her sprang.

„Aus – “, begann ich, belehrte mich aber eines Besseren. Nein. Selbst, wenn die Fremden inzwischen aus unserem Haus verschwunden waren, konnte ich es nicht riskieren, dass jemand meine Familie fand. So schüttelte ich nur den Kopf und starrte wieder in die Flammen.

„Was ist mit ihr?“, fragte die Frau leise den Heiler, doch er schüttelte nur den Kopf.

„Ich weiß es nicht.“ Er sah gedankenverloren zu mir herüber. Ich glaubte zu wissen, was er dachte. >Was sie wohl hatte? Sie schien irgendwie traurig zu sein. Und dass sie nicht über sich reden wollte, irritierte ihn<. Auch ich machte mir Gedanken, was die Beiden denken konnten.

Ein Knacken hinter mir, ließ mich zusammenfahren, doch es waren lediglich der Junge und der alte Mann, die sich wieder an das Feuer setzten.

„Wie ist euer Name, Homini?“, fragte der alte Mann mich. Wieder fragte ich mich, was ein Homini ist, doch ich sprach den Gedanken nicht aus. Ich überlegte kurz, was ich ihm auf diese Frage antworten sollte. Immerhin hatten die Männer in unserem Haus nach mir gesucht.

„El“ antwortete ich schließlich. So hatte mich einmal meine beste Freundin genannt, da sie meinte, Carrie sei ein langweiliger Name und Elisabeth zu veraltet. So gab sie mir den Spitznamen „El“ für Elisabeth.

Der alte Mann runzelte die Stirn und noch mehr Falten, als er ohnehin schon besaß, türmten sich unter seinen weißen Haaren auf.

„Nun >El<“ Er betonte das El besonders komisch. „Was macht Ihr hier in diesem Wald? Und warum waren Euch die Palinas auf den Fersen?“

„Was sind Palinas?“, fragte ich, anstatt zu antworten. Ich war es leid, hier mit Fremdwörtern bombardiert zu werden, die offenbar jeder hier in diesem Kreis außer mir zu verstehen schien.

„Nun, wie soll ich dir das erklären...“, begann der Heiler. Der Alte warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Palinas sind schwarze Seelen, die von toten Körpern Besitz ergreifen. Sie kleiden sich meist in schwarzen Umhängen und können beliebig die Gestalt wechseln, solange das, von dem sie Besitz ergreifen, ein Homini war.“

Ein Schauer lief mir über den Rücken. Dann hatten Leichen mich verfolgt und Leichen hatten meinen Vater – Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich durfte doch nicht weiterdenken. Wo war nur meine Selbstbeherrschung hin?

„Und was sind Homini?“, fragte ich weiter. Endlich schien ich Antwort auf meine Fragen zu bekommen. Doch der Junge schüttelte den Kopf.

„Das reicht jetzt. Sobald wir den Oblivisci gewirkt haben, wird sie sich sowieso an nichts mehr erinnern.“ Sie wollten mir meine Erinnerungen nehmen? Kurz überlegte ich, ob ich das Gutheißen sollte. Immerhin war es in der letzten Zeit keine leichte Zeit für mich gewesen.

„Nein!“, stieß ich hervor. „Das könnt ihr nicht machen.“ Ich wollte aufspringen, doch kaum hatte ich mich gerührt, schon spürte ich zwei starke Hände, die sich um meine Unterarme schlangen und sie mit einem schnellen Ruck auf meinen Rücken zogen. Durch den Hebel war ich wie bewegungsunfähig.

„Tut mir Leid“, zischte der Junge in mein Ohr. „Aber wir haben keine Wahl!“ Kurz glaubte ich Reue und so etwas wie Bedauern in seiner Stimme gehört zu haben, aber vermutlich hatte ich mich nur geirrt, denn aus dem Augenwinkel, sah ich ihn dem Alten ein Zeichen geben.

Wieder war er nähergetreten und der Junge verstärkte seinen Griff um meine Unterarme.

„Schaut mich an!“, rief der alte Mann und drückte mein Kinn hoch, sodass ich ihm direkt in die Augen sehen musste. Dann begann er leise etwas zu murmeln und ein unangenehmes Gefühl breitete sich in mir aus. Verzweifelt versuchte ich seinem Blick auszuweichen und er blieb schließlich am Feuer hängen. Die Flammen schienen sich immer aggressiver auf das Holz stürzen zu wollen. Sie hatten die Farbe verändert und leckten nun mit schon fast grünen Zungen am Holz. Ein warmer Funken stieg in mir hoch, der sich in den Kampf in meinem Inneren um meine Erinnerungen stürzte. Mit einem Aufschrei sackte ich in mir zusammen. Dunkelheit umfing mich und legte sich wie eine schützende Decke über mich, die ich mich offenen Armen empfing.


4. Kapitel

Stimmengewirr. Eine Tür knarrte und schlug mit einem lauten Knall zu. „Pscht.“, machte es.

„Ist sie schon wach? Wie geht es ihr?“ Der Junge. Ja, das war seine Stimme. Warum erinnere ich mich noch an alles?

„Sie ist zwischendurch aus der Ohnmacht erwacht, war aber viel zu erschöpft und ist sofort wieder eingeschlafen.“ Der Heiler. Woher wusste ich das?

„Hat sie schon etwas gesagt?“ Wieder der Junge.

„Nein.“ Es wurde kurz still nach der Antwort. Nur mein Atem schien die Stille zu durchbrechen.

„Ich glaube, sie wird wach. Benimm dich, Fer.“ Ich gab auf. Es brachte nichts, mich weiter schlafend zu stellend. Als ich die Augen aufschlug, musste ich erst einmal blinzeln. Es war so fürchterlich hell in diesem Raum. Ich kniff die Augen zusammen und legte die Hand über die Augen, in der Hoffnung, sie dadurch zu schützen.

„Wie fühlst du dich?“, fragte der Heiler. Ich überlegte kurz. In mir drinnen hatte sich die Flamme, die ich kurz vor meinem Zusammenbruch gespürt hatte, erweitert und wärmte mich von innen. Ansonsten ging es mir so gut, wie schon lange nicht mehr. Lediglich der Fakt, dass ich mich noch an alles erinnern konnte, irritierte mich. Ich war mir sicher, dass dies unter normalen Umständen nicht sein dürfte.

„Ganz gut.“, antwortete ich. Ich war noch heiser, doch nach einem kurzen Husten wurde es besser. Dann fiel mir auf, dass ich mich in einer kleinen Hütte befand, die ganz ähnlich zu der unsrigen eingerichtet war.

„Wo bin ich?“, fragte ich und suchte die Umgebung mit den Augen ab. Doch es war nur ein ganz normales Zimmer, das meinen Blicken entgegensprang. Ein kleines Fenster, ein Bett, eine Truhe und schließlich mein Jutebeutel, den jemand über einen der Bettpfosten gehangen hatte.

Der Heiler und der Junge tauschten einen kurzen Blick aus. Hatte ich etwas verpasst? Anstatt mir zu antworten, fragte der Heiler mit einem sonderbaren Unterton in der Stimme, der durch das freundliche Lächeln auf seinem Gesicht fast nicht aufgefallen wäre: „An was kannst du dich noch erinnern?“

Ich überlegte. Wie viel durfte ich den Beiden sagen? Bislang war mir der Heiler ziemlich freundlich vorgekommen, doch er hatte bei der Erinnerungslöschung nicht eingegriffen und den Jungen konnte ich gar nicht einschätzen. Ich beschloss erst einmal ihre Variante abzuwarten.

„Da waren Bäume. Und dann –“ Ich runzelte verzweifelt die Stirn, als würde ich mich angestrengt zu erinnern versuchen. Ich hoffte inständig, dass mein viel zu schnell pochendes Herz mich jetzt nicht verraten würde. Was würde geschehen, wenn meine Lüge aufflog?

„Nichts!“, rief ich verzweifelt aus und schlug mit der Hand gegen den Kopf, als wenn ich versuchen würde, mir selbst wieder etwas in Erinnerung zu rufen, was einfach nicht mehr da war.

Wieder tauschten der Junge und der Heiler Blicke aus.

„Keine Sorge.“, versuchte der Heiler mich mit freundlicher Stimme zu beruhigen. „Mein Sohn und ich haben dich gefunden. Du bist vermutlich nach dem Sturm letzte Nacht von einem Ast am Kopf getroffen worden. Aber keine Angst, deine Erinnerung wird sicher mit der Zeit wiederkommen.“

Ein Sturm und ein Ast. So so. Ich nickte nur als Antwort, viel zu sehr in Gedanken versunken. Warum logen mir die Beiden etwas vor? Ich bezweifelte, dass sie Vater und Sohn waren und die Erinnerung an die letzte Nacht stand noch deutlich vor meinen Augen. Ich beschloss die Beiden genauso zappeln zu lassen, wie sie mich.

„Aber warum war ich in diesem Wald?“, fragte ich scheinheilig und runzelte wieder die Stirn.

„Und wer sind Sie?“ Wieder warfen sich der Heiler und der Junge Blicke zu. Dieses Mal sprach eindeutig Sorge und Beunruhigung aus ihnen, doch mir begann die Sache langsam Spaß zu machen.

Es klopfte. Mir noch einmal einen Blick zuwerfend, ging der Junge schließlich zur Tür.

„Ja?“, fragte er.

Vor ihm stand der alte Mann, der mir meine Erinnerung zu nehmen versucht hatte. Ich erstarrte vor Angst. Als ich den skeptischen Blick des Heilers sah, versuchte ich meinen Fehler noch auszukurieren, indem ich so tat, als hätte ich generell vor ihnen allen Angst, doch dem Heiler war mein Verhalten aufgefallen.

„Kommt ihr mal bitte?“, fragte er. Mein Herz schlug schneller. Oh, Mist. Jetzt würde alles auffliegen.

„Gib mir mal bitte deine Hand.“ Sein Tonfall war die Ruhe selbst, doch ich rutschte nur weiter ängstlich in Richtung Wand. Der Junge und der Alte kamen näher.

„Bitte!“. Ich zögerte, doch da ich wusste, dass der Junge mir sonst notfalls die Arme vor den Körper reißen würde, hielt ich ihm schließlich meinen Arm hin. Wie zu erwarten war, maß er meinen Puls und sah mir dabei fest in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick so entschlossen, wie es ging und versuchte mein hämmerndes Herz zu beruhigen.

„Du weißt nicht, wer ich bin?“, fragte mich der Heiler ganz ruhig. Ich wusste, dass mein Puls in die Höhe schießen würde, wenn ich log, doch solange ich nicht wusste, was mir für meine noch vorhandenen Erinnerungen drohte, blieb mir keine Wahl. So unschuldig wie möglich, schüttelte ich den Kopf und sah dem Heiler in die Augen. Der Griff an meiner Schlagader verstärkte sich.

„Und du weißt auch nicht, wer unser Besucher ist?“

Ich warf einen kurzen Blick zu dem Alten, doch das war ein Fehler. Mein Puls schoss in die Höhe und der Heiler schnalzte nur missbilligend mit der Zunge.

„Ich muss euch sprechen. Sofort.“, sagte er zu dem alten Mann und dem Jungen. Sie nickten, mir noch einen skeptischen Blick zuwerfend und verließen den Raum. Das war meine Chance. So lautlos, wie ich konnte, durchsuchte ich die Truhe und fand schließlich einen alten Trainingsanzug, den ich mir überzog. Dann schnappte ich mir meinen Jutebeutel und schlich zu dem Fenster rüber. Der Knauf quietschte leicht, als ich in zur Seite drehte. Ich erstarrte und lauschte kurz zum Nebenzimmer, wo noch immer heftig diskutiert wurde.

„Aber das kann nicht sein. Niemand hat bislang den Oblivisci überwinden können. Schon gar kein Homini. Die einzige logische Erklärung wäre, dass sie eine von uns ist.“ Kurz wurde es still im Nebenzimmer und ich beeilte mich, mich auf das Fensterbrett hochzustemmen. Die Luke war klein, doch ich war schmal genug, dass ich durchpassen würde. Vorsichtig spähte ich nach draußen. Es war früher Abend. Das bedeutete, dass ich länger geschlafen hatte, als gedacht. Mein Fenster befand sich zwar im zweiten Stock, doch das Vordach war nicht weit entfernt. Vorsichtig hangelte ich mich aus dem Fenster und zog meinen Jutebeutel mit nach draußen. Kurz holte ich Luft, dann ließ ich mich leise auf das Vordach fallen und rollte mich ab. Im selben Moment konnte ich hören, wie die Tür zu meinem Zimmer ausgerissen würde.

„Sie haut ab“. Nun war Eile gefragt. Ich schwang mich über die Kante des Vordachs und hielt mich nur noch mit den Fingerspitzen fest, ehe ich langsam losließ. Der Boden kam früher als erwartet und ich konnte nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken, als ein stechender Schmerz in mein Fußgelenk fuhr. Der Jutebeutel schlug hart auf meinen Kopf, doch ich kümmerte mich nicht weiter darum, sondern versuchte so schnell wie möglich, das Haus hinter mir zu lassen. Die Reihenhausstraße runter, immer auf der Suche nach einem Versteck. Doch es gab keines. Nicht einmal ein Staubkorn hätte sich hier unter den weißen Häusern verstecken können. Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte ich weiter. Kurz darauf hörte ich ein Rascheln. Ein kurzer Blick nach hinten und-RUMMS. Ich rauschte geradewegs in eine kleine, in einen Umhang gehüllte Person hinein. Langsam hob ich den Kopf und blickte geradewegs in das wütende Gesicht des Jungen.


Kapitel 5

„Hallo Süße, schön dich wieder zu sehen.“ In seiner Stimme war nicht außer Hass und Spott. Hämisch grinsend guckte er mich an.

„Na, wo wolltest du hin?“, fragte er, wartete jedoch keine Antwort ab.

„Dir ist schon klar, dass es ziemlich unhöflich ist, unsere Gastfreundschaft zu missachten. Es gibt nicht viele, die wir bei uns willkommen heißen.“

„Aha.“, machte ich. „Und dass soll mir jetzt etwas schmeicheln, oder was?“. Plötzlich war ich den Tränen nahe. Mein Knöcheln brannte förmlich vor Schmerz und mein Hoffnung, endlich jemanden gefunden zu haben, dem ich vertrauen konnte, war mit einem Schlag erloschen.

„Ja, denn-“ Er brach ab und starrte mich entgeistert an. Ich senkte beschämt das Gesicht. Auch ich hatte die Tränen bemerkt, die langsam ihre Bahnen über meine Wangen zogen und eine salzige Spur hinterließen. Endlich brach all die Trauer aus mir heraus, die sich schon viel zu lange in mir angesammelt hatte. Der Verlust meines Vaters, die Stimmung Zuhause, die Angst der Verfolgung, der Hass in den Augen. Ich sackte zusammen. Mein ohnehin schmerzendes Fußgelenk trug mich nicht mehr. Immer mehr Tränen liefen mir aus den Augenwinkeln. Der Junge sah verzweifelt aus. Er schien nicht ganz zu wissen, was er nun tun sollte. Schließlich entschied er sich, mich hochzuheben und wie ein kleines Kind zurück zu dem Haus des Heilers zu tragen. Kurz fragte ich mich, wie er mein Gewicht halten konnte. Immerhin wog ich stolze zweiundfünfzig Kilo. Und auch meine Tasche, die er locker über eine Schulter geworfen hatte, hatte mindestens ein Gewicht von fünf Kilo. Doch in diesem Moment war es mir egal. Nun, wo endlich der Damm gebrochen war, wollten meine Tränen gar nicht mehr aufhören zu fließen. Der Junge trug mich bis zur Tür und klingelte kurz, mich immer noch fest und tröstend an sich drückend. Nach nur dreißig Sekunden wurde die Tür aufgerissen und wir standen einem zornigen Heiler gegenüber. Als er jedoch meinen Zustand sah, wurde seine Miene sofort weicher.

„Kommt rein.“, gab er leise zu verstehen und trat beiseite, um dem Jungen Platz zu machen. Im Hintergrund konnte ich den alten Mann sehen, der mich mit einem abschätzenden Blick musterte. Der Junge trug mich eine Treppe hoch und nahm schließlich die erste Zimmertür links. Wir betraten mein Zimmer und sofort bekam ich wieder Angst. Ich klammerte mich an den Jungen, als er mich auf das Bett legen wollte.

„Schhhhh“, machte er und versuchte sich sanft, aber beharrlich von meinen klammernden Fingern zu befreien und mich gleichzeitig zu trösten. Ich wusste nicht, wie lange ich hier auf dem Bett lag und weinte, aber irgendwann versiegte auch die letzte Träne und ich fühlte mich seltsam leer. Der Junge streichelte mir immer noch fast liebevoll über die Haare, doch es machte mir nichts aus. Vielleicht würde ich ihn doch mögen. Immerhin war er die ganze Zeit bei mir geblieben, als ich sein T-Shirt mit meinen Tränen benetzt hatte. Der Heiler kam herein. In seiner Hand hatte er eine Tasse, aus der Dampf aufstieg.

„Hier.“, sagte er und reichte mir die Tasse.

„Was ist das?“, fragte ich. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Das Weinen hatte mir viel Kraft genommen.

„Ein Tee zur Beruhigung.“ Sofort ließ ich die Tasse wieder sinken, die ich bereits an meinen Mund angesetzt hatte. Der Heiler lachte leise auf. Es war ein schöner Klang und ich genoss jede Note Glück, die von ihm ausging.

„Keine Angst. Da sind wirklich nur ganz normale Heilpflanzen enthalten.“ Ich schaute ihm kurz in die Augen, dann nickte ich und setzte die Tasse erneut an die Lippen. Es schmeckte süß und war etwas völlig anderes als alle Kräutertees, die ich bislang getrunken hatte. Wieder nahm ich einen kleinen Schluck. Die Wärme, die sich in mir ausbreitete, tat so gut, dass ich fast nicht die Worte des Heilers gehört hätte.

„Wir wollen dir nichts Böses. Das haben wir nie gewollt.“ Ich überlegte kurz, ob ich wiedersprechen sollte, überlegte es mir dann aber anders. Es hatte keinen Zweck, jetzt hier zu streiten. Außerdem müsste ich dann von meinem leckeren Tee ablassen. Ich hatte gerade einmal drei Schlucke trinken können, doch ich war mir jetzt schon sicher, dass ich dieses Geheimrezept haben wollte.

Als der Heiler sich zu mir auf mein Bett setzen wollte, zog ich die Füße weg. Erst da fiel mir mein verstauchter Knöchel wieder ein. Zischend zog ich die Luft ein und sofort lag der besorgte Blick des Heilers auf mir, doch ich war zu stolz, um etwas zu sagen.

„Du weißt hoffentlich, dass du uns vertrauen kannst.“, sprach der Heiler weiter. Die Besorgnis war noch immer nicht aus seinen Augen verschwunden.

„Vertrauen muss sich erst verdient werden.“, murmelte ich leise. Durch den Tee klang meine Stimme schon um einiges besser, als noch vor wenigen Minuten. Auch bemerkte ich, dass meine Kraft zurückkam.

„Das ist wahr.“, gab der Heiler leise zu. „Womit könnten wir dein Vertrauen gewinnen?“

Ich überlegte kurz. Nun lag es in meiner Hand, wem ich vertrauen wollte. Noch einmal kurz die beiden vor mir musternd, wusste ich, dass ich den beiden Vertrauen schenken konnte.

„Wie heißt ihr? Und wo bin ich hier?“, beschloss ich zu fragen. Wieder tauschten die Beiden Blicke aus, nickten sich dann aller widerwillig zu.

„Mein Name ist Fer.“, begann der Junge.

„Ich bin Gan.“, ergänzte der Heiler. „Du befindest dich hier in meinem Haus und unterstehst meinem Schutz, solange du es nicht verlässt.“ Ich nickte. Es überraschte mich, dass ich bei dem Heiler Gan in seinem persönlichen Zufluchtsort untergekommen war, doch es gefiel mir hier. Nun, wo wir uns alle etwas näher kannten, wusste ich, dass es nun an der Zeit war, von mir etwas preiszugeben.

„Ich danke euch für euer Vertrauen. Nun, eigentlich ist „El“ nicht mein richtiger Name, sondern eher ein Spitzname, den mir mal eine Freundin gegeben hat. Ich bin Carrie. Außerdem – “ Ich zögerte, holte tief Luft und beendete schließlich meinen Satz. „ – kann ich mich noch genau an den Abend am Lagerfeuer erinnern. Aber dass wusstet ihr ja schon.“ Dennoch war es für mich ziemlich schwer, diese Informationen, die ich bislang so gut gehütet hatte, preiszugeben.

„Ja, dass ahnten wir schon.“, murmelte Fer nach einer kurzen Pause. „Aber wir verstehen nicht, warum – “ Er brach ab. Er sah so verzweifelt aus. Tröstend strich ich ihm eine Haarlocke aus der Stirn und wurde rot, als sein Blick mich traf.

„Warum waren die Palinas hinter dir her?“ Gan riss mich aus meiner unangenehmen Situation, doch ich wünschte er hätte etwas anderes gefragt.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Sie tauchten einen Tag, bevor ich auf Fer traf, bei uns Zuhause auf und drohten meinem Bruder mit dem Tod, wenn er nicht verraten würde, wo ich mich befände. Er weigerte sich und um sein Leben und das meiner Mutter zu retten, packte ich meine Sachen und verschwand in den Wald. Mir war klar, dass sie die Beiden nicht umbrächten, solange sie nicht wüssten, wo ich wäre.“ Ich verstummte, als ich die Bilder meiner Flucht wieder klar vor mir sah.

„Was ist mit deinem Vater?“, fragte Fer.

Ein kurzer, schmerzerfüllter Gesichtsausdruck huschte über mein Gesicht, ehe es ausdruckslos wurde.

„Er ist vor fünf Jahren verschwunden.“

Dies war die offizielle Variante, die auch die Schule, auf die ich gegangen war, kannte. Doch in Wahrheit war es viel komplizierter.

Damals hatten wir noch in Exeter in Großbritannien gewohnt. Erst nach dem Vorfall waren wir hierher gezogen. Ich las gerade „Pünktchen und Anton“. Mein Vater zeigte Lak, wie er am besten einen Bogen baute. Die Pfeile hatten sie bereits vor Tagen geschnitzt. Da wurde die Tür eingetreten und Männer in dunklen Umhängen hatten sich in unser Haus gedrängt und nahmen jeder Kinderfreude die Luft. „Schnell, versteckt dich, Carrie.“ Hatte mein Vater gerufen und Lak hatte meine Hand genommen und mich aus meiner Starre gerissen. Zusammen waren wir in den Flur gelaufen, in dem es damals einen alten Essensaufzug gegeben hatte. Ohne auf meinen Protest zu hören, hatte mich Lak einfach in den Essensaufzug gedrückt und mit dem Seil an der Seite kurz hochgezogen. Von einer Sekunde auf die Andere wurde es stockdunkel. Doch auch bereits in dieser Zeit hatte ich die Abenteuer geliebt und so war ich einfach neugierig zu der einzigen Lichtquelle gekrochen, die es in dem Aufzug gab. Ein kleines Loch, durch das ich gerade so durchschauen konnte. Mein Bruder hatte mich in eine gute Höhe gebracht. So konnte ich durch das Belüftungsgitter alles beobachten, was im Wohnzimmer vor sich ging. Mit Schrecken erkannte ich, dass mein Vater bereits schwere Wunden im Gesicht hatte und auch sein Körper Schnittwunden durch das lange gebogene Messer des Unbekannten trug. „Wo ist ihr kleiner Feuerengel, Herind?“ Statt einer Antwort spuckte mein Vater ihm nur ins Gesicht. Langsam wischte sich der Fremde die Spucke von der Wange. Seine Naseflügel bebten. „Das wirst du bereuen.“ Er schlug auf meinen Vater ein, bis sich dieser nicht mehr rührte. Kurz verschwamm alles unter einem Tränenschleier, denn ich hatte angefangen zu weinen. Diese ganze Gewalttat war einfach zu viel für mich. Immerhin war ich erst zehn. „Nehmt ihn mit.“ >Nein!< wollte ich schreien, doch ich brachte keinen Ton heraus und schluchzte lautlos einfach vor mich hin. „Und durchsucht das Haus. Ich muss sie finden!“. Zwei hatten meinen Vater rausgeschleift, während der Rest dieser Unmenschen oder Palinas, wie ich inzwischen wusste, unser Haus in einen Trümmerhaufen verwandelte. Meine Mutter hatte leise an Laks Schulter geweint. Die Beiden konnten dank der Wachen an ihre Seite nichts machen und verloren so alles, was ihnen lieb und teuer war. Nachdem die Männer und damit mein Vater verschwunden waren, zogen wir noch am selben Tag aus. Ganz weit nach draußen in eine kleine Hütte in Russlands Wäldern, in der Hoffnung, dass man uns nie finden würde.

„Carrie?“ Gan sah mich angespannt an. „Geht es dir gut? Du bist so blass.“ Ich nickte nur und versuchte die grausamen Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen.

„Da ist noch mehr, oder?“, fragte Fer leise. Ich schwieg. Es war jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt, von diesem Abschnitt in meinem Leben zu erzählen. Doch die Beiden schienen zu verstehen, dass ich noch nicht soweit war, wofür ich ihnen sehr dankbar war.

„Es wird langsam Zeit für das Abendessen. Gibt es etwas, was du sehr gerne magst?“, fragte Gan nach einer kurzen Pause. In diesem Moment erinnerte ich mich an den Rentier. Dank der kalten Temperaturen draußen, war das Fleisch haltbar geblieben, doch hier im Raum konnte es schnell schlecht werden.

„Ich habe noch etwas Rentier in meiner Tasche. Das sollte gegessen werde, ehe es verkommt. Mehr brauche ich nicht.“

Fer und Gan warfen sich einen überraschten Blick zu, dann ging Gan zu meiner Tasche.

„Darf ich?“, fragte er. Ich nickte. Vorsichtig öffnete er den Jutebeutel und inspizierte den Inhalt.

„Das ist nicht viel.“, stellte er schließlich fest. Ich zuckte nur mit den Schultern und Gan seufzte.

„In Ordnung, ich werde dir das Rentier anrichten.“, gab er sich schließlich geschlagen. Ich nickte ihm dankend zu. An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Du solltest noch ein wenig schlafen.“ Wieder nickte ich. Müde genug war ich auf jeden Fall. So gut, wie es mein verletzter Fuß zuließ, drehte ich mich um und war bereits eingeschlafen, noch ehe ich Fer eine gute Nacht wünschen oder ihn für seine Nähe beim Weinen danken konnte.


Kapitel 6

Ich erwachte, als ein wunderbarer Duft nach frischem Fleisch in meine Nase zog. Unwillkürlich zuckte meine Nase, als ich das Aroma in mir aufsog und Fer, der mich offenbar beim Schlafen beobachtet hatte, lachte leise auf. Sofort schlug ich die Augen auf und sah ihn an. Das Funkeln in seinen moosgrünen Augen schien sein Gesicht zu erleuchten und er sah um einiges freundlicher aus, wie, als er mich auf der Straße eingeholt hatte. So konnte ihm nicht einmal richtig böse sein. Dennoch konnte ich mir einen kleinen Stoß mit dem Ellenbogen in seinen Magen nicht verkneifen. Entrüstet bemerkte ich, dass ihn dass noch mehr zum Lachen zu bringen schien.

„Hör sofort auf zu La-“ Die Tür ging auf und Gan steckte seinen Kopf rein.

„Abendessen ist fertig.“, ließ er verlauten. Immer noch lachend erhob sich Fer und sah mich kurz an. Ihn noch einmal mit einem bösen Blick bedachend, rappelte ich mich so schnell es ging auf. Zu schnell, wie es schien, denn mein angeschlagenes Fußgelenk bog zur Seite und ich wäre fast gestürzt, hatte Fer mich nicht aufgefangen. Das Lachen war ihm aus dem Gesicht gewichen und er sah besorgt zu mir.

„Alles Okay.“, versuchte ich ihn zu beruhigen, doch mein Versuch schien keine Früchte tragen zu wollen. So achtete ich nicht weiter auf ihn und humpelte dieses Mal um einiges vorsichtiger zur Tür. Erst da bemerkte ich, dass ich nicht nur von Fer beobachtet wurde. Gans Kopf steckte noch immer in der Tür und sein Blick war auf meinen verletzten Fuß gerichtet, den ich versuchte, so wenig wie möglich zu belasten. Sein Blick sprach Bände.

„Was ist mit deinem Fuß?“

Ich überlegte kurz, ob ich es als „Nichts“ abtun sollte. Doch als ich den Blick von Gan sah, überlegte ich es mir rasch anders.

„Ich bin etwas schlecht aufgekommen und habe mir vermutlich den Fuß verstaucht. Ihr braucht also keine Angst zu haben, dass ich einen weiteren Fluchtversuch starten würde.“, gab ich zu. Gan seufzte.

„Du vertraust uns immer noch nicht.“, stellte er bedauernd fest.

„Doch, schon“, versucht ich mich zu verteidigen.

„Aber?“, harkte Fer nach. Ich seufzte.

„Ich bin niemand, der leicht jemandem sein Vertrauen schenkt. Es ist Jahre her, seit ich das letzte Mal jemanden vertrauen konnte.“, gab ich leise preis.

Wieder seufzte Gan. „Na schön. Aber deinen Fuß würde ich mir dennoch gerne ein wenig näher ansehen.“

Dieses Mal war es an mir zu seufzen. Das konnte ja heiter werden. Aber immerhin hatte er mir auch bei meiner Verletzung an den Handgelenken geholfen. Woher hatte er eigentlich die Magie?, fragte ich mich plötzlich. Ich musterte ihn unauffällig, während ich auf den Stuhl zuging, auf den Gan gedeutet hatte. Ich setzte mich vorsichtig und sofort war Gan bei mir und tastete meinen verletzten Knöchel ab. Wieder glaubte ich ein „Nervus sanat.“ >Sehne heile< zu hören und spürte wie der Schmerz in meinem Knöchel abnahm. Er war noch immer leicht angeschwollen und ich war mir auch sicher, dass die Blutbahnen noch eine Weile brauchen würden, um sich komplett zu regenerieren, doch die überdehnte Sehne war durch den Zauberspruch immerhin außer Gefahr. Der Zauberspruch. Langsam wurde mir deutlich, wie viel Macht Gan besitzen musste, wenn er andere Lebewesen mithilfe weniger Worte heilen konnte.

„Du solltest den Fuß dennoch noch ein wenig schonen.“ Der Zauber schien ihn Kraft gekostet zu haben, denn seine Stirn war übersät mit Schweißperlen.

Ich nickte. „Danke Gan.“ Mein Dank war sehr leise gesprochen, doch ich war mir sicher, dass er es gehört haben musste, denn kurz zuckten seine Mundwinkel zu einem verborgenen Lächeln, ehe die Erschöpfung sie wieder nach unten zog.

„Das Essen wird kalt.“, stellte Fer fest und gemeinsam gingen wir nach unten. An der Treppe stützte mich Fer noch ein wenig, damit ich meinen Fuß auch ja schone, wie er sich mit einem Lächeln ausdrückte, doch ich war mir sicher, dass ein anderer Grund dahinter steckte, der durchaus mit dem fast schon liebevollen Blick zu tun haben musste, den er mir geschenkt hatte, als ich geschlafen hatte.

Wir ließen uns alle an der großen Tafel nieder. Anders, als erwartet, gab es für mich nicht nur die paar Brocken Rentier, sondern auch Mischgemüse und ein paar rote Kullern, die Gan als „Kartoffeln“ bezeichnete. Wir aßen schweigend, doch es war ein gemütliches Schweigen und nicht so ein bedrücktes Schweigen, wie bei uns Zuhause. Zuhause. Mit einem Mal vermisste ich meinen großen Bruder und meine depressive, zurückgezogene Mutter und die kleine Hütte im Wald. Ich fragte mich, wie es meiner Familie wohl weiter ergangen war, als klar wurde, dass ich im Wald sein musste. Ob sie noch am Leben waren? Ich legte meine Gabel hin. Mir war der Appetit vergangen. Lediglich eine kleine rote Kartoffel lag noch auf dem Teller und schaute mich traurig an, doch ich war zu sehr mit meinen Gedanken bei meiner Familie und brachte es nicht mehr fertig, etwas zu verspeisen.

„Bist du schon satt, Carrie?“, fragte Fer mich verwundert. Ich nickte. Alles andere wäre zu kompliziert gewesen und mein Bauchgefühl sagte mir, dass die Männer sowieso kein Verständnis für solche Gefühlsduselei und Appetitlosigkeit hätten.

Wieder herrschte Schweigen und ich konnte das Klirren von Besteck hören, doch ich hatte meinen Blick gesenkt. Ein Fleck an meinem Handgelenk ließ mich stutzen. Zuerst dachte ich, es wäre Dreck, doch als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass es sich um eine winzige Flamme handeln musste. Wie ein Tattoo prangte es unter meine Haut in einem dunklen, fast schwarzen Grün. Fasziniert strich in darüber und zuckte zusammen, als Fer vor meinem Gesicht herumschnipste. Erstaunt sah ich auf. Alle am Tisch sahen mich an. Offenbar hatte Gan beschlossen, doch noch ein Gespräch anzufangen.

„Wie bitte?“, fragte ich und versuchte schnell, meine Gedanken zu orten.

„Gan hat dich gefragt, was du gerne machst?“, antwortete Fer an Gans Stelle.

Ich überlegte. „Ich lese gerne. Meistens Abenteuer-oder Fantasieromane. Wenn das Wetter schön ist, bin ich im Wald. Er ist meine zweite Heimat geworden. Ich klettere sehr gerne und verbringe oft Stunden damit, die Tiere zu beobachten. Manchmal bin ich auch jagen. Nur bislang hatte ich es nicht wirklich nötig, mich damit zu versorgen, bis-“ Ich brach ab. „Außerdem liebe ich es, am Feuer zu sitzen und in die Flammen zu starren. Es ist immer wieder aufs Neue faszinierend, welche Form Feuer alles haben kann und jeder Holzscheit erzählt seine eigene Geschichte.“ Ich spürte, wie meine Augen anfingen zu strahlen, als ich von der Faszination des Feuers sprach. Ich konnte die Flammen schon beinahe auf meiner Haut tanzen spüren. Auf und Unter der Haut. Ich senkte den Blick. Es schien fast so, als würden wirklich Flammen unter einer Haut tanzen, das Tattoo an meinem Handgelenkt strahlte inzwischen in einem tiefen Dunkelgrün und ließ kleine Flämmchen züngeln. Was war hier los? Der Schreck holte mich zurück in die Wirklichkeit. Der Zauber erlosch und mit ihm die Flammen. Das Tattoo lag wieder wie unberührt in einem dunklen Schwarzgrün vor. Oder war es etwas heller geworden?

„Was war das gerade?“, fragte Fer erschrocken. Er hatte seinen Blick starr auf mich gerichtet. Also war ich doch nicht die Einzige, die es bemerkt hatte. Dennoch beschloss ich meine sonderbare Verwandlung zu überspielen.

„Keine Ahnung, was du meinst.“, sagte ich. „Außerdem mag ich es mich im Sommer auf einer kleinen Lichtung in der Nähe unseres Hauses durchpusten zu lassen. Der Wind treibt gerne sein Spiel mit mir und ich genieße es.“ Schloss ich. Letzteres hatte ich zwar erst zweimal gemacht, doch ich wollte von der Situation vorhin mit dem Feuer wegführen.

„Wie ist das bei dir?“, fragte ich Fer. Er sah immer noch nicht überzeugt aus, dass es sich bei meiner Verwandlung nur um eine Illusion seinerseits gehandelt hatte. Er sah kurz zu Gan, doch dieser schien nichts mitbekommen zu haben. Weder von der Verwandlung noch von Fers Gefühlschaos.

„Ich lese auch gerne, aber eher Abenteuer-und Historische Romane als Fantasielektüre.“ Er verzog das Gesicht. Ich verstand nicht wieso, fragte jedoch nicht weiter. „In meiner Freizeit, wenn du es so nennen willst, widme ich mich ebenso dem Wald, der Kampfkunst, wo vor allem der Umgang mit Waffen im Vordergrund steht und bekleide auch noch eine wichtige Führungsposition in einem Rud-“ Er brach ab, als Gan ihm einen alarmierenden Blick zuwarf. „Einer Radgang“

„Einer Radgang?“ Ich war mir sicher, dass er vorher etwas anderes sagen wollte. Außerdem, was sollte denn bitte eine „Radgang“ sein?

„Ja. Wir sind eine Gruppe Abenteuerlustiger, die mit ihren Mountainbikes die Wälder im Sommer unsicher machen. Abends sitzen wir lange am Lagerfeuer und erzählen uns Geschichten zum Stamm.“ Wieder ein alarmierender Blick von Gan. „-baum“., fügte Fer noch dazu. Was ging hier vor?

„Das hört sich wirklich-“ Ich suchte nach dem richtigen Wort. „-interessant an.“ Okay, das war eindeutig eine schlechte Wortwahl, wie ich an dem unglücklichen Blick erkannte, den Fer Gan schenkte.

„Ich meine… “, versuchte ich die Situation noch zu retten. „…ich würde gerne einmal dabei sein, wenn ihr-“ Was redete ich denn da. Ich sollte nicht so weit in die Zukunft planen. Wer wusste denn, wann ich das nächste Mal fliehen musste. Und meinem Elternhaus musste ich definitiv auch bald einen Besuch abstatten.

„Ach, was rede ich denn da. Ich muss dringend zurück. Ich bin euch zwar sehr dankbar für eure Gastfreundschaft und alles. Aber solange mich die Palinas verfolgen, kann ich mir so ein Leben wie das hier, mit einer Familie wie euch –“ Ich sah, wie Fer schluckte und Gan Tränen in die Augen stiegen. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass ich mich hier so wohl fühlen würde, dass ich die Beiden als meine Familie bezeichnen würde, doch inzwischen vertraute ich ihnen voll und ganz. „–nicht leisten.“, beendete ich schließlich meine kleine Rede.

Ich stand auf. „Vielen Dank für alles!“ Ich sah erst Gan an und dann Fer und drehte mich schweren Herzens um, um zur Tür zu gehen. Wieder rannte ich eine Wand.

„Man Fer, lass das bloß nicht zur Gewohnheit werden.“, beschwerte ich mich, als ich mich aus der warmen, viel zu gut duftenden Brust von Fer geschält hatte.

„Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass du hier so große Reden schwingen und dann einfach verschwinden kannst.“, knurrte er.

„Was?“, fragte ich verwirrt.

„Das heißt, wie bitte?“, verbesserte mich Gan. „Fer hat Recht. Wir kommen natürlich mit. So schnell wirst du uns nicht mehr los.“

Für einen Moment war ich sprachlich, ehe das Wissen, nicht mehr allein zu sein, zu mir durchflutete und mich zusammen mit der Flamme in meinem Inneren erwärmte.

„Und was ist mit deiner Gruppe?“, warf ich schließlich schweren Herzens ein. „Als Anführer hast du gewisse Pflichten zu erfüllen und eine Verantwortung zu tragen.“

„Du wolltest sie doch eh einmal kennenlernen.“, erinnerte mich Fer.

„Fer…“, mahnte Gan. „Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Du weißt schon….“ Er sah Fer eindringlich an. Ich fühlte mich ziemlich ausgeschlossen, da sie offenbar etwas wussten, was sie mir nicht sagen wollten.

„Ich denke schon, dass das gutgehen wird.“, winkte Fer ab. „Außerdem müssen wir sie sowieso einweihen, jetzt da wir ihre Erinnerungen an uns nicht löschen können.“

Einweihen, ja bitte. Es reichte ja, wie sie mich bislang mit Fremdbegriffen und Andeutungen außen vor gelassen hatten. Ich wollte endlich wissen, was Sache ist.

„Gerne. Weiht mich ein.“, brachte ich nun endlich meine Gedanken nach außen.

„Fer. Ich weiß nicht…“, gab Gan wieder zu bedenken und musterte mich kurz. Doch so leicht würde ich nicht aufgeben.

„Ich kriege es so oder so heraus.“, brüstete ich mich. Gan und Fer tauschten einen langen Blick, dann seufzte Gan und zuckte ergeben mit den Schultern.

„Okay.“, begann er. „Der Mensch ist seit jeher der Ansicht, er sei das einzige, intelligente Lebewesen auf der Welt. Doch dies ist nicht so. Neben den Homini, wie die einfachen Menschen bei uns genannt werden, gibt es noch andere Lebewesen, die du vielleicht nur aus deinen Büchern kennst.“

Plötzlich begriff ich, was die Grimasse von Fer vorhin bei seinen Hobbys zu bedeuten hatte. Wozu sich noch in ein Abenteuer mit Fabelwesen hineinlesen, wenn man Tür an Tür mit ihnen wohnt.

„So gibt es unter anderem Gestaltwandler, zu denen auch die Werwölfe gehören, Magier, Vampire und Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Sie leben Parallel zu den Menschen auf diesem Planeten, seit ein fürchterlicher Krieg ihre Parallelwelt zerstört hat. “

Der Krieg. Plötzlich bekam ich eine Vorahnung, was es mit meinen Träumen auf sich haben könnte. Aber das war unmöglich. Immerhin war ich ein einfacher Homini. Oder etwa nicht?

„Als die Parallelwelt unterging, würden Gesetze geschaffen, sodass die Arsanimali, also die nichtmenschlichen Wesen, direkt neben dem Homini die Erde bevölkern konnten, ohne entdeckt zu werden.“

„Ich habe dir bereits eines dieser Gesetze zitiert. Damals im Wald. Erinnerst du dich?“, unterbrach Fer den Heiler. Ja, ich erinnerte mich gut an die Situation im Wald. Inzwischen glaubte ich das Gesetz zu verstehen, das mir Fer vorgebetet hatte, ehe er mich an einem Seil durch den Wald schleifte.

„Im Laufe der Jahrhunderte“, fuhr Gan fort, als wäre er nicht unterbrochen worden. „Gab es immer wieder ein paar Arsanimali, die diese Gesetze nicht einsahen und versuchten die Homini einzuweihen. Entweder wurden sie von den Homini vernichtet, ehe wir eingreifen konnten oder der Iudicium, eine Gruppe der Arsanimali, die sich speziell solchen Regelverstößen widmet, waltet ihres Amtes und richtet über die Regelbrecher. Auch wir gehörten bis zu dem Zeitpunkt zum Iudicium dazu, als du unser Lagerfeuer betreten hast. Da nun auch wir gegen die Regel verstoßen haben, werden auch wir sicher bald gerichtet.“ Er sagte es so endgültig, als ob ihm der Tod nicht ausmachen würde und unwillkürlich überfiel mich eine Gänsehaut.

„Eines Tages allerdings – “ Gans Tonfall wurde plötzlich ziemlich bedrückt. „–gab es einen jungen, aufstrebenden Magier, der es liebte, sich auszuprobieren, unabhängig davon, ob diese Zauber Opfer forderten. Erst als seine Mutter bei einem Zauber ums Leben kam, begann er zu begreifen, dass Zauber auch Leben kosten konnten. Er bekam es mit der Angst zu tun, doch die schwarze Magie hatte ihn bereits zu fest im Griff und tötete sämtliche Gefühle in ihm ab, sodass er nur noch nach Macht strebte. So verschrieb er sich immer mehr der dunklen Magie und lernte schließlich, die toten Seelen zu erwecken. Seitdem sind die Palinas seine Vollstrecker, Wächter und Weggefährten. Und ausgerechnet diese musst du dir als Feinde suchen.“, schloss er. Langsam begriff ich, in was für eine Schwierigkeit ich hier hineingeraten war. Gan hatte Recht. Wie auch immer ich es geschafft hatte: Ich hatte mir den gefährlichsten Magier der Welt als Feind gemacht.

„Wie hieß der Magier, der sich der dunklen Magie verschrieben hat?“, fragte ich.

„Er hieß nicht, denn er lebt immer noch. Immerhin hast du ihn dir zum Feind gemacht, da er der Einzige ist, der, soweit wir wissen, Palinas erschaffen und überwachen kann. Sein Name ist Atro.“ Gan war immer leiser geworden, bis er zuletzt den Namen nur noch geflüstert hatte. Ich überlegte kurz, ob er sich vielleicht vor Atro fürchtete oder was es sonst für Gründe für seine Resignation geben könnte.

„Du bist auch ein Magier, oder?“, fragte ich Gan, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.

Er nicke. „Ja, aber lediglich ein Heilmagier oder auch Heiler. Ich kann keine Zauber anwenden, die über einen Knochen oder eine Schusswunde hinausreichen. Wenn du einen richtigen Magier kennenlernen willst, kann ich ja vielleicht einmal mit Zel reden.“

„Wer ist Zel?“, fragte ich neugierig.

„Zel ist einer der größten Magier der Zeit. Oder besser gesagt, er war es einmal. Inzwischen haben seine Kräfte ziemlich unter seinem Alter gelitten. Du kennst ihn auch schon. Er hat versucht, dir deine Erinnerung zu nehmen, was bislang immer bei allen außer bei dir funktioniert hat.“

Zel war also der alte Mann. Ich überlegte kurz, ob ich ihm überhaupt nochmal begegnen wollte.

„Vielleicht später nochmal.“, antwortete ich ausweichend. Ich war mir nicht sicher, wie ich meine Panik vor Zel erklären sollte. Vielleicht war sie auch völlig übertrieben.

„Und was bist du?“ Ich wandte mich zu Fer um, der Gans Erzählung gelauscht hatte und nun aus dem Fenster starrte. Als ich ihn ansprach, drehte er sich um.

„Ein Gestaltwandler.“ Ich machte große Augen. „Und Alphatier eines Rudels.“

Ich zog die Augenbraue hoch. „Ich wusste doch gleich, dass unsere Wälder nicht mit dem Rad zu befahren sind. In was für ein Tier kannst du dich verwandeln?“ Auf diesen Punkt war ich besonders neugierig. Ich hatte schon viele Mythen über Werwölfe und andere Gestaltwandler gehört, doch so richtig könnte ich mir das gar nicht vorstellen.

„In einen weißen Tiger.“, antwortete Fer stolz. Ich stieß einen lauten Begeisterungsruf aus, wie ein Kind, das seine Geschenke bekommt.

„Zeigst du es mir, bitte?“, fragte ich, immer noch hellauf begeistert.

Fer verzog kurz das Gesicht. „Ähm, Carrie. Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“

Ich ließ den Kopf sinken. „Schade.“ Aber er hatte ja Recht. Immerhin war ich nur ein Homini und konnte von Glück reden, dass ich dieses ganze Wissen überhaupt geschenkt bekommen hatte.

„Nun, wo wir das geklärt haben, können wir ja los.“, sagte ich, um meine Enttäuschung zu überspielen.

„Ehrlich, du willst uns mitnehmen?“, fragte Fer mit funkelnden Augen.

Lächelnd sah ich ihn an. „Ich könnte mir keine besseren Gefährten wünschen.“

Seine einzige Antwort war ein überglückliches Strahlen, das sofort mein Herz erwärmte.

Während die beiden Männer ihre Sachen packten, beschloss ich, es mir noch für ein paar Minuten vor dem Kamin gemütlich zu machen. Ich hatte nicht ohne Grund von den Flammen geschwärmt. Die Flammen. Allein der Gedanke an sie, ließ sie wieder auf meiner Haut tanzen und wie schon bei meinen Eltern Zuhause verspürte ich den starken Drang meine Hand von den Flammen umspielen zu lassen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, wiederstand ich dem Drang dieses Mal nicht, sondern legte zu meinem eigenen Erstaunen meine Hand direkt ins Feuer. Doch anstatt mich zu verbrennen, wurden die Flämmen grün und leckten nur mit liebevollen Zungen über meine Haut. Es fühlte sich an wie die Umarmung mit einem guten Freund. Sofort wurde ich ruhiger und ein Glücksgefühl breitete sich in mir aus. Ich spürte, wie das Blut in meinem Knöchel kurz zu brennen anfing, ehe er komplett verheilte. Als ich jemanden die Treppe herunterschleichen hörte, danke ich dem Feuer noch schnell für seine Hilfe, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, sich vom Feuer helfen zu lassen und zog meine Hand von den brennenden Scheiten. Sofort veränderte das Feuer wieder seine Farbe und brannte nun weiter in leuchtenden Gelb- und Rottönen. Neugierig betrachtete ich meine Hand. Nichts deutete darauf hin, dass sie noch vor wenigen Minuten im Feuer gelegen hatte. Lediglich das Mal an meinem Handgelenk war wieder ein wenig heller geworden und der glühende Funken in mir ein wenig größer. Doch er wurde nicht so heiß, dass ich ihn nicht mehr ertragen hätte. Eher war es eine angenehme Wärme, die mit einem Glücksballon zu vergleichen war. Fer stand im Türrahmen und beobachtete mich. Ich spürte seine Blicke, ließ mir jedoch nichts anmerken. Es würde schon noch früh genug der Grund herauskommen, weswegen ich so gut mit Feuer klarkam, da war ich mir sicher.

„Carrie, alles okay?“, fragte Fer. Ich nickte nur, immer noch in Gedanken bei meinem Feuerabenteuer gerade. Auch Gan kam die Treppe runter. Er hatte ebenso wie Fer und ich einen Jutebeutel gewählt, aus dem oben ein viel zu großes Erste Hilfe-Set herausschaute.

„Hast du heute noch irgendetwas vor?“, fragte ich belustigt und deutet auf seinen Jutebeutel. Kurz glaubte ich, ihn rotwerden zu sehen, doch er murmelte nur. „Man weiß ja nie.“

Ich beließ es dabei und wir schulterten unsere Jutebeutel und verließen das Haus. Einmal glaubte ich kurz, Gans erstaunten Blick zu sehen, als er bemerkte, dass ich nicht mehr humpelte, doch er sprach mich nicht weiter darauf an, sondern ging einfach weiter in den Wald und wir folgten ihm schweigend.


Kapitel 7

Wir wanderten bereits mehrere Stunden hindurch. Aber das war ja zu erwarten gewesen. Immerhin war ich bei meiner Flucht auch mehrere Stunden, wenn nicht sogar Tage unterwegs gewesen. Und jetzt wollte ich wieder zurück. Mit meinen beiden Gefährten. Um nicht noch mehr Arsanimali zu gefährden, hatten Gan und Fer beschlossen, Fers Rudel erst einmal von mir fern zu halten. Dennoch waren sie in Alarmbereitschaft versetzt, falls ihr Alpha ihre Hilfe benötigen würde. Fer hatte mir kurz erklärt, wie das mit dem Rangordnungsprinzip ablaufe, doch irgendwie war es mir bislang unmöglich gewesen, herauszufinden, warum ausgerechnet Fer das Alphatier geworden war. Nach einer weiteren Stunde beschlossen wir erst einmal Rast zu machen. Bislang hatten wir weder etwas von den Palinas gehört, noch eine Spur von ihnen gesehen, daher stuften Fer und Gan die Situation als ungefährlich ein. Ich war froh über die Pause. Den kleinen Vorrat, den ich mir in dem Haus von Gan angeeignet hatte, hatte ich bereits wieder abgearbeitet und meine Kleidung stank nun nicht nur vor Schmutz, sondern auch nach Schweiß. Zum Glück schien es heute nicht so kalt zu sein, wie am Tag meiner Flucht. Ich sah mich um. Wir waren in der Nähe meines alten Rastplatzes und für einen kurzen Augenblick überlegte ich, einmal dorthin zu gehen, um zu schauen, was aus dem Rentier geworden war, doch dann entschied ich mich anders, als ein dunkler Schatten über die Baumkronen hinwegsegelte. Sofort wies ich Gan darauf hin, der Fer ein Zeichen gab. Wir verbargen uns in den Schatten der Kiefern und versuchten, die Lage einzuschätzen. Es gab nicht viele Wesen, die durch die Luft segeln konnten. Da kamen fast nur Vogelwandler, Drachenwandler, richtige Drachen und leider auch Trinas, die gefährlichen Flugdrachen der Palinas in Frage. Für einen Vogel war der Schatten zu groß gewesen und Drachenwandler waren seit mehreren hundert Jahren nicht mehr gesehen worden. Ich überlegte kurz, was schlimmer wäre. Wenn der Schatten ein Drache wäre oder wenn es ein Trinas wäre. Ich entschied mich für die Trinas, da ihre spitzen Zähne wie bei einem Hai mit Wiederharken versehen waren, die schwere Wunden reißen konnten. Auch ihre hochgiftige Zunge war ein besonderer Augenvermerk für mich. Die normalen Drachen konnte zwar Feuer oder Wasser speien, jedoch musste man bei ihnen nichts außer der Größe und einem gezackten Schwanz fürchten. Die Trinas waren reine Tötungsmaschinen. So hatte es mir jedenfalls Fer erklärt. Er und Gan waren gute Lehrer. Und ich war ihrer Meinung nach extrem wissbegierig, denn ich war eine Schülerin, die extrem viele Fragen stellte. Langsam überlegte ich, ob es vielleicht nicht doch noch gut sein würde, wenn ich wieder zur Schule gehen würde. Wenn auch noch nicht jetzt, wie mir der Schatten, den meine beiden Wächter inzwischen als Trinas identifiziert hatten, deutlich machte. Erst nachdem der Schatten lange fort war, wagten wir uns weiter. Die Pause war längst vergessen und so aßen wir im Laufen und die Beiden erzählten mir mehr über die Arsanimali. Nach zwei Tagen am späten Nachmittag kamen wir endlich in die Waldgebiete, die nahe unseres Hauses lagen. Von nun an waren wir noch vorsichtiger, als ohnehin schon. Als das Haus langsam in Sicht kam, versteckten wir uns in den Büschen und krochen langsam näher. Ich verfluchte die bereits einsetzende Dämmerung und den Tau, der bereits nach kurzer Zeit unsere Kleidung mit kleinen Eiskristallen verhärtet hatte. Das Haus sah schlechter aus, als ich es in Erinnerung hatte. Die Tür hing fast aus den Angeln, die Fensterscheiben waren eingeschlagen und ein unangenehmer Geruch nach Tod lag in der Luft. Angst machte sich in mir breit und ich wollte weiterkriechen, doch Fer hielt mich zurück und deutete auf das Dach. Dort hatte es sich ein Trinas bequem gemacht, das zufrieden blinzelte. Das bedeutete, dass die Palinas nicht weit weg sein konnten. Immer ein halbes Auge zum Dach gerichtet, schlichen wir näher an das Haus heran, bis wir unter dem Fenster knieten. Von drinnen waren zwei kalte, zischende Stimmen zu hören.

„Sie ist uns entkommen. Daran tragen die Beiden die Schuld. Den Kleinen wollte ja unbedingt der Meister. Aber vielleicht können wir uns noch ein wenig mit dem Weib vergnügen. Immerhin war sie auch bereit, uns alle Informationen zu der Kleinen zukommen zu lassen.“

In meinem Gesicht spiegelte sich blankes Entsetzen. Unser Verhältnis war vielleicht in den letzten fünf Jahren etwas gestört gewesen, aber ich würde nicht dabei zusehen, wie man sie vergewaltigte, selbst wenn sie mich, wie es sich anhörte, verraten hatte. Es schmerzte mich leicht, dass mein Bruder nicht mehr hier im Haus war. Doch vielleicht war es auch besser so. Immerhin fiel somit das Risiko aus, dass er bei unserer Rettungsaktion verletzt werden könnte.

„Was ist mit der Flammenbändigerin? Meinst du, sie wird wiederkommen?“

>Flammenbändigerin?< formte Fer lautlos mit den Lippen in meine Richtung. Ich zuckte nur mit den Schultern. Immerhin wusste ich auch nicht, was damit gemeint war. Obwohl… Ich dachte kurz an die Situation vor drei Tagen mit der Hand im Feuer, beschloss dann aber, diese Überlegungen auf später zu verschieben.

„Vermutlich. Immerhin ist hier etwas, was sie unbedingt wieder haben will.“

Sie wollten mich also ködern. Und ich hätte mich, wie ich mich kenne, ködern lassen. Doch immerhin war ich nicht allein. Ich gab Fer und Gan kurz ein Zeichen, woraufhin Fer ein Messer fliegen ließ, dass sich in die Brust des Trinas bohrte. Mit einem dumpfen Schlag fiel das tote Trinas auf den Schnee und sackte durch seine Wucht fast komplett ein. Drinnen schienen zum Glück die beiden Palinas nichts von dem Tod ihres Reittieres mitbekommen zu haben. Kurz schlich Fer sich noch zu dem Trinas, um sein Messer zu holen, dann stürmten wir das Haus. Ich durch das Fenster, Gan durch die Tür und Fer sicherte von hinten. Die Palinas schienen nicht wirklich überrascht von unserem Auftritt zu sein. Eher verärgert. Doch das kümmerte mich nicht. Mit einem Kampfschrei rollte ich mich ab und versuchte dem Palinas meinen Dolch in das Herz zu rammen. Laut Fer die einzige Möglichkeit ihnen ernsthaft zu schaden. Nur war da kein Palinas mehr. Die lebendige Leiche befand sich inzwischen auf der anderen Seite des Raumes und lächelte mich hämisch an. Gan griff währenddessen den anderen Palinas an. Einen Angriff auf meinen Ursprungspalinas andeutend, gelang es mich im letzten Moment, zur anderen Seite zu rollen und dem Palinas, das bislang nur auf Gan geachtet hatte, da ich ja meinen eigenen Palinas hatten, meinen Dolch tief ins Herz zu bohren. Der Palinas stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, bei dem ich um mein überempfindliches Gehör fürchtete und ging unerwartet in Flammen auf. Schnell wich ich zurück. Es blieb nichts als Asche von dem Palinas übrig, die rasch im starken Wind von draußen verweht wurde. Einzig und allein mein Dolch blieb an der Stelle liegen, wo vorher noch der Palinas gestanden hatte. Ich hob ihn auf und drehte mich zu dem anderen Palinas um. Kurz glaubte ich Erstaunen in Gans Augen zu lesen, als er meinen Dolch sah, doch ich hatte in diesem Moment Wichtigeres zu erledigen und schob die Gedanken beiseite. Stattdessen wandte ich mich dem verbliebenen Palinas zu, der den Tod seines Kollegen mit ausdruckloser Miene beobachtet hatte und nun zischte: „Wir wussten, dass Ihr wiederkommt, Flammenbändigerin.“

Flammenbändigerin, was meinte er damit? Wieder kam mir die Szene mit dem Kaminfeuer in den Sinn. Vielleicht…. Plötzlich spürte ich wieder die Hitze und glaubte die Flammen unter meiner Haut tanzen zu spüren, doch noch verbarg ich sie unter meiner Haut. Sie gaben mir Sicherheit und Vertrautheit.

„Dann kannst du nämlich auch das sehen.“

Mit diesen Worten fuhr er einen Dolch direkt durch den schlaffen Oberkörper meiner Mutter, ehe ich überhaupt begreifen konnte, wie er so schnell die Entfernung zwischen sich und dem Kaminfeuer hinter sich bringen konnte.

„NEIN!“, schrie ich und wie aus dem Nichts ging meine Körper in Flammen auf und beleuchtete den ganzen Raum, sodass Gan die Hand vor das Gesicht halten musste, aus Angst zu erblinden. Doch es kümmerte mich nicht. Blanke Wut und Hass loderten in mir hoch und gaben den Flammen Nahrung. Langsam richtete ich meinen Finger auf den Palinas, der wie erstarrt war.

„Flammen, tut eure Pflicht.“

Meine Stimme klang seltsam, fest, doch ich erkannte sie nicht wieder. Wie auf das Kommando meiner Worte zischte ein Feuerstrahl auf den Palinas zu und verschlang ihn innerhalb einer Sekunde, bis nur noch Asche von ihm übrigblieb. Doch nun, da das Feuer geweckt war, hatte ich Mühe, es in Zaum zu halten.

„Carrie…“, hörte ich leise eine Stimme hinter mir. Wer sprach da? War er Freund oder Feind? Und vor allem, wer war Carrie? Mein Name war Ignisaeri.

Kapitel 8

„Carrie…“ Diesmal kam die Stimme vom Fenster. Irgendetwas in mir sagte, dass ich den Jungen mit den moosgrünen Augen und den weißblonden Haaren kannte, doch ich konnte ihn nicht einordnen. Ein Gefühl stieg in mir hoch, wie eiskaltes Wasser, das in mir hochfloss und mir augenblicklich die Haare zu Berge stehen ließ. Es war unangenehm, doch ein Instinkt in mir sagte, dass ich mich an es klammern sollte. Die Flammen in und um mich herum wurden schwächer und plötzlich fiel mir alles wieder ein. Der Junge am Fenster war ein Gestaltwandler, Alphatier und sein Name war Fer. Und der der Andere. Das war doch Gan, der Heilmagier. Meine Freunde. Meine Ersatzfamilie. Hätte ich sie gerade wirklich ohne mit der Wimper zu zucken angegriffen? Erschrocken starrte ich auf die Stelle, auf der der Palinas vor wenigen Minuten in Flammen aufgegangen war. Durch mich. Diese Tatsache ernüchterte mich dermaßen, dass sämtliche Flammen verschwanden und sogar die Flamme in meinem Inneren zu einem kümmerlichen Funken wurde. Eine unangenehme Leere breitete sich in mir aus, als ob es fehlen würde. „Es tut mir so leid.“, schluchzte ich, plötzlich von meinen Gefühlen überrollt und brach zusammen.

Ich wusste nicht, wie lange ich weinend auf dem Boden kauerte, auf dem vor wenigen Minuten drei Wesen umgekommen waren. Zwei Palinas und meine Mutter. Ich weinte heftiger und konnte gar nicht mehr aufhören. Das war alles zu viel. Innerhalb weniger Minuten hatte ich zwei menschenähnliche Wesen ermordet und meine Mutter umgebracht. Und die Flammen in mir beunruhigten mich dermaßen, dass ich richtig Angst vor mir bekam. Was, wenn ich mich eines Tages nicht im Griff haben würde? Würde ich alles zerstören, was mir Lieb und Teuer war? Es brauchte einen Moment, bis ich dem Arm um meine Schulter bemerkte. Ein vertrauter Geruch nach Kiefernwaldharz und Veilchen wehte in meine Nase und sofort wusste ich, wer mich da in die Arme geschlossen hatte. Doch ich schaute nicht auf, sondern weinte weiter, bis ich sämtliche Tränen verbraucht habe.

„Wir sollten weiter…“, ließ Gan leise verlauten, so als traute er sich nicht unsere vertraute Szene zu stören, doch ich kuschelte mich nur enger an Fer, sog seinen Duft in die Nase, nach dem ich fast süchtig zu sein schien und entlockte im so ein leises Schnurren.

„Wird das jetzt immer so sein?“, beschwerte mich leise, konnte mir jedoch ein leichtes Lächeln nicht verdrücken.

Gan gab ein Drucksen von sich, das sich nach einem unterdrückten Lachen anhörte und in einem verhaltenen Husten endete, doch ich spürt, wie Fer es bemerkt hatte und ihn scharf ansah.

„Verzeihung.“, gab Gan zu verstehen und versuchte reuevoll zu klingen, was ihm misslang, doch Fer ging nicht weiter darauf ein. Sie tauschte noch ein paar Blicke, dann seufzte Fer.

„Du hast Recht. Wir sollten weiter. Hier wird es bald nur so von Palinas wimmeln.“

Ich nickte, sog noch ein letztes Mal seinen Duft in die Nase, was Fer ein leises Lachen entlockte und mein Herz schneller schlagen ließ und stand schließlich mit noch wackligen Beinen auf. Fer schaute kurz, ob ich alleine stehen konnte, dann griff er nach einem Holzscheit aus dem noch immer brennenden Kamin.

„Es wird Zeit, deine Mutter zu begraben.“, sagte er und ich wusste, dass ihr nicht mehr als eine Feuerverbrennung zuteilwerden würde. Und egal, wie schlecht sie mich in den letzten Jahren behandelt hatte, in diesem Moment tat sie mir einfach nur Leid. Doch ich nickte langsam. Die Flammen loderten etwas stärker, als sich Fer mir näherte und mich schon fast aus dem Haus scheuchte, Gan hinterher. Dann drehte er sich um und warf die Fackel auf die Hütte. Das Strohfelldach fing sofort Feuer, da wir es stets von Schnee befreit und die Sonne das Stroh schnell trocknen gelassen hatte. Mit dem Stroh als Brennmateraterial dauerte es nicht lange, bis schließlich die ganze Holzhütte in Flammen aufging und mit ihr mein Zuhause. Ich warf der Hütte noch einen kurzen Blick zu und wieder schimmerten Tränen in meinen Augen, doch ich wusste, dass ich meine Kraft brauchen würde und ließ mich schließlich von Fer mitziehen, der bereits Gan gefolgt war und sich zurück in den Wald zog.

Stundenlang stolperte ich hinter den Beiden hinterher, ohne überhaupt richtig wahrzunehmen, wo ich langlief. Sowohl Gan als auch Fer hatten sich komplett in Schweigen gehüllt und lediglich ein paar Blicke ausgetauscht, die ich in meiner Trance jedoch nicht weiter beachtete. Ich stolperte über eine Wurzel und kam schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Wir befanden uns an der Stelle, wo Fer und ich uns das erste Mal begegnet waren. Was für eine Ironie des Schicksals. Ich ließ mich zu Boden sinken, als mich urplötzlich alle Kräfte verließen und es gelang mit beim besten Willen nicht mehr aufzustehen. Fer brauchte nur drei Schritte, bis er bemerkte, dass ich ihm nicht mehr folgte. Er fuhr herum und stieß einen leisen Pfiff aus, als er mich auf dem Boden hocken sah mit leeren Augen, woraufhin auch Gan den Kopf hob und schnell Fer folgte, der zu mir geeilt war.

„Alles in Ordnung?“, fragte Fer. Ich schüttelte den Kopf und nickte gleichzeitig. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fühlte mich noch immer seltsam leer und meine ganze Welt schien von einer Sekunde auf die Andere zerbrochen zu sein, sodass ich nicht einmal mehr wusste, wo ich hingehörte.

„Ich-“ gelang es mir schließlich zu sagen, ehe meine Stimme bracht, doch Gan schien zu verstehen. Er überprüfte kurz meinen Puls und sah mir dann fest in die Augen, ehe er mich schließlich in den Arm nahm, wie vorhin Fer es auch schon getan hatte. Ich spürte kurz den Widerwillen, mit dem er Das tat, so als hätte er Angst vor mir und ich versteifte mich kurz, ehe ich seine Umarmung erwiderte. Wieder spürte ich, wie sich warme Tropfen den Weg über meinen Wangen bahnten und schließlich in den Schnee fielen, der augenblicklich zu schmelzen begann, dank der unglaublichen Hitze, die ich auch in meinen Tränen verströmte. Wieder etwas, was nicht so sein sollte, wie mir mein Unterbewusstsein leise mitteilte. Ich gab ihm im Stillen Recht und schaute zu Fer. Er betrachtete mich nachdenklich, ehe er trocken feststellte.

„Wir sollten reden.“

Ich nickte und Gan rückte ein Stück von mir ab, ehe er sich vorsichtig neben mir sinken ließ. Kurz glaubte ich, tiefe Erschöpfung in seinen Augen aufblitzen zu sehen, die jedoch im nächsten Moment verschwunden war. Fer ließ sich an meiner anderen Seite fallen, wobei es viel anmutiger aussah als bei dem Heiler und legte mir seinem Arm um die Schulter. Dankbar schaute ich ihn an. Trotz der anfänglichen Kennlernschwierigkeiten gelang es ihm wie keinen anderen mir Wärme zu spenden; selbst der Heilmagier konnte mir nicht so ein Wohlgefühl vermitteln wie mein Gestaltwandler. Mein Gestaltwandler, wie das klang. Zum ersten Mal überlegte ich, ob das Gefühl, dass ich Fer gegenüber empfand, mehr war, als dass was man einem Bruder entgegenbrachte. Kurz dachte ich an Lak und die Gefühle, die ich ihm gegenüber empfunden hatte, ehe mein Vater verschwand. Danach war sowieso nichts mehr so gewesen wie in einer harmonischen Familie, deswegen suchte ich lieber dieses Gefühl auf. Doch das Gefühl war anders. War das etwa Liebe? Ich hatte bislang nur davon gehört, doch es war so ein sonderbares Gefühl, das ich kurz darüber nachdachte später mit Gan darüber zu reden, wenn Fer nicht dabei war. Immerhin war er so etwas wie ein Arzt und würde sich sicher auch mit dem psychischen System auskennen.

„Warum hat du uns nicht erzählt, dass du eine Flammenbändigerin bist?“, fragte Gan leise und riss mich so aus meinen Gedanken. Ach ja, wir wollten ja reden. Gans Stimme war ausdruckslos, doch ich spürte die ganzen Gefühle hinter diesen Worten und sie gefielen mir nicht. Angst, Misstrauen, Anklage, verletztes Vertrauen und so etwas wie Bewunderung.

„Was ist eine Flammenbändigerin?“, fragte ich ebenso leise. Flammenbändigerin. Wie sich das schon anhörte. Als würde ich den Flammen vorschreiben können, wie sie sich zu verhalten hatten. Die Flammen, die stets wie in einem ewigen Fangespiel umeinander schlängelten in ihrer Gier, die besten Holzstückchen zu erwischen und in ihnen neue Gestalten zu erschaffen. Doch dann dachte ich an die Situation in der Hütte. Genau das hatte ich aber gemacht, oder? Anders konnte ich mir den Feuerstrahl und die Flammen unter und auf meiner Haut nicht erklären. Und dann war da noch der Name. Ignisaeri. Hätte mich so nicht auch der Mann in meinen Träumen bezeichnet, den ich immer für meinen Vater gehalten hatte? Plötzlich zweifelte ich daran, dass überhaupt etwas in meinem bisherigen Leben der Wirklichkeit und Wahrheit entsprochen hatte. War meine Familie wirklich meine Familie? Und wo war der Mann, den ich stets für meinen Vater gehalten hatte, bei dem mir mein Gefühl jedoch inzwischen sagte, dass dies nur mein Ziehvater war?

Fer und Gan tauschten einen verwirrten Blick. Erst da erinnerte ich mich wieder an meine Frage. Sie schienen nicht zu verstehen, dass ich keine Ahnung hatte, was ich ihrer Meinung angeblich sein sollte und möglicherweise auch war. Wieder bekam ich Zweifel, ob ich mich in der richtigen Gesellschaft befand, doch mein Instinkt sagte mir immer noch, dass ich ihnen vertrauen konnte und sollte. Und außerdem liebte ich doch Fer, oder?

„Das kann aber nicht sein!“, stellte Gan immer noch so leise und offenbar fassungslos fest. Mein Blick glitt kurz über die Beiden.

„Nun ja, offensichtlich weiß ich es nicht. Also bitte klärt mich auf!“, verlangte ich mit ruhiger Stimme.

Gan seufzte, erfüllte jedoch meine Bitte. „Wir haben dir doch von einem fürchterlichen Krieg erzählt, der die Parallelwelt ausgelöscht hat. Doch das war nicht das Einzige, was zu jener Zeit endete. Früher gab es auch noch Elementarbändiger, die mithilfe ihrer Elemente wahre Wunder vollbringen konnten und halb in ihrem Element lebten. Doch der Krieg fuhr auch über ihre Lande und nahm alles mit, was ihm in die Quere kam. Laut einer Legende sei vor allem ein gewisser schwarzer Magier an ihrer Ausrottung beteiligt gewesen, doch genaueres weiß ich auch nicht darüber. Jedenfalls endete mit der Zerstörung der Parallelwelt auch die Existenz der Elementarbändiger.“

Kurz machte er eine Pause und ich glaubte die Schlacht der Elemente vor meinem inneren Auge aufblitzen sehen, gefolgt von einem grausamen Bild von Schädeln zwischen zerstörten Zelten und abgebrannten Ruinen. Asche lag wie ein schwerer Schleier in der Luft und nur ein paar Wölfe waren noch unterwegs auf der Suche nach etwas Nahrung. Es fröstelte mich.

„Die Ausrottung der Elementarbändiger oder Elementarkrieger, wie wir sie gerne genannt haben, hat uns alle schwer getroffen, denn sie waren stets auf der Seite des Lebens gewesen und haben ihre Elemente stets genutzt, um Gutes zu vollbringen, und nur zur Notwehr sie als Waffe verwendet. Doch es war für uns alle eine schwere Zeit und so begruben wir schließlich die Erinnerungen an sie und sie wurden zu einer Legende.“

Wieder kroch eine Gänsehaut über meinen Rücken und ich glaubte eine unangenehmen Druck der Schwere auf meiner Brust zu spüren, so als würde ich mich an die damalige Zeit erinnern.

„Du hast doch schon einmal von Yggdrasil, der Weltenesche gehört, oder?“, fragte auf einmal Gan. Ich nickte nur, konnte nicht sprechen.

„Kurz bevor sich das Tor zu der anderen Welt endgültig verschloss, überbrachte der Wind eine Nachricht von Yggdrasil, der unter anderem beide Welten miteinander verband. Eine Nachricht, die von vielen eher als Prophezeiung zu gedeutet wurde und für einige Unruhe unter allen Arsanimali sorgte.

>Das Feuer verbrenne, wenn die Stunde schlägt, Kriegsgeflüster und Tod in der Nacht, ein Drache sich erhebt und das Ende gebracht. Doch ein Drachenmensch allein, nur Elemente der vier, kann alle vereinen, im Kampfgewirr. Ein Drachenmädchen aus Flammen, das Dunkel verdrängt, bringt die Bändiger beisammen und das Schicksal aller erhängt<

So hieß es in der Prophezeiung und aus Angst ließ das Böse, welches noch immer versteckt unter uns weilte, jedes Mädchen überwachen, dass auch nur ansatzweise für die Prophezeiung zutreffen konnte. Es folgte noch mehr Tod, denn keiner wollte ein unnötiges Risiko eingehen. Und so ist es geblieben, bis heute.“, schloss Gan und verstummte.

Doch mir ging die Prophezeiung nicht aus dem Kopf. Allmählich wurde mir bewusst, was für eine Aufgabe mir zuteilwerden sollte, denn ich schien wirklich die gesuchte Flammenbändigerin zu sein. Aber was hatte es mit den Drachen auf sich? Und ich wollte keinen weiteren Krieg. Meine Träume reichten mir vollkommen aus. Wieder fröstelte es mir.

„Ich will keinen Krieg!“, stellte ich leise fest, obwohl ich wusste, dass ich keine Wahl haben würde.

„Ich weiß.“ Fer nickte und zog mich fester in die Arme.


Kapitel 9

Ich wusste, dass wir nicht ewig hier sitzen bleiben konnten, doch ich fühlte mich in Fers Armen so wohl und das was ich alles inzwischen wusste, war mehr als schockierend gewesen. Ich bemühte mich dennoch um Fassung und holte tief Luft.

„Wie wird es nun weitergehen?“ Meine Stimme war fast nur ein hoffnungsloses Flüstern und unbewusst streichelte Fer mir über den Rücken.

Plötzlich hörte ich ein hohes Heulen in der Nähe. Sofort sprangen wir auf und ich griff nach meinem Dolch, während Fer aufmerksam umherspäte und Gan versucht, mich mit seinem Körper zu verbergen.

„Versuche deine Flammen zu bändigen!“, zischte Gan leise und ich bemerkte, dass ich durch meinen Schreck die Flammen herbeigerufen hatte, die erneut einen Tanz auf meiner Haut aufführten. Schnell versuchte ich mich zu beruhigen und die Flammen verschwanden. Es klappte immer besser und langsam schien ich meine Flammen im Griff zu haben. Innerlich lächelte ich, doch meine Hand schloss sich nur fester um den Dolch, als ich es in der Nähe knacken hörte.

„Wer ist da! Zeigt euch!“, rief Fer unerschrocken. Kurz herrschte Stille und ich hielt den Atem an. Doch dann raschelte es erneut, diesmal direkt im Gebüsch vor uns und ein Mann trat hervor. Graugrüne Augen, schwarzes, kurzes Haar und ein stechender Blick fesselten uns für einen Moment. Doch dann entspannte sich Fer etwas.

„Was gibt es, Olne?“ Die Beiden schienen sich zu kennen und unwillkürlich fiel auch die Anspannung von mir ab, doch ich behielt meinen Dolch für den Notfall in der Hand.

„Verzeiht, dass ich euch erschreckt hab, Fer. Aber ich habe dringende Nachricht von Ope!“ Er warf uns einen kurzen Blick zu, als wüsste er nicht, ob er uns trauen sollte. Kluges Kerlchen, dachte ich mir und für einen Moment vergaß ich meine Sorgen.

„Sie gehören zu mir.“, stellte Fer kurz klar. „Also was gibt’s?“ Langsam wurde er deutlich ungeduldig. Obwohl ich mir nicht genau sicher war, ob ich damit seine Autorität untergraben würde, ging ich zu ihm und nahm seine bereits zitternde Pranke fest in meine Hand. Ein kurzer Druck und Fer wurde deutlich ruhiger, so als ob ich ihm genauso viel Sicherheit geben würde, wie er mir. Der Mann, Olne, warf mir einen kurzen überraschten Blick zu, antworte jedoch schnell seinem Alpha, wie ich an der unterwürfigen Position seinerseits schnell festgestellte hatte.

„Sie hat Probleme bei der Geburt. Es liegt verkehrt rum. Sie braucht dich jetzt, sonst wird sie das Junge und vielleicht sogar ihr Leben verlieren.“ Er schien wirklich verzweifelt und ich wollte auch ihn in den Arm nehmen, als mir seine Gefühle bewusst wurden, doch Fers Druck auf meiner Hand ließ mich an Ort und Stelle stehen bleiben. Nun schien er derjenige zu sein, der mich hielt. Ich lächelte innerlich angesichts der Situationsänderung, ehe ich sofort wieder ernst wurde und ich Fer mithilfe eines weiteren Drucks meinerseits signalisierte, dass ich der unbekannten Ope und ihrem Jungen helfen wollte. Fer schluckte, warf mir noch einmal einen Blick zu und tauschte mit Gan ein Nicken aus. Dann nahm er meine und seine Sachen und rannte in einem Atemberauschenden Tempo hinter dem Unbekannten hinterher, sodass Gan und ich Mühe hatten mitzuhalten. Die Situation hatte mich alles andere vergessen lassen und ich beschloss noch während ich lief, die Prophezeiung erst einmal Prophezeiung sein zu lassen und zu schauen, ob wirklich ich die gesuchte Flammenbändigerin war. Meine schmerzenden Füße waren längst vergessen. Wieder stolperte ich über eine hervorstehende Wurzel und ich verfluchte meine Ungeschicklichkeit, ließ mich jedoch einfach abrollen und rannte weiter. Gan warf mir kurz einen beunruhigten Blick zu, schien aber beruhigt zu sein, dass ich einfach weiterrennen konnte. Die Nacht flog an uns vorbei und ich hatte Fer und Olne schon lange aus den Augen verloren. Doch tief in meinem Herzen wusste ich, dass wir in die richtige Richtung liefen und wie durch ein Band, dass zwischen mir und Fer herrschte, rannte ich so hinter ihm her, immer darauf bedacht den keuchenden Atem von Gan hinter mir zu hören, denn ich wollte ich nicht auch noch verlieren. Plötzlich war das Gefühl weg und ich stoppte so abrupt, das der Heiler in mich stolperte, doch es gelang mir mein Gleichgewicht zu halten.

„Warte.“, zischte ich unnötigerweise, denn Gan war bereits stehengeblieben und sah mich nur fragend an, ehe er skeptisch den dunklen Wald musterte, als fürchtete er, dass wir uns komplett verirrt hatten. Doch ich drehte mich nur in alle Himmelsrichtungen und ließ mich durch das Gefühl in meinem Inneren leiten. Im Süden schlug mein Instinkt an und ich beschloss nach rechts abzubiegen und dort weiter zu rennen. Fluchend begann Gan erneut hinter mir herzurennen und ich wusste, dass er am Ende seiner Kräfte war. Doch ich hatte keine Zeit, darauf Rücksicht zu nehmen. Der Wald wurde immer lichter und endlich leuchtete der Mond wieder durch die Bäume und ließ uns wenige Minuten später atemlos auf einer kleinen Lichtung ankommen. Kurz sah ich mich um, als ich auch schon ein Knurren rechts von mir vernahm.

„Vorsicht!“, wisperte ich leise, denn mein Instinkt sagte mir, dass das mindestens drei Tiere sein mussten. Woher ich das wusste, konnte ich jedoch nicht genau sagen. Gan nickte kaum merklich.

„Bitte nicht angreifen, wir kommen in Frieden.“, erhob ich das Wort. Trotz meines inneren Kampfes war meine Stimme fest, worauf ich sehr stolz war.

„Wir sind Freunde von Fer.“, ergänzte Gan, der meinem Blick ins Unterholz gefolgt war, aus dem nun drei Paar Augen hervorleuchteten. Die Nervosität in seiner Stimme war deutlich zu vernehmen. Ich stellte mich unauffällig etwas fester hin, bereit jeden Moment zu meinem Dolch zu greifen, der wieder sicher in meinem Gürtel ruhte. Anstatt einer Antwort verschwand plötzlich das vorderste Augenpaar und ich machte mich auf alles gefasst. Stattdessen trat ein Mann in einem Umhang aus dem Gebüsch.

„Ist das wahr?“, fragte er leise. Seine Stimme war mit einem Knurren zu vergleichen. Ich nickte nur, während ich Gan laut schlucken hörte. Die Muskeln, die sich undeutlich unter dem Umhang erahnen ließen, machten ihm eindeutig Angst. Doch in seinen Augen sah ich die Erfahrung, die er bereits mit ähnlichen Situationen gemacht hatte und ich war mir sicher, dass seine Angst nicht unbegründet war. Doch ich blieb dennoch standhaft.

„Bitte führt uns zu ihm.“, forderte ich. Noch immer ließ ich keine Spur von der Angst in mir nach außen dringen. Die Flamme in mir war bereits größer geworden, bereit mich jederzeit zu beschützen. Ich spürte die tröstende Wärme, die von ihr ausging und sie schenkte mir Kraft, doch ich hielt sie wie in der Hütte in Untergrund, sodass keine Flammen kamen.

Der Mann durchbohrte uns mit seinen Blicken, beschloss dann aber, dass wir keine ernsthafte Gefahr darstellen würden.

„Folgt mir!“, befahl er. Wie aus dem Nichts lösten sich zwei schwarze Panther aus der Dunkelheit und so bleib uns nichts anderes übrig, als dem Kapuzenmann zu folgen, gefolgt von dem zwei Leibgarden. Ich spürte die Flammen, die immer kräftiger nach außen zu dringen versuchten, doch ich beruhigte sie und gab ihnen zu verstehen, dass ich zwar dankbar für ihre Hilfe sei, jedoch nicht von einer Gefahr ausging. Sie glaubten mir nicht, dass spürte ich deutlich, doch sie zogen sich zurück und das Leuchten, dass von meinen Augen ausgegangen war, verblasste. Zum Glück schien niemand etwas von meiner beginnenden Verwandlung mitbekommen zu haben. Nur Gan warf mir einen kurzen Blick zu, hatte scheinbar jedoch keine Angst mehr von mir, sondern schien sich von Minute zu Minute durch meine Gegenwart sicherer zu fühlen.

Wir kamen an immer mehr Schatten vorbei, manche in Tierform, andere in graugrünen Tarnmänteln gehüllt. Nur einmal glaubte ich kurz ein Mädchen mit roten Haaren durch die Zeltstadt huschen zu sehen, dass sich jedoch schnell mit dem Schatten eines streunenden Fuchses verband und aus meinem Blickfeld verschwand. Immer mehr Blicke trafen uns. Wir waren eindeutig nicht willkommen. Manche der Raubtiere knurrten, anderen waren bereits sprungbereit, jederzeit bereit sich auf uns zu stürzen, sollte einer von uns eine falsche Bewegung machen. Kurz überlegte ich, ob es gut gewesen war, Fer zu folgen und sich so direkt in die Höhle des Löwen zu begeben, selbst wenn Fer das Alphatier war. Immerhin war Fer gerade nicht da. Doch mein Herz sagte mir, dass Fer mich brauchte und ich wusste, dass ich ohne ihn diese ganze Entwicklung, die noch auf mich zukommen würde nicht überstehen würde. Ich wurde mir immer sicherer, dass ich Fer liebte. Immer mehr Raubkatzen begleiteten unsere Kolone, bis ich plötzlich Fer entdeckte, der unruhig vor einem der Zelte auf und abging.

„Fer.“, rief ich überglücklich aus und rannte los, ohne auf das Knurren und Fauchen der Anderen zu achten. Doch mein Herz strahlte und wollte nur noch endlich wieder seinen Duft in der Nase haben und das Gefühl von Sicherheit fühlen, dass ich stets nur in seiner Nähe empfand. Fer schaute erschrocken auf, doch als er mich sah, sprang seine Miene erst von Hoffnungslosigkeit zu Erstaunen und schließlich zu Freunde.

„Carrie!“, rief er ebenso erfreut und breitete die Arme aus, in die ich überglücklich sprang, ehe eines der Tiere mich erreichen konnte.

„Was macht ihr hier? Wie habt ihr hergefunden? Es tut mir Leid, dass ich einfach fortgerannt bin, aber-“

Doch ich hielt ihm einfach den Mund zu und flüsterte. „Ich weiß.“

Kurz merkte ich, dass mich der Drang durchfuhr ihn zu küssen, doch ich wusste, dass er noch nicht soweit war und wie das mit mir war, konnte ich sowieso nicht sagen.

Ein Stöhnen aus dem Zelt riss mich schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Oh mein Gott, was tat ich hier. Anstatt Fer zu umarmen, sollte er lieber bei Ope sein. Er musste ihr doch helfen.

„Doc. Carrie. Ich brauche euch!“, stellte Fer fast schon mit gebrochener Stimme fest und ich merkte wie verzweifelt er war.

Ich nahm ihn noch einmal tröstend in die Arme und schaute mich zu Gan um. Er stand, von den Raubtieren umzingelt, immer noch an der Stelle, an der ich losgerannt war. Die Gestaltwandler schienen sich nicht ganz sicher zu sein, wie sie sich zu verhalten hatten, da mich Fer ebenso stürmisch begrüßt hatte, wie ich ihn und sowohl ich als auch der andere Fremde ihrem Alpha bekannt zu sein schien.

„Lasst ihn durch!“, befahl Fer, als er die Versammlung um Gan bemerkte. Sofort wichen die Raubtiere zurück und ich war fasziniert von ihrer Treue zu Fer. Schnell eilte Gan zu uns, noch einmal einen skeptischen Blick zu den großen Tieren an beiden Seiten des Weges werfend, doch sie ließen ihn durch.

An Fers Seite betraten Gan und ich schließlich das Zelt, in der bereits eine Frau mit dreckigen blonden Locken lag, die Beine weit gespreizt und eine Mischung zwischen Keuchen und kleinen Schreien ausstoßend. Vor Anstrengung waren ihre Fingerknöchel weiß, die Hände zu Fäusten geballt. Von einer Geburt hatte ich bislang lediglich im Biologieunterricht an der Schule gehört, war jedoch noch nie dabei gewesen. Dem Heiler schien dies jedoch kein unvertrautes Bild zu sein.

„Wie lange hat sie schon Wehen?“, fragte er ruhig, zog sich Sterile Handschuhe an und kniete sich zwischen den Beinen der Frau nieder, die ihn mit ängstlichem Blick betrachtete.

„Keine Angst, ich bin ein Heiler.“, sprach Gan auf ein verängstigtes Quicken von ihr mit ruhiger Stimme, als er ihre Beine etwas weiter spreizte, um mehr sehen zu können.

Auf Fers Zeichen hin kniete ich mich zu dem Kopfende der Frau hin und hielt ihren Kopf hoch und legte ihn auf meinen Oberschenkeln ab, während Tränen an ihren Wangen herunterflossen.

„Ope. Ich möchte, dass du keine Angst hast. Das sind Freunde von mir und sie versuchen dich und das Kleine so gut wie möglich zu unterstützen. Hast du mich verstanden?“ Fers Stimme hatte fast etwas Zärtliches. Stolz merkte ich, dass er sich um jedes Mitglied seines Rudels wie ein Vater kümmerte. Ope nickte nur und weitere Tränen rannen ihre Wangen runter.

„Sie hat bereits alle paar Minuten Wehen. Sie klagt bereits seit Tagen über Schmerzen unterhalb der Rippen und Tritte an der Blase, daher vermuten wir eine Steißlage. Du solltest das Kind jetzt drehen!“, fuhr Fer an Gan gewandt fort. Der Heilmagier nickte nur und begann in Opes Unterleib einzutauchen. Ope stieß einen Schrei aus und Blut lief aus ihrer Scheide, doch der Heiler ließ sich nicht verunsichern. Mit fachmanischer Hand tastete er den Embryo von innen an und wandte sich dann an mich.

„Ich denke, wir können eine Vaginale Geburt versuchen. Spreche beruhigend auf sie ein. Ich werde jetzt versuch ihr Junges zu drehen.“ Ich nickte, ohne mir im Klaren darüber zu sein, was ich zu tun hatte. Dennoch zwang mich zur Ruhe. Immerhin stand hier mindestens das Leben eines Gestaltwandlers auf dem Spiel.

„Bleib ganz ruhig, Ope. Das Kind liegt zwar verkehrt herum, aber das bekommen wir hin. Der Heiler wird nun versuchen dein Kind zu drehen. Dies wird vermutlich sehr schmerzhaft werden, aber ich sehe, dass du eine starke Frau bist und denke an das Kind.“ Den letzten Satz sagt ich eindringlich und hielt ihren Kopf fester, als Gan seine zweite Hand in den Unterleib der Frau versenkte und sie einen weiteren Schrei ausstieß. Aus sie mit den Füßen zu strampeln anfing, fluchte Gan, wurde jedoch sofort von Fer unterstützt, der besorgt zugesehen hatte und nun zwei Männer von ihm anwies die Beine der Frau in Position zu halten. Weitere Minuten vergingen, in denen der Heilmagier verzweifelt versuchte den Embryo zu drehen. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und die Frau schrie inzwischen ununterbrochen, während ich weiter auf sie, mit wie ich hoffte beruhigender Stimme, einredete.

„Es wird alles Gut, Ope. Gleich haben wir es geschafft!“, spornte ich sie an. Endlich zog Gan seine Hände aus ihrem Unterleib und ließ sich zitternd nach hinten fallen.

„Es ist vollbracht. Das Junge liegt nun richtig herum. Ich habe die Nabelschnur so gedreht, dass es nicht gefährdet ist. Jetzt liegt es an euch, Ope. Nun müsst ihr pressen.“ Ope nickte und begann.

Ich ermutigte sie weiter und vollführte nach den Anweisungen des Heilers die Atemübungen für eine Geburt. Immer weiter öffnete sich der Geburtskanal und Gan gab mir ein Zeichen, wonach ich Ope weiter ermutigte.

„Pressen, Ope. Jetzt musst du pressen.“ Es brauchte noch drei weitere Stöße, bis endlich der Kopf zu sehen war. Ope war inzwischen am Ende ihrer Kräfte, doch ich ermutigte sie weiterzupressen. Der Wind draußen rüttelte am Zelt und schien immer stärker zu werden, doch niemanden von uns kümmerte es.

„Noch einmal, dann hast du es geschafft.“, hob ich ein letztes Mal an und Ope presste. Vorsichtig fing der Heiler das Baby auf.

„Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Junge.“, gratulierte Gan der erschöpften Mutter und wollte zu der bereitgelegten Decke greifen. Nach dem besorgten Blick von ihm zu urteilen, schien sie ihm jedoch viel zu kalt zu sein. Die Minusgrade hatten wohl auch den Boden des Zeltes gefrieren lassen und die Decke hatte im Gegensatz zu der Mutter nicht auf einem Stapel von Decken gelegen.

„Carrie, könntest du den Kleinen bitte wärmen. Aber verbrenne ihn nicht.“, gab mir Gan leise zu verstehen und spähte vorsichtig zu den beiden Männern herüber, die die Beine von Ope gehalten hatten, doch sie schienen nichts gehört zu haben. Wieder nickte ich, doch Angst stieg in mir hoch. Hatte ich meine Flammen schon genug unter Kontrolle? Gan reichte mir den in die Decke gewickelten winzigen Jungen, der noch immer nicht schreien wollte, sondern aus strahlenden hellgrauen Augen glücklich die Welt zu betrachten schein. Noch immer leicht verunsichert rief ich die Flammen und ließ sie vorsichtig um die Decke tanzen, bedacht darauf den winzigen Körper nicht zu verletzen. Doch meine Flammen waren so winzig, das sie kaum sichtbar waren und lediglich eine angenehme Wärme, wie der Funken in mir verbreiteten. Auf einmal fuhr ein Windhauch durch einen Spalt in der Zeltöffnung und strich mir fast dankbar durch die Haare. Ich betrachtete den Jungen näher. Seine Augen schienen bei dem Windhauch fast weißgolden aufgeleuchtet zu haben und ein Schauer erfasste mich, als ich bemerkte, dass etwas mein Geist berührte, jedoch mich noch nicht erreichen konnte. Tief in meinem Herzen spürte ich, dass gerade ein kleiner Luftbändiger geboren worden war, doch ich behielt mein Wissen für mich und übergab den Kleinen nur mitsamt der angewärmten Decke in die verlangenden Arme der erschöpften Mutter, nachdem ich sämtliche sichtbare Flammen an der Decke beseitigt hatte.

„Habt dank. Er ist wunderschön.“ Ope schien den Tränen nahe zu sein, so glücklich war sie und ich lächelte ebenso erfreut.

„Habt ihr einen zweiten Namen?“, fragte sie mich plötzlich und ich stockte kurz.

„Ja. Elisabeth“, ließ ich kaum wahrnehmbar vernehmen.

„Dann soll mein Sohn Elias heißen, nach seiner Geburtshelferin.“, sprach Ope fast feierlich aus und mir stiegen die Tränen in die Augen. Der Kleine sollte nach mir benannt werden. Aber wieso nach mir und nicht nach dem Heiler? Doch dann bemerkte ich den Blick, den sie mir zuwarf. Er war voller Liebe und unwillkürlich musste ich lächeln.

„Danke, Ope.“, erklärte ich ebenso den Tränen nahe. Ope lächelte noch einmal und drückte ihren Sohn fester an sich, der sich glücklich an sie schmiegte und einschlief, worauf sich augenblicklich der Wind zu legen schien, was jedoch nur mir auffiel, wie ich nach einem Blick in die Runde feststellte. Auch Ope hatte sich erst einmal einen Erholungsschlaf verdient. Immerhin war die Geburt sehr anstrengend gewesen, jedoch nach anfänglichen Schwierigkeiten problemlos verlaufen. Der Heiler entfernte noch kurz den Muttermund und die Nachgeburt, dann gab er der Mutter einen Beruhigungstee und ließ sie mit zwei weiteren Decken versorgt schlafen.

Ich lächelte noch einmal auf die kleine Familie herunter, dann drehte ich mich zur Fer um, der wie ich total erschöpft wirkte.

„Fer?“, fragte ich ihn müde. „Habt ihr vielleicht noch eine Decke für mich oder wenigstens einen Umhang, damit ich mich auch ein paar Stunden ausruhen kann, ehe ich wieder los muss?“

Fer schreckte hoch und sah mich erschrocken an. „Du kannst jetzt nicht weg!“, stellte er klar.

Ich seufzte nur. Diese Situation kam mir nur allzu bekannt vor.

„Und warum dieses Mal nicht?“, fragte ich ihn fast schon angriffslustig.

„Weil du.. weil ich…“, begann er herumzustottern und unwillkürlich schlug mein Herz schneller.

Gan schien die problematische Situation seines Freundes jedoch gut zu verstehen, denn er sprang ihm sofort bei.

„Ich finde Fer hat Recht. Wir sollten nichts überstürzen. Aber gegen eine Möglichkeit zu schlafen hätte ich auch nicht.“, gab er schließlich zu.

Fer nickte langsam. „Natürlich! Wers führ sie zu Zelt 40a. Und sie stehen unter meinem Schutz und sie meine Gäste. Sollte es auch nur einer wagen, ihnen zu Nähe zu kommen, dann…“, er ließ seinen Satz unvollendet, doch der angesprochene Mann nickte und führte mich und Gan an den anderen Gestaltwandlern vorbei, die sofort eine Gasse bildeten, als sie uns vorbeischreiten sahen und auf ein größeres dunkelgrünes Zelt zu.

„Fer hat euch als seine Gäste eingeladen. Also haltet euch an die Regeln eures Gastgebers.“, betonte er streng und fügte dann noch leise ein „Danke, dass ihr Ope geholfen habt!“, ein. Kurz schien er etwas verunsichert, dann drehte Wers sich um und verließ das Zimmer.

Ich schaute mich etwas genauer im Zelt um. Zwei Feldbetten standen zu beiden Seiten des Zeltes und ließen nur eine schmale Gasse in der Mitte frei, in der zwei Zeltstangen in die Höhe ragten und das Zelt in seiner Form hielten. Ich ließ mich auf einem der Feldbetten nieder und schüttelte die daraufgelegte Decke aus, sodass sie einmal quer über die Liege gebettet war.

„Danke, Carrie für deine Hilfe.“, meinte der Heiler noch schnell, ehe er unter seine Decke schlüpfte. Er hatte sich auf den Feldbett auf der anderen Seite niedergelassen.

„Danke für dein Vertrauen in meine Flammen“, gab ich zurück und wir lächelten uns gegenseitig an, ehe wir beschlossen, uns etwas auszuruhen. Erst jetzt fiel mir wieder ein, wie viel noch auf mich wartete. Aber jetzt nach der Geburt war ich sicherer mit meinen Künsten geworden und eines hatte ich mit Sicherheit festgestellt: Ich hatte Freunde, auf die ich jederzeit vertrauen konnte und die mir egal was ich war, zur Seite stehen würden. Mit diesen Gedanken kuschelte ich mich enger in die Decke und schloss die Augen.


Kapitel 10

Lautes Gebrüll und zerberstendes Holz rissen mich aus meinem Tiefschlaf. Ruckartig fuhr ich hoch und brauchte einen Moment um zu begreifen, wo ich mich befand. Ein kurzer Blick zu der anderen Liege sagte mir, dass Gan noch im Reich der Träume schlummerte, doch ich war wach.

„Eh, gib mir sofort die Keule wieder.“ Wieder zerberstendes Holz und ich ließ mich stöhnend zurück auf die Decke fallen. Noch immer fühlte ich mich, als hätte mich etwas großes Schweres überrollt und unsere Gastgeber schienen nichts Anderes tun zu wollen, als sich wie kleine Kinder um eine Keule zu streiten. Ich hatte keine Uhr doch mein Instinkt sagte mir, dass es gerade einmal fünf Uhr morgens sein musste. Aber an Schlaf war nach diesem Schreck leider nicht mehr zu denken. Ich war schreckhafter geworden, wie mir auffiel. Aber wahrscheinlich war dies nach den ganzen Begebenheiten der letzten Tage auch nichts Ungewöhnliches. Kurz wälzte ich mich noch einmal hin und her, ehe ich beschloss aufzustehen und mich an das Feuer zu gesellen. Meine Finger waren klamm, als ich es endlich geschafft hatte, in meine Hose zu schlüpfen und mir wieder den Dolch am Gürtel zu befestigen. Ich klemmte sie mir unter die Achseln, um sie zu wärmen und trat rasch nach draußen. Wie es zu erwarten war, war es auch hier nicht viel heller als im Zelt, da es noch früher Morgen und die Sonne noch nicht aufgegangen war. Der Schnee knirschte leicht, als ich zum Feuer herüberstapfte und mein Atem flog in kleinen Wölkchen vor mir her. Bei dem Knirschen sahen die drei Männer, die am Feuer hockten und deren Gesichter von den Flammen erhellt wurden, auf.

„Oh, haben wir dich geweckt?“, fragte Fer. Ich zuckte nur mit den Schultern und überlegte kurz, ob er überhaupt geschlafen hatte. Er genauso müde aus, wie gestern Abend. Aber warum hatte er nicht geschlafen? Hatte er nicht genügend Vertrauen in sein großes Rudel? Oder waren wir mehr in Gefahr, als ich bislang gedacht hatte?

„Es tut mir Leid.“, entschuldigte sich Fer, doch ich lächelte ihn einfach nur an und war verblüfft, als sich ein Hauch von Röte in sein Gesicht schlich. Erst da erinnerte ich mich wieder daran, wie ich ihn gestern begrüßt hatte. Wie ein Liebespaar… Nun wurde auch ich rot und wieder fragte ich mich, ob ich Fer liebte.

„Wir haben noch eine Keule da.“, erklärte nun auch einer der Männer am Feuer entschuldigend und hielt mir die Keule hin, die offenbar die Ursache ihre vorherigen Streits gewesen war.

„Ich möchte euch nichts wegessen.“, gab ich leise zu verstehen, eingeschüchtert von dem Geschenk und der untergebenen Bewegung des Mannes durch das Senken seines Kopfes. Als ob ich das Alphaweibchen wäre. Alphaweibchen. Wie sich das anhörte. Aber war ich das nicht automatisch, wenn ich mit Fer zusammen wäre. Nein, dazu müsste ich ein Gestaltwandler sein.

„Tust du nicht!“, sprach Fer ein Machtwort und hielt mich wieder mit einem so liebevollen Blick gefangen, dass es mir den Atem raubte. Den beiden Männern schien unsere Verlegenheit nicht entgangen zu sein.

Doch der Mann, der vorher mit mir gesprochen hatte und den ich in Gedanken Rotbart, nach seinem roten buschigen Bart genannt hatte, räusperte sich nur und drückte mir die Keule ohne auf ein weiteres Wort von mir zu warten in die Hand. „Ruber“

„Und ich bin Sali“, stellte sich der andere Mann nun ebenfalls vor. Er war so blass im Gesicht, dass es schon beinahe ungesund aussah, doch nach einigem Hinsehen fand ich, dass es ihm stand.

„Carrie.“ Endlich biss ich in meine Keule, offenbar Wildschwein. Mmmh. Sie war gut gewürzt, doch ich liebte es so. Nur leider hatte ich auf meiner Reise kaum Gewürze zur Verfügung gehabt, sonst wäre mein Rentier sicher leckerer gewesen. Wieder ließ ich mir den Geschmack auf der Zunge zergehen und starrte in die Flammen.

„…Carrie?“ Oh, Mist. Offenbar war ich in Gedanken versunken gewesen.

„Wie bitte?“, fragte ich. „Entschuldigt bitte. Ich war kurz im Anblick der Flammen versunken…“, versuchte ich mich zu entschuldigen. Ich musste zugeben, dass selbst ich mich unglaubwürdig und unhöflich fand. Immerhin gewährten sie mir hier Gastfreundschaft.

„Er hat gefragt, ob du noch Hunger hast.“ Fer schien sich offenbar prächtig über mich zu amüsieren. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu, der jedoch nur sein vorher angehendes Schmunzeln in ein unterdrücktes Lachen umwandelte. Zornig wandte ich mich an Ruber. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Knochen in meinen Händen bis auf den Stamm abgenagt war.

„Nein, danke. Aber es war vorzüglich. Hast du das gemacht?“, fragte ich ihn, mich an meine eigentlich ganz gute Erziehung erinnernd.

„Nein, Fer ist für die Versorgung des Rudels zuständig.“

Ich warf Fer einen Blick zu, der so viel wie >Du kannst kochen?< bedeuten sollte und ihn die Augenbraue hochziehen ließ. >Ja, erinnerst du dich noch an das Frühstück?<

Ich war mir nicht sicher, ob er das laut gesagt, gedacht oder ich es einfach nur aus seiner Mimik herausgelesen hatte, doch ich nickte.

„Wie habt Ihr unseren Alpha kennengelernt?“, fragte Sali. Er schien eindeutig einige Rangordnungen unter Fer und sogar unter Ruber zu stehen. Immerhin sprach er das Alpha extrem ehrfürchtig aus und gab mir einen Titel, der mir die Gänsehaut über den Rücken fließen ließ.

„Im Wald.“, antwortete Fer knapp und in einem Tonfall, der keine weiteren Erläuterungen duldete.

„Darf ich fragen, was ihr seid?“ Meine Frage war extrem vorsichtig formuliert und da mich Fer noch nicht in die Gebräuche von Gestaltwandlern eingewiesen hatte, fürchtete ich schon fast zu unhöflich gewesen zu sein. Vielleicht fragte man sowas auch nicht. Aber jetzt war es ohnehin zu spät, um diese Angelegenheit zurückzunehmen.

Ruber warf Fer einen kurzen Blick zu, der jedoch nur in die Flammen starrte.

„Da Ihr nach dem was fragt und vorhin bei der Erwähnung unseres Alphatieres nichts gesagt habt, nehme ich an, ihr wisst, dass wir Gestaltwandler sind.“

Ich nickte und runzelte die Stirn, als mir das Ihr auch bei Ruber auffiel. Aber vielleicht war das üblich. Kurz überlegte ich, wo ich noch diesen Titel erhalten hatte.

„Nun, ich bin ein Tiger und Sali ist ein Hermelin.“

Ich nickte wieder.

„Fällt es den Homini nicht auf, wenn ihr als Tiger und andere exotische Tiere hier durch einen Wald in Russland lauft? Ich meine, ein Wolf und ein Fuchs fallen ja nicht so auf, aber deine Farbe ist nicht gerade unauffällig.“

„Ihr sprecht, als wärt Ihr keine Homini.“, wagte es Sali anzuzweifeln und bekam dafür von Fer einen erbosten Blick zugeworfen, der ihn sofort fiepend zurückweichen ließ.

Ruber tat so, als hätte er nichts mitbekommen. „Hier draußen wagt sich sowieso kein Homini hin und wenn doch, dann gibt es immer noch den Oblivisci.“

Ich schauderte, als ich daran dacht, wie mir ein solcher Oblivisci aufgehalst werden sollte oder besser gesagt aufgehalst wurde; nur, dass er bei mir keine Wirkung zeigte. Kurz streifte mein Blick den von Fer und ich beschloss wieder die Flammen intensiver zu betrachten. Kurz schien die Flamme in mir erwachen zu wollen, doch ich drängt sie erfolgreich zurück und dachte nach.

Inzwischen war die Sonne aufgegangen und ließ vorsichtig ihre Strahlen über die Lichtung wandern. Sali und Ruber hatten eine angeregte Diskussion über den Einsatz eines Oblivisci angefangen, doch ich konnte erst meinen Blick von den Flammen lösen, als ein Zelt hinter mir aufgeschlagen wurde und sich wenige Minuten später ein durchfrorener Gan neben mir niederließ.

„Morgen“, grummelte er.

„Morgen“, grüßten Fer und ich. Ich schaute auf, als ich seine Stimme hörte und lächelte ihn warm an.

„Wie geht es Ope und Elias?“, fragte Gan, der langsam wacher zu werden schien. Ich erschrak. An die Beiden hatte ich gar nicht mehr gedacht, dabei war schließlich die Geburt der Grund für meine Gliederschmerzen und der kleine Elias war wie ich. Ein Elementarbändiger.

„In der Nacht ist bei den Beiden soweit alles ruhig geblieben. Elias hat ein paarmal geweint, doch beide waren noch zu erschöpft von der Geburt, um sich groß zu regen. Ich wollte gerade zu ihnen schauen. Kommt ihr mit?“

Sofort sprang ich auf. Einem so verlockenden Angebot mit Fer irgendwo hinzugehen konnte ich nicht wiederstehen. Und sicher würde es meiner inneren Unruhe, die mir erst jetzt wieder bewusst wurde, ganz gut tun, einen anderen Elementarbändiger zu sehen, selbst wenn er ein anderes Element hatte als ich. Und noch länger bei den Beiden mir immer noch fremden Männern hocken wollte ich auch nicht. Auch Gan erklärte sich sofort bereit, uns zu begleiten und so schritten wir mehr oder weniger leise durch das Lager. Gan stolperte einige Male, da er noch nicht ganz wach war, doch Fer bewegte sich so anmutig wie eine Katze durch das Lager und auch mir gelang es durch die vielen Waldwanderungen einigermaßen leise durch die Feldstadt zu schleichen. Ope war bereits wach und säugte den Kleinen. Sie schien sichtlich erfreut zu sein, uns zu sehen und hatte offenbar nach der Geburt gestern ihr Mistrauen uns gegenüber auch abgelegt.

„Wie geht es euch?“, fragte Fer fast schon liebevoll und unwillkürlich stieg in einem Teil von mir die Eifersucht hoch, doch ich drängte sie zurück. Ope war auch nur ein Teil von Fers Rudel und hatte sicher einen Gefährten. Und außerdem hatte ich kein Anrecht auf Fer, selbst wenn ich ihn liebte. Würde er erst einmal seine Gefährtin gefunden haben und das würde definitiv eine Gestaltwandlerin sein, würde ich für sie Platz machen müssen, ob ich es nun wollte oder nicht. Doch ich hoffte, dass mir bis dahin zumindest noch ein wenig Zeit mit ihm blieb. Meine Güte, woran dachte ich nur? Ich schüttelte den Kopf und beschloss noch heute mit Gan über meine Gefühle zu reden. Sicher fand er ein Heilmittel gegen diese Fragen und meinen sonderbaren Empfindungen.

„Ich fühle mich schon besser und Elias scheint schon ganz kräftig zu sein. Er hat ganz schön in meinen Armen herumgestrampelt. Ich frage mich, was er wohl wird.“

Kurz überlegte ich, sie darüber aufzuklären, dass ihr Junge vermutlich nie ein Raubtier wie sie werden würde, doch dann entschied ich mich anders. Ich wollte den Beiden so viel Zeit wie möglich gönnen, ehe sie schließlich die Wahrheit in Elias Augen erkennen würde. Was dann wohl geschah? Und ob Fer Elias auch als Luftbändiger in seinem Rudel behalten würde?

Zwei dünne Arme rissen mich aus meinen Gedanken. Elias hatte aufgehört zu saugen und streckte nun ganz eindeutig seine winzigen Ärmchen nach mir aus, als würde er die artverwandte Seele erkennen. Fer erstarrte und sah mich ungläubig an, doch ich hatte nur Augen für den Kleinen.

„Darf ich?“ Auf Opes erstauntes Nicken nahm ich den Kleinen hoch, wickelte ihn in eine Decke und überließ es ganz meinem Mutterinstinkt, den Kleinen zu wiegen. Als ich spürte, wie stark die Decke ausgekühlt war, ließ ich wie in der vorherigen Nacht wieder fast unsichtbare Flammen über den Stoff tanzen und wärmte somit den kleinen Körper. Dankbar sah mich Elias an. Für einen Augenblick schien die Welt stillzustehen, als ich in seinen fast strahlend weißen und er in meinen goldenen schimmernden Augen versank.

Danke.“

Die hohe Kinderstimme in meinem Kopf ließ mich erschrocken die Augen aufreißen. Elias hatte mir in Gedanken gerade eindeutig eine Nachricht überbracht, dabei war er gerade einmal einen Tag alt. In ihm drinnen konnte ich das uralte Wissen erahnen, dass in seinem Körper wiedergeboren war und ich überlegte kurz, ob ich ebenso von einer alten Seele auserwählt worden war.

Keine Ursache.“, übertrug ich ihm ebenso lautlos. Wir als Elementarbändiger schienen eine andere Art und Weise der Kommunikation zu haben. Doch ich würde mein Wissen darüber genauso wie das Wissen über Elias wahre Gabe hüten und noch nicht einmal Fer anvertrauen. Noch nicht.

Vorsichtig legte ich Elias wieder an die Brust seiner Mutter, die mich immer noch erstaunt ansah.

„Was bist du?“, fragte sie plötzlich leise und ich versteifte mich.

„Eine Freundin.“, sagte ich schließlich und verließ hastig das Zelt ohne auf Fer oder Gan zu achten. Die Sonne war inzwischen zwar aufgegangen, doch bereits wieder hinter einer dicken Schneewolke verschwunden. Es würde ungemütlich werden. Auch ich sollte verschwinden. Inzwischen hatte ich hier zu viel Aufmerksamkeit erregt und selbst wenn ich Gan, Fer und Elias vertraute, war das restliche Rudel immer noch völlig Fremd und somit ich mit meiner Gabe eine Gefahr.

Immer noch tief in Gedanken versunken, eilte ich zu dem für uns bereitgestellten Zelt und packte schnell meine Sachen zusammen, um zu verschwinden, ehe der Schneesturm kam.

„Richtet Fer bitte aus, dass ich fortmusste. Und er soll gut auf Elias achten.“, ließ ich kurz am Lagerfeuer vernehmen, an dem ich kurz eine Pause eingelegt hatte, nahm mir dann meinen Beutel und ging mit zügigen Schritten in Richtung Wald davon, die verwunderten Blicke von Sali und Ruber immer noch auf mir spürend. Ich war mir sicher, dass Fer es alles andere als gutheißen würde, dass ich ging, doch ich hatte keine Wahl. Und ich wollte auch nicht in der Nähe sein, wenn er beim Erfahren dieser Nachricht ausrasten würde, denn dies stand außer Frage. Ich beschleunigte meine Schritte und betrat endlich den Wald, während der Schnee in rascher Folge vom Himmel fiel und ich an eher kargen Waldstellen kaum sehen konnte, da mir dauernd die Flocken in die Augen fielen. Irgendwo in der Ferne hörte ich ein Gebrüll und ich begann zu rennen.


Kapitel 11

Ein hoher Schrei ließ mich zusammenzucken und unterbrach kurz den Rhythmus meiner hämmernden Schritte. Ich stolperte, fand jedoch ohne große Probleme zurück und wandte mich nach rechts in Richtung des Schreies. Ich wusste, es war gewagt, noch immer verfolgt von schweren Tatzenabdrücken und nun auch von etwas anderem ausgerechnet zu dem Ort zu rennen, wo dieses Andere lauerte, doch der Schrei hatte so verzweifelt geklungen. Ein Kinderschrei, von einem Mädchen dass dringend Hilfe brauchte. Ich sah sie bereits eine Kurve weiter und kam schlitternd zu stehen. Ein Mädchen, höchstens Neun oder zehn Jahre saß wimmernd im Schnee und versuchte die Drei Palinas, die schwer bewaffnet auf sie zustampften mit Schneeerhebungen zum Stolpern zu bringen. Ihre Haare waren von einem tiefen Braun und ihre Augen schimmerten in einem strahlenden Lindgrün, dass mich unweigerlich an einen Laubwald erinnerte. Ich hatte keinen Zweifel, wen ich da vor mir hatte.

„Lasst das Mädchen in Ruhe!“, rief ich aufgebracht. Die Flamme schlängelte aggressiv in mir hoch, doch noch war ich nicht gewillt, sie nach außen dringen zu lassen. Das Mädchen sah erschrocken zu mir.

>Keine Sorge. Ich bin wie du!<, versuchte ich ihr gedanklich zu verstehen zu geben. Sie nickte, offenbar erleichtert.

Auf die Männer schauten auf und lachten, als sie mich sahen. Ich war mir sicher, dass das Bild eines vielleicht vierzehn- oder fünfzehnjährigen Mädchens, dass in verdreckten Kleidungsstücken durch die Gegend lief alles andere als beeindruckend war, doch es kümmerte mich nicht.

„Wer seid ihr, Homini?“, rief einer der Männer herausfordernd und kurz glaubte ich tote Augen aus seiner Kapuze blitzen zu sehen. War es Unsicherheit? Erkennen? Oder sogar Angst?

„Wer will das wissen?“, fragte ich, um Zeit zu überspielen und trat näher an das Mädchen heran. Wenn ich sie doch nur hinter mich schieben könnte, dann wäre sie schon einmal vor meinen Flammen in Sicherheit, solange Ignisaeri nicht zurückkehrte. Ich hatte beschlossen, meine tödliche Seite genau den Namen zu geben, die mir während meiner ersten Verwandlung zugeflüstert worden war.

„Die Diener des Atro.“, gab einer der Palinas zu verstehen und betrachtete mich näher. Also hatte Gan Recht gehabt. Atro steckte hinter den ganzen Angriffen und hatte offenbar beschlossen, die Elementarbändiger wieder zu vernichten. Doch nicht mit mir.

„Dann sagt Atro, dass dieses Mädchen unter meinem Schutz steht.“, sagte ich klar und deutlich. Meine Stimme strotzte förmlich von Standfestigkeit und ich überlegte, woher ich diese Selbstsicherheit plötzlich genommen hatte.

Endlich hatte ich das Mädchen erreicht und schob sie hinter mich, während meine Worte die Männer offenbar für einen Moment erstarren ließen.

>Wenn ich dir ein Zeichen gebe, rennst du los. Mein Freund Fer wird dir helfen, wenn du ihn rufst. Er ist ein Gestaltwandler.<, überbrachte ich dem Mädchen noch rasch eine Nachricht, während ich mich für den Kampf bereit machte.

„Wer seid ihr?“, fragte wieder einer der Palinas, dieses Mal eindeutig verunsichert.

Hinter meinem Rücken machte ich dem Mädchen ein Zeichen, dass sie in drei Sekunden losrennen sollte.

„Mein Name.“ Zwei Finger. „ist“ Ein Finger. „Ignisaeri“. Ich gab dem Mädchen das Zeichen loszurennen und stürzte im selben Moment auf die Palinas, die meine Worte noch nicht erreicht zu haben schienen. Mein Körper schien eine Brennende Fackel zu sein, aus meinen Händen schossen Feuerkugeln und zerfetzten den ersten Palinas, ehe die beiden Anderen überhaupt verstanden hatten, was vor sich ging. Erst dann ergriffen sie ihre Waffen und ging von zwei Seiten auf mich los, bemüht nicht die Flammen zu berühren, die angriffslustig über meinen Körper loderten. Meine Augen leuchteten in einem tiefen Gold, mein Flammenmal brannte ihn einem grellen fast weißen Grün und sendete kleine grüne Flämmchen über meinen Körper, die immer mal wieder zwischen den normalen Flammen aufleuchteten. Auch meine Haare schienen wie lebendiges Feuer zu tanzen. Ich wirbelte herum, der Dolch durchfuhr den Leib des einen Palinas, während mein ungeschützter Rücken kurz zu leiden hatte. Doch ich gab nicht auf, als der brennende Schmerz in mich schoss. Ich wusste, dass ein Teil der Flammen mich heilen würde und die Verletzung hatte mich nur noch wütender gemacht. Kurz glaubte ich so etwas wie schwarze Schwingen in meinem Rückenbereich zu erkennen, die jedoch genauso schnell verschwunden waren, wie sie gekommen waren, sodass es eher einer Illusion glich. Der Palinas schien es dennoch wahrgenommen zu haben.

„Du!“, keuchte er ungläubig, doch ich erschuf lediglich ein Schwert auf Flammen und bohrte es ihm fast schon genüsslich in die Brust, wo er ebenso zu Asche wurde, wie sein Kumpane. Nur der dritte, den ich mit meinem Dolch geschmückt hatte, schien noch am Leben zu sein. Mit viel Mühe kämpfte ich die Flammen zurück in mein Inneres und ging dann mit festen Schritten auf den sich am Boden windenden Mann zu.

„Du hast meine Macht gesehen. Wenn du einen kurzen, schmerzlosen Abgang willst, dann sagst du mir jetzt, wo ich Atro finde.“ Der Mann schaute mich voller Angst, Wut und Ehrfurcht an, doch ich blickte nur kalt von oben auf ihn herunter. Kurz dachte ich daran, zu was für einen kaltblütigen Mörder ich mich doch entwickelt hatte.

„Wenn du überlebst, findest du Trewor in der grauen Burg am Ende des Klerintals.“, stieß er unter Schmerzen hervor und hieß mir dann mit dem noch von seinem Blut verschmierten Dolch ins Bein, ehe er in sich zusammenbrach. Die Flammen, die sich durch meinen Knöchel fraßen waren anders, als meine geliebten Flammen, die ich vor Schmerzen nicht einmal herbeirufen konnte. Kurz erinnerte ich mich an Fers Ansage, das Palinas-Blut eine lähmende wenn nicht sogar tödliche Wirkung haben konnte, dann brach in zusammen. Durch das Gebüsch konnte ich noch einen besorgten Fer brechen sehen, hinter dem sich das kleine Mädchen versteckte, dann brach ich zusammen.


Kapitel 12

Nichts als Dunkelheit um mich herum. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis ich die Stimmen hörte.

„Es gibt nur diese Möglichkeit, Fer!“

„Nein!“

„Sie hat Palinas Blut in sich, sie wird das Bein, wenn nicht sogar ihr Leben verlieren. Da bringt selbst das beste Abbinden nichts. Sie braucht das Blut ihres Gefährten!“

„Aber das bin ich nicht! Außerdem ist sie kein Gestaltwandler. Wer weiß, ob sie das überhaupt vertragen würde!“

„Aber das Einzige, was das kleine Mädchen sagte war doch, ich zitiere, >sie hatte Flügel<.“

Fer schwieg. Auch er hatte kurz einen Blick auf die Flügel erhaschen können. Doch das war unmöglich.

„Und wenn sie gar nicht meine Gefährtin sein will?“, fragte Fer. Er schien ziemlich verunsichert zu sein. Langsam nahm ich alles wieder besser war.

„Wir können nicht länger warten!“, stellte Gan fest. „Die Entscheidung liegt bei dir.“

Für einen kurzen Moment war es still, dann seufzte Fer.

„Okay, ich mach es.“ Wieder kurz angespannte Stille.

„Wenn ich mit ihr in Gedanken in Verbindung getreten bin, brauche ich ein spezielles Gefäß für das Blut. Am besten einen bestimmten Kelch, der sich bei Prisca im Zelt befindet. Frage dich am besten zu Priscas Zelt durch. Nur sie darf von deiner Frage nach dem Kelch der Gefährten erfahren. Sag ihr Fer Tigris schickt dich.“

„Ich könnte euch auch einfach einen Venenzugang legen.“ schlug Gan vor.

„Nein. Ich möchte nicht mit dem vergifteten Blut in Berührung kommen. Außerdem bin ich gerne traditionell.“ Mit diesen Worten gab er Gan offenbar eine ungeduldige Handbewegung, denn einen kurzen Moment später konnte ich eine Zeltklappe hören. Meine Augen waren noch immer viel zu schwer, um sie heben zu können und in meinem Körper wütete ein schmerzhaftes Feuer.

>Carrie? Kannst du mich hören?< Fers Stimmer drang nur ganz leise durch meine Gedanken und ich konzentrierte mich stärker auf den geistigen Ruf. Die Ebene, auf der unser geistiges Gespräch erfolgte, schien eine andere zu sein, als die, auf der ich mich mit den anderen Bändigern verständigte.

>Ja< Meine Antwort war kaum mehr als ein gehauchtes Flehen. Im Hintergrund hörte ich, dass Gan zurück war, doch es war für mich eher eine unwichtige Tatsache.

>Bist du einverstanden meine Gefährtin zu werden?<, fragte Fer weiter.

Wieder ein gehauchtes gedankliches >Ja< von mir.

„Hiermit nehme ich Fer Tigris, dich Carrie Elisabeth Crown zu meiner Socia, meiner Gefährtin. Ich schwöre dir, dich mit meinem Leben zu beschützen und-“ Ich glaubte kurz Haut reißen zu hören und dann etwas in ein Gefäß tropfen, ehe mir ein Kelch an die trockenen Lippen gehalten wurden. „-mit meinem Blut für dein Wohlergeben zu sorgen, solange ich lebe.“ Ein Tropfen Flüssigkeit rutschte mir den Rachen runter und mit Mühe gelang es mir zu schluckte. Es war wie der süßeste Nektar, den ich jemals probiert hatte und ich spürte unwillkürlich, wie sein Blut mich bei meinem Kampf unterstützte und durch die Zweisamkeit unserer Verbindung an Kraft gewann. Das Band, das anfangs in unseren Gedanken war, wurde nun stärker, obwohl ich wusste, dass diese Verbindung bislang nur einseitig und noch nicht abgeschlossen war. Fer hatte einmal kurz die drei verschiedene Phasen einer Gefährtenbindung angesprochen, war jedoch schnell im Thema gewechselt. Weitere Bluttropfen flossen in meinen Hals und durch die neue Kraft ermutigt gelang es mir immer besser zu schlucken, bis der ganze Kelch leer war und ich es endlich schaffte meine Augen zu öffnen und Fer dankbar anzusehen, ehe ich nun in einen erholsamen Schlaf versank, sodass mein Körper den restlichen Kampf ausfechten konnte.


Kapitel 13

Meine Träume waren unruhig. Genauso wie die Schlacht in meinem Inneren. Wieder sah ich die Schlacht vor mir, hörte die Kinderschreie und den Mann, den ich all die Jahre für meinen Vater gehalten habe. Doch dieses Mal war die Nachricht die er mir gab anders. „Beeil dich, Ignisaeri. Finde mich, sonst wird es zu spät sein. Du bist bereit für den Kampf. Und hüte dich vor dem Schatten.“ Kurz glaubte ich so etwas wie ein Lächeln auf den Lippen des Mannes zu erkennen, dass er scheinbar eine Möglichkeit gefunden hatte, mir Nachrichten zu schicken, dann brach er wie die letzten Male in sich zusammen und rührte sich kaum. Nur ein leises Flattert seiner Brust zeigte mir, dass er noch am Leben war. Ich fragte mich, was sie ihm in der Zelle antaten und ob mein Bruder in der Nähe war. Mist, warum hatte ich ihn nicht danach gefragt.

Immer noch verärgert schlug ich die Augen auf. Der Kampf in mir schien sich endlich gelegt zu haben. Wir hatten, dank der Gefährtenbindung und dem Blutsaustausch gesiegt. Deutlich konnte ich das Band, dass mich von nun an mit Fer verbinden würde, in mir pulsieren spüren. Es erinnerte mich daran, dass ich nun eine Socia, die Gefährtin eines Gestaltwandlers war. Und was noch viel wichtiger war, meines Gestaltwandlers. Ich seufzte resigniert, als ich bemerkte, dass sich nun das Gespräch mit Gan zum Thema Liebe erledigt hatte. Mir war sozusagen die Entscheidung über meine Gefühle abgenommen worden, doch darüber war ich zugegebener Weise nicht wirklich wütend. War es doch, als wäre ein schon lang ersehnter Traum wahrgeworden, oder? Selbst das wusste ich nicht einmal. Das Band erzitterte und sagte mir, dass Fer auf das Zelt, in dem ich lag, zuging. Ich wusste, dass mich eine Standpauke zu erwarten hatte. Immerhin war ich einfach aus dem Lager verschwunden. Dennoch blieb ein kleiner Funken Hoffnung in mir zurück, dass sie anlässlich meiner Vergiftung nicht zu groß ausfallen würde. Als ich jedoch Fers Gesicht sah, gab ich schnell die Hoffnung aus. Kalt schaute er auf mich herunter und unwillkürlich zog ich den Kopf ein, wie ein kleines Kind, das Schläge erwartete.

„Fer, es tut mir – “, begann ich, wurde jedoch Barsch von ihm unterbrochen.

„Wie konntest du es wagen, das Lager zu verlassen! Ohne meine Erlaubnis! Wie konntest du mich einfach stehen lassen und mir von meinen Männern ausrichten lassen, dass du verschwunden bist!“ Er wurde immer lauter und ich spürte durch das Band seine Wut doppelt so stark.

„Ich-Ich-“, stotterte ich, doch er war noch nicht fertig mit mir.

„Und dann beschließt du es einfach mal so mit vier Palinas auf einmal aufzunehmen. Sag mal bist du größenwahnsinnig?“

War ich, wie er sagte, verrückt? War es denn keine dumme Tat von mir gewesen, einfach so mit meinen Fähigkeiten zu prahlen und mich dann den Palinas alleine zu stellen? Fer hatte Recht, ich hatte sehr verantwortungslos gehandelt. Nicht nur, dass ich mein Leben riskiert hatte, sondern auch das des kleinen Mädchens.

„Ich verstehe ja, dass du dir Sorgen gemacht hast.“, sagte ich leise, schien es damit jedoch nur noch schlimmer zu machen.

„Sorgen? SORGEN?“ Er wurde immer lauter und schrie das letzte Wort förmlich in den Himmel.

„Ich bin fast umgekommen vor Sorgen!“ Plötzlich wirkte er verloren und ich glaubte Tränen in seinen Augen schimmern zu sehen. Ich griff mit meiner Hand nach seiner, denn ich wusste nicht, wieweit ich meinen Füßen schon trauen konnte.

„Als du dalagst, zitternd, dem Tod nahe und ich wusste, dass du sterben würdest, da war ich-“ Er brach ab und eine Träne schlich sich aus seinem Augenwinkel. Ich erschrak. Ich hatte Fer noch nie weinen sehen und nun weinte er, wegen mir. Ein unglaubliches Gefühl der Liebe stieg in mir hoch. Ich zog ihm auf mein Feldbett und strich ihm mit der Hand, die nicht seine umklammerte, beruhigend über den Rücken.

„Schht. Es ist alles gut. Du hast mich ja gerettet.“, murmelte ich beruhigend auf ihn ein.

„Aber um welchen Preis?!“, fragte Fer mit auf einmal heiserer Stimme und eine weitere Träne rollte ihm über die Wange.

„Ich liebe dich Fer.“, gab ich leise zu. Ich wusste, dass ich mich ziemlich aus dem Fenster lehnte mit dieser Aussage, da ich mir meiner Gefühle immer noch nicht ganz im Klaren war.

„Und dass habe ich bereits getan, seit ich dich das erste Mal gesehen habe.“ Fer sah mich mit großen Augen an.

„Und wenn du mich halbwegs als deine Gefährtin akzeptieren würdest, werde ich versuchen mich als würdige Socia zu beweisen und dir all die Liebe zurückzugeben, die du mir geschenkt hast. Ich bin ein schwieriger Fall, dass weiß ich und ich habe dich nicht verdient, denn du bist so vollkommen, so schön und so -“ Nun rollten auch mir die Tränen von den Wangen und ich spie die Worte aus, die sich schon lange in meinem Herzen angestaut hatten. „so stark. Nichts kann dich von deinem Weg abbringen. Und dann kam ich im wahrsten Sinne des Wortes in dein Leben gestolpert, zerbrochen, zu Unfällen neigend und das Unglück anziehend. Und du hast mir Halt gegeben und mir oft das Leben gerettet und ich weiß gar nicht, womit ich das alles verdient habe.“ Nun weinte ich richtig. „ Ich habe mir oft vorgestellt, wie es wäre, wenn du mich als deine Gefährtin wählen würdest, doch es war für mich immer ein unerreichbarer Traum, denn ich habe nie verstanden, wie du mich überhaupt mögen konntest und-“

Dieses Mal war es Fer, der mich tröstete und seinen Finger auf meine Lippen legte, dass ich aufhören sollte, solche schrecklichen Dinge über mich zu sagen. Dabei waren es doch Tatsachen.

„Niemand ist perfekter als du. Wenn ich dich ansehe gleich du einem Engel aus Feuer, deine Augen sprühen, seit unser gemeinsames Abenteuer begonnen hat fast jedes Mal vor Funken, wenn ich dich lächeln sehe. Du bist die Einzige, die mich immer herausfordert hat und bist die Einzige, die das auch darf. Ich könnte mir niemanden Besseres als dich vorstellen, um mit dir eine Gefährtenschaft einzugehen.“

Jetzt liefen mir wirklich die Tränen in Strömen herunter und ich sah Fer mit einer Mischung aus Unglauben und übermächtiger Freude an. Seine Worte hatten tief in mir einiges gerührt, selbst wenn ich ihm nicht Recht geben konnte. Ich war nicht perfekt. Und wie er bereits festgestellt hatte sprühten meine Augen nur dank ihm. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter und sog seinen Geruch wie eine Droge ein. Meine ganz persönliche Droge.

„Wenn dies wahr ist, dann will auch ich deine Gefährtin mit Leib und Seele sein. Fer hilfst du mir den Eid zu schwören? Mein Blut ist inzwischen komplett vom dem des Palinas befreit und ich könnte mir kein besseres Geschenk wünschen, als dir ebenso jederzeit zur Stelle sein zu können.“

Fer schien kurz erstaunt zu sein, fing sich jedoch schnell wieder und lächelte leicht.

„Gerne. Ich danke für das Geschenk, dass du mir machst. Selbst wenn wir vermutlich nun nur den zweiten Schritt tun werden. “ Ich nickte. Ja, zum dritten Schritt war ich noch nicht bereit, selbst wenn ich wusste, dass Fer sehr vorsichtig vorgehen würde und ich wusste, das Fer warten würde, bis ich soweit war.

„Okay. Sprich mir nach: „Hiermit nehme ich Carrie Elisabeth Crown, …“, begann Fer und sah mir tief in die Augen, sodass ich Mühe hatte, mich nicht in dem moosgrünen Steinen zu verlieren.

„Hiermit nehme ich Carrie Elisabeth Crown,…“, wiederholte ich Fer mit fester Stimme, nachdem ich mich gefangen hatte. Ich spürte wie das Band unter meinen Worten erzitterte, als spürte es, dass auch zu Fer nun ein solches endloses Band geknüpft werden würde.

„…dich Fer Tigris zu meiner Socius, meinem Gefährten.“ Langsam kam ich besser in das Ritual und wusste beinah auch ohne Fers Hilfe, was ich zu sagen hatte. „Ich schwöre dir, dich mit meinem Leben zu beschützen -“ Mit fester Stimme wiederholte ich den Spruch, der Fer offenbar in die Wiege gelegt worden war, so gut beherrschte er ihn und auch mir würde er in Erinnerung bleiben. Mit zielstrebiger Hand griff ich nach dem scharfen Messer und dem Kelch, den Fer mit reichte und ließ nach einem kurzen Schnitt in mein Handgelenk mein Blut in den Kelch fließen, bis er gefüllt war, ehe ich ihn feierlich Fer überreichte und die letzten Worte wiederholte, die zum zweiten Schritt der Verbindung führen würden. „- und mit meinem Blut für dein Wohlergeben zu sorgen, solange ich lebe.“

Fer nickte mir aufmunternd zu und leerte den Kelch, bis kein Tropfen Blut ihn mehr benetzte. Auch für ihn schien der Geschmack meines Blutes wie das Süßeste und Reinste, fast wie eine Droge zu sein, von der er nicht genug kriegen konnte. Ich spürte, wie das Band stärker wurde und schließlich eine gedankliche Ebene erschuf, die nur wir Beide betreten konnten. Neben seinen Gedanken empfing ich nun auch seine Gefühle und sie strahlten nichts außer unbändigender Liebe zu mir aus, sodass mir vor Rührung wieder die Tränen in die Augen schossen. Ich blinzelte den Schleier weg, um Fer ansehen zu können. Er lächelte und für einen Moment erschien der Moment so vollkommen und magisch, dass ich ihn am liebsten eingerahmt hatte, dass er mir in Erinnerung zurückkäme, sobald ich das Bild in die Hand nahm.

„Wir sollten dein Handgelenk verarzten.“, Fers Stimme war leise, doch ich kam schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Ich nickte und spürte erst jetzt die Mischung aus Kribbeln und Brennen unter meinem Schlüsselbein. Vorsichtig zog ich mein T-Shirt herunter, um zu sehen, ob ich verletzt war. Vor meinen Augen bildete sich ein sonderbares Mal. Es schien eine Art Spirale zu sein, vor der eine geschlossene Knospe, vermutlich von einer Rose thronte.

„Das Gefährtenmal.“, erklärte Fer leise, der meine Verwunderung mitbekommen hatte.

„Ich habe vermutlich auch inzwischen eines. Die Knospe zeigt, dass unsere Verbindung noch nicht ganz abgeschlossen ist. Wenn wir den letzten Schritt wagen, wird sie erblühen und bei dem Tod des Gefährten verblüht sie und wird nie wieder erblühen.“

Ich schauderte, was Fer natürlich nicht verborgen blieb. Es war faszinierend, welche Magie allein von dem Mal ausging, doch die Magie zwischen uns hatte sich auch verändert. Vielleicht, weil wir inzwischen die Gedanken und Gefühle des anderen empfangen konnten oder einfach nur weil ich nie besonders darauf geachtete hatte. Ich wusste es nicht, doch ich genoss unsere Verbindung von ganzem Herzen.

Als die Zeltplane aufgerissen würde, ließ ich schnell mein T-Shirt wieder hochrutschen, sodass das Gefährtenmal nicht mehr zu sehen war. Ich war mir sicher, dass diese Verbindung nicht jedem hier zusagen würde, selbst wenn Gefährten vor allem bei den Gestaltwandlern sehr geschätzt waren.

„Alpha, das Kind ist zusammengebrochen!“ Den Mann, der im Zelteingang stand hatte ich noch nie gesehen, aber es war auch nicht weiter verwunderlich. Immerhin gehörten zu Fers Rudel sicherlich dreißig oder vierzig Gestaltwandler. Doch irgendetwas in mir sagte, dass das betroffene Mädchen die kleine Erdbändigerin war. Schnell sprang ich auf und zog mir, auf Fers skeptischen Blick auf meine nackten Beine die Hose über, die über dem Bettpfosten hing. Meinen Dolch entdeckte ich nicht, doch ich war mir sicher, dass mir Fer notfalls eine neue Waffe besorgen würde, obwohl ich an dem Dolch meines Vaters mit dem Drachenkopf wirklich hing.

Meine Schritte waren noch etwas unsicher dank des erneuten Blutverlustes und der Erholung von der Vergiftung, doch ich hastete genauso schnell wie Fer hinter dem mir immer noch unbekannten Mann hinterher. Vor einem Zelt, dass mehr aus zusammengeknüpften Planen als einem richtigen Stoff zu bestehen schien, hielten wird an und traten durch den Eingang, der bereits von dem Mann hochgehalten wurde. Gan kniete bereits bei dem Mädchen, das die Augen geschlossen hatte und zu schlafen schien, wenn ihr Atem nicht viel zu leicht gewesen wäre. Ich glaubte förmlich die Heilmagie zu sehen, die aus seinen Händen durch die Schläfen das Mädchen in ihrem Kopf floss.

„Was ist mir ihr?“, fragte ich leise.

„Ich weiß es nicht.“, Gan klang verzweifelt. Ich hatte ihn noch nie so verzweifelt klingen hören, selbst als ich fast gestorben war nicht. Offenbar glaubte er nicht, dass wir das Mädchen noch retten konnten, was auch immer sie zu haben schien. Ich runzelte die Stirn und trat näher, als Gan schließlich die Hände von ihrem Kopf nahm und die Magie verblasste. Er schien sehr viel Kraft verbraucht zu haben, doch der Zustand des Mädchens schien sich nicht verändert zu haben.

„Es ist fast wie schwarze Magie!“, flüsterte er und warf Fer einen warnenden Blick zu, der sich sofort verspannte, doch ich trat einfach näher. Jetzt hatte ich schon einmal eine Elementarbändigerin gefunden, jetzt sollte sie mir wieder genommen werden.

„Nein!“, sagte ich laut. Meine Stimme war fester denn je und ich glaubte schon fast einen ebenso autoritären Einfluss aus ihr zu hören, wie den, den Fer hatte. Vermutlich auch durch die Gefährtenverbindung. Wie Gan kniete ich mich neben dem Mädchen hin und legte ihm meine Hände auf die Schläfen.

„Lasst uns allein!“, sagte ich entschlossen. Mein Unterbewusstsein schien genau zu wissen, was zu tun war und ich ließ es machen. Fer warf mir einen verwunderten Blick zu und auch Gan sah zweifelnd aus, doch sie folgten meiner Bitte. Auf Fers Frage, was ich vorhatte antworte ich nur ein „Vertrau mir!“, und lächelte ihm aufmunternd zu. Sein Blick wurde noch zweifelnder, aber er verschwand. Ich konzentrierte mich auf das Mädchen und versuchte den gedanklichen Pfad mit Fer auszublenden, sodass ich zurück auf die Ebene kam, auf der die Elementarbändiger kommunizierten.

>Kannst du mich hören?<, fragte ich gedanklich und hoffte, dass es noch nicht zu spät war.

Kurz glaubte ich so etwas wie ein gedankliches Anstupsen als Antwort zu vernehmen. Ich konzentrierte mich stärker.

>Du kannst mit mir auf geistlicher Ebene kommunizieren. Denke einfach die Worte, dann kann ich dich hören.<

Ich spürte wie ihr Geist neugierig wurde. Noch immer schien sie kilometerweit weg zu sein. >Ich höre dich!<

Ihre Stimme war leise und für eine Kindestimme glockenhell. Dennoch spürte ich die Anstrengung, die diese Kommunikation ihr abverlangte.

Einer Eingebung folgend, erhitzte ich den gefrorenen Boden und schaufelte aus diesem ein Bett aus Erde zusammen. Dann hob ich die vorsichtig hoch und legte sie in die noch feuchte Erde, in der Hoffnung, dass ihr Element ihr Kraft geben würde.

>Danke< Ihre Stimme war schon kräftiger, scheinbar war die Kommunikation nun nicht mehr ganz so schwer. Ich dankte innerlich der Erde für ihre Hilfe und bemühte mich meine Hitze weiter aufrechtzuerhalten, sodass die Erde, in der sie lag nicht wieder gefriere.

>Was ist mit dir?< Ich war mir sicher, dass sie selbst mit Hilfe ihres Elements schwächer werden würde und dies erschien mir die wichtigste Frage zu sein.

>Ich weiß nicht. Mein Körper scheint wie von einem Fluch getroffen zu sein. Ich glaubte kurz einen schwarzen Schatten gesehen zu haben, dann nur noch Schmerzen.<

>Wie lange kannst du diesem Zustand verweilen?<, fragte ich. Ich war mir sicher, dass die instinktive Reaktion ihres Körpers ihr das Leben gerettet hatte. Wer oder was auch immer diesen Fluch ausgelöst hatte, hätte mit den Schmerzen sie erst um den Verstand gebracht und vielleicht schließlich zum Selbstmord getrieben.

>Ich weiß nicht.< Ihre Stimme wurde wieder leise. Ich war mir sicher, dass sie sich bald wieder zurückziehen würde, um ihrem Körper die nötige Kraft geben zu können.

>Weißt du, ob es ein Gegenmittel dagegen gibt?< Ich war mir nicht sicher, ob sie das schon wissen konnte, immerhin war sie erst neun oder zehn Jahre alt.

>Als meine Eltern noch lebten, machten sie mir fast täglich einen Tee aus gelben Blüten mit fünf Kronblättern. Sie meinten, es würde gegen böse Flüche helfen. Als ich eine der Knospen einmal zerdrückte, sah es aus, als würde ich bluten. Ich muss mich zurückziehen, ich habe schon zu viel Kraft verbraucht!<, beantwortete mir die Kleine die letzte Frage, dann war sie weg und ich spürte, die Schwäche, die auch durch den Schutzwall um ihren Geist zu mir durchsickerte. Ich hatte also nicht viel Zeit.

Ich zog mich selber zurück und schloss meinen Schutzwall, dann überlegte ich. Gelbe Blüten, roter Saft. Aber natürlich. Dass musste eine Hypericum perforatum sein. Ich dachte kurz an den Biologieunterricht zurück.

> Hypericum perforatum, 15-100 Zentimeter groß, gegenständig angeordnete 3 cm große eiförmige Laubblätter, fünf gelbe Laubblätter mit schwarzen Punkten, Blühzeit: Juni bis August<

Ich überlegte. Aber vorher sollte ich jetzt die Knospen herbekommen. Wie hatten es gerade einmal Ende Februar und alles war von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Selbst, wenn ich den Schnee schmolz, würde ich eine Erdbändigerin brauchen, um die Pflanzen auf den richtigen Stand wachsen zu lassen und von dem kleinen Mädchen, konnte ich dies nun noch unmöglich verlangen.

Ich füllte eine der Decken mit der gelösten Erde und legte das Mädchen in diesen Erdmantel gehüllt zurück auf ihre Liege, ehe ich meine Flammen auf dem Boden zurückzog, der sofort wieder gefror.

Dann stand ich auf, klopfte mir den Dreck von der Kleidung und ging zum Zelteingang. Draußen erwartete mich schon ganz ungeduldig Fer, den ich jedoch erst bemerkte, als ich in ihn hereinrannte. Ich wusste doch, dass ich es mir zur Gewohnheit machen würde. Stöhnend rieb ich meine Nase und blinzelte zu ihm hoch. Noch immer lag sein Blick wachsam auf meinem Gesicht.

„Was hast du gemacht?“, wollte er wissen. In seiner Stimme lag so viel Autorität, dass ich zusammenzuckte. Nun hatte ich Fer den Alpha vor mir, der keine Wiederworte oder Verschiebungen dulden würde. Dennoch versuchte ich es.

„Nicht hier.“, sagte ich leise. Fer zog die Augenbraue hoch, nickte aber. Ich wusste, dass ich ihm später Rede und Antwort stehen müsste, doch er würde es verstehen, da war ich mir sicher.

„Ihr habt nicht zufälligerweise Hypericum perforatum hier im Lager?“, fragte ich hoffnungsvoll. Fer sah mich skeptisch an, schüttelte jedoch den Kopf.

„Warum sollten wir Hexenkraut im Lager haben? Du glaubst doch nicht ehrlich, dass das gegen den bösen Fluch des Mädchens helfen wird!“

Ich zuckte nur mit den Schultern. „Nur so ein Gefühl!“, murmelte ich.

„Wo finde ich Gan?“, wechselte ich abrupt das Thema. Weder warf mir Fer einen skeptischen Blick zu. Drückte ich mich denn so undeutlich aus?

„Am Feuer!“, gab er schließlich die Antwort. Ich nickte und wollte mich schon abwenden, doch Fer hielt mich zurück. „Du wirst nicht wieder verschwinden, oder?“

Er klang auf einmal wieder so verloren, traurig, jedoch auch vorsichtig, auf meine Reaktion schauend.

Ich schüttelte den Kopf. Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Wahrscheinlich blieb mir jedoch keine andere Wahl, wenn ich dem Mädchen helfen wollte und dies stand außer Frage.

„Nicht, ohne dir vorher persönlich Bescheid zu sagen.“ Unglücklich sah er mich an, nickte aber und ich machte mich schnell auf den Weg, um seinen traurigen Blicken zu entkommen.

An Feuer saß nicht nur Gan, sondern auch noch mindestens zwanzig aus Fers Rudel, die mich neugierig begutachteten, doch ich hatte keinen Blick für sie übrig.

„Gan.“, wisperte ich leise, sobald ich in Hörweite war und hoffte, dass nur er mich hören konnte. Bei den guten Ohren der Gestaltwandler wusste man immerhin nie.

„Du hast nicht zufälligerweise Hypericum perforatum auf Lager?“ Gan sah mich fragend an und schien kurz zu überlegen. Dann schüttelte er bedauernd den Kopf. Enttäuscht wollte ich mich schon abwenden.

„Doch, warte.“ Plötzlich schien ihm doch noch etwas einzufallen und er sprang hoch. Nun schauten uns alle Gestaltwandler gebannt an, aber ich zog Gan einfach mit mir mit, vom Feuer weg, ehe noch Fragen kamen oder wir die Blicke der Anderen weiter ertragen mussten.

Kurz ließ sich der Heiler mitzerren, dann begann er selber den Weg zu dem Zelt einzuschlagen, in dem ich in meiner ersten Nacht hier geschlafen hatte. Nun würde ich vermutlich jede Nacht in Fers Zelt verbringen. Immerhin waren wir Gefährten und es fiel mir jetzt schon schwer nicht in seiner Nähe zu sein, obwohl wir gerade erst vor sieben Minuten auseinander gegangen waren.

„Ich habe vor etwa zwei Monaten eine kleine Flasche Rotöl geschenkt begonnen. Es ist nicht viel, könnte aber eine ähnliche Wirkung wie ein Aufguss haben. Ich habe auch schon überlegt, ob wir Hypericum perforatum vielleicht bei dem Mädchen anwenden können.“

Er begann in seinen Taschen zu wühlen.

„Aber sag: Wie bist du darauf gekommen?“ Endlich schien er gefunden zu haben, was er gesucht hatte. Er hielt eine kleine mit einem Korken verschlossene Phiole in der Hand, in der eine rote fettige Flüssigkeit schwamm.

„Das Mädchen hat mich auf die Idee gebracht. Es soll schon früher bei ihr angewendet worden sein.“, erklärte ich knapp.

Der Heiler warf mir einen neugierigen Blick zu. „Es hat geredet?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte keine Lust mich nun zu erklären, sonst könnten wir dem Mädchen nicht mehr helfen.

„Kann ich ein wenig davon haben?“, fragte ich.

Wieder warf Gan mir einen neugierigen Blick zu. „Ich nehme an, dass du dich jetzt mit dem Öl wieder in dem Zelt zurückziehst und keine Gesellschaft haben willst?“ Ich nickte nur.

Der Heilmagier seufzte kurz, reichte mir jedoch das Fläschchen und ich lächelte ihn dankbar an, ehe ich mich auf die Suche nach dem Zelt machte, in der das Mädchen lag. Fer, der vor dem Eingang auf und abging schaute auf, doch ich warf ihm nur einen Blick zu, woraufhin er schwieg und bedeutete ihm, dass er mir nicht folgen sollte. Kurz spürte ich durch unser Band Wiederstand aufbrodeln, doch er nickte verständnisvoll, als ich ihm ein beruhigendes Gefühl von mir übermittelte und der Wiederstand verschwand.

Im Zelt war es dunkler als draußen, doch ich konnte alles sehen. Das Mädchen lag immer noch unverändert in ihrem Erdmantel da und ich fürchtete kurz, schon zu spät gekommen zu sein, doch noch atmete sie. Wieder konzentrierte ich mich auf mein Inneres, entkorkte die Phiole und gab ein paar Tropfen des Öls auf meine Hände. Es fühlte mich kühl und fettig auf meiner Haut an und unwillkürlich begann ich es leicht zu erhitzend. In kreisenden Bewegungen massierte ich es dem Mädchen an den Schläfen ein, nachdem ich die Phiole wieder sicher verschlossen hatte. Dabei konzentrierte ich mich auf ihre Gedanken. Mit Leichtigkeit durchbrach ich ihren geistigen Schutzwall und machte mich auf die Suche nach dem dunklen Fluch in ihren Gedanken. Unwillkürlich überfiel mich Angst und ich glaubte Sterben zu müssen, als ich ihn fand, doch ich zwang mich zur Ruhe. Die Flammen und Fer, der besorgt hereingestürzt war und nun tröstend eine Hand auf meinen Oberschenkel gelegt hatte, gaben mir Kraft. Ich konzentrierte mich stärker und ließ kurzerhand meine Flammen auf den dunklen Fluch los. Das Johanniskraut, das inzwischen im Blut des Mädchens angekommen zu sein schien, tat sein Übriges. Ein erbitterter Kampf im Inneren der Gedanken der Kleinen brach los und das Mädchen schrie vor Schmerzen, doch ich hoffte, dass sie durchhalten würde. „Erde gebe ihr Kraft.“, flehte ich und hoffte, dass der Erdumschlag ihr helfen wurde. Endlich schien der Fluch von den Synapsen gerissen zu werden, die er für sich beschlagnahmt hatte. Die Teufelsflucht-Pflanze hatte ihre Pflicht getan. Ich konzentrierte mich wieder stärker und endlich gelang es mir den losgelösten Fluch in Flammen aufgeheben zu lassen. Als meine Flammen den Fluch fraßen, glaubte ich kurz in seinem Inneren zwei schwarzglühende Augen zu sehen, die racheschwörend mich ansahen, dann verschwand der Fluch und ich sackte zusammen, bemühte mich jedoch bei Bewusstsein zu bleiben. Nur die starken Hände von Fer hielten mich auf der Liege und ich blinzelte ein paar Mal, um wieder klare Sicht zu bekommen. Doch ich war nicht die Einzige. Auch das Mädchen, dass den Kampf in ihrem Inneren glücklicherweise überstanden und deren Atem sich wieder vertieft hatte, schlug die Augen auf. Wieder sahen mich diese lindgrünen Augen dankbar an.

„Danke, Ignisaeri!“ Ihre Stimme unterschied sich kaum von ihrer Gedankenstimme. Noch immer glich sie dem Gesang eines Engels. Ich lächelte sie freundlich an.

„Keine Ursache. Und nenn mich ruhig Carrie. Der Name ist hier in der realen Welt gebräuchlicher.“

Fer sah mich sonderbar an, als die Kleine mich Ignisaeri nannte, doch ich konnte seinen Blick nicht deuten. Auch seine Gedanken schien er vor mir verschlossen zu haben.

„Ich bin Elena.“, stellte sich das Mädchen vor. Endlich hatte sie einen Namen für mich.

„Bist du neun oder zehn?“, fragte ich neugierig, obwohl es im Grunde genommen keinen Unterschied machte.

„Ich bin bereits zehn.“ Der Stolz in der Stimme der Kleinen war nicht zu überhören.

„Du sagtest, deine Eltern seien tot. Woran sind sie gestorben und bei wem lebst du jetzt?“, wollte ich als nächstes Wissen, Fers skeptischen Blick ignorierend, dass ich das wusste. Es war ein schweres Thema, doch ich musste darüber Gewissheit haben, dass niemand die Kleine vermissen würde, wenn ich ihr anbot, bei mir zu bleiben. Ich fühlte mich irgendwie für sie verantwortlich.

„Die Palinas haben meine Eltern ermordet.“, spie das Mädchen bitte aus. „Seitdem bin ich auf der Flucht.“ Ich überlegte kurz. Wir waren auch angegriffen worden, als ich zehn war. Veränderte sich in diesem Alter die Aura so stark, dass deutlich wurde, wenn ein Elementarbändiger erwachte.

„Schht.“, tröstete ich sie. „Jetzt bist du in Sicherheit.“

„Ich weiß.“ Weisheit sprach aus ihrem Blick. Sie war zwar noch ein Kind, aber ihre Zeit alleine im Wald hatte sie rasch altern lassen.

>Wieso kann ich mit dir auf geistiger Ebene kommunizieren.< fragte sie, diesmal lautlos und warf Fer rasch einen kurzen Blick zu.

„Das ist Fer, mein Gefährte. Er ist ein Gestaltwandler.“, stellte ich Fer laut vor, ehe ich ebenso lautlos hinzufügte.

>Du bist ein Elementarbändiger, genau wie ich. Wir lassen eine Legende aufleben, die beinah schon vergessen wurde. Wir beherrschen jeweils ein Element und können auf geistiger Ebene kommunizieren. Wie das genau funktioniert kann ich dir leider nicht erklären, aber ich weiß auch erst seit anderthalb Monaten bewusst von meiner Gabe. Du bist ein Erdbändiger.<

„Deswegen die ganze Erde.“, stellte Elena fest. Ihr schien es erst zu spät bewusst zu werden, dass sie diesen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Ich beobachtete Fer unauffällig aus dem Augenwinkel.

„Ja, ich dachte, es würde dich ein wenig wärmen. Immerhin habe ich sie erhitzt.“, log ich laut und fügte in Gedanken hinzu.

>Fer weiß zwar von meiner Gabe, aber deine oder Elias Gabe kennt er noch nicht und ich würde es ihm gerne in Ruhe erklären.<

Elena nickte. Fer warf mir wieder einen skeptischen Blick zu, doch ich lächelte ihn nur warm an.

>Wer ist Elias?<, fragte das Mädchen auf einmal und ich erinnerte mich, dass ich seinen Namen erwähnt hatte.

>Elias ist ein Luftbändiger, der vor drei Tagen geboren wurde. Wie bereits gesagt, die Ära der Elementarbändiger beginnt wieder.<

>Du kannst das Feuer befehlen, oder?< Ich nickte, einen Moment vergessend, dass Fer dies sehen könnte, doch er betrachtete nur gedankenverloren das Mädchen.

„Es ist schön, dich wieder zurück im Leben begrüßen zu können, Elena.“, sagte er und unterbrach damit unseren Gedankenaustausch. „Ein guter Freund von mir wird nachher noch einmal nach dir sehen. Carrie, ich würde dich gerne einmal sprechen.“

Ein ungutes Gefühl stieg in mir hoch, doch ich würde Fer alle Fragen beantworten.

„Ich komme nachher nochmal, Elena. Ruh dich ein bisschen aus. Der Fluch hat dir, soweit ich mitbekommen habe, viel Kraft gekostet.“ Sie nickte und lächelte mich auf meine Worte hin noch einmal dankend an, dann ließ ich mich von Fer aus dem Zelt ziehen.

Anders als erwartet, zog er mich nicht zurück in sein Zelt, sondern ging auf den Wald zu. Offenbar war ihm klar, dass unser Gespräch nicht für alle Ohren geeignet war.


Kapitel 14

Erst nachdem wir mehrere Meter in den Wald gegangen waren, hielt Fer an.

„Nun ich höre: Was ist im Zelt passiert?“ Wieder hatte Fer diesen autoritären Ton drauf und ich war mir sicher, dass er sich dieses Mal nicht vertrösten lassen würde.

„Ich habe Elena von ihrem Fluch befreit.“, gab ich leise zu.

„Du hattest Angst. Ich habe es gespürt und wollte dich beschützen, doch ich wusste nicht, wovor ich dich schützen sollte. Ich kann nur nach der dritten Stufe der Bindung durch deine Augen sehen. Das hat mich zutiefst frustriert.“, stellte Fer fest.

Ich nickte. Ich verstand ihn, aber was sollte ich darauf groß antworten.

„Du schienst mit dem Mädchen schon recht vertraut zu sein.“ Wieder war es eine Feststellung und keine Frage.

„Woher wusstest du das mit ihrer Familie und dem Johanniskraut?“

„Sie hat es mir gesagt.“ Ich wusste, dass nun der Zeitpunkt für die Wahrheit gekommen war.

„Fer, sie ist wie ich. Genauso wie Elias.“ Auf diese Offenbarung sagte Fer nichts, doch ich sah den Unglauben in seinem Blick.

„Sie beherrscht die Erde und Elias wird einmal die Luft beherrschen können. Wir-“ Ich ließ Fer nicht aus den Augen und beobachtete jede seiner Reaktionen. „können auf geistiger Ebene kommunizieren. Wie das funktioniert weiß ich nicht. Aber ich bin nicht mehr allein!“, schloss ich beinah hoffnungsvoll.

„Du warst nie allein.“, murmelte Fer und nahm mich fest in die Arme. Ich hatte ja gewusst, dass er es verstehen würde, doch eine Sache blieb noch aus.

„Bitte erzähl niemanden etwas davon, Fer. Nicht einmal Gan. Es ist äußerst riskant, wenn sich so viele Elementarbändiger auf einer Stelle aufhalten und diese Informationen dürfen unter keinen Umständen an die falschen Ohren gelangen!“ Fer nickte. In seinem Blick sah ich Verständnis, obwohl ich spürte, wie schwer es ihm fiel, nicht einmal Gan in diese ganze Sache einzuweihen.

„Warum hast du dich vorhin so verschlossen, als das Mädchen mich Ignisaeri genannt hatte?“ Dieses Mal war es an mir zu fragen.

Kurz versteifte sich Fer, doch dann beschloss er mir die Wahrheit zu sagen. Immerhin hatte auch ich ihm meine Geheimnisse dargelegt. Durch das Band spürte ich den innerlichen Kampf, ob er es mir sagen sollte oder nicht.

„Früher würden die Drachenwandler auch Ignisaeri genannt. Doch da sie wie die Elementarkrieger schon fast zu einer Legende geworden waren, wurde auch der Name vergessen. Auf der Lichtung, als du mit den Palinas gekämpft hast und dich der Eine mit seinem Blut benetzte, hast du dich auch schon so genannt. Woher kennst du diesen Namen? Ich nehme an, dass die Kleine ihn von der Situation auf der Lichtung hatte.“

Kurz dachte ich zurück. Es war wahr, was Fer sagte. Ich hatte mich als Ignisaeri vorgestellt. Aber warum? Erst langsam kehrte die Erinnerung zurück.

„ Bei meiner ersten Verwandlung in meinem Elternhaus-“, ich hörte, wie er scharf die Luft einzog, als er sich daran zurückerinnerte. „kamen die Flammen unkontrolliert und ich spürte, wie der Name in mir aufloderte. Kurz glaubte ich sogar, diese Person zu sein, die bereits mein Vater immer in meinen Träumen ruft. Aber dann habt ihr mich mit meinem Namen in die Wirklichkeit zurückgeholt. Auf der Lichtung habe mich an diesen Namen zurückerinnert und die Flammen sind stärker geworden, als sie es sonst waren. Was denkst du, warum ist das so?“

„Dein Vater besucht deine Träume?“, fragte Fer plötzlich. Ich erinnerte mich, dass ich auch dieses Geheimnis soeben ausgesprochen hatte. Fer wusste ja gar nichts über meinen Vater, außer dass er verschwunden war. Oje, nun musste ich ihm noch mehr erklären.

„Ja, oder jedenfalls die Person, die ich all die Jahre für meinen Vater gehalten habe. Aber mein Gefühl sagt mir, dass er nicht mein leiblicher Vater ist.“

„Die Kunst, in Träume anderer Personen zu kommen, beherrschen nur sehr wenige. Und es erfordert sehr viel Kraft. Nur die stärksten Vampire können in die Träume anderer gelangen. Seit Jahren ist dies Keinem mehr gelungen. Kann es sein, dass du uns über deinen Vater nur die halbe Wahrheit gesagt hast?“

Ich schüttelte nur den Kopf. So so, mein Vater sollte also einer der stärksten Vampire sein, die es je gab. Ich fragte mich, ob Lak oder meine Mutter auch Arsanimali waren.

„Ich hatte keine Ahnung, dass er ein Vampir ist.“, stellte ich leise klar.

„Vermutlich weiß niemand, dass er ein Traumwandler ist.“, überlegte Fer laut. „Sonst würde er nicht mehr leben. Was war seine letzte Nachricht an dich?“

Kurz rief ich mir den letzten Traum in Erinnerung, den ich während meinem Kampf mit dem Gift hatte.

„Er saß in einer Zelle und sagte: >Beeil dich, Ignisaeri. Finde mich, sonst wird es zu spät sein. Du bist bereit für den Kampf. Und hüte dich vor dem Schatten.<“ Die Worte meines Ziehvaters waren mir gut in Erinnerung geblieben.

Fer versteifte sich wieder.

„Und er sprach eindeutig von einem Schatten?“ Er schien wirklich beunruhigt zu sein.

„Ja. Was bedeutet das?“, fragte ich.

„Nichts Gutes!“, ließ Fer düster vernehmen.

„Ist der Schatten so etwas wie in dem Roman „Eragon“ von Christopher Paolini?“

Fer schüttelte den Kopf. „Der Schatten ist wie der Name schon sagt, nicht außer einem Schatten. Eine Gestalt, die aus Rauch zu bestehen scheint, dunkle Flüche austeilt und überall wo er hinkommt den Tod bringt. Wenn du dich schon vor den Palinas gefürchtet haben solltest, dann wir dir der Schatten wir der Gevatter Tod persönlich vorkommen.“

Ich überlegte kurz. Eine dunkle Gänsehaut schlich über meinen Rücken.

„Dann war er es vermutlich mit dem dunklen Fluch von Elena. Sie berichtete mir von einem Schatten und Schmerzen.“

Fer sah mich alarmiert an. „Das heißt, dass wir alle in großer Gefahr schweben. Warum hast du das noch nicht früher erwähnt?“

„Ich wusste nichts von einem Schatten.“, erinnerte ich ihn.

„Kann man ihn irgendwie töten?“, fragte ich Fer, doch der schüttelte nur den Kopf. „Ein Schatten stirbt nur, wenn sein Meister vernichtet wird. Dies ist höchstwahrscheinlich Atro. Wir müssen sofort zurück!“

Ich nickte und wir eilten zurück zum Feuer. Dort erwartete uns das blanke Chaos. Tote Gestaltwandler lagen auf dem Boden verstreut, Zelte waren zusammengeknickt, wie ein Kartenhaus und den Gestaltwandlern, die noch durch die zerstörten Zeltreihen liefen, stand wilde Panik ins Gesicht geschrieben.

„Bleib hier!“, befahl Fer, zog sich sein Oberteil auf und verwandelte sich vor meinen Augen im Sprung in einen wunderschönen weißen Tiger. Ich seufzte glücklich auf, so einen schönen Gefährten abbekommen zu haben, dann sah ich ihm nach, wie er in Tigergestalt durch die Zelte sprang, nach Lebenzeichen seines Rudels suchte und versuchte mit seiner Autorität die panische Masse zu beruhigen. In der Nähe in einem Busch raschelte es und ich spürte ein vorsichtiges Anstupsen an meinen Geist. Ich ließ Elena, deren Präsenz ich sofort erkannt hatte herein und begab mich auf die Elementarkriegerebene.

>Wir befinden uns im Gebüsch.< übermittelte sie. >Der Schatten kam zurück. ich habe ihn gespürt und bin geflohen. Er hat alles zerstört. Ich wollte mich gerade verstecken, da bin ich auf Elias gestoßen. Carrie, seine Mutter ist Tod. Der Schatten war schon da und hat ihn zum Glück in seiner Gier, sich auf seine Mutter zu stürzen übersehen. Ich habe ihn aus ihre toten Armen genommen.< Ich spürte, wie das Mädchen sich schüttelte. >Wie soll er ohne seine Mutter überleben?<

Ich versuchte sie zu beruhigen und begab mich vorsichtig zu den Büschen, mich aufmerksam umschauend. Ich musste mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es den beiden gut ging. Ich bedauerte Opes Tod, doch ich hoffte, dass wir den kleinen Luftbändiger auch so durchbringen würden. Auf jeden Fall war ich schon einmal beruhigt, dass es den Beiden gutging, denn wie für Fer sein Rudel seine Kinder zu sein schienen, waren es für mich diese Beiden Elementarbändiger. Kurz durchfuhr mich Stolz, als ich im Gebüsch Elena entdeckte, die ein kleines Stoffbündel fest an ihre Brust drückte und aufmerksam durch die Löcher im Gebüsch die Umgebung betrachtete. Für eine solche riskante Situation hatte sie sehr weise gehandelt. Das würde ich ihr später ausrichten, denn in meiner Nähe spürte plötzlich eine ähnliche kalte Präsenz, wie die, die ich beim Fluch bereits gespürt hatte. Ich wirbelte herum. Am anderen Ende des Platzes war eine schwarze Kapuzengestalt aufgetaucht. Ihre Hände schienen einem Skelett zu ähneln und Fer hatte Recht gehabt. So hatte ich mir Gevatter Tod immer vorgestellt gehabt. Vorsichtig entfernte ich mich von dem Versteck der anderen Beiden, um sie zu schützen und trat näher auf den Schatten zu. Kurz überlegte ich Fer um Hilfe zu rufen, entscheid mich dann jedoch anders. Er würde gerade genug um die Ohren haben und immerhin war ich nicht ganz wehrlos.

„Seid gegrüßt Ignisaeri. Es freut mich, euch einmal persönlich kennenzulernen.“ Die Stimme des Schattens schien direkt der Hölle zu entstammen und versprach nichts als den Tod. Doch ich versuchte die dunkle Magie, die mich einzuhüllen versuchte, nicht gewinnen zu lassen.

„Das Vergnügen ist leider nicht auf meiner Seite!“, sagte ich kalt. Ich war mir sicher, dass es unklug war, den Schatten zu verärgern, doch ich war wütend und wollte Rache für alle die Gestaltwandler, die heute ihr Leben gelassen hatten. Und eigentlich schien ich schon immer ein hitziges Temperament in komplizierten Situationen zu haben, wenn ich an die Situation auf der Lichtung dachte.

„Schön.“, stellte der Schatten fest. Seine Stimme war, sofern dies noch möglich war, noch kälter geworden zu sein.

Der Schatten trat näher und ich musste mich zwingen nicht zurückzuweichen, als ich seine Präsenz spürte. „Ich hoffe, da war keiner deiner Freunde dabei.“ höhnte er und trat gegen einen der Leichname, den ich als Sali identifizierte. Ein Knochen knackte. Offenbar war eine Rippe gebrochen worden. Wollte er nun auch noch Leichen schänden? Ich spürte, wie meine Wut die Flammen höher brennen ließ, doch ich drängt sie zurück und verbarg meine Wut mit ihnen.

„Etwa eifersüchtig?“, fragte ich herausfordernd. Ich wusste, dass ein Kampf zwischen uns unausweichlich sein würde, obwohl ich noch keine Ahnung hatte, wie ich ihn besiegen sollte.

Das Band in mir meldete Fers Rückkehr. >Fer, bitte komm jetzt nicht hier her.<, flehte ich inständig. Natürlich missachtete er meine Worte, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, als er den Schatten sah. Ich spürte die Wut, die in ihm hochkochte, doch ich versuchte erst gar nicht ihn zu beruhigen, denn meine eigene Wut machte mir mehr zu schaffen denn je.

„Fer Tigris. Wie schön, dich einmal wieder zu sehen, mein Sohn.“ Ich spürte, wie Fer sich versteifte und in mir flogen massenweise Fragen auf, doch ich drängte sie zurück. Ich war mir sicher, dass der Schatten nur ablenken wollte und mir die Blöße geben, meinem Gefährten nicht zu vertrauen würde ich auch nicht. Plötzlich kam mir eine Idee. Da wir durch ein Band der Liebe verbunden waren, würden meine Flammen ihm nichts tun, da war ich mir sicher. Vielleicht könnten wir… Ich spürte, wie Fer zu demselben Schluss gekommen war.

>Auf mein Zeichen.<, dachte ich. Fer blinzelte einmal, als Zeichen, dass er verstanden hatte. >Drei, zwei, Eins, Los.<

In dem Moment gab es einen lauten Knall und der Schatten verschwand ins Nichts. Nur seine Stimme konnte ich kurz in meinem Kopf hören. >Wir sehen uns wieder, Ignisaeri!<, dann war er und seine kalte Präsenz verschwunden.

>Warum ist er geflohen?<, fragte ich Fer immer noch in Gedanken.

>Ich habe kein Ahnung<, gab Fer zu. >Aber es gefällt mir nicht.<


Kapitel 15

Mehr als die Hälfte des Rudels war dem Schatten zum Opfer gefallen. Fer hatte sich zusammen mit mir und Gan, der nach einem Zusammenstoß mit einer Zeltstange bewusstlos geworden und erst nach dem Angriff des Schattens wieder aufgewacht war, um die Verletzten gekümmert. Da wir meine Gabe geheim halten wollten, war es schwer gewesen, den Fluch von den Leuten zu lösen, ohne ihnen zu schaden. Nur einmal musste ich meine Gabe anwenden, doch es gelang Gan unter Mühe, die als normale Kopfschmerzen zu tarnen. Danach rief Fer eine Art Sondersitzung ein, bei der alle Rudelmitglieder anwesend waren und auch mich und Gan bat er als Gäste dazu. Die Meisten der Gestaltwandler hatten sich inzwischen an unsere Nähe gewöhnt und auch für mich war es nicht ungewöhnliches mehr, ständig von halbnackten Menschen umgeben zu sein, da sie sich wegen der Verwandlung noch nicht einmal die Mühe machten, sich etwas anzuziehen. In der Sondersitzung würde darüber abgestimmt, mich und Gan offiziell als Rudelmitglieder anzusehen - bis auf vier Leute waren alle dafür -, dass die Leichen in zwei Tagen feierlich in einem Totenritual mit einer Verbrennung der Natur zurückgegeben werden sollten und wie nun das weitere Vorgehen war. Schließlich einigte man sich darauf, sich in drei Gruppen zu spalten. Fünf, darunter Fer, Gan und Ich wollten die graue Burg von Atro aufsuchen; fünf weitere wollten sich auf die Suche nach anderen Gestaltwandlern und Wesen machen, die an unserer Seite kämpfen würden, die anderen sieben Gestaltwandler, darunter größtenteils Frauen beschlossen währenddessen, das Lager auf Vordermann zu bringen. Fer hielt es für riskant, sie schutzlos zurückzulassen, doch sie ließen sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen.

Nachdem endlich die Versammlung endete, war es bereits tiefe Nacht und das Lagerfeuer schien die einzige Licht und Wärmequelle im gesamten Lager zu sein. Etwas abseits lagen die ganzen Leichname, damit jeder sich von ihnen verabschieden konnte. Fer starrte in die Flammen, doch ich beschloss dennoch mit ihm zu reden.

„Kann ich dich kurz sprechen?“ Fer sah auf, kurz sah ich ihn noch in Gedanken hängen, ehe er blinzelte und rasch in der Realität anzukommen schien.

„Natürlich, meine Socia.“, erwiderte er leise und erhob sich schnell. Ein paar Gestaltwandler sahen auf, als wir Hand in Hand das Lagerfeuer verließen.

„Wir haben bei unserer Abstimmung gar nicht Elias und Elena bedacht. Was wird aus den Beiden?“, Fer zuckte zusammen. Der Tod von Ope hatte ihn besonders schwer getroffen, doch auch er war beruhigt, als er von mir erfahren hatte, dass beide Elementarkinder noch lebten.

„Es ist sehr riskant, sie mitzunehmen. Aber es ist noch riskanter, sie jemand anderen anzuvertrauen. Selbst wenn Elias in dieses Rudel geboren wurde, wird irgendwann seine Gabe auffallen.“

Fer nickte. Diese Gedanken waren ihm auch schon gekommen.

„Du bist dir hoffentlich bewusst, dass wenn wir sie mitnehmen, wir das beliebteste Ziel der Palinas sein werden?! Immerhin haben wir dann drei Elementarbändiger bei uns.“

Diesmal nickte ich. Dank mir und meiner Unverfrorenheit, wären wir dies sowieso, aber ich wollte Elena und Elias eigentlich nicht noch einer größeren Gefahr aussetzen.

„Kennst du nicht Jemanden, denn du hundertprozentig vertraust und der auf die beiden Aufpassen könnte?“, fragte ich verzweifelt.

Fer zögerte. „Es gäbe da jemanden. Aber dazu müsst Gan fragen. Immerhin ist sie seine Schwester.“

„Okay.“, stimmte ich zu, froh überhaupt jemanden zu haben, der dies übernehmen könnte.

Ich wartete kurz, während Fer zum Feuer herüberging, um Gan zu holen. Ohne Feuer war es kalt und ich rieb mir kurz die Hände, ehe ich beschloss, versteckt vor den Blicken der Anderen, eine kleine Flamme in ihnen zu errichten, um meine klammen Finger aufzutauen.

Der Heilmagier stapfte mit skeptischen Blick hinter Fer her auf mich zu. „Was gibt’s?“

„Gan, wir brauchen deine Hilfe.“, begann Fer.

„Nun, wo Ope tot ist und sich Elena, also das kleine Mädchen seiner angenommen hat – “, ergänzte ich.

„ –bräuchten wir Jemanden, der auf die Beiden aufpassen kann, da sie nicht beim Rudel bleiben können und wir sie schlecht mit in die Höhle des Löwen nehmen können.“ Ich wechselte mich mit Fer ab, als hätten wir nie etwas anderes gemacht, als uns in unseren Sätzen zu ergänzen und das schien Gan ziemlich zu verwirren.

„Dabei dachten wir-“, begann ich wieder.

„An deine Schwester. Loire“, beendete Fer schließlich unsere lange Ansprache.

Gan sah ungläubig von Fer zu mir und wieder zurück.

„Das könnt ihr vergessen!“, platzte er schließlich heraus.

„Loire hasst Kinder. Außerdem kann ich ihr so viel Aufregung nach der Sache am Feuer-“ Ah, das war also Gans Schwester gewesen, dachte ich und erinnerte mich an meine erste Begegnung mit Gan.

„-nicht noch mehr zumuten! Außerdem, warum bleiben die Kinder nicht bei den Anderen?“

„Sie sind wie ich.“, murmelte ich leise. An Gans sich weitenden Augen sah ich, wie er begriff. „Außerdem ist es hierzubleiben auch nicht gerade ungefährlich.“

Gan nickte und seufzte. An seinem resignierten Gesichtsausdruck sah ich, dass wir gewonnen hatten. Er würde seine Schwester fragen. Ich hoffte, sie würde ihren Kinderhass nicht an den Beiden auslassen. Immerhin hatten Beide schon genug Grausamkeiten erleben müssen.

Nach diesem Beschluss begaben wir uns zurück zum Feuer, Fer und ich wieder Händchen haltend, was wieder einige neugierige Blicke auf uns lenkte, doch ich lächelte den Gestaltwandlern nur zu und starrte dann gedankenverloren in die Flammen.

Ach könnte ich doch nur so frei sein wie sie. Ungebunden, ohne die Kriegslast und vor allem Unbezwingbar.

„Carrie?“ Ruber ließ sich neben mir wieder. Der Baumstumpf, auf dem Fer und ich saßen wackelte leicht, als er sich setzte. „Du warst ja letztens so schnell verschwunden gewesen. Dabei wollte dir Sali noch unbedingt ein Geschenk überreichen. Jetzt wo er tot ist“ Er zog kurz die Nase hoch. Es war offensichtlich, dass er trauerte. „finde ich dennoch, dass du es bekommen solltest. So als Andenken an ihn.“ Er griff sich eine Hand und drückte etwas Schweres, Unförmiges hinein. Neugierig schaute, ich mir mein Geschenk an. Es war ein Feuerstein und ein Stück Zunder.

„Es fand, er passt zu dir, wo du doch immer dein eigenes Feuer zu haben scheinst.“ Erschrocken schaute ich ihn an. Hatte er mein Geheimnis etwa erkannt. Ich entspannte mich erst wieder, als ich sein Lächeln sah. „Vom Temperament her.“, fügte er erklärend hinzu.

Diesmal musste auch ich lächeln und innerlich entkrampfte ich wieder. „Danke. Ich werde ihn in Ehren halten.“ Er lächelte mir noch einmal aufmunternd zu, dann erhob er sich wieder und verschwand in der Dunkelheit, mich mit meinem Geschenk alleine lassend.

„Siehst du, Carrie. So schlimm kannst du gar nicht sein, wenn sogar meine Rudelmitglieder dir Geschenke machen.“, hörte ich Fers Stimme an meinem Ohr. Ich lehnte mich an ihn und umklammerte den Stein fester. Vielleicht hatte Fer Recht. Ich sollte mir vergeben.

„Und mit dem Temperament hat er leider recht!“, stichelte Fer leise. „Du bringst mein Blut ganz schon zum Kochen.“ Ich spürte, wie ich rot wurde und hoffte, dass dies im Feuerschein nicht so auffallen würde. Ich gab Fer eine Kopfnuss, die mir jedoch mehr wehtat als ihm, als ich seinen harten Schulterknochen erwischte. Ich hörte ihn leise lachen, doch ich ignorierte diese Tatsache und kuschelte mich noch fester an ihn.

„He, nicht einschlafen.“ bemerkte Fer mit einem Lächeln, als mein Kopf auf seinen Schoß zu rutschen drohte. Tatsächlich waren mir für einen kurzen Moment die Augen zugefallen. Aber es war auch nicht anders zu erwarten, in der angenehmen Gesellschaft. Mein Tiger. Wieder schloss ich glücklich die Augen und ließ mich beinah absichtlich auf seinen Schoß fallen. Wieder lachte Fer auf und ich lauschte erfreut über diesen Klang. Ich liebte es, ihn so glücklich zu sehen. Gedankenverloren streichelte er mir über die Wange und strich mir ein paar zerstreute Haarsträhnen aus dem Gesicht, um mich weiter betrachten zu können. Ich konnte Fers Magen knurren hören.

„Hey, ich bin nicht dein Abendessen.“, brummelte ich mit einem Anflug von schwarzen Humor.

„Nicht?“, fragte Fer genauso schelmisch. Wieder gab ich ihm einen Stoß. Diesmal mit meinem Ellenbogen in seinen Magen.

„Aua, du bist ganz schon gewalttätig?“, jammerte Fer.

„Für einen Tiger bist du ganz schon zahm.“, stellte ich halbschlafend fest. Ich war wirklich halbschlafend, sonst hätte ich so etwas nie gesagt.

„Was?“, fuhr Fer hoch, sodass ich beinah von seinem Schoss gefallen wäre. Kurz richteten sich alle Blicke auf uns und ich würde rot.

„Na, ich zeig dir mal was mein Tiger alles kann!“ Mit diesen Worten warf mich Fer über seine Schulter, mich an meinem Hintern festhaltend, sodass ich kopfüber an seinem Rücken baumelte und trug mich in Richtung Zeltstadt davon. Vom Lagerfeuer konnte ich vereinzelt Lacher hören. Wir mussten ein gutes Bild abgeben.

„Lass mich herunter, du Urmensch“, fauchte ich und versuchte mich verzweifelt aus seinen Armen zu winden, obwohl ich die Situation insgeheim genoss. Mir stieg das Blut in den Kopf und ich begann Sterne tanzen zu sehen. Fer lachte vor sich hin und hielt mich noch fester. Dabei hatte ich selbst bei seinem leichten Griff nicht die geringste Chance gegen ihn.

„Bitte, ich fange an, Sterne zu sehen.“, bat ich. Sofort verlagerte Fer mein Gewicht, sodass er mich nun in beiden Armen vor seiner Brust trug. Ein wesentlich angenehmerer Griff.

„Okay, okay ich gebe es zu. Du bist der gefürchtetste Tiger weit und breit und zu recht.“, murmelte ich und kuschelte mich stärker an Fer, der wieder leise lachte, was mir missfiel, als mein Kissen plötzlich zu beben begann.

„So gefällst du mir schon viel Besser, Kätzchen!“, sagte er und zog mich fester an seine Brust.

„Ich bin keine Katze. Ich bin ein großer und gefährlicher Drache!“, hauchte ich und glitt in das Traumland, während ich Fer sich über meine Situation amüsieren spürte. Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen schlief ich schließlich ein.


Kapitel 16

Ein sanfter Kuss auf meiner Wange weckte mich.

„Aufstehen, Kätzchen.“ Ich schlug die Augen auf und versank sofort im tiefen Moos.

„Ich könnt mich daran gewöhnen, so geweckt zu werden.“, murmelte ich glücklich. Fer lachte.

„He, nicht wieder einschlafen. Es gibt heute noch viel zu tun.“

Fer hatte Recht. Heute würden wir das Feuer für die Totenverbrennung errichten, die Zeltstadt ordnen und uns auf die Reise übermorgen vorbereiten müssen. UND mir waren doch tatsächlich wieder die Augen zugefallen.

Ich stöhnte und rollte mich so schwungvoll auf die andere Seite dass ich kurzerhand von der Liege rutschte.

RUMS. Der schmerzhafte Aufprall schaffte es endlich, dass ich hellwach war. Müde richtete ich mich auf. Meine Haare standen in alle Richtungen und ich war mir sicher, dass mein Gesicht zerknautscht war, da ich mich so fest in die Decke gewickelt hatte. Nun verfolgte mich dieser blöde Schatten schon in meine Träume. Immer wieder hörte ich ihn sagen >Wir sehen uns wieder!< und hatte all die Leichen der Gestaltwandler vor mir gesehen, vermischt mit denen aus meinen Erinnerungen an den Krieg.

„Ich fürchte, wir müssen heute die Anderen über unsere Gefährtenschaft aufklären, nachdem wie wir unser gestern verhalten haben.“, stellte Fer leise fest. Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Ich hatte mir gerade ein weinrotes Hemd überwerfen wollen, aber nun erinnerte ich mich wieder an gestern Abend und Schamröte stieg in mir hoch und ließ meine Wangen warm aufleuchten.

„Sonst denkt jeder hier, dass er so mit mir umspringen kann.“ Leichter Tadel schwang in Fers Stimme mit und ich wurde, sofern es möglich war noch röter. Ich hatte es endlich geschafft, mir das Hemd überzustreifen.

„Das würde sich doch nie Irgendjemand erlauben, dafür bist du zu autoritär.“

„Ach ja?“, fragte Fer mit einen leichten Unterton in der Stimme. „Dafür springst du mit mir aber ziemlich respektlos um.“

Ich wusste, dass er es nicht ernst meinte, denn sein liebevoller Blick machte dieses Theater zunichte. Ich streckte ihm die Zunge heraus. Mir war egal, wie kindlich diese Reaktion war und begann nach einer Hose zu suchen. Unter der Liege fand ich endlich, was ich gesucht hatte. Da spürte ich plötzlich zwei kräftige Arme an meiner Hüfte, die mich zurück auf meine Liege fallen ließen und schließlich meine Hände über meinen Kopf fixierten.

„Ich fürchte, ich sollte dir wirklich einmal zeigen, wo hier der Tiger ist.“, knurrte Fer. Ich schaute ihn nur trotzig an und versank in seinem Duft. Mmmh. Ein kurzer Biss in meinen Nacken ließ mich schlagartig zurück in die Wirklichkeit wandern. Offenbar versuchte Fer mir klarzumachen wo mein Platz war. Doch mich kümmerte der Druck in meinem Nacken eher wenig, denn ich wollte mit ihm spielen, wie mir ihm nächsten Moment bewusst wurde.

„Hast du mich etwa gerade gebissen?“, fragte ich herausfordernd. Fer vertiefte den Druck an meinen Hals, doch ich würde mich nicht beugen.

„Du bist jetzt offiziell im Rudel. Du solltest lernen, wo du hingehörst.“ Fer klang gedämpft, da er immer noch meinen Hals zwischen den Zähnen hatte.

„Nun wo ich deine Gefährtin bin, könnte ich ebenso das Alphaweibchen des Rudels sein. Also warum sollte ich mich dir unterordnen?“ Ich hatte ohne zu überlegen gesprochen und bereute sofort meine Worte. Zwar ließ Fer mich nach kurzem Überlegen im Nacken los, saugte sich dafür jedoch ein einer Stelle an meinem Hals fest, wie als wollte er sich rächen. Wenn er weiter so machte, würde sicherlich ein Knutschfleck entstehen. Ich hatte selbst noch keine Erfahrung damit, doch was meine frühere Freundin davon erzählt hatte….

„Fer. Hör so sofort damit auf!“, rebellierte ich auf und versuchte ihn von mir herunterzuschieben, doch er hatte mich im festen Griff gepackt und ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen, bis er zufrieden mit seinem Werk war. An meinem Hals war ein großer roter Fleck. Nun würde jeder hier im Rudel vermuten, was wir die ganze Nacht getrieben hatten.

„Du Arsch!“ Endlich ließ sich Fer zur Seite schieben, ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen.

„Es soll doch jeder sehen, dass du mir gehörst!“

Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu und begann mit hochrotem Gesicht in meine Hose zu schlüpfen. Amüsiert beobachtete Fer mein Treiben. Sein Handeln hatte mich so aus dem Konzept gebracht, dass ich drei Anläufe brauchte, um in die richtigen Hosenbeine zu kommen, was Fer wiederum mit einem leisen Lachen quittierte und mich innerlich aufstöhnen ließ. Dieser Mann war einfach nur ein Gott. Fast schon fahrig durchkämmte ich meine Haare mit den Fingern, bei jedem Koten zischend und band sie mir zu einem seitlichen Flechtezopf, in der Hoffnung, dass er meinen Knutschfleck bedecken würde, was ihm nach Fers hämischen Blick jedoch nur schwer gelang.

„Meinen Dolch hast du nicht zufälligerweise bei dem Kampf auf der Lichtung mit den drei Palinas mitgenommen, oder?“, lenkte ich vom Thema ab. „Er war ein Geschenk meines Vaters zu meinem 9. Geburtstag und liegt mir sehr am Herzen.“

„Dem Vampir-Vater?“, Fers Gegenfrage war schon fast ein Knurren. Offenbar wusste er noch nicht recht, wie er meinen Ziehvater einzuordnen hatte. Ich allerdings auch nicht, dennoch nickte ich.

„Doch, aber den müssen wir noch vor dem Benutzen in den Heilquellen des Westens reinigen. Immerhin wurde die Klinge mit Palinasblut getränkt und es wäre zu gefährlich, so mit ihm zu kämpfen. Du weißt ja, was das letzte Mal passiert ist.“

Wieder nickte ich und unterdrückte nur mit Mühe ein Zusammenzucken, als ich an den Schmerz vor der Gefährtenbindung dachte. Die Gänsehaut, die kalt über meinen Rücken kroch, konnte ich allerdings nicht verhindern.

„Kann ich, bis wir den Dolch gereinigt haben, vielleicht eine andere Waffe haben. Ich fühle mich so schutzlos.“

„Du und schutzlos.“, fauchte Fer herausfordernd, nickte jedoch nur als er den Ernst meiner Aussage in meinem Gesicht sah und schenkte mir einen liebevollen Blick.

„In Ordnung. Ich schaue einmal, was ich finden kann. Aber du weißt hoffentlich, dass ich dich nie schutzlos stehen lassen würde. Ich habe geschworen, dich mit meinem Leben zu beschützen und dass werde ich auch!“, beendete Fer beinah schon feierlich.

Dankbar sah ich ihn an und spürte als Gegenleistung all die Liebe über unser Band, die er für mich empfand. Es war unglaublich, wie viel man für ein anderes Lebewesen empfinden konnte. Ich wusste, dass diese Empfindungen noch stärker zu mir durchdringen würden, wenn wir den letzten Schritt unser Vereinigung hinter uns gebracht hatten. Dann würde ich schon das kleinste Zusammenzucken von ihm bemerken und all seine Gedanken hören. Denn das Abschirmen der Gedanken nach dem Abschluss der Gefährtenbindung vor dem Socius oder der Socia war kaum noch möglich. Wenn wir den letzten Schritt gingen, gäbe es keine Geheimnisse mehr. Aber da ich Fer sowieso inzwischen in alles eingeweiht hatte, würde mir das nicht schwer fallen. Ich bedachte ihn noch einmal mit einem liebevollen Blick, griff mir nach meinem Gürtel und band ihn mir um, kurz das Gewicht einer Waffe an ihm vermissend, ehe ich mir den Umhang überwarf.

„Wir können!“, gab ich Fer zu verstehen. Kurz bevor ich den Zelteingang erreichte, überkamen mich jedoch Zweifel.

„Fer, was ist, wenn dein Rudel mich nicht als ihr Alphaweibchen anerkennt? Immerhin bin ich noch nicht einmal ein Gestaltwandler!“ Meine Stimme war zaghaft und voller Zweifel. Die Vorstellung machte mir Angst.

„Du bist sehr wohl ein Gestaltwandler.“, hörte ich Fers Stimme leise hinter mir. Auch er war stehen geblieben und legte nun die Arme um meinen Bauch. „Sonst wäre die Gefährtenverbindung niemals so perfekt erfolgt. Wir wissen nur noch nicht, was du bist, aber das kleine Mädchen, Elena sprach von schwarzen Flügeln. Und vielleicht wurde der Name Ignisaeri nicht umsonst von deinem Ziehvater gewählt.“

Ich lehnte mich an ihn. Ich sollte also ein Drachenwandler sein? Zu dem Feuer in meinem Inneren würde es jedenfalls passen. Aber wie war das möglich?

„Außerdem kann ich mir kein besseres Alphaweibchen als dich vorstellen. Du kannst ganz schön autoritär sein. Erinnerst du dich an die Szene, wo du mich aus dem Zelt von Elena geworfen hast? Du hast keine Wiederworte bewilligt und wenn das kein Befehl war, dann weiß ich auch nicht.“

„Aber, das war doch nur wegen dem Band!“, versuchte ich mich zu verteidigen, doch ich konnte an meiner Schulter spüren, wie Fer den Kopf schüttelte.

„Das Band kann höchstens Empfindungen verstärken. Du hast diese autoritäre Seite schon immer in dir gehabt, du wusstest es nur noch nicht. Genauso wenig wie das mit deiner Gabe oder deiner zweiten Gestalt, was auch immer sie sein sollte.“

Ich dachte nach. Fer hatte Recht. Es war viel passiert, seit jenem Tag in der Hütte. Ich hatte mich verändert. Innerlich, wie äußerlich und war inzwischen bereit diese Verantwortung zu tragen. Ich war bereit. Auch das hatte mir mein Ziehvater vermittelt. Aber bereit für was? Für all die Verantwortung, die nun auf mich zukam? Bereit für einen möglichen Krieg? Und bereit, Fers Rudel gegenüber zu treten?

„An was denkst du, mein großes, starkes Alphaweibchen?“ Fer schien eindeutig besorgt zu sein.

„Daran, wie ich mich während meines-unseres Abenteuers verändert habe und was nun noch alles kommen könnte.“, offenbarte ich ihm mein Innerstes. Fer drückte mich fester gegen ihn.

„Keine Sorge. Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst.“

Ich nickte und ließ mich von Fer sanft nach draußen führen. Kalte Luft schlug uns entgegen. Mir war gar nicht aufgefallen, wie aufgeheizt das Zelt gewesen war. Aber vermutlich war dies nach meinen Gefühlen dort drin auch kein Wunder, die ein gelungenes Fressen für mein Feuer waren. An Fers Seite, die Hände ineinander verschränkt gingen wir gemeinsam durch das Lager. Wieder war die ganze Meute am Feuer versammelt und starrte in die Flammen. Nur wenige schienen noch zu schlafen. Ich fragte mich kurz, warum Fer mich nicht früher geweckt hatte. Ruber schenkte mir ein freundliches Lächeln, während ich mich immer noch ein wenig steif hinsetzte. Fer blieb jedoch stehen, und als ich sein Absichten erkannt hatte, erhob auch ich mich schnell wieder und stellte mich neben ihn.

„Guten Morgen. Ich hoffe, ihr konntet in der letzten Nacht halbwegs Schlaf finden. Wie wir bereits gestern festgestellt haben, haben wir heute viel zu tun. Aber bevor wir alle an die Arbeit gehen, habe ich noch eine Ankündigung zu machen.“, Fers Stimme klang laut in die Stille hinein, die sich mit seinem ersten Wort ausgebreitet hatte. Wieder hörte ich den Alpha aus ihr. Selbst die Nachzügler steckten ihr Köpfe aus ihren Zelten und beeilten sich zu der Versammlung zu kommen. Zwischendurch brach immer wieder kurzes Gedrängel aus, wenn sich ein Gestaltwandler zwischen zwei andere auf die Bänke drängelte, doch Fer beachtete es nicht.

„Ihr habt ja bereits Carrie kennengelernt und euch sicher gefragt, warum ich sie und Gan unbedingt in unser Rudel aufnehmen wollte.“ Am Feuer nickten einige Gestaltwandler und Ruber lächelte mir wieder zu. Es tat gut, denn die Anderen hatten mich lediglich mit einem Blick gestreift, ehe sie wieder wie gebannt ihren Anführer angeschaut hatten.

„Carrie ist meine Socia,-“ Kurz Getuschel in den Reihen und Rubers Lächeln vertiefte sich. Er hatte es also schon vermutet. Wahrscheinlich kein Wunder, nach unserem Verhalten gestern.

„-meine Gefährtin fürs Leben und damit euer Alphaweibchen.“ Ich sah wie einige entrüstet aufsprangen und mir einen hasserfüllten Blick zuwarfen, doch ich ließ mich nicht einschüchtern. Fer hatte gesagt, dass auch ich dieses Autoritäre in mir hatte. Kurz wühlte ich in mir und als ich anfing zu sprechen, konnte ich deutlich die Autorität in meiner Stimme wahrnehmen.

„Ich weiß, dass einige.“ Ich warf einen kurzen Blick zu den Gestaltwandlern, die entrüstet aufgesprungen waren, nun aber angesichts meiner Autorität die Köpfe einzogen. „nicht sehr glücklich damit sind, mich als ihr Alphaweibchen zu akzeptieren.“ Aus dem Augenwinkel konnte ich einige zustimmend nicken sehen.

„Auch für mich ist das ein ganz neuer Schritt. Aber ich bin mir sicher, dass ich diese neue Aufgabe meistern kann, mit eurer Hilfe und dem fabelhaftesten Gefährten, den man sich vorstellen kann.“ Wieder spürte ich den liebevollen Blick von Fer auf mir.

„Ich finde, wir sollten nicht sehen, dass sich wieder eine neue Führungsposition erhebt, denn wir sind alle eine Familie. Ich habe meine Zweite Gestalt zwar noch nicht entdeckt, aber mir ist euer Rudel an das Herz gewachsen.“ Ich wählte die Worte mit Bedacht und konnte sehen, dass die ein oder andere verhärtete Miene etwas weicher wurde.

„Die Palinas haben meine Familie zerstört und der Schatten hat mir diejenigen genommen, die ich als meine zweite Familie angesehen hatte.“ Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden, doch ich drängte die Tränen zurück. Ein Alpha weint nicht.

„Ich kannte zwar nicht alle beim Namen, die gestern ihr Leben ließen, aber ich schwöre euch, dass ich sie rächen werde. Sie werden uns als Helden in Erinnerung bleiben und stets in Ehren gehalten werden.“ Zustimmendes Gemurmel zu meiner Linken. Ich sah, wie sich eine Gestaltwandlerin die Nase schnäuzte und auch Elena schien im Hintergrund leise mit den Tränen zu kämpfen.

„Mein Zutritt bei eurem Rudel und mein Wunsch, mich als Alphaweibchen zu akzeptieren, mögen nicht unter dem besten Stern stehen. Doch ich hoffe, ihr versteht meine Gründe, warum ich nicht länger zusehen kann! Warum ich schließlich eingewilligt habe, Fer bei seinem Vorhaben zu unterstützen.“ Ich glaubte noch nie eine so lange Rede gehalten zu haben, doch jedes dieser Worte sprach mir aus dem Herzen. Die Blicke der Rudelmitglieder hatten sich verändert. Tiefe Entschlossenheit war in ihnen zu lesen, die jedoch für unseren Kampf stand. Unseren gemeinsamen Kampf. Ich glaubte, dass sie mich endlich akzeptiert hatten, doch ich wollte endlich Gewissheit.

„Ich frage euch nun. Akzeptiert ihr mich als Alphaweibchen und werdet ihr mich bei meinem Kampf an Fers Seite unterstützen, egal welches Ende uns droht?“ Zustimmende Rufe wurde laut und ich sah auch in den Gesichtern der Zweifler nun eine tiefe Treue mir gegenüber.

Ich ergriff Fers Hand fester.

„Dann lasst uns anfangen, Hand anzulegen. Es gibt viel zu tun!“

Und das gab es wirklich. Meine Arme wurden immer schwerer, während ich Massen an Zweigen und Ästen schleppte. Meine Fingernägel rissen ein, als ich versuchte, die Zelte wieder zu richten und Reisverschlüsse zu reparieren, doch es kümmerte mich nicht. Ich legte Hand an, wo ich nur konnte und der Respekt der anderen Rudelmitglieder stieg immer weiter an. Offenbar hatte ich sie davon überzeugt, dass ich jedes meiner Worte ernst meinte. Am Abend fiel ich völlig entkräftet auf meine Liege, doch das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Ein riesiger Scheiterhaufen war nun auf dem Hauptplatz errichtet, in dem die Leichen, einbalsamiert in Harz und weißen Tüchern untergebracht waren; die Zeltstadt glich wieder mehr einer Zeltstadt als einem Trümmerhaufen und bei allen Verletzten waren die Verbände gewechselt; die Verletzungen dank Gan beinah wieder vollständig verheilt. Kaum noch etwas deutete auf den Angriff des Schattens hin, worüber ich echt froh war.

Ein Klopfen am Zelteinklang riss mich schlagartig aus den Gedanken. Ich war bereits halb eingeschlafen, doch nun war ich neugierig, wer so spät noch störte. Fer konnte es nicht sein, denn er machte sich auf der anderen Liege gerade bettfertig und hätte sowieso nie geklopft.

„Ja?“, fragte ich. Gan steckte seinen Kopf herein.

„Kann ich euch kurz stören?“ Ich warf einen kurzen Blick zu Fer und nickte. Gan schloss vorsichtig hinter sich den Eingang und setzte sich auf meine Liege, auf der ich rasch Platz gemacht hatte.

„Es ist mir gelungen, Loire zu kontaktieren. Sie hat sich erst geweigert, auf meinen Vorschlag einzugehen, aber als ich ihr dann gedroht habe, sie zu verheirateten, hat sie schließlich eingewilligt. Ich denke, es wird ihr mal ganz gut tun, etwas mehr Zeit mit Kindern zu verbringen. Ihr hat der kleine Elias sofort leidgetan, als ich ihr vom Tod seiner Mutter erzählt habe und sie hat gemeint, sie würde sich liebevoll um das kleine Würmchen kümmern.“

„Das sind gute Nachrichten!“, antwortete Fer an meiner Stelle und ließ sich auf seinem Feldbett nieder. „Hast du ihr von ihrer Andersbarkeit erzählt?“

Gan schüttelte den Kopf. „Ich habe ihr lediglich anvertraut, dass sie seltene Gaben hätten und sie daher ganz besonders auf die Beiden aufpassen soll. Da wir sowieso in Richtung Süden müssen, schlage ich vor, dass wir die Kleinen am Anfang unser Reise zu der Grauen Burg mitnehmen und unterwegs bei ihr absetzen.“

Ich nickte und wünschte Gan noch eine gute Nacht, der den Zaunpfahl sofort verstand und sich verabschiedete. Ich wusste, dass dies alles andere als höflich gewesen war, doch ich war viel zu müde, um mir darüber jetzt Gedanken zu machen und ich war mir sicher, dass der Heilmagier es verstehen würde. Auch ihm gegenüber hatte das Rudel inzwischen Respekt entwickelt, wenn auch nicht so starkem wie mir. Immerhin hatte er ihnen oft genug aus der Klemme geholfen. Ich kuschelte mich fester in meine Decke und wünschte auch Fer eine gute Nacht, was er nur mit einem leisen Schnarchen erwiderte. Mir war noch gar nicht aufgefallen, dass er bereits schlief. Doch nun konnte ich deutlich die ruhigen Atemzüge von ihm wahrnehmen. Wahrscheinlich war sein Tag nicht weniger anstrengend gewesen als meiner. Kurz revidierte ich meinen Tag. Angefangen von dem Knutschfleck heute Morgen, über meine Rede und die Zustimmung zum Alphaweibchen sein, bis hin zu den Aufräumarbeiten und Loires Zustimmung, die beiden Elementarbändiger aufzunehmen. Morgen würde ich das Todesritual der Gestaltwandler kennenlernen. Und übermorgen befand ich mich bereits wieder auf Reisen. Meine Tage sind ganz schön voll geworden, stellte ich fest und beschloss dann endlich zu schlafen. Ich würde Morgen ausgeschlafen sein müssen, denn als Alphaweibchen unterlag mir ebenso die Verantwortung und Durchführung des Todesrituals wie Fer. Ich hoffte, dass er mich vorher noch einmal einweisen würde, sodass ich mich nicht blamierte. Seufzend schloss ich die Augen und versank in einen unruhigen Schlaf.


Kapitel 17

„Okay Carrie. Als Erstes werde ich eine Rede für die Verstorbenen halten, danach musst du ein Klagelied für sie singen. Ich sag Prisca, sie soll es dich noch innerhalb der nächsten halben Stunde lehren. Während des Gesanges werde ich das Feuer entzünden und ein bisschen Blut von Jedem im Rudel entnehmen und in einer Spirale um das Feuer verteilen. Dies zeigt symbolisch, dass ein Teil des Rudels herausgerissen wurde. Nun übernehmen die Ältesten im Rudel das Singen. Jeder Angehörige oder ein Vertreter wirft einen Tannenzweig in das Feuer und sagt ein paar Worte zu dem Verstorbenen.“ Ich nickte. Mir schwirrte schon der Kopf von Fers Ausführungen. Außerdem schien die Trauer durch Fers Erläuterungen materieller zu werden.

„Da die Verstorbenen aber nicht gewollt hätten, dass wir den ganzen Tag trauern, gibt es anschließend ein großes Mahl am Feuer, wo die lustigsten und schönsten Erinnerungen über die Verstorbenen ausgetauscht werden. Für die Jüngeren gibt es währenddessen oft kleine Wettkämpfe, in denen sie sich beweisen konnte, um zu zeigen, dass sie ebenso ein Held werden könnten, wie der oder die Verstorbenen.“ Fers Stimme war kaum noch mehr als ein trauriges Hauchen: Vor allem die Jüngeren waren dem Schatten zum Opfer gefallen. Ich lächelte ihn aufmunternd und liebevoll zu.

„Das ist ein wunderschönes Ritual, Fer. Wenn ich sterbe, will ich auch als ein Teil des Rudels begraben werden.“ Ich hatte ohne Nachzudenken gesprochen und spürte sofort, wie sich Fer versteifte.

„Du stirbst nicht!“ Diese Aussage kam fast einem Befehl gleich und ich fragte mich, wie Fer das kontrollieren wollte. Immerhin konnte er nicht immer für mich da sein und außerdem konnte ich auch für mich selber sorgen. Ich verdrehte die Augen angesichts seines unnötigen Befehlstons.

„Alpha?“ Eine Stimme vor dem Zelt beendete unseren herausfordernden Blickkontakt.

„Komm herein, Prisca.“, ließ Fer verlauten, drehte den Kopf jedoch erst von mir weg, als die Zeltplane zurückgeschlagen wurde und eine nahezu uralte Frau ihren Kopf hereinsteckte. Ihre Haare waren von einem dichten Weiß und ihr Blick sprach von mindestens hundert Jahren Weisheit. Dennoch bewegte sie sich dennoch mit einer Anmut eines Raubtieres und schien trotz ihres fortgeschrittenen Alters problemlos laufen zu können. Erst als sie eintrat, bemerkte ich ein leichtes Hinken in ihrem linken Bein. Sie nickt Fer und mir ehrfurchtvoll zu und sofort erinnerte ich mich wieder an meinen Rang.

„Ihr wolltet mich sprechen, Alpha?“ Sofort stieg wieder Aufregung in mir hoch. Das war also die sagenumwobene Prisca, von der ich das Singen lernen sollte. Ich seufzte innerlich. Wenn das mal gutging. Nicht, dass ich der alten Dame vor mir nicht vertrauen würde, aber im Musikunterricht war ich immer nur bei einer guten Zwei gewesen und mein Gesang war meiner Meinung nach Grottenschlecht. Wie sollte sie das innerhalb einer halben Stunde ändern können?

„Ich möchte, dass du Carrie in unsere Sitten und Gebräuche einweihst und ihr den Klagegesang von Hurtim beibringst.“ Wieder war dieser Autoritäre Ton in Fers Stimme, an den ich mich jedoch immer noch nicht richtig gewöhnt hatte.

„Liegt dies in Eurem Sinne?“, fragte Prisca dieses Mal mich. Ich war mir sicher, dass sie normalerweise Fers Worte nicht in Frage stellte, aber da ich neuerdings ebenso den Rang des Alphas innehatte, war ihr Respekt mir gegenüber genauso groß, wenn nicht sogar noch größer.

Ich warf Fer einen Blick zu und nickte dann. „Ich bitte darum.“ Ich bemühte mich, möglichst autoritär zu wirken und nach Prisca Zusammenzucken schaffte ich das auch.

„Gut, dann folgt mir bitte.“ Sie nickte Fer respektvoll zu, dann drehte sie sich mit Schwung um und verließ das Zelt. Ich warf Fer, der mir ein aufmunterndes Lächeln schenkte, noch einen unsicheren Blick zu, dann folgte ich ihr. Der Morgen war noch jung und mein Atem dampfte vor mir her. Für eine alte Dame hatte Prisca einen ganz schon raschen Schritt drauf, sodass ich Mühe hatte ihr zu folgen.

Vor einem weinroten Zelt blieben wir stehen. Offenbar hatte sie als eine der Dienstältesten, wenn nicht sogar die Dienstälteste einen besonderen Status. Obwohl ich es etwas gewagt fand, in einem Wald der als Versteck dienen sollte, ein rotes Zelt zu besitzen, folgte ich ihr kommentarlos ins Innere.

Drinnen war alles in einem leichten Rotstich getaucht, als die aufgehende Sonne auf die rote Zeltplane traf.

„Wie viel hat Euch unser Alpha schon von unseren Ritualen erzählt?“, fragte Prisca ohne Umschweife und ließ sich auf einem Feldbett mit Matratze, man war sie gut ausgestattet, nieder.

„Er hat mir lediglich den groben Ablauf des heutigen Tages aufgezählt und damit überfallen, dass ich heute singen muss!“, murmelte ich schon fast schüchtern.

Prisca warf mir einen kurzen Blick zu. „Typisch Fer.“, brummte sie offenbar in der Annahme, dass ich sie nicht gehört hatte.

„Okay. Nun denn. Wie Euch vielleicht schon erzählt wurde, gibt es bei den Gestaltwandlerrudeln, vor allem bei unserem, eine tiefe Gemeinschaft. Wer einmal in das Rudel aufgenommen wurde, steht unter seinem Schutz und wird mit dem Leben der anderen Rudelmitglieder wenn nötig bis in den Tod verteidigt. “ Es gruselte mich bei dem Gedanken, dass nur einer des Rudels verärgert werden musste, damit das gesamte Rudel auf den Plan trat. Der Herausforderer würde so etwas von untergehen, da war ich mir sicher.

„Bei Streitereien im Rudel gibt es bei uns den `Stillen Rat´. Er hört sich die Standpunkte der beiden Streithähne an und entscheidet dann unparteiisch.“ So ähnlich sollte es auch bei uns laufen. Ich wusste die Gesetze zwar zu schätzen, doch da es immer eine andere Situation war, konnte ich manche Entscheidungen nicht verstehen. Hier im Rudel würde je nach Situation anders entschieden werden.

„Bei uns im Rudel wird jeder Welpe und jedes Junges geschätzt und zu Ehren des Kleinen sogar kleine Feste gefeiert, wenn es seine erste Verwandlung meist im Alter von einem Jahr hinter sich bringt. Bis zum elften Lebensjahr bei katzenähnlichen Gestaltwandlern und zum dreizehnten Lebensjahr bei hundeähnlichen Gestaltwandlern bleiben die Jungen in der Form, die sie nach ihrem ersten Lebensjahr gewählt haben, meist in der Menschengestalt.“ Ich nickte nur und fragte mich, ob und wann ich mich verwandeln würde. Da ich beide Altersspannen bereits überschritten hatte, musste ich weder ein katzen-noch ein hundeähnlicher Gestaltwandler sein, aber wir hatten ja bereits vermutet, dass ich ein anderer Gestaltwandler sein musste.

„Zu unserer Religion: Wir glauben vor allem an Ares, den Kriegsgott. Er beschützt uns und hilft uns auch bei schwierigen Situationen kühlen Kopf zu bewahren. Auch andere Götter der griechischen Götterwelt sind uns geläufig, unterstehen aber vor allem wenn es um die Toten und die Schlacht geht dem Befehl von Ares.“ Ich überlegte kurz, was mir meine Mutter früher über die verschiedenen Mythologien erzählt hatte. Ares, der Gott des schrecklichen Krieges, des Blutbades und des Massakers; Sohn von Hera und Zeus; meist mit Speer, Schild und Helm dargestellt; in Begleitung eines Geiers oder Hundes; Vater von Phobos und Deimos. Ja, das hatte meine Mutter mir erzählt.

Meine Mutter. Kurz blitzte Trauer in mir hoch, doch ich verdrängte sie. Soviel war passiert, seit meine Mutter den Palinas zum Opfer gefallen war. Und seit ich erfahren hatte, dass Lak von den Palinas in die graue Burg entführt wurde. Aber Morgen schon, würden wir uns endlich auf den Weg machen.

„Alpha Carrie?“ Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass Prisca etwas von mir wollte.

„Entschuldige, bitte. Ich war kurz in Gedanken versunken!“, bat ich. Prisca sah mich sonderbar an, nickte jedoch.

„Ich sagte: Nachdem Ihr nun unsere Gewohnheiten kennt, würde ich gerne mit Euch den Klagegesang durchgehen!“

Ich erschrak. „Aber ich kann nicht singen!“, versuchte ich zu vermitteln und hoffte sie würde eine Alternative finden. Doch sie schüttelte den Kopf.

„Bei einem Klagegesang kommt es nicht auf Schönheit an. Und ich bin mir sicher, dass Ihr singen könnt.“ Ich schluckte schwer, wusste darauf jedoch nichts mehr zu erwidern. Ich würde es wohl über mich ergehen lassen müssen.

„Nun denn, der Text lautet:

Mortem vocat, lacrimas fluent, animas in aeri, ignis exurit.

Eas viis, in mortem et caecum, per Arem manis, semper ad spes,

spes inmortalis est, Eas tihi viis, non respicitis

nam venis fortuna. In mortem aeternem.“

„Das ist ja lateinisch!“, stellte ich fest und fragte mich, wie ich das innerhalb der nächsten halben Stunde lernen sollte, vor allem, weil dies lediglich der Text war. Wie sollte es dann erst mit der Melodie werden?

Es gelang besser als erwartet; fast schien es, dass der Gesang bereits in mir vergraben wäre und ich ihn lediglich hochholen musste. Nach zehn Minuten hatte ich den Text drauf und Prisca begann mir eine melancholische Melodie in Moll mit verschiedensten Läufen vorzubeten, doch ich schüttelte den Kopf.

„Ich kann nicht singen!“, wiederholte ich mich stur. Prisca würdigte meinem Versuch der Abwehr noch nicht einmal mit einem genervten Stöhnen, sondern wiederholte die Melodie so lange, bis ich genervt meinen Trotz aufgab. Sobald ich einen ersten Ton hören ließ, hellten sich Priscas Züge plötzlich auf und schienen mit jedem neuen Ton mehr ins Träumen zu verfallen.

„Ihr singt wunderschön. Fast wie ein Engel.“, ließ Prisca verlauten, sobald ich die erste Zeile erfolgreich abgeschlossen hatte.

„Warum sagt Ihr, dass Ihr nicht singen könnt? Alle werden nur noch in Eurem Gesang versinken und sämtliche Traurigkeit und Erschöpfung vergessen.“ Geschmeichelt wandte ich den Blick ab, doch Prisca sah mich nur verständnislos und entzückt an, als wüsste sie nicht, wie ich auf den Gedanke gekommen war, dass ich nicht singen könnte. Ich seufzte innerlich, sagte jedoch nichts.

„Nun die zweite Strophe.“ Prisca schien sich wieder halbwegs gefangen zu haben. Nun waren eher die hohen Töne gefragt, kurz schwankten wir um das hohe D2 und rutschten mit einem Lauf zurück auf das G1. Mühevoll versuchte ich ihr die komplizierte Melodie nachzueifern, aber wie zuvor beim Text schien sie schon tief in mir verwurzelt zu sein, als würde das Schicksal diesen Weg für mich vorherbestimmt haben. Nach weiteren zehn Minuten war ich mir in der Melodie und dem Text schließlich so sicher, dass ich nicht mehr befürchten musste, mich vollends zu blamieren.

„Wir haben noch fünf Minuten, um dich für die Trauerfeier herzurichten!“, ließ Prisca verlauten. Ich sah sie erschrocken an, was meinte sie damit?

Prisca war zu einer großen Truhe hinten im Zelt gewuselt, die mir bis dahin noch nicht einmal aufgefallen war und zog einen Traum von Schwarz heraus. Und es war wirklich ein Traum. Normalerweise war ich ja nicht so der Kleiderfan gewesen, doch das Kleid, das mir vor die Nase gehalten wurde, war einfach nur wunderschön. Es war bodenlang und schwarz wie es für eine Trauerfeier zierte, bis auf eine goldrote Borte, die fast zehn Zentimeter des Kleidersaums zierte. Ein hinten zu schnürendes Korsett ließ mich kurz nachdenken, ob ich in dem Kleid überhaupt atmen konnte. Ein Leichter Schleier, wie von Schwarzen Flügeln hing hinten den Rücken herunter. Prisca half mir das Kleid anzuziehen. Es passte wie angegossen. Auch meine Befürchtungen zum Korsett stellten sich als völlig unnötig heraus. Es war sogar ziemlich angenehm zu tragen. Meine Haare ließ sie bis auf zwei Strähnen vorne, die sie leicht lockte, offen, sodass sie mir fast wie lodernde Flammen den Rücken herunterflossen. Mit Kohle betonte sie meine ohnehin dunklen Wimpern noch mehr. Ein kurzer Blick in den Spiegel, nachdem sie ihr Werk endlich beendet hatte, ließ mich überrascht aufkeuchen. Eine junge Frau mit leicht gelockten mehr roten als brauen Haaren sah mir entgegen. Ihre fast goldenen Augen blickten entschlossen aus einem zierlich gestalteten Gesicht. Bei der Bewegung zum Spiegel war mein Kleid in Schwingung geraten und nun sah es so aus, als würden Flammen meine Beine hochschlängeln. Ich sah aus wie eine Feuergöttin persönlich.

„Wisst Ihr, was ich bin?“, fragte ich leise, denn das Kleid offenbarte sehr viel von meiner inneren Gabe, wie mir im zweiten Moment erschrocken bewusst wurde.

„Ja!“, hauchte sie leise. Ich sah sie unsicher an.

„Aber das spielt keine Rolle!“, stellte sie entspannt fest. „Ihr seid ein Rudelmitglied und dazu noch unser Alphaweibchen.“ Noch immer erschrocken sah ich sie an.

„Außerdem bin ich in diesem Rudel so etwas wie das Omen. Ich lausche den Prophezeiungen, schreibe sie auf und helfe allen, wenn sie einen Rat brauchen.“, berichtete sie weiter von sich, in der Hoffnung, mein viel zu schnell schlagendes Herz ein wenig beruhigen zu können.

„ Nach dem Tod von Fers Eltern, habe ich mich zusammen mit Ope um den Jungen gekümmert!“, diese letzte Tatsache zog mich zwar aus meiner Erstarrung, was die Offenbarung meiner Gestalt hervorgerufen hatte, doch sofort sammelt sich andere Gedanken in mir an und ließen mich nach Luft schnappen. Fers Eltern waren also Tod. Mir fiel auf, dass ich kaum etwas von Fer wusste und ihn dennoch zum Gefährten gewählt hatte. Ob das eine gute Entscheidung gewesen war? Doch mein Herz redete mir diesen Gedanken schnell aus.

„Was ist mir den Anderen? Wissen sie, wer ich bin?“, fragte ich. Ich wusste nicht, ob ich vom Thema Fer ablenken wollte, oder wirklich an der Antwort interessiert war. Ein Gefühl der Resignation breitete sich in mir aus.

„Sie wissen es nicht. Aber sie würden es auch hinnehmen, wenn sie es wüssten. Immerhin seid ihr das Alphaweibchen und somit unantastbar.“ Ein Teil von mir war erleichtert, doch nach außen hin, blieb ich völlig ausdruckslos. >Und die Flammen auf dem Kleid<, wollte ich fragen, erinnerte mich dann jedoch an die Situation, als Ruber mir den Feuerstein überreichte. >Passend zu eurem Temperament<, hatte er gesagt. Ich hoffte, dass auch die anderen Rudelmitglieder das so sahen.

„Es wird Zeit.“ Priscas Stimme riss mich aus den Gedanken und sofort stieg die Aufregung wieder in mir hoch.

„Okay!“, hauchte ich unsicher. Ich atmete noch einmal tief durch und schaffte es tatsächlich mein Herz zu beruhigen. Mit schon etwas sicheren Schritten ging ich auf den Zelteingang zu, bemüht nicht über den Kleidersaum zu stolpern. Vor dem Zelteingang holte ich noch einmal tief Luft, ignorierte den amüsierten Blick von Prisca und schritt hocherhobenen Hauptes aus dem Zelt, nur um vor dem Eingang abrupt stehen zu bleiben. Fer erwartete mich. Auch er trug ein schwarzes Hemd, den obersten Knopf geöffnet, dass seine Haare noch heller erscheinen ließen, als es ohnehin war. Die Bohrte am Rand war mit grünen Ranken und somit fast komplementär zu meinem Muster. Das Hemd über einer schwarzen Hose wurde an der Hüfte mit einem ebenso schwarzen Gürtel gehalten, der anstatt einer Schnalle einen weißen Tigerkopf hatte. Um seine Stirn war ein grünes Band geschwungen. Er sah aus wie ein Racheengel.

„Ach ja, ich vergaß.“, stellte Prisca mit einem Blick auf Fer fest und band mir noch ein weinrotes Band um meinen Kopf, dass kühl an meiner Stirn lag, doch ich konnte nicht meinen Blick von meinem persönlichen Engel abwenden. „Als Zeichen für deine Alphaschaft!“, erklärte sie mir.

„Darf ich bitten?“, fragte Fer und hielt mir extrem charmant seine Hand hin.

„Ja.“, hauchte ich und kicherte leicht verlegen. Mit fast zitternder Hand ergriff ich Fers Hand, wie als hätte er mir einen Heiratsantrag gemacht und ließ mich von ihm führen.

„Du bist wunderschön.“, hauchte mir Fer ins Ohr. Ich wurde rot.

„Nicht so schön, wie du.“, hauchte ich zurück, um meine Verlegenheit zu überspielen. Nun breitete sich auch eine leichte Röte auf Fers Wangen aus und er warf mir einen liebevollen Blick zu, der mein Gesicht scharlachrot leuchten ließ. Fer kicherte leise, als er mein Unbehagen spürte.

>Dein Gesicht passt perfekt zu deinen Haaren. Jetzt brennst du noch mehr!<, hörte ich Fers Stimme in meinem Kopf. Er schien merklich amüsiert zu sein.

In Gedanken streckte ich ihm die Zunge raus und wandte meinen Blick ab.

Fer lachte leise.

>Jetzt benimm dich mal. Immerhin gehen wir gerade auf eine Trauerfeier.<, rief ich ihm leise in Erinnerungen. Sofort verstummte er und ich wünschte mir schon fast seine Schadenfreude zurück, als ich seine Bedrückung spürte.

>Wir sind gleich da!< Fer klang eindeutig verstimmt. Na super. Das waren ja gute Voraussetzungen.

>Benimm dich. Du kannst später noch wütend auf mich sein, weil ich so vernünftig sein muss. Aber nun denke an Salis und an die anderen. Sie hätten sich gewünscht, dass wir an ihrer Begräbnisfeier nur an sie denken. Das haben sie sich verdient.<

Fer warf mir einen kurzen Blick zu und nickte dann.

>Du hast Recht. Aber später werde ich dir mal zeigen, was mit ungezogenen Rudelmitgliedern passiert< Ich spürte, dass Fer sich diesen Kommentar einfach nicht hatte verkneifen können. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht irgendein Kommentar darauf zu erwidern und konzentrierte mich auf die Situation vor uns.

Alle Rudelmitglieder waren in schwarzen Kleidungsstücken und Umhängen gewandt und standen in einem großen Kreis in dem gestern errichteten Lagerfeuer. Als wir kamen schauten sie auf und sämtliche noch so kleinen Gespräche verstummten. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf uns und alle senkten respektvoll das Haupt, als würde ihr König persönlich mit Gemahlin gekommen sein. Aber wahrscheinlich sahen die Gestaltwandlers in uns als Alphas auch so eine Art Könige.

Ohne Umschweife begann Fer zu sprechen. „Wie sind heute hier zusammengekommen, um jene zu Gedenken, die am gestrigen Tage ihr Leben ließen. In einem heldenhaften Kampf versuchten sie mit ihrem Leben uns, als ihre Familie zu beschützen und so sollen sie uns ewig in Gedenken bleiben, als die Helden im Schattenkampf.“ Fast schon majestätisch schloss Fer seine kleine Rede.

Ich wusste, nun wurde mein Part sein. Ich brauchte keine Aufforderung von Fer, sondern richtete meinen Blick auf das Feuer und begann zu singen.

„Mortem vocat“ Fer der die Fackel gerade ergriffen hatte, um das Feuer anzuzünden, ließ sie fast fallen, als er mich Singen hörte. Nur mit Mühe konnte er seine Überraschung überspielen. Er fasste sich schneller als erwartet und schritt mit bedächtigen Schritten zum Feuer.

„ignis exurit.“ Die Fackel berührte die trockenen Holzscheite. Ich spürte, wie das Feuer kurz nachdachte, ob es das Holz annehmen sollte und überzeugte es kurz in Gedanken, das Holz willkommen zu heißen. An meinen brennenden Augen spürte ich, dass sie wieder vollständig golden schimmerten und die Flamme in mir frohlockte fröhlich, als sie die Feuernähe spürte, doch ich konzentrierte mich weiter auf meine Aufgabe.

„…in mortem et caecum…“ Fer ging nun herum und schnitt jedem der Rudelangehörigen in die Hand, um das Blut anschließend in einem aus schwarzem Kristall bestehenden Kelch aufzufangen. Gan erschrak kurz, offenbar war für ihn die Situation neu, hielt dann aber ebenso seine Hand hilfsbereit hin. Kurz glaubte ich einen Funken zu sehen, als sein Blut, das mit Magie gefüllt war auf das der anderen tropfte. Fer war nun den Kreis entlang geschritten, nun fehlten nur noch sein und mein Blut.

„….spes inmortalis est.“ Ich spürte den kleinen Schnitt in meiner Handfläche kaum. Kurz spürte ich das Feuer etwas höher lodern, als würde es sich über meine Verletzung ärgern, doch ich beruhigte es rasch, ehe es auffallen konnte. Zuletzt fügte auch Fer sein Blut dazu. Er schritt zweimal um das Feuer und verteilte das Blut auf dem weißen schneebedeckten Boden, während ich meine letzten Worte sang.

„nam venis fortuna. In mortem aeternem.“ Ich verstummte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass mir Tränen über die Wangen liefen. Fer nahm meine Hand und drückte sie leicht. Durch den Tränenschleier blinzelnd, sah ich ihm dankbar an. Es gab mir die nötige Kraft, nicht der Wehmut zu verfallen, die sich in mir auszubreiten drohte.

„Dolores per familia et amicos veniunt. In Memoriam sunt, quam...” begannen plötzlich zwei andere Stimmen zu singen. Ich schaute auf. Prisca und eine andere ältere Gestaltwandlerin, in deren Haaren noch ein leichter Rotstich zu sehen war machten im Ritual weiter. Ihre Stimmen waren kräftig, doch es war kein schöner Gesang, so von Schmerz geprägt war er. Mir fiel auf, dass ich Prisca gar nicht gefragt hatte, ob sie jemanden in diesem Kampf verloren hatte, doch nach einem kurzen Nachdenken wusste ich, dass es egal war. Erstens ging es mich gar nichts an und zweitens wusste ich doch inzwischen, wie stark die Verbindung des Rudels untereinander war. Nach und nach traten Rudelmitglieder in schwarzen Umhängen an das Feuer, sprachen ein paar Worte zu ihren Verwandten und warfen einen Tannenzweig in das Feuer, der nach einer Sekunde immer kurz aufflammte und dunklen, fast grünen Rauch in den mit Wolken behangenen Himmel schickte. Es sah nach Schneesturm aus, doch ich hoffte, dass das Wetter sich noch halten würde.

Wieder trat ein Gestaltwandler in schwarzem Umhang an das Feuer „Sali war der beste Freund den man sich vorstellen konnte. Er war stets bemüht es Anderen Recht zu machen und hat stets versucht mich zumindest bei Laune zu halten, selbst wenn sich ein Gewitter zusammengetragen hat.“ Ich schaute ihn mir genauer an und konnte mit Mühe Ruber unter dem Umhang erkennen.

„Er möchte vielleicht nicht der Größte unter uns gewesen sein. Immerhin war er nur ein Hermelin, doch ich finde er war einer mit dem größten Herzen, das man sich vorstellen kann. Mögest du deine Ruhe im Tod finden.“ Mit diesen Worten hatte bisher jeder seine persönliche Verabschiedung beendet und ich vermutete, dass auch dies zum Ritual gehören musste. Inzwischen hatten sich sämtliche Umhangträger in die Schlange eingereiht und ich erkannte nun auch, welche Kleiderordnung es hier gab.

>Kann ich auch etwas persönliches zu einem Verstorbenen sagen?<, fragte ich Fer in Gedanken, um die Verabschiedungsszene eine weiblichen Gestaltwandlerin, vermutlich eine Mutter des Verstorbenen nicht zu unterbrechen. Sie weinte mehr, als dass sie ein Wort herausbrachte.

Ich spürte, wie Fer zögerte. >Du denkst an Sali, oder?< Ich nickte.

>Ich halte das für keine gute Idee. Die Anderen könnten das als Benachteiligung der anderen Toten sehen.<, gab Fer schließlich zu verstehen. Traurig nickte ich. Es gefiel mir nicht, doch Fer hatte vermutlich Recht.

Nachdem sich jeder von den Verstorbenen verabschiedet hatte, ergriff Fer wieder das Wort.

„Schwere Zeiten liegen nun vor uns, denn die Trauer ist noch frisch. Dennoch soll dieser Tag ganz unseren verstorbenen Freunden, Familienmitgliedern und vor allem Helden gehören. Sie hätten nicht gewollt, dass wir an ihrem Verlust kaputtgehen. Darum wollen wir sie so in Erinnerung behalten, wie sie vor ihrem Tod waren. Als ein Teil unseres Rudels, unserer Familie.“ Fer machte eine kurze Pause und ich hörte die Trauer in seiner Stimme, als er an Ope dachte.

„So wollen wir feiern, wie unsere Helden zu denen wurden, die sie heute für uns sind. Die Tafel sei eröffnet. Lasst das Fest beginnen.“ Mit diesen Worten wies Fer auf einen halbierten Baumstamm, auf dem allerlei Köstlichkeiten größtenteils Braten standen. Ich erinnerte mich, wie viel Mühe es gemacht hatte, diesen Baumstamm zu teilen, doch ich fand die Mühe hatte sich gelohnt. Wie auf ein Kommando bewegten sich alle Rudelmitglieder zu der langen Tafel. Essen konnte niemand wiederstehen. Selbst diejenigen, die jemanden verloren hatten, griffen nun mehr oder weniger beherzt zu, so als würden sie wissen, dass ihre Angehörigen es so gewollt hätten. Auch Fer geleitete mich zu der langen Tafel und gab erst Ruhe, als ich mir ein Stück Rehrücken, zwei Löffel Karotten und ein paar Kartoffeln auf den Holzteller gelegt hatte. Selbst für Soße war gesorgt. Nachdem sich auch Fer bedient hatte, schlenderten wir Hand in Hand zum Feuer zurück und ließen uns bei einer kleinen Gruppe nieder, wo Ruber gerade sehr lebhaft von Salis Missgeschicken erzählte.

„…wir wollten gerade weiterziehen, da blieb Sali an einem Haken an der Wand hängen und riss ihn bei dem Versuch herunterzukommen ab. Wie es der Zufall so wollte, fiel das blöde Ding auf einen Bärenwandler, der sofort eine große Prügelei begann. Ich konnte Sali gerade noch wegziehen. Am Ende haben sich alle geprügelt und Sali hat mich nur verständnislos angesehen und gefragt, was denn „mit denen“ los sei. Der Bärenwandler hat sogar Hausverbot bekommen.“ Lautes Gelächter brach um mich her aus und auch ich musste schmunzeln, als ich mir Salis verständnislose Miene vorstellte.

„Das war ja noch gar nichts!“, begann nun ein anderer Gestaltwandler zu berichten.

„Einmal haben wir im Wald verstecken gespielt und das Wetter hat umgeschlagen. Wir haben fast drei Stunden nach dem weißen Hermelin gesucht, ehe wir ihn schließlich tiefschlafend unter einer Wurzel gefunden haben. Er hatte ganz vergessen, dass wir verstecken gespielt haben und war einfach müde, wie er später gesagt. Die Gesichter meiner Freunde waren beinah filmreif.“

Er lachte leise und schien in Gedanken kurz bei jenem Versteckspiel zu sein. Auch ich befand mich rasch in den beschriebenen Situationen, die stets neue Seiten von Sali offenbarten. Nach einer Weile zog mich Fer weiter zu einem Kreis, der die besonderen Momente mit Ope thematisierte. In diesem Kreis war auch Elena, die noch immer Elias auf dem Arm hatte. Er war wach und lauschte angespannt, als wüsste er, dass wir von seiner Mutter sprachen. Was für ein ungewöhnliches Kind, dachte ich im Stillen. Er wuchs in einem atemberaubenden Tempo und hatte vom Aussehen inzwischen gut und gerne als anderthalb durchgehen können, obwohl er gerade erst ein paar Tage alt war. Es schien, als würde er sich auf einen Kampf vorbreiten, der bald erfolgen würde und für den ein schnelleres Wachstum erforderlich sei. Die Anwesenheit des Windes machte es ihm leichter, die dabei auftretenden Schmerzen zu überstehen. Durch einige Gespräche mit ihm bei den Aufräumarbeiten stellte ich auch mit Stolz fest, dass er seine Gabe immer besser beherrschte. Für alle Rudelmitglieder war er inzwischen etwas unheimlich geworden. Auch Elenas Wachstum war leicht beschleunigt worden, selbst wenn es nicht so auffiel, wie bei Elias. Ich war froh, dass die beiden erst einmal ein bisschen Abstand vom Rudel bekommen würden, ehe diese merkten, dass das überrasche Wachstum mehr als nur unnatürlich war. Zwar war es auch bei den Gestaltwandlern üblich, dass ein starkes Wachstum keine Seltenheit war, doch bei Elias wurde es gerade etwas zu extrem.

„Weißt du noch, wie Ope versucht hat, zu kochen?“, fragte ein Gestaltwandler, der neben Elena saß, seinen Freund zu seiner Rechten, der eindeutig als Wolfwandler zu identifizieren war.

„Das halbe Rudel hatte zwei Tage lang Brechdurchfall. Und dann sagt einer Mal, dass Frauen an den Herd gehören.“ Ich warf ihm einen bissigen Blick zu und Fer kicherte.

>Wir legen schon einmal fest, dass du später in unserem Haushalt kochst!<, stellte ich gedanklich Fer klar.

>Wir und ein Haushalt? Das wird eine Katastrophe!<

Ich knuffte Fer in die Seite und spürte Elenas Blick auf mir, doch ich schüttelte nur leicht den Kopf. Sie nickte verstehend. In ihrer Zeit hier hatte Elena inzwischen eine ziemliche Reife an den Tag gelegt, die mich jedes Mal aufs Neue erstaunte. Sie schien nicht mehr das kleine, verletzliche, zehnjährige Mädchen zu sein, dass ich erst kürzlich von dem schwarzen Fluch befreit hatte, sondern war wie eine reife und weise Frau, die stets einen klugen Kommentar zum Besten gab. Es schien, als hätte sie bei ihrer Flucht ihre Kindheit abgelegt. Ich bedauerte das, selbst wenn es mir nicht anders ergangen war. Aber sie war immerhin noch fünf Jahre jünger als ich.

Ich schaute mich um. Die kleineren Runden hatten sich inzwischen aufgelöst, zu größeren Kreisen zusammengefunden oder starrten als Einzelpersonen, in ihre Trauer vertieft in die Flammen. Andere schauten den wenigen Kindern beim Spielen zu. Die Sieben-und Achtjährigen versuchten sich gerade im Bogenschießen. Wie es zu erwarten war, gingen die meisten Pfeile kaputt, doch auch einige Talente unter den Kindern konnten schon stolz ihr Können beweisen. Als nächstes folgte Handtuchkampf.

>Willst du nicht auch einmal mitmachen?<, fragte ich Elena in Gedanken, doch sie schüttelte nur verbittert den Kopf.

>Ich gehöre schon lange nicht mehr zu ihnen<

Ich warf ihr einen mitleidigen Blick zu und konzentrierte mich wieder auf das Spiel der Kinder. Gerade schien ein ziemlich ungleicher Kampf stattzufinden. Ein ziemlich kräftiger etwa fünfzehnjähriger Junge gegen ein zierliches vielleicht zwölfjähriges Mädchen. Ich überlegte fast einzugreifen, da stellte das Mädchen dem Jungen ein Bein und noch während er sein Gleichgewicht suchte, duckte sie sich, sodass er über sie herüberfiel und aus dem Kreis heraus. Na ja, Größe und Kraft ist eben nicht alles. Ich lächelte dem Mädchen zu, als es meinen Blick bemerkte. Fast schon schüchtern lächelte sie zurück und ich erinnerte mich, dass ich das Alphaweibchen war.

>Das ist meine Cousine Fil. Sie ist so etwas wie das Betatier des Rudels. Sie vertritt mich während meiner Abwesenheit, natürlich nur in Unterstützung von Prisca. Immerhin ist sie noch ein Kind. <, klärte mich Fer auf, der meinem Blick gefolgt war.

>Sie wird einmal eine gute Anführerin sein!<, stellte ich fest, als ich sah, wie sie dem Jungen, der soeben dank ihr den Halt verloren hatte, hilfsbereit die Hand hinhielt, damit er aufstehen konnte. Dankbar ergriff er sie, konnte sich jedoch keinen erzürnten Blick zu dem Mädchen verkneifen, da sie ihn besiegt hatte. Sie schenkte ihm dafür nur ein Lächeln.

>Es wird spät, wir sollten langsam die Trauerfeier beenden. Wir müssen Morgen alle früh raus.<

Fer hatte Recht. Ich hatte gar nicht die schleichende Dunkelheit bemerkt, die sich inzwischen wie ein schweres Tuch über uns gelegt hatte. Ein Blick nach Oben zeigte mir den Sternenhimmel. Die bedrohlichen Wolken hatten sich scheinbar schon vor Stunden verzogen. Ob das Elias Werk war? Der kleine Luftbändiger schlief seelenruhig in den Armen seiner „großen Schwester“, als die er Elena inzwischen bezeichnete.

>Du hast Recht. Lange halten die Kinder nicht mehr durch!<

Auch Elena hatte inzwischen merklich Mühe, ihre Augen aufzubehalten. Elias lag nun mehr auf ihrem Schoß, als an ihrer Brust, doch sie hielt seinen Kopf weiter gestützt, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Fer stand auf.

„Die Seelen der Toten werden noch eine Zeitlang unter uns weilen. Doch wir dürfen nicht unser eigenes Leben vergessen. Uns stehen schlimme Zeiten bevor, für die wir jetzt handeln müssen, ehe weitere Tode uns ereilen. Ihr wisst, was ihr für Aufgaben in den nächsten Tagen habt, daher geht nun und ruht euch aus. Wie müssen morgen alle früh raus. Und denkt immer daran, die Toten leben in euren Erinnerungen und Herzen weiter und das Rudel steht euch in euren Entscheidungen stets zur Seite. Möge alle unsere Schritte beflügelt sein und von Ares, Artemis und Hermes beschützt werden. Und nun geht. Wir wünschen euch noch eine gute Nacht und schlaft schön.“ Die letzten Worte meines Socius waren so liebevoll, dass auch ich nicht anders konnte, als meine große murrende Rudelfamilie liebevoll zuzusehen, wie sie zwischen der Zeltstadt verschwand. Sie brauchten fast zwanzig Minuten für diese Aufgabe und ich fragte mich, wie viel von dem selbstgebrauten Bier sie getrunken hatten, um ihre Trauer zu vergessen. Kurz schaute ich mich auf dem Platz um. Es sah aus wie auf einer Müllhalde. Überall lagen Knochen von Wildschwein, Reh und Hirsch herum. Holzteller stapelten sich mehr nebeneinander als aufeinander am Ende der Tafel und die beiden Handtücher vom Handtuchkampf waren auf den Boden geschmissen worden, in dem Wettrennen der Kleinen, wer zuerst sein Zelt erreichen würde. Ich wusste, das Fer morgen deswegen eine Standpauke loslassen würde und fast schon ängstigte ich mich davor. Müde ging ich zu den beiden Handtüchern, hob sie auf und klopfte den Schmutz von ihnen ab.

„Lass nur, das machen wir morgen.“

Fer klang so unglaublich erschöpft und traurig, dass ich ihn einfach nur noch in den Arm nehmen wollte und nie wieder loslassen, doch ich riss mich zusammen.

„Ich weiß.“ Ich legte die zusammengefalteten Handtücher auf den Tisch, rückte den Tellerstapel gerade und rieb mir müde über die Augen. Heute war ein langer Tag gewesen. Ich schaute mich um. Sogar Gan, der anfangs noch in den Anblick der Glut versunken war, war inzwischen in seinem Zelt verschwunden und somit standen nur noch Fer und ich auf dem Platz. Kurz blickte ich auf die Feuerstelle. Die Scheite waren inzwischen heruntergebrannt und hatten lediglich etwas glimmende Asche zurückgelassen. Kaum mehr etwas deutete daraufhin, dass im Feuer Leichen verbrannt worden waren. Bei meinem Blick war kurz eine kleine Flamme aus der Glut gezüngelt, doch ich ließ sie schnell wieder verschwinden.

„Kommst du?“, fragte Fer. Ich bemerkte, dass ich so in den Anblick der Glut versunken gewesen war, das ich gar nicht mitbekommen hatte, dass Fer bereits in Richtung Zeltstadt gegangen war und sich lediglich kurz zu mir umgedreht hatte, als er bemerkte, dass ich ihm nicht folgte. Ich nickte rasch und folgte ihm müde. Meine Augen fielen fast bei jedem Schritt zu. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie müde ich war.

„Huch.“ Plötzlich verschwand der Boden unter meinen Füßen. Ein Lachen erschütterte die Brust, an die ich gedrückt wurde. Ich kuschelte mich enger an Fer.

„Ehe du mir noch im Gehen einschläfst, Kätzchen.“

„Ich bin keine Katze.“, gähnte ich protestierend. Nur im Halbschlaf bekam ich mit, wie Fer mich auf meine Liege niederließ, dann wurde mein Atem ruhiger und ich versank in Dunkelheit.


Kapitel 18

Am nächsten Morgen riss mich wieder ein Traum auf dem Schlaf. Ich hatte versucht meinen Ziehvater zu erreichen, jedoch nur ihn verschwommen blutend in seiner Zelle liegen sehen. Ob er noch lebte wusste ich nicht. Kurz glaubte ich ein schwarzes Augenpaar zu sehen und eine eiskalte Stimme zischte mir zu. „Ich sehe dich, Ignisaeri!“

Mit einem Aufschrei fuhr ich hoch. Fer war bereits dabei, die Sachen zu Packen und schaute erschrocken auf, als ich hochfuhr.

„Alles gut. Ich habe nur geträumt“, versuchte ich ihn schwach zu beruhigen und sackte auf meine Matratze zurück, konnte das schwarze Augenpaar jedoch nicht auf meinen Gedanken vertreiben. Seufzend rollte ich mich vom Bett und spürte, dass Fers Blick noch immer auf mir lag.

„Willst du mir davon erzählen?“, fragte Fer sanft, doch ich schüttelte den Kopf. Ich war noch nicht soweit.

Immer noch etwas durcheinander packte ich fast verbissen meine Sachen. Da es ungewiss war, wo wir schlafen würden, steckte ich zwei dicke Decken in meinen Beutel. Zusätzlich zu Proviant und dem Dolch, den mir Fer reichte, füllte es den Jutebeutel bis oben hin. Dann schlüpfte ich rasch aus meinem Schlafgewand, dass mir Fer gestern noch angezogen haben musste, vermutlich um das Trauergewand zu retten und in ein wärmendes dunkelgrünes Hemd und eine Tarnhose, ehe ich mir einen der Rudelumhänge von Fer geben ließ, in dem auch ich ihn bereits gesehen hatte. Lediglich die Brosche, mit der der Umhang verschlossen wurde, zeichnete mich als Alphatier aus. Schlussendlich schlüpfte ich noch in mindestens zwei, dicke Sockenpaare vergraben in meine Fellstiefel. Draußen war es wieder kälter geworden. Die Wolken, die gestern nur gedroht und dann weitergezogen waren, schienen auch eine Kältewelle mitgebracht zu haben und nun war ich sehr dankbar für die wärmenden Stiefel und den Umhang. Auf dem Platz, auf dem wir gestern gefeiert hatten, war inzwischen aufgeräumt worden und nun war fast das gesamte Rudel dort versammelt, eingekleidet in Umhänge, wie ich einen trug.

„Du solltest deine rotbraunen Locken und deine goldenen Augen stets unter der Kapuze verbergen, damit niemandem auffällt, dass du anders bist.“, riet mir Fer, bevor wir die Anderen erreichten. Ich nickte nur.

„Guten Morgen. Ich hoffe, ihr hattet eine geruhsame Nacht und könntet die Geister der Toten für einen Moment vergessen. Heute werden wir uns auf eine weitere Reise begeben und zum ersten Mal seit langer Zeit das Rudel für einen weiten Zeitraum trennen. Dennoch seid euch bewusst, dass ihr stets zum Rudel dazugehören werdet, wenn ihr euch so benehmt.“ Eine verdeckte Warnung war in diesen Worten enthalten, doch ich war mir nicht sicher, ob nur ich sie bemerkt hatte.

„Carrie und ich werden uns mit einigen von euch auf dem Weg machen, um die Bestie aus seiner grauen Burg zu treiben. Fil leitet euch bei der Suche nach anderen Gestaltwandlern und Arsanimali an, die uns bei unserem Kampf unterstützen. Ich bitte darum, äußerste Vorsicht walten zu lassen. Dasselbe gilt für diejenigen, die nicht gewillt sind fortzugehen und lieber das Lager bewachen wollen. Wir können euch in einer Notsituation vermutlich nicht unterstützen. Seid euch dessen bewusst.“ Er sah scharf die Truppe von Frauen, darunter Prisca an, die unbedingt bleiben wollten. Ich wusste, dass er große Angst hatte, sie nicht lebend wiederzusehen. Ich ergriff seine Hand, doch er bemerkte es nicht, so konzentriert war er darauf, die Frauen mit abschätzenden Blicken zu mustern, als hoffte er es würde sich noch mindestens ein umentscheiden. Da dies nicht der Fall zu sein schien, seufzte er nur.

„Nun denn. Lasst uns losziehen.“

„Und passt bitte auf euch auf.“, bat ich ergänzend. Ich hatte das Gefühl als Alphaweibchen auch etwas mehr für das Rudel tuen zu müssen und sie waren mir ohnehin alle ans Herz gewachsen.

Die Gruppe von Frauen nickte kurz, froh endlich Fers musternden Blicken entfliehen zu können und verschwand in der Zeltstadt.

„Fil?“, Fer hielt noch kurz seine Cousine zurück. „Denkt bitte daran, dass du einmal ein Rudel leiten wirst. Geh bitte keine unnötigen Risikosituationen ein. Und pass gut auf die Anderen auf.“

Kurz glaubte ich so etwas wie Rebellion in ihren Augen aufblitzen zu sehen, doch dann nickte sie nur verständnisvoll.

„Ja, Fer. Das werde ich.“ In diesem Moment kam sie mir nicht mehr wie das kleine, zierliche Mädchen vor, dass gestern mit dem kräftigen Junge gekämpft hatte, sondern wie ein starke und zielstrebige Anführerin, die stets ihr Wort halten würde und kämpfen würde, damit sie dieses Versprechen einhalten würde. Sogar an Autorität mangelte es in ihrem Tonfall nicht.

„Viel Glück, Fil.“, sagte ich und blinzelte ihr kurz zu. Sie blinzelte verstehend zurück und lächelte dann. Wenn die Situation eine andere gewesen wäre, dann, so war ich mir sicher, während ich ihr nachsah, wären wir sicher gute Freundinnen geworden.

„Wir sollten los, Carrie.“ Ich drehte mich um. Neben Fer und Gan war noch ein Mann mit schwarzen kurzen Haaren und dem Gang einer Katze zurückgeblieben. Und zu meiner Verwunderung auch Ruber. Er zwinkerte mir zu, als er meinen verblüfften Blick sah.

„Dachtet Ihr etwa, ich lasse Euch alleine weiterziehen und mir das ganze Abenteuer in Eurer Nähe entgehen?“

Ich schüttelte nur den Kopf und besah mir den fünften Mann unserer Truppe ein wenig näher. Neben den schwarzen Haaren und der etwas dunkleren Hautfarbe war er ziemlich muskulös gebaut und die hellgrünen Augen blinzelten aufmerksam und zum Teil angriffslustig. Er war eindeutig eine Raubkatze und nach seiner Haarfarbe her ein Panther. Super, ich würde also von Großkatzen umgeben sein.

„Was ist mit Elias und Elena?“, fragte ich Fer.

„Die sind bereits bei den Pferden.“

Ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu.

>Dachtest du etwa, wir würden zu Fuß gehen?<

>Ich dachte kein Beutetier lässt euch näher an sich heran und ein Pferd ist eindeutig ein Beutetier. Außerdem habe ich noch nie auf einem Pferd gesessen.<, fauchte ich bissig. Ich sah, wie Fer zusammenzuckte, als meine Gedankennachricht ihn erreichte.

>Ich bin mir sicher, dass du das schaffst.<

Fer klang schon beinah neckend und amüsiert. Ich warf ihn einen kurzen Blick zu und er schenkte mir ein herablassendes Lächeln. Ich schnaubte. Lediglich Gan schien etwas von unserem Gedankengespräch mitbekommen zu haben und wechselte nun mit den Blicken zwischen Fer und mir hin und her, als könnte er herausfinden, um was es ging. Ich zuckte zu ihm nur entschuldigend die Schultern und warf Fer noch einen herausfordernden Blick zu.

>Das werden wir ja noch sehen.<

Die Pferde waren größer, als ich erwartet hatte. Die Schultern des mir zugewiesenen schwarzen Rappen überragten mich um zehn Zentimeter. Der Kopf schien fast so lang wie mein Unterarm zu sein und lediglich eine dünne Decke würde mich von seinem piksenden Rücken schützen. Seine Ohren waren nach vorne gewandt und er sah mich fast schon neugierig an, während ich schon fast zögerlich auf ihn zutrat.

„Das ist Nox!“, erklärte mit Fer und zeigte mir, wie ich die Zügel um den Pferdekopf legen musste. Dann half er mir beim Aufsteigen. Trotz Decke und meiner dicken Hose spürte ich den Pferdekörper warm unter mir pulsieren.

„Du lenkst das Pferd mit den Schenkeln. Ein sanfter Druck reicht, um das Pferd anlaufen zu lassen. Wenn du willst, dass das Pferd schneller wird, drückst du deine Hacken in die Flanken des Pferdes.“, erklärte er mir rasch und ich bemühte mir alles zu behalten.

„Das hier sind die Zügel. Sie sind durch ein Geschirr im Maul des Pferdes miteinander verbunden. Wenn du zu stark an ihnen zerrst, tust du dem Pferd weh. Ein leichter Zug an den Zügeln zeigt dem Pferd an, dass es anhalten soll. Wie du das Pferd pflegen musst, erkläre ich dir später.“

Ich nickte. Okay, wie war das noch gleich? Ach ja. Ich ergriff die Zügel und wickelte sie mir zweimal um beide Handflächen. Auf Fers Zeichen hin, drückte ich leicht die Hacken an die Seiten des Pferdes und der Muskelberg unter mir begann sich zu bewegen. Es war ein unglaubliches Gefühl. Nicht nur die Welt von hier oben zu betrachten und die Muskeln unter mir zu spüren, sondern auch die Bewegung zu spüren, die wir in der Luft machten. Ich atmete befreit durch. Obwohl wir gerade einmal im langsamen Schritt durch den Wald ritten, erschien es mir als hätte ich es schon Ewigkeiten gemacht. Der Schnee knirschte unter Nox Hufen. Lachend drehte ich mich um und sah auch Fer und die anderen auf solchen prachtvollen Tieren sitzend. Fer saß auf einem weißen Schimmel, Elena, die Elias in einem Wickeltuch mit sich trug auf einem Fuchs, ebenso wie Gan und Ruber und der Pantherwandler auf einem Brauner. Ihnen schienen das Reiten genauso viel Spaß zu machen wie mir.

„Carrie. Halt mal bitte an!“, rief Fer und ich überlegte kurz, was mir Fer über das Bremsen erklärt hatte. Ach ja, genau. Leicht, aber mit Nachdruck zog ich an den Zügeln und Nox hielt tatsächlich an. Ich drehte mich um.

„Was gibt’s?“

„Lass mal bitte Hunter und Gan vor dir reiten. Ich habe ein wenig Angst um dich, wenn du dich so auf einem Präsentierteller darbietest.“

>Außerdem bist du hier das wichtigste Glied. Denk an die Prophezeiung.<, fügte er in Gedanken dazu. Ich nickte ergeben.

„In Ordnung.“

Ich hatte kaum die Worte ausgesprochen, da galoppierte der schwarzhaarige Mann schon an mir vorbei, immer bereit mich mit seinem Leben zu beschützen, gefolgt von Gan, der offenbar ebenso wie ich noch nicht oft auf einem Pferd gesessen haben musste, so verkrampft umklammerte er die Zügel. Ruber ritt nun als Letztes in unserer Truppe, sodass wir von beiden wie von Wächtern eingekreist waren. Erst nach diesem Wechsel konnte unsere Reise fortgesetzt werden und ich seufzte innerlich. Fer sollte mich nicht so bemuttern. Immerhin könnte ich mich auch alleine verteidigen. Ich wollte ihn nur nicht vor der versammelten Mannschaft bloßstellen, doch er konnte deutlich meine Wut spüren.

>Lass es dir bloß nicht zur Gewohnheit werden, dass ich nach deiner Nase tanze, Fer Tigris.<

>Es tanzen immer alle nach meiner Nase.<, antwortete Fer ebenso lautlos und ich glaubte ihn hinter mir lächeln zu hören, doch ich drehte mich nicht um.

>Dann werde ich eben die Ausnahme sein<, ließ ich schwer angesäuert vernehmen.

Ich spürte wie unangenehm Fer diese Diskussion war, doch er gönnte mir meinen Triumph und erwiderte nichts mehr darauf.

Wir ritten unzählige Stunden hindurch. Das Glücksgefühl, das ich am Anfang auf Nox Rücken noch verspürt hatte, war schon längst verflogen. Mein Hintern tat mir weh und meine Hände waren verkrampft um die Zügel geklammert. Unzählige Bäume waren an uns vorbeigezogen, doch bis auf eine weitere kleine Lichtung, war noch kein Ende des Waldes in Sicht. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, wie groß der Wald hier war. Endlich, als Elena beinah auf ihrem Sattel einschlief, erbarmte sich Fer und ließ uns rasten. Die Männer schienen wesentlich mehr an das Reiten gewohnt zu sein, denn sie ließen sich nur elegant vom Rücken der Pferde gleiten, befestigten sie um den nächstbesten Baum und machten sich daran Holz zu sammeln und ein kleines Lagerfeuer zu errichten. Wie ich es bei ihnen gesehen hatte, schwang ich mein Bein nach Links und ließ mich an dem Pferderücken herunterrutschen. Weit weniger elegant als die Männer landete ich schließlich neben dem Pferderücken und musste mich am nächstbesten Baumstamm abstützen, um nicht hinzufallen. Mein ganzer Unterleib schmerzte und ich war verkrampfter denn je. Mit steifen Beinen schritt ich hinüber zum Lagerfeuer und ließ mich stöhnend nieder. Fer konnte sich bei meinem Anblick nur mühsam ein Lachen verkneifen und ich konnte ihn nur zu gut verstehen. Ich musste ein wirklich jämmerliches Bild abgeben.

Grummelnd wandte ich mich der noteingerichteten Feuerstelle zu, auf der sich bisher nur ein wenig Reisig stapelte. Ich schaute mich kurz nach den Anderen um. Fer half gerade Elena aus dem Sattel, die beiden Wächter waren noch immer Holz suchen und vermutlich auch Jagen und Gan hatte eine Ansammlung von Isländischen Moos unter dem Schnee entdeckt, dass er jetzt begeistert ausbuddelte. Erst dann richtete ich mich wieder den dünnen Zweigen zu und dachte kurz an eine kleine Flamme. Es brauchte nur wenige Sekunden, bis das Feuer brannte. Ich spürte Fers Blick auf mir, als die Flammen das Holz fraßen, doch ich schaute nicht auf, sondern versank im Anblick der Flammen. Erst ein poltern neben mir riss mich in die Wirklichkeit zurück. Hunter war zurück und hatte etwas dickere Äste neben der Feuerstelle fallengelassen, damit sie trocknen konnten.

„Ihr habt das Feuer schon entfacht?“, fragte er mich.

Ich spürte Fers warnenden Blick, ehe er so tat, als würde er die Satteltaschen kontrollieren, doch ich hätte ihn nicht gebraucht.

„Ja. Ruber hat mir einen Feuerstein und Zunder, die mir Sali schenken wollte, gegeben. Ich wollte nur meinen Teil dazu beitragen.“ Hunter nickte. Er schien sich mit der Erklärung zufrieden zu geben. Innerlich atmete ich erleichtert aus.

„Das Feuer brennt gut!“, stellte er fest. Ich nickte nur, innerlich kurz zusammenzucken. Hatte er etwas bemerkt? Es stimmte. Das Feuer brannte gut. Vermutlich besser, als es für die vereisten Zweige hätte möglich sein müssen.

„Es hat auch mehrere Ansätze dafür benötigt.“, log ich, in der Hoffnung damit von meiner Unbedachtheit abzulenken. Ich musste unbedingt besser aufpassen, selbst wenn Prisca gesagt hatte, das Rudel würde meine Gabe auch hinnehmen, wenn sie es herausfanden. Aber ich wusste nicht einmal wirklich, wem ich trauen konnte. Die schwarzen Augen aus meinem Traum kamen mir wieder in den Sinn. Ich sollte eindeutig nicht mehr versuchen andere in ihren Träumen zu besuchen, sonst würde man uns wahrscheinlich viel leichter finden, als mir lieb war.

„Ich habe nur einen Hasen gefunden!“ Ruber war von der Jagd zurück und hielt einen Hasen an den Hinterläufen fest.

„Gute Arbeit, Ruber!“, lobte Fer, der ebenfalls an das Feuer getreten war, dennoch aufmunternd, als er Rubers zerknirschte Miene sah. Ich wusste, was er dachte. Ein Hase reichte vielleicht für zwei bis drei Personen, doch wir waren sieben Personen und würden vermutlich so nicht sattwerden, geschweige denn alle etwas abbekommen. Ich legte noch ein paar Äste auf und sah mich um. Elena lag in ein paar Decken gekuschelt und Elias neben sich, halb unter ihrem Arm verborgen etwas zwei Meter von Lagerfeuer entfernt und schlief. Das Mädchen musste völlig erschöpft sein. Auch Gan hatte sich endlich von seinem Moos losreißen können und näherte sich nun der Feuerstelle, in der Hoffnung diese Trocknen zu können, damit sie nicht schimmelten. Die Männer hatten sich inzwischen daran gemacht den Hasen auszuhöhlen, doch nach einem kurzen Blick zu ihnen, wandte ich schnell wieder den Blick ab. Mein Magen war noch nie für so etwa ausgelegt gewesen. Stattdessen betrachtete ich die schlafende Elena. Selbst jetzt im Schlaf schien sie noch verkrampft zu sein und kurz glaubte ich eine Träne auf ihrer Wange schimmern zu sehen. Vermutlich träumte sie noch immer vom Tod ihrer Eltern. Mir ging es da ja auch nicht anders. Mein Blick glitt weiter zu dem schlafenden Baby an ihrer Seite. Elias hatte sich gut in ihrer Gegenwart erholt. Seit sich Elena um den Kleinen kümmerte, war er kräftiger geworden und in den kurzen Gedankengesprächen konnte er dank Elena inzwischen nicht nur Emotionen, sondern zum Teil auch Worte formulieren, wenn auch noch nicht sehr deutlich.

Der Hase war inzwischen gehäutet und brutzelte nun in dem nahezu einen Meter hohen Feuer. Da aber alles in der Nähe schneebedeckt war, mussten wir nicht fürchten, etwas anderes in Brand zu setzen. Das Fell hatte Fer nahe dem Feuer gelegt. Es würde als Wickeldecke für den kleinen Elias taugen müssen.

>Ich könnte das Ganze auch beschleunigen!<, schlug ich vor. Fer warf mir lediglich einen Blick zu, der so viel wie: Du weißt, was passieren kann! bedeuten sollte. Ich knirschte innerlich mit den Zähnen und konnte mir nicht verkneifen, dass eine der Flammenzungen kurz höher züngelte und eine schwarze Stelle im Fleisch hinterließ. Den Männern schien davon nichts auszufallen; immerhin machte das Feuer ständig unvorhergesehene Bewegungen. Nur Gan sah kurz nachdenklich zu uns herüber. Fer warf mir einen Blick von wegen: Was habe ich dir gesagt! zu, doch ich ignorierte ihn. Da ich nicht meine Flammen spielen lassen durfte, benötigte der Hase fast eine Stunde um durchzubraten. Erst dann durchflutete ein köstlicher Duft die Lichtung und mein Magen, der sich inzwischen zu einem unangenehmen Klumpen formiert hatte, stöhnte hörbar auf.

>Na da hat aber jemand Hunger.<, stichelte Fer, doch ich ignorierte ihn, bis er schließlich frustriert neben mir niedersank. >Jetzt hab dich mal nicht so. Nur weil mir deine Feuerspiele Angst machen, heißt es noch lange nicht, dass ich dich nicht so akzeptieren könnte wie du bist!<

„Und wie bin ich, Fer Tigris, wenn ich fragen darf?!“. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich diesen Satz gerufen hatte und aufgesprungen war. Erst als ich die fragenden Blicke der Anderen bemerkte, setzte ich mich wieder. Plötzlich standen mir Tränen in den Augen und ich wandte das Gesicht ab, damit niemand sie sehen konnte.

„Du bist die wundervollste und klügste Socia, die man sich vorstellen kann.“

>Und selbst wenn ich mich vor deinen Flammen fürchte, heißt es noch lange nicht, dass sie mich nicht faszinieren würden. Es ist nur komplettes Neuland für mich< Versuchte mich Fer in Gedanken und auch für die anderen hörbar zu beruhigen. Nun schämte ich mich für meinen Ausbruch, selbst wenn ich immer noch verstimmt war. Aber er hatte ja Recht. Wer wusste schon, was meine Flammen alles konnten. Und hatten sie mir nicht letztens auch Angst gemacht?

>Du hast Recht. Es tut mir Leid, dass ich so ausgerastet bin. Was muss jetzt das Rudel denken?! Ich wollte doch nur helfen.<

>Niemand nimmt dir etwas übel.< Fer kniete sich neben mir nieder und nahm mich in den Arm. Ich ließ es geschehen, schmiegte mich sogar noch stärker an ihn und atmete seinen Duft ein.

„Ich bin froh, dass es dich gibt, Fer Tigris.“, murmelte ich in sein Hemd. Doch er musste es gehört haben, denn ein Gefühl der liebevollen Wärme überkam mich und er drückte mir einen sanften Kuss auf die Stirn, woraufhin ich genießerisch die Augen schloss.

In diesem Moment knurrte mein Magen erneut so laut, dass Elena, die sich gerade auf die andere Seite drehen wollte, erschrocken hochfuhr und sich umsah. Fer beobachtete sie. Er hatte erneut dieses amüsierte Funkeln in den Augen, das ich auch dank mir schon öfters bei ihm gesehen hatte.

>Na da sollten wir deinen Bären aber erst einmal besänftigen, ehe er uns noch zur Gefahr wird.<, schmunzelte er gedanklich. Ich gab ihm als Antwort einen Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite, woraufhin er kurz „Aua“ jammerte und sich über die Seite rieb. Dabei musste ich jedoch grinsen. Als ich sah, dass Fer ebenfalls grinste, begannen wir so laut zu lachen, dass sogar Ruber und Hunter zu uns schauten, aus Angst, dass etwas passiert wäre. Immer noch glucksend nahm ich schließlich das Messer, dass mir Fer reichte und schnitt mir ein Stück Hase ab. Die Anderen taten es mir nach.

Während des Essens warf mir Fer immer wieder liebevolle Blicke zu, sah aber weg, sobald ich ihn ansah. Einmal erwischte ich ihn dabei und er wurde rot und starrte auf den Boden. Ich lächelte amüsiert, bis ich seine durchaus erotischen Gedanken mitbekam. Nun war ich die, die rot wurde. Beschämt ließ ich meinen Blick kreisen. Elena hatte sich kurz zu uns gesellt, um zu essen und war dann wieder zu der Stelle verschwunden, an der Elias noch schlief. Für den Kleinen würden wir morgen noch etwas Schnee kochen und mit Milchpulver mischen müssen. Immerhin war Elias trotz seines enormen Wachstums noch immer zu jung für feste Nahrung. Wenn er jedoch weiter so schnell wuchs, würde er bereits in einer Woche normale Nahrung zu sich nehmen können.

>Carrie?<

Mein Blick glitt weiter zu Fer, der mich aufmerksam beobachtete. Er war es auch, der versucht hatte, mich Gedanklich zu erreichen.

>Ja?<, fragte ich irritiert. Ich verstand nicht, warum er nicht laut redete.

>Wir werden bis Morgen Mittag hier Rast machen. Gut eine Stunde westlich liegen die Heilquellen des Westens. Dort kannst du dann deinen Dolch reinigen.<

Nun verstand ich, weshalb unser Gespräch auf geistiger Ebene stattfand. Niemand wusste über die Begebenheiten unser Gefährtenschaft geschweige denn meinen erneuten Kampf als Ignisaeri mit den Palinas Bescheid. Vielleicht war es besser so.

>Okay, danke. Begleitest du mich bis dahin?<, fragte ich hoffnungsvoll. Zu meinem großen Bedauern schüttelte Fer de Kopf.

>Ich habe noch einiges hier zu erledigen. Gan und eine der Wachen werden mit dir hinreiten. Wer wäre dir lieber?<

Ich betrachtete einmal unsere beiden Wachen genauer, dabei war meine Entscheidung schon längst gefallen.

>Ruber< Definitiv Ruber. Immerhin kannte ich ihn schon etwas länger als Hunter und ich vertraute ihm.

>Okay, dann werde ich jetzt ein Machtwort sprechen.< Ich lächelte kurz über Fers Wortwitz, während er aufstand und so die ganze Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zog.

„Durch einen Unglücklichen Zwischenfall wurde Carries Dolch mit Palinasblut getränkt. Daher wird sie morgen zu den Quellen des Westens reiten. Gan, Ruber, ihr begleitet sie.“ Das war eindeutig ein Befehl.

„Der Rest von euch wird mit mir hierbleiben und mit mir nach einem Plan suchen, wie wir am besten Angreifen. Wir reiten Morgen Mittag weiter.“

Allgemeines zustimmendes Gemurmel setzte ein. Fer beachtete es nicht weiter, sondern ging wieder auf mich zu und ließ sich neben mir nieder. Ich kuschelte mich erneut an ihn, als wäre kein Abendessen oder Ansage dazwischen gewesen. So ineinander verkeilt, schliefen wir schließlich ein, während Hunter die erste Wache übernahm.


Kapitel 19

Eine innere Unruhe riss mich aus meinem dieses Mal traumlosen Schlaf. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber mein Gefühl sagte mir, dass gerade einmal ein oder zwei Stunden vergangen waren. Vorsichtig späte ich durch die Dunkelheit. Bislang hatte sich mein Instinkt noch nie geirrt und deutlich konnte ich die Gefahr spüren. Mein Blick glitt einmal um die Feuerstelle herum, in der lediglich noch Glut glomm. Wo war Hunter? Ich reckte den Hals, um besser sehen zu können und weckte damit Fer, der sofort alarmiert die Augen aufriss.

„Was-„, begann er leise, doch ich machte nur kurz „Pscht“ und fügte Gedanklich hinzu. >Ich weiß nicht. Aber ich habe ein ziemlich schlechtes Gefühl. Riechst oder siehst du etwas?<

Unmerklich richtet sich nun Fer auch auf und späte durch die Dunkelheit.

>Hunter ist weg!<, stellte er schließlich alarmiert fest.

>Was?< Ich sprang so schnell auf, dass ich fast wieder das Gleichgewicht verloren hätte, wenn mich Fer nicht im letzten Moment gehalten hätte.

>Vorsicht!<, knurrte er mir leise in Gedanken zu. Ich spürte, dass er besorgt war, obwohl er versuchte, es vor mir zu verbergen. Ich nickte nur, viel zu angespannt, um scherzen zu können.

>Ich seh mal nach Elena und Elias.<

>Sei vorsichtig.<

Wieder nickte ich und schlich so leise, wie der Schnee es zuließ, zu der breiten Eiche, an deren Wurzeln ich die beiden vermutete. In Gedanken konnte ich Fer nach Ruber und Hunter rufen hören. Von Ruber kam nur ein verschlafenes Knurren, dass sofort verstummte, als er die Sorge in Fers Stimme hörte. Hunter schien Fer nicht erreichen zu können. Wo war er nur? Ich spürte Gans fragenden Blick. Er war durch Rubers Knurren wachgeworden und schien nicht recht zu wissen, was er davon halten sollte. Ich bedeutete ihm, sich ruhig zu verhalten und deutete auf die Büsche. Seine Augen weiteten sich, doch er schwieg.

Endlich hatte ich Elena und Elias erreicht. Als Elias meine Präsenz spürte, bewegte er sich unruhig und sofort fuhr Elena hoch, besorgt um ihren Schützling. Auch ihr bedeutete ich, ruhig zu bleiben und wies, als ich ein Knacken hörte, auf die Krone der Eiche unter der sie geschlafen hatte. Sie nickte, band sich Elias wieder um und ließ sich von mir den Baum hochhelfen, während Fer, Ruber und Gan sich um mich scharrten. Im Gebüsch raschelte es bedrohlich. Ich hielt den Atem an. Was auch immer da draußen war, es war nicht allein und scheuchte den bitteren Geschmack des Todes vor sich her. Ich rief meine Flammen zur Hilfe, ließ sie jedoch versteckt und löschte die restliche Glut mit einem einzigen Befehl. Nun war unser Lagerfeuerplatz in tiefste Dunkelheit gehüllt, doch das schien den beiden Tigern kein Hindernis zu sein. Auch ich konnte durch die Hilfe des Feuers und meinen nun Goldglühenden Augen mehr in der Dunkelheit erkennen, als ich erwartet hätte.

Auf einmal knurrte Ruber und Fer fiel in sein Knurren ein. Ich spürte, dass Gan zusammenzuckte von der Spannung, die beide durchströmte. Auch ich konnte sie deutlich wahrnehmen.

>Was ist?<, fragte ich Fer in Gedanken. Mein Herz schlug automatisch schneller. Ob vor Aufregung oder Angst wusste ich nicht genau.

>Palinas! Aber sie sind nicht allein. Sie haben Trinas und auch mindestens einen Gurter dabei.<

>Einen Gurter?< Ich hatte ein ungutes Gefühl im Magen und war mir nicht ganz sicher, ob ich Fers Antwort auf meine Frage hören wollte.

>Wir haben dir doch erzählt, dass Palinas schwarze Seelen sind die tote Menschenkörper besetzen. Dasselbe gibt es auch bei den Arsanimali. Sie sind jedoch extrem selten und unglaublich gefährlich, da sie die gleichen Kräfte, wenn nicht sogar verstärkte Kräfte als zu ihren Lebzeiten haben. Unser Gurter riecht zum Teil noch nach Werwolf. Sei also vorsichtig. Sein Biss ist tödlich!<

>Kann er springen?<, fragte Elena. Ich hatte sie absichtlich an meinen Gedanken teilhaben lassen. Auch die verschiedenen Ebenen in meinen Gedanken konnte ich inzwischen gut steuern und hatte sie heimlich wie mein Element trainiert. Daher hatte ich keine Probleme, sie an unserem Gespräch teilhaben zu lassen, doch Fer schien verwundert zu sein, dass sie alles gehört hatte.

>Das erklär ich dir später!<, raunte ich ihm gedanklich zu und griff kurz nach seiner Hand.

>Es kann schon vorkommen!<, antwortete er ausweichend. Ihm war nicht wohl in der Haut. Ich konnte ihn zu gut verstehen.

>Haltet euch bereit!<, warnte mein Socius und gab Gan ein Zeichen.

Wie aus dem Nichts brachen sie von allen Seiten aus dem Unterholz und stürmten auf uns zu Fluchend riss ich meinen immer noch blutgetränkten Dolch aus der Tasche und stand nun, den Dolch in der Einen, das Messer von Fer in der anderen Hand neben Gan und Fer. Unbewusst hatten wir einen Kreis gebildet, die Rücken aneinandergepresst, die Waffen vor uns haltend. Silbern blitzten sie in dem bisschen Mondlicht, das inzwischen durch die Bäume schimmerte. Elena verhielt sich so ruhig wie möglich und auch Elias schien die Gefahr zu spüren und bereitete die Luft vor, worüber ich auch wirklich froh war, doch ich hatte keine Möglichkeit, mir weiter darüber Gedanken zu machen; denn einer der Palinas stürmte mit gezücktem Schwert auf mich los. Ein kurzer Seitenblick zeigte mir, dass es den anderen nicht besser ging.

>Duckt euch!<, rief ich mit so viel Gedankenkraft, dass die anderen schwankten und Elena fast ihren Halt verloren hätte. Sie gehorchten mir wiederstandlos und die Schwerter fuhren knapp über uns hinweg.

Ich rollte mich zur Seite und zog mit dem Messer von Fer einmal über den Bauch des Palinas, der mich angegriffen hatte. Es zischte nur und fuhr zu mir herum. Diesmal griff es nicht alleine an, doch ich duckte mich einfach, hielt beide Arme gekreuzt, sodass beide Schwerter auf meine Klingen trafen und wand mich aus ihrem Todeskreis, das Messer in einer fließenden Bewegung einmal nach oben schwenkend. Ich hatte dem Palinas nun auch noch die Kehle aufgerissen, doch es gab nicht auf, sodass ich mich erneut herumschwang und ihm endlich den Kopf abschneiden konnte. Ein stechender Schmerz in meiner linken Schulter ließ mir das Messer aus der linken Hand gleiten und in einem halben Spagat fuhr ich herum, nur um dem Palinas gegenüberzustehen, dass sich bereits mit seinem Partner auf mich gestürzt hatte. In zwei Blitzschnellen Vorstößen rammte ich dem Palinas meinen Dolch erst in die Schwerthand und dann in das Herz, das sich durch die blutgetränkte Klinge sofort verkrampfte. Kurz überlegte ich, ob das Palinas nicht gegen das Blut seiner Rasse immun sein müsste, doch da an der Klinge sowohl mein Blut als auch das des Palinas klebte, musste die Mischung auch für ihn tödlich sein. Das Palinas sah mich überrascht an, röchelte dann und sackte zu Boden, während ich in einer fließenden Bewegung den Dolch aus ihm zog und mit einer kurzen Rückwärtsrolle nach Fers Messer griff, dass nun ebenfalls vom Palinasblut getränkt war. Kurz sah ich mich nach den Anderen um. Gan lag fast unter einem Trinas, sodass ich rasch meinen Dolch warf, der sich mit der zielsicheren Hand einer Jägerin in die Flanke des Trinas bohrte, sodass Gan Zeit hatte kurz durchzuatmen und das Trinas, solange es abgelenkt war, zu töten. Ruber schien sich in seiner Tigergestalt wohler zu fühlen und hatte es auf zwei Palinas gleichzeitig, so wie ich abgesehen zu haben. Fauchend zerkratzte er dem einen das Gesicht und versuchte gleichzeitig den Anderen mit einer Tigerpranke gegen den Baum schleudern zu wollen. Der Palinas wich mit Leichtigkeit aus und hob das Schert. Er hatte nun ungehinderten Zugriff auf Rubers Seite, der immer noch mit dem ersten Palinas beschäftigt war. Mein Messer bohrte sich ihm knapp unter dem Herzen in die Brust. Ruber sah kurz überrascht auf, zwinkerte mir zu, als er mich sah und warf sich wieder voller Kampfgeist auf den bereits Arg zerkratzten Palinas. Beruhigt drehte ich mich weiter. Fer kämpfte gerade gegen zwei Trinas gleichzeitig. Seine Klingen wirbelten in einer unglaublichen Geschwindigkeit durch die Luft, doch ich sah, dass er ziemlich mit den beiden zu kämpfen hatte. Ich musste ihm irgendwie helfen. Aus dem Augenwinkel sah ich einen Schwanz der Trinas auf ihn zurasen, doch Fer war zu sehr mit den spitzen Zähnen beschäftigt, als das er ihn irgendwie bemerkt hätte.

>Vorsicht der Schwanz!<, rief ich gedanklich und versuchte so schnell wie möglich zu ihm zu gelangen.

Doch es war bereit zu spät. Der gezackte Schwanz traf Fer am Bauch und schleuderte ihn an den nächsten Baum, wo er bewegungslos liegen blieb.

>Nein!< schrie ich sowohl Gedanklich, als auch mit einer unglaublich verletzten Stimme und rannte auf ihn zu.

Die Verzweiflung, die Angst und die Wut hatten die letzten Fesseln meiner Flammen zerstört und ich spürte, wie Ignisaeri langsam nach oben stieg. Wenige Sekunden vor den Trinas, die ebenfalls mit Mordlust auf Fer zugestürmt waren, erreichte ich meinen Gefährten und kniete neben ihm nieder. Verzweifelt tastete nach seinem Puls. Schwach, aber vorhanden. Ich wollte ihm mein Blut geben, ihn heilen und irgendwie irgendwohin in Sicherheit bringen, doch das vorfreudige Fauchen der Trinas ließ mich herumfahren. Begeistert betrachteten sie ihr nächstes Opfer: Mich. Immerhin war ich wesentlich interessanter als die am Boden liegende wehrlose Gestalt. Sie liebten es zu quälen, das war deutlich. Doch nicht mit mir!

„Ihr habt versucht meinen Gefährten umzubringen.“, knurrte ich leise, doch mit so viel Macht und Hass in der Stimme, dass sogar die Trinas überrascht zu sein schienen, doch es kümmerte mich nicht. Ignisaeri war schon beinahe an der Oberfläche.

„Das werdet ihr bereuen!“

Mit diesen Worten schleuderte ich ihnen zwei Feuerbälle entgegen, die sie gezielt trafen und wie zwei Fackeln in Flammen aufgehen ließen. Kreischend versuchten sie das Feuer loszuwerden, doch ich war so voller Hass und Schmerz, dass ich meine Flammen nur noch verstärkte. Zwischen meinen Schulterblättern kribbelte es und auch mich hüllt Flammen ein, die mich jedoch nur wärmend liebkosten. Kaum waren die Trinas komplett verbrannt, drängte ich die Flammen mit großer Mühe zurück, ehe sie noch mehr zerstören würden, vielleicht sogar meine Freunde.

Erst da bemerkte ich, dass eine weitere Gestalt aus dem Schatten der Bäume getreten war. Auch sie trug einen schwarzen Umhang wie die Palinas, bewegte sich aber viel geschmeidiger und ihre Augen schimmerten Rot aus der Kapuze hervor.

„Ihr seid also die berühmte Flammenbändigerin?“, fragte sie knurrend. Die Stimme des Gurter war sogar noch kälter, als die der Palinas und unwillkürlich überfiel mich eine Gänsehaut.

„Und du bist?“, fragte ich herausfordernd. Ich war erschöpft und müde. Meine Gabe musste mir mehr Energie genommen haben als erwartet, doch ich ließ mir nichts anmerken. Und diese ganzen Höflichkeitsfloskeln von wegen „Ihr“ konnten mir auch gestohlen bleiben, selbst wenn dies offenbar üblich war. Mein Ton war alles andere als angebracht, doch ich hatte ja schon früh bewiesen, dass ich Selbstmordgedanken besitzen musste, da ich auch nicht draus lernte.

„Wrp. Aber das ist nicht weiter von Belang. Denn ihr seid gleich tot. Verabschiedet euch am besten schon einmal von eurem Gefährten!“, stellte der Gurter klar.

Obwohl ich wusste, wie gefährlich es war und dass der Gurter nur darauf abzielte mich abzulenken, konnte ich mir einen kurzen Blick zu Fer nicht verkneifen. Er lag immer noch bewegungslos da. Doch ich spürte, dass er noch lebte.

Im selben Moment griff der Gurter an. Doch wenige Sekunden, bevor er mich erreichen konnte, sprang ein dunkler Schatten aus dem Gebüsch hinter mir und stürzte sich auf Wrp, ehe er seine Zähne in mich schlagen konnte. An meiner statt erwischte es den schwarzen Panther, der sofort tot zusammenbrach. Fer hatte mich ja vorgewarnt.

Geschockt starrte ich auf den toten Panther herunter, ehe ich mich selbst zur Ordnung zwang. Hunter hatte sein Leben nicht für mich geopfert, damit ich mich nur dank eines Schocks zerfleischen ließ. Noch während sich der Gurter aufrichtete, rief ich daher dieses Mal ganz gezielt wieder nach Ignisaeri und bat sie um ihre Hilfe. Sofort spürte ich das Feuer, das in und um mich herum flackerte und mir neuen Mut und neue Kraft gab. Ein Schwert aus Flammen lag in meiner Hand und wieder spürte ich das Kitzeln zwischen meinen Schulterblättern, diesmal mit einem schmerzhaften Ziehen verstärkt. Aus dem Augenwinkel konnte ich zwei schwarze Flügel sehen, die langsam aus meinen Schulterblättern wuchsen, doch ich beließ es dabei, ehe sich mein ganzer Körper verwandeln konnte. Ich war noch nicht bereit für die Verwandlung und um ehrlich zu sein hatte ich ein wenig Angst, aber das war jetzt eher nebensächlich.

Mein Schwingen schienen fast die gesamte Lichtung auszufüllen und waren nur dank der Flammen, die mich immer noch umgaben, zu sehen. Der Umhang hatte sich selbstständig gelöst, als sie gewachsen waren, doch das Hemd würde nicht mehr zu retten sein.

Gleichzeitig fasziniert und erschrocken starrte mich der Gurter an, doch ich konnte mich gerade nicht über meine Verwandlung freuen.

Als ich auf den Gurter zuging, versuchte er zurückzuweichen, doch während seiner Starre hatten sich Ranken und Erde um seine Fußgelenke gelegt und fesselten ihn an Ort und Stelle. Im Stillen dankte ich Elena für ihren Einsatz. Im Hintergrund spürte ich, dass auch Elias sein Bestes gab, damit die Flammen nicht auf den Wald übergriffen. Es war schon praktisch, andere Bändiger bei sich zu haben. Langsam ging ich auf den Gurter zu. Angst schimmerte in seinen Augen und er versuchte nach mir zu schnappen, während die Ranken höherwuchsen, doch ich sah ihn nur kalt an.

„Das ist für Hunter!“ Mit diesen Worten stieß ich ihm das Flammenschwert fest in die Brust. Der Gurter stieß einen unmenschlichen Schrei aus, bei dem ich glaubte, meine Trommelfälle müssten zerplatzen und wäre in der Nähe eine Glasscheibe gewesen, wäre sie sicher zersplittert. Schnee stürzte von den Bäumen und auch leichte Äste wurden durch die Kraft des Schreies mitgerissen. Schnell machte sich Elias daran, den Wind in die andere Richtung zu treiben, um uns vor dem ohrenbetäubenden Lärm zu schützen.

Endlich ging der Gunter in Asche auf, die sich rasch in dem noch unnatürlich starken Wind verlor.

Ich schaute auf. Die Blicke aller Wesen waren auf unsere kleine Szene gerichtet und sie schienen vergessen zu haben, dass sie gerade miteinander kämpften. Auch die vier Palinas, die am Waldrand aufgetaucht waren und die Nachhut bildeten schienen wie erstarrt angesichts meines Anblicks zu sein. Wir würden alle töten müssen, damit sie nicht mein Geheimnis verrieten. Ehe überhaupt jemand etwas begreifen konnte, flogen so nun sechs Feuerbälle los und vernichteten die restlichen Palinas und Trinas.

Das Feuer hatte mir Kraft gegeben. Doch mit meiner letzten Aktion hatte ich mich definitiv überschätzt. Ich spürte, wie Ignisaeri mich darum bat, sich ausruhen zu dürfen. Das hatte sie bislang noch nie gemacht. Wir mussten schlimmer dran sein, als ich gedacht hatte. Natürlich gestattete ich es ihr, dankte ihr von ganzem Herzen und spürte, wie sich die Flügel zurückzogen und die Flammen verschwanden. Schlagartig setzte meine Erschöpfung wieder ein, sodass ich kraftlos zusammensackte. Ich spürte, wie mein Blickfeld zu schwinden begann, doch ich kämpfte dagegen an. Noch durfte ich nicht bewusstlos werden. Nicht, solange es Fer so schlecht ging. Mit letzter Kraft zog ich mich zu Fer, ritzte mir mit einem Stein die Hand auf und hielt sie Fer an die leicht geöffneten Lippen.

„Bitte, Fer. Trink!“, flehte ich. Langsam rollte ein Tropfen meines Blutes von seinen Lippen in seinen Hals. Dann umfing mich Dunkelheit.


Kapitel 20

Ich erwachte, als ein kalter Lappen langsam über meine Stirn tupfte und ein Tropfen Wasser zwischen meine Trockenen Lippen gewrungen wurde.

„Wach auf, Liebling. Bitte. Wach auf!“ Fers Stimme klang weit entfernt, doch seine Gegenwart brachte mir sofort die Wärme und die Hoffnung zurück. >Fer!<, wollte ich stöhnen, doch ich konnte mich nicht rühren. Kein Muskel schien auf mich zu hören, obwohl ich mein Umfeld bewusst wahrnahm. Ich bekam Panik. Ich wollte nicht in einem alten kranken Körper gefangen sein, doch wie sollte ich mich bemerkbar machen.

„Hallo Alpha. Wie geht es ihr?“ Elenas Stimme drang ebenso wie durch Watte an mein Ohr.

„Schlecht.“ Mein Socius schien das Wort kaum aussprechen zu können. Seine Stimme klang rau und müde.

„Du hörst dich auch nicht gut an. Ich löse dich ab, dann kannst du schlafen!“ Im Stillen gab ich ihr Recht, doch ich wollte nicht, dass er ging.

Mühevoll sammelte ich meine geistigen Kräfte und schrie so laut ich konnte.

>Fer!<

Mein Gefährte war bereits am Zelteingang angelangt, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, als er meinen geistigen Ruf empfing. Obwohl ich geschrien hatte, wusste ich, dass er lediglich ein Flüstern vernommen hatte.

>Carrie!<, antwortete er sowohl gedanklich, als auch verbal und rannte fast zurück an das Bett.

>Bleib bei mir!<, bemühte ich mich zu sagen. Ich spürte, dass meine Konzentration bereits wieder zu schwinden begann. Bei Fer musste irgendetwas von wegen „Bleib……mir…“ angekommen sein, doch er schien verstanden zu haben, was ich sagen wollte.

>Immer!<

Erneut umfing mich Dunkelheit.

Als ich das nächste Mal erwachte spürte ich meinen Körper endlich wieder und so auch die schwere Kugel auf meinem Bauch. Ohne die Augen zu öffnen, tastete ich danach und spürte ein Bündel Haare zwischen meinen Fingern. Offenbar war Fer an meiner Seite eingeschlafen. Noch immer öffnete ich meine Lider nicht, die viel zu schwer zu sein schienen, begann jedoch über den Kopf zu streicheln. Liebevoll glitten meine Finger durch die zerstörte Frisur. Es brauchte einige Zeit, bis ich das leise Schnurren vernahm, dass von dem Kopf ausging. Kaum zu glauben, Fer schnurrte wie eine kleine Kater. Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen und Fers Kopf fuhr hoch. Lächelnd sah ich ihn an, nachdem ich meine brennenden Augen endlich von dem verklebenden Tränenschleier befreit hatte. Es war entsetzlich hell, doch in dem Moment interessierte mich nur eines: Fer.

„Carrie, du bist ja wach?!“, stellte Fer überrascht und sogleich erschrocken fest.

„Ja!“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Kratzen.

„Du bist wach!“, wiederholte Fer, dieses Mal wesentlich erfreuter, nachdem er seinen Schock überwunden hatte.

„Du bist wach. Du bist wach. Du bist wach.“ Fer schien immer aufgeregter zu werden, während er diese drei Worte immer wieder vor sich her betete. Er schien ganz aus dem Häuschen zu sein.

„Fer!“, unterbrach ich seinen Singsang.

„Was?“, fragte mein Socius verwirrt. Ihm schien nicht einmal aufgefallen zu sein, dass er vor sich her gemurmelt hatte.

„Ich liebe dich!“, sagte ich schlicht.

Ein Strahlen glitt über Fers Gesicht.

„Du liebst mich!“, wiederholte er glücklich. Ich verdrehte die Augen, halb amüsiert, halb verärgert.

Die Zeltplane wurde zurückgeschlagen und ich schaute zu Elena, die gefolgt von Gan und noch halb mit ihm in ein Gespräch vertieft eintrat. Als sie bemerkte, dass ich wach war, blieb sie abrupt stehen, sodass der Heiler in die hineinstolperte.

„Du bist ja wach?“, stellte sie ebenso wie Fer überrascht fest. Gan schaute auf und sah mich mit einer Mischung aus Freude, Angst und Sorge an. Eine sonderbare Mischung wie ich fand. Freude und Sorge verstand ich ja, aber warum Angst. Erst langsam kehrten meine Erinnerungen zurück. O mein Gott, ich hatte Flügel gehabt und sechs Palinas und Trinas auf einmal getötet. Und alle hatten es gesehen. Das Lächeln auf meinen Lippen verblasste und ich biss mir mit schlechten Gewissen auf der Unterlippe herum. Ich konnte ihnen plötzlich nicht mehr in die Augen sehen.

„Lass das!“ Sanft versuchte Fer mich davon abzuhalten, meine Lippe weiter zu verunstalten.

„Ich habe sie getötet.“, hauchte ich traurig. „Ich habe sie alle getötet!“ Plötzlich stiegen Tränen in meine Augen und fast schon wütend schaute ich auf. Wütend auf mich selber. „Und ihr habt es alle gesehen.“, wimmerte ich.

Elena schien von meinem schlechten Gewissen nichts mitzubekommen.

„Du hattest wunderschöne Flügel.“, seufzte sie verträumt. Ich musterte sie. Zum ersten Mal schien sie sich wie ein normales zehnjähriges Mädchen zu benehmen. Nur in einer Situation, in der ich es absolut übertrieben fand. Inzwischen kam sie mir eher wie eine Zwölfjährige vor. Leises Gepolter vor dem Zelt ließ mich aufschauen.

„El. El.“, ertönte eine hohe Kinderstimme von draußen. Ungläubig starrte ich auf die Zeltplane, die ohne Rücksicht zurückgerissen wurde und ein kleiner, etwa dreijähriger Junge stolperte herein.

„Ich habe Käfer gefunden!“ Stolz zeigte er einen Hirschkäfer, der sich in seiner kleinen Kinderhand wand.

„Elias?“, fragte ich ungläubig. Der Junge sah auf und musterte mich mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen.

„Ist das Engel?“, wandte er an sich Elena.

„Engel?“ Neugierig schaute ich ebenfalls das Mädchen an. „Du hast mich als Engel bezeichnet?“

Elena zuckte nur mit den Schultern. Ich runzelte die Stirn.

„Wie lange habe ich hier gelegen?“ Diesmal richtete ich meine Frage an Fer, der meinem Blick jedoch auswich. Mein Blick wanderte weiter und fast schon anklagend starrte ich nun Gan an. Der Heiler seufzte.

„Wir haben es jetzt Mitte März.“

März? Aber dann hatte ich hier ja drei Wochen gelegen. Im Koma. Oder doch nur Bewusstlos. Ich erinnerte mich an das unangenehme Gefühl, meinen Körper nicht mehr zu spüren. Also doch eine Art Koma. Kein Wunder, dass Fer so viel Angst um mich hatte.

„Was ist seitdem passiert?“ Ich musste es einfach wissen. Sowohl Fer, als auch Gan zögerten und auch Elena wich meinem Blick aus.

„Bitte. Ich muss es wissen!“, drängte ich. Fer seufzte und begann schließlich stockend zu berichtet. Er wagte es immer noch nicht mir in die Augen zu sehen.

„Wir haben Hunter begraben. So wie es aussah, hatten die Palinas ihn fortgelockt und während er versuchte sie zu finden, haben sie uns angegriffen. Er war viel zu weit weg, als das mein Ruf ihn hätte erreichen können. Daher dauerte es eine Weile, bis er seinen Fehler bemerkte und zurückkehrte. Er hat sich gerne für dich geopfert. Es war eine Ehre für ihn.“ Ich nickte, senkte jedoch schniefend den Kopf. Er schmerzte mich immer noch, dass er sich für mich geopfert hatte.

„Außerdem haben wir die Waffen gereinigt und haben noch eines der Zelte vom Lager geholt. Wie zu erwarten war, sind auch sie angegriffen geworden. Soweit wir es wissen, hat niemand überlebt.“ Wieder schniefte ich. Das war alles meine Schuld!

„Zu Fils Gruppe oder anderen Arsanimali haben wir bislang keinen Kontakt, was aber kein schlechtes Zeichen ist.“

Ich nickte, tief in Gedanken versunken. Es klopfte und Fer ließ kurz ein „Herein“ vernehmen, konnte mir jedoch noch immer nicht in die Augen sehen.

Ruber trat ein. Er zögerte, als er mich sah und fast schon roch ich seine Angst. Augenblickmal. Ich roch sie? Es stimmte. Offenbar hatte meine halbe Verwandlung auch Änderungen an meinem Körper bewirkt. So hatte ich nun nicht nur ein verstärktes Gehör, sondern auch ein scharfsinnigen Blick und eine hervorragende Nase, die offenbar alles riechen konnte, was sich im Umkreis von fünfhundert Meter befand. Es ängstigte mich etwas, doch ich ließ nicht davon nach außen dringen.

„Alpha, ich habe keine guten Nachrichten.“ Fer gebot ihm zu schweigen, doch ich wollte es hören.

Ruber wich Fers Blick aus, musste mir jedoch antworten. Immerhin war ich ebenso Alpha wie Fer. „Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass in der Nähe der `Grauen Burg´, die Leiche eines Arsanimali gefunden wurde. Vermutlich ein Vampir. Um wen es sich handelt, wissen wir nicht, doch-“

„NEIN!“, zischte ich. Ich wusste, wer der Tote war. Ich hatte es schon gespürt, als Ruber angefangen hatte zu erzählen. Mein Ziehvater war also tot. Aber warum? Immerhin wär er ein gutes Druckmittel gegen mich gewesen. Aber dann erinnerte ich mich an die Situation, wo ich Fer von den Träumen erzählt hatte. Fer hatte mir gesagt, dass mein Ziehvater ein sehr mächtiger Vampir sein musste, wenn er in die Träume anderer springen konnte. Vielleicht zu mächtig. Wut stieg in mir auf.

„Das wird er bereuen!“, zischte ich und schwang meine Beine über das Bett. Meine Wut gab mir Kraft. Ich griff nach meiner Hose, die fast schon verstaubt und vergessen über einem der Stühle hing.

„Carrie!“, versuchte mich Gan zu überreden, zurück in das Bett zu kriechen, doch ich ignorierte ihn.

Erst als ich mir ein Hemd auf der Truhe genommen hatte, das offenbar Fer gehörte, drehte ich mich um und sah meine Ersatzfamilie an, die noch immer wie erstarrt auf dem Bett saß.

„Wann können wir los?“ Meine Stimme ließ keine Wiederrede zu. Nur Fer wagte es zu seufzten und ich warf ihm einen bösen Blick zu. „Vergesst es! Ich geh allein.“

Plötzlich fühlte ich mich zutiefst verletzt. Ohne ein weiteres Wort stürmte ich aus dem Zelt und sah mich um. Es war eindeutig der Frühling ausgebrochen. Die Sonne schien, vermutlich war es knapp vor der Mittagszeit und im Wald schienen die Vögel ihr Bestes geben zu wollen. Die Luft war erfüllt vom Brummen der Hummeln und ich konnte einen Rothirsch röhren hören. Kurz atmete ich durch und versuchte, die ganze Wut zurückzudrängen; schließlich konnte weder mein geliebter Wald noch meine Ersatzfamilie etwas für meinen Verlust und suchte die kleine Lichtung, auf der die Zelte standen, nach den Pferden ab. Endlich sah ich einen Pferdeleib zwischen den Bäumen. Gerade als ich darauf zuging, hörte ich Schritte hinter mir.

„Carrie, warte.“ Selbst als Fer mich eingeholt hatte und neben mir lief, blieb ich nicht stehen.

Er fasste mich am Arm und zog mich zu sich herum.

„Wo willst du hin?“

Endlich sah ich ihm an. Mein Blick war so leblos, das Fer mich erschrocken losließ und zurückstolperte. Der Blick, den er mir dabei zuwarf, verletzt mich noch mehr.

„Es sollen nicht noch mehr meinetwegen sterben!“, murmelte ich betrübt. Erst als Fer mit einem Finger über meine Wange wischte, merkte ich, dass ich weinte.

„Niemand ist deinetwegen gestorben.“ Vorsichtig, wie als hätte er Angst, mich zu zerbrechen, gab mir Fer einen Kuss auf die Stirn. Ich weiß nicht, ob es das Gefühl der Geborgenheit war oder einfach, dass bei seinem Kuss meine Wut wie zu verpuffen schien, doch einen Moment später sackte ich kraftlos zusammen. Fer hielt mich und ging sogar in die Knie, um mich weiterhin zu trösten, während ich weinend auf dem Boden kauerte.

„Doch!“ Protestierte ich schwach. „Nur wegen mir ist dein Rudel angegriffen worden, meine Eltern gestorben und Hunter!“

„Scht!“, tröstete mich Fer einfach weiter und ließ mein Geständnis über sich ergehen, als würde es für ihn nicht wichtig sein.

„Unser Rudel liebt dich. Genauso wie deine Eltern, genauso wie ich!“ , hauchte Fer an meinen Haaren. Ich weinte heftiger. Der Schmerz in mir war einfach zu groß, als dass ich Fers Worten groß Bedeutung geschenkt hätte. Dennoch tat es so gut, einfach hier in seinen Armen zu liegen, den aufkommenden Frühling zu genießen und meinen Schmerz auf mir heraus zu heulen. Viel zu lange hatten sich die Tränen angestaut und brachen nun endlich Bande. Erst langsam kam ich wieder zur Ruhe. Ich spürte Fers Brust an seinem nun klatschnassen Hemd kleben, doch weder ihn noch mich kümmerte es groß.

„Ich kann nicht ohne dich leben, Carrie Elisabeth Crown.“, stellte Fer klar und drückte mich wieder enger an sich, als mir wieder die Tränen kamen, angesichts seines Geständnisses.

„Ich will dich nicht auch noch verlieren.“, murmelte ich. Meine Stimme war ganz gebrochen und ich hatte einen Schluckauf vom vielen Weinen. Ich fühlte mich so leer, dass mir fast das Herz wehtat. Doch Fer hielt mich einfach, verlangte keine weiteren Erklärungen von mir und so saßen wir sicher eine geschlagene halbe Stunde einfach nur auf dem Waldboden und hielten uns Gegenseitig. Zwischendurch glaubte ich Gan oder Ruber aus dem Augenwinkel zu sehen, doch jedes Mal gab Fer ihnen ein Zeichen, dass sie uns in Ruhe lassen sollen. Mir war das nur Recht. Schließlich seufzte Fer und rückte ein Stück von mir weg.

„Wieder etwas besser?“, fragte er mich und musterte mich. Ich nickte nur. Ich traute meiner Stimme noch nicht so ganz.

„Wollen wir zu den Anderen zurück?“ Ich zögerte und schüttelte den Kopf. Nein, soweit war ich noch nicht. Ich wollte nicht, dass die Anderen mich so sahen. Fer nickte verständnisvoll und strich mir eine Strähne hinter das Ohr.

„Schade, dass ich deine Flügel nicht gesehen habe. Sie sollen wirklich traumhaft gewesen sein.“, murmelte Fer so leise, dass ich ihn fast nicht verstanden hätte.

Ich überlegte kurz, dann zog ich ihn mit mir in den Wald. Ich ließ mich ganz von meinen Instinkten leiten. Fer sah mich fragend an, ließ sich jedoch widerstandlos mitziehen. An der nächsten Lichtung bedeutete ich ihm stehenzubleiben. Sie war sogar noch ein Stück größer, als die, auf der Fer derzeit das Ersatzlager aufgeschlagen hatte. Dann trat ich ein paar Schritte zurück und horchte kurz in mich hinein.

>Ignisaeri, hörst du mich?< Ein zustimmendes Gefühl machte sich in mir breit. Die Flamme frohlockte, froh, dass wir uns wiedergefunden hatten, doch ich wollte kein Feuer ausbrechen lassen, sondern fragte nur weiter.

>Darf ich Fer unsere Flügel zeigen?<

Ignisaeri schien kurz zu überlegen, dann spürte ich wieder das zustimmende Gefühl und ich konzentrierte mich fester auf meine Flügel. Ich dachte an die Situation, als der Gurter mich angegriffen hatte und an die wunderschönen Flügel von mir. Fast schon vertraut war mir das Ziepen und Kribbeln zwischen meinen Schulterblättern. An Fers Aufkeuchen konnte ich hören, dass meine Flügel wuchsen, doch ich wagte nicht die Augen zu öffnen. Erst als ich spürte, dass das Wachstum meiner Flügel abgeschlossen war, blinzelte ich und betrachtete freudig und fasziniert meine Flügel. Fer schien meine Freude zu teilen.

„Darf ich sie einmal anfassen?“, fragte er ehrfürchtig. Ich nickte. Vorsichtig ließ er seine Finger über die Federn gleiten.

„So weich.“, murmelte er. „Du bist wirklich wie ein Engel.“

Ich errötete.

„Wo genau im Wald sind wir?“, fragte ich Fer, um meine Verlegenheit zu überspielen.

„Ungefähr drei Tagesreisen von unserem alten Platz entfernt. Es war nicht leicht, dich während deines Komas zu transportieren. Deswegen kam wir nur langsam voran.“

Kurz plagten mich Schuldgefühle, dann reifte eine Idee in mir zusammen.

>Können unsere Flügel Gewicht tragen?<, fragte ich Ignisaeri.

>Ich weiß es nicht, probiere es aus.< Ignisaeri schien wirklich gespannt zu sein. Ich zögerte noch.

„Fer, kommst du mal bitte?“ Mein Gefährte ließ seine Hand sinken, die immer noch fasziniert über meine Flügel gestrichen war und sah mich an. Auffordern breitete ich meine Arme aus. Stockend kam Fer auf mich zu und ich schloss ihn in meine Arme.

„Vertraust du mir?“, wisperte ich ihm in sein Ohr. Zögernd nickte Fer.

Ich holte tief Luft, schloss Fer fester in meine Arme, schlug mit meinen Flügeln, wobei Nadeln aufgewirbelt wurden und stellte mir vor zu fliegen.

Immer schneller glitten meine Flügel auf und ab, bis schließlich die Luft unter ihnen soweit erwärmt war, dass sie unter meine Flügel fuhr. Langsam hoben wir ab. Es war ein berauschendes Gefühl. immer höher schwebten wir und Fer, der sich anfangs fast panisch an mich geklammert hatte, schaute sich um, während wir weiter Richtung Himmel schwebten. Erst über den Baumkronen beschloss ich in die Waagerechten zu gehen. Meine Flügel schienen genau zu wissen, was sie zu tun haben und mit gleichmäßigen Flügelschlägen schwebten wir eine Rund über den Wald, ehe wir beschlossen zu den Anderen zurückzukehren. Eine Staubwolke wirbelte auf als wir landeten. Die Lichtung hier war eindeutig schmaler als die, wo wir gestartet waren und ich bemühte uns so würdevoll wir möglich abzusetzen und gleichzeitig meine Flügel zu beschützen, die die umliegenden Baumstämme zu schweifen drohten. Ruber stürzte mit erhobener Waffe aus dem Zelt um sich sofort auf das Wesen zu stürzen, das aus dem Himmel gekommen war. Als er uns sah, ließ er jedoch überrascht das Schwert und schließlich sich zu Boden fallen, wie bei einer tiefen Verbeugung.

>Oh Fer, was habe ich getan!<, stellte ich verzweifelt fest, meinen Blick auf Ruber gerichtet.

Fer schien die alles wesentlich entspannter zu sehen.

>Du hast dir gerade extremen Respekt verschafft. Das ist glaube ich auch nicht so schlecht. Aber ich wusste schon immer, das du ein Händchen für gelungene Auftritte hast.< Er schien sich das Lachen kaum verkneifen zu können.

>Hat dir der Flug wenigstens gefallen?<, fragte ich ihn mit einer Mischung aus Neugier und Verstimmtheit.

>Es war wunderschön.<, seufzte Fer. >Aber warne mich das nächste Mal bitte vor, ehe du solche Experimente mit mir startest.<

Ich kicherte, dankte Ignisaeri, die mit leuchtenden Augen von unserem Flug schwärmte und ließ meine Flügel verschwinden. Elena kam aus dem Zelt gerannt, als sie unsere Ankunft bemerkte. Wir waren wohl länger weg gewesen, als ich gedacht hatte.

„Es tut mir Leid, dass ich euch so angefahren habe.“, entschuldigte ich mich. Diese Entschuldigung ging an Alle, doch Elena winkte nur ab.

„Macht doch nichts. Jeder hat mal einen schlechten Tag.“

Gan tauchte in einer Zeltöffnung auf, warf einen Blick auf Ruber, der sich langsam wieder erhob und mich immer noch so anstarrte, als wäre ich Gott höchstpersönlich und wandte sich dann mir zu.

„Könntet ihr mir mal bitte erklären, wo ihr gewesen seid?“, fragte er angesäuert. Upps. Vielleicht wäre es wirklich gut gewesen, jemanden von unserem Verschwinden zu berichten, ehe sich allzu viele Sorgen gemacht werden.

„Wir haben nur einen kleinen Ausflug gemacht.“ Bei dem Wort „Ausflug“ hörte ich, wie Fers Mundwinkel leicht nach oben zuckten. Wenn Gan nur von dem tieferen Sinn des Wortes wüsste…. Er würde uns die Hölle heiß machen. Aber ich hatte ihn schon immer für den Vernünftigeren von den beiden Männern gehalten.

Gan ließ als Antwort nur ein Brummen vernehmen. „Es tut mir Leid, Gan, dass wir einfach so verschwunden sind.“, entschuldigte ich mich sanft. „Ich brauchte einfach ein paar Momente für mich und Fer ließ es sich nicht nehmen, mich zu begleiten.“

Gans Mine wurde sofort weicher. Natürlich hatte er Verständnis für meine Situation. Immerhin war sie alles andere als leicht. Ich war ihm dankbar dafür, selbst wenn ich mich kurz für meine Gefühlsschwankungen schämte.

„Ist schon in Ordnung, Carrie.“ Ruber kam jetzt näher. Er hatte es endlich geschafft seine Kinnlade zu schließen und sah mich bewundernd an. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, damit er Gan nichts von unserem Flug berichtete. Immerhin verstand ich mich mit dem Heiler gerade wieder.

„Wie geht es dir?“ Oh, wie hatte ich diese Frage erwartet. Natürlich war es seine Berufung, doch manchmal nervte es einfach nur. Fer hatte mich in Ruhe gelassen und nur gefragt, ob es mir besser gehe. Für ihn war von Anfang an klar gewesen, wie ich mich fühlen musste. immerhin hatte er, wie ich von Prisca erfahren hatte, ebenfalls beide Eltern verloren.

„Wie soll es mir schon gehen!“, stellte ich die Gegenfrage. Ich war gerade nicht gewillt über mein Inneres zu reden.

„Du solltest nicht auf den Beinen sein. Immerhin bist du gerade aus einem wochenlangen Koma erwacht. Du solltest nicht lange Wanderungen durch den Wald machen können, als wäre nichts gewesen.“ Nun sprach eindeutig der Arzt aus ihm. Ich verdrehte die Augen.

„Ich sollte vielleicht nicht. Aber ich tue es.“

„Aber das ist unnatürlich!“, murmelte Gan leise.

„Unnatürlich sind die Geschehnisse, die seit neusten mein Leben bestimmen. Unnatürlich ist, dass so viele Wesen meinetwegen ihr Leben ließen. Unnatürlich ist die Prophezeiung, die mein Leben bestimmen soll. Und ungewöhnlich sind meine Gefühle zu meinem Gefährten.“ Ich ergriff Fers Hand, starrte Gan aber nur umso fester in die Augen.

„Nein, Gan. Ich habe lange genug im Bett gelegen, habe lang genug zugesehen, wie die Welt für mich ihr Leben gab, habe lang genug mich hinter unschuldigen Wesen versteckt, in der Hoffnung, dass dies alles nur ein böser Traum ist. Ich bin nun ein Arsanimali, ein Alpha“ Ich sah Ruber an.

„eine Socia“ Ich sah Fer an.

„und meinetwegen auch ein Engel“ Ich schenkte Elena ein kurzes Lächeln, dass sie schüchtern erwiderte.

„Ich habe lang genug gewartet. Nun habe ich Verantwortung zu tragen für alle, die es verdient haben und die mir wichtig geworden sind.“ Ich schaute einmal in die Runde.

„Und für all diejenigen werde ich kämpfen.“ Meine Stimme wird mit jedem Wort fester und die Macht und Stärke in ihr konnte ich fast schon steigen sehen.

„Du fragst mich, wie es mir geht? Dann sage ich dir nur eines: Ich glaube, ich bin bereit. Bereit, zu kämpfen, bereit zu siegen und bereit zu sterben, für all diejenigen, die es verdient haben.“

Nach meiner Rede herrscht lange Zeit Stille, bis schließlich Elias, der auf der Suche nach Elena seinen Kopf aus dem Zelt gesteckt hatte, einen Laut machte, der so ähnlich klang wie: „Wow.“

„Macht sie immer so lange Reden?“, fragte er Elena, die mich nur mit feuchten Augen ansah. Ich wusste, dass sie bereit war mir zu folgen, denn ich war eine Kämpferin, der es fast ähnlich wie ihr ergangen war und die bereit war für Das einzutreten, für das sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden war.

„Ich folge dir!“ Fer trat plötzlich vor. Sein Gesicht war feierlich und ein zufriedener Ausdruck zierte ihn. Hatte er damit gerechnet, dass ich zu dieser Entscheidung gekommen war? Hatte er sich einfach meinem Willen gebeugt, da er spürte, dass meine Macht stärker wurde? Oder wollte er mich einfach glücklich sehen?

„Wo auch immer du hingehst, wird die Erde dich begleiten!“, sagte Elena ernst. Elias schien zu spüren, dass es um etwas Wichtiges ging. Und wenn seine Ersatzmutter oder seine große Schwester bei so einer Aktion dabei war, dann wollte er das auch.

„Auch die Luft“, krähte er und ließ kurz die Blätter auf der Wiese umherwirbeln.

„Wenn es mein Schicksal sein sollte, einem Engel zu folgen, dann will ich tun, was ich kann.“ Ruber hatte sich verändert. Seit ich Hunters Tod gerächt und er mich bei der Landung beobachtet hatte, schien er ziemlichen Respekt vor mir zu haben und sah in mir nicht mehr nur die Gefährtin seines Alphas, sondern eine göttliche Führerin, die er mit seinem Leben verteidigen würde. Ich seufzte. Ich hatte die Scherzabende mit ihm am Lagerfeuer genossen.

>Sag es ihm einfach<, riet mir Fer in Gedanken, der meine trübseligen Gedanken zu bemerken schien. Wieder seufzte ich innerlich.

>Meinst du, er wird wieder wie früher.< Fer verneinte. Das hatte ich auch nicht wirklich erwartet. Aber ich hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben wollen.

„Du hattest schon immer mein Herz bezierst. Schon als ich damals deine Handgelenke geheilt habe. Du bist zwar gewachsen seit dem, doch ich würde dir immer noch überall hin folgen. Und wer soll sich denn bitte um dich kümmern, wenn du mal wieder einen deiner tollpatschigen Unfälle baust.“ Gan lächelte, nach seiner beinah feierlichen Rede. Ich konnte nicht anders als zurückzulächeln und das Eis zwischen uns war gebrochen. Man könnte sogar sagen, dass die Rede von Gan mich berührt hatte, doch das würde ich dem Heiler gegenüber nie zugeben.

„Danke euch allen.“ Meine Stimme war leise und von ihren Worten gerührt. Soviel dazu, meine Gefühle zu verstecken.

„Ich bitte darum, Morgen aufbrechen zu dürfen. Ich weiß, dass ihr versucht habt, wieder ein normales Leben zu führen, doch für mich wird es kein normales Leben mehr geben, solange Atro lebt. Daher will ich Morgen weiterziehen. Wenn ihr mich begleiten wollt, würde ich mich freuen, aber ich zwinge niemanden. Ich kann noch nicht einmal versprechen, dass wir lebend zurückkehren werden. Daher bedenkt gut. Ich bereite mich nun auf die Abreise vor. Wenn ihr etwas von mir wollte, ich bin in meinem Zelt oder fragt einfach meinen Gefährten.“ Mit diesen Worten nickte ich Fer zu und verschwand in dem Zelt, in dem ich zur Zeit meines Komas gelegen hatte. Meine Arme schmerzten leicht, weil ich Fer so fest bei unserem Flug umklammert hatte, doch ich kümmert mich nicht weiter darum, sondern begann einige praktische Anziehsachen zusammenzusammeln. Meinen Jütebeutel fand ich unter dem Bett. Inzwischen hatte er einige Löcher davongetragen. Ich stopfte die Großen so gut es ging und begann dann zu packen. Ich hatte gerade sämtliche Kleidungsstücke verstaut, als die Zeltklappe aufgeschlagen wurde und Fer hereinkam. Natürlich war es Fer. Er war immer der einzige, der ohne Anzuklopfen in mein Zelt spazierte. Ich schüttelte nur missbilligend den Kopf, da er deutlich meine Meinung zu seinem Verhalten in meinen Gedanken lesen konnte und sah ihn fragend an. Was wollte er?

„Ich wollte dir nur deinen Dolch bringen. Und mein Messer. Nachdem ich gesehen habe, wie du damit gekämpft und Ruber das Leben gerettet hast, glaube ich, es ist bei dir besser ausgehoben, als bei mir. Keine Sorge ich habe noch andere.“ Er schenkte mir ein Lächeln, reichte mir die Waffe und drehte sich um, um wieder das Zelt zu verlassen zu und mich nicht weiter beim Packen zu stören. Ach manchmal war er wirklich ein Engel.

>Tolle Rede vorhin, übrigens.<, schickte mir Fer noch gedanklich, ehe er das Zelt verließ. Ich knurrte nur. Okay. Das mit dem Engel überlege ich mir noch mal. Ich packte noch die beiden Waffen ein und schaute mir die Dinge an, die noch auf meinem Bett lagen. Der Feuerstein und der Zunder von Sali. Durch meine Gabe würden die beiden nie zum Einsatz kommen, doch sie waren sein letztes Geschenk und erinnerten mich stets an das Rudel, sodass ich sie schließlich doch einpackte. Das Foto meiner Familie. Inzwischen waren zwei Mitglieder meiner Familie tot, doch das Foto würde mich dennoch an meine Rache erinnern. Die Schreibsachen und meinen Lieblingsroman ließ ich schweren Herzens zurück. Die Reise hatte beides schon stark beschädigt und wirklich brauchen, konnte ich sie nicht. Vielleicht würde irgendwann ein Kind, das dann hier lebte, anfangen es zu lesen. Ich glaubte nicht wirklich daran, jemals wieder hier hin zurückzukehren. Während ich packte, verabschiedete ich mich innerlich von meinem Leben. Die Chancen, dass ich überlebte waren zu gering, doch ich hoffte, dass wenigstens die Anderen überlebten.

>Wie kommt es eigentlich, dass Elias schon so groß geworden ist. Ich dachte, ich lag nur drei Wochen im Koma und nicht drei Jahre?<, fragte ich Elena in Gedanken. Ich konnte sie seufzen hören.

>An dem Tag, an dem du dich so verausgabt hast und deine Flügel bekommen hast, das hat auch Elias sich völlig verausgabt, als er versuchte den Schrei des Gurters von euch fernzuhalten. Doch anstatt wie du ins Koma zu verfallen, hat sein Körper einen so enormen Sprung gemacht, dass er die Kraft aufrechterhalten konnte, ohne zu sterben. Seine Gabe hat zu einem noch schnelleren Wachstum geführt, ehe er bewusstlos zusammenbrach. Er hatte viel zu lernen in den letzten Tagen, doch das Wachstum seines Körpers hat sich endlich verlangsamt. Ich glaube, er wird erst wieder so stark wachsen, wenn du seine Kraft brauchst.< Sie klang demotiviert und müde und für einen kurzen Moment glaubte ich zu wissen, welchen Kraftaufwand es gab, um sich und ihren kleinen Bruder am Leben zu erhalten.

>Helfen euch die Anderen nicht?<, fragte ich besorgt.

Ich spürte, wie sie zögerte, ehe sie schließlich zugab.

> Doch schon. Allerdings haben sie ziemliche Angst vor uns. Immerhin war Elias gerade einmal ein Säugling und hatte schon so viel Macht und ich verhalte mich auch nicht so, wie die typische Elfjährige.<

>Du hattest Geburtstag?<, Verblüfft sah ich auf, als könnte ich sie sehen.

>Halb so wild.< Ich konnte mir gut die Geste vorstellen, mit der sie diese Situation abwinkte.

>Doch! Kennst du „Harry Potter und der Stein der Weisen?“<, fragte ich sie.

Sie verneinte. Und so klärte ich sie auf. >Harry ist ein ganz normaler Junge. Jedenfalls glaubt er das, bis zu seinem elften Geburtstag, als ein Halbriese bei seiner Tante und seinem Onkel auftaucht und behauptet er sei ein Zauberer. Ab elf Jahren lernen die Jungzauberer in einer Zauberschule, die Hogwarts genannt wird, dann Zaubern und allerlei anderes.<

>Ich wäre gerne ein normaler Homini.< seufzte Elena traurig. Ich schien mit der kleinen Nacherzählung genau das Gegenteil erreicht zu haben, als wie geplant.

>Oder wenigstens so schöne Flügel wie du!<, stellte sie weiterhin verträumt fest. Ich musste schmunzeln.

>Ich bin mir sicher, dass du deine eigenen Flügel bekommen wird, wenn du soweit bist.<, machte ich ihr Mut. Als Antwort bekam ich nun ein Strahlen, ehe sie die Verbindung löste.

Erst da bemerkte ich, dass Gan im Zimmer stand.

„Entschuldige bitte. Ich habe geklopft, aber du hast mir nicht geantwortet.“

„Ich habe noch etwas mit Elena gesprochen.“, erklärte ich ihm, woraufhin er die Augenbraue hochzog.

„Ist ja auch egal.“, murmelte ich. „Was gibt’s denn?“

Ich war mir fast sicher, dass Gan irgendetwas von mir wollte und sei es auch nur eine letzte Untersuchung meines Körpers, um zu sehen, ob es mir gutging.

„Bevor wir Morgen wieder losreisen, wollte ich nur nachschauen, ob das Koma irgendwelche Auswirkung auf deinen Organismus hatte.“ Bingo. Innerlich seufzte ich, ließ mich jedoch von Gan untersuchen. Natürlich fand er nichts, was er sehr erstaunlich fand, mich jedoch nur mit den Augen rollen ließ. Ich hatte dieser Untersuchung schließlich nur zugestimmt, dass sein Gewissen beruhigt war, nicht weil ich Schmerzen oder ähnliches hatte.

„Wie hast du das eigentlich mit den Flügeln gemacht?“, wollte Gan plötzlich wissen und schob mein Hemd hoch, sodass er mir zwischen die Schultern fassen konnte. Offenbar fand er nichts. Nicht nur ich war enttäuscht.

„Kein Ahnung. Sie sind ein Teil von mir. Ich kann das nicht steuern.“

Gan schien sich mit dieser Antwort nicht zufrieden zu geben.

„Wusstest du, dass Drachenflügel anders aussehen?“, raunte er mir zu. „Anfangs hielt ich sie für eine Illusion, doch als ich sie näher betrachtete, wusste ich, dass sie nichts mit Drachenflügel gemein haben. Immerhin bestehen Drachenflügel aus Lederhaut und Schuppen und nicht aus Federn.“

Ich sah ihn schockiert an. Er erwiderte meinen Blick nur, sagte jedoch nichts weiter. Das stimmte mich nachdenklich. War ich gar nicht Ignisaeri, wie ich immer gedacht hatte.

>Doch<. Da war sie wieder. Diese kleine Stimme, die ich meiner Ignisaeri zuordnete.

>Du bist auch Ignisaeri. Doch warte, bis die Zeit reif ist, dann erkläre ich es dir.<

Was hatte das zu bedeuten. Ich wäre auch Ignisaeri. Dieses Auch störte mich gewaltig. Wie hatte ich das zu verstehen? Und wer war diese Stimme, die so abstrahiert von Ignisaeri sprach? War sie nicht Ignisaeri? Und war Ignisaeri nicht ein Teil von mir?

>Alles zu seiner Zeit<

Aber wann wäre diese Zeit?

Gan spürte, dass meine Aufmerksamkeit nicht mehr bei ihm lag. Er lächelte.

„Entschuldige bitte. Hast du mich irgendetwas gefragt?“ Ich sah auf. Gan lächelte immer noch und räumte gerade seine Tasche wieder ein.

„Nein. Aber mir scheint, dass du noch eine Frage an mich hast.“ Sehr scharfsinnig dieser Heilmagier. Aber er hatte Recht. Eine Frage brannte mir noch immer auf der Zunge. Vielleicht konnte ich damit meine Gestalt etwas leichter machen.

„Was hast du in mir gesehen, als ich verwandelt war? Nach was sahen die Flügel für dich aus?“

Gan überlegte kurz. Er hatte offenbar mit dieser Frage gerechnete, schien jedoch nicht ganz zu wissen, wie er darauf antworten wollte.

„Nur die Flügel?“, fragte er schließlich. Zögernd nickte ich.

„Wie ein Engel.“, gab Gan schließlich zu. „Ein Engel mit wunderschönen schwarzen Flügeln.“

Ein Engel. War das mein Geheimnis? War es ein Irrtum, dass ich mich für einen Drachenwandler gehalten hatte. Sollte ich einfach ein Engel sein, der die Sprache des Feuers beherrschte. Ignisaeri. Was bedeutete das nur?

„Ich lasse dich mal wieder allein.“, verabschiedete sich Gan, doch ich bemerkte es kaum, denn meine Gedanken kreisten immer wieder um dieselbe Frage: Was war ich wirklich? Und wer waren meine leiblichen Eltern?

Kapitel 21

Die Sonne weckte mich. Es war eiskalt. Obwohl ich inzwischen schon über Monate hier draußen lebte, schien ich mich noch immer nicht dem Scham der Sonne entziehen zu können. Etwas steif schwang ich meine Beine über die Liegekante. Warum musste es morgens nur immer so verdammt kalt sein. Während ich nach etwas Praktisches zum Überziehen suchte, wickelte ich mich erst einmal in den Umhang, um meine bereits klammen Finger anzuwärmen. Im Gegensatz zu unserer Rudelzeit hatte ich hier ein Zelt ganz für mich alleine, doch es störte ich gewaltig. Ich vermisste seine Nähe, seine Wärme, die liebevollen Weckküsschen. Aber vielleicht würde das zu viel Verwöhnung sein und immerhin hatte ich eine Aufgabe zu erfüllen und sollte ich daher lieber auf die Tatsachen konzentrieren, als meinen Träumen nachzuhängen. Endlich hielt ich ein dunkelgrünes Leinenwams vor meiner Nase. Einen plötzlichen Impuls nachkommend schnupperte ich daran. Lediglich ein leichter Schweißgeruch haftete an ihm, doch es war eines der letzten Stücke, die ich noch nicht allzu oft getragen hatte. Ich würde bald Wäsche waschen müssen. Dies war mir wohl trotz Koma nicht abgenommen worden. Etwas Tau lag auf meiner braunen Schnürrhose, die mir lediglich bis kurz über die Knie ging und ich ließ kurz die Flammen hauchdünn darübertanzen, bis ich mit meinem Ergebnis zufrieden war. Dampf stieg von dem trocknenden Wäschestück auf. In Gedanken versunken spürte ich, dass er die Form eines Engels angenommen hätte. Wäre es ein Drache hätte es einen Schwanz und einen etwas längeren Körper. Als hätte der Rauch meine Gedanken gehört, verformte er sich. Ein wunderschöner Schwanz auf Rauch begann sich aus der Rauchfigur zu Schlängeln und schlug spielerisch durch die Luft. Die Flügel wurden zackiger und der Daumen glich einem Dornen. Auf dem Kopf bildeten sich zwei Hörner und die Schnauze wurde ebenfalls etwas länger. Nun sah das Rauchbild genau so aus, wie ich mir einen Drachen vorstellte. Ignisaeri, dachte ich nachdenklich. Ein Auge blitzte rot im Schattenbild auf und blinzelte mir zu. In dem Moment wurde die Zeltplane zurückgeschlagen und das Rauchbild verflüchtigte sich durch den Windhauch, doch ich stand noch immer stocksteif da und dachte über das nach, was ich gesehen hatte.

„Guten Morgen, mein Schatz. Hast du gut geschlafen?“, fragte mich Fer, der soeben das Zelt betreten hatte. Ich starrte nur auf die Stelle, wo eben der Miniarturdrache verschwunden war.

„Ich wollte dich eigentlich mit einem Kuss wecken, wie in guten alten Zeiten, aber…“ Erst da schien er meine stocksteife Haltung zu bemerken. Sofort war er beunruhigt.

„Ist irgendetwas nicht in Ordnung? Geht es dir nicht gut? Soll ich Gan holen?“, fragte er, mein Gesicht musternd.

Es benötigte beinahe meine gesamte Willenskraft, um mich von der Stelle loszureißen, wo ich den Drachen zuletzt erblickt hatte, doch es gelang mir endlich und ich schüttelte langsam den Kopf. Das innerliche Zittern, das mit der Erscheinung eingesetzt hatte, konnte ich jedoch nicht unterdrücken.

„Nein, alles gut. Ich bin nur etwas…“ Ich rang nach Worten. „…müde.“, schloss ich schließlich. Fer sah nicht sehr überzeugt aus, obwohl ich extra noch ein Gähnen angehängt hatte. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Meine Stimme war leise gewesen, kaum mehr ein Hauchen und noch deutlich war die innere Unruhe für aufmerksame Zuhörer zu hören und zu spüren gewesen. Und Fer war definitiv ein aufmerksamer Zuhörer. Vor allem, wenn es um seine Socia ging.

„Hättest du einen Alptraum?“, fragte er und tat so, als hätte er nichts bemerkt. Dabei wussten wir beide, dass genau das Gegenteil der Fall war. Ich überlegte. Hatte ich überhaupt geträumt in dieser Nacht? Seit mein Ziehvater Tod war, schickte mir niemand mehr nächtliche Botschaften, doch ruhig geschlafen hatte ich deswegen noch lange nicht. Doch an einen festen Traum konnte ich mich nicht erinnern. Höchstens an ein Gefühl, dass mich starr vor Angst machte. So schüttelte ich den Kopf. Ich konnte Fer unmöglich etwas von einem Alptraum erzählen, wenn ich selbst nicht einmal etwas davon wusste. Plötzlich kam mir jedoch ein anderer Gedanke.

„Ich vermisse dich!“, gab ich zu und versuchte mich an Fer zu schmiegen. Dieser hielt mich jedoch noch einmal kurz an den Armen von sich gestreckt, um mein Gesicht zu mustern, ehe er mich beinahe herrisch an sich drückte. Kaum spürte er meinem Atem an seiner Brust, da wurde er zärtlicher. Ich knurrte zufrieden. Nur eine Sache fehlte noch.

„Darf ich dich Küssen?“, fragte ich meinen Gefährten und fürchtete kurz, dass er sich von mir abwenden würde, da er in den letzten Wochen gesehen hatte, dass er doch nicht so viel für mich empfand.

„Aber mit dem größten Vergnügen!“ Überglücklich ließ ich den Kopf in den Nacken empfangen und empfing die sanften Berührungen an meinen Lippen. Ich zog ihn stärker zu mir und sofort verstärkte sich auch die Intensität des Kusses. Ich spürte, dass seine Zunge nach Einlass begehrte und nur allzu gerne ließ ich ihn herein. Es war, als würden sich sämtliche Probleme in Luft auflösen, als würde nie etwas weniger zwischen und gewesen sein und als würden wir ein richtiges Paar sein. Ein richtiges Paar. Ich seufzte.

„Kannst du nicht wieder näher bei mir schlafen, vorzugsweise an meiner Seite. Ohne dich schlafe ich wesentlich schlechter und kann im Notfall auch nicht rechtzeitig bei dir sein und…“, hauchte ich an seinen Lippen, doch er verschloss sie mit einem Kuss.

„Mir wäre nichts lieber!“ Mein Herz machte einen Freudensprung, der jedoch bei seinen nächsten Worten etwas holprig wurde.

„Aber wenn dann, beschütze ich dich.“ He. Aber noch ehe ich protestieren konnte, klopfte es am Pfosten und Ruber trat herein. Etwas peinlich berührt, versuchte ich mich aus Fers Umarmung zu winden. Immerhin brauchte ich keinen Schutz und wollte als starke Alpha herüberkommen. Da dies jedoch nur ein halbherziger Versuch war, da ich innerlich die Nähe zu Fer genoss und er das genau wusste, konnten seine Arme mich problemlos halten.

„Guten Morgen, Alpha.“ Ich hob den Kopf und sah Ruber an. Er blinzelte mir leicht verschmitzt zu und Fers Arm um mich wurde stärker, als ob er Besitzansprüche zu melden hätte.

>He, ich bin nicht dein Besitz.<, erinnerte ich ihn gedanklich. > Und wenn dann beschützen wir uns gegenseitig.<

>Du hast noch viel zu lernen, Kleines!< Fer Stimme in meinen Kopf klang sanft, doch seine Worte brachten mich zur Weißglut. Ich glaube Fer innerlich kichern zu spüren.

Ich schnaubte und verpasste sofort, wie Ruber weiterredete.

„…geschlafen? Wir haben die Zelte bis auf das hier zusammengeräumt und könnten jetzt los.“

Ich nickte und drückte Fer sanft von mir. Ganz so sanft, wie ich angenommen hatte jedoch nicht, denn er stolperte ein paar Schritte zurück und wäre beinahe über die Truhe gefallen, wenn er nicht sofort wieder sein Gleichgewicht gefunden hätte. Selbst das sah elegant aus. Innerlich seufzte ich. Warum schafften es immer alle, bis auf mich, solche kleinen Tücken zu überwinden, ohne sich zum Affen zu machen. Nach außen hin blieb ich jedoch völlig ruhig und verlieh dem Alphaklang in meiner Stimme sofort noch mehr Bedeutung.

„Gut Ruber. Dann lass uns dieses Zelt gemeinsam abbauen. Ich will in einer halbe Stunde los. Sind die Pferde schon vorbereitet?“

Kurz hob Fer aufgrund dieser Autorität überrascht die Augenbraue und Ruber zuckte erschrocken zusammen, doch er nickte nur und versuchte sein Erstaunen zu verbergen.

„Die Pferde sind getränkt und bepackt. Elena ist derzeit bei ihnen und füttert sie.“ Die Skepsis gegenüber den beiden Gabenkindern schien nur langsam zu sinken. Ich verstand es nicht. Immerhin hatten sie gesehen, was ich vollbringen konnte und vor allem, was ich war. Und dennoch schienen sie mich zu akzeptieren.

>Du bist ihr Alpha.<, erinnerte mich Fer, der meine gedankliche Irritierung mitbekommen hatte. Diese Erklärung löste jedoch nur noch mehr Verwirrung in mir aus.

>Ja, aber…< Da ich spürte, das Fer mir dazu keine weiteren Antworten geben würde, begann ich lieber ein anderes Thema. >Was passiert jetzt mit den Beiden?<

>Wir haben in den letzten Tagen versucht, Gans Schwester zu erreichen, doch Loire scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Daher werden wir die beiden Kleinen erst einmal mitnehmen.<

>Aber was ist wenn den beiden etwas passiert?< Meine Besorgnis war deutlich zu spüren und Fer runzelte die Stirn.

>Glaubst du wirklich, dass sie bei Loire sicherer gewesen wären, jetzt nach dem Angriff auf uns? Immerhin haben auch sie einiges von ihren Gaben spüren lassen.<

Ich seufzte. Vermutlich hatte Fer Recht.

>Ich habe immer Recht.< Ich ignorierte ihn, obwohl es mir ein leichtes Lächeln auf das Gesicht zauberte.

Erst da spürte ich Rubers neugierigen Blick auf uns. Während unseres gedanklichen Gesprächs, war sein Kopf immer wieder von Einem zum anderen gewandert, so als erhoffe er sich etwas von dem Inhalt mitzubekommen. Ich konnte mir gut vorstellen, wie es auf ihn wirken musste. Allein meine Mimik war alles andere als Aufschlussreich gewesen. Ein Schnauben, ein Seufzen und schließlich ein Lachen, dass auch jetzt auf vollem Halse aus mir herausbrach, als ich darüber nachdachte, was er darein interpretieren konnte. Nun lagen zwei neugierige Blicke auf mir, doch ich machte mir nicht einmal die Mühe, meinen Sinneswandel zu erklären.

„Lasst uns das Zelt abbauen.“, seufzte ich. Ich zog an einer Falte meines Hemdes und griff dann noch immer leicht lächelnd nach der Kleidertruhe. Zum Glück war sie nicht ganz so schwer wie erwartet. Doch noch ehe ich sie mehr als zehn Zentimeter hochheben konnte, wurde sie mir bereits aus den Händen genommen.

„He!“, beschwerte ich mich.

„Schöne Damen sollten keine schwere Gegenstände tragen müssen.“, hauchte mir Fer ins Ohr. Mir ließ eine Gänsehaut über den Rücken und der Fer, der genau wusste welche Wirkung er auf mich hatte, lachte leise auf.

>So so, eine schöne Dame bin ich also. Aber Schönheit allein Reicht nicht<, dachte ich und blickte Fer provozierend an. Gleichzeitig griff ich nach der Waffentruhe, die jedoch eindeutig zu schwer für mich war. Mir nichts anmerken lassend stemmte ich die Füße in den Boden und versuchte sie mit nun mehr hochrotem Gesicht halb tragend, halb über den Boden schleifend aus dem Zeit zu bekommen. In der Zeit meines Komas hatte ich so einige Muskeln abgebaut und bekam dies nun deutlich zu spüren. Daher war ich mehr als dankbar, als Ruber, der mich eine Weile amüsiert beobachtet hatte, schließlich zum anderen Griff der Truhe hantierte und mir half die Truhe aus dem Zelt zu tragen. Zu zweit ging es wesentlich einfacher.

„Danke.“, keuchte ich, als wir das schwere Ding endlich draußen abstellen konnten. Ich schwor mir, Fer später richtig dafür zu bestrafen, dass er mir diese Schmach angedreht hatte, doch nun hatte ich wichtigeres zu tun.

„Ich hätte Euch auch schon früher geholfen. Ihr hättet nur etwas sagen müssen.“, grinste Ruber wissend. Ich schnaubte. Lieber würde ich in die Hölle wandern, als, als schwach befunden zu werden.

„Komm. Das Zelt steht immer noch!“, stellte ich klar und hoffte damit von mir ablenken zu können. An Rubers hochgezogener Augenbraue sah ich jedoch, dass dieser Versuch eindeutig fehlgeschlagen war und nahezu in die Gegenrichtung abdriftete. In der Zeit hatte Fer bereits das Feldbett zusammengeräumt und trug nun das Bündel unter dem Arm zu den Pferden, um es gleich an Nox zu befestigen. Der Hengst musterte Fer skeptisch, ließ sich dann jedoch in Ruhe weiter bepacken.

Noch einmal schritt ich in das Zeltinnere, um Kleinigkeiten vom Boden aufzusammeln und meinen Gürtel mit dem bereinigten Dolch und Fers, den ich schlussendlich doch aus meinem Jutebeutel gezerrt und auf meinem Feldbett bereitgelegt hatte und der nun auf einem Tuch an der Stelle dieses lag, um nicht dreckig zu werden, umzuschnallen. Sofort spürte ich wieder das inzwischen Vertraute Gewicht der Waffe, die mir eindeutig Sicherheit gab. Dennoch beschloss ich Gan nach einem kleinen Beutelchen für den Gürtel und einem Wildkräuterauffrischungskurs zu fragen. Mein Vater hatte vor fünf Jahren mit mir einmal einen Survival-Kurs belegt, nach dem Motto: Vielleicht bringt mir das irgendwann etwas. Doch zu meiner Schande musste ich zugeben, dass ich mindestens die Hälfte der Wildkräuter und ihrer Wirkungen wieder vergessen hatte. Ich war mir sicher, das Gan mein Anliegen verstehen würde. Die gestern aussortierten Sachen wickelte ich in das Tuch ein und versteckte sie in einem Baumloch. Fast schon feierlich schaute ich auf dem Baum, der nun die letzten Reste meines früheren Lebens beherbergte. Nun würde mein altes Leben offiziell enden und ich war mir beinahe sicher, dass ich nie wieder die alte sein würde. Noch immer in Gedanken versunken, half ich Ruber und Fer schließlich die Stangen aus dem Zelt zu ziehen und die Heringe zu entfernen. Das Ganze erinnerte mich ebenfalls an das Camping zu dem Survival Kurs und kurz überflog mich ein Gefühl der Wehmut. Das Survivaltraining war eines der letzten Aktionen mit meinem Vater gewesen, ehe er verschwand. Nun, da er Tod war, würde ich meinen Ziehvater nie wieder sehen und ihm sagen können, wie viel er mir bedeutet hatte. Fer warf einen Blick zu mir, als er meine Gefühlsänderung bemerkte, die ich nicht rechtzeitig hinter einer Wand verstecken konnte.

>Ich habe nur an meinen Ziehvater gedacht<, erklärte ich knapp. Fer nickte verstehend, bohrte jedoch nicht weiter, wofür ich ihm sehr dankbar war.

Endlich war alles verpackt und lediglich die kahlen Grasstellen erinnerten ansatzweise daran, welches prächtige Zeltlager einst hier aufgeschlagen war. Die Feuerstelle hatten wir mit Erde zugeschaufelt und Elena, die den Anblick so traurig fand, hatte etwas Bockskraut auf ihr entstehen lassen. Bereits in zwei Monaten würden die Pflanzen rote Preiselbeeren tragen und dem sonst eher grünen Waldboden etwas Farbe geben. Falls ich mal Durchfall bekommen sollte, komme ich hierher zurück, dachte ich mit einem Lächeln, da die Idee absurd klang. Natürlich waren die Preiselbeeren vor allem für ihr Vitamin A, C und ihre Gerbsäure bekannt, doch das würde für mich kein Grund sein, genau hierhin zurückzukehren. Eher schon die Ruhe und den Frieden, die diese Lichtung innehatte. Als ich mich Nox näherte, schnaubte dieser kurz. Offenbar war den sensiblen Sinnen des Pferdes meine Umwandlung nicht verborgen geblieben. Oder vielleicht roch der Hengst auch mehr, als ich bisher ahnte. Ich versuchte ihn mit einigen Streicheleinheiten und mit beruhigenden Worten wieder zu beruhigen. Instinktiv ergriff ich wieder die gedankliche Kommunikation und war erstaunt, als ich in die genügsame Seele des Hengstes blickte.

>Du bist Ignisaeri, oder?< Die Stimme von Nox war tief und vor allem das R schien dem Pferd schwerzufallen. Ich nickte nur, immer noch erstaunt, dass ich auch auf diese Art mit ihm kommunizieren konnte.

>Bitte habe keine Angst vor mir, ich tue dir nichts.<, versuchte ich so ruhig wie möglich zu vermitteln. Das Pferd neigte seinen schweren Kopf zur Seite und musterte mich.

>Ein Drache und ein Engel. Wirklich ein Wunder!<, murmelte es mich weiterhin musternd.

>Was?<, fragte ich verwirrt, doch das Pferd schien es nicht einmal mitbekommen zu haben, dass es laut gedacht hatte.

>Ich glaube dir.<, stellte Nox schließlich nach einer weiteren Musterung fest und deutete auf seinen Rücken.

>Steig auf, Ignisaeri. Wir haben eine weite Reise vor uns.<

Ich nickte und ging auf den Pferderücken zu, doch die Gedanken des Pferdes ließen mir keine Ruhe. Ein Engel und ein Drache. Hatte ich mich etwas geirrt? War ich wirklich Ignisaeri? Ein Drachenwandler? Oder bessergesagt ein halber Drachenwandler? Und ein halber Engel? Ich mühte mich eine Zeitlang auf den Rücken des Hengstes zu kommen, bis sich Nox schließlich ein Herz nahm und auf die Vorderbeine sinken ließ, damit ich besser austeigen konnte.

>Danke<, sendete ich noch einmal in den nonverbalen Kommunikationsweg eintauchend und verschloss dann meinen Geist, um meine Gedanken zu ordnen.

Fer hatte dem Ganzen stirnrunzelnd zugeschaut und durch unser Band deutlich meine Unruhe und mein Unglauben vernehmen können, doch ich war noch nicht bereit zu reden. Schon wieder kreisten meine Gedanken um die Frage: Wer waren meine Eltern. Und was hatte Nox gemeint mit: Ein Drache und ein Engel?

Kapitel 22

Wir ritten unzählige Stunden hindurch. Endlich lichtete sich das dichte Grün und wir ließen die Taiga hinter uns und überquerten die Tundra. Ein paar aufgeregte Quieke kündigten ein paar Lemminge an und ein paar graubraune, etwas achtzehn Zentimeter große Vögel gaben Balzgesänge auf, die ähnlich dem Klirren eines Schlüsselbundes klangen. Ein Männchen, das deutlich durch die dunklere Färbung im Kehlbereich und einer generell kräftigeren Färbung auffiel, flog mit einigen weichen Zweigen als Nistmaterial an mir vorbei. Offenbar hatte es schon ein Weibchen erkoren. Sein rotbrauner Nacken, die dunklen Spitzen seiner Flügel und das hellgelbe Band, das sie abrundete, verliehen ihm etwas Majestätisches. Seine Schwanzspitze war ebenfalls gelb gefärbt und ließen seinen kurzen Schwanz noch kürzer erscheinen. Sein Gesicht war von einer schwarzen Maske fast vollständig bedeckt und auch die Kehle schimmerte im tiefen Schwarz. So einen Vogel hatte ich noch nie gesehen, aber er gefiel mir gut.

„Was sind das für Vögel?“, fragte ich Fer neugierig. Anstatt seiner antwortete Gan. Er schien eindeutig das größere Flora und Faunawissen zu haben.

„Bombycilla garrulus – ein Seidenschwanz. Er ist nur während der Brutzeit hier in Nordeuropa anzufinden und zieht im Herbst in Richtung Karibik, Mittel-und Südeuropa. Nur zur Brutzeit finden sich die Seidenschwänze zu Kolonien zusammen. Sie essen sowohl Beeren, als auch Insekten, je nachdem, was sie gerade finden. Sie legen vier bis sechs bläuliche Eier in ein Nest aus weichen Zweigen, Federn und Fell. Nach zwei Wochen schlüpfen die Jungvögel und sind bereits nach zwei weiteren Wochen selbstständig.“

Nur vier Wochen zum Nachwuchs. Was für ein Service.

Plötzlich schlug die Atmosphäre merklich um. Ein Jäger war am Himmel aufgetaucht und sowohl die Lemminge, als auch die Seidenschwanze stießen hohe Warnrufe aus. Die Schneeeule war von einem Stein aufgeflogen, auf dem sie wohl Stundenlang gesessen hatten und glitt nun gradlinig über den Boden. In verschiedenen Flugphasen senkte sie sich ab und obwohl die letzten, neugierigen Lemminge schnell das Weite suchten, gelang es ihr, sich einen zu schnappen. Mit dem Lemming in den Klauen flog sie langsam etwas höher und verschwand schließlich hinter einem kleinen Hügel. Offenbar hatte sie dort ihre Brut gelegt. Andernfalls konnte ich mir nicht erklären, warum sie am Tag und nicht während der Dämmerung jagte. Sie sah wesentlich eleganter aus als ich beim Jagen, dachte ich mit einem Frösteln und trieb Nox schneller an, als ich bemerkte, dass sich die Anderen bereits ein gutes Stuck weiter vorne befanden, da ich Nox nahezu anhalten gelassen hatte, um die Jagd zu beobachten. Sicher wäre ich schneller, wenn ich fliegen würde. Ob das den Anderen auffallen würde?

„Alles in Ordnung bei dir Carrie?“, fragte Gan und drehte den Kopf besorgt nach hinten. Also nicht mit fliegen. Schade.

„Ja, alles gut!“ Ich trieb Nox noch weiter an und endlich gelang es mir die anderen wieder einzuholen. Wir ritten nahezu hastig über die meiste kahle Steppe. Bis auf Moose, Flechten und Bockskraut konnte sich hier kaum eine Pflanze behaupten. Nur ein paar Zwergbirken standen sich im starken Wind wiegend auf einer Anhöhe. Ich bedauerte, dass wir ein so hohes Tempo angeschlagen hatten. Dabei gab es hier so viel zu sehen. Ich verstand jedoch auch Fers Sorge. Hier auf der Ebene gab es wenige Deckmöglichkeiten und so würden wir leicht von Trinas, Drachen oder Vogelwandlern aufgespürt werden. Endlich, als wir an zwei Gebirgen vorbeigeritten waren, war die Vegetation wieder etwas dichter. Ich wusste, dass wir uns noch immer in der Tunda befanden, selbst wenn es mehr die Waldtundra war. Hier gab es endlich wieder höhere Bäume. Ich erkannte eine Sibirische Lärche, eine Sibirische Fichte und eine Birke. Auch Rentiere sah ich wieder. Da wir bereits mehrere Stunden hindurchgeritten waren, beschloss ich auf die Jagd zu gehen. Schon lange hatte ich kein Rentier mehr gegessen und mir kribbelte es ein wenig in den Fingern meinen Dolch zu werfen, obwohl mir das Tier Leid tat.

„Wir machen eine Pause.“, beschloss ich und warf einen Blick auf Elena und Elias. Sie waren eindeutig das schwächste Glied in der Gemeinschaft und da wir alle seit mindestens zehn Stunden nichts mehr gegessen und Elias mehr an Elenas Vorderseite gedrückt schlief, als das er ritt und nur durch die guten Reflexe von der kleinen Erdbändigerin an Ort und Stelle gehalten worden war, empfand ich das als gute Entscheidung. Mein Hintern schmerzte fürchterlich. Ich hatte ganz vergessen was für eine Anstrengung das war, doch das würde mich nicht vom Jagen abhalten.

„Gan, Ruber. Ihr macht ein Feuer. Elena, du kümmerst dich um die Pferde. Ich gehe Jagen. Falls etwas sein sollte, sage ich Fer Bescheid.“, stellte ich klar. Fer warf mir einen bösen Blick zu, doch ich ließ mich nur mit einem erleichterten Seufzer aus dem Sattel gleiten und stapfte durch die dünne Bewaldung. Ich musste Vorsichtig sein. Auch die Rentiere würden gerade Gebärzeit haben und somit wären sie besonders aufmerksam. Als ich ein Knacken in der Nähe hörte, lauschte ich genauer. Das waren eindeutig Hufe und das Äsen eines Pflanzenfressers. Ich schlich näher. Ein Jungtier wollte ich nicht töten und die Mutter auch nicht. Doch der junge Bock in der Nähe schien genau das Richtige zu sein. Ein Einjähriger. Er würde erst im nächsten Jahr bei der Brunft im Oktober mitwirken können und uns fünf gut ernähren. Ich maß noch einmal den Abstand zu meiner Beute mit den Augen. In diesem Moment drehte jedoch der Wind und sofort geriet die kleine Herde in Panik. Alle Vorsicht fallen lassend warf ich meinen Dolch und traf wie durch ein Wunder die Flanke des fliehenden Einjährigen. Nun war ich nicht mehr leise. Dem verletzten Tier hinterherrennenden übersprang ich Wurzeln, Ästen und Mooshügeln, rollte mich einen steileren Abhang herunter und warf mich schließlich noch halb von oben auf das verletzte Tier, um Fers Messer in seinen Hals zu Rammen. Das Tier brach zusammen und ich fiel auf den Boden, rollte mich jedoch sofort herum. Erst da spürte ich den brennenden Schmerz am Hals und am Unterarm. Ich hatte mich an seinem Geweih die Haut aufgerissen. Doch das kümmerte mich nicht. Ich griff nach dem Messer, um das Tier endlich von seinen Qualen zu erlösen, das keuchend und mit weitaufgerissenen Augen auf dem Boden lag.

„Möge deine Seele Frieden finden!“, sagte ich leise und schnitt ihm die Kehle durch.

Auf einmal raschelte es hinter mir. Fers Messer immer noch in der Hand fuhr ich herum. Doch es war niemand anderes als mein Gefährte, der dort der Berg herunterkam. Fer hob entschuldigend die Hände, doch sein Blick wanderte zwischen dem toten Rentier und mir hin und her. Er zog ein Augenbraue hoch.

„Ach man, Fer. Musst du mich so erschrecken. Beinahe hätte ich dich umgebracht.“, fauchte ich ihn an und ließ mein Messer sinken.

„Dann hilf mir wenigstens, das Rentier zur Feuerstelle zu tragen.“, murmelte ich etwas besänftigter, als er mir ein entschuldigendes Lächeln zuwarf. Seufzend atmete Fer aus. Erneut drehte der Wind.

„Du blutest!“ stellte Fer fest und musterte mich genauer. Erst jetzt schien ihm die Verletzung an meinem Hals und meinem Unterarm aufzufallen.

„Nicht schlimm!“, brabbelte ich, doch Fer war bereits bei mir, untersuchte die Risse genauer und riss sich etwas von seinem Braunen Hemd ab, um die Wunden behelfsmäßig zu versorgen.

„Mein Held!“, hauchte ich und küsste ihn. Noch leicht verwirrt von meiner Reaktion erwiderte Fer den Kuss, dann half er mir anschließend zwei Stöcker zu finden, an denen wir den schätzungsweise fünfzig Kilogramm schweren Junghirsch mit stabilen Wurzeln befestigten. Das Gewicht zerrte an meinen Schultern, doch ich sagte nichts. Stumm wanderten wir die sicher drei Kilometer, die ich hinter dem Hirsch hinterhergerannt war zurück. Meine Schultern brannten, doch ich bat Fer nicht um eine Pause. Zu stark war der Wille, den Hirsch stolz den Anderen zu präsentieren. Nach einer weiteren Stunde waren wir endlich wieder bei den Anderen. Ich war schweißüberströmt, meine Schultern und mein Rücken fühlten sich fast abgestorben an und inzwischen hatte ich mir meinen Stolz sonst wohin stecken können, doch ich hielt tapfer weiter durch. Die Anderen sprangen auf, als sie uns sahen.

„Den habt ihr gejagt?“, fragte Ruber beeindruckt.

„Carrie hat ihn alleine überwältigt!“, erzählte Fer stolz. „Ich habe ihr nur beim Tragen geholfen!“

Ich spürte, wie ich rot wurde, doch Fer hatte Recht. Die Beute war mein Verdienst.

„Wohl doch nicht so eine schwache Dame.“, murmelte ich und grinste leicht.

Fer lachte und Ruber, der wusste, worauf ich anspielte, fiel ein.

„Du bist verletzt!“, knurrte Gan, dem mein eingerissenes Hemd und die braunen Hemdstreifen an Hals und Unterarm aufgefallen waren.

„Nicht der Rede wert!“ Ich verdrehte die Augen und griff nach meinem Dolch, der noch immer in der Flanke des Rentiers steckte, um den anderen beim Ausnehmen zu helfen, doch Gans Blick bohrte sich weiter in meinen Rücken. Ich versuchte ihn so gut es ging zu ignorieren.

„Fer, sag was!“, wandte er sich schließlich an meinen Gefährten. Fer seufzte. Ich konnte ihm nur im Stillen zustimmen.

„Sie wird sowieso nicht auf mich hören.“ Fer murmelte so leise, dass es kaum zu verstehen war, doch ein Grinsen rutschte über mein Gesicht, noch ehe ich es verhindern konnte. Elena, die sich interessiert über den Hirsch gebeugt und somit jedes Wort verstanden hatte, kicherte. Ich sah das amüsierte Funkeln in ihren Augen, dass mir sagte, dass sie nur allzu gerne ein Kommentar abgelassen hätte, doch sie hielt sich zurück. Warum, wusste ich nicht.

„Carrie, bitte.“, flehte Gan, den Blick noch immer auf meine Verletzungen gelegt. Der Stoff zeigte inzwischen deutlich die blutenden Wunden. Ich seufzte. Dieses Mal laut.

„Na schön, aber lass mich wenigstens noch hier zu Ende helfen.“ Gan schwieg und so nahm ich Ruber die Gedärme ab und half Elena sie zu vergraben, während die beiden Männer dem Tier das Fell abzogen und es auf einen Stock aufspießten, um es wie ein Spanferkel über dem Feuer zu braten.

Meine Finger machte ich notdürftig an etwas Moos sauber und kniete dann neben Gan nieder, der mich schon erwartungsvoll ansah.

Zischend zog ich die Luft ein, als ein stechender Schmerz mich durchzuckte. Fer, der meinen Schmerz bemerkte, warf mir einen beunruhigten Blick zu und verzog leicht das Gesicht, doch ich sendete ich nur ein beruhigendes Lächeln, soweit meine derzeitige Position es zuließ, während Gan die Wunde untersuchte und mit etwas von dem getrockneten Isländischen Moos behandelte, ehe er mit ein paar gemurmelten Worten die Wunde verschloss. Erst nachdem er mit meiner Wunde am Arm genauso verfahren und meinen Körper auf weitere Wunden gescannt hatte, lehnte er sich zurück.

„Danke“, murmelte ich. Nur noch ein leichter Phantomschmerz kündete nun von der ehemals aufgerissenen Haut.

„Komm das nächste Mal einfach gleich zu mir.“, brummte Gan.

Nox wieherte noch einmal, so als würde er gute Nacht sagen wollen und mein Blick wanderte zu ihm. Ich dachte wieder darüber nach, was er gesagt hatte. Ein Drache und ein Engel. Mein Blick wanderte zum Feuer. Wer war Ignisaeri wirklich? Und vor allem, was war Ignisaeri?

Es brauchte beinahe eine weitere Stunde, bis das Rentier endlich durchgegart war. Fast schon zu erschöpft zum Essen schnitt ich mir zwei Fleischstückchen unterhalb des Rippenbogens ab und ließ mich neben meinem Gefährten sinken.

„Hier!“ Ich reichte ihm das Größere von Beiden.

„Danke!“ Hungrig biss er hinein und ich beschloss es ihm nachzutun. Das Fleisch war zarter als erwartet. Im Gegensatz zu älteren Tieren waren vor allem Muskeln und Sehnen an dem Junghirsch enthalten. Gierig vor Hunger verschlang ich das erste Stück und holte mir und Fer gleich einen Nachschlag. Dieses Mal achtete ich bewusst darauf zu kauen, um meinen Magen nicht zu überlasten.

„Du hast da etwas!“ Ein sanfter Finger strich über meinen Mundwinkel und wischte etwas Bratensauce weg, die ihrem Gefängnis entflohen war. Ich genoss die kurze Berührung Fers und leckte ihm über die Fingerkuppe.

„Am liebsten würde ich jetzt mit dir irgendwo alleine sein.“, flüsterte ich ihm leise ins Ohr.

>Ich auch!<, gab Fer gedanklich und sich danach sehnend zu. >Nur wir zwei Allein. Und eine Liege<

Ich knuffte ihn in die Seite. >Woran du schon wieder denkst!< Natürlich genoss ich die Gegenwart von Fer, doch für diesen letzten Schritt der Gefährtenschaft war ich noch nicht bereit.

„Wir sollten langsam schlafen. Es war ein langer und anstrengender Tag. Ruber, übernimm du die erste Wache. Ich löse dich ab drei ab!“, stellte Fer laut klar. Die Anderen nickten nur zustimmend, zu müde zum Diskutieren.

>Gute Nacht, mein Socius.< Ich kuschelte mich enger an Fer und schloss die Augen. Nur im Halbschlaf bekam ich Fers Antwort noch mit.

„Schlaf gut, meine wunderschöne Socia.“


Kapitel 23

 Am nächsten Morgen weckte mich ein Brüllen. Sofort stand ich aufrecht, ohne mich daran erinnern zu können aufgestanden zu sein. Aufmerksam starrte ich durch die lichten Baumreihen, konnte jedoch nichts erkennen. Erst weiter, wieder tief in der Taiga konnte ich einige dunkle Rauchwolken hochsteigen sehen. Meinem Bauch nach hatte ich ein ziemlich schlechtes Gefühl. Bäume wurden umgerissen und die Rauchwolken kamen immer näher.

„Alles raus aus den Federn. Wir bekommen ungesehenen Besuch.“, rief ich quer über den Platz. Fer, der an einem Baum eingedöst war, schrak hoch und versammelte sich zusammen mit den Anderen, die ich ebenfalls unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte, in der Mitte unseres Lagers.

„Ist es das, was ich denke?“, fragte ich Fer, der die Augen weit aufgerissen hatte. Doch als ich ein Nicken vernahm, schien sich die Unruhe in meinem Inneren nur noch mehr zu steigern.

„Packt alles zusammen, rasch! Packt das Essen ein und passt auf, dass die Pferde nicht durchdrehen. Alle anderen zieht euch zurück!“, übernahm ich das Kommando. Nach einem kurzen Zögern, kamen alle meinen Befehlen nach. Ich wusste selbst nicht, was ich vorhatte, doch mein Instinkt sagte mir, dass ich genau an Ort und Stelle stehenzubleiben hatte und mich meinem Schicksal stellen sollte. Meinem Schicksal: Engel und Drache. Ich hoffte, dass ich nicht falsch kombiniert hatte und rief Ignisaeri, während das Ungetüm endlich durch das Unterholz brach und sich als das herausstellte, was ich die ganze Zeit befürchtet hatte: Ein Drache.

Gut vier Meter hoch, in einem tiefen Giftgrün, einem mit dornenversetzten Schwanz und zwei Hörnern trat er uns entgegen. Im selben Moment begann mein Körper wieder von einer Stichflamme umgeben zu sein und ich spürte, wie ich mich veränderte. Mein Körper wurde lang, meine Muskeln kräftiger. Mein Hals wurde länger und bildete direkt neben meinem Herzen einen Ort aus, von dem ich die Flammen kontrollieren konnte. Ein langer Schwanz mit zwei Zacken wuchs aus meinem Hinterteil. Auf meinem Kopf thronten plötzlich zwei sichelartige Hörner. Meinem Rücken entsprangen wieder schwarze Schwingen, dieses Mal jedoch mit Schuppen und Wiederharken versehen und mein Zeigefinger war eine einzige gefährliche Klaue. Ein kurzer Blick nach unten zeigte mir eine schuppige, rote Brust und aus meinen schwarzen Pranken schimmerten scharfe, rote Krallen hervor. Ich war endlich zu dem geworden, was die Anderen immer gefürchtet hatten. Ich war Ignisaeri. Ich war ein Drache!

Vor Freude schrie ich einen lauten Freudenschrei aus, der als Drache jedoch in einem tiefen Brüllen endete und sämtliche Bäume im Umkreis von zweihundert Metern erzittern ließ. Überrascht von der Verwandlung war der andere Drache wie erstarrt und starrte mich nun an, als er mein Brüllen hörte. Ich spürte ein gedankliches Anstupsen und erahnte, dass es von dem Drachen stammen musste. Soweit es der Wald zuließ richtete ich mich zur vollen Größe auf und breitete meine Flügel aus, ehe ich mich ebenfalls auf die nonverbale Ebene begab.

>Wer seid ihr?<, fragte ich gedanklich, kaum hatte ich die Ebene erreicht.

>Mein Name ist Gruzzz. Und wer ssseid ihr?<, Obwohl er gedanklich mit mir sprach, war seine Verwandtschaft zur Schlange und die damit gespaltene Zunge kaum zu übersehen.

>Ich bin Ignisaeri. Das sind meine Freunde.<, erklärte ich ruhig und deutete mit dem Kopf auf die Gestalten hinter mir.

>Ihr ssseid ein Drachenwandler!<, stellte Gruz fest. >Eure Ssspezzziessss gab esss sssson lange nicht mehr<

>Das ist wahr.<, gab ich zu und hoffte dem grünen Drachen klarmachen zu können, dass wir keine Feinde waren.

>Dasss Drachengen wird nur über den Vater vererbt. Wer war euer Vater?<, fragte mich Gruz.

>Ich weiß es nicht. Ich zog bei Zieheltern auf.<, murmelte ich.

>Bedauerlich.< Ich war mir nicht sicher, ob er diese Bemitleidung wirklich ernst meinte.

>Was sucht ihr hier, Gruz?<, fragte ich nun die alles entscheidende Frage.

>Ich roch Mensssenfleisss. Ssso lange hatte ich kein Menssschenfleisss mehr, frisss, kräftig, kössstlich. Und ssso zzzartes Blut dabei.<

Wieder stieß ich ein Brüllen aus. Einfach nur widerlich die Gedanken des Drachen.  

>Das sind meine Freunde!<, stellte ich knurrend klar. Ich spürte, wie sich mein geliebtes Feuer einen Weg aus meinem Feuersack herausbahnte. >Und keiner hier ist menschlich!<

Der Drachen zuckte innerlich zusammen von der Wucht meiner Worte, ehe er ebenfalls knurrte und seinen tödlichen Schwanz nach oben zog. Ich musste zugegen, obwohl ich ein gutes Stück größer war als gewöhnlich, überragte mich der Drache noch um einen halben Meter. Sicher, weil ich noch nicht ausgewachsen und eine Frau war. Doch Angst hatte ich nicht. Hinter mir waren meine Freunde und ich war nicht einmal ansatzweise dazu gewillt, auch nur eine Schuppe von ihnen weiterzugeben. Die Spannung zwischen uns wurde immer größer. Ich verengte meine Augen zu Schlitzen. Ich wusste: Sollte auch nur einer von uns anfangen Feuer zu speien, würde eine tödliche Schlacht im Gange sein, die meinen Freunden, meiner Ersatzfamilie gefährlich werden könnte. Ich richtete mich in meiner vollen Größe auf und benutzte zum ersten Mal die Autorität des Alphatiers in mir.

>Ihr werdet nicht angreifen! Mit eurem Erscheinen habt ihr genug Angst und Schrecken verursacht. Wenn ihr noch etwas essen wollt, teilen wir gerne das Rentier brüderlich und in Freuden. Aber meine Freunde sind kein Snack für Zwischendurch. Wenn euch das Rentier nicht genügt, sucht euch woanders etwas. Wir haben noch eine weite Reise vor uns und können uns weitere Verzögerungen nicht leisten. Haben wir uns verstanden, Gruz!<

Ich konnte mein Feuer kaum noch bändigen. Dieses Mal zuckte Gruz deutlich zusammen und senkte dann ergeben den Kopf. Mit einem Mal wurde mir bewusst, was für eine Wirkung ich auf andere haben musste. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Ruber ebenfalls in eine tiefe Verbeugung gefallen war, als er die Wellen der Autorität spürte, die ich aussenden musste.

>JA! Verzeiht mir, Ignisssaeri!< Endlich schien der Drache zu wissen, wen er da vor sich hatte und obwohl er nicht zum Rudel von Fer gehörte, musste ich ihn mit meiner Macht merklich eingeschüchtert haben. Als ich das nächste Mal in seine Augen schaute sah ich Schmerz, Angst und Trauer. Schnell verscheuchte ich die Gedanken, die mir dabei kommen wollten. Dafür war jetzt keine Zeit.

>Nun, nehmt ihr mein Angebot des Mahles an?<, fragte ich, froh das Ganze ohne einen Kampf ausgetragen zu haben, entschieden hatte.

>Nein, dasss kann ich nicht!< Überrascht schnaubte ich. >Wie ihr bereits festgestellt habt, habe ich schon genug angerichtet. Ich sssollte weiter zzziehen und mir über mein Verhalten Gedanken machen, mihi regina.<

Mit einem Mal empfand ich Mitleid mit dem Drachen. Er war lediglich einsam und ich musste zugeben, einige meiner Freunde rochen in meiner Drachennase auch sehr angenehm. Doch für mich würde es kein besseres Blut geben als das meines Gefährten, egal was ich war und immerhin waren es meine Freunde, wie ich mir streng in Erinnerung zurückrief.

>Jeder von uns hat einmal ein paar nicht ganz koschere Gedanken. Jedoch habt ihr Einsicht bewiesen und würde sogar für mich über euer Verhalten nachdenken wollen.< Plötzlich kam mir ein Blitzgedanke.

> Ihr könntet den Schrecken jedoch auch mit etwas anderem Gut machen. Begleitet uns auf unserer Reise. Sowohl unser Ziel als auch unser Weg wird schwer sein und einen so großen und starken Gefährten wie euch an der Seite könnten wir gut gebrauchen. Wir teilen die Vorräte und beschützen uns gegenseitig.<

Kaum zu glauben. Ich stand hier in einem eher lichten Birkenwald und machte einem Drachen ein Freundschaftsangebot. In einer anderen Situation hatte ich über diese kuriosen Umstände gelacht.

>Ein verlockendesss Angebot. Kann ich, wenn ich die Blicke eurer Freunde betrachte, jedoch nicht annehmen.< Er hatte Recht. Die Blicke meiner Familie ihm gegenüber waren alles andere als Nett. Gan leicht erschrocken, Ruber hasserfüllt und Fer eifersüchtig. Nur die beiden Elementarkinder schauten neugierig zwischen uns beiden hin und her. Ich seufzte innerlich.

>Jedoch will ich euch in Not beissseitessstehen.< Er verrenkte sich einmal kurz den Hals, um eine Schuppe von seinem Brustpanzer abzuknabbern und sie mir vor die Füße zu spuken.

>Hier. Wenn ihr Hilfe braucht, nehmt sssie in die Hand und ruft: Gruzzz a sssilva. Iuva nobisss. Dann werde ich ssso sssnell wie möglich erssseinen.<

Wow. Was für ein Angebot. Ich bemühte mich, mir seine Worte einzuprägen.

>Gilt das auch für den Krieg, der bald kommen wird?<, fragte ich, als mir ein anderer Gedanke kam.

>Dann ssseid ihr auf dem Weg zu Trewar, oder?< Ich nickte nur zaghaft.

>Ja. Die Sssuppe gilt für allesss. Und wenn ich in einem Krieg kämpfen mussssss, um meine Sssuld zu begleichen, dann issst dasssss ssso.<

Ich neigte dankbar und respektvoll das Haupt.

>Habt dank, Gruz. Es war mir eine große Ehre, einmal einem Drachen zu begegnen. Ich werde euch nie vergessen.<

>Mir war es eine große Ehre.< Auch er neigte respektvoll den Kopf. Doch seine Worte hinterließen bei mir eine Gänsehaut. Was hatte ich großes getan, dass sogar ein Drache einen Riesenrespekt vor mir hatte? Oder waren es lediglich die Erwartungen an mich, die alle erfüllten? Ich schluckte einmal schwer, doch der Klos in meinem Hals wollte einfach nicht verschwinden. Gruz wandte sich zum Gehen.

>Ach noch etwasss.< Er drehte seinen Kopf noch einmal zu mir herum und musterte mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Vertrauen.

>Ssseid vorsssichtig. Eure Reissse sssteht unter keinen guten Sssternen. Und untersssätzt blossss nicht den Machteinflusss Trewarssss. Er issst ssstärker, als es den Anschein hat.< Mit diesen Worten drehte er sich um, lief bis zu einer kleinen Lichtung, die er bei seiner Ankunft zertreten hatte und stieß sich vom Boden ab. Die Gänsehaut kroch meinen ganzen Rücken herunter und ließ mich frösteln, während ich ihm nachsah, bis der kleine grüne Punkt zwischen den Wolken verschwunden war. Erst dann löste ich meine klammen Krallen vom Boden, in denen sie tiefe Furchen hinterlassen hatten, stellte mir vor, wie ich als Mensch aussehen und spürte, wie sich mein erschöpfter Körper zurück verwandelte. Erst dann drehte ich mich um und blickte in die entsetzten Augen meiner Freunde.

 

Kapitel 24

Elena schien sich zuerst zu fangen, denn sie gab ein langgezogenes und beeindrucktes „Wow!“, von sich. Erst da schien den anderen bewusst zu werden, dass sie noch immer mit offenen Mündern dastanden und mich anstarrten. Ich spürte, wie sich eine leichte Röte unter meinen Wangen ausbreitete, die nichts mit dem Feuer zu tun hatte, dass noch immer fröhlich in mir frohlockte, froh endlich meine Drachenseite entdeckt zu haben.

„Du bist… ein Drache!“, stellte Fer stockend fest. Er schien nicht ganz zu wissen, ob er fasziniert oder entsetzt sein sollte. Ich spendet ihm über unser Band ein liebevolles Stupsen, das ihn zusammenzucken ließ. Innerlich seufzte ich. Ob ich durch meine Verwandlung das zerstört hatte, was zwischen uns war? Die Wärme, der Zusammenhalt, das Vertrauen? Aber ich konnte doch nicht dafür, dass der Drache sich ausgerechnet jetzt zeigte.

>Das ist wahr!<, gab Fer zögerlich zu. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er sich in meine Gedanken geschlichen hatte, doch im Grunde genommen war es mir egal. Sollte er ruhig sehen, dass ich nicht dafür konnte, was ich war.

„Nein, eigentlich ist sie eine Ignisaeri!“, stellte Elena richtig. Sie schien mir nach meiner Verwandlung noch mehr Anerkennung entgegenzubringen. Aber da war noch mehr. Ich glaubte, so etwas wie Sehnsucht in ihrem Tonfall herauszuhören. Aber nach was?

„Und was ist das?“, fragte Gan. Er schien seiner Stimme noch nicht ganz zu trauen und zeigte auf die giftgrüne Brustschuppe, die noch immer auf dem Boden hinter mir lag.

„Ein Versprechen!“, antwortete ich leise. „Der Drache Gruz wird uns in unserem Kampf unterstützen!“

Langsam, als würde er mit kämpfen, kam Fer auf mich zu und schloss mich in seine Arme. Erst da wurde mir bewusst, dass ich zitterte. Dankbar schmiegte ich mich an ihn. Es war sehr beruhigend jemanden zu haben, der mir auf jeden Fall den Rücken stärken würde, bei dem Abenteuer, in das ich in jener Winternacht geworfen worden war.

„Aber wie…?!“, wollte Gan fragen, doch mein Socius schüttelte nur den Kopf und ließ Gan damit verstummen. Ich war ihm dankbar dafür, denn selbst wenn ich ihm hätte antworten können, hätte ich nicht gewusst, wie ich das machen sollte. Lautlose Tränen rannen mir über das Gesicht und benetzten Fers Hemd. Meine Flammen wollten mir beruhigend über die Haut fahren, doch ich scheuchte sie zurück, als ich spürte wie Fer zusammenzuckte, doch er hielt mich fest und gab mir so den nötigen Halt. Wie lange wir so dastanden, wusste ich nicht, doch als wir uns lösten, waren alle meine Tränen versiegt.

„Danke!“, murmelte ich und wischte mir verstohlen über das Gesicht. So an ihn gelehnt, wandten wir uns wieder den anderen zu. Gan und Ruber hatten sich inzwischen unserer Lagerfeuerstelle zugewandt, um das Feuer neu zu entfachen. Der kleine Elias zeigte Elena gerade, was er gerade erlernt hatte, woraufhin sie begeistert nickte und den kleinen Wirbelsturm aus Blättern mit den Augen verfolgte. Erst als ich einen Schritt auf die anderen zutrat mit Fer an meiner Seite, schauten sie auf.

„Zeigst du mir, wie man sich in einen Drachen verwandelt?“, fragte mich Elias mit seiner kindlichen Unschuld. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf und schluckte. Der Gedanke daran, dass es weitere meiner Art geben sollte, gab mir gleichzeitig Hoffnung und ängstigte mich zu Tode.

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“, stimmte mir Fer zu. Er zögerte, ehe er hinzufügte: „Außerdem hat sich Carrie auch erst mir Ende Fünfzehn verwandelt.“ Ich warf ihm einen langen Blick zu.

>Du glaubst ernsthaft, dass die beiden auch Ignisaeri sein könnten?<, fragte ich ihn, als ich seine Gedanken erahnte.

>Nur so eine Vermutung!<, stimmte Fer mir innerlich zu.

Wir ließen uns an der Lagerfeuerstelle nieder, an der inzwischen ein kleines Feuer brannte. Gan warf mir einen mitleidigen Blick zu, als er mich bemerkte und erinnerte mich daran, dass ich vor ihren Augen in Tränen ausgebrochen war. Wieder stieg mir die Röte ins Gesicht, dieses Mal allerdings aus Scham. Ich war froh, als ein Ast im Feuer knackte und er seinen Blick von mir abwandte. In dem Moment erinnerte ich mich an die Brustschuppe. So stand ich leise seufzend auf und ging noch einmal zu der Stelle, an der Gruz und ich unseren Dominanzkampf ausgetragen haben. Meine Krallenspuren zeigten deutlich, was vorgefallen war. Die Schuppe allerdings nicht, denn sie schien vom Erdboden wie verschluckt zu sein. Ich ließ meinen Blick umherwandern, als ein Ruf mich herumfahren ließ.

„Suchst du etwas?“. Elias war aufgestanden und lief so schnell seine kleinen Beine es erlaubten auf mich zu, die Schuppe in der Hand und eindeutig einen schuldigen Ausdruck im Gesicht.

„Es tut mir Leid. Sie hat so schön geschimmert und ich wollte sie mir nur etwas genauer ansehen, also habe ich sie zu mir fliegen lassen.“ Um Verzeihung bittend sah er mich aus treuen Hundeaugen an und hielt mir die Schuppe ergebungsvoll entgegen. Ich konnte gar nicht anders, als zu lachen. Er war doch einfach zu knuffig. Als ich die Schuppe in meinem Jutebeutel verstaut hatte, wuschelte ich ihm immer noch lachend durch die Haare, als Zeichen, dass ich nicht böse wäre und ließ mich wieder neben Fer an das Feuer sinken. Das Feuer schien sich merklich zu freuen, dass ich wieder in seiner Nähe war und hätte beinahe Gan das Handgelenk versenkt, der einige Rentierstreifen auf den Steinen neben das Feuer verteilt hatte, um sie zu rösten. Er warf mir einen bösen Blick zu, woraufhin ich so schnell wie möglich versuchte schuldbewusst auszusehen, was mir aber laut Fers leisem Lachen eindeutig misslang. Erst da spürte ich Rubers Blick auf mir und ich sah ihn an, in der Annahme, er würde mir zuzwinkern, doch in seinen Augen schimmerte nur so etwas wie Angst. Angst etwas vor mir. Ich warf Fer rasch einen fragenden Blick zu und vermittelte ihm meine Hilflosigkeit angesichts Rubers Blick.

>Frag ihn doch einfach, was er auf dem Herzen hat. Sonst wird sich das zwischen euch nie einrenken!<, gab mir Fer den Tipp. Dankbar nickte ich, stand auf und ließ mich neben Ruber fallen, der zusammenzuckte, als er bemerkte, wer neben ihm saß.

„Ruber, ich-“, begann ich, verstummte jedoch, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich holte tief Luft und startete einen neuen Versuch.

„Die Verbindung zwischen uns, war früher anders gewesen und ich-“ Ich holte erneut Luft. „-und ich frage mich, was sich geändert hat, dass du dich mir gegenüber so-“ ich suchte verzweifelt nach Worten. „- so kalt verhältst. An welcher Stelle ich mich falsch-“

„Ihr habt Euch nicht falsch verhalten.“, unterbrach Ruber leise meine mühevollen Versuche eine Konversation zwischen uns zustande zu bringen.

„Aber was-?“, begann ich wieder.

„Zwischen uns liegen unzählige Welten. Ihr seid so – “ Diesmal war er es, der nach Worten suchte. „-machtvoll. Und ich bin nur einer von Fers Untergebenen. Da-“

„He!“, unterbrach ich empört. „Ruber, falls es dir nicht aufgefallen sein sollte. Ich bin immer noch dieselbe Carrie, die du an Fers Lagerfeuer kennengelernt hast. Nur weil ich eine Bestimmung zu folgen habe und daher Kräfte in mir trage, die sogar mir Angst machen, heißt das noch lange nicht, dass du mich nicht wie eine Gleichgesinnte behandeln darfst. Ich bin immer noch dieselbe Carrie, Socia von Fer und wie vermutet, ebenso eine Gestaltwandlerin wie du. Also hör bitte auf mit dem ganzen Ihr und so weiter und sei bitte wieder mein Freund von damals. Ich vermisse dich!“ Mit den letzten Worten, war ich aufgesprungen und hatte mit wenigen Schritten die Entfernung zum Wald zurückgelegt, um zu verhindern, dass ich erneut vor den anderen in Tränen ausbrechen würde. Das „Carrie, warte!“, ignorierte ich gekonnt und lief immer tiefer in den Wald hinein, um mich schließlich nach unzähligen Metern vollkommen erschöpft auf einen Baumstamm fallen ließ. Ich konnte hören, wie jemand aus dem Wald hinter mir trat, doch ich drehte mich nicht um.

Die Gestalt blieb zwei Meter hinter mir stehen und holte tief Luft.

„Carrie, ich-“, begann Ruber. Ich wartete, was wohl als Nächstes kommen würde.

„Es tut mir leid, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen!“ Was? Ich drehte mich langsam um und stand einem verstrubelten Ruber gegenüber, der noch immer sich die Haare raufte und nach Worten rang.

„Was?“, brachte ich nun auch laut hervor. Ich war eindeutig verwirrt und zugleich auch verärgert, als zu mir durchsickerte, dass er sich nicht für sein Verhalten, sondern für unser letztes Gespräch, entschuldigte. Erst dann fiel mir auf, dass er mich geduzt hatte

„Du hast mich geduzt.“, murmelte ich leise.

„Ja!“, murmelte Ruber genauso leise, aber mit tiefer Entschlossenheit in der Stimme. „Du hast mich mit deinen Worten sehr nachdenklich gestimmt und ich habe über die letzten Wochen nachgedacht. Mir war es auch nicht sonderlich angenehm, dich derartig zu behandeln, aber ich war verwirrt. In meiner Kindheit waren Ignisaeri und Engel immer der Vergangenheit angehörig und jetzt solltest du plötzlich Beides sein. Ich habe zugegebenerweise Angst vor deiner Macht. Mit keinem Gedanken war mir bewusst gewesen, dass es für dich noch viel schwerer und verwirrender sein muss. Es tut mir Leid.“

Überglücklich schloss ich ihn in die Arme. Willst du vielleicht einmal mit mir Fliegen?“, fragte ich ihn. Er sah mich nur mit großen Augen an.

„Was ist mit Fer, meinem Alpha. Wird er nicht eifersüchtig sein, wenn ich mich seiner Socia zusammen fliege.“

„Er wird-“ , begann ich, wurde jedoch von einem Pfeil unterbrochen, der uns durch eine blitzschnelle Drehung von Ruber knapp verfehlte und sich in den Baum hinter uns bohrte.

„Mist!“, fluchte Ruber und ich erflehte mein Inneres um meine Engelsflügel. Während wir weiter den Pfeilen auswichen und immer tiefer in den Wald rannten, spürte ich das inzwischen schon vertraute Kribbeln an meinen Schultern und schlug bei der nächsten Lichtung meine Flügel auf. Die schwarzen Federn kitzelten leicht, als ich mir mit beiden Armen Ruber ergriff, der sich gerade wandeln wollte und mich vom Boden abstieg. In einem fast schon atemberaubenden Tempo schossen wir gegen den klaren Himmel und ergriffen die Flucht. Meine Verbindung zu Fer sagte mir, in welche Richtung wir fliegen mussten. Und so konnte ich mich einfach darauf konzentrieren den Pfeilen, die uns noch immer hinterherschossen auszuweichen und Ruber, der sich krampfartig an mich krallte und die Augen zusammengekniffen hatte, festzuhalten. In diesem Moment schaffte es eines der spitzen Geschosse durch den Mittagshimmel zu uns und bohrte sich bis zum Schafft in meinen linken Flügel. Ein greller Schmerz durchfuhr mich und ich konnte Ignisaeri in meinem Inneren vor Schmerzen aufschreien hören. Im selben Moment fielen wir wie ein Stein zu Boden. Ich schien keine Kraft mehr in meinen Flügeln zu haben. Ruber entglitt meinen tauben Händen und fiel die fünfzig Meter, die wir uns noch über dem Boden befanden runter.

„Nein, Ruber!“, schrie ich und erreichte in diesem Moment die Baumgrenze. Schlitterte rutschte ich durch die Bäume, zerkratzte mir meine Engelsflügel, die ich durch den Pfeil nicht einziehen konnte und krachte hart auf dem Boden auf. Ich hörte Knochen krachen und ein stechender Schmerz zuckte durch meine Brust und mein Handgelenk, mit dem ich mich abzurollen versucht hatte. Im nächsten Moment hörte ich Rufe über mir und ein Netz fiel auf mich wieder. Immer wieder konnte ich ein „Wir haben sie!“, vernehmen, dann löste sich alles in Schmerz und Dunkelheit auf.

 

Kapitel 25

Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit um mich herum. Wie viele Tage lag ich schon hier im völligen Dunkeln? Wer war ich, dass mir diese Behandlung zuteilwerden gelassen wurde? War ich ein Kriegsverbrecher? Wie kam ich hierher? Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich für Kriegsverbrecher nie viel übriggehabt. Jene, die laut den Nachrichten andere Leute in die Luft sprengten. Als würde das den Frieden wiederherstellen. Frieden? Gab es hier, wo ich mich befand diesen Frieden überhaupt? Ich hatte viele Fragen an die Welt, doch wer sollte sie mir hier beantworten. Hier in der Dunkelheit, in der ich mich noch immer befand. Innerlich fühlte ich mich wie eingefroren, doch da es hier draußen, soweit ich das im Dunkeln erkennen konnte, genauso trostlos aussah, machte ich mir keine großen Gedanken darum. Wenn ich die Augen zusammenkniff konnte ich Steine erkennen. Feuchte, mit Algen bewachsene Steine. Waren diese Algen essbar?, fragte ich mich insgeheim. Immerhin war hier in meinem Gefängnis noch niemand gewesen, der mir etwas zu Essen gebracht hatte. Irgendetwas in mir sagte mir, dass ich das früher einmal gewusst hatte, aber nun schien sämtliches Wissen gelöst zu sein. Ich fühlte mich so leer. So leer…. Als würde ich noch mehr als mein Wissen und meinen Namen vermissen. Ich rollte mich etwas mehr zusammen, um die restliche Wärme in mir zu halten, die in diesem feuchten Kerker zu schwinden drohte. Meine Flügel schlossen sich fester um meinen Körper. Ich hatte sie bereits bei meinem Aufwachen bemerkt, doch sie schienen nutzlos zu sein. Warum ich sie hatte, wusste ich nicht, doch ich konnte mich daran erinnern, dass bei meiner Einlieferung überlegt wurde, dass sie abgeschnitten werden sollten. Ich wusste nicht, ob ich das gutheißen sollte. Immerhin wärmten mich die schwarzen Federn. Aber wie lange noch? Ich spürte einen Hustenreiz in meiner Kehle. Wie lange lag ich hier schon auf dem kalten, blanken Boden. Seit meinem Aufwachen konnten Stunden, vielleicht auch schon Wochen vergangen sein. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Mir fröstelte es und eine Gänsehaut stieg in mir hoch. Wärme, ich brauchte Wärme. Wenn ich doch nur ein Streichholz hätte! Ich rieb die Handflächen unter meinen Flügel zusammen, die bereits ganz klamm geworden waren. In meinen Handflächen wurde es immer wärmer. Eine willkommene Wärme. Eine leckende, frohlockende, bekannte Wärme. Augenblick: Leckend? Bekannt? Erst, als ich nach unten schaute, bemerkte ich die kleine Flamme, die sich in meiner Handfläche gebildet hatte. Fasziniert beobachtete ich, wie sie tröstend über meine Hand schlich und meine eiskalten Finger von der Kälte befreite. Mein schmerzendes Handgelenk kribbelte, als eine der Flammen höher züngelte und nahm wieder eine rosige Farbe anstatt der ungesunden grünblauen Färbung an. Offenbar war es gebrochen gewesen. Noch immer hielt ich das Feuer verborgen unter meinen schwarzen Schwingen, so als ob es verboten wäre, als ob niemand den Hoffnungsschimmer sehen sollte, der gleichzeitig in meiner Brust aufglomm und meine ebenfalls angebrochene Rippe mit einem schmerzhaften Ziehen heilte.

„Du warst lange fort!“, schienen sie zu flüstern. Ich lauschte genauer. „Deine Zeit ist reif, Ignisaeri.“

IGNISAERI? Mit einem Mal war alles wieder da!

„Fer!“, keuchte ich, als ich erkannte, dass meine Verbindung zu meinem Gefährten nicht da war. Wo war sie. Mit einem Mal fühlte ich mich einsam. Was sollte ich, Carrie Elisabeth Crown, Ignisaeri, Flammenbändigerin und Engel allein ausrichten. Ich ließ meine Flamme wieder verschwinden. Und zum ersten Mal, seit meiner Gefangenschaft weinte ich.

Es mögen Stunden vergangen sein, in denen ich einfach nur dalag und weinte. Vielleicht waren es auch nur Sekunden gewesen, als Schritte von draußen zu vernehmen waren und sich die Tür öffnete. Ich blinzelte. Das grelle Licht stach förmlich in den Augen. Zu lange war ich in der Dunkelheit gewesen und nun schien sich das zu rächen. Meine noch immer goldschimmernden Augen fingen wieder an zu tränen. Die Schritte schlurften näher und eine Schwertspitze an meiner Kehle befahl mir den Kopf zu heben.

„Endlich seid ihr gebrochen, schwarzer Teufelsengel.“ Die Stimme klang nicht so kalt, wie ich sie erwartet hätte, doch ich verdrängte rasch den Gedanken. Das hier vor mir, war mein Feind. Mein Feind, der mich tagelang hier unter gefangen gehalten hatte. Ich überlegte, ob ich jetzt bereits einen Fluchtversuch wagen sollte oder lieber erst einmal herausfinden sollte, was diese Partei von mir wollte. Ich entschied mich für Letzteres. Im Licht sah ich nun auch den Pfeil, der mir noch immer im Flügel steckte. Kein Wunder, dass ich meine Flügel noch nicht eingezogen hatte. Der Mann, der meinem Blick gefolgt war, lachte leise.

„Der bleibt drin, bis alle eure wahre Gestalt gesehen haben, Teufelsengel.“ Mit dem Kopf bedeutete er mir zu folgen. „Wagt es bloß nicht zu fliehen. Draußen warten weitere Wachen. Und ich bin schneller mit dem Schwert, als ihr blinzeln könnt.“

Ich schluckte. Meine Angst vor ihm in diesem Moment musste ich noch nicht einmal spielen.

„Was habt ihr mit mir vor?“, fragte ich. Meine Stimme war ein einziges Krächzen, wodurch er sich in seiner Vermutung nur noch bestätigt fühlte. Ich überlegte, ob sie vorhatten, mich zu verbrennen. Kurz schauderte es mir, ehe ich mich daran erinnerte, dass ich ja eine Flammenbändigerin war und das Feuer so eher auf diese Sekte zurückgreifen würde, als auf mich.

„Das werdet ihr noch früh genug erfahren. Und nun schweigt, ehe ich euch eure verlogene Teufelszunge abschneide.“, fauchte der Mann und kam mir eher wie der Teufel persönlich vor. Ich schluckte, wagte es aber nicht einen weiteren Sprechversuch zu unternehmen. Draußen erwartete uns, wie bereits der Schwertträger gesagt hatte, weitere Wachen. Zwei gingen vorneweg. Der Schwertträger bedeutete mir vorweg zu laufen und hielt das Schwert drohend in meinen ungeschützten Rücken. Da ich Angst um meine Engelsflügel hatte, bemühte ich mich rasch, seinem Befehl zu folgen. Die zwei Wachen, die hinter ihm liefen, rundeten das Bild nur noch ab. Meine Beine drohten mir auf den ersten Metern zu versagen, nachdem endlich meine Fußfesseln gelöst waren, da ich sie solange nicht benutzt hatte, doch keiner der Wachen achtete darauf. Nur mein persönlicher Leibwächter warf mir einen drohenden Blick zu, woraufhin ich fast hastig den inzwischen entstandenen Abstand zwischen mir und meinen Vordermännern mit wackligen Knien zu überbrücken versuchte. Erst als die Wachen stehen blieben, wagte ich es mich völlig entkräftet gegen den nächsten Pfeiler zu lehnen. Mein Leibwächter warf mir einen verächtlichen Blick zu.

>Wo bist du Fer?<, dachte ich mit aller Kraft verzweifelt, obwohl ich die Hoffnung schon längst aufgeben hatte. So in Gedanken versunken, bemerkte ich erst, dass es weiterging, als mir die Wache in den Rücken stieß. Mehr stolpernd, als gehend ging es so weiter durch lange, mit Fackeln behangene Gänge, bis-

>CARRIE!<, Fers geistiger Ruf hatte mich beinahe von den Füßen gerissen, wenn ich mich nicht gerade noch an der nächstbesten Wand gelehnt hätte. Stocksteif blieb ich stehen.

>FER!<, rief ich überglücklich, endlich wieder die Verbindung und das Band zwischen uns zu spüren, dass offenbar nur in meiner Zelle unterdrückt worden war.

„He, wer hat etwas von stehenbleiben gesagt!“, raunte mein Wächter gereizt und gab mir wieder einen Stoß, wodurch ich aufkeuchen musste. Ich wollte eine Entschuldigung murmeln, erinnerte mich jedoch gerade noch rechtzeitig an die Warnung und stolperte so einfach nur weiter.

>Wo bist du Carrie?<, fragte Fer. Besorgnis lag in seiner Stimme. Und Erleichterung, dass er mich endlich erreicht hatte.

>Ich weiß es nicht!< Es tat so gut, Fers Stimme zu hören. Sie nährte den Hoffnungsschimmer in meinem Inneren.

>Ich wurde gefangen genommen und Ruber ist ge-< Ich konnte den Satz nicht beenden.

>Ruber geht es gut!<, beruhigte mich mein Socius. >Er ist eine Katze, schon vergessen? Die Tatsache, dass du ihn fallengelassen hast, hat ihn vermutlich vor der Gefangennahme gerettet. Beschreib mir, wo du bist. Wir holen dich!<

Erleichterung durchfuhr mich. Ruber ging es gut. Er war nicht gefangen genommen worden. Mein wunderbarer Gefährte würde mich retten kommen und-

„He, nicht langsamer werden!“ Rasch ließ ich meinen erschöpften Körper schneller laufen.

>In einer Burg, vermutlich.<, übermittelte ich Fer. >Ich war Tagelang in einem Verließ eingesperrt und nun laufen wir durch unzählige Gänge.< Ich schickte ihm rasch ein Bild, von dem fackelbeleuchteten Gang in dem ich mich befand und eines von dem Wächter, der mich aus meinem dunklen Verließ geholt hatte. >Mein linker Engelsflügel ist noch immer von einem Pfeil durchbohrt und so können mich alle als Engel sehen. Was soll ich tun?<

Ich spürte, wie er knurrte, da man mich verletzt hatte. Im Gegenzug dazu wusste ich, dass er mir deutlich meine Angst anmerken konnte, die ich vor der Entdeckung habe.

>Wissen sie etwas von deiner Affäre zu Feuer und von Ignisaeri?<, fragte mich Fer angespannt. Ich schüttelte den Kopf, bis mir auffiel, das Fer, das gar nicht sehen konnte und die Wächter um mich herum, sonst was denken würden.

>Nein. Sie wissen nur das, was sie gesehen haben. Sie nennen mich einen `schwarzen Teufelsengel´ und ich habe mich selbst, erst vor wenigen Stunden an alles wieder erinnern können. Ich weiß nicht, was sie mir gegeben haben, aber ich habe weder dich noch die Flammen gespürt.<

>Aber jetzt erinnerst du dich an alles?<, hakte Fer nach. Als er meine Zustimmung spürte, atmete er erleichtert auf.

>Gut. Dann hast du ja noch ein Ass im Ärmel. Sie dürfen auf keinen Fall etwas davon mitbekommen, dass ihr Mittel nicht mehr wirkt und du noch viel größere Kräfte in die trägst, als nur die des Engels.<

Vor Dankbarkeit über diesen Hoffnungsschimmer wäre mir beinahe eine Träne auf dem Augenwinkel gekrochen, doch ich konnte sie gerade noch so davon abhalten. Ich war froh, dass die beiden Wachen mit dem Rücken zu mir liefen, sonst hätten sie längst die Hoffnung in meinen Augen gesehen oder das Feuer, das sich schon darauf freute endlich auszubrechen und meine braunen Augen golden färbte.

>Ich versuche dich mithilfe des Bandes zu finden. Halte aus!<, schickte mir Fer noch zu, dann löste er sanft die Verbindung und ließ mich in einem Zustand reinster Hoffnung zurück.

Ich bin nicht allein, dachte ich immer nur und dies gab mir die Kraft den Wachen immer weiter zu folgen, hinein in unzählige Gänge und Stockwerke, die nicht zu enden schienen.

Endlich standen wir vor einer großen, roten Tür am Ende eines Ganges, die von weiteren Wachen geschützt wurde. Sie warfen einen ängstlichen Blick auf meine Flügel und ich war froh, dass sie mir nicht ins Gesicht sahen. Schnell dachte ich an den Moment zurück, an dem ich noch in der Zelle gehockt hatte, einsam und verlassen, um die Hoffnungslosigkeit wieder in meinen Blick zu bekommen. Mein Herz protestierte, doch ich besänftigte die Flammen in ihrem Inneren rasch und schlürfte dann extrem erschöpft und von Trauer mit gedrücktem Rücken in den Saal, als sich die Türen nach ein paar gewechselten Worten der Wachen endlich öffnete. Nach der Tür folgte ein riesiger Saal, an deren Ende so etwas wie ein Thron stand. Während ich weiterstolperte, schickte ich Fer rasch ein Bild von dem Ort, an dem ich mich jetzt befand. Vielleicht würde ihm das helfen. Dabei achtete ich jedoch genau darauf, dass niemand diese existierende Verbindung sehen würde. Fer antwortete mir nicht, doch ich nahm an, dass dies geschah, damit wir nicht auffielen. Kurz vor dem Thron gab mir mein persönlicher Leibwächter einen solchen Stoß, dass ich nach vorne flog und auf dem Bauch vor dem Thron landete, meine Flügel neben mir ausgestreckt in einer eindeutig ergebenen Position. Das Alphatier in mir fauchte innerlich verärgert auf. Ihm gefiel diese entblößte Position ganz und gar nicht, doch ich drängte es zurück. Immerhin war ich hier der hoffnungslose, schwarze Teufelsengel, der nur noch auf seinen Tod wartete. Ich ließ zu, dass mir die Tränen über die Wangen rannten, obwohl dies eindeutig eine entwürdigende Situation war, doch den König oder wer auch immer da auf dem Thron saß, schien es zu überzeugen. Seine blonden Haare waren streng nach hinten gekämmt und schienen mit Gel befestigt worden zu sein. Eine Sache, die ganz und gar nicht in diese mittelalterliche Burg zu passen schien, doch ich verkniff mir ein Kommentar meiner doch zum Teil recht frechen Zunge in solchen Situationen.

„Das ist also der schwarze Teufelsengel, den ihr mir vom Himmel geholt habt.“ Die grauen Augen des Herrschers blitzten belustigt auf, als er seinen Blick über meine jämmerliche Gestalt wandern ließ. Sein ohnehin schmaler Mund war zu einem gehässigen Lächeln verzerrt, dass ihn noch schmaler wirken ließ. Er war mit einer grünen Weste über einem blütenweisen Hemd und einem farblich abgestimmten dunkelgrünen Umhang gehüllt, die hervorragend seine grauen Augen betonten.

„Ja, Herr. Ihren Freund hat sie nach unserem Treffer einfach fallengelassen und vermutlich ist er in einem der Baumkronen verreckt“, meldete sich mein Leibwächter zu Wort. Meinen Freund? Vermutlich meinte er Ruber. Dann hatten die Männer tatsächlich keine Ahnung, wer Ruber überhaupt war. Innerlich triumphierend, bemühte ich mich, meinen Mund nicht zu einem Lächeln zu verziehen. Der Versuch endete in einer Grimasse, die der Herrscher, der mich beobachtet hatte, aber offenbar als schmerzerfüllt wertete.

„Tja, mir sollte sich eben keiner wiedersetzen.“, stellte er selbstbefriedigt fest.

„Kann er nicht sprechen?“, wollte er als nächstes wissen.

„Wer?“, fragte mein Leibwächter. Auch ich war verwirrt. Wer war er?

„Na, der schwarze Teufelsengel!“ Der Herrscher schien eindeutig über unsere verwirrten Minen amüsiert zu sein. Gleichzeitig blickte er jedoch verärgert auf seinen Untergebenen, dass er nicht gleich verstanden hatte. Von mir schien er nichts anderes erwartet zu haben. Na, danke auch.

„Doch. Er hatte nur zu viele Fragen gestellt und deswegen habe ich gedroht, ihm die Zunge herauszuschneiden.“

Der Herrscher lachte. Es war ein grausames Geräusch. Wie, wenn Fingernägel über eine Kreidetafel fuhren. Es schauderte mir.

„Nun, ihr habt die Erlaubnis zu sprechen, Teufelengel.“, wandte sich der Herrscher an mich. „Wie lautet euer Name?“

„Sie haben mir doch bereits einen Namen gegeben!“, fauchte ich und hätte mir gleichzeitig auf die Zunge beißen können. Ach, warum konnte ich in solchen riskanten Situationen einfach nicht die Klappe halten!

„Ihr wagt es, Graf Bringet den Siebten, zu Siezen!“, empörte sich der Leibwächter und gab mir einen Stoß mit dem Schwertknauf. In seinen Augen konnte ich sehen, wie gerne er nun von der Schneide Gebrauch machen würde, doch er hatte noch keinerlei Befehl dazu erhalten und würde sich nur den Zorn des Herrschers auf sich ziehen.

„Ihr solltet froh sein, dass Euch der Herr überhaupt am Leben gelassen hat!“, spielte sich mein Leibwächter weiter auf, doch ich beachtete lediglich den Mann auf dem Thron. Er musterte mich kurz, dann lachte er.

„Offenbar ein Teufelsweib!“ Ich spürte, dass meine Flammen in mir zeigen wollte, was für ein Teufelsweib ich wäre. Doch ich durfte ihm unter keinen Umständen meine goldenen Augen zeigen. Noch war es nicht Zeit dafür.

„Verzeiht!“, sprach ich daher und senkte den Kopf, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte.

„Ich bin noch nicht häufig so jemanden wie Euch begegnet.“, versuchte ich mein Verhalten zu entschuldigen. Im Grunde genommen, stimmte das sogar. Und in einer ähnlichen Situation hatte ich mich auch genau so verhalten. Aber das würde ich meinem Gegenüber ganz bestimmt nicht aufbinden.

Der Herrscher, von dem ich inzwischen wusste, dass er ein Graf war, lachte wieder.

„Ihr seid echt amüsant. Vielleicht behalte ich Euch ja!“ In mir stieg ein Würgreflex auf, wenn ich daran dachte, hier noch länger bleiben zu müssen. Nur über meine Leiche. Ich musste mich förmlich zwingen, die nächsten Worte auszuspucken, an denen ich mir fast die Zunge verbrannte.

„Was für ein verlockendes Angebot. Ich weiß gar nicht -“

>Carrie, wir haben jetzt die Burg erreicht. Mein Herz sagt mir, dass du da drin bist. Hast du einen Namen für mich, Liebes, dass wir meine Vermutung überprüfen können?<, erreichte mich Fers geistiger Ruf und ich brauchte einen Moment, ehe ich mich soweit fing, dass ich meinen Satz beenden konnte.

„-vor Freude an mich zu halten.“ Den Spott in meiner Stimme, konnte ich leider nicht rechtzeitig entfernen.

>Graf Bringet den Siebten.<, vermittelte ich im selben Moment geistig Fer.

>Halte durch, wir sind gleich da!< Fer löste die Verbindung und kurz sah ich noch vor meinem inneren Auge, wie er einen Soldaten, der ähnlich wie die Wachen hier gekleidet war, zerfleischt, ehe die Verbindung komplett abbrach.

„Tatsächlich?“ Der Graf hatte eine Augenbraue gehoben und musterte mich scharf.

Ich schluckte und senkte noch weiter den Kopf, aus Angst, er hatte meine Hoffnung gesehen. Meine Flammen waren kaum noch zu bändigen.

„Vorher solltet ihr allerdings etwas Respekt lernen. Ihr habt schöne Flügel-“ Ich verspannte. Er würde doch nicht etwa-. Die Angst drängte meine Flammen der Hoffnung wieder etwas zurück.

„-wozu braucht ihr dann Arme. Werdif, wenn ich bitten darf?“ Ich wusste, wenn es einen Moment für die Flammen gab, dann würde er jetzt sein. Ich würde nicht mehr warten können. Ich rief die Flammen im selben Moment, wie der Leibwächter Werdif auf mich zutrat und mein gesamter Körper, samt Flügel würde in wütende Flammen gehüllt. Der Leibwächter schrie auf und wich zurück. Sein gesamter Schwertarm war verbrannt und lediglich ein paar Hautfetzten umgaben den blanken Knochen. Der Pfeil in meinem Flügel verbrannte und an der Stelle, wo die Verletzung war, verfärbten sich die Flammen grün und heilten die Fleischwunde. Ich fühlte mich so mächtig, wie schon lange nicht mehr und ich wusste, dass meine Augen golden leuchteten. Die Wachen, die sich mir genähert hatten, wichen rasch zurück, als mein goldener Blick auf sie fuhr. Doch ich hatte ein anderes Ziel als sie. Ich erhob mich, klappte meine Flügel kurz zusammen und dann ganz auf und ragte wie ein persönlicher Racheengel über den Grafen auf, dessen Namen ich bereits wieder vergessen hatte.

„Du!“, donnerte ich. Meine Stimme füllte komplett den Raum und unter der Dominanz, die aus ihr sprach, zuckten die vorher doch so hartgesonnenen Wachen zusammen und drücken sich an die Wand. Meine Flammen leckten langsam über den Thron und der Graf wich so gut wie er konnte zurück, doch ich würde keine Gnade walten lassen. Nun war ich es, die kalt und mächtig lachte.

„Dachtest du wirklich, dass der Teufel so leicht zu bändigen wäre?“ Ich wusste, dass ich mich ganz schön aus dem Fenster lehnte. Innerlich bat ich den Teufel, sollte es einen geben, um Verzeihung, doch hier brauchte ich seine Rolle. Ich drückte ihm einen meiner Finger auf die Brust. Er schrie vor Schmerz auf, doch ich war noch nicht fertig mit. Ich befahl eine kleine Flamme von mir in seiner Brust weiterzubrennen, sich von seiner Lebenskraft zu nähren und ihn täglich daran zu erinnern, sich nicht mit mir anzulegen. Ich wusste, dass ich brutal war, doch ein solcher Herrscher hatte meiner Meinung nach nichts anderes verdient. Ich wandte mich um und schritt aus dem Raum. Die Wachen wichen rasch zurück, warfen mir ihre Waffen vor die Füße und bettelten um ihr Leben. Ich ließ die Flammen etwas weiter zurückgeben, hob eines der Schwerter auf, bemüht, es nicht zu Schmelzen und gab es dem Soldaten, der mir am Nächsten stand mit dem Knauf voran.

„Keine Sorge. Wer mir nichts tut, dem wird auch nichts getan. Ihr sollt meine Gnade erfahren. Nun, nehmt eure Waffen und geht. Verlasst die Burg auf geheimen Wege und sucht erst einmal Unterschlupft. Eure Waffen werdet ihr noch früh genug brauchen!“ Der Soldat nahm verdutzt seine Waffe und sah mir erschrocken zusammen mit den anderen Wachen hinterher, ehe sie eilige, fast zu hastig meinem Befehl folgten und sich in den Gängen verkrümelten. Ich hoffe, sie werden sich am Kampftag für mich entscheiden. Erst dann sandte ich meinen geistigen Ruf aus.

>Mein Socius. Ich komme. Seid ihr im Burghof?<, fragte ich. Statt einer Antwort schickte mir Fer nur ein Bild, woraufhin ich mich zum nächsten Fenster begab, meine Flammen zurückzog, mich Kräftig abstieß und einmal um die Burg herum zu dem kleinen Burghof im Norden segeln ließ. Immer meinem Gefährten entgegen.


Kapitel 26

„Da!“, hörte ich Jemanden von unten rufen.

„Nicht schießen. Sie ist eine von uns!“ Es schien mir fast wie ein Wunder, Fers Stimme leibhaftig durch die Nacht donnern zu hören. Ich konnte es den Männern nicht verdenken, dass sie lieber Schießen würden. Immerhin fiel da etwas riesiges Schwarzes vom Himmel und verdeckte ihnen den Sternenhimmel und den Fast-Vollmond. Kurz überlegte ich, welche Mondphase vor meiner Gefangennahme geherrscht hatte, verwarf den Gedanken jedoch und beschleunigte stattdessen meine Flügelschläge, um noch schneller zu meinem Gefährten zu kommen. Der Burghof schien fast zu klein zum Landen zu sein und kurz fürchtete ich um meine Flügelspitzen, schaffte es jedoch ohne Zwischenfälle halbwegs elegant zu Landen. Kaum berührten meine Füße den Boden, begann ich schon zu rennen, meine Flügel halb angeklappt, um mich endlich in die Arme des jungen, weißhaarigen Mannes zu werfen, der seinerseits einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen wollte, um mir entgegenzueilen. Endlich schlossen wir uns in die Arme, meine Flügel als Schutzdecke gegen die Außenwelt um uns geschlungen. Meine Lippen legten sich auf Fers und für einen Moment schien die Welt stillzustehen, gefangen in dem magischen Moment unseres Kusses. Erst als wir uns voneinander lösten und sich meine Flügel nach einem großen Dankeschön zurückzogen, um sich endlich zu erholen, spürte ich die Erschöpfung, die ich in dem ganzen Trubel verdrängt hatte. Ohne dass ich es verhindern konnte, sackte ich im nächsten Moment in Fers Armen zusammen.

„Gan!“, rief er erschrocken und ließ sich mit mir zusammen auf dem Boden sinken, um mich besser halten zu können. Einen Augenblick später beugte sich ein weiteres sehr bekanntes Gesicht über mich.

„Carrie, kannst du mich hören?“, fragte er laut. Offenbar musste ich ein ziemlich übles Bild von mir geben, jetzt, wo mich meine Flammen nicht mehr auf den Beinen hielten.

„Ja.“, hauchte ich. „Hallo Doc.“

Gan beachtete meinen Gruß gar nicht, sondern scannte stattdessen mit seinen Blicken meinen Körper nach Verletzungen ab.

„Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“, fragte er schließlich unwirsch.

„Alpha, wir sollten hier weg.“, schaltete sich eine außenstehende Person in unseren kleinen Kreis ein. Ich gab ihm im Stillen Recht. Immerhin war ich lediglich etwas erschöpft und ausgehungert und wollte den Zug nicht noch länger aufhalten, schon schlimm genug, dass sie mich so schwach gesehen hatten.

„Mir geht’s gut. Lasst uns los.“, murmelte ich schwach und ließ mir von Fer hochhelfen. Noch immer schlotterten meine Knie und drohten erneut zu versagen, doch mein Stolz ließ es nicht zu. Ich biss die Zähne zusammen, als mein Kopf protestierend zu wummern anfing, ließ jedoch keinen Laut der Klage vernehmen.

„Bist du sicher?“, fragte Gan zweifelnd.

„Ich kann mich ja von Nox tragen lassen.“, wischte ich seine Bedenken vom Tisch, mich an meinen schwarzen Rappen erinnernd. Der Heiler schien nicht überzeugt, ließ mir jedoch das letzte Wort und veranlasste höchstpersönlich, dass mir sofort Nox gebracht wurde. Ich hievte mich eher auf den Rappen, als das ich aufstieg, doch immerhin saß ich auf dem Pferdrücken. Ich schnitt Fer eine Grimasse, der mich besorgt ansah und gab Nox mit einem sanften Hackendruck zu verstehen, dass er loslaufen sollte. Die Anderen folgten uns, mir immer wieder skeptische Blicke zuwerfend. Mir fiel auf, dass ich Gans Frage noch gar nicht beantwortet hatte. Zögernd wandte ich mich an den Heiler.

„Du hattest mich gefragt, wann ich das letzte Mal gegessen habe. Das letzte Mal etwas Richtiges gegessen, habe ich, soweit ich weiß, am Lagerfeuer mit euch. Rentier. Seitdem habe ich mich von dem Regenwasser an den feuchten Wänden und Hoffnungslosigkeit genährt, bis meine Erinnerungen zurückgekommen sind, ich angefangen habe zu weinen und Fer kontaktieren konnte, sobald sie mich auf meiner Zelle holten. Den Rest kennst du.“, zählte ich leise auf, in der Hoffnung, dass nur der Heiler meinen Zustand mitbekommen hatte.

Gan zog erschrocken an seinen Zügeln, woraufhin sein Pferd stehen blieb und die ganze Karawane ins Stocken geriet. Einige schauten besorgt, was der Grund, für das Stocken war, doch der Heiler schaute nur mich an.

„Heißt das, du hast seit zwei Wochen nichts mehr gegessen?“ Zwei Wochen? War ich so lange dort in diesen Mauern eingesperrt gewesen? Kein Wunder, dass ich jegliches Zeitgefühl und Hoffnung verloren hatte. Aber warum hatte ich mich den größten Teil der Zeit nicht erinnern können. Was hatten mir die Männer gegeben?

„Carrie?“ Ich schüttelte den Kopf, woraufhin mir Gan mit todernstem Gesicht einen Apfel reichte und mir mit einem Blick deutlich machte, dass er mein persönlicher Racheengel werden würde, wenn ich ihn nicht aß. Wie das aussah konnte ich mir nur zu gut vorstellen. Mindestens drei Wochen schlichte Bettruhe mit allerlei Speisen, die man sich vorstellen konnte: Hühnersuppe, Fettigem Fleisch und mindestens drei Stück Käse pro Tag, gefolgt von einem Dutzend Äpfeln. Rasch nahm ich den mir angebotenen Grafensteiner und biss hinein. Der Saft floss mir das Kinn herunter und eine süßsaure Geschmackswolke breitete sich auf meiner Zunge aus. Mein Magen frohlockte glücklich, als die ersten Säfte in seiner ausgehungerten Kugel ankamen und kurz überkam mich ein Gefühl der Übelkeit, dass ich jedoch mit dem nächsten Bissen erfolgreich vertreiben konnte. Bissen um Bissen verschwand der Apfel in meinem Mund, bis nur noch der Stiel übrig war. Erst dann schnalzte Gan mit der Zunge und die Karawane wanderte weite.

„Mal sehen, wie gut dein Magen die Nahrung aufnimmt. In einer Stunde gibt es den nächsten Apfel. Wenn du die nächsten Stunden gut überstehst können wir auch mit etwas fettigerem anfangen. Dir steht ein langer Weg bevor, Carrie.“

Ich seufzte. Ein langer Weg. Na toll. Als hätte ich nicht schon genug andere Sorge. Apropos andere Sorgen. Ich spähte durch die Reihen und entdeckte zwei Reihen vor mir Jemanden, mit dem ich auch noch unbedingt Gesprächsbedarf hatte. Ich gab Nox zu verstehen, dass er etwas schneller laufen sollte und versuchte mich mühevoll im Sattel zu halten, bis wir neben Ruber zu stehen kamen. Er wandte sich zu uns um, als er uns bemerkte.

„Seid gegrüßt, Alpha Carrie. Ich muss zugeben, ihr seht wirklich sehr mitgenommen aus.“

„Ruber, ich… Es… Du…“ Na super, wer sollte bei dem Gestammel denn etwas verstehen. Obwohl meine Kräfte fast zu schwinden schienen, konzentrierte ich mich auf mein inneres Feuer, das ganz angetan von meiner Idee war und beschwor eine Glockenblume aus Flammen hervor. Ich spürte, wie Ignisaeri erfreut aufquiekte, denn die Verwandlung von Gegenständen aus einem anderen Element war eindeutig das nächste Level meiner Magie. Ich ließ die Flammen wieder verschwinden und überreichte Ruber die Glockenblume.

„Es tut mir Leid, dass ich dich Fallengelassen habe. So hatte ich mir die freundschaftliche Zusammenführung damals ehrlich nicht vorgestellt.“

Ruber lachte. „Das glaube ich dir gerne, Carrie. Ich ehrlich gesagt auch nicht.“ Er hatte mich Carrie genannt und geduzt. Mein Herz frohlockte glücklich über diese Tatsache und ein Lächeln schlich sich auf mein müdes, geschundenes Gesicht.

„Ich glaube, dass mit dem Fliegen lassen wir lieber in Zukunft. Ich eigne mich doch eher für den Kampf an der Erde, selbst wenn mir die Landung als Katze leichter fällt.“ Ich stimmte ihm im Stillen zu und hielt ihm die Hand hin.

„Freunde?“

Ruber lächelte und schlug mit seiner riesigen Pranke ein. „Freunde.“

Ein Strahlen breitete sich auf meinem Gesicht aus, bis ich zwei Augenpaare bemerkte, die jede meiner Bewegungen mitverfolgten. Gan besorgt und Fer, eine Mischung zwischen: Ich bin glücklich für dich, aber gleichzeitig wütend. Ich zog den Kopf ein, lächelte Ruber noch einmal an und ließ mich zurückfallen, bis ich wieder auf Fers Augenhöhe war.

>Schön und gut, eure Versöhnung.<, neckte mich mein Socius gedanklich. >Aber warum schenkst du ihm Blumen und mir nicht!< Er zog eine Schnute. Ich wusste, dass er es nicht ernst meinte und konnte daher nur über seinen Gesichtsausdruck lachen. Gleichzeitig besänftigte ich ihn aber in Gedanken.

>Weil ich keinen der Momente mit dir mit Blumen aufwiegen konnte, so besonders sind sie und so viel bedeuten sie mir.<

>Ist das eine Liebeserklärung?< Fer zog die Augenbraue hoch. Ich tat es ihm nach.

> Vielleicht….< Mein Gefährte lachte leise, über unser Geplänkel und ein warmer Schauer des Glücks lief mir den Rücken herunter.

>Womit habe ich dich nur verdient.<, dachte ich glücklich.

>Das frage ich mich manchmal auch.<

>He!< Nicht die Tatsache, dass er mir mal wieder meine Gedanken geklaut hatte, obwohl ich sie gar nicht auf unserer Ebene gedacht hatte, ärgerte mich, sondern, dass er meinen Verstand infrage stellte.

>Aber dann frage ich mich ebenso, wie man sich nur so jemand Besonderes, Schönes, Gutmutiges und gleichzeitig Feuriges verdienen kann. Welches Glück ich dabei haben musste, dass ausgerechnet du mir über den Weg stolperst.<, versuchte mich Fer zu besänftigen. Ich spürte, wie ich mit jedem Wort noch röter im Gesicht wurde vor Scham und ignorierte gekonnt die Spitze, dass wir bei unserer ersten Begegnung ineinandergelaufen waren, als ich vor einigen Palinas floh.

„Ist alles in Ordnung, Carrie?“, fragte Gan besorgt, als mein Gesicht vor Scham zu leuchten anfing, da Fer noch immer leise Komplimente über mich ausschüttete. Bei dieser Frage des Heilers wurde mein Gesicht noch heißer, wenn ich daran dachte, was ich jetzt sagen sollte und Fer, der durchaus meinen Zwiespalt bemerkte, lachte wieder leise auf.

„Alles gut, Gan. Ich habe meine schöne Socia nur seit Wochen nicht mehr gesehen und habe daher einigen Nachholbedarf im Komplimente machen.“, erklärte Fer immer noch lachend. Nun wurde auch Gan rot und ich wechselte einen kurzen Blick mit ihm. Uns war Beiden die Situation sehr unangenehm.

„Hier!“ Der Heiler hielt mir einen weiteren Apfel hin. „Und kein weiterer Magiegebrauch in den nächsten Stunden!“, befahl er mir noch, ehe er sich wieder etwas zurücktreiben ließ, um der Situation zu entkommen und nun neben einen in Überwurf gekleideten, um die vierzig Jahre alten Mann zu reiten. Seine blaugrünen Augen waren das einzige Unruhige in seinen hartgesonnen Gesichtszügen und musterten die Umgebung aufmerksam. Er war eindeutig ein Mensch. Nun doch neugierig geworden, betrachtete ich unsere anderen Mitstreiter. In allen konnte ich harte Gesichtszüge und schwere Zeiten erkennen. Auf der Brust trugen sie eine weiße Lilie, das Symbol des Todes. Irgendetwas in mir sagte mir, dass dies einst das Symbol meines wahren Vaters gewesen war und nun von daher mein Symbol wäre.

>Fer, wer sind unsere Mitstreiter? Ich kenne das Symbol?<, fragte ich meinen Gefährten und biss in den Apfel. Er war ein wenig saurer als sein Vorgänger.

>Du kennst das Symbol?<, fragte mich mein Socius und musterte mich scharf.

>Ja, ich-< Ich sandte ihm ein verschwommenes Bild, in dem ich mich in einem Kinderbettchen befand, über meinem Kopf schwebten verschiedene Symbole, unter anderem eine bronzene Abbildung einer Lilienblüte. Eine Gestalt näherte sich meinem Bett, an dessen Brust ebenfalls die weiße Lilie prangte, dann brach die Erinnerung ab.

>Sie kam mir vorhin, als ich die Lilien gesehen habe. Sie war tief in meinen Erinnerungen vergraben gewesen.<

>Wie viel weißt du über uns?<, fragte mich Fer. Er schien plötzlich angespannt zu sein.

>Nur das, was ihr mir damals erzählt habt, als wir zu dem Haus meiner Zieheltern gezogen sind.<

Ein kurzer Anflug von Wehmut überkam mich, als ich an den Tod meiner beiden Zieheltern dachte. Wie es Lak wohl jetzt ging. Ob er noch am Leben war?

>Also weißt du bislang nur über die Prophezeiung, die Bändiger und das Gestaltwandlergesetz Bescheid, richtig?< Ich nickte und erinnerte mich daran, dass ich noch immer meinen angebissenen Apfel in der Hand hielt und Gan nicht erfreut darüber sein würde. Schnell vergrub ich die Zähne darin.

>Es gibt verschiedene Gruppen von uns. Wir leben abseits der Menschen in Gebirgen, Wäldern, unbewohnten Gegenden.< Gespannt hörte ich zu und dachte darüber nach, wie viel die Menschen über uns nicht wussten, obwohl wir direkt unter ihnen lebten, schienen wir beinahe unsere eigene Welt zu besitzen.

>Unter ihnen gab es eine Gruppe, die nannten sich die Lilienkrieger. Ein angesehener Stamm, der früher sogar das Gestaltwandlergen in sich trug. Doch durch einen Fluch verschwand das Gen langsam von Generation zu Generation und es wurden nur noch menschliche, sterbliche Krieger geboren. Der König der Lilienkrieger, Borkil, versuchte verzweifelt eine Lösung zu finden, da er bereits einen Krieg erahnte. So zog er schließlich eines Tages los, um nach der Blume mit den blauen Blüten zu suchen, die die Krieger retten sollte. Er kehrte nie wieder. Nach dem Tod ihrer Königin Freia, zogen die Lilienkrieger durch die Lande, immer auf der Suche nach ihrem König oder seinen Nachkommen. Es hieß, er hätte eine Tochter, die jedoch wie er spurlos verschwand. Da wir ebenfalls für das Gute kämpfen und ich den Kriegern versprochen habe, ihnen bei ihrer Suche zu helfen, erklärten sie sich einverstanden uns bei unseren Vorhaben zu unterstützen und für uns zu kämpfen.<, schloss Fer seine Erzählung. Noch immer ruhte sein Blick auf mir.

>Und die Königsfamilie?<, fragte ich angespannt. Irgendwas in meinem Inneren sagte mir, dass dies von allergrößter Wichtigkeit sein würde.

>Sie wurde nie wieder gesehen.< Fer schien über diese Tatsache sehr betrübt und ich überlegte, ob er Borkil gekannt hatte.

„Weißt du, wie die Tochter von König Borkil hieß?“, fragte ich neugierig. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich in die hörbare Kommunikation gewechselt war. Erst als sich einer der Lilienkrieger, der vor uns ritt zu uns umdrehte und ich in einen bekümmerten Gesichtsausdrück sah, realisierte ich diese Tatsache.

„Sie hieß Elisabeth.“


Kapitel 27

Ich spürte, wie ich mich versteifte. Das konnte kein Zufall sein. Erst die Erinnerung und dann auch noch mein zweiter Name. Ich schien endlich meine wahre Familie gefunden zu haben. Aber eine Königsfamilie?

„Carrie Elisabeth Crown.“, murmelte Fer vor sich hin. „Das ich nicht gleich darauf gekommen bin.“

„Bedeutet das, dass ich eine Prinzessin bin?“, fragte ich fast schon panisch.

Der Mann, der vor uns ritt, fuhr soweit es sein Sattel zuließ ruckartig zu uns herum und schien nun jedem Wort auf unseren Mündern zu lauschen.

„Ich weiß nicht, Carrie.“ Mein Gefährte schien eindeutig verunsichert zu sein.

„Der Drache Gruz sagte, dass sich das Ignisaeri-Gen über den Vater vererbt. War König Borkil auch ein Drachenwandler, ein Ignisaeri?“, fragte ich Fer.

Der Lilienkrieger schaute mit großen Augen zwischen Fer und mir hin und her. Ich überlegte, ob dies im Angesicht der Erwähnung des Drachen, der Ignisaeri oder einem völlig anderen Gedanken war.

„Unser König war ein Drachenwandler.“, verriet er uns schließlich. „Allerdings wussten das nur ganz wenige Menschen, um genau zu sein nur seine Frau und ich, sein persönlicher Leibwächter.“

Er blickte mich musternd an. „Wer seid ihr?“

Unsicher schaute ich kurz zu Fer, so als müsste ich mir seine Zustimmung einholen, doch er nickte mir nur aufmunternd zu.

>Es ist deine Entscheidung. Aber welche du auch triffst, es wird die Richtige sein, meine schöne Socia.<

Ich holte tief Luft.

„Ich bin die Socia von Fer und somit ebenfalls Alphatier von Fers Rudel. Ich bin ein Ignisaeri und noch einiges mehr, was ich aber jetzt noch nicht verraten werde. Ich bin bei Stiefeltern großgeworden. Mein Ziehvater Herind war ein Vampir und ein Traumwandler, meine Ziehmutter war soweit ich weiß ein Mensch. Zusammen mit meinen Zieheltern habe ich erst in England und dann hier in Russland in einer kleinen Hütte im Wal gelebt, bis uns die Palinas fanden. Schon damals schienen sie hinter mir her zu sein. Ich habe es damals nicht verstanden, aber inzwischen beginne ich zu begreifen. Ich bin geflohen und auf meiner Flucht auf meine Weggefährten Gan und Fer getroffen. Seitdem sind wir auf dem Weg zu Atro, um ihn endlich in seine Schranken zu weisen.“ Der Lilienträger nickte, offenbar hatten ihn meine Freunde soweit aufgeklärt. Nun würde die Schlüsselinformation kommen.

„Ach, und mein Name ist Carrie Elisabeth Crown.“

Dieses Mal war es der Lilienkrieger, der unsere Karawane durch ein abruptes Anhalten seines Pferdes stoppte.

„Elisabeth.“, flüsterte er immer wieder und Tränen liefen ihm über die Wangen.

Unsicher sah ich zu Fer. Wie sollte ich jetzt darauf reagieren.

„Was ist los, Jemin?“, rief ein Lilienkrieger weiter hinten in der Schlange beunruhigt. Doch der Angesprochene starrte mich nur weiter an.

„Mihi Regina.“, murmelte der Leibwächter meines Vaters, rutschte vom Pferd und fiel in eine tiefe Verbeugung vor mir. Unsicher starrte ich auf ihn herunter. Dass die Leute ehrfürchtig von mir sprachen, kannte ich ja schon aus meiner Zeit als Alphatier. Aber das ging mir hier wirklich zu weit.

„Bitte steh auf.“, hauchte ich verzweifelt, als ich die ersten sich reckenden Köpfe zu uns schwenken sah. Tränen liefen mir über die Wagen. Ich wusste nicht, ob sie aus Verzweiflung, Rührung, Überforderung oder Erschöpfung kamen, doch es war mir egal. Ich spürte Fers beruhigende Hand auf meinem Rücken.

Nur langsam hob der Leibwächter den Kopf und erstarrte mitten in der Bewegung, als er meine Tränen sah. Erschrocken verfolgter er die Bewegung einer Träne mit den Augen, bis sie schließlich auf den schweißnassen Rücken von Nox fiel.

„Warum weint ihr, mihi Regina.“ Er schien merklich geschockt zu sein. Wieder dieses „mihi Regina“ - „Meine Königin“. Hatte das der Drache Gruz nicht auch gesagt? Aber ich war keine Königin. Nicht einmal eine Prinzessin.

>Doch du bist eine Königin.<, murmelte Fer mir Gedanklich zu. >Sogar die beste Anführerin, die es gibt. Denk doch nur mal an die Entscheidung die du für das Rudel getroffen hast. Alle waren immer gerecht und für die Kurzfristigkeit mit der du in diese Aufgabe geworfen wurdest, ziemlich perfekt. Du schaffst das, da bin ich mir sicher!<

Das ich mir da allerdings nicht so sicher war, musste ich ihm nicht sagen. Das konnte er sich auch schon gut an meiner gequälten Mine ablesen. Sanft strich er mir die Tränen vom Gesicht und sprach dann mit klarer Stimme zu Jemin.

„Carrie hat Recht. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir haben diesen Kampf gewonnen, doch bald wird es hier von Palinas, Trinas und Gefolgsleuten des Königs nur so wimmeln, schon allein, da der Graf fliehen konnte. Carries Herkunft können wir noch im Laufe des langen Rittes, der noch vor uns liegt klären. Aber nun müssen wir weiter.“

Jemin starrte mich immer noch an und brauchte noch ein Räuspern von Fer, ehe er langsam nickte und sich endlich wieder auf sein Pferd schwang.

>Danke<, murmelte ich Fer zu, froh endlich der Situation entkommen zu sein. Fer nickte nur und bedeutete mit einem Schnalzen den Pferden weiterzureiten.

Ich spürte, dass mir Jemin immer wieder ehrfurchtsvolle Blicke zuwarf, doch ich war viel zu müde, um sie weiter zu beachten.

>Nox?<, nahm ich geistigen Kontakt mit meinem Pferd auf, als ich spürte, dass meine Augenlider immer schwerer wurden.

>Ja, Ignisaeri?< Mein Rappe schnaubte.

>Carrie!<, verbesserte ich leise. Wieder schnaubte das Tier. Faszinierend beobachte ich die Dampfwolken, die aus seinen Nüstern flogen, schon halb im Traumland gefangen, sodass ich Mühe hatte, mich auf die Konversation zu konzentrieren.

>Ich würde mich gerne ein wenig ausruhen. Passt du bitte auf, dass ich nicht herunterfalle?<

Nox gab ein zustimmendes Wiehern von sich und ich schmiegte mich enger an seinen Hals, nur um im nächsten Moment in einen tiefen Schlaf zu fallen.


Kapitel 28

>Carrie, Liebes?< Ich murrte leise, als mich Fers geistiger Ruf erreichte. Viel zu angenehm, war es hier an dem warmen Pferdehals gelehnt zu sein und wieder ein den bunten Farbwirbeln meiner Träume zu versinken. Fer lachte leise, als er meine Gedanken las.

>Ich reiße dich ja ungern aus deinen bunten Farbwirbeln. Aber du solltest etwas essen, sonst macht mir Gan die Hölle heiß.< Wieder murrte ihr, öffnete aber wiederwillig die Augen.

Es schien später Abend zu sein, nur ein leichter roter Schimmer am Himmel erinnerte noch an den Tag, an den ich michbefreit hatte und erfahren hatte, wer ich wirklich war. Wieder durchlief mich ein trauriger Schauer. Was sich jetzt wohl alles ändern würde? Langsam hob ich meinen Kopf vom Pferdehals. Die feinen Borsten schienen meine Wange leicht und gescheuert zu haben und meine spröden Lippen und der fade Geschmack in meinem Mund erinnerten mich daran, unbedingt etwas zu trinken.

>Wie lange habe ich geschlafen?<, fragte ich Fer in Gedanken, da ich meiner Stimme noch nicht ganz traute.

Fer warf einen Blick zu Himmel. „Schwer zu sagen. Vielleicht elf, zwölf Stunden?“, vermutete er.

„Eindeutig genügend, um etwas zu essen.“, ertönte eine Stimme hinter mir und ich drehte leicht meinen verspannten Kopf, der ein Knacken von sich gab. Fer lachte leise, als er meinen finsteren Blick bemerkte, mit dem ich nun Gan bedachte. Eigentlich möchte ich den weisen Mann, aber in solchen Situationen war er mir einfach nur lästig. Ich seufzte innerlich, wagte es jedoch noch, eines meiner Gedanken auszusprechen. Ich zwang mich zu einem Lächeln, als der Heiler mich besorgt betrachtete.

„Hier!“. Wieder reichte er mir einen Apfel. Ich überlegte, was ich mit dem letzten Gemacht hatte, an dem ich nur zweimal abgebissen hatte. Vermutlich hatte ich ihn bei der Offenbarung meiner Herkunft fallengelassen. Kein Wunder, das Gan mich so warnend ansah. Wieder seufzte ich innerlich, bedankte mich jedoch und aß gehorsam den Apfel auf, wodurch Gans Mine eindeutig besänftigter war. Ich schenkte ihm noch ein Lächeln und drehte mich dann wieder um. Noch immer ritt der eine Lilienkrieger, der mit mir dieses Gespräch über meine Herkunft gehabt hatte vor mir. Als er bemerkte, dass ich wieder wach war, schenkte er mir einen nachdenklichen Blick, ehe er sich rasch wieder abwandte.

>Wie viele wissen noch von meiner Herkunft?<, fragte ich Fer besorgt. Mein Gefährte schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.

>Bislang nur wir drei. Wir hielten es für besser, es erst einmal für uns zu behalten, ehe wir uns in dieser Vermutung absolut sich sind.< Ich nickte gedankenverloren.

Meine Socius sah sich um. „Dort vorne auf der Lichtung machen wir erst einmal Rast.“, verkündete er laut. Ich späte durch die Dunkelheit. Unbewusst ließ ich mir von meinen Drachengenen helfen und konnte so klar die große Lichtung erkennen, die wir bald erreichen würden. An dem Blick, den Fer zu mir warf, merkte ich, dass meine Augen wieder golden leuchteten und senkte rasch den Blick, ehe jemand die ungewöhnliche Augenfarbe bemerkte.

So bemerkte ich erst, dass wir die Lichtung erreicht hatten, als ein Ruck durch die Karawane ging und Nox gezwungen wurde, stehenzubleiben. Ich schaute auf. Die ersten Reiter vor mir, begannen bereits den Platz von Ästen, Zapfen und Steinen zu säubern, damit wir unser Nachlager aufschlagen konnten. Schwerfällig ließ ich mich aus meinem Sattel gleiten und dankte Nox einmal gedanklich für den Ritt und das Aufpassen während meiner Schlafphase. Der Hengst schnaubte nur geduldig. Er wuchs mir immer mehr ans Herz und ich beschloss, die Hälfte oder zumindest den Apfelkriebsch meines nächsten Apfels an ihn zu verschenken. Ich folgte des anderen und knotete Nox an einer dünnen Birke, unter der einiges Gras wuchs. Dankbar senkte er seinen großen Kopf und begann zu grasen, während ich die ersten Äste sammelte und sie in der Mitte des Lagerfeuers stapelte. Gerade, als ich mich für einen zweiten Schwung aufmachte, wurden mir die vier Äste, die ich bereits gesammelt habe auf der Hand genommen und ich schaute auf.

>Na, na. Du sollst dich doch noch schonen.< Ich schnaubte, drehte mich abrupt um und lief in die Gegenrichtung, um dort weiterzusammeln. Fer lachte leise, ließ die Äste auf die kleine Lagerfeuerstelle fallen und folgte mir. Noch ehe ich zwei Meter weiter gehen konnte, umschlossen mich seine Hände von hinten und hielten mich fest.

„Halt. Hiergeblieben. Das meinte ich vollkommen ernst.“, wisperte er leise und hauchte mir einen Kuss auf den Nacken. Eine Gänsehaut lief mir den Rücken herunter und wieder lachte Fer leise auf.

„Pass bloß auf. Du bringst mich sonst noch auf Gedanken.“ Ich spürte wie ich rot wurde. Fers Worte waren eindeutig unter der Gürtellinie gewesen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Obwohl ich seine Berührung zu meiner Schande sehr genoss, würde ich meinen Stolz nicht herunterschlucken. Ehe er weitergehen konnte, murmelte ich „Mich auch!“, stieß ihm meinen Ellenbogen in den Brustkopf und tauchte unter seinem Arm weg, ehe er mich erneut einfangen konnte. Zielstrebig ging ich zum Rande der Lichtung und sammelte rasch weiter, ehe mich Fer wieder einholen konnte.

>Muss man dich erst festbinden?<, knurrte Fer hinter mir. Ich wich seiner Bewegung rasch aus und rannte lachend zur Feuerstelle um mein Resultat rasch abzuliefern, ehe es zu Schaden kommen konnte.

>Du weißt schon, dass es jemanden einen Bären aufbinden heißt und nicht einen Tiger aufbinden?<, neckte ich ihn und begann die Zweige auf dem Lagerfeuerplatz zu sortieren, nur, um mich eine Sekunde später anderthalb Meter höher zu befinden, einmal über Fers Schulter geworfen.

„He, mein Feuer!“, protestierte ich lautstark und ernte einige amüsierte Blicke und zwei erschrockene Blicke von Gan und Jemin, als mich Fer noch immer über seiner Schulter hievend, einmal quer über den Platz trug und mich an einer dicken Kiefer sinken ließ.

„Das ist nicht dein Feuer!“, neckte mich mein Gefährte weiter und pikste mich auf meine Brust.

„Doch.“, murmelte ich und versuchte mich rasch wieder aufzurappeln, nur um im nächsten Moment auf dem Boden zu liegen, die Hände über den Kopf gedrückt und Fer knapp über mir mit einem gefährlichen Ausdruck in den Augen.

„Du willst deinem Alpha doch nicht etwa wiedersprechen?“, hauchte er an mein Ohr, sodass ich wieder eine Gänsehaut bekam und hielt meine Hände fester über meinem Kopf zusammen.

„Doch!“, fauchte ich und versuchte ihm zu treten, um ihn herunterzukriegen. Ein jämmerlicher Versuch, den Fer innerhalb der nächsten Sekunde mit einer einzigen Beinbewegung verhinderte. Nun war ich komplett bewegungsunfähig, doch so leicht, würde ich nicht aufgeben.

„Bist du dir sicher?“, fragte Fer amüsiert. Ich versuchte ihn zu beißen und knurrte wieder, doch seine Griffe waren eindeutig zu fest.

„Mein Körper magst du besiegt haben, aber meinen Willen wirst du niemals besiegen!“, fauchte ich, nun doch merklich erschöpfter, da ich meinem Körper diese Anstrengung noch nicht hätte zumuten dürfen..

„Vermutlich hast du Recht!“, gab mein Gefährte bedauernd zu und löste seinen Körper von meinem. Ein Teil von mir schien das ziemlich zu stören, doch ich war ehrlich gesagt froh, endlich wieder meinen Freiraum zu haben. Kaum hatte mich Fer loszulassen, rappelte ich mich hoch. Doch Fer hatte geschafft, was er wollte. Jemand anderes hatte bereits die Feuerstelle aufgebaut und versuchte gerade die Äste mit zwei Feuersteinen zu entflammen. Doch diese Genugtuung würde mir Fer nicht nehmen können. Im Stillen flüsterte ich meinen Flammen mein Begeht zu, bemüht meine Gedanken zu meinem Gefährten abzuschirmen und augenblicklich flammte das Lagerfeuer auf. Derjenige, der es versucht hatte zu entzünden, war zwar ein wenig verwundert, schien sich über diese Veränderung jedoch nur zu freuen. Ich kicherte leise und spürte prompt wieder Fers Blick auf mir.

>Na, zufrieden?<, neckte er mich, merklich verstimmt, dass ich doch noch meinen Willen bekommen hatte.

>O ja.<, murmelte ich leise und grinste hämisch zu ihm. Fer knurrte warnend.

>Leg dich nicht mit mir an!<

>Oder was?< Man. Ich musste ja echt todesmutig sein, dass ich mich jetzt schon wieder auf einen Zweikampf mit Fer einließ, doch ich war gerade so zufrieden, dass es mich nicht kümmerte.

>Oder-<, begann Fer und seine Augen leuchteten freudig auf. Ich stieß ein Quicken von mir und versuchte zurückzuweichen. Doch bevor wir weiter mit unserem Spielchen fortfahren konnten, unterbrach mich Gan.

„Carrie, kann ich dich mal bitte sprechen!“ Ich seufzte, warf meinem Gefährten noch einen letzten bedauernden Blick zu und ging mit müden Schritten auf Gan zu Ich hatte gar nicht bemerkt, wie erschöpft ich bereits war. Na ja, egal. das würde ich Gan garantiert nicht sagen.

„Was gibt’s?“, fragte ich den Heiler, als ich ihn erreichte.

„Wir hatten noch nicht so die Gelegenheit zu schauen, was dein Körper deiner Gefangennahme alles ertragen musste und ich würde gerne-“

„Mir geht es gut, Gan.“, unterbrach ich ihn genervt. Als würde ich jetzt ein Zeichen der Schwäche zeigen.

„Ich bin lediglich ein wenig erschöpft und brauche eine Mütze Schlaf und ein paar gemütliche Stunden mit meinem Gefährten, dann bin ich wieder ganz die Alte.“, stellte ich barsch klar.

„Aber-“ Wieder unterbrach ich den Heiler durch meine Hand. „Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, Gan. Aber mir geht es gut. Wirklich!“, fügte ich hinzu, als ich seinen ungläubigen Blick sah. Meine Verletzungen waren alle durch die Flammen von Ignisaeri geheilt worden und die inneren Verletzungen würde die Zeit heilen. Gan seufzte. Er war es leid, mit mir zu streiten.

„Sag aber bitte Bescheid, wenn etwas sein sollte.“, flehte er mich beinahe schon an. Ich nickte und schenkte ihm ein freundliches Lächeln.

Ein Knacken ließ mich den Kopf hochreißen und meine Hand fuhr zu meinem Dolch, doch es waren lediglich die Männer, die auf die Jagd gegangen waren und nun mit einem prächtigen Rentierbullen zurückkehrten.

Laut jubelnd wurden die Männer begrüßt und ich begab mich mit einem Lächeln zu meinem Gefährten zurück, der sich inzwischen an der Kiefer niedergelassen hatte, an die er mich gepresst hatte. Seufzten ließ ich mich neben ihn sinken und kuschelte mich fester an ihn, mir der neugierigen und amüsierten Blicke der anderen nur zu deutlich bewusst.

„Weck mich, wenn es essen gibt.“, murmelte ich in Fers Hemd und gönnte mir endlich noch etwas Schlaf.


Kapitel 29

Der Geruch nach Rentier und einige laute Lacher weckten mich aus meinem nicht allzu tiefen, dafür sehr erholsamen Schlaf. Fer lag noch immer unter mir, erwachte jedoch, als ich mich räkelte. Ich fragte mich, wie für ihn die letzten Wochen gewesen sein musste, wo er nicht wusste, wo ich war. Wahrscheinlich hatte er nicht gut, wenn überhaupt geschlafen. Sofort tat es mir Lied, ihn geweckt zu haben.

„He.“, murmelte ich leise.

„Riecht gut, oder?“, fragte ich ihn leise, woraufhin er nur die Nase in meinem Haar vergrub.

„Mmmh.“

Ich kicherte leise. „Nicht ich, du Urmensch. Sondern das Rentier.“

„Och ich finde, du riechst genauso gut.“, murmelte es verschlafen in meinen Haaren, bis er plötzlich innehielt, als er langsam wacher wurde.

„Augenblick mal. Wie hast du mich gerade genannt, meine freche Socia?“ Ich konnte förmlich den Schelm in seinen Augen blitzen sehen, obwohl ich immer noch mit dem Rücken zu ihm lag. Rasch befreite ich mich aus seiner um Umarmung und machte ein paar Schritte von ihm weg.

„Na ja. So, wie du mich vorhin getragen hast.“, murmelte ich neckend und suchte rasch hinter Rubers Rücken Schutz, der doch allzu passend links von mir stand, ehe Fers Gehirn meine Nachricht verarbeiten konnte. Ich kicherte, als ich meinen Gefährten aufknurren hörte und beeilte mich auf die andere Seite des doch recht großen Lagerfeuers zu kommen, damit alle Platz hatten. Dort fand ich auch Jemin, der gedankenverloren in die Flammen starrte.

„Hey!“, murmelte ich leise und ließ mich neben ihn sinken. Erst diese Bewegung riss ihn aus seinen Träumereien und seine Augen weiteren sich, als er sah, wer sich neben ihn niedergelassen hatte. Rasch versuchte er sich aufzurappeln, um in eine tiefe Verbeugung vor mir zu fallen, doch ich hielt in fest und zog ihn sanft wieder herunter, bis er schließlich wieder neben mir saß, wenn auch ziemlich verkrampft.

„Du brauchst dich nicht vor mir zu verbeugen, Jemin. Ich bin vielleicht die gebürtige Prinzessin, aber solange das nicht nachgewiesen ist und selbst dann, bin ich immer noch ein ganz normaler Arsanimali, der mit euch in der Schlacht kämpft. E ist schon schlimm genug, dass immer alle, die Ihr-Form verwenden müssen, wenn sie mit mir reden. Dann müssen nicht noch mehr unnütze Gepflogenheiten an den Tag gelegt werden, die ohnehin keine Rolle spielen. Ich bin genauso wie du und nicht höhergestellt. In der Menschenwelt, wo ich aufgewachsen bin, wurde ich wie jeder andere Mensch geduzt und nur die Erwachsenen wurden, wenn überhaupt gesiezt. Und ich denke, es würde einiges Vereinfachen, wenn du mich einfach Carrie nennst, wie mein Gefährte auch. Immerhin darf ich dich auch duzen.“

„Ihr sprecht genauso gütig, wie die Königin immer. Sie hielt auch nichts, von den ganzen Ständen und Standunterschieden. Das einzige, was für sie von Bedeutung war, war die innere Einstellung.“ Ich lächelte. Ja, danach würde ich auch gehen. Es freute mich, dass meine Mutter so gutherzig war und sich offenbar für jeden eingesetzt hatte.

„Bitte, erzähle mir mehr von ihr! Und hör mit dem Ihr auf, bitte!“, flehte ich. „Ich bin einfach nur ´Carrie´.“ Der Leibwächter meines Vaters seufzte. Es schien ihm sehr schwer zu fallen, mich zu duzen. Ich sah ihm an, dass er innerlich einen Kampf mit sich austrug und ich hoffte, er würde sich dafür entscheiden. Ich spürte, wie Fer mit seinen Blicken das Lagerfeuer absuchte, doch ich vermittelte ihm rasch, dass ich gerade nicht gestört werden wollte. Als er meinen Gesprächspartner sah, schenkte er mir ein verständnisvolles Nicken und begann dann ein Gespräch mit Ruber.

“Du siehst ihr recht ähnlich. Auch sie war sehr zart gebaut, wenn nicht sogar noch zarter. Die Mund-und Augenpartie hast du eindeutig von ihr, aber die Nase von deinem Vater. Deine Mutter hatte Meeresblaue Augen. Sie waren wie zwei Saphire, die stets lustig blitzten. Ihre Haare waren dunkler und hatten nicht den Hauch eines Rotstichs, sonst aber in etwas dieselbe Länge, wie jetzt deine.“ Sie schien eine wahre Schönheit zu sein.

„Und mein Vater, König Borkil?“

„Dein Vater, unser König, war ein ruhiger und beherrschter Mann. Er war ebenfalls unglaublich gütig, konnte sich jedoch auch wenn es sein musste problemlos durchsetzen und hatte eine angeborene Autorität, wie ich sie selten erlebt hatte. Für ihn stand stets das Volk im Vordergrund.“ Dann musste ich die Autorität, die alle bei mir fürchteten, von den beiden haben. Offenbar hatte ich sie vererbt bekommen.

„Im Alter von achtundzwanzig Jahren bekamen die ihr erstes Kind, ein Mädchen. Es hieß, es trüge das Blut Gabriels in sich, das die Königin als Schutz des kleinen Mädchens erbat. Ihre Augen waren so ruhelos wie ein Fluss und genau diese Farbe trugen sie auch. Das reinste Azurblau. Doch das Königpaar hielt ihre Tochter im Verborgenen. Warum, weiß ich allerdings nichts. Kurze Zeit später wurde die Königin sehr schwer krank und selbst nach Ende dieser Krankheit, hatte sie ein Schweres Los zu tragen. Sie sollte keine Kinder mehr bekommen können.“ Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder, als der Leibwächter den Kopf schüttelte.

„Da sich die Königin jedoch unbedingt noch ein zweites Kind wünschte, griffen sie nach dem letzten Mittel, dass sie noch kannten. Schließlich, so haben sie es mir jedenfalls im Stillen anvertraut, gingen sie zu Erzengel Michael und baten um Hilfe. Statt einer Antwort, gab er deiner Mutter einen Tropfen seines Blutes und nahm ihr das Versprechen ab, stets für die Gerechtigkeit zu kämpfen und zu versuchen, den Frieden zu wahren. Königin Freia versprach es und neun Monate später, wurde Elisabeth geboren.“ Er verstummt und starrte wieder in die Flammen. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken herum. Also stammte mein halber Engel von Michael. Aber warum waren meine Flügel dann schwarz? Und warum hatten meine Eltern nicht erneut Gabriel gefragt sondern Michael?

„Warum haben sie Michael gefragt und nicht erneut Gabriel?“, fragte ich schließlich, ehe mein Kopf vor Fragen Platzen konnte.

„Ich weiß es nicht. Ich glaube, es lag daran, dass deine Mutter kurz vorher im Sterben gelegen hatte und er Mitleid mit ihr hatte. Vielleicht hoffte er auch, dass Elisabeth einmal für Gerechtigkeit sorgen würde.“ Aber warum hatte ich dann schwarze Flügel?

„Hatte Erzengel Michael nicht auch Luzifer besiegt?“, fragte ich neugierig. Vielleicht war das ja die Lösung. Michael hatte mir Luzifers Flügel vermacht oder zumindest durch den Kampf mit ihm war er noch so geschwächt, dass meine Flügel schwarz statt weiß waren. Oder es lag daran, dass meine Mutter so nahe am Tod war.

„Ja, das ist richtig. Immerhin war Michael der Anführer der Erzengel.“ Fast hätte ich die Antwort des Leibwächters nicht mitbekommen, da ich so in Gedanken versunken war.

„Und warum bei der ersten Königstochter den Erzengel Gabriel?“

„Gabriel stand für uns als Schutzengel schon immer im Vordergrund. Deswegen die weiße Lilie. Sie steht auch für Gabriel. Er ist sozusagen unser eigener Schutzpatron. An wen glaubst du denn?“

An wen glaube ich? Das war eine gute Frage. Als Fers Rudelanführer sollte ich an Ares glauben, doch gleichzeitig als Königstochter würden Michael und Gabriel für mich von besonderer Bedeutung sein müssen. Ich zuckte nur mit den Schultern und stellte statt einer Antwort die nächste Frage.

„Was ist aus der ersten Königstochter geworden und warum taucht sie in den meisten Erzählungen nicht auf?“

„Du meinst Elara?“ Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war. Immerhin hatte mir Jemin noch keinen Namen genannt. Sein Gesicht verdüsterte sich.

„Sie wurde kurz nach dem Verschwinden von Elisabeth und König Borkil entführt. Seitdem weiß niemand, was mit ihr ist. Die Königin ist an dem Verlust ihrer Gesamten Familie zerbrochen. Deswegen sind wir derzeit ohne Anführer und auf der Suche nach unserem Königin und ihren zwei Töchtern.“ Dann hatte ich also eine Schwester. Selbst, wenn niemand wusste, wo und vor allem wer sie in Wirklichkeit war. Ob es ihr ähnlich gehen würde, wie mir. Da sie wie ich Engelsblut in sich trug, würde sie vermutlich ebenfalls Halbengel sein. Und stand Gabriel nicht auch für Wasser? Vielleicht war sie die fehlende Elementarbändigerin in unserem Kreis.

„Carrie?“ Ich schaute immer noch mit glasigen Augen auf, viel zu vertieft in meinen Gedanken, als das ich viel um mich herum wahrnahm.

„Carrie?“ Ich blinzelte und erkannte langsam, dass sich Fer vor mir aufgebaut hatte und mir ein Stück Rentier hinhielt. Ein Blick zur Seite zeigte mir, dass Jemin gegangen war und nur noch ich hier wie erstarrt an der Stelle saß, wo zuvor mir so viel offenbart wurde.

„Danke!“ Gedankenverloren nahm ich ihm den Rentierstreifen ab und kaute darauf herum, ohne überhaupt etwas zu schmecken.

„Ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte mich Fer besorgt. Ich nickte, immer noch abwesend. Ich spürte, wie mein Gefährte seufzte doch das Geräusch drang nur wie durch Watte an meine Ohren.

Michael hatte also ermöglicht, dass das Königpaar ein weiteres Mädchen bekam, aber um welchen Preis? Und wo war meine Schwester? Wer weiß, was ihr in der Zwischenzeit alles widerfahren war. Ob sie überhaupt noch ihre Familie sehen wollte? Und würde dann nicht sie, als die Ältere von uns beiden Königin sein? Ich hatte ja nichts dagegen, immerhin hatte ich noch das Rudel und damit schon genug zu tun. Doch wie sollte ich sie als letztes Glied unseres Ringes finden, wenn sie seit Jahren als verschollen galt und nicht einmal in den Erzählungen auftauchte? Ob mich Fer überhaupt noch liebte, jetzt wo meine ganze Herkunft geklärt war? Immerhin waren sich die beiden Glaubensrichtungen nicht ganz einig. Und was sollte ich für einen Glauben nur wählen? Warum bekam ich Engelsflügel, wenn nur meine Mutter kurz vor meiner Entstehung einen Tropfen davon erhalten hatte? Oder war sie dabei bereits schwanger gewesen? Wie war das jetzt mit der blauen Blume, die mein Vater so dringend gesucht hatte, um die Gestaltwandler zu retten, die es unter den Lilienkriegern gab? Welche Farbe hatte wohl mein Vater in seiner Ignisaeri-Gestalt? Und-?

„Carrie?“ Eine Hand wedelte vor meinem Gesicht hin-und her. Ich blinzelte leicht, konnte meinen verschwommenen Blick, der noch immer in die Flammen gerichtet war, jedoch nicht klaren.

„Was ist mit ihr?“, hörte ich Fer fragen.

„Sie scheint einen Schock zu haben!“ Gans Antwort war wie immer ernüchternd feststellend. Einen Schock? Was meinte er damit?

„NEIN!“, brachte ich immer noch verwirrt hervor. Mir war gar nicht bewusst, dass ich laut geworden war, bis die Geräusche um mich herum verstummten. Ich blinzelte kräftiger und konnte endlich meinen Blick von dem Feuer lösen. Ich atmete schwer aus.

„Du kannst aufhören, mich so zu mustern, Gan. Ich habe keinen Schock. Und nein, das werde ich nicht hinnehmen!“ Mit diesen Worten stand ich ruckartig auf, die erschrockenen Blicke von Fer und Gan ignorierend und stapfte in Richtung Wald davon.

„Wagt es ja nicht, mir zu folgen!“, knurrte ich. Ich wusste nicht genau, wohin ich wollte, ich brauchte einfach nur einen ruhigen Ort, um mit mir selbst zu reden. Bei der nächstbesten Lichtung blieb ich stehen, schaute mich kurz um und richtete dann meinen Blick nach innen.

>Ignisaeri?<, fragte ich hart. Ich wusste, dass ich nicht den Drachen in mir rufen wollte, doch bislang hatte meine innere Stimme immer auf diesen Namen gehört. Inzwischen wusste ich jedoch, dass Ignisaeri lediglich der Name der Drachenwandler war und mein richtiger Name Elisabeth hieß. Ich konzentrierte mich fester, um nicht erneut in dem Fragenwirbel zu versinken.

>Ja?<, meine innere Stimme schien verunsichert, was es von meinen aufgewühlten Gefühlen halten sollte.

>Sind unsere Engelsflügel und das Feuer die Geschenke von Erzengel Michael?<

Meine innere Stimme schien noch verunsicherter zu sein.

>Am besten klärst du das mit Michael persönlich!<, gab sie mir schließlich zu verstehen und ich spürte, wie sie sich zurückziehen wollte. Also doch.

>Warte, wo finde ich Michael?<

>Er ist ein Teil von dir.<, hauchte die Stimme noch und verschwand dann. Ich stand da und konnte es nicht fassen. Ein Engel hatte mir Flügel und Feuer gegeben, damit ich für Gerechtigkeit sorgen sollte? Aber warum ich?

>Weil du eine der wenigen bist, die das zustande bekommen!< Eine tiefe, melodische Stimme erfüllte meinen Geist und obwohl ich sie noch nie gehört hatte, wusste ich gleich, wer es war: Michael.

>Hallo, meine Tochter. es ist schön, dich einmal persönlich zu sprechen.<

>Also ist alles wahr?<, fragte ich. >Meine Mutter ist Königin Freia und hat einen Tropfen Blut von dir bekommen, damit sie mich zeugen konnte?<

>Ja. Deine Mutter war sehr verzweifelt gewesen. Deine Schwester war immer anders als die anderen und deine Mutter fürchtete sich beinahe manchmal vor dieser Sonderbarkeit. Du musst wissen, deine Mutter war ein normaler Mensch. Für sie war es schon schwer genug, damit klarzukommen, dass ihr Mann ein Ignisaeri ist. Außerdem hoffte sie, ihr Erbe durch eine weitere Tochter verstärken zu können. Da sie mich und meinen Bruder Gabriel während ihrer schweren Zeit immer um Beistand anflehte und stets die Gerechte war, gestattete ich ihr schließlich diesen Wunsch.<

>Aber warum sind meine Flügel schwarz? Heißt das, ich hätte gar nicht am Leben sein dürfen oder bin sogar eine Abgesandte von Luzifer persönlich?<

>Nein, das heißt es nicht. Elisabeth, du musst verstehen. Egal wie sehr du mit deinem Inneren Feuer und deinen schwarzen Flügeln auch Luzifer ähnelst. Du darfst niemals seiner Macht nachgeben oder dich gar ihm zuwenden.<

Ich erinnerte mich an die Situation in der Burg.

>Zu diesem Zeitpunkt hast du es noch nicht geahnt. Aber je mehr du dich dem Teufel hingibst, umso mehr wird dir das Zerstören Spaßmachen und umso mehr wirst du verlieren. Du hast es in der Burg selbst erfahren. Aber zum Glück ist die Güte deiner Eltern schwer in dir verankert, sodass du zumindest noch einmal die Gerechtigkeit hast walten lassen und die Soldaten, die nur Befehle ausgeübt haben, mit dem Leben verschont hast. Bitte denke immer daran.<

Ich schluckte schwer, nickte dann aber.

>Weißt du von mein Vater und meine Schwester Elara sind?<, fragte ich Michael, um mich auf andere Gedanken zu bringen.

>Ja, und nein.<

>Hä?< Ich wusste, dass dies keineswegs sehr klug rüberkam, doch seine Antwort hatte mich eindeutig verwirrt.

>Ich werde nichts der Zukunft vorweggreifen und bitte dich daher, mich diesbezüglich auch nicht mehr zu fragen.< Ich seufzte. Das hatte ich schon beinahe erwartet, aber versuchen konnte man es ja immer noch.

>Ich muss gehen. Ich habe noch einiges zu erledigen. Deine Freunde werden dir beistehen. Leb wohl, Elisabeth, meine Tochter.<

Ich hatte noch Unmengen an Fragen, doch ich wusste, dass er sie mir jetzt noch nicht beantworten würde.

>Vielen Dank für die Antworten, Lebt wohl, Erzengel Michael.< Ich spürte, wie er die Verbindung löste und öffnete einen Moment später die Augen.

Am anderen Ende der Lichtung stand Jemin und starrte mich an. Offenbar war er nach unserem Gespräch noch einen Spaziergang machen gewesen und nun bei seiner Rückkehr auf mich gestoßen.

„Es ist alles wahr, Jemin.“ stellte ich leise klar. Ich wusste nicht, ob ich ihm damit diese Tatsache beibringen wollte oder mir.

„Erzengel Michael hat tatsächlich eine Tropfen seines Blutes dafür hergegeben, das ich leben kann. Meine Mutter war sehr verzweifelt gewesen, als sie zu ihm kam. Michael hat mir soeben alles bestätigt.“ Meine Stimme war immer leiser geworden, bis ich schließlich flüsterte, aber da Jemin langsam auf mich zukam, war ich mir sicher, dass er mich gehört hatte.

„Ihr habt Kontakt mit Michael?“, fragte er ungläubig.

„Du!“, verbesserte ich ihn automatisch. „Ja, durch sein Blut ist er ein Teil von mir, wie ich eben festgestellt habe.“

Jemins Augen wurden immer größer.

„Weiß er, wo der König ist?“

Ich nickte langsam. In seinen Augen konnte ich sehen, dass ich ihm vertrauen konnte. „Ja, aber er wird es mir nicht sagen. Er meinte, er will meiner Zukunft nicht vorweggreifen.“

Auf dem Gesicht des Leibwächters zeichnete sich Enttäuschung ab. Ich konnte ihn gut verstehen. Auch ich hätte den König, meinen Vater gerne einmal kennengelernt. Aber ich verstand auch Michael. Immerhin konnte ich nicht mehr frei entscheiden, wenn ich meine Zukunft kannte, die durch die Prophezeiung eh schon ziemlich vorherbestimmt war und mir stetig in Erinnerung rief, dass alles auf einen großen Kampf hinauslaufen würde.

„Darf ich es, den anderen sagen? Ich meine, dass Ihr Elisabeth, unsere verschwundene Prinzessin seid?“

Ich zögerte kurz. Eigentlich hatten sie ein Anrecht darauf, es zu erfahren. Aber die Gefahren für mich, würden dadurch nicht kleiner werden. Selbst, wenn wir nur ein Gerücht streuen würden, dass die verschwundene Prinzessin wieder aufgetaucht wäre, würde Atro sicher einige Hebel mehr in Bewegung setzen. Immerhin könnte sie ihn von seinem Thron verdrängen oder zumindest eine Armee gegen ihn anführen. Was sie, also ich, ja auch letzten Endes tuen würde.

„Wie vertrauensvoll sind deine Männer?“, fragte ich schließlich zögernd. Ich wollte Jemin nicht beleidigen, doch er schien meine Sorgen zu verstehen.

„Vielleicht, ist es wirklich besser, wenn wir diese Sache erst einmal für uns behalten.“, gab er schließlich widerstrebend zu.

„Der dunkle Schatten, als den Ihr bei eurer Befreiung vom Himmel gefallen seid? Was war das?“, fragte Jemin neugierig. Ich musterte den Leibwächter kurz.

„Michaels Erbe an mich.“, seufzte ich.

„Das heißt, ihr seid ebenfalls ein Engel?“, fragte er mich weiter.

Ich nickte. „Ein Engel mit schwarzen Flügeln.“

„Wie Luzifer.“, murmelte Jemin erschrocken.

„Nein, nicht wie Luzifer.“, verteidigte ich das, was Michael zu mir gesagt hatte. „Luzifer hatte stets Freud am Töten und Zerstören. Ich jedoch, hoffe eher für das Leben, die Gnade und den Frieden zu stehen. Meine Augen sind nach meiner Verwandlung golden und nicht rot. Und ich werde immer auf er Seite der Engel kämpfen.“ Auch dies war ein Geständnis an mich selbst, doch ich spürte, wie Michael, der unserem Gespräch gelauscht hatte, erfreut nickte.

„Michael wäre stolz auf euch!“, stellte der Leibwächter nach einer kurzen Musterung meinerseits zufrieden fest.

>Das ist er.<, schaltete sich Michael kurz in meinen Gedanken ein, ehe er sich wieder einem Gespräch mit Raphael widmete. ich lächelte.

„Danke.“, sagte ich zu Beiden.

„Gern. Komm, wir sollten zurück. Sicher macht sich schon das halbe Lager Sorgen, um unseren Verbleib.“

Das halbe Lager war es nicht, aber zumindest Fer schien sehr erleichtert zu sein, als er mich und Jemin wieder aus dem Wald treten sah. Gan warf mir einen wütenden Blick zu, offenbar verstimmt, dass ich ihn erneut nicht an mir hatte rumdoktern lassen.

>Ist alles in Ordnung bei dir, mein Schatz?<, fragte mich Fer besorgt. Ich nickte. Ja, nach dem Gespräch mit Michael und Jemin ging es mir eindeutig besser. Jetzt, wo sich die geheimnisvolle Wand um meine Herkunft endlich gehoben hatte und ich endlich wusste, warum ich so viele Gaben besaß.

>Ja, danke der Nachfrage. Wie lange waren wir weg?<, fragte ich nach einem Blick in die Runde, wo ich feststellen musste, dass schon die Hälfte unserer Karawane schlafen gegangen war.

>Du befandst dich eine halbe Stunde in einem Apathischen Schockzustand und warst danach zwei Stunden im Wald. So in etwa war Jemin auch verschwunden.<

Zwei Stunden? So lange war mir das gar nicht vorgekommen.

>Danke, dass du mir nicht gefolgt bist. Ich brauchte einfach mal einen Moment für mich.< Ich lächelte meinem Gefährten liebevoll zu und er konnte gar nicht anders, als zurückzulächeln.

>Schön, dass du wieder da bist. Dann können wir endlich schlafen. Immerhin erwartet und Morgen wieder ein anstrengender Ritt.< Ich stöhnte bei dem Gedanken daran.

>Du hättest dich ja schon schlafen legen können!<, stichelte ich ihn.

>Und mein kleines Wildkätzchen darf noch einfach so durch die Wälder streifen, während ich mich auf die faule Haut lege?<, ging Fer auf meinen Stichelversuch ein.

>Drache. Nicht Katze.<, legte ich sofort Protest ein. Statt einer Antwort kam Fer auf mich zu und zog mich an einer Hand zu der kleinen Kiefer, an der wir bereits vorhin geschlafen hatten.

>Hmmm.<, ging er schließlich doch auf meinen Protest ein, während ich mich an ihn kuschelte. >Na, gut. Dann schlaf mal schön, mein kleines Flämmchen.<

>Du auch, mein Urmensch.< Ich hörte Fer noch leise protestieren, dann ließ ich mich in die Traumwelt fallen.


Kapitel 30

Meine Träume waren wirr. Flammen und Engel tauchten darin auf und ein schreiendes Baby. Ich erwachte schweißgebadet und konnte mir gerade noch so einen Aufschrei verkneifen. Keuchend lag ich neben Fer, der die Augen weit aufgerissen hatte und besorgt auf mich herunterschaute. Ich zitterte am ganzen Körper.

„Schhhht“, machte Fer, um mich zu beruhigen. Ich schluchzte leise. Nur ein Traum, versuchte ich mich zu beruhigen. Das war nur ein Traum. Ich kniff die Augen zusammen und atmete tief durch, als Fer sich enger an mich schmiegte.

„Scht!“, machte mein Gefährte wieder und langsam beruhigte ich mich.

>Können wir kurz spazieren gehen?< , fragte ich stockend. Noch immer liefen mir Tränen über die Wangen. Die Wache, eine der Lilienkrieger schaute besorgt zu uns herüber. Fer nickte langsam und half mir hoch.

„Wir sind gleich wieder da.“, formte er zu der Wache mit den Lippen. Sie nickte verständnisvoll und warf mir nochmal einen besorgten Blick zu. Ich war jedoch noch viel zu sehr im Traum gefangen, als dass ich ihr mehr Bedeutung geschenkt hatte. Fer führte mich leise vom Lager weg. Seine Hand gab mir Kraft und es gelang mir mit jeden Schritt mich mehr von dem Traum zu lösen. Noch immer zitterte ich am ganzen Körper. Auf der Lichtung, an der ich bereits mir Michael gesprochen hatte, blieben wir stehen und ich ließ mich zu Boden sinken.

„Ich schaff das nicht, Fer!“, murmelte ich leise und wieder rannen mir warme Kristalle über meine kalten Wangen.

Fer ließ sich neben mich sinken. „Was meinst du?“

„Alles!“, jammerte ich und weinte stärker.

„Scht!“, machte mein Gefährte wieder und nahm mich fest in den Arm. Leise summend wiegte er mich hin und her, bis ich mich wieder beruhigt hatte.

„Du bist nicht allein!“

„Willst du mich überhaupt noch, jetzt wo sich herausstellt, dass ich eine der Töchter von König Borkil bin?“

„Also ist das jetzt klar?“, fragte mich Fer. Ich nickte nur traurig.

„Aber natürlich will ich dich noch!“ Fer küsst mich leicht auf die Stirn und zwang mich durch einen sanften Druck unterm Kinn ihn anzuschauen.

„Du bist immer noch dieselbe.“ Er machte eine kurze Pause. „Dieselbe, die damals in mein Leben gestolpert ist, wo ich nicht von dir wusste, außer deinem Spitznamen. Dieselbe, die mir den Rücken gestärkt hat, in der Zeit, von ich es am dringendsten brauchte. Und dieselbe, in die ich mich verliebt habe.“ Ich schaute ihn nur mit großen Augen an.

„Carrie. Für mich zählt nicht, wer oder was du bist oder wo du herkommst. Für mich zählen nur deine Gefühle für mich und die Taten, die du trotz deines jungen Alters schon alles vollbracht hast. Niemand erwartet von dir, dass du alles perfekt kannst. Niemand erwartet von dir, dass du die Prophezeiung sofort erfüllt oder genau weißt, wie du mit einem Schwert umzugehen hast. Selbst wenn du irgendwann einmal als Königin regieren solltest, wirst du niemals alleine sein. Ich bin immer für dich da. Und ich bin mir sicher, Gan, Ruber, Elena, Elias, Jemin und viele mehr, ebenfalls. Niemand macht dich für das verantwortlich, was vorgefallen ist. Der Krieg erfordert immer Opfer. Wichtig ist das, was du in Zukunft machst. Und ich bin mir sicher, egal welche Entscheidung du triffst, es wird die Richtige sein und ich werde stets dir an deiner Seite dienen, helfen und mich um dich kümmern, wenn du so wie jetzt nicht weiter weißt. Ohne dich, war mein Leben nicht vollkommen gewesen, doch nun ist es mehr als perfekt. Ich liebe es, wenn du mit meinem Kater Fange spielst und mich jedes Mal bis aufs äußerste reizt. Ich liebe unser kleines Dominanzspielchen, obwohl ich weiß, dass ich deinen Willen nie brechen kann und dass will ich auch gar nicht. Ich liebe es, mit dir in den Armen einzuschlafen und von deinem Gutenmorgengrummeln geweckt zu werden. Du magst dich nicht für perfekt halten, aber für mich bist du mehr als Perfekt und das reicht mir.“

Wieder liefen mir Tränen herunter. Dieses Mal vor Rührung.

„Das reicht mir vollkommen!“ Fer beugte sich runter und küsste mich auf den Mund, den ich nur zu gerne für ihn öffnete. Unsere Zungen tanzten umeinander und in meinem Magen breitete sich ein Glücksgefühl auf. Ohne, dass ich sie gerufen hätte, tauchten meine Engelsflügel auf, um mich und Fer in unserem seligen Glücksmoment zu schützen und den Moment aufzufangen. Wie eine dunkle Kuppel bogen sie sich um uns und so gab es in diesem Moment nur noch uns. Ich spürte, wie Fers Hände auf Abenteuersuche gingen, doch ich war mehr als bereit dafür.

„Bist du bereit für den letzten Schritt unserer Gefährtenverbindung, fragte Fer mich aufgeregt.

„Ja!“, hauchte ich atemlos. >Aber bitte sei vorsichtig.<, fügte ich in Gedanken hinzu, obwohl ich wusste, dass Fer vorsichtig sein würde. Selbst wenn ich erst in zwei Tagen Sechzehn werden würde, war mein Körper mehr als bereit für diese Art der Verbindung, dass wusste ich. Dennoch war es kompletten Neuland für mich.

>Das werde ich.< Der Druck in meinem Unterleib wurde immer stärker, je mehr mich Fer liebkoste und ich konnte mir ein Stöhnen nicht mehr verkneifen.

„Bitte erlöse mich!“, erflehte ich schließlich. Nur zu gerne kam Fer meinem Wunsch nach. Bei seinem Eindringen spürte ich den kurzen Schmerz meiner Jungfräulichkeit, doch es war viel zu angenehm, als das ich aufhören wollte. „Beiß mich!“, stöhnte ich. Ein kurzer Schmerz an meiner Kehle, dann durchfuhr mich ein gewaltiger Höhepunkt.

Meine Flügel entfalteten sich langsam und ich spürte die kalte Nachtluft auf meinem Gesicht. Noch immer keuchte ich heftig. Vorsichtig ließ ich mich auf dem Rücken neben Fer fallen und hoffte, dass meine Flügel das aushielten.

„Wow!“, murmelte Fer leise. Ich konnte ihm nur im Stillen zustimmen. Für mich gab es keine Worte dafür. Noch immer spürte ich den gewaltigen Gefühlssturm in meinem Inneren. Mein Verstand versuchte zu begreifen, was da eben vorgefallen war, doch es war unbeschreiblich. Durch das inzwischen undurchtrennbar dicke Band in meinem Inneren konnte ich spüren, dass es Fer nicht anders ging. Ich schob mein Hemd ein wenig nach unten und betrachtete das Mal. Wie mein Gefährte es prophezeit hatte erblühte die Rose nun und strahlte sogar noch ein wenig.

„Warum strahlt das Mal?“, fragte ich Fer gleichzeitig fasziniert und erschrocken.

„Weil die Verbindung noch so neu ist.“

>Und du außerdem Engelsblut in dir hast!<, schaltete sich Michael ein. Ich wurde rot, als mir bewusst wurde, dass er das alles gesehen haben musste.

Michael lachte leise. >Keine Sorge. So etwas sehe ich nicht zum ersten Mal.<

Na ja, denn. Wenn mein Engelsvater das so einfach nahm. Schön wär, wenn mein richtiger Vater das ebenfalls so sehen würde. Dennoch wurde ich noch röter, als ich ohnehin schon war.

„Wow.“, sagte Fer wieder und beobachtete mich mit strahlenden Augen. „Ich spüre einfach alles. Und du musst dich nicht schämen. Das ist vor allem bei uns im Rudel etwas völlig normales.“

Ich schüttelte den Kopf. Darüber wollte ich nicht reden. Dafür war ich noch nicht bereit.

„Wir sollten langsam zurück. Ein kurzer Spaziergang ist es sonst nämlich nicht mehr. Und du sagtest doch, dass wir morgen noch einen langen Ritt vor uns haben.“, erinnerte ich meinen Gefährten, um vom Gesprächsthema abzulenken, richtete meine Kleidung und stand mit zitternden Beinen auf.

>Nun, dann werde ich wohl auch wieder schlafen gehen. Gute Nacht, meine Tochter< Michael verschwand aus meinem Kopf und mit ihm zogen sich auch meine Flügel zurück.

„Schade.“, murmelte Fer, stand jedoch um einiges standhafter als ich auf und nahm meine Hand. Ich spürte, wie er mir innerlich Recht gab, doch er hätte sich noch ein wenig mehr Zeit mit mir zu zweit gewünscht. Ich ehrlich gesagt auch, obwohl das komplettes Neuland für mich war. Hand in Hand gingen wir zu dem Rastplatz zurück. Die Wache warf uns noch einmal einen langen Blick zu, doch ich lächelte ihr nur zu, als Zeichen, dass es mir besser ging. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich aussah. Ich war mir sicher, dass meine Wangen knallrot waren und meine Frisur mehr als zerzaust. Fast kam es mir sogar so vor, als würde man uns das ansehen, was wir gerade getrieben haben. Fer in meinem Kopf lachte leise auf.

>Kein Sorge, dieses Schamgefühl vergeht mit der Zeit.< Ich grummelte, ließ mich jedoch wieder neben ihn sinken und starrte in die Glut. Ich wusste, ich sollte schlafen, doch ich war noch viel zu aufgeregt.

>Carrie, würdest du das mal bitte lassen?< Fer schien ziemlich amüsiert zu sein. Ich schaute ihn fragend an, doch er deutete nur auf den Rauch, der von der Glut hochstieg. Unbewusst hatte ich in ihm Fers Gesicht nachgebildet, das nun sehnsuchtsvoll auf mich niederstarrte. Schnell meldete ich mit der Hand und der Rauch ging wieder seine gewohnten Bahnen. Die Wache schaute neugierig zu mir herüber, doch ich kuschelte mich nur enger an Fer. Sollte sie doch denken, was sie wollte. Wieder hörte ich Fer leise in meinem Geist lachen. Ihm schienen meine Gedanken sehr gut zu gefallen.

>Du solltest versuchen zu schlafen!<, murmelte Fer, bei dem jetzt eindeutig die Müdigkeit wieder zurückgekehrt war, denn er war kaum noch zu verstehen.

Ich nickte und konzentrierte mich auf Fers ruhigen Atem. Das half. Ich spürte, wie ich immer schläfriger wurde und schließlich versank ich wieder in meinen Träumen. Dieses Mal allerdings war Fer die Hauptperson.


Kapitel 31

„Guten Morgen, mein Schatz. Aufstehen. Wir müssen weiter, Flämmchen.“

Statt Fer eine Antwort zu geben, kuschelte ich mich noch fester an ihn. Der Traum war gerade so schön gewesen. Und so erregend.

„Oh, ja. Das war er.“, Fers Stimme hatte einen sehr rauen Tonfall angeschlagen, so als würde er am liebsten meine Träume umsetzen wollen.

„Was spricht denn dagegen?“ Ich riss die Augen auf.

„He, raus aus meinem Kopf.“ Ich schubste seine Hand weg, die gerade auf Wanderschaft gehen wollte und brachte schnell Abstand zwischen uns, ehe mein verräterischer Körper sich seiner Liebkosung noch hingab.

„Schade, dabei waren deine Gedanken gerade so – Erregend-“ Das Letzte Wort hauchte er lediglich in mein Ohr und unwillkürlich überfiel mich eine Gänsehaut. Auch er hatte sich aufgerappelt und stand jetzt genau hinter mir, sodass ich seinen Atem in meinem Nacken spüren konnte. Ich spürte, wie ich rot wurde. Ich schnappte nach Luft, als mir Fer einen Kuss auf den Nacken hauchte und kleine Blitze zuckten durch meinen Unterleib.

„Kommt ihr?“ Gans Ruf rettete mich glücklicherweise aus dieser doch recht peinlichen Situation. Ich nickte, denn ich traute meiner Stimme nicht. Ich war mir sicher, dass mein Gesicht in einem dunklen Scharlachrot leuchtete und somit an alle meine Mitmenschen verriet, was zwischen uns diese Nacht vorgefallen war. Ich löste mich von meinem Gefährten und stampfte auf mein Pferd zu, das bereits von den anderen bepackt worden war. Nox wieherte erfreut, als er mich sah, schnaubte jedoch, als ich näher trat. Ich war mir sicher, dass er Fer an mir riechen konnte. Auf dem Weg kam ich an Ruber vorbei, der mich kurz festhielt.

„Alles klar bei dir, Carrie?“ Im nächsten Moment schien auch er den Geruch an mir wahrzunehmen, denn er zwinkerte mir zu und rief über seinen Rücken ein „Gratulation zur Gefährtin!“, zu Fer.

Ich spürte, wie sich mein Gesicht, sofern das noch möglich war, noch röter verfärbte. Verdammte Gestaltwandler und ihre Geruchszellen. Fer lachte leise, als er meinen Gedanken auffing, verkniff sich netterweise jedoch ein Kommentar. Na warte, das würde ich ihm heimzahlen. Sofern es noch meine Würde zulief brachte ich die letzten Meter zu Nox mit fast schon arrogant hochgestreckten Kopf hinter mich, absichtlich mit den Hüften wackelnd. Mein Hengst beobachtete mich neugierig. Kurz glaubte ich sogar so etwas wie Amüsiertheit in seinen Augen blitzen zu sehen, doch hoffte, mich geirrt zu haben. Nachdem ich mich mehr oder weniger elegant in den Sattel geschwungen hatte, bemerkte ich die hochgezogene Augenbraue von Fer.

>Du brauchst gar nicht, so zu gucken. Du hättest gestern ja ruhig etwas vorsichtiger mit mir umgehen können.<

Es stimmte. Ich war total verspannt, meine Glieder schienen einen Marathonlauf hinter sich gebracht zu haben, so starken Muskelkater hatte ich und untenrum schien ich komplett wund zu sein, sodass ich schon bei dem leisesten Piksen der Pferdehaare zusammenzuckte. Fer, der mich beobachtete schien sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen zu können. Nein, so sah ein schlechtes Gewissen eindeutig nicht aus. Ich beschloss ihn zu ignorieren, was sich als sehr schwer herausstellte, in Anbetracht dessen, dass sein Geist, seine Gedanken und seine Gefühle dauerhaft präsent in meinem Kopf waren und er es nicht lassen konnte, dauernd daran zu denken, was er noch alles mit mir anstellen wollte. Verfluchte Gestaltwandler. Ich gab Nox, nachdem alle aufgestiegen waren hocherhobenen Hauptes die Spuren und versuchte so viel Abstand zwischen mir und Fer zu bringen, wie nur möglich. Ich spürte, wie die erotischen Träume von Fer langsam in Besorgnis übergingen.

>Bereust du es?<, fragte er, nun doch eindeutig ein schlechtes Gewissen habend. Ich überlegte ihn weiter zu ignorieren, ließ es dann aber mit einem schweren Seufzen bleiben.

>Ja… Nein… Ach ich weiß nicht.< Es war durchaus schön gewesen. Und eigentlich habe ich es auch gewollt. Aber jetzt, wo er mich mit seinen erotischen Träumen nervte, fand ich es nicht mehr so prickelnd.

>Und wenn ich an etwas anderes denken würde und wir es langsam angehen würden?<

Er schien sich wirklich Mühe zu geben, mit mir wieder ins Reine zu kommen. Wieder seufzte ich. Ich wusste, dass ich nicht lange standhalten würde, wenn er weiterhin so ein schlechtes Gewissen hatte. Dafür hatte ich ein viel zu gutes Herz und ein zu überempfindliches Empathieempfinden. Dass wir jetzt auch noch miteinander verbunden waren, machte es auch nicht leichter.

>Vielleicht würde es das Ganze etwas einfacher machen.<, gab ich schließlich wiederstrebend zu. Ich spürte Bedauern um die erotischen Träume, doch Fer nach Rücksicht auf meinen Wunsch und dachte sofort an etwas anderes, wofür ich ihm sehr dankbar war. Ich war einfach noch nicht soweit. Immerhin wurde ich Morgen gerade erst Sechzehn.

„Du hast Morgen Geburtstag?“, keuchte es hinter mir. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass mich Fer bereits wieder eingeholt hatte und er auch noch in meinen Gedanken gestöbert hatte. Ruber, der dich Ohren gespitzt hatte, schaute neugierig zu uns herüber.

„Ja.“, antwortete ich knapp, fügte in Gedanken aber noch ein. >Na und?<

Geburtstage waren noch nie mein Fall gewesen. Okay, dass stimmte nicht. Sie waren nicht mehr mein Fall gewesen, seit wir nach Russland gezogen waren. Das lag allerdings weniger am Ort, als an der Stimmung zuhause. Lak hatte mir zwar immer einen Kuchen gebacken, doch meistens hatte ich meinen Geburtstag auf irgendeinem Baum im Wald verbracht, um der Stimmung zuhause zu entfliehen. Selbst die einzige Freundin, die ich hier gefunden hatte, hatte die letzten beiden Jahre keine Zeit gehabt, sodass meine Geburtstage immer ziemlich einsam waren. Damals, als mein Vater noch da war, war ich immer seine kleine Königin gewesen. Wir waren im Kletterpark gewesen, im Zoo oder hatten einmal an meinem Geburtstag diesen Survival-Kurs gemacht. Er war immer mein Fels in der Brandung gewesen. Und nun sollte er tot sein. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen, doch ich hielt sie zurück. Was sollten denn die anderen denken.

>Du vermisst ihn sehr, oder Kleines?< Fer ritt nun direkt neben mir. Ich nickte nur und konnte nicht verhindern, dass sich eine Träne aus meinem Augenwinkel schlich. Ich spürte, dass mich Fer am Liebsten in den Arm genommen hätte, doch das war hier nicht möglich. Dennoch war ich dankbar, dass er das für mich machen wollte. Bei ihm fühlte ich mich sicher. Und selbst, wenn mein Vater immer einen Platz in meinem Herzen hatte, Fer hatte nahezu mein gesamtes Herz gewonnen. Denn er war für mich alles geworden. Mein Freund, Verbündeter, Bruder, Liebhaber oder einfach nur der beste Gefährte, den man sich vorstellen konnte. Ich blinzelte den Tränenschleier so gut es ging weg und lächelte Fer liebevoll an. Er erwiderte mein Lächeln ebenso liebevoll und für einen Moment vergaß ich alles um mich herum. Es gab nur noch ihn und mich.

„Was wünscht du dir denn?“ Dieses Mal war es Ruber, der unsere traute Szene störte. Schnell wischte ich mir die bereits angetrockneten Tränen auf meinen Wangen weg und wandte mich zu ihm.

„Ich brauche keine Geschenke.“, murmelte ich rasch.

Ich hörte, wie Fer starr wurde. Ich fragte mich, ob dies seine Reaktion auf meine Antwort wäre, doch dann spürte ich die Gegenwart von Michael. Doch anstatt mit mir, schien er über unser Gefährtenband mit Fer zu reden. Ich sah, wie sich Fers Augen weiteten, dann lächelte er plötzlich. Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse. Ich möchte keine Geheimnisse.

>He, würdet ihr Beiden das bitte lassen!<, vermittelte ich Fer über unser Band, doch ich wusste, dass mich beide hörte. Statt einer Antwort zog sich Erzengel Michael wieder zurück.

>Entschuldige, mein Flämmchen, das musste jetzt sein.< Ich knurrte.

„Und worüber habt ihr gesprochen?“, murrte ich.

Fer lachte. „Das wirst du noch früh genug erfahren, Kleines.“ Er zwinkerte Ruber zu. Wieder knurrte ich.

„Pass bloß auf oder ich zeige dir, wozu mein Drache alles fähig ist!“, drohte ich ihm leise.

„Du musst mir nicht die Krallen zeigen, damit ich weiß, dass du mich unwiderstehlich findest. Obwohl ich das durchaus anregend finde.“, erwiderte mein Gefährte lächelnd. Ruber gab ein Geräusch von sich, das sich nach einem unterdrückten Lachen anhörte. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu.

„Verbrenn dir bloß nicht die Finger an mir. Das ist durchaus möglich, wenn kleine Kinder mit dem Feuer spielen.“ Dieses Mal konnte sich Ruber einfach das Lachen nicht mehr verkneifen. Er prustete los und zog damit sich einige Blicke der Anderen auf sich, doch das schien ihn nicht zu stören. Dieses Mal war es Fer, der ihm einen finsteren Blick zuwarf, wobei er sofort verstummte. Ich grinste hämisch.

>Gestern Nacht warst du nicht so widerspenstig. Obwohl ich diese Seite an dir wie gesagt sehr erotisch finde.< Ich würde rot und mein Grinsen verschwand. Fer lache leise, als er meine Scham spürte, doch ich wendete nur stur den Blick nach vorne.

Plötzlich riss ein Geräusch mich aus meinen Gedanken.

>Hörst du das?<, fragte ich Fer, doch er hatte bereits die Karawane angehalten und bedeutet mit einem Fingerzeig allen, leise zu sein. Ich spähte durch die Schatten der Bäume und rief zur besseren Sicht Ignisaeri in mir auf. Ich wusste, dass meine Augen nun in einem flüssigen Gold getaucht waren und auch leicht leuchteten, doch es war mir egal. Meine Ohren lauschten angestrengter und ich vernahm leise Tatzenabdrücke, die sich rasch näherten. Meine Hand fuhr zu meinem Dolch und ich hangelte mich über Nox Rücken auf den nächsten Baum, um im Notfall von oben anzugreifen. Noch immer spähten meine Augen durch die Dunkelheit und ich wusste, dass mein Gefährte es ebenso machte. Nox schnaubte und ich beruhigte ihn rasch in Gedanken. Er warnte mich noch vor einem nähernden Tiger. Ich gab Elias ein Zeichen, dass er den Wind zu und wehen lassen sollte. Erst als der Geruch Fers Nase erreichte entspannte er sich leicht.

„Fil!“, hauchte er. Auch ich entspannte mich. Doch dann hörte ich ein Kreischen eines Trinas. Oder auf Fers Fluchen zu achten, sprang ich vom Baum, rollte mich ab und rannte in den Wald immer den Geräuschen nach, die an meine empfindlichen Ohren drangen. Ein Fauchen zeigte mir, dass der Verfolger aufgeholt haben müsste und ich beeilte mich, schneller zu laufen. Endlich erreichte ich ein etwas lichteres Waldgebiet, auf dem Fil lag. Blut verkrustete ihr Fell, ein Speer steckte in ihrer Flanke und sie versuchte sich mühevoll aufzurappeln.

>Bleib liegen!<, vermittelte ich ihr über den Rudelkanal. Obwohl ich meine Gestalt nicht verändert hatte, konnte ich durch Ignisaeri sie gedanklich erreichen. Sie erstarrte und suchte die Büsche nach mir ab, doch ich hatte bereits den nächstbesten Baum erklommen und stürzte mich so, von oben, auf den Palinas, der noch immer auf dem Trinas saß und hämisch grinste. Meine Klinge verfehlte sein Herz knapp und wir kullerten von dem Reittier. Fauchend sprach der Palinas wieder auf, bereit sich auf mich zu stürzen. Das Trinas schnappte nach mir und verfehlte meinen Arm nur knapp, als ich zur Seite auswich. Im selben Moment stürzte sich der Palinas auf mich und versucht mich mit dem Dolch, der er einfach auf seiner Brust gezogen hatte, zu treffen, doch durch Ignisaeri war ich wendiger. Er machte einen Schritt auf mich zu. Ich rief mein Feuer und ließ ein Schwert aus Flammen entstehen. Im selben Moment, in dem der Palinas versuchte, mich mit dem Dolch zu treffen, durchstieß ich mit meinem Flammenschwert sein Herz, das daraufhin in Flammen aufging. Mein Dolch verfehlte nur knapp meine Seite und fiel dann aus den Händen des Palinas, der in Asche aufging. derartig durch meinen Gegner abgelenkt, sah ich den Angriff des Trinas zu spät. Nur mit Mühe konnte ich mir einen Aufschrei verkneifen, als die messerscharfen Zähne des Trinas in meine Schulter fuhren. Durch meinen Ausfallschritt zur Seite riss der Trinas mir zwar ein Stück Fleisch aus meiner Schulter, doch immer war ich frei. Noch ehe ich mich soweit fangen konnte, dass mein Flammenschwert das Reittier eingreifen konnte, segelte bereits der Kopf des Trinas an mir vorbei, sauber durch einen Schwerthieb getrennt. Während der restliche Körper des Tieres leblos zusammensackte, sah ich an seiner Stelle ein Gesicht, dass mir sehr vertraut war. Sobald ich meine Stimme wiedergefunden hatte, keuchte ich: „Lak, was machst du denn hier?“


Kapitel 32

„Carrie?“, fragte mein Bruder, nicht weniger ungläubig. Ich dankte den Flammen und ließ mein Schwert verschwinden, um auf ihn zuzugehen.

„Ja.“, hauchte ich und ließ mich von ihm in eine herzhafte Umarmung ziehen. Ein Knacken riss mich aus meinen Gedanken. Am Rande des Hains waren einige Gestalten aufgetaucht. Lak, Jemin und Gan der leicht keuchte. Offenbar hatten mein Gefährte und der Leibwächter meines richtigen Vaters ein ziemliches Tempo vorgelegt, um so schnell wie möglich mich zu erreichen. Die Hand meines Bruders fuhr zu seinem Schwert, als er die Ankömmlinge bemerkte, doch ich legte nur meine Hand auf seine, wobei ich Fer eifersüchtig knurren hörte. Apropos Fer.

>Deine Cousine ist verletzt. Ich hatte noch keine Zeit mich um sie zu kümmern.< Fer nickte, wandte jedoch nicht seinen Blick von Lak ab, der ihn skeptisch musterte. Ich seufzte.

„Lak, das ist mein Gefährte Fer. Fer, das ist mein Bruder Lak.“ Immer noch ziemlich skeptisch gaben die Männer sich die Hand und schienen sogar einen kleinen Kampf im Händedruck veranstalten zu wollen. Ich schüttelte nur den Kopf und ging zu Gan, der sich neben Fil niedergekniet hatte.

„Kannst du ihr helfen?“ Ich hatte wirklich Angst um das Betatier, denn ihre Augen waren schon fast gläsern und der Blick erschien leer zu sein- Nur das leichte Heben und Senken ihres Brustkorbes deuteten darauf hin, dass sie noch am Leben war. Gan zögerte.

„Der Speer war vermutlich vergiftet gewesen. Die Wunde kann ich schon heilen, aber welche Nebenwirkungen das Gift hat, kann ich noch nicht sagen.“ Ich nickte zögernd. Ich sah, wie Fer kurz besorgt zu uns herüberschaute.

„Tu, was du kannst.“, gab ich Gan den Befehl, nun wieder als Alphaweibchen und ging hinüber zu Fer, der geknickt neben meinem Bruder stand.

„He!“, murmelte ich und zog ihn in meine Arme. „Sie wird schon wieder.“

Lak hob eine Augenbraue, doch ich signalisierte ihm nur mit einem leichten Kopfschütteln still zu sein. Er nickte verständnisvoll. Ich konnte spüren, dass er sich über meine Wandlung wunderte. Immerhin war ich nicht mehr die verlorene Seele mit dem leeren Blick, die er zuletzt gesehen und durch seine Lügen verteidigt hatte. Aber der Krieg und wir hatten definitiv Kriegszeiten veränderte uns eben alle. Ein Schmerzensschrei riss mich aus den Gedanken. Gan hatte den Speer herausgezogen und hatte nun Mühe die herumrollende Fil zu halten. Jemin war ihm zur Hilfe geeilt, doch er war eben nur ein Mensch.

„Komm!“, befahl ich meiner Familie und zog sie zu dem verletzten Tigerweibchen, damit sie mir halfen, sie festzuhalten. Ich spürte, dass Fer Angst hatte, ihr wehzutun, doch ich fauchte nur. „Fer, so hilfst du ihr nicht!“ Er sah mich aus leeren Augen an, doch ich hatte jetzt keine Zeit ihn zu trösten, denn Fil wehrte sich nun stärker. Zum Glück kam in diesem Moment Ruber, verdrängte auf meinen Befehl hin Fer von seiner Cousine und half uns sie festzuhalten, sodass Gan endlich seinen Heilzauber wirken konnte. Keuchend lehnten wir uns zurück, als die Wunde endlich geschlossen war. Wieder schrie Fil einen Schmerzensschrei aus und verwandelte sich zurück in einen Menschen, wobei ihr Geschrei noch lauter wurde.

„Sie ist eine-“, begann Lak erschrocken, doch ich warf ihm nur einen Blick zu. „Ja, na und!“

Lak musterte mich schockiert und blieb schließlich mit seinem Blick an meiner Schulter hängen. Ich hatte ganz die Wunde vergessen, die mir der Trinas gerissen hatte, doch nach Laks Blick zu urteilen, musste der Stoff inzwischen Blutgedrängt sein. Gan würde nicht begeistert sein.

„Carrie, du bist ja-“, begann er, doch ich schüttelte rasch den Kopf. Zu spät. Sowohl Fer als auch Gan hoben den Kopf und schauten mich an.

„Du kannst es nicht lassen, oder?“, fauchte Gan und hatte zum ersten Mal Ähnlichkeit mit den Gestaltwandlern, mit denen er sich in letzter Zeit umgeben hatte. Ich grummelte nur, während sich Gan immer noch keuchend neben mich kniete, um meine Wunde zu heilen.

„Lass!“, wehrte ich ab. „Spar dir lieber deine Kräfte. Ich kann mich selber heilen!“ Seufzend rief ich meine Flammen und ließ sie meine Wunde heilen. Ich spürte die Erschöpfung von meinem Kampf und dem Einsatz meiner Kräfte, doch ich würde meinen Stolz nicht verlieren und dass zugeben. Fasziniert beobachteten Jemin und Lak meine Flammen und ich erinnerte mich daran, dass sie ja noch gar keine Ahnung davon hatten. Na ja, zu spät.

>Dickkopf<, murmelte mein Gefährte in meinem Kopf. Meine Verletzung schien ihn aus seiner Starre gezogen zu haben. >Dann nimm wenigstens ein wenig von meinem Blut!<

Er hielt mir seinen Arm hin und ich wusste, er konnte deutlich meine Schwäche spüren. Ich seufzte, biss dann jedoch in sein Handgelenk und saugte seinen süßen Nektar, der mir sofort Kraft und ein Pulsieren in meinem Unterleib einbrachte.

„Gefährte.“, murmelte Lak leise und starrte mich an. Ich glaube, ich muss ihm noch viel erklären.

„Ja, die komplette Verbindung.“, erklärte Fer stolz. Mein Gesicht färbte sich rot und ich knuffte ihn in die Seite.

Gan sah uns überrascht an. Ich war mir sicher, dass er sich fragte, wann wir den letzten Schritt vollzogen hatten.

„Wir sollten zurück!“ Jemins Einwurf war durchaus gerechtfertigt, doch ich fragte mich, wie wir Fil zu den anderen transportieren wollten.

„Ruber, suche uns zwei stabile Äste, etwa anderthalb Meter lang, gerade und gleichdick.“, befahl Fer, um meine unausgesprochene Frage zu beantworten.

„Ja, Alpha!“ Ruber beeilte sich dem Befehl von meinem Gefährten nachzukommen und kam bereits nach wenigen Minuten mit dem Gewünschten zurück. Ich fragte mich, wie es dies so schnell finden konnte, doch auf meinen fragenden Blick, zwinkerte mir der Tiger nur zu. Fer knotete seins und Rubers Hemd an die Äste und ich genoss den Anblick auf Fers nackten Oberkörper, ehe wir Fil, die inzwischen das Bewusstsein verloren hatte, worüber ich wirklich froh war, auf die behelfsmäßige Träge hievten. Jeweils ein Ende nahmen sich Ruber, Fer, Jemin und Lak auf die Schulter, während Gan und ich nebenhergingen und aufpassten, dass das Betatier nicht herunterfiel. Der Weg zurück dauerte wesentlich länger, als die Hintour und ich fragte mich im Stillen, wie lange ich wohl gelaufen war.

Ich konnte die innere Gefühlswelt von Fer schwanken sehen, doch ich war viel zu sehr mit meinen eigenen Gefühlen beschäftigt, als dass ich ihr mehr Bedeutung schenken konnte. Was hatte Lak hier gemacht? Ich hatte ihn seit Monaten gesehen. Wie es ihm wohl ergangen war? Ob er wusste, was mit meinen Zieheltern passiert war? Ob er die Wahrheit um meine Vergangenheit kannte? Was dachten er und Jemin jetzt, wo sie meine Flammen gesehen hatten? Was dachte mein Bruder wohl in dem Moment, wo er mich auf dem Hain fand, in einen Kampf mit einen Palinas und einem Trinas vertieft? Was er wohl für ein Wesen war? Was war mit Fil? Würde sie wieder gesund werden? Ob es Veränderungen durch das Gift geben würde? Ich hoffte ja nicht. Immerhin war Fer vorhin nicht mehr ansprechbar gewesen und völlig Apathisch, als er seine Cousine wie tot liegen gesehen hatte. Mein Fer. Vielleicht war ich doch etwas zu streng mit meinem Gefährten.

>Fer, Liebling?<, versuchte ich ihn gedanklich zu erreichen. Mit leeren Augen schaute er mich von der Seite an.

>Das wird schon wieder. Mach dir mal keine Sorgen. Wir unterstützen dich und Fil alle, vergiss das niemals< Er nickte, immer noch mit Tränen in den Augen.

>Ich habe Angst, Carrie<, gab er zu. Ich nickte und vermittelte ihm ein tröstendes Gefühl.

>Ich weiß, mein Schatz. Ich weiß.<

Ich sendete ihm eine Bild, wo ich ihn in den Armen wiegte und leise sang, so wie er mit mir in der letzten Nacht.

>Aber du musst jetzt stark sein, mein Tiger. Für mich. Für Fil und für das Rudel.<

Das Rudel. Der Teil von Fil war der letzte Rest von Fers einst stolzem vierzigköpfigen Rudel gewesen. Wo die anderen Tiere jetzt wohl waren? Gab es das Rudel überhaupt noch? Ich hörte, wie Fer leise die Nase hochzog und schalte mich für meine Gedanken, die meine Gefährte gehört hatte.

>Ich bin mir sicher, den anderen geht es gut. Fil wird sicher den Trinas weggelockt haben, um den Rest des Rudels zu schützen.<, sagte ich mit großer Selbstsicherheit in der Stimme, obwohl ich mir gar nicht so sicher war. Es blieb nur eine Möglichkeit das Herauszufinden.

„Carrie, was hast du vor?“, fragte Fer unsicher. Die Anderen starrten mich fragend an, doch ich hatte mich bereits entschieden.

„Es tut mir leid, ich muss mich erkundigen, wie es unserem Rudel geht. Bringt Fil zu den Anderen. Ich mache mal kurz noch einen Ausflug und komme später.“ Mit diesen Worten rannte ich in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren, ohne weiter auf die Rufe meiner Freunde und Familie zu hören. Ich war mir sicher, dass Fer mir später eine ganz schöne Standpauke halten würde, da ich schon wieder ohne seine Einwilligung verschwunden war, doch für mich zählte gerade nur das Rudel. Die letzte Möglichkeit, um Fer noch Hoffnung zu machen.

An der nächsten Lichtung rief ich meine Engelsflügel und war nach wenigen Schritten bereits in der Luft. Immer besser beherrschte ich meine Flügel. Ich flog so hoch, dass ich für normale Augen als Adler gehalten wurde. Daher hatte ich mich gegen Ignisaeri entschieden. Ich spürte, dass Michael über mich wachte und ich war ihm dankbar dafür. Ich wusste: Sollte mir etwas passieren, würde er über das Band mit Fer reden und meinen Standort verraten. Trotz Engelsgestalt ließ ich mir von Ignisaeri die Augen geben, sodass ich trotz Höhe den Wald genauer Mustern konnte. Ich flog erst in Richtung Norden, bis mich ein Schatten auf dem Boden nach Westen abschwenken ließ. Ja, da war eindeutig ein Panther gewesen. Ich legte meine Flügel an und schoss wie ein Adler in Richtung Boden. Immer schneller wurde ich, bildete auf den letzten Metern meine Flügel zurück, da die Landestelle zu dicht bewachsen war und rollte mich ab. Ich spürte, dass mein Körper bei dem Aufprall protestierte und wie die Luft aus meinem Körper gepresst wurde, doch ich rollte mich einfach weiter, bis der Schwung abgeklungen war und ich aufspringen konnte.

>Nicht sehr elegant!<, hörte ich Erzengel Michael meinen Sturz kommentieren, doch ich ignorierte ihn. Ich sah mich um, die Ohren noch immer gespitzt. Ein Rascheln in der Nähe verriet mir die Richtung, in der der Panther verschwunden sein musste.

„Warte!“, rief ich, die volle Autorität des Alphas in mir. Ich konnte förmlich spüren, wie der Panther stolperte.

„Komm wieder her.“ Ich spürte, wie der Panther sich meiner Autorität widersetzen wollte und verstärkte die Autorität in meiner Stimme, bis der Panther schließlich vor mir stand.

„Verwandle dich!“, verlangte ich. Meine Ohren waren noch immer auf jedes Geräusch gespannt und so bemerkte ich auch das Knacken hinter mir, doch ich ließ mir nichts anmerken.

„Bitte!“, fügte ich schließlich seufzend hinzu, da ich bin auf ein Knurren keine Antwort hatte.

Im nächsten Moment sprang mich von hinten ein weißer Löwe an und versuchte an meine Kehle zu gelangen. Ich fauchte und meine Augen leuchtenden Golden, als Ignisaeri nach draußen gelangen wollte.

Verwundert ließ der Löwe von mir ab, verschwand kurz im Gebüsch und schließlich stand ein etwa zwanzigjähriger, weißblonder junger Mann vor.

„Wer seid Ihr?“, fragte er mich barsch. Auch bei ihm konnte ich den dominanten Tonfall heraushören, doch da ich ebenfalls Alphatier war, machte es mir nichts aus.

„Ich könnte dich dasselbe fragen!“, erwiderte ich wütend. „Warum greifst du mich an?“ Ich war es leid, dass immer dieses ganze Ihr und Euch in dieser Welt verwendet wurde und mir war es ziemlich egal, ob das respektlos war. Der Mann knurrte und kurz blitzte ein wütender Ausdruck durch sein Gesicht, doch nach außen hin blieb er ruhig.

„Ich habe zuerst gefragt!“, beharrte er. Da hatte er allerdings Recht. Und da ich nicht auf einen Kampf, mit einem anderen Rudel aus war, wo ich sicher nur in ihr Territorium eingedrungen war, seufzte ich nur und beschloss zu antworten.

„Ich bin die Gefährtin von Fer Tigris und damit auch das Alphaweibchen von seinem Rudel. Ich bin auf der Suche nach einigen Rudelmitgliedern, die zusammen mit Fers Cousine Fil unterwegs waren. Da ich Fil in einem Kampf mit einem Trinas und einem Palinas vorfand, habe ich mir Sorgen gemacht, dass dem Rudel etwas zugestoßen sein konnte, da wir bereits mehrere Male angegriffen worden waren, unter anderem von einem Schatten.“ Ich sah, wie es dem weißen Löwen fröstelte.

„Ich kenne Fer Tigris. Und ich muss zugeben, ihr riecht deutlich nach ihm. Also habt ihr eure Gefährtenbindung sogar beendet.“ Er schnuppert leicht und ich spürte, dass ich wieder rot wurde. Verfluchte Katzennasen.

„Mein Name ist Leon. Ich bin Alphatier des Nördlichen Rudels.“, stellte er sich vor, ohne auf meinen Gesichtsausdruck weiter einzugehen. „Fil war tatsächlich hier gewesen, zumindest, bis wir von einer Gruppe Palinas überrascht wurden. Wir konnten sie soweit beseitigen, bis auf das letzte Pärchen, dass Fil in den Wald gelockt hatte, weg von unserem Nachwuchs, der durch ihre Anwesenheit bedroht wurde. Ihr restliches Rudel ist bis zu ihrer Rückkehr erst einmal bei uns untergekommen.“ Ich atmete erleichtert auf.

„Sagt, wie geht es Fil Tigris?“ Kurz glaubte ich eine leichte Röte in seinem Gesicht zu sicher. Hatte er etwas größeres Interesse an Fil?

„Leider habe ich diesbezüglich keine guten Nachrichten. Wir konnten die Feinde zwar vernichten, doch Fil wurde durch einen vergifteten Speer in der Flanke getroffen. Da wir einen Heiler in unseren Reihen haben, ist die Wunde geschlossen, aber welche Auswirkung das Gift noch haben wird, kann ich noch nicht sagen. Als ich losgezogen bin, um das Rudel zu suchen, war sie gerade ohne Bewusstsein.“

Leon ließ seinen Kopf hängen. „Das betrübt mich zu hören. Ich hoffe, es wird ihr bald besser gehen.“

Ich legte ihm aufmunternd die Hand auf die Schulter.

„Das wird schon wieder.“ Im nächsten Moment kam mir ein ganz anderer Gedanke.

„Apropos Fil. Sie war mit einem Auftrag unterwegs gewesen, hat sie ihn euch übermittelt?“, fragte ich angespannt. Leon hob den Kopf.

„Ja, wir werden kämpfen. Der Krieg ist schon viel zu lange und allein der letzte Kampf mit den Palinas hat uns gezeigt, dass es keine Grenzen gibt.“

Er schaute mich nachdenklich an.

„Als Gefährtin von Fer nehme ich an, dass ihr mit uns kämpft?“ Ich schnaubte verächtlich. Da das mein Kampf war, würde ich definitiv kämpfen müssen.

„Natürlich. Ich werde vermutlich sogar alle anführen müssen.“ Fast schon kam meine Nachricht verbittert heraus. Ich wollte keinen Krieg.

„Ihr seid auch ein Gestaltwandler, oder?“, fragte Leon weiter. Ich erstarrte innerlich und überlegte, ob ich ihm trauen konnte. Ein musternder Blick traf ihn, ehe ich mich entschloss die Wahrheit zu sagen.

„Ja, allerdings nicht Katzen-oder Hundeähnliches.“ Nun starte mich Leon neugierig an, doch ich würde ihn nicht weiter aufklären, noch nicht. Aber vielleicht-

„Ich bin das gleiche, wie mein Vater.“, traute ich mich schließlich zu sagen und beschloss dann das Thema zu wechseln.

„Kann ich die restlichen Mitglieder unseres Rudels sehen?“ Der weiße Löwe nickte.

„Natürlich, Alpha -?“ Wieder erstarrte ich. Er wollte meinen Namen wissen. Welchen sollte ich wählen? Den Namen, den meine Eltern mir gegeben hatten oder den Namen meiner Zieheltern, um mein Leben zu schützen.

„Vielen Dank!“, antwortete ich, ohne auf seine Frage einzugehen, da ich mich bin zum Schluss nicht hatte entscheiden können. Er schien ziemlich verwundert, ließ es dabei jedoch bleiben. Ich folgte Leon, der wieder nördlicher lief, bis wir schließlich zu einer kleinen Baumhaussiedlung kamen. Ich sah ihn fragend an. Gab es denn nur Katzenähnliche Gestaltwandler in seinem Rudel?

>Alpha Carrie!<, hörte ich plötzlich einen geistigen Ruf. Ich schaute auf. Ein Luchs sprang leichtfüßig einen Baum herunter und rannte schließlich auf mich zu, um ehrfurchtsvoll den Kopf zu senken. Ich erwiderte die Geste mit einem respektvollen Nicken.

>Mein Name ist Lynca. Ich war unter Beta Fil auf der Suche nach Hilfe.< Ich nickte.

>Das Wolfsrudel des Westens ist informiert und soweit ich mitbekommen habe, wir Alpha Leon mit seinem nördlichen Rudel ebenfalls mit uns kämpfen.<

„Danke, Lynca.“ Das Alphatier des nördlichen Rudels schaute neugierig zwischen uns beiden hin und her.

>Wie geht es Beta Fil?<

Ein trauriger Ausdruck huschte über mein Gesicht, als ich an den leeren Blick von Fer dachte.

>Sie ist leider vergiftet worden. Doch sie ist stark. Sie wird Das überleben.<, versuchte ich sie gedanklich zu trösten.

Lynca sah traurig zu Boden.

>Sie hat zehn Junge gerettet mit ihrer Heldentat. Vielleicht solltet Ihr das noch wissen.<, erstattete sie mir Bericht und lief dann mit hängenden Kopf zurück zu dem Baum, in deren Krone sie ebenso schnell verschwand, wie sie herkommen war.

„Was hat sie gesagt?“, wollte Leon wissen.

>CARRIE?<, Fers geistiger Ruf erreichte mich so stark, dass ich leicht schwankte und mich Leon besorgt musterte.

>Man Fer, du hast mich beinahe von den Füßen gerissen.<, beschwerte ich mich.

>Wo bist du?<, fragte mein Gefährte dieses Mal, um einiges vorsichtiger.

>Ich bin bei Alpha Leon und seinem Nördlichen Rudel. Der Rest unseres Rudels ist ebenfalls hier. Sie sind von einer Gruppe Palinas angegriffen worden, konnten bis auf das Pärchen in dem Hain jedoch alle besiegen. Fil hat die beiden weggelockt und damit zehn Junge gerettet.<, erstattete ich ihm rasch die Zusammenfassung.

>Das nördliche Rudel und das Wolfrudel des Westens wird mit uns kämpfen. Den restlichen Rudelmitgliedern geht es soweit ich weiß gut. Ich komme, sobald ich kann zurück. Wie geht es Fil?<

>Sie ist kurzzeitig erwacht und schläft jetzt. Gan glaubt, sie ist über den Berg. Allerdings kann sie soweit wir das derzeit wissen keine Jungen mehr zeugen.< Wieder schlich sich ein trauriger Unterton in seine Stimme.

>Aber immerhin lebt sie!<, versuchte ich ihn zu trösten und löste dann die Verbindung, als ich den fragenden Blick von Leon bemerkte.

„Fil geht es besser. Sie wird durchkommen.“, übermittelte ich ihm Fers Nachricht. Ein hoffnungsvoller Gesichtsausdruck schlich sich auf sein Gesicht und ich konnte mir ein „Du magst sie sehr, oder?“, nicht verkneifen.

Wieder schlich sich ein leichter Rotton unter seine Hat, doch er nickte.

„Sie ist sehr mutig für ihr Alter. Und-“ Es schien ihm unangenehm zu sein, weiteres preiszugeben, doch ich drängte ihn nicht.

„Weiß sie das?“, fragte ich einfach weiter. Ich hatte kein Problem damit. Vielleicht würde dass unser Rudel ja vergrößern. Aber mit Fer würde ich da sicher noch so einige Diskussionen führen müssen.

>WAS, du willst meine Cousine mit Leon vom nördlichen Rudel verkuppeln?!< Upps. Tja, das kommt davon, wenn man alle Gedanken und Gefühle mit dem Gefährten teilt.

>Was spricht denn dagegen?< Ich konnte einen genervten Unterton in meiner gedanklichen Antwort leider nicht verbergen.

>WAS DAGEGEN SPRICHT?< wiegelte sich mein Gefährte aus. Ich schnaubte nur.

>Falls du es vergessen haben solltest, meine Cousine ist zwölf und Leon ist bereits –< Er schein nach einer Antwort zu suchen.

„Leon, darf ich dich fragen, wie alt du bist?“ Er sah mich verdutzt an, immer noch in Gedanken bei meiner letzten Frage.

„Achtzehn. Aber ich werde nächsten Monat bereits neunzehn.“ Sogar noch jünger, als ich dachte.

>Achtzehn.<, beendete ich Fers Satz. >Ich habe ihn gefragt. Das sind gerade einmal sechs Jahre. Und außerdem hast du doch gewollt, dass sie einmal ein Rudel anführt und zusammen mit einem Alpha ist das durchaus möglich.<, argumentierte ich scheinheilig. Ich konnte förmlich spüren, wie Fer knurrte, doch er schien über meine Argumente nachzudenken.

>Nach den Angriffen wäre es durchaus nicht schlecht, dass Rudel wieder etwas zu erweitern, sonst habe ich dir gar nicht zu bieten.<

>Du musst mir nichts bieten, Fer.< Ich verstand nicht, wie er überhaupt auf diese Idee kam.

>Weiß er schon, das Fil vermutlich kein Junges mehr erzeugen kann?< Ich war mir sicher, dass mein Gefährte vom Thema ablenken wollte, doch ich ging freundlicherweise darauf ein.

>Nein. Aber sollten wir das nicht die beiden ausmachen lassen. Ich will es mir nicht mit Fil verscherzen. Und du sicher auch nicht. Immerhin ist keine Frau sehr glücklich darüber, wenn sie zeugungsunfähig ist.< Fil hatte diesbezüglich eindeutig mein Mitgefühl. Ich war kein Kindertyp und ich war mir auch nicht sicher, ob ich überhaupt welche haben wollte, doch Fil wurde diese Entscheidung von vornerein abgenommen, ehe sie sich überhaupt würde entscheiden können.

>Vermutlich hast du Recht.<, gab mein Socius nach. >Wann kommst du wieder? Wir haben erst einmal Pause gemacht, auch, um Fil zu versorgen, doch ich hätte dich gerne in meinen Armen, wenn ich einschlafe.< Ich konnte ihn förmlich Schnurren hören.

>Warte kurz!<, vermittelte ich ihm und rief in Gedanken nach Lynca. Diesmal brauchte sie etwas länger zum herunterkommen, doch ich verstand es, als ich ihren gesenkten Kopf sah.

>Lynca. Es geht Beta Fil wieder besser. Sie hat das Gift überstanden und schläft jetzt.<, übermittelte ich ihr. Wie zuvor Leon schaute sie hoffnungsvoll hoch und sah mich mit ihren Lindgrünen Augen direkt an.

>Dein Alpha Fer ist mit einigen Verbündeten etwa eine Stunde südlich von hier und ich würde gerne heute Abend noch zu ihm zurück. Kommst du und die anderen mit mir?< Ich würde sie nicht drängen. Sie hatten schon genug durchzumachen. Vor allem, wenn sie hörten, dass sie der letzte Rest des Rudels waren und das restliche Rudel dem Krieg verfallen war.

Lynca schaute kurz zu Leon und vermittelte mir dann, dass sie in zehn Minuten zurück sei, um mir die Entscheidung des restlichen Rudels mitzuteilen. Ich nickte und gab ihr ein Zeichen, dass ich warten würde.

„Alpha Leon. Ich würde gerne unsere Rudelmitglieder wieder mitnehmen. Unsere Karawane befindet sich etwa eine Stunde südlich von hier. Mein Gefährte und einige Verbündete erwarten mich dort noch heute Abend zurück. Ich bin dir dankbar, dass du meinem Rudel Zuflucht gewährt hast und freue mich schon darauf, dich und dein Rudel in dem Alles Entscheidenden Kampf an unserer Seite zu wissen und wiederzusehen. Es war mir eine Ehre, dich kennenzulernen.“

„Mir war es ebenfalls eine Ehre. Es ist bedauerlich, dass ihr bereits wieder zurückmüsst, doch ich verstehe eure Beweggründe. Ich bin leider bislang noch ohne Gefährtin, doch ich kann mir gut vorstellen, wie es euch diesbezüglich gehen muss. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen. Bitte kümmert euch gut um Beta Fil. Ihr habt Recht, sie liegt mir ziemlich am Herzen.“

„Das werde ich. Ich wünsche euch viel Glück in Zukunft und hoffe, das ihr in Zukunft zumindest von einem weiteren Palinas Angriff verschont bleibt.“

Ein Tapsen am Baum ließ mich meinen Blickwechsel mit Leon unterbrechen. Lynca war wieder da, gefolgt von einer Schneeleopardin, die einen Fuchs vorsichtig zwischen den Kiefern hielt, einem Puma und einem weiteren Panther. Das war also die Gruppe, mit der Fil unterwegs war.

>Wir kommen mit euch, Alpha Carrie.<, bestätigte Lynca mir meine Vermutung. Ich nickte und wandte mich noch einmal kurz zu Leon um.

„Lebt wohl, Alpha Leon.“

„Lebt wohl.“, erwiderte der weiße Löwe und wir rannten in südlicher Richtung in den Wald. Zurück zu meinem Gefährten, der uns bereits sehnsüchtig erwartete.


Kapitel 33

Bereits einen Kilometer vor unseren Ziel konnte ich Fer mir entgegenrennen spüren. Auch ich rannte schneller, obwohl wir bereits ein gutes Tempo angeschlagen hatten. Ich konnte die verwunderten Blicke der Anderen auf mir spüren, doch als mich Fer endlich umarmte, schienen sie sich sogar für uns zu freuen, ehe sie ebenso wie bei mir ehrfurchtsvoll den Kopf senkten und so Fer Alphastatus hervorhoben.

>Ich habe dich wahnsinnig vermisst, Flämmchen.<

>Ich war nur vier Stunden weg.<, erinnerte ich meinen Gefährten mit einem belustigten Schmunzelnzeln.

>Reicht doch!< Ich verdrehte die Augen, ließ ihm jedoch das letzte Wort.

Da ich bereits Fer Bericht erstattet hatte, hatte er lediglich ein paar kleine Zwischenfragen zu dem Zustand des Wolfrudels des Westens und ihre Reaktionen auf unsere Frage. In diesem Zusammenhang bekam ich auch mit, dass die Schlangenwandler des Südens nicht mit uns kämpfen wollten.

„Sie meinten, sie würden sich einfach wie all die anderen Jahre auch unter den Steinen verbergen und so die Kriegszeiten überdauern. Abgesehen sei dies nicht ihr Krieg. Immerhin sind keine Schlangenwandler oder artverwandte Wandler beteiligt.“ berichtete Prit, das Schneeleopardenweibchen. Ich überlegte, ob ich vielleicht noch einmal mit ihnen reden sollte, immerhin waren Schlangen und Drachen gar nicht so unähnlich.

„Ich halte das für eine gute Idee, Carrie. Es wird Zeit, dass sich diese Schlängler endlich einmal rühren.“

Fer hatte schon wieder meine Gedanken geklaut und so spürte ich nun die neugierigen Blicke der Anderen auf mir.

„Ich habe überlegt, ob ich noch mal mit ihnen rede. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass artverwandte Wandler mitkämpfen werden.“, klärte ich sie auf.

Roje, der Fuchs, schien nicht sehr überzeugt zu sein, beließ es jedoch dabei.

„Und wie ist es euch sonst ergangen?“, fragte Fer besorgt. Ich konnte ihn zugut verstehen. Das Rudel war seine Familie. Und damit auch meine Familie. Und wir hatten schon zu viele Mitglieder verloren.

„Roje hat sich Zwischendurch einen Splitter eingefangen und wir sind zweimal beinahe in ein Palinasnest geraten, konnten die Gefahr jedoch noch rechtzeitig riechen und umgehen.“

„Sehr gut!“, lobte ich die Rudelmitglieder.

„Alpha, wisst Ihr, wie es den anderen ergangen ist?“, fragte der Panther Patti, einer der jüngsten der Gruppe neben Fil.

Fers Mine verfinsterte sich und ich beschloss an seiner statt zu antworten.

„Auf unserer Reise wurden wir mehrfach von Palinas angegriffen. Doch nicht nur wir wurden angegriffen. Wir haben versucht dem Lager noch zu helfen, konnten jedoch keine Überlebenden mehr auffinden, als wir da waren.“ Zu meinen Worten schickte mir Fer die Bilder, wie er zusammen mit Ruber im Lager nach den Rechten sehen wollte und nur noch zerfetzte Zelte fand. Ein paar Knochen lagen lose am Wegesrand und ein paar Geier machten sich gerade über einen Leichnam her. Fer verscheuchte sie sofort, als er Prisca als die Tote identifizierte. Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken.

Die Rudelmitglieder ließen die Köpfe hängen.

„Was ist mir Hunter und Ruber? Sind die beiden wenigstens noch am Leben?“, fragte Prit vorsichtig. Ich konnte in ihrem Blick sehen, dass sie nicht genau wusste, ob sie die Antwort hören wollte. Ich begann zu zittern.

„Hunter starb, um mich zu retten. Er hat sich für mich geopfert, als uns ein Gurter über den Weg lief.“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Erst als mir Fer über die Wange wischte, bemerkte ich, dass ich weinte. Noch immer konnte ich mir nicht vergeben, dass Hunter meinetwegen gestorben war, selbst, wenn dies eine große Ehre für ihn war.

„Es war nicht deine Schuld.“ Fer zog mich in seine Arme, um mich zu trösten. Schweigend waren wir stehengeblieben.

„Doch.“, murmelte ich und konnte mich nicht ganz entscheiden, ob ich Fer von mir stoßen oder enger an mich drücken wollte. „Immerhin bin ich für das Rudel verantwortlich.“

„Du hast dein Bestes gegeben!“, versuchte mich mein Gefährte zu beschwichtigen. Die restlichen Rudelmitglieder musterten mich mitleidig.

„Ich bin mir sicher, für Hunter war es eine große Ehre.“, sagte Lynca mit belegter Stimme.

Ich schluchzte und versuchte mich aufzurichten.

„Wir sollten weiter.“ Meine Nase war noch immer zu, sodass meine Stimme fast nasal klang. Und mehr als ein Hauchen war es leider auch nicht. Doch ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und starrte nach vorne, um wenigstens damit meine Zielstrebigkeit zu symbolisieren.

„Ja!“ Fer nahm meine Hand und wir gingen schweigend weiter.

Unsere Begleiter hatten wie beim letzten Mal ein Feuer in der Mitte entfacht und ein Zelt aufgestellt, in dem sicher Fil untergebracht war, bewacht von Gan. Ruber und ein paar der Lilienkrieger schauten auf, als wir die Lichtung betraten. Ich hoffte, dass meine Augen nicht so rot waren, wie sie sich derzeit anfühlten, denn auf keinen Fall wollte ich ein Zeichen der Schwäche zeigen, schon gar nicht, wo ich laut Michael die verschwundene Prinzessin Elisabeth war. Als Ruber die anderen Rudelmitglieder bemerkte, hellte sich seine Miene merklich auf und er rannte uns freudig entgegen, um jeden mit Ausnahme von Fer und mir kräftig in die Arme zu schließen. Mir schenkte er lediglich ein respektvolles Nicken, wofür er von mir ein Schnauben erhielt. Nur weil wir nicht alleine waren, konnte er mir jetzt etwas keine freundschaftliche Umarmung geben, oder was?

>Du bist hier immer noch sein Alphaweibchen!<, erinnerte mich Fer und ich seufzte innerlich.

„Carrie!“ Im nächsten Moment fand ich mich in der gewünschten liebevollen Umarmung wieder, allerdings von meinem Bruder Lak.

„Wo warst du so lange?“, fragte er und hielt mich eine Armeslänge von sich. Ich hörte wie Lynca knurrte und jederzeit bereit war mich mit ihrem Leben zu verteidigen, das sah ich an dem Zittern ihres Körpers.

„Keine Sorge, Lynca. Das ist Lak. Ich bin mit ihm zusammen aufgewachsen. Er ist so etwas wie ein Bruder für mich.“, erklärte ich ihr leise, ehe ich mich an meinen Bruder wandte. Meinen Bruder, denn das war er für mich immer noch, egal welche Herkunft ich innehatte.

„Was habt ihr nur alle? Ich war doch nur vier Stunden weg.“, stellte ich kopfschüttelnd klar.

„Das schon. Aber ich habe dich Monatelang nicht gesehen, bis heute, wo ich dich im Kampf mit einem Trinas und einem Palinas vorfinde und du auch noch verwundet worden bist. Keine halbe Stunde später bist du schon wieder verschwunden und lässt mich mit einem Haufen fremder Leue allein!“, beschwerte sich Lak.

„Ist ja gut, Bruderherz.“, beschwichtige ich ihn, konnte mir ein neckisches „Waren die Fremden Leute wenigstens nett zu dir?“, nicht verkneifen. Lak knuffte mir in die Seite. Hinter mir hörte ich Fer eifersüchtig knurren.

>He, ich bin nicht dein Eigentum<, erinnerte ich ihn. >Du wirst dich daran gewöhnen müssen, mich mit anderen zu teilen!<

>Ich teile dich mit niemandem! Du gehörst mir!<, befahl Fer, doch ich schüttelte nur lachend den Kopf und ließ ihn um eine Antwort meiner Meinung schuldig.

„Ich schaue noch einmal kurz nach Fil, Fers Cousine, dann können wir reden!“ Meine Antwort war an meinen Bruder gerichtet und ich konnte spüren, wie sehr das Fer grämte.

>Und was ist mit mir?<

>Später, mein Tiger. Jetzt hast du erst einmal Rudelangelegenheiten zu klären.<

>Du bist aber auch eine Rudelangelegenheit von mir.<, versuchte es Fer erneut und schob die Unterlippe vor. Ich lachte und küsste ihn auf die Wange.

>Gib mir wenigstens eine Stunde mit meinem Bruder. Immerhin haben wir uns Monatelang nicht gesehen. Danach komm ich gerne zu dir, mein Schatz. Und du weißt doch, dass ich ohne dich nicht einschlafen kann.< Sofort hellte sich Fers Mine auf und ich konnte mir nur mit Mühe ein erneutes Lachen verkneifen.

>Na gut, aber nur eine Stunde!< Jetzt klang Fer schon beinahe streng.

Kopfschütteln ging ich zu dem Zelt. Da Fil allerdings immer noch schlief und ich sie nicht wecken wollte, gab ich Gan, der an ihrem Bett saß und ein Buch über Gifte studierte, nur einen aufmunternden Klapps auf die Schulter und verließ das braune Wigwam wieder. Am Lagerfeuer, etwas abseits der anderen fand ich meinen Bruder in die Flammen vertieft. Leise, um die anderen nicht zu stören ließ ich mich neben in nieder und begann dann ebenso leise meine Fragen zu stellen.

„Okay, Bruderherz. Dann erzähl doch mal. Was ist seit damals passiert, seit ich aus der Hütte geflohen bin?“

Noch immer ruhte Laks Blick in den Flammen und für einen Moment war ich versucht, das Feuer ausgehen zu lassen, nur damit er sich mir zuwandte. Endlich hob er den Blick.

„Wie viel weißt du über unsere Familie?“, fragte er mich statt einer Antwort. Ich zögerte. Sollte ich ihm wirklich die ganze Wahrheit sagen?

„Ich weiß, dass unsere Eltern nicht meine richtigen Eltern sind und du nicht mein richtiger Bruder bist. Herind war ein mächtiger Vampir, ein Traumwandler und meine Mutter war soweit ich weiß, ein Mensch.“

„War?“, fragte mich Lak entsetzt.

„Ja, unsere Eltern sind tot.“


Kapitel 34

Ich sagte das mit einer Endgültigkeit, die ich selber nicht verstand.

„Also hat er sie tatsächlich umgebracht.“ Der Tonfall meines Bruders klang finster.

„Du scheinst damit gerechnet zu haben.“, stellte ich trocken fest. Mein Bruder nickte.

„Es war nur noch eine Frage der Zeit. Wir sind alle Schachfiguren in diesem Krieg und wann wir fallen ist uns schon lange durch das Schicksal vorausbestimmt.“ Sehr weise Worte.

„Aber, um auf deine Frage zurückzukommen. Kurz vor deinem neunten Geburtstag kam Herind in mein Zimmer. Er bat, Stillschweigen über unser Gespräch zu wahren und es niemanden zu sagen. Ich war gerade zwölf geworden und für mich war das ganze wie ein großes Abenteuer, deswegen willigte ich ein. Er erzählte mir, dass du nur adoptiert seiest und eine wichtige Rolle in der Geschichte spielen würdest. Er klärte mich über die Arsanimali auf und welche Gefahren da draußen lauern würden. Auch erzählte er mir, da ich mich mit meinem achtzehnten Lebensjahr in einen Vampir verwandeln würde, so wie er einer wahr. ich glaubte ihm nicht, doch wurde ich bereits ein Jahr später eines besseren belehrt. Dein Vater vermutete, dass sie dich finden würden und bereitete alles für unsere Abreise vor. Damit du dich im Notfall verteidigen würdest schenkte er dir zu deinem Neunten Geburtstag den Dolch und bereitete dich auf das blanke Überleben in der Wildnis vor. Selbst, wenn du zu diesem Zeitpunkt vielleicht das alles als großes Abenteuer gesehen hast und es war auch gut so. Aber seine Vorbereitungen kamen zu spät, denn noch ehe wir abreisen konnten, fanden sie uns. Ich weiß nicht, wie viel du damals von dem ersten Besuch der Palinas mitbekommen hast, aber für mich war es das Zeichen endlich den Wunsch meines Vaters, deines Ziehvaters zu erfüllen und dich in Sicherheit zu bringen. Es tut mir Leid, dass ich nicht immer für dich da war, aber wie bereits gesagt, hatte ich Ende meines siebzehnten Lebensjahres die Wandlung zum Vampir, die eine besonders schwere Zeit für mich bedeutete. Das zu diesem Zeitpunkt wir erneut von den Palinas gefunden wurden, hat es nicht besser gemacht.“

„Sie hat uns verraten!“, hörte ich mich sagen.

„Deine Mutter hat mich verraten. Die Palinas im Haus haben es selbst zugegeben, ehe wir sie vernichten konnten.“ Der Verrat schmerzte mich immer noch.

Auf dem Gesicht meines Bruders zeichnete sich tiefer Schmerz ab. „Das kann nicht sein. Warum sollte sie so etwas tun.“

„Ich vermute, nur mein Vater wollte die Adoption und konnte sie irgendwie überzeugen. Sie wollte nie mit dem ganzen Arsanimaliwissen konfrontiert werden. Es hat ihr Angst gemacht. Nachdem Herind verschwand, hat sie mir die Schuld an seiner Entführung gegeben und ihm nachgetrauert. Zum Glück hatte ich dich, sonst wäre ich zugrunde gegangen.“ Ich wusste nicht, woher meine Vermutung stammte, doch tief in mir musste ich dass ich Recht hatte und diese Tatsache schmerzte noch mehr.

Mein Bruder verzog sein Gesicht zu einer schmerhaften Grimasse und starrte in die Flammen. Sekundenland herrschte Stille.

„Ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher gewesen, dass du wirklich fort warst.“, gab mein Bruder schließlich zu.

„Was?“, fragte ich verwirrt.

„An dem Tag, wo uns die Palinas in unserer kleinen Hütte im Wald besuchten, warst du gerade hoch gegangen, als sie kamen. Mutter schlugen sie sogleich bewusstlos und drohten damit, sie umzubringen, wenn ich nicht sagen würde, wo du warst. Wenn ich gewusst hätte, dass sie die Verräterin ist-“, begann Lak und ballte die Faust.

„Aber du hast mich nicht verraten.“, murmelte ich dankbar. „Ich stand direkt hinter der Tür. Ich wollte euch noch warnen, da ich Schritte auf dem Dach hörte, doch es war bereits zu spät. So habe ich durch den Türspalt gesehen und gehört, was du gesagt hast. Du hast mich verteidigt. Obwohl das Leben von Mutter und vor allem dein Leben auf dem Spiel stand. Du hast nichts gesagt.“

„Also warst du doch da!“, beharrte mein Bruder.

„Ja. Ich habe bei deinen Worten die Vase auf dem Tisch umgestoßen und habe mich zwischen den Decken unter der Treppe versteckt, als der eine Palinas nachschauen kam. Kaum hat er die Tür geschlossen, habe ich meine Sachen geschnappt und bin geflohen. Ich dachte, dass wäre das Beste für euch.“

„Vermutlich war es das. Nachdem sie nichts aus mir herausbekommen haben, haben sie das ganze Haus auf den Kopf gestellt, doch du warst unauffindbar. schließlich wurden einige der Palinas auf die Suche nach dir in den Wald geschickt, während ihr Anführer und zwei Leibwächter zurückblieben. Ich dachte, das wäre meine Chance, aber das war es nicht.“ Lak zog sein Hemd hoch und zeigte eine lange Narbe, die vom seiner Brust bis zur Taille führte. Ich zog erschrocken dir Luft ein.

„Das Einzige, was mich in diesem Moment vor den Schmerzen beschützt hat, war die Tatsache, dass mich der eine der Wachen bewusstlos schlug und beschloss mich mitzunehmen, um mir vielleicht in der Folterkammer einige Antworten zu entlocken.“ Wieder zog ich scharf die Luft ein, doch mein Bruder winkte ab.

„Als ich das nächste Mal erwachte, befand ich mich in einer Gefängniszelle, doch ich war nicht allein. Mein Mitgefangener half mit mithilfe seines Blutes schnell wieder auf die Beine zu kommen, sodass wir einen geeigneten Plan schmieden konnten. Durch etwas Hilfe von außen konnten wir noch in derselben Nacht fliehen und so den durchaus schmerzhaften Foltermethoden, wie mein Mitgefangener am eigenen Leib erfahren musste, entkommen. Seitdem waren wir auf der Flucht, bis mein Mitgefangener und Freund vor zwei Wochen einer Wacheinheit zum Opfer fuhr. Ich selbst kam nur durch meine Vampirgeschwindigkeit mit dem Leben davon. Seitdem jage ich die Palinas eben alleine, dass was wir vorher zu zweit gemacht haben. Doch egal, wie viele wir schon getötet haben. Es werden immer mehr. Jedenfalls habe ich das Gefühl.“ Dies beunruhigte mich deutlich und das Feuer, das meine Unruhe spürte flackerte ein wenig stärker auf, doch ich war mir sicher, dass niemand etwas bemerkt hatte.

„Und wie ist es dir so ergangen?“, fragte mich Lak plötzlich.

„Ich habe mir im Wald, als ich am Ende meiner Kräfte war mithilfe von Vaters Dolch ein Rentier gejagt und etwas geschlafen. Leider zu lange und die Palinas haben mich gefunden. Während meiner Flucht bin ich auf Fer gestoßen, der damals einer Gruppe der Iudicium angehörte. Sie versuchten mir mithilfe des Oblivisci die Begegnung mit Fer vergessen zu lassen, doch ich bin ebenfalls ein Arsanimali, sodass dies nicht möglich ist. Seitdem bin ich zusammen mit Fer, der später noch mein Gefährte wurde und Alphatier eines Gestaltwandlerrudels ist und Gan, einem Heiler unterwegs, um ebenfalls Palinas auszulöschen und schließlich den Krieg gegen Atro zu führen. Am Anfang konnte ich die beiden sogar überzeugen, mich zurück zu der Hütte zu begleiten, daher weiß ich das mit Mutters Verrat. Aber sie wurde vor meinen Augen umgebracht, noch ehe ich die beiden zurückgebliebenen Palinas überwältigen konnte.“

„Bei deinem Kampf mit dem Palinas vorhin hattest du ein Schwert aus Flammen und hast dich später sogar mithilfe von Flammen geheilt. Wie funktioniert das?“ Die Frage meines Bruders überraschte mich leicht, doch ich beschloss ihm die Wahrheit anzuvertrauen.

„Sie sind ein Teil von mir. Ich bin eine Flammenbändigerin und trage die Flammen sozusagen im Blut.“

„Hat Vater deswegen gemeint, dass du so wichtig wärst?“

Ich zögerte. „Auch.“, gab ich schließlich zu, ließ es aber so endgültig klingen, dass Fer nicht weiterfragte.

„Woher weißt du, dass Vater tot ist.“ Ich schluckte.

„Eines der Rudelmitglieder hat es zu mir getragen. Außerdem sagt es mir mein Herz.“ Ich senkte traurig den Kopf und Lak tat es mir gleich. Wieder schwiegen wir einige Momente.

„Wie geht es nun weiter?“

Ich seufzte.

„Ich werde mit den hier Anwesenden und einigen weiteren Verbündeten die Eurasische Steppe am Rande des Uralgebirges aufsuchen, wo wir unseren Kampf gegen Atro abhalten werden. Ich würde mich freuen, dich an meiner Seite zu wissen.“

Fer nickte zögernd, ließ seinen Blick aber im Feuer verweilen. „Und dann?“, fragte er schließlich.

„Wenn wir den Kampf überleben, wird endlich Frieden einkehren.“ Und ich werde mich auf die Suche nach meiner Schwester Elara, meinem richtigen Vater Borkil und der blauen Blume mache. Und natürlich die Zeit mit meinem Gefährten genießen, der gerade auf uns zukam.

„Carrie, kommst du? Ich würde gerne schlafen gehen.“ Ich warf meinem Bruder einen liebevollen Blick zu.

„Wenn du noch Fragen hast, können wir die ja morgen noch klären. Fer hat Recht. Wenn es Fil soweit gut geht, haben wir morgen einen weiteren anstrengenden Ritt vor uns und sind für jede Stunde Schlaf dankbar. Ich wünsch dir noch eine gute Nacht, Bruderherz.“

Ich zwinkerte ihm zu. Er antwortete mir mit einem liebevollen Lächeln.

„Gute Nacht, Kleines.“

Nur Widerwillig ließ ich mich von Fer mitziehen. Wir suchten und eine alte Birke, unter der bereits das restliche Rudel einen Schlafplatz gefunden hatte. Ich kuschelte mich enger an meinen Gefährten.

>Dir auch eine gute Nacht, mein Tiger.<

>Gute Nacht, Flämmchen.<


Kapitel 35

Am nächsten Morgen wurde ich von einem liebevollen Kuss und einem kleinen Ständchen durch Ruber, Lak und Fer geweckt. Sogar Gan brummte ein paar Töne mit, die sich gar nicht mal so falsch anhörten. Dennoch brauchte mein müdes Gehirn einige Zeit, bis es den Anlass des Ständchens begriff. Ich riss die Augen auf.

„Alles Gute zum Geburtstag, Kleines!“ Lak umarmte mich liebevoll und strubbelte mir durch die Haare.

„He!“, protestierte ich. Immerhin wurde ich heute sechszehn und nicht sieben oder acht.

„Hier, das ist ein Geschenk von mir, Ruber, Jemin und Michael zusammen!“ Fer reichte mir einen länglichen Gegenstand, der in ein Tuch gewickelt war. Das war also das Geheimnis, dass sie unbedingt über meinen Geist hatten besprechen müssen. Vorsichtig wickelte ich es aus. Ein wunderschönes Schwert kam zum Vorschein. Wie mein Dolch trug auch es ein Zeichen, dass es zu mir gehörte. Eine Lilienblüte, die an den Rändern wie in Flammen ausfranste und Smaragden glitzerte. Die Klinge war etwas schmaler, als die eines normalen Schwertes und der Knauf ebenso mit Smaragden verziert, wie das Bild in seiner Mitte. Das Schwert lag gut in der Hand und ich liebte es vom ersten Moment an.

„Euer Vater hätte gewollt, dass Ihr es bekommst!“, hauchte Jemin so leise, dass nur ich es verstand. Ich schaute erschrocken auf. Eine kleine Träne rann ihm die Nase herunter, offenbar in Erinnerung an den König.

„Danke!“, hauchte ich. Zu mehr war ich gerade nicht in der Lage, so gerührt war ich. Fer gab mir noch einen Kuss auf die Stirn und half mir, dass Schwert an meinem Gürtel zu befestigen. Ich wusste, dass er mich verstand. Ich beschloss Fers Messer statt an meinem Gürtel in meinem Stiefel zu befestigen, damit ich notfalls noch eine Waffe hatte und verschob den Dolch etwas nach hinten, damit das Schwert mehr Platz hatte. So ausgerüstet fühlte ich mich schon viel besser, obwohl das Gewicht des Schwertes an meiner Seite noch ziemlich ungewohnt war.

„Später zeige ich dir noch, wie du damit umgehen musst.“, erklärte Fer und fügte stichelnd hinzu. >Nicht, dass du bei deiner Schusseligkeit dich selbst erstichst.< Er bekam als meine Antwort nur meinen Ellenbogen zu spüren.

Als Nächstes war Gan dran. Er überreichte mir ein kleines Beutelchen mit Heilkräutern und ich erinnerte mich, das ich ihn gerade darum noch bitten wollte.

„Woher-?“, begann ich verblüfft, doch der Heiler deutete lediglich mit dem Kopf auf meinen Gefährten und ich verstand. Natürlich. Er schien sich ja förmlich ein Hobby daraus gemacht zu haben. Neben den Heilkräutern reichte mir Gan auch noch ein Fläschchen mit Rotöl und Zwinkerte mir zu.

„Für deine nächste Begegnung mit dem Schatten. Außerdem habe ich herausgefunden, dass es ebenso wirksam gegen Palinasblut ist, sodass du deine Klinge damit reinigen kannst. Ich bezweifle nämlich, dass wir erneut zu den Heilquellen reisen können.“ Wieder zwinkerte er und ich lächelte. Ich spürte deutlich, dass sich mein Bruder bei dem Wort Schatten versteifte und ich fragte mich, ob er ebenfalls eine Begegnung mit ihm gehabt hatte. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, doch er schien viel zu sehr in Gedanken versunken zu sein, als dass er ihn bemerkt hatte. Ich seufzte wieder.

Als er mein Seufzen hörte, schaute mein Bruder auf. „Ach Carrie, bevor ich es vergesse. Dein Gefährte sagte mir, dass du immer noch an schlechten Träumen hast und schon des Öfteren ungebetene Gäste in deinem Kopf hattest.“

Ich warf Fer einen kurzen anklagenden Blick zu. Was erdreistet er sich von meinen Problemen zu reden. Ich wollte nicht schwach erscheinen. Und ich dachte, ich könnte ihm vertrauen. Ich konnte meinen Socius seufzen hören, als er meine Gedanken auffing, doch ich kümmerte mich nicht weiter drum, sondern wandte neugierig wieder meinen Blick zu meinen Bruder, der einen Türkis an einer Lederkette aus seiner Tasche zog. Auf dem rundgeschliffenen Stein war eine Schutzrune Hagalaz eingeritzt worden.

„Mein Mitgefangener hat sie mir kurz vor seinem Tode anvertraut, als ich ihm von dir und deinen Albträumen erzählt habe. Er meint der Stein schützt dich vor jeglichen feindlichen Absichten, schlechten Träumen und das Eindringen in den Geist. Bei leichten Zaubern auch gegen schwarze Magie. Er wird warm, wenn Feinde in der Nähe sind.“

Ehrfurchtsvoll nahm ich ihm das kostbare Geschenk ab. Womit hatte ich das nur verdient? All die großartigen Geschenke, die ich nie und nimmer gutmachen konnte. Ein Schwert, ein Schutzstein und der Beutel mit Heilkräutern. Wenn ich jetzt nicht für einen Kampf gerüstet war, dann wusste ich auch nicht. Aber war ich überhaupt schon für den Kampf bereit? Und was erwarteten sie alle als Gegenleistung von mir? Was, wenn ich versagen würde?!

>Wir werden alle über dich wachen.<, schaltete sich Michael in meinem Kopf ein. >Auch von mir alles Gute zum Geburtstag, meine Tochter. Mach dir mal keine Sorgen. Du wirst schon deinen Weg finden.<

Ich seufzte.

>Und wenn nicht?<

>Dann hast du immer noch uns, die dir zur Seite stehen, dich unterstützen und dich notfalls auch aufhalten, wenn du mal wieder mit dem Kopf durch die Wand rennst.< Fer war in unserem geistigen Gespräch dazu gestoßen. Offenbar konnte er sich durch unsere Gefährtenbindung nun auch problemlos mit Erzengel Michael unterhalten.

>Ich und mit dem Kopf durch die Wand rennen!<, protestierte ich, konnte mir ein Lächeln jedoch nicht vergleichen.

>Na also. So gefällst du mir doch schon viel besser.< Fer nahm mich in einer liebevollen Umarmung gefangen und ich spürte, wie sich Michael diskret zurückzog, als ich mich enger an meinen Gefährten kuschelte. Erst dann schaute ich in die Runde.

„Danke!“, hauchte ich und es kam wirklich von Herzen. „Vielen Dank für alles. Ich weiß gar nicht, womit ich das verdient habe und ich fühle mich jetzt total schuldig, weil ich nichts für euch habe. Ich finde ja noch nicht einmal die richtigen Worte, um die Dankbarkeit auszudrücken, die ich für euch empfinde.“

Die Anderen lachten, doch es war ein gemeinschaftliches Lachen und kein Auslachen und ich war einfach nur glücklich. Dass ich solch eine Familie gefunden hatte. Und egal, was vorfallen würde, sie würden immer zu mir halten. Da war ich mir sicher.

„Ach und Prin- Elisabeth.“ Ich hatte mich gerade zum Feuer gewandt, schaute jedoch auf, als Jemin zu mir trat. Bei dem Wort Prinzessin hatte ich ihn mit einem bösen Blick bedacht, sodass er sich sofort umentschieden hatte. Dafür schenkte ich ihm nun ein Lächeln.

„Wenn Ihr mit dem Schwert auf das Schlachtfeld tretet, wird eure Herkunft kein Geheimnis mehr sein. Nur damit Ihr es wisst.“ Ich nickte. Das hatte ich mir schon gedacht. Immerhin trug es das Symbol von Gabriel und somit auch das meines Vaters. Aber woher hatte mein Vater das mit den Flammen gewusst? War ihm das von vorneherein klar gewesen, als meine Mutter einen Tropfen Blut von Michael bekam? Immerhin stand der Erzengel auch für das Feuer.

„Danke, Jemin.“, sagte ich ehrlich und wandte meinen Blick wieder den Flammen zu. In letzter Zeit hatte ich viel Stoff zum Nachdenken bekommen und brauchte einfach einmal kurz einen Moment für mich.

Ich dachte an die Erinnerung, die mich beim Anblick der Lilienblüte gekommen war. Wie mein Vater wohl ausgesehen hatte? Wie als Antwort knackte das Feuer einmal laut, als ein Ast in Flammen aufging und bildete in der Glut das Gesicht meines Vater, König Borkil. Ein liebevolles Lächeln lag in seinen Augen, sein Bart war gestützt und er hatte viele Grübchen um Mund und Augenwinkel. Seine Haare waren in etwa schulterlang und fielen ihm wie kleine Wellen zu beiden Seiten seines Gesichtes. Jemin hatte Recht. Meine Nase hatte ich eindeutig von ihm geerbt. Die Krone auf seinem Haupt passte, wie als wäre sie ein Teil von ihm. Seine Ohren waren zum größten Teil von seinen Haaren verdeckt, doch ich glaubte kurz zu sehen, dass sie ebenso wie meine leicht spitz nach oben zuliefen. Unwillkürlich fasste ich an meine Ohrspitzen und fühlte die Konturen nach. OB die Spitzeren Ohren ein Zeichen der Ignisaeri waren? Als ich meine Hände herunternahm, bemerkte ich etwas Nasses auf meinem Finger. Verwundert schaute ich auf meine Fingerspitze, auf der ein kleiner Tropfen lag. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich weinte. Ein Lilienkrieger, der gerade am Feuer vorbei kam, erstarrte, als er das Bild seines Königs im Feuer sah und schnell ließ ich es wieder verschwinden. Der Lilienkrieger blinzelte irritiert und ging dann mit einem gedankenverlorenen Blick weiter. Ich war mir sicher, dass er immer noch Hoffnung hatte, seinen König eines Tages wiederzusehen. Ob mein Vater überhaupt noch lebte?

So in Gedanken versunken, bemerkte in Lynca erst, als sie sich mit den Krallen voran streckte und gähnte, wobei sie eine Reihe spitzer Zähne offenbarte.

>Wie lange sitzt du schon neben mir?<, fragte ich sie über den Rudelkanal und bediente mich erneut der Macht Ignisaeri.

>Etwa fünf Minuten. Ihr ward ziemlich in Gedanken versunken, oder Alpha?< Ich nickte nur, noch immer abwesend.

>Danke, dass Ihr Beta Fil gerettet habt.< Ihre Stimme war leise, doch ich winkte ab.

>Das habe ich doch gerne gemacht. Außerdem trage ich als Alphatier die Verantwortung über das Rudel und es ist schon viel zu klein geworden. Jeder von ihnen hätte es verdient, dass ich ihn rette!< Meine Stimme klang verbittert und erneut kämpfte ich mit den Tränen. Zuviel Blut klebte bereits an meinen Händen. Und es würde nicht weniger werden, dass wusste ich.

>Ihr seid ein guter Alpha. Dass der Krieg so viele Opfer fordert, hätte ja keiner vorher erahnen können. Und ich bin mir sicher, dass keiner im Rudel wollen würde, dass Ihr für sie ihr Leben lasst. Sie waren sich der Risiken ihres Lebens immer bewusst gewesen und haben diesen schwierigen Weg gewählt und würden ihn immer wieder wählen, da sie noch an den Frieden glauben. Ihr solltet euch nicht die Schuld an ihrem Tod geben, Alpha Carrie. Es wird auch wieder bessere Zeiten für das Rudel geben, da bin ich mir sicher.<

>Dafür werde ich sorgen!< Mein Gesicht hatte einen zielstrebigen Ausdruck angenommen. Lynca hatte Recht. Es nützte nichts, ewig den Toten nachzutrauern. Lieber sollte ich die Lebenden schützen und die Zukunft des Rudels ermöglichen.

>Die Zukunft des Rudels ist aber mit dir. Aber wag es ja nicht, dich für das Rudel zu Opfern.< Fers Nachricht klang schon beinahe wie ein Befehl. Wieder hatte er sich in meine Gedanken geschlichen, doch daran würde ich mich gewöhnen müssen. Immerhin gab es keine Möglichkeit mehr für mich, seine Gedanken von meinen Abzuschirmen.

>Umso besser! Wer weiß, was du noch alles anstellen würdest.< Ich ignorierte ihn und seinen drohenden Unterton und wandte mich wieder an Lynca.

>Hast du schon deinen Gefährten gefunden, Lynca?< Ich wusste nicht, woher meine Neugier kam, doch wenn ich mich an unsere Rückkehr gestern Abend erinnerte, kam mir die Begrüßung von Ruber und Lynca schon beinahe zu flüchtig vor. So als würden sie sich dafür schämen.

>Ja. Nein. Ach ich weiß nicht.<Sie schien ziemlich mit sich zu kämpfen, doch so leicht würde ich nicht locker lassen. Immerhin wusste ich, wie es war, wenn einem die Gefühle im Weg standen. Und wenn ich schon für Zukunft des Rudels sorgen wollte, warum dann nicht auch für Nachwuchs?

>Du empfindest etwas für jemanden, aber weißt nicht, ob er ebenso wie du empfindest, richtig?<, vermutete ich.

Lynca wagte es nicht, mir in die Augen zu sehen, nickte aber. >Woher-?<

>Weibliche Intuition<, erwiderte ich nur knapp. >Okay, ich lass dich dann mal wieder allein.<

Ich stand auf. Ich spürte, dass mit Lynca mit neugierigen Augen folgte, doch ich würde nicht so schnell von meinem Plan abrücken. Fast glaubte ich ihre Augen aus dem Augenwinkel sich weiten zu sehen, als ich mich direkt neben Ruber niederließ, der gerade Roje dabei beobachtete, wie er seinen Schwanz jagte, doch das bestätigte mir nur meine Vermutung.

„Hallo Ruber.“ Er schrak auf. „Oh, hallo. Alpha, Carrie.“ Er schenkte mir ein respektvolles Nicken.

„Kann ich dich einmal kurz sprechen?“ Ruber schien verwundert zu sein, nickte dann aber und ließ sich von mir in den Wald ziehen. Von Fer erntete ich einen fragenden Blick, doch ich ließ ihn nur ein >Du kennst doch meine Gedanken< als Antwort da.

Nachdem wir ein paar Schritte durch den Wald gelaufen waren, begann ich schließlich.

„Da ich als Aplhaweibchen die Verantwortung über das Rudel mittrage, sind mir unausgesprochene Angelegenheiten innerhalb des Rudels sehr unangenehm. Ich habe gestern mitbekommen, dass du und Lynca offenbar nicht so gut miteinander klar kommt. Und ich will wissen, warum!“ Ich verlieh meiner Stimme noch ein wenig mehr Autorität und zwang Ruber so, mir zu antworten.

„Alpha Carrie. Ich-“, begann Ruber, überlegte es sich dann jedoch anders. „Habt Ihr euch Lynca einmal genauer angeschaut. Diese Geschmeidigkeit, ihr Schnurren, wenn sie in die Tiefschlafphase übergeht und dieser kleine, süße Fleck an ihrem Kinn-“, verfiel Ruber ins Schwärmen und wurde augenblicklich rot.

„Also doch!“, Ich bemühte mich keinen Hauch von Belustigung nach außen dringen zu lassen. Immerhin war dies ein ernstes Gespräch.

„Du empfindest mehr für Lynca, oder?“ Wie zuvor Lynca wagte es Ruber nicht, mich anzusehen, doch ich kannte die Antwort bereits.

„Meinst du, sie ist deine Gefährtin?“, fragte ich weiter.

Ruber schien verunsichert zu sein. „Ich weiß es nicht. Aber warum sollte sie mich haben wollen. Immerhin bin ich nur ein stinknormaler Tiger und mit ihrer Schönheit könnte sie Jeden haben. Also warum ausgerechnet mich?“ Ruber hatte eindeutig ein zu schlechtes Bild von sich.

„Weil du ironisch bist, stark. Und weil sie dich genauso mag, wie du sie.“ Ruckartig schaute Ruber auf. Seine Augen weiteten sich.

„Sie hat nur genauso ein Problem es dir zu sagen, wie du ihr.“, schloss ich, ohne weiter auf seine Reaktion einzugehen.

„Seid ihr euch sicher, Alpha Carrie?“ Hoffnung brannte in seiner Stimme auf und ich hoffte selber, mich diesbezüglich nicht geirrt zu haben, sonst würde ich meine freundschaftliche Beziehung zu Ruber vermutlich für immer zerstören.

„Und nun rede ich als Freundin zu dir.“, sagte ich um einiges sanfter, da meine Alpharolle nun erfüllt war.

„Geh zu ihr und sprecht euch endlich aus. Das ist ja nicht mehr anzusehen. Na los!“ Fast schon scheuchte ich ihn zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren und Ruber beeilte sich meinem Freundschaftlichen Rat und angehenden Befehl Folge zu leisten. Ich ließ ihm einige Minuten Vorsprung und folgte ihm dann zurück zum Lagerfeuer. Während ich mich neben Fer niederließ, konnte ich gerade noch sehen, wie Ruber Lynca in den Wald mit sich zog, der eine leichte Röte ins Gesicht geschrieben stand. Doch sie strahlte.

„Das hast du gut gemacht!“, hauchte Fer in meinen Nacken und ich kuschelte mich enger an ihn.

„Mmh, eigentlich wollte ich noch einmal nach Fil sehen, um festzustellen, ob wir morgen weiterreiten können, aber du bringst mich hier auf eine viel bessere Idee.“

Und noch ehe ich Protestieren konnte, zog mich Fer ebenfalls in den Wald, allerdings in die andere Richtung und verwickelte mich bereits nach wenigen Schritten in einen Kuss, als gäbe es kein Morgen. Erst einige Stunden später kehrten wir zum Lagerfeuer zurück. Ich mit rotglühenden Wangen und zutiefst befriedigt und Fer, ebenfalls überglücklich, er jedoch noch immer nicht on mir ablassen wollte. Lak beobachtete uns mit abschätzendem Blick, ließ jedoch keinerlei Kommentar fallen. Fil war bei unserer Rückkehr bereits wieder wach und konnte sogar schon einige Schritte ohne Hilfe laufen. Dennoch empfand ich sie immer noch als unnormal blass. Und noch etwas beobachtete ich mit Sorge. Von dem spielenden Kind von der Todesfeier warf nichts mehr übriggeblieben. Fer schien ähnlich besorgt zu sein, doch ich bemühte mich rasch, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Am Lagerfeuer trafen wir auf Ruber, an den eng angekuschelt Lynca schlief. Deutlich konnte ich die Komplette Verbindung riechen, die sie bereits hinter sich gebracht hatten. Ich zwinkerte Ruber zu, als er meinen Blick bemerkte und schenkte mir ein dankbares Lächeln. Ich lächelte ebenfalls. Für eine Rudelzukunft hatte ich auf jeden Fall erfolgreich gesorgt. Doch ich würde es nicht dabei belassen.

>Und dafür liebe ich dich so!< Fer knabberte an meinem Hals und eine angenehme Gänsehaut überkam mich. Morgen würden wir weiterreiten, doch bis dahin war ja noch so viel Zeit. Und mit diese Worten gab ich mich den Liebkosungen von Fer hin, als hätte ich nie etwas anderes gemacht.


Kapitel 36

Am nächsten Morgen ging es wieder auf die Pferde. Da wir für unser Rudel nur zwei Packpferde hatten, wechselten sie sich ab und liefen sonst in Tiergestalt nebenher. Nox war immer noch etwas verstimmt, weil ich das letzte Mal so anders abgestiegen war, doch ich besänftigte in rasch mit einem Apfel. Fer hatte Fil, die noch immer die meiste Zeit schlief, auf seinen Schimmel genommen und passte auf, dass sie nicht vom Pferd fiel. Hinter mir hatte ich Lak sitzen, der sich schließlich durch einige Drohungen meinerseits dazu überreden ließ. Mein Gefährte knurrte zwar, als mein Bruder mir die Arme um die Taille schlang, aber weder Lak noch mich kümmerte das groß. Es war schön mit meinem Bruder zu reiten. Neben mir sah ich meinen Socius lächeln und freute mich noch mehr. Der Moment war so vollkommen, bis-

„Carrie, wir müssen reden.“ Ich seufzte und sah wie Gan auf mich zu galoppiert kam. „Gestern habe ich dich in Ruhe gelassen, da du Geburtstag hattest, aber so geht das nicht weiter. Du warst noch vor zwei Tagen verletzt gewesen und hast mich dich noch nicht einmal untersuchen geschweige denn helfen lassen. Du musst gar nicht glauben, hier den Helden spielen zu müssen. Ich bin Heilmagier und damit ist es meine Pflicht für das Wohl meiner Mitmenschen zu sorgen. Und-“

„Schon gut, Gan.“, beschwichtigte ich ihn. „Mir geht es gut. Und abgesehen davon bin ich kein Mensch!“

>Vorsicht!<, warnte mich Michael, doch ich hatte nicht vor, weiter zu gehen.

„Wenn ich deine Hilfe brauche, komme ich zu dir. Ich weiß deine Künste sehr wohl zu schätzen und ich dachte, dass wüsstest du!“ Nun klang meine Stimme eher hart und anklagend als beschwichtigend, doch ich war es leid, dauernd bemuttert zu werden.

Gans Mund klappte auf, als wolle er etwas sagen, doch auf meinen fragenden, entnervten Blick schloss er ihn wieder.

„In Ordnung.“ Seine Miene wurde sanfter und er kam mir fast wie in einer Vaterrolle vor.

„Sag mal, Carrie. Haben deine Flammen eigentlich Grenzen, was das heilen angeht?“, wisperte mein Bruder in mein Ohr. Er schien tief in Gedanken versunken zu sein.

Ich drehte mich zu ihm um, doch er starrte durch mich hindurch. „Vermutlich. Allerdings bin ich noch nicht so erfahren mit dem Umgang mit ihnen.“

„Mmmh!“, machte Lak, teilweise unzufrieden.

Ich seufzte unglücklich. >Sag mal, Ignisaeri. Wie sieht es eigentlich mit unserer Heilkraft aus?<, formulierte ich in Gedanken.

Ignisaeri schwieg und ich überlegte, ob ich sie irgendwie beleidigt hatte.

>Leider kann ich dir bei diesem Gedanken nicht weiterhelfen. Immerhin haben wir unsere Kräfte zusammen entdeckt. Wir müssen es einfach mal ausprobieren.<

Wieder seufzte ich, stimmte ihr aber zu. Aber wie? Zu Selbstverstümmelung neigte ich nicht und es würde mir nur einen schiefen Blick von Gan, Fer und Lak einbringen, die sich alle um mich zu sorgen schienen. Sorgen. Mit einem Mal würde mir bewusst, was für einen großen Einfluss ich doch auf meine drei Männer hätte. Meinen Vaterersatz Gan, meinen großen Bruder Lak und meinen Gefährten und festen Freund Fer.

>Lass es dir bloß nicht zu Kopf steigen!<, hörte ich Michael über meine Gedankengänge herziehen.

>Du musst ja nicht zuhören!<, fauchte ich ihm gedanklich zu. Merklich verstimmt zog er sich zurück, sodass ich sofort ein schlechtes Gewissen bekam.

>Es tut mir Leid, Michael!<, rief ich noch, ehe er komplett verschwinden konnte, doch ich bekam keine Antwort mehr. Nachdenklich nagte ich an meiner Lippe. Na toll. Jetzt hatte ich nicht nur Gan, sondern auch Ignisaeri und Erzengel Michael verstimmt. Schlimmer konnte der Tag ja nicht werden.

Ich ließ Nox anhalten, bemüht nicht die Karawane zum Stoppen zu bewegen und stieg unter dem fragenden Blicken von Fer und Lak ab.

„Ich brauche mal einen Moment für mich!“, murmelte ich, gab Lak die Zügel in die Hand und ging mit schweren Schritten in Richtung Wald. Erst als eine Träne auf meine Hand tropfte, bemerkte ich, dass ich weinte.

„Carrie, Liebes. Ist alles in Ordnung?“ Natürlich war mir Fer gefolgt. Ich machte eine Kopfbewegung, die wohl eine Mischung zwischen Nicken und Kopfschütteln war und spürte gleich darauf den warmen Körper meines Gefährten an mir, der mich sanft umdrehte und schließlich in eine tröstende Umarmung zog. Nun gab es für die Tränen keine Stauung mehr, die sich ununterbrochen über meine Wangen einen Weg nach unten suchten. Ich drückte mich enger an Fer, als mein Schluchzen meinen ganzen Körper erzittern ließ, doch Fer war einfach nur für mich da, hielt mich fest und bohrte auch nicht weiter nach einer Antwort. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn doch liebte. Lange Zeit war es still und ich fragte mich irgendwo im Hinterkopf, ob Fer unsere Karawane hatte anhalten lassen oder lediglich Nox noch auf uns wartete und Lak zusammen mit Fil auf dem weißen Schimmel von Fer weitergeritten waren.

„Ich bin froh, dass ich dich habe, Fer Tigris.“, murmelte ich schließlich in Fers Armen und wischte mir noch die letzten Tränen vom Gesicht. Wortlos nahm mein Socius diese Liebeserklärung auf und betrachtete mich besorgt, als fürchtete er, dass ich erneut in einen Weinkrampf ausbrechen würde. Ich schnäuzte noch einmal mit der Nase.

„Wir sollten zurück.“ Fer nickte, machte aber keine Anstalten mich loszulassen. Noch immer ruhte sein besorgter Blick auf mir. Durch unser Band könnte ich seine wild umherwirbelnden Gedanken sehen. Er fragte sich, was mit mir los war. Warum ich plötzlich angefangen hatte zu weinen. Und ob ich unglücklich mit ihm war.

„Was?“, keuchte ich erschrocken auf. Stirnrunzelnd sah mich mein Gefährte an.

„Wie kannst du nur so etwas denken, Fer Tigris, du dummer Tiger!“, erboste ich mich. „Wie kannst du nur auch nur ansatzweise daran denken, dass ich unglücklich mit dir sein könnte.“ Langsam wich der fragende, besorgte Blick einem ahnenden.

„Ich könnte mir keinen besseren Gefährten als dich vorstellen. Also denke nicht einmal ansatzweise daran, dass ich-“ drohte ich ihm, wurde jedoch von einem Schrei unterbrochen. Ich spürte, wie sich Fer verspannte, doch ich war schon ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden tiefer in den Wald gerannt, immer in die Richtung der Schreie. Ich konnte Rauch in den Himmel aufsteigen sehen und je näher ich kam, umso beißender wurde der Gestank nach Tod, Verwesung und Rauch. Endlich erreichte ich ein kleines Dorf, in dem sich offenbar das ganze Grauen ereignete. Flammen stiegen aus vielen der Häuser hervor, die Menschen waren auf einem Platz zusammengedrängt worden und noch immer wurden Menschen aus ihren Häusern gezerrt.

„Palinas.“, knurrte Fer in mein Ohr. Ich hatte gar nicht wahrgenommen, dass sich mein Gefährte genähert hatte und nun direkt hinter mir stand. Ich nickte nur. Mordlust stand in meinen Augen. Eine Frau versuchte ihr kleines Kind vor den Seelenbesetzten Leichen zu schützen, wurde jedoch für ihre Dreistigkeit nur Niedergestochen. Ignisaeri hatte mir bereits wieder vergeben und war bereit, doch ich verbarg sie noch immer.

„Versuche das Feuer zu besänftigen!“, befahl mir Fer. Nicht einen Gedanken verschwendete ich daran, mich über den Befehlston zu beschweren, sondern ging rasch meiner Aufgabe nach, noch während ich an Fers Seite auf das Dorf zustürmte. Hinter mir könnte ich jemanden aus dem Unterholz stürzen hören und ich riskierte einen kurzen Seitenblick. Die Lilienkrieger und Fers Rudel, angelockt durch den dichten schwarzen Rauch, waren zu uns gestoßen und rannten nun Seite an Seite mit uns durch den kleinen Torbogen, der einst den Anfang des Dorfes gekennzeichnet haben musste, nun jedoch lediglich eine, mühsam von zwei halb von Feuer abnagten Holzstämmchen gehaltener, Ascheanhäufung war. Die Palinas schauten bei dem Lärm der herannahenden Krieger auf und stürmten uns nach einem kurzen, überraschten Ausdruck in den Gesichtern entgegen. Ein erbitterter Kampf brach los, dem ich jedoch keine weitere Bedeutung mehr schenkte, so konzentriert war ich auf meine eigenen Bewegungen. In einer Flüssigen Bewegung hatte ich meinen Dolch gezogen und schnitt dem ersten Palinas den Kopf von den Schultern. In einer ebenso flüssigen Drehung landete als nächstes das Messer in der Brust eines dieser Untiere. Einen Tritt nach hinten setzend, traf in einen Palinas an der Brust, der durch meinen Schwung sogar bis in die nächste Hauswand flog und einige Steine mit sich riss, eher er sich schwerfällig und mit finsteren Blick wieder aufrappelte. Aus seiner Nase, seinem Mund und seinen Ohren lief schwarzes Blut und ich wusste, dass er als lebendiger Mensch sicher ein Schädel-Hirn-Trauma hätte, doch als Leiche schien ihm das nichts auszumachen. Mein Blick in seine Richtung war zu lange gewesen, sodass ich nur mit Mühe unter der nächsten Klinge abtauchen konnte, die sich mir unauffällig genähert hatte. Von unten, noch immer in der Drehung rammte ich im mein Messer in die Brust und sprang in Richtung der Mauer, mein Messer in einer fließenden Bewegung aus dem Palinas ziehend. Der von meinem Tritt getroffene Palinas hatte sich inzwischen vollständig aufgerichtet. Mein Messer kampbereit vor mich halten, die andere Hand mit dem Dolch schützend vor meinem Körper aufgerichtet, umkreiste ich ihn. Fauchend sprang er mich an, doch durch einen eleganten Flickflack segelte ich über ihn hinweg und stieß mich an der Mauer auf. Ich spürte, wie sich meine Flügel entfalten wollten, doch noch war mir das Schlachtfeld um mich herum zu dicht dafür und so verbat ich sie mir. Durch eine Judorolle gelang es mir den Schwung abzufedern und ich sprang sofort wieder auf, den Palinas, der mir eine beeindruckte hochgezogene Augenbraue schenkte, nicht aus dem Blick lassend.

„Nimm das!“, fauchte ich, warf mein Messer in seine Richtung und sprang im selben Moment hinterher. Meinem Messer konnte er ausweichen, mir nicht. Mit Leichtigkeit durchbohrte mein Dolch seine Brust und mit einem gurgelnden Laut sackte er in sich zusammen.

„Arschloch!“ Mit grimmiger Miene ging ich zu meinem Messer, das unweit von dem toten Palinas im Boden steckte und hob es auf. Erst da bemerkte ich das Augenpaar auf mir.

„Nicht schlecht.“ Mit einem Knurren von Ignisaeri fuhr ich herum, meine Waffen vor mich halten, die leicht golden schimmernden Augen zusammengekniffen. Noch durfte ich keine meiner Gestalten offenbaren. Ein Mann löste sich aus dem Schatten der Gasse, in der der Palinas und ich unseren Kampf ausgetragen hatten. Erst da fiel mir auf, wie leise der Kampflärm der Anderen geworden war. Offenbar hatten wir uns weiter von dem Getümmel entfernt als erwartet.

„Wer seid ihr?“, knurrte ich, den Mann der weiter auf mich zukam nicht aus den Augen lassend. Seine Augen waren ebenso grau und kalt wie die meines Bruders und eine Stimme in meinem Inneren schenkte mir eine Antwort auf meine umgestellte Frage. Vampir.

„Ihr seid kein Mensch!“, stellte der Mann fest, mich abwertend musternd, ohne weiter auf meine Frage einzugehen.

„Ihr ebenfalls nicht!“, murmelte ich kalt. Der Mann zog eine Augenbraue hoch. Ich trat einen weiteren Schritt auf ihn zu und presste ihn im nächsten Moment an die Wand hinter sich, die Klinge fest an seinen Hals drückend.

„Ich wiederhole mich nicht noch einmal.“, knurrte ich, das Messer fester an seinen Hals drückend. Das Palinasblut an der Klinge schien ihn zu verunsichern, doch ich hatte nicht vor ihn zu töten. Noch nicht. „Wer seid ihr?!“

Im nächsten Moment wurde ich von dem Vampir heruntergerissen landete unsanft einen Meter entfernt auf meinem Hinter. Ich fauchte und wollte schon denjenigen meine Meinung sagen, als ich meinen Bruder Lak vor mir erkannte, der wie angewurzelt vor dem Vampir stand, der eine Hand nach seinem Hals greifend und sich mit der Anderen an der Wand abstützend seinerseits ihn ebenso ungläubig anstarrte.

„Flint, was machst du denn hier. Ich dachte, du wärst tot!“, schaffte es Lak schließlich überrascht herauszupressen. Neugierig schaute ich von einem zum anderen. Sie schienen sich ja gut zu kennen. Aber woher?

„Lak, ich hätte nicht erwartet, dich einmal wiederzusehen. Wie geht’s dir, alter Freund!“

„Freund?“, brachte ich schließlich heraus. Erst da schien sich mein Bruder an mich zu erinnern.

„Flint, das ist meine kleine Schwester Carrie.“, stellte er uns vor. „Carrie, das ist mein ehemaliger Mitgefangener Flint, der mir bei meiner Flucht geholfen hatte.“

Ich zog skeptisch die Augenbraue hoch und warf einen kurzen Blick zu meinem Bruder, den Vampir nicht eine Sekunde aus den Augen lassend. „Ich dachte dein Mitgefangener ist bei eurer Flucht ums Leben gekommen.“

Ein Schatten huschte über Flints Gesicht, den ich nicht ganz deuten konnte. War es Schmerz, Rauche oder verletzte Gefühle?

„Bin ich auch. Fast.“, erzählte er schließlich. Schmerz sprach aus seiner Stimme und unwillkürlich überfiel mich Mitleid.

„Die Palinas haben mich so zugerichtet, dass ich kaum mehr einen Schritt vom Tod entfernt war. Es war die richtige Entscheidung von Lak mich zurückzulassen, doch damals war es sehr schwer für mich, dass mich auch noch mein letzter Freund verlassen hatte. Stundenlang lag ich in meinem Blut und wartete auf meinen Tod, der einfach nicht eintreten wollte. So fand mich schließlich auch ein Vampir, der mich vor die Entscheidung stellte. Aus Rache getrieben, nahm ich schließlich sein Angebot an und bin nun zu dem geworden, was ich nun bin und immer auf der Jagd nach Palinas.“ Er beendete seinen Blick mit gesenktem Kopf und kurz glaubte ich so etwas wie eine Träne über seine Wange schleichen zu sehen, doch als ich genauer hinschaute, war sie verschwunden.

„Dann tut es mir Leid, dich angegriffen zu haben, Flint!“, unterbrach ich die unangenehme Stille. „Es ist heutzutage sehr schwer zwischen Freund und Feind zu unterscheiden! Und-“

Wieder durchbrach ein Schrei die Stille, der mir alle Nackenhaare zu Berge stehen ließ und der Schmerz, der durch meinen ganzen Körper zuckte, ließ mich keuchend zusammensacken.

„Was ist?“, fragte Lak mich besorgt.

„FER!“, stieß ich nur hervor und versuchte mich aufzurappeln, die Schmerzen in meinem Inneren ignorierend.

>Helf mir, Ignisaeri!<, flehte ich in Gedanken. Sofort wurden die Schmerzen geringer und mein Körper hüllte sich in Flammen und verbarg somit die Verwandlung, die meinen ganzen Körper in die Länge zog und zu einer tödlichen Waffe machte. Ignisaeri stieß ein Brüllen aus, dass in der Gasse wiederhallte und ohne weiter auf die erschrockenen Blicke meines Bruders oder Flint zu achten stieß ich mich vom Boden ab und erhob meinen schweren Drachenkörper in die Luft. Zum ersten Mal flog ich als Ignisaeri, doch meine Gedanken waren zu besorgt, als dass ich mich darüber freuen konnte. Mein Gefährte war verletzt und brauchte meine Hilfe. Und das war das Einzige, was zählte.


Kapitel 37

Brüllend überflog ich das Schlachtfeld, immer nach meinem Gefährten suchend. Viele Köpfe wandten sich erschrocken zu mir um, doch mir war es egal. Sie hatten es gewagt meinen Gefährten zu verletzten. An einer Stelle konnte ich einige Lilienkrieger mit einem Dutzend Palinas kämpfen sehen und ich stieß einen Flammenstoß aus, der sofort meine Feinde verbrannt. Meinen Gefährten passierte nicht, da ich die Flammen komplett im Griff hatte. Verdutzt starrten die Lilienkrieger auf die Asche vor ihnen und Jemin schenkte mir ein dankbares Nicken. Er schien zu wissen, dass ich es war. Nicht weiter auf den Gedanken achtend, suchte ich weiter und fand schließlich meinen Gefährten. Ein Schwert war durch seinen Unterleib gebohrt, doch noch atmete er. Ein paar Palinas näherten sich ihm und wieder ließ ich meine Flammen sprechen, wobei Fer aufsah. Ein Hoffnungsschimmer kehrte in seine Augen zurück, doch da war auch viel Schmerz. Noch während der Landung verwandelte ich mich und eilte ohne weiter auf meine Umgebung achtend auf meinen Gefährten zu.

„War das Schwert mit Palinasblut in Berührung gekommen?“, fragte ich laut. Mein Gefährte schüttelte kaum merklich den Kopf und ich atmete erleichtert auf. dann war doch noch nicht alles zu spät.

„Achtung, Liebster. Dass wird jetzt wegtun!“, warnte ich ihn und zog, ohne auf seine Antwort zu warten das Schwert aus ihrem heraus. Dabei ließ ich meine Flammen tanzen, sodass nicht weitere innere Organe verletzt werden konnten. Durch unser Band gelang es mir ihnen klarzumache, dass Fer mein Freund und somit ebenso ihr Gebieter war. Sie befolgten meine Befehle und verfärbten sich an der Stelle, wo sie auf Fers Wunde trafen ebenso wie die Flamme auf meinem Handgelenk in einem leuchtenden Grün. Ich konnte förmlich das Kribbeln in Fers Körper spüren, als meine Flammen ihn heilten. Da ich nicht wusste, wie viel ich meiner Kraft noch brauchen würde, heilte ich lediglich die inneren Organe und die Wundstelle, damit Fer nicht so viel Blut verlor und ließ die beiden gebrochenen Rippen, die mir meine Flammen ebenfalls diagnostiziert hatten, erst einmal außer Acht.

Als meine Flammen mit ihrer Aufgabe fertig waren, zitterte ich leicht.

„Danke!“, hauchte Fer und versuchte aufzustehen, doch ich drückte ihn sanft auf den Boden zurück. „Ich habe dich nicht geheilt, damit du dich gleich wieder in den Kampf zurückstürzt!“, bemerkte ich trocken. Ich warf einen kurzen Moment nach hinten, doch noch immer war niemand anderes in der Gasse.

„Ich bringe dich erst einmal hier weg!“, stellte ich klar und verwandelte mich wieder in Ignisaeri. Meine Müdigkeit machte sich immer mehr bemerkbar, doch ich würde mich erst ausruhen, wenn alle unsere Leute, allen voran Fer in Sicherheit waren.

Während ich Fer sanft mit meinem scharfen Drachenzähnen auf meinen Rücken zog, rief ich in Gedanken nach Nox.

>Warte am Waldrand, von wo die Rauchwolken kommen auf mich!<, vermittelte ich ihm, während ich mich kräftig vom Boden abstieß und mit Fer auf meinem Rücken in Richtung Waldrand flog.

>In Ordnung, Ignisaeri!< Ich konnte förmlich spüren, wie sich mein Rappe auf den Weg machte.

Eine Bewegung von unten, ließ mich rasch den Kopf rumreißen und mit einer geschickten Drehung, die beinahe Fer von meinem Rücken geworfen hätte, der sich an meinem Hals klammerte, wich ich dem herannahenden Pfeilhagel aus. Ein paar der Pfeile prallten an meinen Schuppen ab und vielen wieder auf die Schützen heran, die rasch das Weite suchten. Endlich hatte ich den Waldrand erreicht, an dem mich mein Rappe schon aufgeregt wiehernd empfing. Kurz sendete ich ihm, dass nur ich das war, ehe ich mehr oder weniger sanft landete und sämtliches Laub durch den Luftzug mit meinen Flügeln von den Bäumen fegte. Ich schwenkte den Hals, um Fer beim Absteigen zu helfen, dann verwandelte ich mich zurück in das sechzehnjährige, rotbraunhaarige Mädchen. Ich schwankte vor Erschöpfung, doch noch würde ich nicht aufgeben.

„Du bleibst hier!“, befahl ich Fer, der sich erschöpft und mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck an einen Baum niedergelassen hatte. Mein Flug mit ihm schien seinen Rippen alles andere als gut getan zu haben und kurz überkamen mich Schuldgefühle, ehe ich mich an Nox Rücken hochzog. Noch waren nicht alle Palinas im Dorf vernichtet und somit meine Freunde, Familie und Gefolgschaft in Gefahr.

„Carrie?“ Ich drehte mich noch einmal in meinem Sattel um, als ich Fers leise sprechen hörte. Ich rechnete mit Wiederworten und öffnete meinen Mund, um ihm gehörig meine Meinung zu sagen, doch er lächelte mich nur an. „Viel Glück!“

Erstaunt schloss ich den Mund wieder, nickte ihm dankend zu, wobei ich versuchte meine Erschöpfung zu verbergen und gab Nox die Sporen. Ich war froh, dass er bei mir war und nicht nur, weil wir die Strecke in der Hälfte der Strecke hinter uns brachten, sondern auch, weil ich seine Gesellschaft genoss.

Ein Palinas war gerade dabei sich auf Gan zu stürzen, der bereits blutüberströmt war, als mein gezielter Messerwurf ihn in sich zusammensacken ließ. Die Situation erinnerte mich ein wenig an die Situation auf der Lichtung, als mir Gan dankbar zulächelte, doch ich beachtete ihn nicht weiter, sondern zog einen Speer aus einem Leichnam am Weg und warf ihn auf ein Trinas, das soeben ein kleines Kind hatte angreifen wollen, dass sich zwischen zwei Fässer vor den Palinas versteckt hatte. Noch während das Trinas jämmerlich aufschrie, als der Speer sein Auge durchbohrte, schnappte ich mir das dreijährige, blonde Mädchen und zog es hinter mir auf den Sattel. Seine kleinen Händchen umklammerten so fest es konnte meine Hüfte, als ich mich kurz nach oben streckte, den Speer abbrach und die spitze Abbruchkante in die Brust des Trinas rammte, noch ehe es meine Anwesenheit realisieren konnte. Ohne mich weiter um das sterbende Flugtier zu kümmern, galoppierte ich weiter. Meine rotbraunen Haare flogen im Wind hinter mir her und knapp über den Kopf des kleinen Mädchens hinweg. Mein neues Ziel war der Hauptplatz, denn ich musste unbedingt die Eltern der Kleinen finden.

„Halt dich gut fest!“, raunte ich dem Mädchen zu und ließ Nox über ein paar Leichen springen, die wie eine Barrikade in den Weg gestapelt waren. Dahinter erwartete mich endlich der Hauptplatz. Wie bereits bei unserer Ankunft standen dort die Dorfbewohner zusammengedrängt da und wurden halb durch eine Wand aus Palinas verdeckt. Die schwarzen Umhänge ließ die Mauer noch Massiver wirken, als sie ohnehin war. Ich schätzte sie auf drei Dutzend, die in einem undurchdringlichen Wall um die Dorfbewohner standen. Bei dem Hufgetrappel von Nox drängten sie sich dichter zusammen, doch ich hatte keine Angst vor der schwarzen Maske.

„Lasst die Dorfbewohner frei!“, rief ich laut. Meine Stimme hallte von den Hauswänden wieder und durch das Echo klang meine Stimme noch dominanter als sonst. Kein Hauch der Unsicherheit war in ihnen und auch in meinen Augen war nichts als der blanke Hass. Zu lange schon waren sie tätig gewesen, ohne dass sich jemand getraut hatte, etwas gegen sie zu machen. Doch diese Zeiten waren jetzt vorbei. Ich könnte sehen, wie Lak und Flint von der anderen Seite des Marktplatzes kamen, derzeit noch unbemerkt, das sie wie für Vampire üblich im Schatten wandelte.

Die Palinas lachten und Wut stieg in mir hoch. Wut, die meinen geschwächten Kräften zugutekam und mir mehr Kraft schenkte, als ich sonst gehabt hatte. Ich zog das Schwert, dass an Nox Rücken befestigt war. Selbst wenn ich noch nicht wirklich mit der Klinge umzugehen wusste, würde ich dennoch den Palinas Angst machen. Und so war es auch. Ein paar Keuchten überrascht auf, als sie die Klinge erblickten und der Anführer, jedenfalls nahm ich an, dass es der Anführer war, konnte sich ein „Das ist unmöglich!“, nicht verkneifen.

„Das ist es nicht!“, rief ich aus und warf nun, wo ich den Anführer gefunden hatte meinen Dolch. Der Palinas kippte um, ehe er zu Asche wurde und auch bei dem Anblick des Dolches konnte ich einige aufkeuchen hören, doch noch immer bewegten sie sich nicht. Dennoch schienen sie durch den Tod ihres Anführes sehr verunsichert zu sein.

„Verstecke dich in dem Hauseingang links hinter uns!“, wisperte ich dem Mädchen in meinem Rücken zu.

„Ja, mihi regina!“, murmelte es ergeben und ich konnte es leise von Nox Rücken rutschen hören.

„Was ist denn nun. Kämpft ihr oder kämpft ihr nicht?“, fragte ich wieder laut und provozierend. Die Palinas schauten sich einen Moment unentschlossen an, dass rannten sie auf mich zu. Ich gab Nox die Sporen und zusammen ritten wir auf sie zu. Mehr improvisatorisch als alles andere ließ ich meine Klinge auf jeden Palinas herabgleiten, der sich mir auch nur zu nahen drohte. Schließlich, als ich das Gefühl hatte, dass sie mich umzingelt hatten, ließ ich einen Feuerkreis um mich entstehen, der mindestens ein Dutzend verschlang. Natürlich war die fehlende Kraft nicht ohne, doch ich zwang mich, meine Augen aufzubehalten und die Dorfbewohner, die sich endlich aus ihrer Starre hatten lösen können, versuchten nun selber die Palinas zu überrumpeln. Dieser Anblick gab mir neue Kraft, sodass ich mich schließlich von Nox herunterwarf auf einen Palinas, der gerade versuchte sich aus dem Hinterhalt an meinen Bruder heranzuschleichen. Die beiden Vampire hatten es tatsächlich durch ihre List und meine Ablenkung geschafft ebenfalls ein Dutzend der wandelnden Leichen zu vernichten. Mein Schwert entglitt meinen schweißnassen Händen und so tastete ich nach meinem Messer, um es dem Palinas ins Herz zu rammen. Ehe ich es jedoch zu greifen bekam, landete ich bereits auf dem Boden. Ich rollte mich ab und schaffte es endlich das Messer zu greifen und dem über mir ragenden Palinas in die Brust zu stoßen.

„Das wirst du bereuen!“, röchelte er und sackte in sich zusammen. Kurz glaubte ich in seinem Blick den des Schattens zu sehen, ehe die Augen gläsern wurden und sich der Leichnam in Asche verwandelte, doch wahrscheinlich hatte ich mich nur geirrt.

„Pah, das werden wir ja noch sehen!“, stieß ich hervor und spukte auf die Asche des Palinas, ehe ich mich nach meinem Schwert umsah. Es lag gerade mal zwei Meter von uns entfernt, gut bewacht von Nox, der sich aufmerksam in der Gegend umsah. Während ich auf ihn zuging, sah auch ich mich um. Lediglich zwei Palinas wurden noch von einigen Dorfbewohnern gejagt, die schreiend hinter ihnen in den Gassen um den Marktplatz verschwanden. Sonst war von der schwarzen Masse an lebendig gewordenen Leichen nicht viel übriggeblieben. Müde griff ich nach meinem Schwert und stützte mich halb auf ihm auf, während ich die letzten Zentimeter zu Nox bewältigte, um mich an seinem Rücken hochzuziehen.

>Dein Dolch!<, erinnerte mich Nox und ich drehte mich noch einmal um, um meinen Dolch zu holen. Allerdings war dies gar nicht mehr nötig, denn Lak stand bereits vor mir und hielt mir meinen Dolch hin.

„Hier.“, sagte er. Seine Stimmung konnte ich nicht ganz deuten. „Ich weiß nicht, ob ich dich beglückwünschen oder dich für verrückt erklären soll, Schwesterherz. Was hast du dir nur dabei gedacht, es allein mit rund vierzig Palinas aufnehmen zu wollen?!“ Oje, war er etwas verärgert.

„Danke!“, erwiderte ich und ließ mich von ihm auf Nox Rücken helfen. „Und ich war nicht allein!“, stellte ich Richtung, während ich ihn zu mir auf den Pferderücken zog. „Ich hatte doch euch!“

Lak schnaubte und klang dabei Nox recht ähnlich, der soeben an der Leiche eines Dorfbewohners schnupperte, der seinen Kampf mit dem Leben bezahlt hatte. Was hatte ich nur getan?

>Er hat Recht.<, hörte ich Michael in meinem Kopf. >Du solltest vorsichtiger sein. Und jetzt bedanke dich bei den Dorfbewohnern für ihre Hilfe.< Ich grummelte innerlich wegen der Zurechtweisung, gab ihm bei Letzteres aber Recht. Ich sah zu den Dorfbewohnern, die sich Nox vorsichtig genähert hatten. Auch von Flint, der am Rande des Marktplatzes stand, erntete ich einige neugierige Blicke.

„Ich danke euch für eure Hilfe und bitte um Verzeihung für Jene, die für meine Tat hier ihr Leben ließen.“

„Es war für sie eine große Ehre gewesen, mihi regina!“, hauchte eine alte Frau, Mitte siebzig und fiel vor mir auf die Knie.

„Carrie, was-?“, hauchte mir Lak erschüttert ins Ohr. Er schien nicht genau zu wissen, wie er reagieren sollte, so wie ich bei meiner ersten Verbeugung von Jemin, doch ich schüttelte nur unmerklich den Kopf und er verstand, dass er vorerst keine Antwort erhalten würde.

„Dennoch hoffe ich, dass ihr keine allzu großen Verluste zu beklagen habt und hätte mir gewünscht, euch unter anderen Umständen zu begegnen. Wenn wir euch irgendwie bei dem Aufbau oder der Versorgung helfen können, dann sagt bitte Bescheid. Und hört mit der Regina an. Ich bin wie ihr und nur wegen meiner Herkunft keineswegs höhergestellt. Nennt mich einfach Elisabeth oder Carrie, wie ich in der Menschenwelt bislang genannt wurde.“

Auf meine Worte hin brach einiges Gemurmel in der Dorfgemeinschaft aus. Ich schnappte einige Wortfetzen auf. „Sie ist genauso gütig, wie der König.“ „Es ist ein Wunder.“ „Was wohl aus dem König geworden ist…?“ Ja. Was war aus meinem Vater geworden? Und was erwarten jetzt die Dorfbewohner von mir. Eine Tür riss mich aus meinen Gedanken. Das kleine, blonde Mädchen hatte ich ja ganz vergessen. Die Dreijährige rannte über den Platz und fiel einer dreißigjährigen, ebenfalls blonden Frau in die Armen und drückte sich fest in ihre Arme.

„Die Prinzessin hat mir das Leben gerettet!“, erzählte sie stolz ihrer Mutter. Lak, der die Versammlung mit wachsamen Augen beobachtet hatte, erstarrte „Prinzessin-?“

„Später!“, murmelte ich.

>Carrie?< konnte ich meinen Gefährten verschlafen in meinen Gedanken hören. Ich erinnerte mich daran, dass wir zurückmussten.

„Uns stehen schwere Zeiten bevor!“, wandte ich mich an die versammelte Menge. „Dieser Kampf wird nicht der letzte sein und ich bezweifelt, dass ihr hier weiter sicher sein werdet. Ich verlange von niemandem, dass er seine Familie verlässt, doch wer mir freiwillig zur Seite stehen will, den werde ich nicht aufhalten. Wer uns begleitet, dem kann ich nicht versprechen, dass er zu seiner Familie zurückkehrt, doch ich bin mir sicher, ihr seid euch alle der Gefahr des Krieges bewusst. Entscheidet für euch, wer uns begleiten will. Wir reiten am Morgengrauen los. Bis dahin werden wir euch helfen, eure Häuser zu sichern und die Brände zu löschen. Ich wünsche allen, die hierbleiben viel Glück.“ Mit diesen Worten deutete ich eine Verbeugung vor den Dorfbewohnern an und gab Nox die Sporen, der langsam lostrottete, den Weg nehmend, den wir bereits bei unserer Hintour hinter uns gelassen hatten. Flint holte uns noch vor der nächsten Gasse ein.

„Du bist König Borkils Tochter Elisabeth?“, fragte er neugierig. Ich nickte nur, zu müde zum Sprechen. Außerdem, was hätte ich groß sagen sollen, außer ein lahmes Ja.

„Dann sind dir Lilienkrieger deine Untertanen?“ Wieder ein Nicken meinerseits. Mann, war der neugierig.

„Und Lak ist nicht dein richtiger Bruder?“ Dieses Mal schüttelte ich bedauernd den Kopf.

„Aber er wird immer einer fünf mich bleiben. Denn er war stets für mich da und ich bin mit ihm großgeworden, egal ob wir jetzt Blutsverwandt sind oder nicht.“, stellte ich richtig. Das schien Flint sehr nachdenklich zu stimmen und meinen Bruder schien es zu freuen, dass ich mich für ihn eingesetzt hatte, obwohl er noch immer verstimmt wirkte, dass ich ihm verheimlicht hatte, dass ich wusste, wer meine Eltern waren. Na der würde sich aber freuen, wenn er erfuhr, dass ich auch noch eine ältere Schwester hatte. Doch ich beschloss, dass es gerade nicht der Moment war, um weitere Geheimnisse zu lüften, allein schon, weil wir Gan in diesem Moment erreichten. Aus einer Seitengasse kamen einige Lilienkrieger auf uns zugestürmt, die sichtlich froh waren, als sie sahen, dass wir unverletzt waren.

„Habt ihr den Drachen gesehen?“, fragte der eine von den Lilienkriegern. Ich schmunzelte und konnte sehen, wie Jemin mir zuzwinkerte.

„Tja, offenbar sind die Ignisaeri doch noch nicht ausgestorben.“, stellte Flint fest, womit er sich die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zog und Lak sich beeilte sie über Flints Herkunft zu informieren. Nachdem diese ganzen Formalitäten geklärt waren und mich Gan ausführlich nach Verletzungen abgescannt hatte, kehrten wir endlich zu meinem Gefährten zurück, der schon ungeduldig auf uns wartete.

„Das Dorf war eine Falle!“, stellte er alarmiert fest. „Während wir uns um die Dorfbewohner gekümmert haben, haben sie die Karawane angegriffen. Ich habe unser Rudel sofort losgeschickt, als mir Fil einen Hilferuf gesendet hatte, doch bislang wissen wir nichts Genaueres.“

Die Karawane war angegriffen worden? Aber was war dann mit Elias und Elena? Mir fiel auf, dass ich mich sehr wenig um die beiden gekümmert hatte, seit meiner Gefangennahme bei Graf Bringet, Fils Angriff und dem Auftauchen meines Bruders. Ob Elena allzu wütend auf mich war?

>Du kannst dich nicht immer um alle kümmern!<, versuchte mein Gefährte mich zu beruhigen, als er meine Gedanken auffing.

>Aber immerhin sind sie wie ich!<, protestierte ich schwach. Die Erschöpfung ließ meinen Körper immer schwerer werden, sodass ich Mühe hatte, mich im Sattel zu halten. Fer, der das zu spüren schien, warf mir einen beunruhigten Blick zu. Ich schien mich eindeutig überanstrengt zu haben.

>Wir haben uns ein wenig um sie gekümmert. Vor allem unter den Lilienkriegern scheinen sie Freunde gefunden zu haben, obwohl durchaus gefragt wurde, was ein paar Kinder auf unserer Reise zu suchen haben.<

Aber ich war rein rechtlich doch auch noch ein Kind. Und hatte trotzdem so viel Verantwortung zu tragen. Außerdem würde ich die beiden Elementarkinder auch lieber in Sicherheit wissen, als sie mit uns reiten zu lassen, aber leider hatten wir dabei keine andere Wahl.

>Ich weiß, Flämmchen. Ich weiß.< Wie konnte jemand nur so viel Verständnis haben? Obwohl ich so viele Fehler schon gemacht hatte, oftmals recht unüberlegt handelte und zu Unfällen neigte, schien Fer jederzeit Verständnis für mich zu haben. Es gab wirklich keinen besseren Gefährten, den man ich vorstellen konnte. Aber hatte ich ihn überhaupt verdient?

>Die Frage ist eher, wie ich dich verdient habe<, erwiderte mein Gefährte bloß. >Und Fehler macht jeder, egal ob Arsanimali oder Homini.<

Ich wollte ihn unterbrechen, ihm sagen, dass er keine Fehler machte und einfach nur perfekt war, doch in dem Moment spürte ich Fil über den Rudelkanal und signalisierte Fer, dass er sich verwandeln sollte, damit er ihre Nachricht empfing. Ich hatte das durch Ignisaeri zum Glück nicht nötig, konnte aber nicht verhindern, dass meine Augen sich Golden verfärbten. Da ich nicht wusste, wie Nox reagieren würde, stieg ich ab. Er bat mich darum, nach Fers Stute Lucy zu sehen und ich vermutete, dass zwischen den beiden mehr war, als ich geahnt hatte. Ich erlaubte es ihm und schaute ihm wehmütig hinterher, wie er im Wald verschwand. Erst dann begab ich mich in den Rudelkanal.

>Wir haben den Kampf mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Einige Lilienkrieger sind Tod und Roje wird es vermutlich auch nicht überleben. Außerdem sind in einem Moment der Unachtsamkeit die beiden Kinder verschwunden. Wir haben sie überall gesucht, doch ohne Erfolg. Wir vermuten, dass sie entführt worden sind.<

Ich zuckte zusammen. Mit den beiden Kindern konnte sie nur die beiden Elementarkrieger meinen. Elias und Elena waren entführt worden.

Kapitel 38

Ein unangenehmes Gefühl stieg in mir hoch. So schnell es meine erschöpften Glieder erlaubten rappelte ich mich hoch, um im nächsten Moment zum nächsten Busch zu stürzen. Viel Gegessen hatte ich nicht, doch das Brennen der Magensäure in meinem Rachenbereich gab mir den Rest.

„Carrie!“ Fer stürzte besorgt zu mir und hielt mir die Haare hoch, während ich mich übergab. Immer wieder durchfuhr mich ein: Sie sind entführt worden. Ich habe versagt. Ich hätte auf sie aufpassen sollen. Mit dem Würgreflex kamen auch die Tränen und so schluchzte ich immer noch, als nicht mehr kommen wollte.

„Es war nicht deine Schuld!“, versuchte mich mein Gefährte zu beruhigen, während wir uns beide gegenseitig stützten. Ich fühlte mich ziemlich abgekämpft und trotz der wärmenden Flamme in mir innerlich leer und kalt. Fühlte sich so ein Schock an? Oder zumindest dass, was die Allgemeinheit unter einem Schock verstand. Ich wusste ja durch meinen Vater, dass ein Schock normalerweise nichts psychisches sein konnte, sondern andere Ursachen wie eine Allergie oder Flüssigkeitsverlust war.

„Wir müssen den Dorfbewohnern beim Löschen helfe und den anderen bei ihren Verletzungen.“, meldete sich mein Pflichtbewusstsein zurück, da ich wusste, dass es sich nicht lohnen würde, mit meinem Socius zu streiten. Ich wusste für mich einfach, dass ich hätte besser aufpassen müssen, egal was die anderen sagen würden oder sagten. Immerhin waren Elias und Elena für mich so etwas wie Kinder gewesen.

>Ich als dein Gefährte teile im diesem Punkt sogar deine Gefühle. Du wärst eine wunderbare Mutter!<, griff mein Gefährte laut auf. Ich brauchte ihm nicht zu sagen, wie sehr ich das bezweifelte, denn er konnte mein schlechtes Gewissen und diese Tatsache deutlich von meiner Gerunzelten Stirn und meinem Skeptischen Blick ablesen. Fer seufzte innerlich.

„In Ordnung. Carrie sollte sich ein wenig ausruhen und wird daher mit mir und Gan zu dem Rest des Rudels zurückkehren, das dringend medizinische Hilfe benötigt.“, stellte er für den anderen hörbar klar. „Der Rest wird im Dorf bei den Aufräumarbeiten und Löscharbeiten helfen. Noch Fragen?“

Die Lilienkrieger schüttelten den Kopf, doch Lak war eindeutig nicht einverstanden.

„Ich will bei meiner Schwester bleiben! Es geht ihr nicht gut und es ist meine Pflicht als ihr Bruder-„

Fer seufzte wieder, dieses Mal laut, ergab sich aber dem Wunsch meines Bruders.

„In Ordnung. Aber du bleibst die einzige Ausnahme, mein baldiger Schwager.“

„Schwager? Wann habt ihr euch denn verlobt?“, fragte Lak skeptisch. Das würde ich auch gerne wissen.

„Es hatte sich nur noch nicht die Gelegenheit ergeben…“, redete sich mein Gefährte heraus. Plötzlich schien er sehr zurückhaltend zu sein. Und sich sogar ein wenig zu schämen, was mich sehr erstaunte.

Sowohl Lak als auch ich hatten eine Augenbraue erhoben, beließen es aber dabei.

„Gut, Lak. Wir sehen uns später.“, verabschiedete sich Flint und ging rasch zurück in Richtung Dorf, gefolgt von den Lilienkriegern. Es war nicht zu übersehen, dass er der Szene gerade eben entkommen wollte.

>Du weißt schon, dass du Prinz wenn nicht sogar König wird, wenn du mich heiratest?<, erinnerte ich Fer an meine Herkunft. Er nickte nur unbekümmert.

>Mit dir an meiner Seite bewältige ich jede Herausforderung.< Ich spürte, wie ich rot würde. Während ich mich zu den Anderen umdrehte überkam mich ein leiser Schwindel, doch ansonsten ging es mir bis auf den faden Geschmack in meinem Mund wieder so weit gut. Dennoch ruhte noch immer Gans besorgter Blick auf mir. Immerhin hatte ich mich vor seinen Augen übergeben. Vermutlich war es die Überanstrengung, die Erschöpfung und der Schock auf die Nachricht gewesen. Also eindeutig psychischer Natur.

„Keine Sorge, Gan- Ich brauche nur eine kräftige Mütze Schlaf, sodass ich mich von den ganzen Strapazen erholen kann, dann bin ich wieder fit wie ein Turnschuh!“, versuchte ich den Heilmagier zu beruhigen. An Gans düsterer Miene sah ich jedoch, wie stark mein Versuch fehlschlug und ich seufzte.

„Hast du vielleicht einen Apfel für mich? Eine Stärkung wäre sicher auch nicht schlecht!“, schlug ich ihm vor. Außerdem würde ich dann den faden Geschmack in meinem Mund verlieren. Noch immer musterte mich der Heiler. Dann brummte er schließlich unzufrieden und warf Fer einen Blick zu der so viel sagen sollte wie: >Wenn sie auch nur schwankt, dann trägst du sie< zu.

„Bei den Satteltaschen auf der Lichtung, auf der wir dank deiner wieder mal unüberlegten Rettungsaktion halten mussten, habe ich noch einen Apfel für dich. Aber der wird gegessen. Hast du mich verstanden?!“ Ich weiß, Gan meinte es nur gut, aber in diesem Moment wollte ich einfach nur die Augen verdrehen, selbst wenn seine Stimme keinen Wiederspruch duldete.

Ich nickte, ließ meine Wiederworte tief in meinen Gedanken verschwinden, zu fertig zum Streiten. „Danke Gan.“

Die Miene des Heilers wurde sanfter. Auf dem Weg zu den anderen Pferden spürte ich immer wieder besorgte Blicke von meiner Familie auf mir, doch es ging mir schon besser. Zwar tat mir noch immer der ganze Körper vor Überanstrengung weg, aber wenigstens verging die Müdigkeit. Ich ließ mir die Zeit mit den Gedanken an Elias und Elena verfliegen. Kurz tauchte sogar mal kurz die Frage nach meiner Schwester auf, doch sie wirbelte ebenso rasch wie die anderen Gedanken. Damit ich mich erst mal Ordnen konnte und Fer nicht noch mehr durcheinanderbrachte, versuchte ich meine Gedanken so gut es ging vor ihm abzuschirmen. Allerdings fühlte ich durch unser Band, dass die Sorge meines Gefährten dadurch nicht weniger wurde. An den Blicken meines Bruders konnte ich spüren, wie gerne er meine Herkunft mit mir klären wollte, doch er schien zu verstehen, dass es gerade der falsche Zeitpunkt dafür war, denn er schwieg beharrlich und warf mir lediglich immer wieder Blicke zu. Mal sprach Besorgnis aus ihnen, mal Verärgerung und manchmal auch nur Erschöpfung. Ich erinnerte mich an seine anstrengende Reise bevor er mich fand und sofort wurde meine Miene weicher. Ich war so froh, ihn endlich bei mir zu haben. Doch würde er mich und Elara auch noch akzeptieren, wenn er von meiner Herkunft wusste? Ich runzelte die Stirn.

„Carrie, Liebste. Worüber denkst du nach?“, unterbrach Fer endlich das Schweigen. Es grämte ihn, nicht zu wissen, was in mir vor sich ging, dass konnte ich deutlich an seinem Gesicht ablesen. Ich seufzte.

„Zu viel!“, murmelte ich müde und stolperte gedankenverloren über eine Wurzel, die vor uns auf dem Weg lag. Nur Fers schnelle Reaktion gerettet mich vor der Begegnung mit dem Boden.

„Danke!“, murmelte ich und riss mich aus Fers Amen los.

Mein Gefährte gab ein unwilliges Grummeln von sich.

„Alles Okay?“, fragte Gan beunruhigt. Die Sorge in seinem Blick war nicht weniger geworden.

„Klar.“, versuchte ich in zu überzeugen und stolperte weiter, dieses Mal um einiges mehr auf herausstehende Wurzeln achtend.

Endlich erreichten wir die Anderen, ich hatte die Blicke meiner Familie schon fast nicht mehr ertragen können. So als ob ich zerbrechlich wäre und diese Gefahr auch jederzeit bestände. Ich fand das ziemlich übertrieben, aber mich fragte ja keiner. Fer hatte mich zwischendurch auf den Arm nehmen wolle, doch ich hatte mich geweigert und ich auf seine gebrochenen Rippen hingewiesen. Ich fand ja, dass er viel schlimmer dran war als ich, doch ich schien mit meiner Meinung so ziemlich alleine zu sein.
„Fer.“ Fil kam uns entgegengehumpelt. Sie war immer noch erschreckend blass. Und die Verletzung an ihrem Bein und ihrem Kopf machten ihr Gesamtbild auch nicht besser. Bei ihrem Anblick musste ich unwillkürlich schlucken. Und ich sollte schlimm aussehen?!

„Sie kamen so schnell. Ich konnte nichts tun. Ich habe versucht die beiden Kinder zu verteidigen, doch sie waren in der Übermacht. Es tut mir Leid.“ Fil schien ein ziemlich schlechtes Gewissen zu haben. Tränen liefen über ihr kaltweißes Gesicht und sie zuckte zusammen als eine Träne die rote Linie an ihrem Hals traf, die mir jetzt erst auffiel. Es war zum Glück nur ein Kratzer, doch ich konnte mir die scharfe Klinge, die an ihrem Hals gelegen haben musste nur zu gut vorstellen.

„Dich trifft keine Schuld, Fil.“, murmelte ich beschämt. „Ich hätte besser aufpassen müssen. Immerhin bin ich euer Alpha und habe somit die Verantwortung über das Rudel zu tragen. Meine Entscheidung wegzulaufen war sehr egoistisch und dass ich Fer damit von seinen Pflichten abgehalten habe, macht es auch nicht besser. Ich bin mir sicher, du hast den Palinas ordentlich in den Hintern getreten.“ Ich schenkte ihr ein trauriges Lächeln. Auch mir stiegen die Tränen in die Augen und ich musste mir in Erinnerung rufen, dass ich meine Aufgabe zwar sehr vernachlässigt hatte, jedoch nun keine weitere Schwäche zeigen sollte. Die junge Tigerdame kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie schien noch immer tief von Schuldgefühlen geplagt zu sein. Mir ging es da nicht besser.

Der Heilmagier warf mir nur einen kurzen Blick zu, den ich nicht ganz deuten konnte, ehe er auf Fil zutrat, die sich nach einem kurzen warnenden Fauchen von ihm behandeln ließ. In der Zeit versuchte ich mir ein Bild von der Lage generell auf dem Platz zu verschaffen. Der weiße Schimmel von Fer blutete leicht in der Flanke und einige der Pferde schienen in dem Kampf das Weite gesucht zu haben, doch ich war mir sicher, dass sie wiederkehren würden. Die Stute von Fer tänzelte unrihig umher und ich ging langsam auf sie zu.

>Es wird alles wieder gut!<, versuchte ich sie gedanklich zu beruhigen. Die Stute schnaubte und legte den Kopf schief.

>Du bist Lucy, oder? Mein Hengst Nox hat mir das gesagt. Du brauchst keine Angst zu haben.< Meine Stimme war immer noch beruhigt und ich sah wie sich die Ohren der Stute neugierig aufrichteten.

>Ich habe keine Angst vor dir, Ignisaeri. Nox hat mir von dir erzählt. Allerdings sind es die Augen deines Begleiters, die mich zur Vorsicht rufen. Einer der Angreifer, der ganz komisch roch, hatte eine ebenso dunkle Augenfarbe.<

Also war einer der Angreifer ein Vampir gewesen. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass sie mit meinen Begleiter Lak meinte, der noch immer am Rande der Lichtung stand und versuchte die Situation auf der Wiese zu rekonstruieren.

„Bitte, nennt mich Carrie!“, sagte ich laut und sah dabei erst Lucy und dann Nox an. Beide Pferde schnaubten nur abfällig und ich seufzte. Warum wollten sie mich dauernd nach meiner Art nennen. Es war ja fast so, als würden sie mich die ganze Zeit Mensch nennen. Sehr unpersönlich. Lak sah mich sonderbar an. Ahnte er, was in meinem Kopf vor sich ging? Oder wunderte er sich nur, mit wem ich sprach.

Ich schüttelte den Kopf und versuchte meine Gedanken zu ordnen.

>Fer, mein Tiger?< Mein Gefährte sah auf, merklich froh, dass ich mich nicht mehr vor ihm verschloss.

>Lucy meinte unter den Angreifern sei ein Vampir gewesen.< Fers Augen weiteten sich, als er meine Gedankennachricht empfing. Ich sah wie er in der Luft schnupperte und erinnerte mich daran, dass die Gestaltwandler eine bessere Nase hatten.

>Ein Gurter<, knurrte mein Socius. Ah, deswegen war mir der Geruch, der über dem ganzen Platz lag, so bekannt vorgekommen. Offenbar hatte eine dunkle Seele von der Vampirleiche besitzt ergriffen. Mit einem Schaudern versuchte ich mir vorzustellen, wie viel Macht so ein Vampirgurter haben musste.

>Sind Vampirgurter eigentlich unsterblich?<, fragte ich Fer und eine erneute Gänsehaut kroch mir den Rücken herunter.

>Jedes Wesen kann in irgendeiner Weise sterben, Carrie.<, belehrte mich mein Gefährte.

>Die ganzen Bücher, die über unsere Welt geschrieben wurden sind nur teilweise wahr. Vampire sind zwar sehr langlebige Geschöpfe, können aber ebenso durch einen scharfen Gegenstand im Brutbereich sowie durch Köpfen getötet werden. Da ähneln sie den Palinas sehr. Aber vielleicht sollten wir dieses Gespräch später fortsetzen. Oder du fragst einmal deinen Bruder. Er sollte sich am besten mit Vampire auskennen. Immerhin ist er selber einer. Jetzt sollten wir uns alle erst einmal eine Pause gönnen. Ach und Carrie, wolltest du vorhin nicht einen Apfel haben?<, erinnerte mich mein Socius.

Mmh. Da hatte mein Gefährte ja gut abgelenkt. Ohne auf Fers Kommentar einzugehen, ging ich zu Gans Fuchs, der ebenfalls noch ziemlich vom Kampf traumatisiert schien und entnahm nach ein paar kurzen beruhigen Worten vier Äpfel. Je einen gab ich den beiden Pferden und meinem Gefährten, ehe ich selbst herzlich in das saftige Fruchtfleisch des Obstes biss und endlich den faden Geschmack nach Magensäure aus meinem Mund verbannen konnte. Auch mein Magen schien sich über die Nahrung zu freuen. Von der Übelkeit vorhin war keine Spur mehr zu fühlen. Vermutlich war es vorhin wirklich nur die Aufregung gewesen. Gan, der sich inzwischen Lucys Verletzung zugewandt hatte warf mir einen schnellen Blick zu, so als befürchte er, dass ich mich erneut übergeben müsse, doch mir ging es gut. Und so schenkte ich ihm lediglich ein beruhende Lächeln und widmete mich witer meinem Apfel. Erst als ich ihn vollständig verspeist hatte, ließ ich mich an Nox Seite, der am Rande angefangen hatte zu grasen, niedersinken. Mein schwerer Kopf lag an seinem heißen Bauch und auch sonst schien er eine ziemliche Hitze auszustrahlen.

>Ein Feuerpferd für den Feuerengel<, hörte ich Michael in meinem Kopf schmunzeln. Er schien mir nicht mehr böse zu sein, worüber ich ziemlich froh war. Immerhin würde ich mir nie die Macht, die ich über andere haben konnte, zu Nutze machen. Sie machte mir ja selber Angst.

>Aber warum?<, fragte mich der Erzengel. Er schien meine Gedanken gelesen zu haben, doch ich war zu müde, um ihm das vorzuhalten. Nur am Rande nahm ich mit, wie sich Fer neben mir niederließ und meinen Kopf zu sich zog, um mir einen liebevollen Kuss aufzudrücken.

>Nur weil man Macht hat, heißt es noch lange nicht, dass man Mächtig ist. Und Macht bedeutet gleichzeitig Gefahr. Und sei es auch nur die Gefahr, dass mir die ganze Macht zu Kopf steigen könnte und ich sie missbrauche. Außerdem steigen die Erwartungen von mich von Tag zu Tag und ich bezweifle, dass ich sie erfüllen kann.<, offenbarte ich ihm mein Inneres.

>Warum, Michael? Warum, ich?< Ich erwartet nicht wirklich eine Antwort auf meine Frage. Mit leerem Blick sah ich dabei zu, wie die anderen Gestaltwandler ein Feuer entfachten, doch ich war zu müde, um ihnen zu helfen.

>Weil ich dich und deine Mutter als würdig für mein Erbe empfand. Mein Bruder Gabriel war nicht sehr begeistert, deswegen haben deine Flügel eher den Rang eines gefallenen Engels und sind daher schwarz. Erst wenn du stirbst, werden sie so rein sein, wie die unsrigen.<

Aha. Damit war dann wohl auch die Farbgebung erklärt.

>Hat meine Schwester, die Gabriels Blut in sich trägt auch schwarze Flügel?<

Michael zögerte merklich. >Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Wir vermuten, dass sie sozusagen als dein Gegenstück weiße Flügel besitzt, sind uns allerdings nicht so sicher, da sie noch nichts von ihrer Herkunft weiß und es uns verboten ist, uns vorher einzumischen.<

>Das heißt, sie kann ihre Flügel noch gar nicht nutzen?<, fragte ich neugierig. Nun war mein Interesse vollständig geweckt. Bisher hatte ich noch nicht viel über meine Schwester erfahren. Nur, dass sie älter war als ich und Gabriels Blut in sich trug.

>Du konntest sie auch nutzen, ehe du von uns erfahren hast!<, erinnerte mich mein Engelsvater. >Allerdings weiß sie noch nichts von Ihnen, sonst würden wir ihre Farbe kennen.<

>Aber ihr beobachtet sie, oder Michael?< Ich spürte, dass der Erzengel vorsichtiger wurde. Offenbar wollte er an dieser Stelle noch nicht allzu fiel preisgeben. Schade, eigentlich.

>Gabriel hat immer ein Auge auf sie. Immerhin ist sie so etwas wie seine Tochter. Allerdings kann er ihr auch noch nicht helfen, da sie wie gesagt noch nichts von uns weiß. Es gab schon Momente, dass er aus diesem Grund ziemlich getobt hat und sogar von IHM eine Strafe deswegen bekommen musste.<

Ich nahm an, dass mit IHM Gott gemeint war. Mmh. Ich war nie der gläubige Mensch gewesen und dass es jetzt einen Gott geben sollte, machte es nicht besser. Aber immerhin war mein Vater und ich somit zum Teil ein Engel. Ob er wütend auf mich war, dass ich nie an IHN geglaubt hatte oder es für mich nur schwer viel, IHN einfach zu akzeptieren. Immerhin hatte ich nie Beweise für seine Akzeptanz gesehen, bis Michaels Stimme in meinem Kopf aufgetaucht war und meine Flügel gewachsen waren.

>Ich glaube, er versteht es.<, besänftigte mich mein Engelsvater. >Er hat nur so reagiert, weil der Himmel sein Reich ist, dass Gabriel zerstört hat. Außerdem wollte mein Bruder das Gesetz brechen und seiner Tochter schon von uns erzählen, noch ehe sie über sich Bescheid weiß. Du brauchst dir also keine Gedanken zu machen. Mir ist egal, an wen oder was du glaubst. Hauptsache du glaubst an dich.< Seine Stimme war immer sanfter geworden und ich glaubte schon fast sein liebevolles Lächeln zu sehen, obwohl ich den Erzengel noch nie persönlich gesehen habe.

>Was hält er davon, dass ihr euer Blut an einige Menschen weitergeben habt?<, fragte ich nachdenklich. Es war schon zu wissen, dass zumindest mein Glaube in dieser Welt keine große Rolle spielte. Damit hatte ich zumindest ein Problem weniger zu bewältigen.

>Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Es wird spät. Außerdem glaube ich, dass dein Gefährte noch etwas von dir will. Da ich dachte, dass du lieber deine Informationen erst einmal für dich hättest, habe ich ein Schutzschild über uns gelegt, damit wir ungestört sind. Ich glaube, dass fand er nicht so schön. Daher ziehe ich mich jetzt zurück. Ach und übrigens, Tochter. Toller Kampf vorhin. Du wirst immer stärker.< Mit diesen Worten zog sich Michael aus meinem Kopf zurück und ich spürte, das Fer vor meinen Augen schnipste, die offenbar leer in der Gegend umhergestarrt hatten.

Ich blinzelte und bemerkte verblüfft, dass die Lilienkrieger zu uns gestoßen waren und sich um das große Feuer, das inzwischen in der Mitte des Platzes loderte, gescharrt hatten. Auch die seichte Dunkelheit um uns herum, fiel mir erst jetzt auf. Offenbar hatte mein Gespräch mit meinem Engelsvater länger gedauert als erwartet. Ich wandte meinen Kopf zu meinem Gefährten, der mich erwartungsvoll anstarrte.

„Entschuldige bitte, Fer. Ich war vertieft in einem Gespräch mit meinem Va-“ Ich brach ab. „Erzengel Michael.“

Mein Socius zog die Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Er war es immer noch nicht gewöhnt, dass ich von einem Engel abstammen sollte, oder zumindest sein Blut in meinen Adern floss.

„Ich wollte eigentlich nur wissen, ob es dir gut geht. Aber du warst geistig irgendwo anders und hattest auch eine Schutzbarriere errichtet, sodass ich trotz unserer abgeschlossenen Verbindung nicht zu dir durchdringen konnte. Ich frage mich immer noch, wie du dass schaffst. Eigentlich sollte das nicht möglich sein.“ Er schien nicht ganz zu wissen, was er dazu sagen sollte. Ich ehrlich gesagt auch nicht.

„Vielleicht bst du stärker, als wir geahnt haben, und-“, begann er zu überlegen, doch ich legte zu seinem und meinem Erstaunen nur einen Finger auf seine Lippen und versiegelte sie dadurch.

„Dieses Mal war ich unschuldig.“, erklärte ich ihm leise. „Michael dachte, dass wir lieber ungestört sein wollen und hat eine Barriere errichtet. Nicht ich. Außerdem sind wirklich nicht alle meine Gedanken für dich bestimmt, Fer Tigris.“, neckte ich ihn leicht.

Statt einer Antwort hielt Fer meine Hand, die ich bereits zurückziehen wollte, fest und küsste langsam meine Finger und meine Handfläche ohne seinen Blick von meinem Abzuwenden. Ich atmete schneller und versank in seinen moosgrünen Augen. Mit einem Zwinkern zu Ruber, der zu uns geschaut hatte, als Fer mich auf die Beine zog, verschwanden wir schließlich ein paar Meter in den Wald, wo mir Fer noch ein paar sanfte und angenehme Stunden bereitete, die unseren Seelen zumindest sehr gut taten.


Kapitel 39

Am nächsten Morgen weckte mich ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. So schnell ich konnte, rappelte ich mich hoch und weckte damit Fer, an deren Brust ich geschlafen hatte.

„Wo willst du hin?“, hörte ich ihn immer noch verschlafen und vor Müdigkeit nur halboffenen Augen fragen.

„Für kleine Ignisaeri!“, murmelte ich antwortend und verschwand im Wald noch ehe Fer etwas erwidern konnte. Es gelang mir noch fünfzig Meter vom Platz wegzukommen, ehe ich mich erneut übergab. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, nachdem wir bei unserer Rückkehr noch etwas Brot zu uns genommen hatten, doch für meinen Magen war es noch nicht lange genug gewesen. Halbwegs um mein Essen trauernd, erhob ich mich wieder und dachte nach. Ich übergab mich in letzter Zeit eindeutig zu häufig. Wann hatte ich das letzte Mal mit Fer geschl- Ich verbot mir den Gedanken daran, dass ich von meinem Gefährten schwanger sein könnte, noch ehe ich richtig zu dem Schluss kam. Da ich wusste, wie gerne mein Socius meine Gedanken las, würde ich ihm damit nur unnötig Hoffnung machen. Außerdem ich war gerademal sechszehn und kurz davor in den Krieg zu ziehen. Ich konnte mir jetzt kein Kind erlauben. Ein Druck etwas weiter unten erinnerte mich daran, das auch meine Blase wachgeworden war und ich erleichterte mich noch rasch, ehe ich zu meinem Gefährten zurückkehrte, der bereits wieder in den Halbschlaf verfallen war, doch ich war viel zu aufgewühlt, um weiter schlafen zu können. Stattdessen beschäftigte ich mich mit dem Feuer, das auszugehen drohte und holte mir noch einen Apfel au den Satteltaschen von Gan, um den erneuten säuerlichen Geschmack zu vertreiben. Gedankenverloren ließ ich das Feuer über ein paar grüne Äste tanzen, die sicher unter anderen Umständen nicht gebrannt hatten, doch ich realisierte es kaum. Immer wieder kamen meine Gedanken zu meinem derzeitigen Zustand zurück. Gefühlsschwankungen, Übelkeit und ein Heißhunger auf Äpfel, obwohl ich diese früher kaum gemocht hatte. Erst das Bild eines Babys, das meine Gedanken in der Glut erschaffen hatten, holte mich in die Wirklichkeit zurück.

„Alles in Ordnung, Carrie?“ Mein Bruder Lak war hinter mir aufgetaucht. Schnell schaute ich in die Glut, doch das Bild des Babys war verschwunden. Ich atmete erleichtert auf, froh über die Ablenkung, die mein Bruder mir bot. Auch er schien nicht mehr schlafen zu können. Oder schliefen Vampire überhaupt? Ich erinnerte mich an das Gespräch mit meinem Gefährten über Vampire.

„Ja. Ich denke nur gerade darüber nach, was in den ganzen Büchern über Wesen wie euch steht.“, versuchte ich mich von meinen Gedanken abzulenken.

„Oh.“, machte mein Bruder. Mit dieser Antwort schien er nicht gerechnet zu haben.

„Du Lak.“, begann ich. „Kannst du mir vielleicht mehr über die Vampire erzählen. Von Fer weiß ich nur, dass nicht alles was in den Büchern steht wahr ist und ihr durch einen spitzen Gegenstand in der Brust oder Köpfen sterben könnt.“

Lak hob fragend die Augenbraue und mir wurde bewusst, dass es nicht gerade die feine Art war, ein Gespräch zu beginnen.

„Na ja, der Gurter, der das Lager überfallen hatte, war ein Vampir.“, versuchte ich mich aus der Situation herauszuwinden. Noch immer mit hochgezogener Augenbraue nickte mein Bruder. Okay, schlechter Versuch, ich habe schon verstanden, Brüderlein. Ich verdrehte die Augen.

„Und Tageslicht scheint euch ebenfalls nichts auszumachen. Könnt ihr schlafen?“, fragte ich, als würde ich eben nicht über das Töten eines seiner Rasse geredet haben.

„Mmh.“ Er schien sich köstlich über meinen neugierigen Gesichtsausdruck zu amüsieren und ich knuffte ihn verärgert in die Seite, musste jedoch grinsen.

„In der Tat können wir Tageslicht ertragen, allerdings verbrennen wir schneller in der Sonne als die Homini.“, wurde er wieder ernst.

„Wir können schlafen und wir brauchen sogar Schlaf, wenn auch weniger als die Homini. Eine Nacht Schlaf in der Woche reicht einem älteren Vampir aus, um bei Kräften zu bleiben. Ich brauche noch drei Nächte, da ich noch ein Küken in der Vampirwelt bin.“ Ich grinste bei dem Gedanken. Dieses Mal war es Lak, der mir in die Seite stieß, doch das Bild eines Kükens mit zerzaustem Flaum wollte einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden.

„Und was ist mit der Ernährung. Braucht ihr wirklich Blut?“ Ein Schauder fuhr mir den Rücken herunter, ehe ich es verhindern konnte. Mein Bruder schien es zu bemerken und durch seine Augen fuhr ein Blitzen, das ich lieber nicht einordnen wollte.

„Ja. Ich brauche alle zwei Tage Blut. Ob tierisch oder menschlich ist egal, obwohl das menschliche wesentlich energiereicher und süßer ist. Ansonsten können wir uns mit normaler menschlicher Nahrung stärken und bevorzugen genauso wie die Werwölfe blutiges Fleisch.“ Wieder belagerte eine Gänsehaut meinen Rücken, doch ich ließ mir nichts anmerken.

„Hast du schon einmal einen Menschen getötet?“, fragte ich, obwohl ich mich vor der Antwort von ihm fürchtete. Ein düsterer Schauer glitt über sein Gesicht.

„Ja. Zweimal. Einmal bei meiner ersten Jagd und einmal-“

„-als ein Perversling meine Schwester vergewaltigen wollte.“, hörte ich plötzlich jemanden hinter mir sagen und noch ehe ich mich umdrehen konnte, hatte sich Flint auf meiner anderen Seite niedergelassen. Wieder wurde ich mir seiner düsteren Ausstrahlung bewusst.

„Ich hätte mich besser unter Kontrolle haben müssen!“, murmelte Lak.

„Du hast die Unschuld meiner Schwester gerettet!“, wiedersprach Flint.

Er wandte sich mir zu, die ihn mit erwartungsvollen Blicken musterte. „Nach unserer Flucht aus dem Kerker, wussten wir beide zuerst nicht, wo wir hinsollten. Dein Bruder wollte unbedingt zurück zu eurem Zuhause, doch ich wollte, dass er sich erst einmal von seinen Verletzungen erholt. Daher überredete ich ihn, erst einmal bei meiner Schwester Franzi unterzukommen. Die ersten Tage verliefen gut, bis dieser Perversling auftauchte. Er war ein Bauer aus der Nachbarschaft und hatte meine Schwester schon länger im Visier. Ich versuchte ihn von meiner Schwester abzubringen, doch er verpasste mir dafür lediglich eine Beule. Lak, der gerade von der Jagd zurückkehrte, hörte den Lärm und konnte den Widerling gerade noch von Franzi wegreißen, ehe er sich an ihr verging. Er war wütend gewesen und eigentlich war es eher ein Unfall als ein Mord gewesen, als er dem Bauern von meiner Schwester herunterschleuderte und dieser sich durch die Wucht, mit der er auf die Tischkante prallte, das Genick brach. Dennoch hat sich Lak diesen Unfall nicht vergeben können. Am nächsten Tag ist er wieder losgegangen, doch ich konnte ihn gerade noch einholen und ihn davon überzeugen, mich mitzunehmen auf seinen Rachezug. So sind wir durch die Wälder gestiefelt, immer auf der Suche nach Palinas, bis der Angriff ihrerseits bei Nacht kam und wir beide getrennt wurden. Aber vermutlich hat dir dein Bruder davon schon erzählt.“, beendete er seine Erzählung. Ich nickte geistesabwesend. Flint hatte Recht. Am Tod des Bauern trug mein Bruder keine Schuld.

„Er war nicht unschuldig an seinem Tod. Ich finde, dass zählt nicht als töten.“, gab ich dem Vampir an meiner Seite Recht. Lak schnaubte nur und Flint seufzte. Hatte er etwa geglaubt, dass ich meinen Bruder vom Gegenteil überzeugen könnte? Da kannte er aber meinen Bruder schlecht. Ich sah kurz zu Lak herüber. Er erwiderte meinen genervten Blick und lächelte dann. Offenbar war er derselben Meinung wie ich. Was für ein Wunder. Vielleicht waren wir uns doch nicht so unähnlich, wie ich gedacht hatte, selbst wenn er nicht mein richtiger Bruder war.

„Carrie…“, murmelte Fer im Halbschlaf und tastete zur Seite, als würde ich da liegen. Ich kicherte leise.

„Entschuldigt mich mal bitte.“, raunte ich den beiden Vampiren zu und schlich leise zu meinem Gefährten herüber, um ihm eine Schale Wasser über den Kopf zu kippen. Fers Gebrüll erschütterte den Platz, während ich mich mit großen Sprüngen in Sicherheit brachte und einige Lilienkrieger erschrocken hochfuhren. Flint und Lak konnten sich vor Lachen beinahe nicht mehr halten, als Fer hochfuhr und wütend durch die Gegend starrte. Die Haare klebten an seinem Gesicht und auch das Hemd schien einiges abbekommen zu haben. Hups. Schnell ließ ich mich wieder zwischen die beiden Vampire nieder und tat, als wäre ich in ein angeregtes Gespräch mit ihren vertieft, wobei die beiden noch mehr lachen mussten. Im nächsten Moment wurde ich hochgehoben und über eine feuchte Schulter geworfen. Keine Frage, wer da gerade wütend mit mir den Platz verließ. In ausreichender Entfernung zum Platz ließ mich Fer unsanft wieder zu Boden sinken und war im nächsten Moment über mir, meine Hände über meinem Kopf zusammenhaltend und mich durch sein Gewicht zu Boden drücken.

„Das warst du, oder!“, knurrte er dicht an meinem Ohr und eine erregende Gänsehaut kroch mit über den Nacken, als ich meine wehrlose Haltung und den doch Recht passenden Ort erkannte.

„Ich habe dich leider nicht gesehen und bin über eine Wurzel gestolpert.“, neckte ich ihn und bis ihm verspielt ins Ohr, das einzige, was ich derzeit erreichen konnte. Die Griffe um meine Handgelenke wurden fester.

„So, so. Gestolpert also?“, fragte Fer nach. Der gefährliche Unterton in seiner Stimme sollte mich eigentlich warnen, doch gerade fand ich ihn sehr anregend.

„Mmmh.“, machte ich, als er an meinem Hals zu knabbern anfing und es erneut wie damals im Zeltlager mit einem Biss in den Nacken versuchte.

„Habe ich mein kleines Kätzchen etwa verärgert?“, tat ich ganz unschuldig, aber mit einem Blitzen in den Augen.

Fers Biss verstärkte sich. „Flämmchen, lehne dich bloß nicht zu weit aus dem Fenster“, warnte er mich.

„Welches Fenster denn. Hier ist doch weit und breit nur idyllische Natur und mein kleines Käterchen.“, antworte ich honigsüß, doch nun hatte ich eindeutig übertrieben. Wie damals ließ er sich viel Zeit mir Knutschflecke zu verpassen. Dieses Mal jedoch nicht nur ein, sondern mindestens drei. So ein Mist. Im selben Moment hielt er mich weiterhin zu Boden gedrückt, während seine Hand weiter nach unten wanderte und meine Mitte suchte, gefolgt von seinem Mund. Ich schrie auf, als er mich an meiner intimsten Stelle biss und meinen Nektar trank als gebe es keinen Morgen mehr. Seine Zunge erkundete mein Inneres und ich wand mich, so gut es seine starken Griffe ermöglichten. Längst hatte er meine Handgelenke losgelassen, um mich an meiner Taille zu fixieren, doch wehren konnte ich mich deswegen noch lange nicht, sodass sich meine Hände immer abwechselnd im Waldboden und seiner Kleidung verkrampfen, nicht ganz wissend, ob ich ihn fester an mich drücken oder ihn von mir stoßen sollte. Immer, wenn ich kurz vor dem Orgasmus war, hörte er auf und ließ mich im hocherregten Zustand zurück, um wenn ich mich wieder etwas beruhigt hatte, weiterzumachen. Längst bettelte ich ihn an und bereute meine herausfordernden Worte.

„Wenn ich weitermachen soll, dann sage mir, wer ich wirklich bin.“, knurrte Fer. Auch er war merklich erregt. Ich wand mich, biss mir auf die Zunge, um auch ja nichts zu sagen, doch nach zwei weiteren zurückgehaltenen Orgasmen, hatte e mich endlich.

„Mein großer und starker Tiger. Verzeih, dass ich dich herausgefordert habe. Und jetzt fick mich endlich!“ Meine Stimme war nicht mehr als ein erregtes Stöhnen, doch es schien, als ob mein Gefährte genau darauf gewartet hatte. Im nächsten Moment war er in mir und ließ mich den Orgasmus meines Lebens haben, bis ich nicht mehr wusste, wo oben und unten ist. Es brachte lange, bis ich mich endlich wieder aufrappeln und meine Kleidung richten konnte. Noch immer verspürte ch ein angenehmes Kribbeln im Unterleib und ich war mir sicher, dass Fer wusste, wie wund ich inzwischen da unten war, denn er grinste zufrieden, als ich bei meinen ersten Schritten das Gesicht verzog.

„Musstest du unbedingt so übertreiben!“, stöhnte ich, doch mein Socius lachte nur leise.

„Du hättest mich ja nicht herausfordern müssen.“

Nach meiner Rückkehr ließ ich mich neben Lak wieder nieder, als wäre nichts gewesen.

„Du bist unverbesserlich!“, grinste er mich an. Ich war froh, dass er die Verbindung zwischen Fer und mir inzwischen so locker sah.

„Musst du gerade sagen!“, raunte ich missgelaunt. Flint sah mich neugierig an. Er schien mächtig interessiert an den Sexgeschichten meines Bruders interessiert zu sein. Männer, dachte ich missbilligend. Sie schienen immer nur das eine im Sinn zu haben.

>Gar nicht wahr!<, hörte ich meinen Gefährten in meinem Kopf protestieren. Offenbar hatte er es wieder einmal gewagt meine Gedanken zu lesen. Ich ignorierte ihn gekonnt.

„Wag es ja nicht!“, grollte mein Bruder und sah mich scharf an. Mit honigsüßem Lächeln wandte ich meinem Blick Flint zu, der mich begierig ansah.

„Ach weißt du-“. begann ich. Lak hinter mir knurrte, doch ich hatte ohnehin andere Pläne. „Was ihr für Geschichten unter Männern austauscht, ist mir egal. Wenn du etwas über das Liebesleben meines Bruders wissen willst, frage ihn selbst. Ich halte mich da raus.“ Mit dieser Stellungsname erhob ich mich und ging zu Nox, der mich erfreut ansah, um ihn hinter den Ohren zu kraulen. Flint starrte mir mit offenem Mund hinterher.

„Ist die immer so?“, raunte er meinem Bruder zu, doch dieser bedachte mich nur mit einem dankbaren Lächeln und widmete sich dann wieder ganz dem Feuer, ohne eine Antwort zu geben. Aus dem Augenwinkel konnte ich Fer grinsen sehen.

>Was?<, fauchte ich ihn gedanklich an, wobei sich sein Grinsen verbreiterte.

>Schön zu sehen, dass du wenigstens mit der Gefühlswelt deines Bruders respektvoll umgehst. Selbst wenn es nicht ratsam ist einen Vampir zu verärgern.<

Ich zuckte nur mit den Schultern. Dieser Vampir war mir egal. Er würde schon längst ein Haufen Asche sein, wenn mich mein Bruder gestern nicht aufgehalten hätte.

Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Fil schien gerade erwacht zu sein, denn sie gähnte ausgiebig. Zu meiner großen Freude schien es ihr schon viel besser zu gehen als gestern, Gan sei Dank. Vielleicht sollte ich bei Zeiten mit ihm reden, bezüglich meines kleinen Problems.

>Welchen Problems.< Oh Mist, Ich hatte meine Gedanken nicht abgeschirmt.

>Ähm, ich esse in letzter Zeit sehr viele Äpfel. Und in seinen Satteltaschen sind deswegen kaum noch welche übrig.<, entschied ich mich für die Halbwahrheit. Fer schien nicht überzeugt zu sein, ließ es jedoch darauf beruhen.

>Wann erreichen wir die Eurasische Steppe?<, lenkte ich ab?

>Wenn nichts dazwischen kommt, in einer Woche.< In einer Woche also. Dann sollte der ganze Kampf stattfinden. Aber wie sollte ich ohne die beiden Elementarkinder die Prophezeiung erfüllen. Und das Element Wasser fehlte auch noch. Oder war es letzten Endes noch nicht die große Schlacht, die uns in einer Woche erwarten würde?

Ich beobachtete, wie sich Lynca enger an Ruber schmiegte.

>Wie lange dauert es bei euch, wenn eines eurer Weibchen trächtig ist?<, fragte ich Fer in Gedanken versunken. Mein Gefährte folgte meinem Blick.

>Dreieinhalb bis vier Monate. So wie unseren tierischen Verwandten. Zumindest bei den Großkatzen unter uns.< Was nur dreieinhalb Monate? Ich rechnete aus. Fers und mein allererster Sex lag drei oder vier Tage zurück. Bei den Menschen trat ab der 5. Schwangerschaftswoche morgendliche Übelkeit auf. Da die Tragzeit bei den Gestaltwandlern aber nur ein Drittel der Schwangerschaft bei Menschen war, konnte es durchaus hinhauen, dass ich- Weiter verbot ich mir zu denken. Dieses Mal hatte ich bewusst meine Gedanken vor meinem Gefährten verborgen, denn noch war ich nicht bereit dieses Geheimnis mit ihm zu teilen. Fer allerdings schien viel zu sehr in dem Anblick der beiden Raubkatzen vertieft zu sein, als dies zu bemerken, worüber ich froh war. Schnell lenkte ich meine Gedanken in eine andere Richtung.

>Fer, du musst mir unbedingt noch den Schwertkampf beibringen.< Der Kopf meines Gefährten fuhr hoch.

>Du hast Recht, das hatte ich ganz vergessen. Na dann komm. Bis zum Mittagessen bleiben uns noch etwas zwei Stunden Zeit.< Er erhob sich und bot mir die Hand an. Als ich zum Nox gehen wollte, um das Schwert zu holen, hielt er mich zurück.

>Wir kämpfen erst einmal nur mit Stöckern. Zumindest für heute, damit du die Grundschritte lernst.< Ich ließ mich von ihm mitziehen. Auf dem Platz, wo er mir bereits schöne Stunden geschenkt hatte, blieb er stehen. Ich wurde leicht rot, als ich daran dachte, was wir hier alles gewagt hatten, doch meinen Gefährten schien es nicht zu stören. Er suchte sich drei ellenlange, etwa armdicke Äste und warf mir einen zu.

„Da du in einem Kampf auch nicht die Gedanken und Schritte deines Gegners lesen kannst, verschließe als erstes deinen Kopf vor mir.“ Leicht bedauernd zog ich erneut die Schutzwälle um meines Geist hoch, was mir immer leichter fiel. Obwohl ich durch unser Band noch immer einige Gedanken und Gefühle meines Gefährten auffangen konnte, waren diese nun schon deutlich gedämpfter, als sie es sonst gewesen wären.

„Als erstes achtest du auf einen sicheren Stand. Wir üben erst einmal nur die Beinarbeit. Für einen sicheren Stand stellst du dein hinteres Bein in einem rechten Winkel zu deinem Vorderen. Dein Gewicht ist auf beide Beine gleichzeitig verlagert. Du verlagerst dein Gewicht nur nach vorne, wenn, du zustichst oder schlägst. Danach gehst du sofort in dieses sicheren Stand zurück. Solltest du einem Schwertangriff einmal zu nahe kommen, kannst du für kurze Zeit auch dein Gewicht auf das hintere Bein verlagern. Verliere aber nicht das Gleichgewicht.“, lehrte mich mein Gefährte und ich bemühte mich, seinem Befehl rasch Folge zu leisten.

„Okay, sehr gut!“, lobte mich mein Socius, als ich instinktiv ein paar Schritte zur Seite machte, als Fer mir näher kam, ohne aus meinem sicheren Stand zu fallen.

„Und nun versuche auszuweichen.“ Von nun an erinnerte mich Fer an eine Art Katz-und-Maus-Spiel. Er versuch mich von vorne, hinten oder von der Seite anzugreifen und ich wich geschmeidig und so schnell ich konnte aus, ohne mein Gleichgewicht zu verlieren und mein Gewicht zu stark nach vorne oder hinten zu verlagern. Ein Lächeln fuhr mir übers Gesicht, das mir jedoch schnell wieder herunter rutschte, als Fers nächster Schlag mich nur knapp verfehlte. Leider hatte auch mein Gleichgewicht darunter zu leiden. Während ich noch mich bemühte auf den Beinen zu halten, hob ich instinktiv den Stock, der an meiner Seite gebaumelt hatte und wehrte so Fers angriff ab. Das Schlagen von Holz auf Holz ertönten in der Lichtung und ließ ein paar Vögel erschrocken auffliegen.

„Gute Reaktion!“ Wieder ein Lob von meinem Lehrer und Gefährten. Doch dieses Mal würde ich mich nicht ablenken lassen. Ich vertiefte meinen Schritt und wartete auf Fers nächsten Angriff, der jedoch sein Holz sinken gelassen hatte. Verwundert sah ich ihn an.

„Deine Beinarbeit ist schon nicht schlecht. Du solltest dich nur nicht ablenken lassen. Da meine Nase mir sagt, dass in jedem Moment das Essen fertig sein sollte, werde ich dir lediglich noch zwei Schlagtechniken zeigen.“ Ich nickte.

„Als erstes zeige ich dir einen Oberhau. Dazu führst du dein Schwert beziehungsweise in diesem Fall deinen Ast vorne über den Kopf. Die Spitze ist nach oben und leicht nach hinten gerichtet.“ Er zeigte es mir. Die Oberarme waren auf Schulterhöhe, die Ellenbogengelenke als rechte Winkel angeordnet.

„Je nach Angriffsrichtung steht dein gegengesetzter Fuß vorne. Das Gewicht ist leicht nach vorne verlagert. Von dieser Position aus, schlägst du deine Klinge in einem Halbkreis von oben herab nach unten. Ziel ist dabei der Schulter und Kopfbereich.“ Gerade noch rechtzeitig konnte ich seinem Stock ausweichen, als er ihn mit Schwung nach unten sausen ließ.

„Du kannst den Schlag durch einen Ochs abwehren. Dabei hältst du dein Schwert neben deinem Kopf, die Handgelenke gekreuzt, die Schneide zum Schwertknauf hin nach oben gehalten, sodass die Klinge des Gegners durch den Winkel abrutschen kann. Die Schwertspitze auf das Gesicht des Gegners gerichtet und wie als Verteidigungstechnik üblich das Gewicht leicht nach hinten verlagert.“ Wieder machte er es mir vor und ich bemühte mich, seine Technik zu reproduzieren.

In den nächsten Minuten wechselten wir uns ab, mal griff er mich mit dem Oberhau an und ich musste mich mit dem Ochs verteidigen, mal griff ich an. Meine Arme wurden immer schwerer, je öfters unsere Stöcker aufeinanderprallten. Stöhnend wich ich zurück, als der nächste Angriff erfolgte. Ich wusste genau, warum ich lieber mit dem Dolch, als mit dem Schwert kämpfte. Doch ich würde keine Schwäche zeigen. Ein angenehmer Duft nach gegrillten Birk-und Auerhähnen durchzog die Luft und ließ meinen Magen knurren.

„Eigentlich wollte ich dir vor dem Essen noch eine Technik zeigen, aber wie es aussieht, müssen wir erst einmal den hungrigen Drachen in dir besänftigen“, stichelte Fer. Erschöpft nickte ich. Ich hatte die letzte Nacht nicht gut geschlafen und der Kampf mit meinem Gefährten raubte mir die letzte Kraft. Außerdem hatte ich bis auf einen Apfel heute noch nichts gegessen. Eindeutig zu wenig für einen, geschweige denn zwei Gestaltwandlern.

„Alles in Ordnung?“, fragte mich Fer besorgt und mir viel auf, dass ich meine geistige Mauer noch nicht wieder gesenkt hatte. Gut, dann hatte er wenigstens nicht meinen letzten Gedanken mitbekommen. Ich nickte schwach. Fer schien wenig überzeugt.

„Nur ein wenig hungrig.“, murmelte ich, um ihn zu beruhigen. Wie als Bestätigung meiner Aussage knurrte mein Magen zustimmend, um einiges lauter als vorhin. Fer lachte leise auf, doch sein Blick war noch immer auf mich gerichtet, so als erwarte er noch eine andere Antwort. Die er aber nicht von mir erhalten würde. Er seufzte und folgte mir schließlich zurück zu den anderen, wo wir uns gleich den Schenkel eines dieser Tiere sicherten. Ich war mir sicher, dass die Lilienkrieger gejagt haben mussten. Fast schon hastig riss ich Sehnen und Fleisch von meiner Keule. Mir kam es vor, als hätte ich ewig nichts gegessen. Erst nach weiteren zwei Keulen gab mein Magen endlich ein zufriedenes Brummen vor sich. Fer gab mir zwanzig Minuten Ausruhpause, ehe er mit mir weiter trainierte. Am Abend kannte ich neben dem Ochs und dem Oberhau auch noch den Pflug, verschiedene Huten und diverse andere direkte Hiebe, die ähnlich wie der Oberhau hießen. Auch die verschiedenen Abwehr-und Ausweichmöglichkeiten war Fer so oft mit mir durchgegangen, bis ich mich nur noch taumelnd auf den Füßen halten konnte. Erst dann hatte mein strenger Lehrer Erbarmen mit mir. Kaum waren wir zurück bei den anderen, besorgt er mir einen Apfel und verlangte durch ein Räuspern die Aufmerksamkeit der Versammelten.

„Jeden Tag, den wir länger warten, kann das Böse weiter seine Macht ausüben und unschuldige Seelen vernichten. Daher habe ich eine kurze Ansage zu machen. Morgen reiten wir weiter. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Danke an alle, die im Dorf ausgeholfen haben. Mehr können wir für die Dorfbewohner nun nicht mehr tun, außer für den Frieden zu waren. Ruber, Clarence ihr haltet Wache. Alle anderen sollten sich ausruhen. Morgen wird ein anstrengender Tag für uns alle.“ Mit diesen Worten ließ sich Fer wieder neben mir fallen. Ruber und ein Lilienkrieger nickten meinem Alpha zu, als Zeichen, dass sie ihre Aufgabe für diese Nacht verstanden hatten, während ich mich an meinen Gefährten kuschelte.

>Du hast dich heute gut geschlafen. Ab Morgen werden wir mit den richtigen Schwertern trainieren. Die Grundtechniken hast du jetzt auf jeden Fall drauf. Morgen zeige ich dir och, wie du jemanden Entwaffnen kannst. Ab dann wirst du trainieren. Mal mit mir, mal mit Jemin und mal mit Ruber. Ich hoffe, dass ist in Ordnung für dich.<

Ich nickte und freute mich über das Lob meines Gefährten.

>Hast du schon mit Gan gesprochen?<, fragte mein Socius plötzlich. Ich schüttelte den Kopf, kuschelte mich jedoch nur fester an ihn und murmelte „Das kann auch bis Morgen warten. Es ist spät. Sicher will Gan ebenfalls schlafe.“

„Wie du meinst.“, hauchte Fer in meine Haare und fügte dann in Gedanken zu. >Ich liebe dich!<

>Ich dich auch.< Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief ich schließlich ein.


Kapitel 39

Auch am nächsten Morgen wurde ich von der Übelkeit nicht verschont. Da ich aber wesentlich länger geschlafen hatte, kam nicht außer Magensäure heraus. Gerade, als ich mich um Fassung bemühte, trat jemand hinter mir auf einen Ast. Fast schon erleichtert atmete ich auf, als ich bemerkte, dass es lediglich Jemin war.

„Alles in Ordnung, Elisabeth? Du warst schon längere Zeit weg und Alpha Fer hat sich Sorgen um dich gemacht.“ Sein Blick fiel auf das Erbrochene zu meinen Füßen.

„Bitte sage Fer nichts davon!“, flehte ich.

„Wie du befielst, Elisabeth!“, antwortete der Leibwächter meines Vaters ausdruckslos, doch Besorgnis sprach aus seiner Stimme. Auch er schien sich um mich Sorgen zu machen.

„Ich nehme an, dass ich nicht grundlos?!“, wagte er zu behaupten. Überrascht sah ich ihn an. War es so offensichtlich?

„Keine Sorge, ich sage es niemanden weiter. Ihr-Du solltest diese frohe Botschaft überbringen.“ Ich nickte langsam. Frohe Botschaft? Ja, das war es für ihn n der Tat, immerhin trug ich, wenn ich wirklich schwanger sein sollte, einen Thronfolger in mir.

„Du solltest nicht kämpfen.“, wiedersprach er leise. Unruhe in seinen Blick. Hatte er etwa Angst vor meiner Reaktion oder war es ihm peinlich zuzugeben, dass er sich um mich sorgte. „Nicht so!“

Ich warf ihm einen Blick zu. „Diese Entscheidung überlässt du schön mir, Jemin. Dies ist mein Kampf und ich werde ihn unter jeden Umständen austragen. Ist das klar!“ Automatisch hatte sich wieder die angeborene Autorität in meine Stimme geschlichen.

Jemin zog den Kopf ein. „Ja, Hoheit.“ Ich schnaubte, um ihn zu zeigen, wie viel ich von der Titulierung hielt, ließ es jedoch darauf beruhen. Immerhin sollte er mich in diesem Punkt ernst nehmen.

„Komm. Sicher warten schon alle ungeduldig auf uns.“ Ich schritt voran, Jemin noch immer mit eingezogenem Kopf wie ein Hund hinter mir her. Er schien ein ziemlich schlechtes Gewissen zu haben, dass ich ihn hatte ermahnen und an seine Position hatte erinnern müssen. Eigentlich hatte ich etwas Derartiges vermeiden wollen. Mist. Kurz, bevor wir die anderen erreichten drehte ich mich noch mal um.

„Ich bin dir nicht böse, Jemin. Allerdings reicht es mir schon völlig, wenn sich drei Seelen rund um die Uhr um mich sorgen müssen. Noch eine Person mehr, halte ich einfach nicht aus.“ Die Miene des Leibwächters wurde aufgrund meines flehendes Tonfalls sofort weich. Sogar ein aufmunterndes Lächeln zeige sich.

„Ich verstehe dich, Elisabeth“, plötzlich schien sein Ausdruck beinahe liebevoll zu sein und ich atmete erleichtert auf.

Noch immer gedämpft fragte Jemin mich noch etwas, was ihn auf der Seele brannte.

„Wissen diese drei Seelen oder andere Wesen von –“

„Nein!“, fauchte ich scharf. Jemin hob nur verstehend die Arme. Er würde mich nicht verrate, das sah ich deutlich in seinen Augen.

„Danke“, murmelte ich leise. Er lächelte leicht und ich wartete kurz, bis er die zwei Schritte aufgeholt hatte und neben mir lief, ehe wir gemeinsam den Platz betraten, auf dem schon reges Treiben war. Die ersten waren bereits aufgestiegen, die Feuerstellewurde gerade mit Erde und Ästen versteckt und die letzten Vorräte verstaut.

„Du hast sie gefunden, Jemin?“, Fer schien ziemlich erleichtert zu sein, uns zu sehen. Wie lange war ich denn fortgewesen? Jemin nickte, schenkte mir noch ein wissendes Lächeln und verschwand zu seinem Pferd.

>Wo warst du Carrie? Wir haben uns Sorgen gemacht?<

>Mir war gerade nur nach einem Spaziergang im Wald, ich wollte mich noch von unserem Platz verabschieden.<, log ich. Fer lächelte leicht in Gedanken an das, was wir alles auf diesem Platz getrieben hatten. Ich spürte, wie ich rot wurde.

>Wir dürfen nicht vergessen am Dorf vorbeizureiten. Ich habe den Dorfbewohnern versprochen, dass diejenigen, die wollen, und begleiten können.<, erinnerte ich mich.

Fer zog eine Augenbraue hoch. >Wann wolltest du mir davon erzählen?<

>Ich hatte es einfach nur vergessen. Du hast es mich vergessen lassen!<, wehrte ich ab. Fer kicherte, geährte mir jedoch den Wunsch. Am Dorfrand erwarteten uns mehr Dorfbewohner, als ich erwartet hatte. Nicht jede Familie hatte sich ein Pferd leisten können, doch bewaffnet waren sie alle mit Küchenmessern, Pfannen und Mistgabeln.

>Und du bist sicher, dass sie so mit uns kämpfen sollen?<, fragte mich Fer zweifelnd, nachdem er einen Blick auf eine Dame geworfen hatte, die in einem Wickeltuch ein kleines Kind mit sich trug und mit einem Schürharken bewaffnet war.

>Sie kämpfen für die Freiheit. Außerdem welche Garantie gibt es, dass sie hier im Dorf überleben würden!<, verteidigte ich sie, obwohl ich auch nicht wollte, dass stillende Mütter mit uns in den Krieg zogen.

>Nun, dann werden wir definitiv länger brauchen, als eine Woche.<, stellte mein Gefährte fest.

Ich seufzte. >Dann sei es so. Lass sie doch für ihren Glauben kämpfen.< Ich richtete mich weiter in Nox Sattel auf.

„Es freut mich zu sehen, dass so viele von euch, an unserer Seite mit uns kämpfen wollen!“, sofort richtete sich alle Aufmerksamkeit auf mich. Ich sah, wie die ersten in eine Verbeugung fallen wollten, als sie sich daran erinnerten, wer ich war.

„Es ist schade, wie uns der Krieg selbst zu Mördern macht, obwohl wir eigentlich nur unseren Frieden wollen. Doch ich bin mir sicher, dass alleine dafür es sich lohnt zu kämpfen.“ Ein zustimmendes Rufen glitt durch die Menge, doch ich war noch nicht fertig.

„Nun denn. Bevor wir losschreiten, möchte ich euch noch eines ins Gedächtnis rufen. Wir werden in einen Krieg ziehen, das heißt, ich kann nicht für eure Rückkehr versichern. An der Seite der Lilienkrieger und den Gestaltwandlern werden uns auf dem Schlachtfeld eure schlimmsten Alpträume gegenübertreten und lasst euch gewarnt sein, dass es nicht einfach werden wird. Ich habe keine Wahl. Ich werde Kämpfen müssen, doch euch lege ich es ganz besonders ans Herz es euch gut zu überlegen.“ Mein Blick ruhte auf der Stillenden Mutter und einem Knaben von vielleicht zehn Jahren, der versuchte unter dem Gewicht des Kettenhemdes seines Vaters nicht zusammenzubrechen.

„Wir kämpfen alle an eurer Seite, Hoheit. Was sollen wir denn noch hier. Auch hier erwartet uns der Tod!“ rief ein Mann aus der Menge und wie aufs Kommando fielen alle vor uns auf die Knie, verbeugte sich und murmelten. „Wir kämpfen für euch, Hoheit. Wir kämpfen.“

O Gott. Was taten sie da. Sie sollten sofort aufhören. Verunsichert starrte ich zu meinem Gefährten, doch er schien genauso erstaunt zu sein von der Reaktion der Dorfbewohner.

>Sie wissen, wer du bist?< Mein Gefährte schien einen ziemlichen Respekt plötzlich vor mir zu haben.

>Mmh.<, machte ich zustimmend.

„Nun denn, dann lasst uns zusammen losziehen. In den Krieg. Für den Glauben. Für die Hoffnung. Für die Freiheit!“, rief ich aus und zustimmendes Geschrei kam von allen, nicht nur von den Dorfbewohnern. Ich hatte mein Schwert gezogen, denn mein Geheimnis war nun wohl gelüftet. Die Lilienkrieger erstarrten, als sie die Klinge im Licht blitzen sahen und einige flüsterten „Wie ist das möglich!“, doch Jemin ritt an meine Seite, während sich die Dorfbewohner rasch bemühten ihre Sachen zusammenzusuchen und sich in unsere Karawane einzuordnen.

„Darf ich vorstellen, Männer. Prinzessin Elisabeth, Tochter von König Borkil und Königin Freia.“

Mein Bruder starrte mich ungläubig an, während unter den Lilienkriegern ehrfurchtsvolles Gemurmel ausgebrochen war. Ich erinnerte mich daran, dass ich Lak noch nichts von meiner Herkunft verraten hatte. Verunsichert biss ich mir auf die Lippe und sah mir Flint aus der Menge zuzwinkern. Er hatte es also gewusst.

Ich ließ Nox im Schritt auf meinen Bruder zureiten.

„Lak. Es tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe.“, murmelte ich leise und das schlechte Gewissen nagte eindeutig an mir.

„Wie lange weißt du es schon!“, knurrte er und ich zuckte erschrocken zusammen.

„Noch nicht einmal ganz eine Woche.“ Diese Tatsache schien ihn merklich zu beruhigen.

„Warum hast du nicht gleich etwas gesagt.“

Ich spürte wie ich rot wurde.

„Weil ich nicht ganz wusste, ob ich dir trauen konnte.“, gab ich schließlich zu. Traurig senkte ich den Kopf. „Immerhin haben wir uns seit Monaten nicht gesehen und es hätte ja sein können, dass dich Atro-“

„Schscht.“, machte Lak und hob sanft mein Kinn an, damit ich ihm in die grauen Augen starren konnte, die mir mit einem mal gar nicht mehr so kalt erschienen, so liebevoll lächelten sie auf mich herunter.

„Ich verstehe dich.“, gab mir Lak leise zu verstehen und ich wagte ein zaghaftes Lächeln, das mein Bruder erwiderte.

„Außerdem macht es für mich wie gesagt keine Unterschiede. Egal wo ich herkomme, ich werde immer Carrie bleiben. Und so sollten mich auch meine Soldaten kennenlernen. Ohne die ganzen Standunterschiede und überflüssige Titulierungen.“

Störrisch schob ich das Kinn nach vorne und pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Lak lachte leise.

„Das stimmt. Du wirst immer meine kleine Schwester bleiben!“ Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und ritt dann zu meinem Gefährten zurück, der das ganze Eifersüchtig betrachtet hatte.

>Du wirst doch nicht etwa eifersüchtig auf meinen Bruder sein?<, neckte ich ihn.

>Ich und eifersüchtig?!<, protestierte Fer. Ich lachte.

>Du gehörst mir!<, knurrte mein Gefährte, wodurch ich noch mehr lachen musste.

>Nein. Eindeutig nicht eifersüchtig!< Diesen Kommentar hatte ich mir nicht verkneifen können und ich beschleunigte rasch Nox, damit ich den Händen meines Socius entkam.

Am Abend trainierte ich mit Ruber. Mein vom langen Ritt verspannter Körper schmerzte bei jeder Bewegung, doch der Tiger ließ mir keine Pause. Immer wieder griff er mich an und ich wich mehr oder weniger elegant aus, parierte so gut ich konnte und konnte spüren, wie mir die Bewegungen langsam in Fleisch und Blut übergingen. Eigentlich hätte mich Fer heute trainieren wollen, doch Fil hatte dringend mit ihrem Cousin sprechen wollen, ich nahm an, es ging um Leon und so war ich mit Ruber in den Wald gegangen. Dem Gestaltwandler schien es nicht viel auszumachen, dass ich ihm meine Herkunft verheimlicht hatte, doch vielleicht überraschte ihn inzwischen auch nichts mehr, was mich betraf. Ich war jedenfalls sehr froh, dass er mich so nahm, wie ich war. Wieder stieg eine leichte Übelkeit in mir auf. Diesen Moment der Unaufmerksamkeit nutzte Ruber aus, um meine Deckung zu durchbrechen. Im nächsten Moment spürte ich, wie sein Schwert mein Schlüsselbein leicht ritzte, ehe er erschrocken zurückwich.

„Mann Carrie. Du musst besser auf deine Deckung achten.“ Er schien trotz seines rauen Tonfalls sehr zu bedauern, mich verletzt zu haben, doch ich realisierte es kaum.

„Bitte gib mir einen Moment!“, erbat ich keuchend, war mit zwei Schritten im nächsten Gebüsch und übergab mich schon wieder. Mist, Mist, Mist. Warum musste sich meine Vermutung nur so bewahrheiten.

„Brichst du gerade?“, fragte Ruber, der es als Gestaltwandler wohl gerochen hatte.

„Nur die Anstrengung!“, keuchte ich, wischte mir noch einmal über den Mund und kehrte das Schwert in der Hand wieder auf den Platz zurück. Seit wir mit richtigen Schwertern kämpften, war mein ganzer Körper von Striemen, Kratzern und blauen Flecken bedeckt und meine Arme bebten inzwischen unter dem Gewicht des Schwertes. Doch ich war nicht bereit aufzugeben. Trächtig, hin oder her.

„Na los. Greif mich an!“, fauchte ich, als ich bemerkte, dass Ruber noch immer stocksteif dastand und mich besorgt musterte. Er schüttelte langsam den Kopf.

„Nein. Ich glaube, dass reicht für heute. Deine Konzentration lässt nach und wenn du noch mehr Schrammen hast, bringt mich deine Socius!“ Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte Kämpfen. Nur, weil ich mich gerade übergeben hatte, hieß das noch lange nicht, dass ich schwach war.

„Nein!“, knurrte ich und griff ihn mit einer schnellen Folge an Schlägen an, obwohl meine Arme protestierend aufheulten. Klinge um Klinge. Es klirrte, wenn sich unsere beiden Schwerter trafen, doch ich realisierte es kaum noch. Die Anstrengung stand uns beiden inzwischen deutlich ins Gesicht geschrieben und nachdem ich einen Pflug rechts angedeutet, dann jedoch einen Schrankhut ausführte, gelang es mir endlich Ruber zu entwaffnen. Das Schwert flog zur Seite und blieb einige Meter von uns entfernt im Gras stecken, während ich meine Klinge mit einer raschen Drehung unter das Kinn des Tigers schwenken ließ.

„Besiegt!“, ließ ich verlauten, doch Ruber knurrte nur, stapfte zu seinem Schwert und steckte es zurück in seinen Gürtel.

„Dann können wir ja endlich zu den anderen zurück.“ Ruber war eindeutig verstimmt. Männer und ihr Ego. Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln.

„Aber du musst zugeben, dass ich nicht schlecht war!“, feixte ich. Der Tiger schnaubte und ich seufzte. okay, vielleicht würde ich doch kein Lob ernten. Jedenfalls nicht von ihm.

>Ich fand euren Kampf gar nicht mal so schlecht.<, mischte sich Michael in meine trübsinnigen Gedanken. >Allerdings musst du versuchen, deine Beinarbeit nicht mehr so zu vernachlässigen.<

Wieder seufzte ich. Da hatte der Erzengel vermutlich rechts. Es war aber schon schwer, gleichzeitig auf den eigenen Ort, die Klinge des Gegners und die Beinarbeit zu achten.

>Warum hast du dich zwischendurch übergeben? Dass es mehr als Überanstrengung war, brauchst du mir gar nicht zu verheimlichen.<, wollte mein Engelsvater besorgt wissen. Hatte er nicht meine Gedanken in den letzten Tagen verfolgt.

>Nein, ich war die letzten Tage ziemlich mit einer Konferenz beschäftigt. Die Erzengel haben sich beraten, ob sie ebenfalls an dem Kampf teilnehmen werden oder nicht.<

>Und, was ist dabei herausgekommen?<, wollte ich neugierig wissen.

>Lenk nicht von Thema ab!<, schalte mich Michael, seufzte dann aber >Die anderen Erzengel bezweifeln, dass es schon der große Endkampf werden wird und wollen sich deswegen zurückhalten.< Schade eigentlich. Wir hätten die Hilfe der mächtigen Engel wirklich gebrauchen können. Vor allem jetzt, wo ich schwanger war.

>Du bist schwanger?<, mein Engelsvater glaubte nicht recht zu hören. Mist, warum las er auch meine Gedanken.

>Ich bin mir nicht sicher. Es wäre aber gut möglich, bei meinem Heißhunger auf Äpfeln und meine morgendliche Übelkeit. Dennoch werde ich kämpfen, Michael!<, antwortete ich ausweichend.

>Weiß dein Gefährte das?< Michael schien wirklich Mühe zu haben, sich wieder einzukriegen, doch ich hatte mich bereits entschieden.

>Nein. Aber er soll es von mir erfahren. Nach dem Kampf. Sonst wird er mich nicht kämpfen lassen. Es ist aber mein Kampf!<

>Wenn das mal gut geht.<, murmelte Michael und zog sich zurück. Ich war mir sicher, dass er nachdenken musste.

Wir erreichten den Birkenhain, in dem wir dieses Mal unser Lager aufgeschlagen hatten. Einige Dorfbewohner schliefen bereits, was mich nicht wirklich wunderte. Immerhin mussten sie den ganzen Weg, den wir geritten zu Fuß gehen. Zum Glück hatten wir die Pferde nach ihrer Flucht vor dem Vampirgurter alle wieder einfangen können und Lak ritt nun, zusammen mit Flint auf dem Fuchs von Elias und Elena. Ich vermisste die beiden ziemlich. Elias Fragen, die nur ein Kind stellen konnte und die Ruhe, die Elena als Erdbändigerin ausstrahlte. So in Gedanken versunken fand mich schließlich ach Fer am Feuer.

>Woran denkst du?<, fragte er mich besorgt und musterte missbilligend die ganzen blauen Flecken und Schrammen an meinem Körper.

>An Elena und Elias<, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. >Ich habe die Beiden im Stich gelassen und nun müssen sie dafür bezahlen. Ob sie noch am Leben sind?<

>Ich habe mit Fil gesprochen. Sie macht sich ab Morgen auf die Suche nach den Beiden und will sich mit Leon vom nördlichen Rudel zusammenschließen und Pläne schmieden.<

>Die Beiden würden ein tolles Paar abgeben!<, seufzte ich und dachte an Leons Blick, als ich in auf Fil ansprach.

>Du versuchst schon wieder mein Rudel zu verkuppeln.<, knurrte Fer.

>Unser Rudel!<, verbesserte ich ihn und ein Gefühl der Wärme durchströmte mich. Zum ersten Mal hatte ich es jetzt von mir aus festgestellt, dass das Rudel ein Teil meiner Familie war. Es war nicht mehr nur Fers Rudel, wie ich es ursprünglich immer bezeichnet hatte. Es war unser Rudel.

>Ja. Unser Rudel!< Fer konnte gar nicht anders, als zu lächeln, während er meine Gedanken und Gefühle zu dieser Erkenntnis empfing.

„Carrie, wer hat dich so zugerichtet?“ Lak war bei uns aufgetaucht und starrte mich sprachlos an. Auf seine Worte hatte auch Gan den Kopf erhoben und musterte mich jetzt genauer. An seinen schmalen Augen erkannte ich, wie wenig ihm mein Anblick gefiel.

„Ich habe zusammen mit Ruber mich im Schwertkampf geübt und habe gesiegt!“ Von der anderen Seite des Feuers kam ein mürrisches Knurren. Ah, dahin war Ruber also verschwunden. Ich sah, wie Lynca auf ihn zuging und ich in den Arm nahm, um ihn zu trösten. der Tiger warf mir noch einmal einen bösen Blick zu und schmiegte sich dann an seine Gefährtin.

Fer lachte leise auf. >Das hätte ich gerne gesehen!<

„Und das lässt du zu!“, polterte Lak und warf Fer einen finsteren Blick zu.

„Besser sie kann sich verteidigen, als dass ich das halbe Schlachtfeld durchqueren muss, um sie zu retten!“, erwiderte Fer kalt.

„Sie sollte überhaupt nicht kämpfen!“, grollte mein Bruder. Hallo Leute, ich saß auch noch hier am Feuer und ich konnte gut und gerne für mich alleine entscheiden.

„Vergiss es, Bruderherz. Ich kämpfe. Das ist mein Kampf. Du kannst mich nicht ewig beschützen!“, fauchte ich beleidigt.

Lak knurrte und einen Moment starrten wir uns beide finster in die Augen, ehe Lak sich mit einem erneuten Knurren ruckartig umdrehte und im Wald verschwand. Offenbar brauchte er einen Moment für sich, um zu begreifen, dass seine kleine Schwester gar nicht mehr so klein war. Ich seufzte und wandte mich dem Feuer zu. Da ich Gans und Fers musternde Blicke noch immer auf meinem Körper spüren konnte, legte ich meine Hand nahe an das Feuer und ließ die Flammen in winzigen Zungen über meinen Körper wandern. Dort, wo sie auf Verletzungen stießen, verfärbten sie sich grün und heilten mit einem Kribbeln meine ganzen Kratzer und Blutergüssen. Nun deutete lediglich meine teilweise zerschnittene Kleidung auf unseren Kampf hin. Fasziniert hatte Fer den Flammen zugesehen drückte mich an sich, als ich mich zurücklehnte. Die Flammen verschwanden von meinem Körper. Ich seufzte und drückte mich fester an Fer. das konnte ja noch etwas werden.

Kapitel 40

Der nächste Tag verlief ähnlich dem gestrigen. Mit zwei Ausnahmen. Fil verließ uns am nächsten Morgen, um sich auf die Suche nach den Elementarkindern und dem Alphatier des nördlichen Rudels zu machen. Und Jemin kämpfte abends gegen mich. Ich hatte das Gefühl, dass mir Ruber meinen Sieg noch immer nicht verziehen hatte. Man konnte dieser Tiger nachtragend sein. Jemin kämpfte anders als Ruber. Nicht so unüberlegt und immer drauflosschlagend, sondern ganz routiniert. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass er sich absichtlich zurückhielt. Ob das wegen der vermutlichen Schwangerschaft oder meinem Stand war, wusste ich nicht, doch es nervte mich tierisch.

„Du musst dich nicht zurückhalten!“, fauchte ich, als er zum dritten Mal kurz vor dem vernichtenden Schlag abbrach. „Meine Feinde in der Schlacht werden auch keine Rücksicht nehmen. Eher im Gegenteil. Weder auf mich, noch auf meinen Stand, noch auf etwas anderes!“ Uns war beiden klar, was ich mit `anderes´ meinte, doch Jemin ließ meinen Wutausbruch unkommentiert.

„Es tut mir Leid, Elisabeth. Aber ich kann nicht aus meiner Haut!“, rechtfertigte sich der Leibwächter.

„Außerdem kämpft ich – du bereits so gut, dass du eigentlich kein Training mehr brauchst. Obwohl deine Arme noch immer etwas Beben, wenn du einen Schlag abfängst. Ich werde deine Fortschritte Alpha Fer sagen. Ich bin mir sicher, eure Eltern wären stolz auf euch.“

Er konnte es einfach nicht lassen. Obwohl ich ihn bereits unzählige Male darum gebeten hatte, mich einfach zu duzen, verfiel er immer wieder in die Ihr-Perspektive. Meistens fiel es ihm nicht einmal auf. Aber vermutlich hatte er eine Erziehung genossen, die genau das gerechtfertigte.

„Wie du meinst, Jemin. Schade, ich habe unseren Kampf genossen.“, gab ich nach. Aber so hatte ich vielleicht noch ein paar angenehme Stunden mit meinem Gefährten.

Gemeinsam gingen wir zurück zu den Anderen. Hier herrschte gerade viel Betrieb. Offenbar waren die Lilienkrieger gerade von der Jagd zurück. Da wir inzwischen mehr waren, benötigten wir auch mehr Nahrung. Wieder gab es Rentier und zwei Haselhühner. Ein paar Frauen aus dem Dorf machten sich gleich daran die Tiere auszunehmen. Ich knabberte an einem Apfel und sah ihnen dabei zu. Ein trauriger auf den Apfelstiel machte mir bewusst, dass ich wirklich mal mit Gan reden sollte. Aber nur aus dem Grund, den ich Fer bereits genannt hatte. Endlich drehte sich der schwere Leib des Rentierhirschs, der sicher eine Achteltonne auf die Waage brachte über dem Feuer. Ich wollte gar nicht erst wissen, wie die Männer ihn hierhertransportiert hatten. Sein Geweih wurde schon fleißig von den Frauen, die ihn ausgenommen hatten zur Herzstellung von Hornknöpfen verwendet.

„He!“ Gan ließ sich neben mir sinken.

„He!“, erwiderte ich und wandte mich ihm zu, als ich spürte, dass er erneut meinen Körper nach Verletzungen absuchte.

„Du hast es ja heute tatsächlich geschafft halbwegs unverletzt zu blieben!“, stellte der Heilmagier fest. Ich wusste nicht, ob das als Scherz gemeint war, deshalb lächelte ich nur verunsichert.

„Weißt du, Carrie. Inzwischen bin ich es sogar gewohnt, dich mit einem neuen blauen Fleck oder einem neuen Kratzer zu sehen. Eigentlich ist es schon fast unnatürlich, wenn du dir mal nichts getan hast. Wirklich verrückt, dass ich so etwas mal feststellen würde.“ Er schien ziemlich in Gedanken versunken zu sein. Ich betrachtete ihn näher. Die Reise schien ziemlich an ihm zu zerren. Seine Gesichtszüge waren kantig geworden und silbergraue Strähnen durchzogen inzwischen seine prächtige Haarpracht. Auch war er dünner geworden. Der fast tägliche Gebrauch von Magie ließ seine Augen fast in den Höhlen seiner dunklen Augenringe liegen. Ich fragte mich, wann er das letzte Mal richtig gut geschlafen hatte.

„Ist bei dir alles in Ordnung, Gan? Du siehst wirklich fürchterlich aus!“, stellte ich schließlich fest.

Der Heilmagier verzog sein Gesicht zu einer Grimasse „Danke, das ist wirklich ein angenehmes Kompliment von einer Dame und noch dazu von einer Königin.“

„Es tut mir Leid, Gan!“, beschämt senkte ich den Kopf.

„Und ich bin wenn dann maximal eine Prinzessin, solange ich nicht gekrönt wurde. Außerdem bin ich immer noch dieselbe Carrie, wie die, der du damals die Handgelenke geheilt hast.“, fügte ich murrend dazu. Zu meiner Verwunderung schüttelte der Heiler den Kopf.

„Nein, dass bist du nicht. Du bist stärker geworden. Mächtiger. Und inzwischen glaube ich, dass du allein mit deiner Willensstärke jeden Krieg der Welt gewinnst. Aber hüte dich vor der Macht. Sie kann einen schnell zu Kopf steigen lassen. Bleibe wie du bist, innerlich so gütig und wir werden alle immer hinter dir stehen!“

Auch die nächsten Tage gingen mir Gans Worte einfach nicht aus dem Kopf. >Hüte dich vor der Macht!< Aber wer sagte denn, dass ich diese Macht, die ich besaß überhaupt wollte. Was gäbe ich jetzt dafür ein ganz normales Mädchen zu sein, mit meiner Familie beim Mittag zu sitzen und zusammen die verrücktesten Geschichten zu spinnen. Doch ich war kein normales Mädchen und würde es auch nie wieder sein. Ich war Carrie Elisabeth Crown, Tochter von König Borkil und Königin Freia, Gefährtin und Alphatier, Ignisaeri und Feuerengel und ritt gerade an der Seite meiner Gefolgsleute durch einen dichten Eichenhain immer auf dem Weg zur Westsibirischen Ebene, wo sich der Kampf des Friedens entscheiden sollte. Ich seufzte. Mein Gefährte versuchte mich von meinen trüben Gedanken, die mich immer wieder befielen, abzulenken, erreichte damit jedoch nur, dass ich mich immer mehr in mich zurückzog. Fer hatte Recht gehabt. Die ursprünglich angestrebte Woche hatten wir inzwischen überschritten und noch nicht einmal die Hälfte des Weges hinter uns gebracht. Meine morgendliche Übelkeit hatte sich inzwischen verflüchtigt, genauso wie Michael, der seit er die Nachricht meiner Schwangerschaft erfahren hatte, sich nicht mehr gemeldet hatte. Immer wieder ritten wir an zerstörten Waldhütten vorbei. Doch für die verkohlten Leichen konnten wir nichts mehr tun. Jemin hatte sich komplett aus den abendlichen Schwertkämpfen herausgezogen. Dafür sprang Fer mit viel Elan ein und brachte die Dorfbewohner, die inzwischen unseren Kämpfen bewohnten oder sich sogar selbst ausprobierten zum Jubeln. Ich ließ alles über mich ergehen und staunte nicht schlecht, wenn ich abends die entstandenen Muskeln im Oberarmbereich betrachtete. Auch Ruber ließ sich den Kampf mit mir nicht nehmen. Mein anfänglicher Sieg schien ihn angestachelt zu haben noch grober mit mir zu kämpfen. Doch er war mir nicht mehr böse, worüber ich wirklich froh war. Inzwischen gab es so wieder einige sehr angenehme Stunden am Lagerfeuer. Gan bedachte meinen von Tag zu Tag mehr geschundenen Körper nur mit einem Kopfschütteln. Doch ich beschloss meine Kräfte zu schonen und die blauen Flecken und Schrammen von alleine heilen zu lassen. Ich hatte mir inzwischen angewohnt jeden Morgen im Wald meine Flügel zu trainieren, achtete jedoch jedes Mal darauf, nicht verfolgt zu werden. Wer ich alles war, würde ich erst im Kampf zeigen. Nur meine engsten Vertrauten wussten um meine Gestalten. Am Abend, ich erholte mich gerade von meinem Kampf mit Ruber, da spürte ich es zum ersten Mal. Ich hatte meine Arme um meinen Bauch gelegt, da mich schon stark der Hunger quälte, das Brot, dass die Frauen aus Wasser und Mehl gebacken hatten jedoch noch nicht fertig war. Das Flattern war so fein, dass ich im ersten Moment glaubte, es mir nur eingebildet zu haben, doch als ich meine Hand fester gegen meinen Bauch presste, spürte ich es wieder. Wie das Herz einer Maus. Ebenso leicht, ebenso schnell und ich glaubte vor Verzückung beinahe zu vergehen. Zwei Wochen war es jetzt her, dass ich meine Jungfräulichkeit an Fer verloren hatte und bereits das starke ziehen im Unterleib, dass ich bereits seit einigen Tagen im Unterleib spürte hatte mir meinen Verdacht bestätigt. Doch nun hatte ich den Beweis. In mir wuchs ein kleines Lebewesen heran. Ein liebevolles Lächeln schlich sich auf meine Lippen, während ich erneut nach dem Herzschlag meines Babys tastete. Da auch ich eine Gestaltwandlerin war, würde es bei mir ebenso schnell gehen wie bei Lynca. Dreieinhalb Monate. Vierzehn Wochen. Ich schaute mich um. Ein paar der Lilienkrieger schnarchten friedlich unter einer breiten Linde. Noch eine Tatsache mehr, dass wir uns der Eurasischen Taiga näherten. Und damit unserem Ziel. Fer schätzte, dass wir die Ebene in zwei Tagen erreichen würden, wenn wir weiter das Tempo beibehielten. Bereits Morgen wollten wir auf das Wolfsrudel des Westens stoßen. Ich war schon gespannt, wie die Gestaltwandler so waren. Ob sie ebenfalls so nett waren wie Leon? Apropos Leon.

>Weißt du schon etwas Neues von Fil?<, fragte ich meinen Gefährten. Er schüttelte betrübt den Kopf.

>Leider nicht. Aber ich bin mir sicher, dass es ihnen gut geht.< Auch er schien ziemlich besorgt zu sein.

>Das denke ich auch.< versuchte ich meinen Gefährten zu trösten. >Immerhin ist Fil eine der stärksten Tiger, die ich kennen.< Okay, schwaches Argument. Immerhin kannte ich gerade mal drei Tiger wirklich. Fer, Ruber und Fil.

>Und einer der letzten!< Mann. Fer konnte einen ganz schön runter ziehen.

>Ach komm!<, versuchte ich seine Laune zu besser.

>Unsere Rasse stirbt aus, Carrie!<, erklärte mein Gefährte. >Die weißen Tiger waren immer als Königslinie angesehen worden. Stets für die Position des Alphas vorgesehen. Nun, wo Fil keine Kinder mehr kriegen kann, sieht es sehr schlecht aus. Und bei dir wird es auch noch eine Weile dauern.< Ich schwieg und ließ Fer weiter seine trüben Gedanken verfolgen. Hatte mein Gefährte Recht? Starben die weißen Tiger wirklich langsam aus? Und war das Wesen, dass in mir heranwuchs auch ein weißer Tiger?

>Was ist mit den anderen Ländern?<, fragte ich gedankenverloren. >Gibt’s es in Europa, Afrika, Amerika etwa keine Gestaltwandler?< Nach der Antarktis und Arktis wollte ich erst gar nicht fragen. Sicher war es dort zu kalt für die Arsanimali. Obwohl, hier in Russland war es auch nicht gerade wärmer.

>Doch schon.<, musste Fer einsehen. >Allerdings weiß ich nicht viel darüber. Ich habe Russland noch nie verlassen.< Oh. Dann musste ich meinen Gefährten unbedingt einmal auf eine Reise mitnehmen, wenn dass alles hier vorbei war.

>Das wäre schön!< gab mein Socius zu, als meine Gedanken las.

>Für dich tue ich doch alles, mein Tiger.<

>Wirklich alles?< Lächelnd nickte ich und fand mich im nächsten Moment über die Schulter von Fer geworfen.

>Das Feuer kommt heute Abend auch ohne uns aus.<, behauptete mein Gefährte. >Ich hatte in den letzten Tagen viel zu wenig Zeit mit meiner wunderschönen Socia!<

Erst einige Meter vom Lager entfernt ließ mich Fer zu Boden sinken und erfüllte mir meine sehnlichsten Wünsche. Am nächsten Morgen ließ der weiße Tiger die Bande sogar noch schneller aufmarschieren, als in den vergangenen Tagen. Offenbar glaubte er, dass wir bei der Begegnung mit den Wölfen einiges an Zeit einbüßen würden. Oder ich hatte bei ihm mit der gestrigen Nacht wieder das innere Feuer entfacht, sodass er nun frischen Mutes wieder zur Tat schreiten wollte. Auch ich fühlte mich um einiges ausgeruhter, als ich mich auf Nox Rücken schwang. Durch das intensive Reiten hatte sich mein Hinter inzwischen an Nox harten Rücken gewöhnt, sodass ich die letzten Tage immer weniger steif hatte wieder abgestiegen können. Doch ich war mir sicher, dass ich mich in der Luft immer noch am wohlsten fühlte. Durch Fers Drängelei hatte ich heute Morgen mein Flugtraining ablasen müssen, worüber ich bei dem starken ziehen in meinem Unterleib jedoch ziemlich froh war. Schwanger sein, konnte ganz schön anstrengend sein. Da mein Gefährte mit Ruber sich noch über mein letztes Training auslassen wollte und ich spürte, dass sich Nox nach einem schnelleren Tempo sehnte, ließ ich ihn losgaloppieren, bis wir schließlich die Spitze der Karawane erreichten. Jemin, der ebenfalls vorne ritt warf mir einen besorgten Blick zu.

„Ihr solltet nicht ganz vorne reiten. Da präsentiert ihr euch nur auf dem Präsentierteller.“

Doch ich winkte ab. „Alles in Ordnung, Jemin. Ich bin ja auch nicht wehrlos und notfalls habe ich immer noch dich.“

Ich schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln, das er vorsichtig erwiderte. Das Schwert meines Vaters hing inzwischen an meinem Gürtel. Fers Messer steckte in meinem Schuh und der Dolch versuchte auf der anderen Seite des Gürtels das Gewicht des Schwertes auszugleichen. Ich hatte die Klinge meines Vaters ´Ferro Igni´ oder auch ´Feuerklinge´ getauft, da sie wie meine Flammen durch die Luft züngeln konnte und verheerenden Schaden anrichten würde.

Zur Mittagszeit hörte ich das Heulen eines Wolfes in der Nähe. Ich hob die Hand und ließ die Karawane anhalten. Meine Hand führ zu meinem Dolch, den ich noch immer lieber zog, als das Schwert. Meine Augen starrten nachdrücklich auf die Büsche. Meine Ohren ersuchten den noch so kleinsten Ton.

„Zeigt euch!“, rief ich aus. Ich spürte durch unser Band, wie Fer Ruber und Lynca ein Zeichen gab die Büsche abzusuchen. Lautlos glitten sie in ihre Tiergestalt über und tapsen in die Büsche bemüht kein Rascheln zu verursachen.

>Ruber, versuche dich über die Bäume zu nähern. Du bist am Boden zu auffällig!<, ließ ich über den Rudelkanal vernehmen. Ich wusste, dass Ruber meinem Befehl sofort nachkommen würde.

Weiterhin die Büsche im Auge behaltend, stieg ich schließlich von Nox ab. Der Hengst tänzelte leicht nervös und seine Ohren zeigten ängstlich nach hinten. Ich beruhigte ihn rasch in Gedanken. Endlich rollte knurrend ein silbergrauer Wolf aus dem Dickicht, gefolgt von einer fauchenden Lynca. Als der Wolf uns bemerkte, erstarrte er.

„Gehörst du zum Wolfsrudel des Westens?“, fragte ich und legte die Autorität des Alphatieres in meine Stimme. Der Wolf winselte und legte die Ohren an. Offenbar fürchtete er sich von der Macht, die ihm entgegenschlug. Da hatten mir meine Eltern ja etwas Tolles vererbt. Ich wollte die Welt doch nicht in Angst und Schrecken versetzen. Der Wolf kniff den Schwanz ein und winselte erneut.

„Wandle dich oder sage deinem Alpha Bescheid, dass wir ihn erwarten. Ich bin Alpha Carrie, die Socia von Alpha Fer vom südöstlichen Rudel. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben!“, versuchte ich ihn halb befehlend, halb besänftigend zu beruhigen. Wieder fiepte der Wolf und ich erkannte zum ersten Mal den Welpen in ihm. Lynca fauchte, verärgert das der Welpe nicht gleich meinem Befehl nachkam. Der Wolfswelpe zuckte zusammen und stieß ein hohes Heulen aus, dass von einer Vielzahl an Stimmen erwidert wurde. Mit lief eine Gänsehaut bei diesem Klang über den Rücken, doch ich ließ kein Zeichen der Angst sehen. Faszinierend sah ich dabei zu, wie nach und nach die unterschiedlichsten Wölfe auf den Weg sprangen, die Farbe und die Größe variierten dabei von grau, über rötlich bis hin zu schwarz. Schließlich trat ein weißer Wolf aus der Menge heraus. Noch während er auf mich zukam, spürte ich, wie Fer die Meter zu ihm aufrückte, sodass wir als Alphapärchen schließlich vorne standen. Erst zwei Schritte vor uns, wandelte er sich.

Seine weißblonden Haare standen in kurzen Stoppeln von seinem ovalen Kopf ab. Die schwarzen Pupillen waren in der ebenfalls schwarzen Iris kaum zu erkennen, waren jedoch fest auf uns gerichtet. Er nickte uns grüßend zu. Eine Geste, die wir ebenso erwiderten. Der Welpe hatte sich so bald wie möglich zu seiner Sippschaft zurückgezogen und auch Lynca befahl ich hinter uns zu bleiben. Die ganze Stimmung schien ziemlich angespannt zu sein.

„Seid gegrüßt. Mein Name ist Canus, ich bin der Alpha des westlichen Wolfrudels.“ Seine Stimme war tief und ähnelte mehr einem Knurren, als richtigen Tönen.

„Seid ebenfalls gegrüßt, Canus. Ich bin Fer. Das ist meine Socia Carrie. Wir sind die Alphas des südöstlichen Rudels. Leider sind durch diverse Angriffe von Atro nicht viele unserer Familienmitglieder übrig geblieben. Umso erfreuter sind wir, von euch bei unserem Kamp unterstützt zu werden.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“ Die Spannung schien sich langsam zu lösen und auch ich atmete erleichtert auf.

„Wie groß ist euer Rudel, Canus?“, fragte ich. Der Wolf wandte seinen Blick mir zu, musterte mich kurz und nickte dann zufrieden.

„Stolze sechzig Mitglieder. Wir konnten uns zum Glück bislang von den Häschern von Atro verbergen.“ Er musterte mich erneut. „Ihr seid wunderschön, wenn ich mir das Kompliment erlauben darf!“

Fer knurrte verärgert und sofort wurde die Spannung wieder stärker. Ich konnte ihn förmlich >Meins!<, in Gedanken brüllen hören.

„Vielen Dank. Allerdings solltet ihr lieber wachsam mit eurer Wortwahl sein. Mein Socius kann sehr bestimmend sein und möchte mich mit niemanden teilen.“ Ich lachte und Canus konnte mit einem Blick auf meinen Gefährten, der bereits lauernd dastand, um sich jederzeit auf den Wolf zu stoßen auch nicht anders, als mitzulachen.

„Vermutlich wäre das eine sehr gute Idee!“, stimmte er mir schließlich zu.

>Schön, dass ihr euch auf meine Kosten amüsiert!<, knurrte mein Gefährte in meinen Gedanken.

>Ach, jetzt hab dich nicht so. Ich stehe nicht so auf den Geruch von nassem Hund. Für mich wird es immer nur eine Katze geben, der mein Herz begehrt<, besänftigte ich ihn. Fer schnurrte zufrieden.

„Wer wird noch alles mit uns kämpfen?“, riss uns der Alpha des westlichen Wolfrudels auf unser Turtelei.

„Unser Rudel, das Rudel des Nordens unter Alpha Leon, einige dutzend Lilienkrieger, ein Drache, ein paar Dorfbewohner und ein paar Familienmitglieder.“, antwortete mein Socius souverän, als würde gerade nichts zwischen uns gelaufen sein.

Canus zog die Augenbrauen hoch. „Die Lilienkrieger folgen euch? Das haben sie seit Jahren nicht getan.“

Ich überlegte, ob ich ihm meine Herkunft verraten sollte, doch Fer schüttelte unmerklich den Kopf.

„Es haben sich einige Umstände so ergeben. Und die Zeit der Rache ist endlich da!“ Die Augenbrauen von Canur hoben sich soweit möglich noch höher. Er schien uns nicht ganz zu glauben. Ich konnte es ihm nicht verübeln.

„Keine Sorge. Sie werden uns ohne Probleme Folge leisten!“, sagte ich so kühl wie möglich. Es ärgerte mich, dass er die Treue meiner Leibwächter infrage stellte, selbst wenn er nichts von mir und meiner Familie wusste. Immerhin hatte mein Vater den Lilienkriegern blind vertraut und sie waren auch für mich gute Vertraute geworden, selbst wenn sie mit Gan, Fer, Ruber und Lak nicht mithalten konnten. Aber das war ja auch meine Familie. Mehr oder weniger.

Mein Gefährte schmunzelte bei meinen Gedanken, mischte sich jedoch nicht weiter ein. Auch von Canus kam kein weiterer Kommentar, obwohl er angesichts der Kälte in meiner Stimme ein wenig abgeschreckt zu sein schien.

„Nun, denn. Lasst uns weiter ziehen. Noch länger sollten wir nicht warten. Sonst wird noch mehr unschuldiges Blut vergossen!“, erhob ich erneut das Wort und zog mich an Nox Zügeln hoch, ohne den Wolfsalpha aus den Augen zu lassen. „Wenn etwas sein sollte, dann sagt uns Bescheid, Canus.“ Ich nickte ihm zu.

Langsam erwiderte er die Geste, verwandelte sich schließlich und stieß ein langgezogenes Heulen aus, dass nach einem Befehl klang. Sofort verwandelten sich auch die anderen Wölfe und reihten sich links und rechts unserer Karawane ein. Ich wartete noch kurz, bis Fer aufgestiegen war, dann gab ich das Zeichen zu Aufbruch und langsam setzte sich unsere Karawane wieder in Bewegung.

Kapitel 41

Der Tag verging ziemlich schnell. Trotz der Startschwierigkeiten schien Canus ein aufgeweckter, zu schwarzem Humor neigender Gefährte zu sein. Wir alt er war, konnte ich nicht genau sagen, doch ich schätzte ihn auf achtundzwanzig. Das Rudel von ihm machte einen freundlichen Eindruck. Vor allem der junge, graue Wolf, der zuerst vor uns aufgetaucht war, hatte es mir angetan. Lukas hieß er und er war erst fünfzehn. Mein Gefährt hatte geknurrt als er uns miteinander reden hörte, doch ich hatte nur Augen für ihn und das versicherte ich ihm hoch und heilig, bis er schließlich sich zufrieden gab. Mit den Wolfswandlern an unserer Seite war es noch schwieriger für Fer und mich einen Moment für uns zu finden. Doch sicher würden sich nach der Schlacht noch genügend Momente dafür ergeben. Bis dahin malte sich mein Gefährte schon die schönsten Dinge aus und lenkte mich ziemlich von den Gesprächen mit Lukas, Jemin und Canus ab. Das schien ihn ziemlich zu amüsieren.

>Soll ich das mal mit dir machen?<, fragte ich schließlich unwirsch. Mein Gesicht hatte inzwischen die Farbe eine überreife Tomate angenommen.

>Mit dem größten Vergnügen!< Ich schnaubte bei der Doppeldeutigkeit seiner Worte und beschloss ihn zu ignorieren.

Am Morgen des nächsten Tages sahen wir endlich das Ende des Waldes. Den kleinen Lichtfleck am Ende des Weges hatte ich sicher nur durch die scharfen Augen von Ignisaeri bemerkt, doch es machte mir Mut. Mut, endlich die Ebene erreicht zu haben. Viel zu lange hatte mir die Spannung die Muskeln verkrampft und mich der Gedanke, was alles bis dahin passieren könnte, Alpträume beschert, doch endlich würde meine Reise enden. Wir ritten noch weitere drei Stunden, ehe auch die Lilienkrieger das Licht am Ende des Weges erblickten. Zur selben Zeit spürte ich ein Kribbeln auf meinen Armen und ein anstupsen in meinen Gedanken, dass mir sehr vertraut schien. Wieder gab ich ein Zeichen zum Anhalten. Jemin sah mich angespannt an.

„Was ist?“, fragte er.

>Elena, Elias. Könnt ihr mich hören?<, fragte ich in Gedanken auf unserer Elementarkriegerebene.

Ein warmes Gefühl durchströmte mich, als ich ihre Präsenz starker bemerkte.

>Ja. Wir sind noch etwa zwanzig Minuten von euch entfernt. Allerdings sind wir von einem Wolfrudel eingekreist.<

Oh Mist. >Ist Leon nicht bei euch?<

Ich spürte, wie sie zögerte. >Nein. Es gab ein kleines Problem im Rudel, weswegen Fil mit uns vorgelaufen ist.<

>CANUS!<, versuchte ich den Wolfsalpha zu erreichen. Keine zwei Sekunden später brach er vor mir aus dem Unterholz und sah sich angespannt um, so als vermute er, dass ich angegriffen werden würde. Fragend wandte er den Kopf mir zu, als er keine Gefahr ausmachen konnte. >Was ist?<, schien dieser Blick zu bedeuten.

„Die weiße Tigerdame und die zwei Kinder, die ihr im Wald umzingelt habt, gehören zu meinem Rudel. Ich würde euch raten sie nicht anzugreifen, sondern sie sofort zu mir zu geleiten.“ Die Autorität in meiner Stimme war nicht zu überhören. Canus knurrte einmal, schien meinen Befehl jedoch an seine Männer weiterzugeben. Ich begab mich wieder auf den Kanal der Elementarbändiger.

>Die Wölfe sind unsere Verstärkung. Sie werden euch nicht angreifen, sondern zu uns geleiten. Bitte sagt Fil Bescheid, ich will keinen unnötigen Kampf!< Ich spürte ihre Zustimmung, dann zog sie sich zurück und ließ mich mit meinen Gedanken alleine. Sie sind also tatsächlich gefunden worden. Erleichterung durchströmte mich. Sofort ging es mir bei diesem Gedanken besser. Aber was war das für ein Problem in Leons Rudel? Und waren sich Fil und Leon inzwischen nähergekommen?

>Das kannst du sie ja alles fragen, wenn sie da sind!<, schaltete sich mein Gefährte in meine Gedanken.

„Elisabeth?“, riss mich Jemin aus meinen Gedanken und ich erinnerte mich, dass er gefragt hatte, was los sei.

„Fil und Alpha Leon konnten die Kinder befreien und werden in Kürze mit dem nördlichen Rudel zu uns stoßen.“, gab ich ihm eine kurze Erklärung. Jemin nickte abwesend. Ich beobachtete ihn, bis ein Knacken aus dem Unterholz meinen Kopf nach rechts schwanken ließ. Wie bereits erwartet war es Fil, die aus dem Unterholz brach. Doch sie sah jämmerlich aus. Ihr eines Ohr schien fast abgerissen worden zu sein, selbst wenn es durch die natürlichen Heilkräfte der Gestaltwandler wieder voll einsetzen konnte und es bereits wieder halb angewachsen war. Ihr Körper war über und über mit tiefen Kratzern versehen. Ihre Augen waren trübe, obwohl ich das Leuchten einer abgeschlossenen Gefährtenverbindung in ihnen sehen konnte. Also hatten es Leon und sie tatsächlich geschafft sich miteinander auszusprechen. Ich stieg ab, als ich merkte, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.

>Fer. Komm mit Gan so schnell wie möglich hierher. Wir brauchen euch! Schnell!<, rief ich und hastete auf die Neuankömmlinge zu. Erst jetzt nahm ich Elena und Elias wahr. Elias schien inzwischen wie ein sieben-oder achtjähriger Junge, Elena wie vierzehn. Auch war sie bewusstlos und schien nur noch von ihrem kleinen Bruder gehalten zu werden. Schuld daran schien eine tiefe Wunde an ihrem Bauch zu sein. Ich fragte mich, was die Beiden hinter sich haben mussten. Endlich erreichte ich Fil und konnte gerade noch Elena auffangen, die durch das plötzliche Stoppen von dem Rücken der Tigerdame gerutscht war.

„Bitte, Ignisaeri. Du musst ihr helfen!“, stumme Tränen flossen Elias Wangen herunter. Auch er war verdreckt, hatte eine Platzwunde über dem Auge und tiefe Kratzer am ganzen Körper. Was war ihnen nur begegnet?

„Wir tun unser Bestes, Elias“, murmelte ich nur verzweifelt und blickte auf Elena hinab. Endlich kamen Gan und Fer herangestürmt. Kurz schien der Heiler die Situation abzuschätzen, wechselte kurz mit Fer einen Blick und wandte sich dann Elena zu.

„Warte!“, stieß ich hervor. Vorsichtig ließ ich Elena zu Boden sinken, immer um ihren Kopf bemüht und schaufelte schnell ein Kissen aus Erde um ihren Kopf, in das ich sie ebenso achtsam sinken ließ. „Vielleicht hilft ihr das.“

Gan nickte gedankenverloren und konzentrierte sich auf Elenas Bauchverletzung. „Lien sanat. Hepar sanat. Cutis sanat.“, murmelte er immer wieder vor sich her.

Nebenbei konnte ich spüren, wie Fer seiner Cousine über das Rudelband etwas von seiner Kraft zukommen ließ, damit sie ihr Ohr vollständig und zumindest die schlimmsten Kratzer heilen konnte. Dazu hatte er sich ebenfalls verwandelt. Anschließend leckte er ihr noch aufmunternd über die Nase. Es war eine so liebevolle Geste und ich überlegte angestrengt, wie ich ihr ebenso helfen könnte.

Vorsichtig, um ihr nicht noch mehr Schmerzen zu bereiten, umarmte ich sie und ließ einige Flammen über die Kratzer tanzen, damit zumindest der Dreck aus ihnen herausbrannte. Fil zuckte kurz zusammen, sah mich dann jedoch dankbar an.

„Danke, dass du Elias und Elena gerettet hast. Ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür revanchieren kann, dass du dein Leben für die Beiden riskiert hast. Danke!“

>Keine Ursache, Alpha Carrie!<, ließ sie mich über den Rudelkanal wissen und blinzelte verständnisvoll.

>Ich muss mich auch bedanken!<

>Wofür?<, fragte ich ebenso auf der Rudelebene.

>Dafür, dass du Leon und mich zusammengebracht hast. Denn ich bin mir sicher, dass du deine Hände im Spiel hattest. Ansonsten hatte mein lieber Cousin das nie zugelassen.< Auch ich musste lächeln. In diesem Punkt hatte sie leider Recht.

>Außerdem hast du mich damals von den Palinas und Trinas gerettet.<

>Ich würde für jeden im Rudel mein Leben hergeben!<, stellte ich klar. >Denn ihr seid meine Familie. Die beste, die ich jemals hatte!<

Ohne es zu wollen, stiegen mir die Tränen in die Augen. Fil schnaubte. Ich war mir sicher, dass es in Menschengestalt ein Schniefen gewesen wäre. Doch in Tiergestalt heilten ihre Wunden besser.

>Du solltest ein bisschen schlafen. Wir warten hier noch auf Leons Rudel. Bis dahin hast du auf jeden Fall Zeit. Wir passen jetzt auf euch drei aus!<, schaltete sich Fer ein. Ich war mir sicher, dass er unserem Gespräch gelauscht hatte. Er bedachte seine Cousine mit einem liebevollen Blick, die sich ausgiebig streckte, wobei kurz ihre Krallen zu sehen waren und sich dann einrollte. Innerhalb weniger Sekunden hatten sich ihre Augen geschlossen.

Ich wandte mich Elias zu, der noch immer unstimmig und besorgt neben seiner Schwester stand, die noch immer von Gan behandelt wurde. Es war keine Frage, dass Elena knapp vor dem Tod gestanden hatte. Während ich mich auf die Bändigerebene begab, ließ ich Fer an unserem Gespräch teilhaben, sodass ich ihm später nicht alles erzählen musste.

>Was ist passiert, Elias?<

Der Junge warf noch einen besorgten Blick zu seiner Schwester, ehe er sich seufzend zu uns wandte. >Du warst damals noch nicht lange mit Fer verschwunden gewesen, da sahen die Krieger schwere Rauchschwaben in eurer Nähe hochsteigen. Da sie sich Sorgen machten, wollten sie sich gleich auf den Weg machen. Sie schärften uns vorher noch ein, ihnen auf keinen Fall zu folgen. Offenbar dachten sie, wir wären sicher. Aber das waren wir nicht. Nicht mal zwanzig Minuten nach ihrem Verschwinden kamen sie.< Ich sah wie der Luftbändiger in Erinnerung an die Situation schauderte.

>Nahezu lautlos drangen sie auf die Lichtung. Elena, die sich um unsere Sicherheit fürchtete, ließ uns schnell vom Pferd absteigen und im Gebüsch Schutz suchen. Von da sahen wir, wie einer nach dem anderen abgeschlachtet wurde. Erst nur die zurückgebliebenen Lilienkrieger, dann die Gestaltwandler, die rasch bemerkten, dass etwas nicht in Ordnung war und zurückrannten. Direkt vor unserem Busch sahen wir schließlich, wie einer der Palinas einen Fuchs schwer verwundete. Als er sich gerade über ihn beugen wollte, um ihn zu quälen, ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt und ich habe mich auf ihn gestürzt. Leider wurden so auch die Anderen auf uns aufmerksam. Noch während die Anderen kämpfen, wurden wir so von einigen Palinas gefangen genommen. Wir hatten überlegt zu fliehen, doch der Vampir, den sie dabei hatten, drohte den jeweils anderen zu beißen und so wurden wir gefangengenommen. Wir sind nur auf eine Art Soldatenzwischenposten gekommen. Offenbar wusste niemand, wer wir wirklich waren. Denn sie haben uns ausgepeitscht und wollten wissen, wer wir sind und dass wir ihnen dienen. Wir haben nichts verraten!< Stolz schwang in seiner Stimme mit und mir wurde schlecht, bei dem Gedanken, was sie ertragen mussten.

>Einmal kamen sie auch mit dem Messer. Die Schnitte an sich waren nicht schlimm, aber die Verletzung, die sie Elena zugefügt haben schon.< Er verzog das Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse.

>Wie lange wir dagewesen waren, weiß ich nicht, aber an dem Tag fand uns Fil. Sie schaffte es, uns zu befreien, verlor durch das Messer jedoch beinahe ein Ohr. Sie sagte, ich solle gut auf meine Schwester achten. Im Wald wurden wir schon ungeduldig von Leon und seinem Rudel erwartet. Ich hatte ein wenig Angst vor seinem Rudel, doch sie sind eigentlich ganz in Ordnung. Leider waren uns einige Soldaten mit Bögen auf den Fersen. Den ersten Schwung konnte Elena mit einer Erdwand abfangen. Dann wurde sie jedoch bewusstlos und ich wusste, wenn jemand ihr noch helfen konnte, dann wart ihr und ich das. Daher habe ich einen Wirbelsturm losgelassen, der alles hinter uns verwüstet hat, während wir rannten. Fil hat keine einzige Pause mehr seit unserer Befreiung gemacht, da sie dachte, dann stirbt Elena.<, schloss Elias seinen Bericht. Ich sah besorgt zu Fil. Darüber würde ich unbedingt nachher noch mit ihr reden müssen. Dann wurde mir bewusst, was Elias gesagt hatte. Er hatte einen richtigen Wirbelsturm herausbeschworen. Einen Tornado, der alles hinter ihnen zerstört hatte. Kein Wunder, dass er so gealtert war. Nun war seine Kindheit noch kürzer, dachte ich betrübt.

>Das hast du wirklich gut gemacht. Ich bin stolz auf dich, mein Kleiner. Aber nun solltest du dich ach ausruhen. Es bringt Elena wenig, wenn sie aufwacht und du bist total übermüdet, sodass sie vor Sorge um dich, gleich wieder krank wird. Wir sagen dir Bescheid, wenn sich ihr Zustand ändern sollte oder sie sogar aufwachen sollte. In Ordnung?< Liebevoll sah ich ihn an. Meine Mutterinstinkte meldeten sich schon wieder und ich bedauerte wie viel er schon wegen mir von seiner Kindheit hatte Opfern müssen. Fer strich mir beruhigend über die Seite, während Elias in nickte, sich an Fil kuschelte und ebenso schnell wie Fil einschlief. Sicher hatte er wenig Schlaf in letzter Zeit bekommen. Kein Wunder, bei dem, was er erlebt hatte.

>Sag den Männern sie sollen ein wenig rauchendes Feuer entfachen. Ich schaue mal, ob ich Leon bei seinem Rudelhelfen kann!<, übermittelte mir Fer und rannte in den Wald hinein, noch ehe ich protestieren konnte. Ich seufzte, erhob mich jedoch wieder und wandte mich zu den anderen um.

„Sammelt trockenes Holz. So trocken wie möglich. Es darf nicht zu stark rauchen. Wir machen erst einmal eine Pause und warten auf den Rest der Verstärkung!“, ließ ich die Ansage vernehmen, wobei sich die Männer von ihren Pferden schwangen und in Richtung Wald davongingen, während einige Dorfbewohner sich erschöpft zu Boden sinken ließen und andere, die Pferde an den nächsten Baum banden. Hatte ich ihnen zu viel zugemutet, fragte ich mich? So wie es aussah, waren wir gerade nicht für einen Kampf bereit. Auch ich nicht. Die Schwangerschaft ließ mich die ganze Zeit müde und erschöpft sein, obwohl ich mir die letzten Tage bereits so viel Schlaf wie nur möglich gegönnt hatte. Ich rechnete kurz aus. Seit meinem ersten Sex mit Fer waren inzwischen fast drei Wochen her, das war umgerechnet in eine Menschenschwangerschaft die siebte Schwangerschaftswoche. Kurz überlegte ich, was das für mich bedeuten würde. Neben den Schlafproblemen würde ich auch noch häufiger in den Wald verschwinden müssen. Ich verzog das Gesicht in den Gedanken daran. Genau dass, was ich in einem Kampf nicht würde gebrauchen können. Schnell verschloss ich meine Gedanken, als ich spürte, dass mein Gefährte zurück war. An seiner Seite Leon, das nördliche Rudel und Canus mit seinem westlichen Rudel. Einige Pferde scheuten, als die Horde Gestaltwandler auftauchte, doch für mich war es ein beachtliches Bild. Insgesamt müssen es an die hundert imposante Tiere sein, die sich nun zu uns an das Lagerfeuer versammelten. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie es schon entzündet hatten, doch vermutlich war ich mit den Gedanken einfach ganz wo anders gewesen. Ich betrachtete Leons Rudel näher. Bis auf einen Geparden, in deren Flanke ein Pfeilschaft steckte und der deswegen humpeln musste, schienen alle durch den Einsatz der Elementarkinder relativ unverletzt geblieben zu sein. Zwar zeichnete sich noch bei zehn bis zwölf Tieren ein Streifschuss ab, doch der würde bei den Gestaltwandlern innerhalb der nächsten ein, zwei Stunden verheilen. So schlimm wie Fil hatte es glücklicherweise niemanden erwischt. Als Leon die schlafende Fil bemerkte, trottete er gemächlich zu ihr herüber, leckte ihr einmal in einer Liebevollen Geste über das Gesicht und legte sich schützend neben sie. Er sah auf, als er meinen Blick bemerkte. Ich nickte ihm nur respektvoll zu und lehnte mich Müde an den nächsten Baum. Eine kurze Welle des Schwindels überkam mich und ich ließ mich sicherheitshalber an ihm herabgleiten. Der Einsatz meines Feuers wurde für mich immer schwieriger. Ich wollte gar nicht wissen, wie es mit dem Gestaltwandeln aussah. Hoffentlich würde ich das Kleine in meinem Bauch beim Kampf nicht verlieren. Obwohl es gerade einmal ein Würmchen war und ich es noch nie gesehen, sondern nur manchmal sein winziges Herzchen erspürt hatte, hegte ich schon tiefe Gefühle für das Kleine. Ich hoffe, Fer wird es ebenso lieben. Ich sah kurz zu meinem Gefährten herüber, der sich gerade mit Canus stritt. Beide hatten sich wieder verwandelt, sodass ich ein paar Fetzen des Gesprächs empfangen konnte. Mit Schrecken stellte ich fest, dass es um Elias und Elena ging.

„Was sollen die Kinder? Wir ziehen in einen Krieg!“

„Sie gehören zu unserem Rudel und können durchaus kämpfen!“

„Kinder gehören nicht in den Krieg! Außerdem benehmen sie sich nicht einmal wie richtige Kinder!“

„Wie benehmen sich denn `richtige Kinder`?“ Die Beiden lieferten sich ein Blickduell, dass Fer zu meiner großen Freude sogar gewann, sodass Canus beschämt den Kopf abwandte.

„Ich pass ganz gewiss nicht auf sie auf!“, knurrte er und wandte sich ab, um zu seinem Rudel zurückzukehren. Ich seufzte.

„Elisabeth. Ist bei euch alles in Ordnung?“ Jemin kniete sich besorgt zu mir.

„Du sollst mich duzen, Jemin. Wie oft noch?!“ Mit einem Mal war ich genervt. Vermutlich hatten die Stimmungsschwankungen ebenfalls etwas mit der Schwangerschaft zu tun, doch meine Mitmenschen taten mir dennoch leid.

Jemin stieß ein Schnauben aus. „Geht es dir gut?“ Nun schien auch er entnervt zu sein.

Mit einem Mal plagte mich mein schlechtes Gewissen. „Es tut mir Leid, Jemin. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich wollte dich nicht so anknurren. Immerhin hast du mir nur eine Frage gestellt.“ Ich sah ihn entschuldigend an und Jemins harte Miene wurde weicher.

„Ich verstehe dich ja, Elisabeth. Es ist viel Geschehen in letzter Zeit und die Anspannung in der Gruppe ist deutlich zu spüren. Dass auch bei dir gerade gewisse Umstände herrschen, macht es auch nicht besser. Aber Elisabeth. Egal was war und egal, was sein wird. Euer Rudel, dein Gefährte und sowohl ich als auch der Rest meiner Mannschaft werden immer hinter euch stehen!“ Dankbar sah ich ihn an.

„Ich weiß, Jemin. Ich weiß. Was meinst du, wie es gerade Elara geht? Ob ich sie je kennenlernen darf?“ Gedankenverloren starrte ich in das Feuer. Jemin ließ sich neben mir nieder und verlor sich ebenfalls im Spiel der Flammen.

„Wer weiß, was die Zukunft bringt. Aber ich bin sicher, dass Prinzessin Elara ebenfalls noch am Leben ist.“ Ja, das war ich mir auch. Ich konnte mir ein Gähnen nicht länger verkneifen.

„Schlaft ein wenig, Elisabeth. Morgen wird ein anstrengender Tag werden.“

Ja. Das würde es. Endlich würde das eintreffen, was ich immer herbeigesehnt und gleichzeitig verflucht hatte: Der Kampf.


Kapitel 42

„Carrie, Liebes. Du solltest dich noch ein wenig stärken, ehe wir losreiten. Ich weiß, dass du keinen Appetit hast, aber du musst fit sein, für den Kampf!“, flehte mich mein Gefährte an.

Keinen Appetit war gut gesagt. Um genau zu sein, war mir sogar richtig schlecht. Das Feuer war bereits gelöscht, Fil saß wieder vor meinem Gefährten auf Lucys Rücken um sich noch ein wenig ausruhen zu können und ich würde die beiden Elementarkinder vor mich auf Nox nehmen. Dabei saßen bereits zwei auf Nox Rücken. Aber das würde ich meinem Socius ganz bestimmt nicht unter die Nase reiben, vor allem nicht vor dem Kampf. Ich seufzte und nahm Fer das Stück Brot ab. Lustlos kaute ich auf ihm herum und zwang mich zu schlucken, ehe ich mit einem Schluck das Ganze herunterspülte. Anschließend zog ich das schwere Kettenhemd über, das mir Fer zu meinem Schutz gereicht hatte. Ich hoffte, dass es mir bei meiner Verwandlung keine Probleme bereiten würde und schnallte mir wieder meinen Gürtel samt Feuerklinge und den Dolch meines Ziehvaters um. Elena war inzwischen wieder halbwegs bei Bewusstsein, sodass es wesentlich leichter für mich war sie und Elias zu halten, als wir endlich auf Nox Rücken saßen. Dieses Mal würde ich nicht an der Spitze reiten. Schon allein, wegen den beiden Kindern nicht. Elenas Rücken drückte fest gegen meinen inzwischen leicht gewölbten Bauch und sie versuchte sich verwundert umzudrehen, um mich etwas zu fragen, doch ich schüttelte vorsichtshalber den Kopf. Sie nickte geistesabwesend und begab sich auf die Elementarbändigerebene. Sorgsam achtete ich darauf, dass mein Gefährte nichts von unserem Gespräch mitbekam.

>Du bist schwanger?<

>Mmh<, machte ich nur. Elias, der gerade aufsteigen wollte, schaute mich erschrocken an.

>Bitte sagt es niemanden weiter, sonst lassen sie mich nicht kämpfen?!<, bat ich sie.

>Aber du könntest das Kleine verlieren!<, murmelte Elena fassungslos.

>Dieses Wagnis muss ich eingehen. Immerhin ist das mein Kampf!<, antwortete ich ihr ruhig.

Sie schüttelte nur verständnislos den Kopf.

>Aber wenn der Kampf vorbei ist, sagst du es Alpha Fer und Gan. Sonst tu ich es.<

>Und ich helfe dir dabei!<, krähte Elias begeistert. Was seine Schwester tat, konnte nur richtig sein. Ich lächelte leicht über diese kindliche Unschuld.

>Einverstanden.< Ich gab Nox mit einem leichten Schenkeldruck zu verstehen, dass er losreiten sollte und reihte mich irgendwo hinter Lak, der noch immer mit Flint auf dem Fuchs der Elementarkinder saß und Jemin ein, der mir einen beruhigenden Blick schenkte.

>Meine Tochter!<, schaltete sich auf einmal Michael in meine Gedanken. Ich verließ rasch die Elementarbändigerebene, damit die beiden Kinder nicht erschraken. >Ich konnte die anderen Erzengel zwar nicht überzeugen, werde dir aber selbst zu Hilfe eilen, wenn d mich ganz nötig brauchst. Gabriel ist stinksauer, hat sich aber auf meinen Handel eingelassen. Dafür übernehme ich zwei Wachschichten für ihn und helfe ihm bei den Weihnachtsvorbereitungen.< Weihnachten? Ach ja, das war ja auch bald wieder. Irgendwie erschien es mir gerade Meilenweit entfernt zu sein.

>Danke, Michael!< Ich war ihm wirklich dankbar, dass er das für mich tat und hoffte, dass er es nicht bereuen würde.

Gegen Mittag erreichten wir die Ausläufer des Uralgebirges in der Eurasischen Steppe. Mir bot sich ein ähnliches Bild, wie bereits bei unserem Ritt durch die Tundra vor unzähligen Tagen, wo ich die Jagt der Schneeeule beobachtet hatte. Lediglich ein paar Gräser bedeckten den kahlen, ausgetrockneten Boden. Erst bei genauerem Hinsehen wurde mir bewusst, welche Artenvielfalt an Gräsern hier vertreten war. Am Rande ging die Grassteppe wieder in eine Waldsteppe über. So waren dort neben Kiefern und Birken auch Pappeln vertreten, die mehr Wasser benötigten. Offenbar hatte es doch mehr geregnet, als ich es auf den ersten Blick vermutet hatte. Die Sonne brannte erbarmungslos und ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ein Windzug wehte mir kurz durchs Haar und ich glaubte Elias vor mir Lächeln zu sehen. Vielleicht sollte er seine Kräfte lieber schonen. Wer wusste schon, was wir nachher brauchten. Am Rande der Steppe machten wir erneut Pause. Ich war mir sicher, dass Atros Armee auf dem Uralgebirge kommen würde, doch sicher war ich mir nicht. Ein Kreischen ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Mit prächtigen Flügelschlägen, flog ein Trinas über unsere kleine Armee hinweg und verschwand zurück zum Uralgebirge. Offenbar sollte es die Lage auskundschaften. Doch auch wir hatten noch einige Trümpfe im Ärmel. Ich holte die Schuppe von Gruz aus der Tasche. Sollte ich ihn jetzt schon rufen? Oder erst, wenn der Kampf i Sichtweite war. Da in diesem Moment jedoch sich eine schwarze Lilie am Horizont abzeichnete, wurde mir die Entscheidung abgenommen.

„Achtung, nicht erschrecken. Ich rufe jetzt noch einen großen Freund, der uns beim Kampf unterstützen wird!“, warnte ich die anderen laut vor. „Haltet eure Pferde gut Fest.“

Ich versicherte mir kurz, dass alle meinem Befehl nachkamen, dann rief ich mir Gruz Worte in Erinnerung. „Gruz a silva. Iuva nobis.“

Mein Ruf wurde mit einem donnernden Gebrüll aus dem Wald beantwortet, bei dem sich die Bäume bogen und die Pferde, wie es zu erwarten war, unruhig umhertänzelten. Durch Ignisaeri Ohren konnte ich die schweren Flügelschläge unseres Verbündeten hören. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich den giftgrünen Feuervogel sah, der sich rasch näherte. Wo er langflog, bewegte er mühelos die Blätter von den Bäumen und erzeugte einen starken Wind, der mir die Haare ins Gesicht schlug. Ich musste zugeben, dass Gruz schon eine ganz schön imposante Erscheinung war.

„Bleibt ruhig, Männer!“, befahl ich, als ich sah, wie einige ihre Bögen spannten.

„Und vor allem nicht schießen. Gruz wird uns in unserem Kampf unterstützend, ist das Klar?“ Der Befehl in meiner Stimmer war nicht zu überhören und sofort senkten alle ihre Bögen. Lak sah mich fassungslos an.

„Wir kämpfen an der Seite eines Drachen?“

Ich nickte nur ruhig und schaute noch einmal zurück zu dem Wald, wo Gruz bereits weitere zweihundert Meter hinter sich gebracht hatte. Es würde nur noch Minuten dauern, bis er hier ankam, daher nahm ich gedanklich Kontakt zu ihm auf.

>Danke, dass du gekommen bist, Gruz. Ich würde deine Dienste gerne für den Kampf einfordern. Da ich weiß, wie ungern du dich auf dem Boden fühlst, darfst du auch gerne in der Luft über uns kreisen, bis der Kampf begonnen hat.<

>Wie ihr befielt, Ignisssaeri.<, hörte ich die tiefe, schlangenhafte Stimme in meinem Kopf.

>Eure Leute sssiessssen nicht auf mich, oder Ignisssaeri?<

>Nein, das habe ich ihnen verboten. Sie wissen, dass du mit uns kämpft, Gruz.<

>Gut ssso!< Der Drache hatte inzwischen unsere Truppe erreicht und kreiste bereit über uns. Ein paar Dorfbewohner schauten immer wieder ängstlich nach oben und auch einige Lilienkrieger hatten Gruz seit seiner Ankunft nicht mehr aus den Augen gelassen. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Der Drache wahr eine beeindruckende Erscheinung und auch ich hatte die Drachen für Feinde gehalten, bis ich den giftgrünen Drachen kennenlernte.

>Wirst du dich auch verwandelt?< fragte mich Elena gedankenverloren und beobachtete verträumt Gruz. Ich wusste, wie gerne sie ebenfalls fliegen würde und auch ich fühlte mich in der Luft sehr wohl.

>Später, vielleicht. Jetzt muss ich erst einmal die Männer anführen!< Ich dachte kurz mit Schrecken daran, dass Elena und Elias immer noch vor mir auf dem Pferd saßen.

>Was haltet ihr davon, euch wieder zwischen den Bäumen da ein gemütliches Plätzchen zu suchen? Von da könnt ihr heimlich Angriffe starten, und würdet nicht gesehen werden.< Außerdem gefällt mir der Gedanke nicht, dass ihr beide mitten im Kampfgetümmel seid. Immerhin waren die beiden noch Kinder.

>Du willst uns nicht auf Nox Rücken haben, oder?<, fragte Elias. Wieder einmal staunte ich, welche Weisheit er doch an den Tag legte, obwohl er inzwischen nicht einmal ein Jahr alt war und wie ein achtjähriger aussah.

>Nein, ich kann nicht richtig kämpfen, wenn ich mich immer um euch sorgen müsst. Selbst wenn ihr euch schon gut verteidigen könnt.<

Elena nickte traurig und stieg dann von Nox Rücken. Hand in Hand verschwanden sie in Richtung der Bäume.

>Wir wollen dich nicht noch mehr von deinem Kampf ablenken. Und denk an das Kleine!<

Ich nickte, geistesabwesend. Fer gab ich inzwischen meine Bitte weiter, auch die Dorfbewohner mit den kleinen Kindern sich zum Schutz zwischen diese Bäume zu begeben. Hier in der Schlacht würden sie schneller fallen, als das sie blinzeln konnten. Dann hatte ich ihnen auch keinen Gefallen getan. Fer verstand mich und gab sehr gerne meine Worte weiter. Aus dem Augenwinkel verfolgte ich, wie nun auch einige Frauen samt Kinder zu der Waldsteppe gingen und sich zwischen den Wurzeln und dem Geäst der Pappeln niederließen. Elias und Elena versuchten in der Zeit gerade eine Birke zu erklommen. Gelenkig schwang sich Elena hoch und zog ihren Ziehbruder halb mit. Nun machte es sich deutlich bemerkbar, dass sie längere Zeit im Wald gelebt hatte. Die ganze Zeit über hatte ich die schwarze Linie nicht aus den Augen gelassen, die sich im stetigen Tempo auf uns zubewegte. Ich nickte Jemin zu, der einen raschen Befehl gab, wobei unsere Gruppen fünf lange Reihen bildete. In der ersten Reihe waren die Lilienkrieger, meine Familie und Freunde vertreten. In den zwei dahinter die Gestaltwandler, angeführt durch Fil, Leon und Carnus. Und zum Schluss noch die Dorfbewohner. Ein Blick nach rechts zeigte mir meinen Bruder, Flint und Jemin. Auf meiner anderen Seite ritten Fer und Gan. Ich zog mein Schwert. Im Licht der sinkenden Sonne blitzte es und obwohl ich noch nicht meine Flammen gerufen hatte, schienen sie darüber zu tanzen. Langsam ritt ich die Reihen entlang.

„Lange haben wir auf diesen Tag gewartet.“, meine Stimme hallte laut in der Ebene wieder. „Haben gelitten unter der Ära des Dunklen und der Gewalt seiner Häscher. Doch nun ist die Seite gekommen, wo wir aufstehen und kämpfen werden. Und dieser Tag soll in die Geschichte eingehen, als der Tag der Befreiung. Denn heute kämpfen wir. Für die Freundschaft, für die Ehre. Für den Frieden“, rief ich laut und stieß mein Schwert in die Luft. Das Gebrüll meiner Armee ließ mir ein Lächeln in Gesicht zeichnen. Sogar Gruz Ruf donnerte über die Ebene.

„So sei es!“, sagte ich mehr zu mir, als zu den Anderen und ritt zu meinem Gefährten zurück. Ich nickte ihm zu und wandte meinen Blick wieder nach vorne. Die Reihen von Atro waren inzwischen stehen geblieben. Auch bei ihnen konnte ich vorne einige vertraute Gestalten ausmachen. Den Schatten und einige Gestalt mit silbernem Umhang. Ich musste zugeben, dass ich mir Atro nicht so jung vorgestellt hatte. Er musste gerademal Mitte Zwanzig sein. Dunkelbraune Haare schauten unter einer goldenen Krone hervor und seine kristallblauen Augen erinnerten mich irgendwie an jemanden, obwohl sich viele Schatten darin abzeichneten. Er ließ die Augen über unsere Reihen gleiten.

„Hallo Vater, lang nicht gesehen!“ Er nickte jemanden links von mir zu und ich wagte rasch einen Blick zur Seite. Gans Blick hatte sich merklich verfinstert und ich erinnerte mich daran, dass er von einem jungen Magier erzählt hatte, der seine Mutter umgebracht hatte. Woher hatte er das gewusst? Vielleicht war es ja seine Frau gewesen. Aber dann müsste Atro ja wirklich sein Sohn sein. Und hatte ebenso magisches Blut in sich. Okay, Carrie, versuchte ich mich zu Beruhigen. Verfall jetzt bloß nicht in Panik. Fer warf mir einen raschen Blick zu. Er hatte es also gewusst. Na ja, aber ich hatte ihnen ja auch nicht alles erzählt. Wieder erntete ich von meinem Gefährten einen Blick, der offenbar meine Gedanken gelesen hatte. Rasch zog ich meine Schutzwände hoch.

Der Blick von Atro wanderte weiter und blieb schließlich an mir hängen. „Und dass ist also die sagenumwobene Ignisaeri. Sag Flint, hat sie in letzter Zeit trainiert?“

Alle Blicke richteten sich auf den Vampir, doch er wagte er weder mir noch Lak in die Augen zu sehen, der hinter ihm wie zu erstarrt schien.

„Ein wenig.“, gab der Vampir zu.

„Komm doch zu mir, mein Junge. Nur nicht so schüchtern.“ Der Hohn in seiner Stimme war kaum zu überhören. Langsam stieg Flint ab und ging wie als Marionette gesteuert auf den Tyrann zu.

Niemand wagte es sich zu rühren, bis Lak schließlich die Stille durchbrach. „Warum, Flint?“

„Weil es für mich die einzige Möglichkeit war zu überleben. Der Vampir, der mich fand, gehörte dem König und er ließ mich wählen, zwischen dem Tod und dem Leben bei ihm.“

„Ich hätte mich lieber für den Tod entschieden!“, rief Lak wütend aus. Ich legte ihm eine Hand auf den Schenkel und als er in meine traurigen Augen sah, wurde er merklich ruhiger und sein Blick liebevoll.

„Ach übrigens, Atro!“, schaltete ich mich ebenso spöttisch ein.

„Dein Schoßhündchen von Schatten hat mich noch nicht richtig vorgestellt. Mein Name ist Carrie Elisabeth Crown.“ Mit diesen Worten hob ich das Schwert meines Vaters höher, sodass er Feuerklinge besser sehen konnte und ein wenig Angst huschte kurz in seinen Blick, die er aber rasch wieder verbarg, während ich weitersprach. „Tochter von König Borkil und Königin Freia und somit habe ich ein Anrecht auf den Thron, dem du gerade mit deinem Antlitz beschmutzt.“

„Ich an Eurer Stelle würde lieber meine gespaltene Zunge für Euch behalten, sonst werden wir Euer loses Mundwerk stopfen.“, warf der Schatten wutentbrannt ein, doch ich ließ mich nicht weiter provozieren.

„Nun denn genug der lahmen Worte. Immerhin sind wir hier um zu kämpfen. Kämpft für die Freiheit.“ Und mit diesen Worten setzte ich mich in Bewegung und ritt gefolgt von meiner Armee auf die feindliche Armee zu, die sich ebenso in Bewegung gesetzt hatte. Ich musste zugeben, dass der Kampf vom Pferd um einiges schwieriger war, doch nachdem ich meine Gedanken mit den von Nox verschmolz, machte er alle Bewegungen mit, die ich von ihm verlangte. Schon längst war ich über und über mit Palinasblut und dem Blut von Soldaten besprenkelt und hatte selbst schon kleine Wunden davongetragen, doch der Kampf wollte einfach nicht enden. Ein Schwertstoß in Nox Seite brachte mich schließlich auf dem Gleichgewicht und ich konnte gerade noch so von ihm springen, ehe mein treuer Freundtödlich getroffen zur Seite sank. Durch diesen Moment der Unachtsamkeit wäre ich vermutlich einer Palinasklinge zum Opfer gefallen, wenn sich in diesem Moment nicht ein dunkler Schatten vom Himmel heruntergebeugt hätte und dem Palinas den Kopf abgerissen hätte, darauf bedacht, alles Blut wieder auszuspucken. Ich nickte Gruz dankend zu, der sich von oben immer wieder ins Getümmel stürzte, riss Feuerklinge aus einem toten Soldaten und stürzte mich in einen Kampf mit einem Trinas. Gerade als ich ihm den Kopf abschlug, hörte ich ein lautes Kreischen von der Baumgruppe, wo die Kinder und Frauen Schutz gesucht hatten. Auch über das Band der Elementarbändiger konnte ich Elenas Angst deutlich spüren. Wütend befestigte ich das Schwertwieder an meiner Hüfte und rief Ignisaeri. Ich konnte von Glück reden, dass meine Kleidung und meine Waffen unter meiner Verwandlung nicht litten und ich sie, wenn ich mich zurückverwandelte, wie bei mir haben würde. Ich riss noch zwei Soldaten, die sich meinem Fer genähert hatten den Kopf ab und stieg dann zu Gruz in die Luft, der gerade von einigen Trinas attackiert wurde. Ein holte tief Luft und spie zum ersten Mal als Ignisaeri mein Feuer aus. Zwei Trinas fingen an zu brennen, genauso wie meine Kehle, die das Feuer nicht so gewöhnt war. Noch während die verbrannten Trinas bereits tot in Richtung Boden trudelten und weitere Soldaten unter sich Begruben, hatte es Gruz geschafft, den einen Trinas zu Schappen und gegen seinen Kumpanen zu schleudern, die beide das Gleichgewicht verloren und hart auf dem Boden aufschlugen. Anschließend wurden sie unter einer Gruppe heraneilender Lilienkrieger begraben, während sich Gruz dem letzten Trinas widmete. Zufrieden wandte ich mich ab und flog endlich zu der kleinen Lichtung, an der einige Frauen versuchten, mithilfe einer Bratpfanne, gegen die zwei Trinas, die auf sie aufmerksam geworden waren zu verteidigen. Schnell stieß ich wieder mein Feuer aus und konnte so de Frauen vor weiteren Schäden bewahren. Ich blickte mich nach Atro um, der vom Rande aus den Kampf begutachtete. Was für ein Feigling. Ich flog zu ihm und schaffte es ihm in einem Moment der Unachtsamkeit ein Stück Fleisch aus der Schulter zu reißen. Und ihn mit meiner Kralle den Bauch zu durchbohren. Trotz der Magie hatte er mich nicht kommen sehen. Doch nun waren die Soldaten des Tyrannen auf mich aufmerksam geworden und schossen mich mit Bögen und Armbrüsten ab. Den meisten konnte ich ausweichen, doch ich schrie auf, als mich einige trafen. Ich rief nach meinen Flammen und ließ sie über meine Flügel tanzen, ehe ich mich langsam niederließ, mich zurückverwandelte und die Schützen mit einen paar Feuerkugeln meine Wut demonstrierte, während ich langsam auf dem Tyrann zuging, der röchelnd am Boden lag.

„Noch ein paar letzte Worte, Atro?“ Der junge Mann sah mich hasserfüllt an.

„Es ist noch nicht vorbei! Ich bin auch nur ein Diener des Bösen. Gegen meinen Herrn hast du keine Chance.“ Seine Lippen bewegten sich schnell und ich war mir sicher, dass er einen Fluch aussprach, weswegen ich mich so schnell wie möglich fortzubewegen versuchte. Plötzlich begannen sich die drei getöteten Trinas am Boden zu bewegen.

Atro lachte kalt auf und erstickte dann an seinem eigenen Blut.

„Vorsicht!“, rief ich und rief wieder Ignisaeri, obwohl ich schon deutlich die dunklen Schwaden der Erschöpfung an meinen Augenrändern flattern sah. So schnell ich konnte flog ich auf den Gurter zu, der sich gerade auf Jemin stürzen wollte. Wieder regnete ein Pfeilhagel zu mir hoch und aus dem Augenwinkel glaubte ich einen schweren Tornado zu sehen, der sich langsam über das Schlachtfeld bewegte und alle Pfeile in sich aufnahm. Auch Palinas flogen durch die Luft und fielen lustiger weise direkt auf ihre eigenen Waffen. Doch einen weiteren Blick für das Geschehen hatte ich nicht, sondern schaffte es gerade noch rechtzeitig Jemin herumzureißen, als der Stachelschwanz des Trinas auf ihn zuflog. Mich erwischte er dafür noch und ich spürte, wie meine Flügel einrissen. Ich fauchte und stellte mich schützend vor Jemin, der endlich die Situation begriffen hatte. In Gedanken flüsterte ich meinen Flammen zu, dass sie mich heilen sollten und die schwarzen Punkte vor meinen Augen wurden größer, doch ich blinzelte sie weg. Während der Trinas mich angriff ging ich in Flammen auf und verbrannte den Trinas gleich mit. Ich spürte, wie meine Engelsflügel wuchsen und erhob mich rasch wieder in die Luft. Jemin sah mir nachdenklich hinterher, ehe ein Werwolfgurter in zurück in die Schlacht zog. Ich zog während meines Fluges mein Schwert, das nun wieder normal an meiner Hüfte hing. Der zweite Trinas-Gurter wurde gerade von Gan, Lak und Fer gemeinsam umgebracht, doch der dritte machte mir Bedenken, denn er hatte sich gefährlich der Stelle genähert, an der ich immer noch Elena und Elias vermutete. Ich warf mein Messer, das sich jedoch nur in sein Bein bohrte. Wütend für es herum, ließ den Erdhügel, den Elena zu ihrem Schutz errichtet hatte, hinter sich und erhob sich schließlich in die Luft, um nach mir zu schnappen. Das Messer in seinem Bein schien ihm nicht viel auszumachen, denn es schüttelte er nur kur ab und beschleunigte dann. Auch ich beschleunigte und flog immer höher, damit mich die erneuten Pfeile nicht mehr treffen konnten. Inzwischen waren wir sicher schon in siebzig, achtzig Meter Höhe. Die Luftfeuchtigkeit hier oben, deutete auf die Wolkendecke hin, doch ich beachtete es nicht. Immer noch umkreisten wir uns und der Trinas fauchte und stieß immer mal wieder mit dem Schwanz nach mir. Ich spürte, wie meine Abwehrtechniken immer schlechter, meine Arme immer schwerer wurden, und ich Mühe hatte, dass Bewusstsein zu behalten. doch noch durfte ich nicht aufgeben. Nicht solange in diesem Trinas noch ein Stück Selle von Atro steckte. Wieder ein Angriff und ich spürte, wie das Schwert meinen tauben Fingern entglitt. Während das Trinas noch triumphierend der Feuerklinge hinterherschaute, nahm ich meine letzte Kraft zusammen, drehte mich ein und stieß dem Trinas mit einem Kampfschrei meinen Dolch bis zum Anschlag ins Herz. Dann umfing mich Dunkelheit.


Epilog - Fers Sicht

Ich machte mir Sorgen. Ich hatte meine Gefährtin schon lange nicht mehr gesehen. Erst das Kreischen eines Trinas brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Bei der kleinen Baumgruppe schien sich ebenfalls noch ein Trinas-Gurter versteckt zu haben, der nun von meiner mutigen Socia in Engelsgestalt fortgelockt wurde. Stolz durchflutete mich, als ich sah, wie Carrie immer höher flog, das Schwert griffbereit in der Hand. Ein Schmerz in meiner Schulter ließ mich zu einem Soldaten hinter mir herumfahren und ich verwandelte mich rasch in einen weißen Tiger, um ihm die Kehle herauszureißen. Die Wunde in meiner Schulter pochte leicht, doch es kümmerte mich wenig, als ich Gan zur Seite sprang und ihm half, mit einem bereits blutverschmierten Palinas fertigzuwerden. Erst der Kampfschrei meiner Gefährtin ließ mich wieder nach oben schauen. Im nächsten Moment sah ich, wie ein schwarzer Punkt vom Himmel fiel. Plötzlich zuckte ein weißes Licht vom Himmel und ein Engel fing meine Socia zehn Meter über dem Boden auf.

Hört auf zu kämpfen!“, brüllte der Engel. Ich erkannte Michael. Erstaunt sahen alle zu ihm hoch und hielten mitten in der Bewegung inne.

Atro ist Tod. Es gibt keinen Grund mehr zu kämpfen.“ Als die Palinas und Trinas das hörten, verschwanden sie so schnell sie konnten. Die Soldaten warfen ihre Waffen weg und ergaben sich bis auf wenige Ausnahmen, die wir rasch überwältigen konnten. Wir hatten gesiegt. Aber um welchen Preis. Ich schaute zu meiner Gefährtin, die wie tot in Michaels Armen lag, der gerade bei mir und Gan landete. Respektvoll machten ihm die umherstehenden Krieger Platz, als er Carrie vorsichtig auf den Boden legte.

Ist sie Tod?“, fragte Lak mit gebrochener Stimme. Ich zog rasch mein T-Shirt herunter, doch die Rose blühte noch, selbst wenn das Leuchten weniger geworden war.

Nein. Sie hat sich nur komplett überanstrengt. Dass sie schwanger ist, hat die Situation nicht besser gemacht?“

Sie ist schwanger?“, fragte ich schockiert.

Ja“ hörte ich plötzlich drei Stimmen hinter mir gleichzeitig sagen. Jemin, Elena und Elias kamen angelaufen. Die beiden Elementarkinder sahen inzwischen aus wie sechzehn und zwölf.

Sie wollte es euch nach dem Kampf sagen. Sonst hättet ihr sie nie kämpfen lassen.“, fügte Elena hinzu. Das hatte sie Recht. Ich knirschte mit den Zähnen.

Wie kritisch ist ihr Zustand?“, fragte ich Gan, der sich neben ihr niedergelassen hatte. Statt seiner antwortete Erzengel Michael.

Sie hat sich komplett überanstrengt und ihr Körper hat sie in eine Art komaartigen Zustand versetzt. Die Einzige, die ihr jetzt und bei der Geburt noch helfen kann, ist ihre Schwester.“

Sie hat eine Schwester?“, fragte Lak überfordert.

Ja, Prinzessin Elara, die erstgeborene Tochter von König Borkil und Königin Freia.“

Er erhob sich wieder in die Luft.

Findet sie!“



ENDE 1. TEIL DER ELEMENTARBÄNDIGER-TRIOLOGIE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.06.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diesen Roman all denjenigen, die die Welt der Worte ebenso lieben wie ich. Dennoch bitte ich zu beachten, dass alle Rechte dieses Werkes inklusiv des Bildes mir als Urheber unterliegen und nicht ohne meine Zustimmung von dritten verwendet werden dürfen.

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