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Kapitel 5




Kapitel 5




Ich mag Einkaufen nicht besonders. Zu enge Regalreihen, blöde Musik im Hintergrund, zu viele Leute, zu lange Schlangen an der Kasse und regelmäßig einen Herzinfarkt, wenn man die Rechnung bekam.
Mit Rony wurde es auch noch peinlich. Ich mein, ich mag den Spinner, wirklich, nur manchmal …
Manchmal war es irgendwie besser, ihn nicht zu kennen. Zum Beispiel, wenn er zusammen mit Alwin ein Kindereinkaufswagenrennen durch einen kleinen Supermarkt machte und dabei fast Pyramiden aus aufgestapelten Konservendosen umraste.
Selbst Sandra befiel ganz plötzlich ein Anfall von akuter Amnesie und sie kannte ihren Freund nicht mehr. Mit hochrotem Kopf drückte sie sich an zwei älteren Damen vorbei, die das Spektakel fassungslos mit ansahen.
Mich wunderte es wirklich, dass wir nicht rausgeschmissen wurden. Im Eilverfahren erledigten wir anderen den Einkauf. Raus hier, bevor die Katastrophe passierte und wir den befürchteten Knall hörten.
Als ich Larissa eine Ladung Tomaten in den Einkaufswagen legte, hörte ich sie nur murmeln: „Männer, werden die eigentlich nie erwachsen?“, und etwas das wie, „Irrenhaufen“ klang. Na ja, wo sie recht hatte …
Der Vorteil bei so kleinen Tante-Emma-mäßig angehauchten Supermärkten auf dem Land war, sie waren selbst samstagnachmittags recht leer. Der Nachteil; sie waren sauteuer!
Durch Elias' und Ronys Fressattacke gestaltete sich der Trip also auch noch kostspieliger, als gedacht. Zumindest bezahlten sie ohne zu murren den Bärenanteil. Schleppen durften wir das Ganze allerdings alle gemeinsam. Denn wie es bei Einkäufen nun mal meistens war, kaufte man eh mehr, als man eigentlich wollte.
War man erst einmal in den Fängen der Supermärkte, mit ihren tollen Angeboten und wirklich sehr gemein aufgebauten Fressartikeln, packte man wohl ganz automatisch den riesigen Einkaufswagen voll – sah sonst so mickrig aus. Jedenfalls ging's mir meist so. Vielleicht sollte ich es demnächst mal mit so einem Kindereinkaufswagen versuchen.
Das Ende vom Lied war also, dass wir mit einem Zweiwochenvorrat in unserem Lager ankamen. Aber wenn ich an unsere zweiköpfige Raupe dachte, konnte ich mit der Kalkulation eventuell etwas daneben liegen. Vielleicht hielt er auch nur eine Nacht. Was diesmal nicht derartig tragisch war, morgen ging es sowieso wieder ab nach Hause.
Den ganzen Weg über war Meike Jo nicht von der Seite gewichen und auch jetzt quatschte sie ihn in einer Tour zu. Keine Ahnung, was sie da palaverte, ich hielt Sicherheitsabstand wegen akuter Schreikrampfgefahr.
Um mir das nicht weiter anzutun, schnappte ich mir – nachdem ich brav mitgeholfen hatte die Lebensmittel zu verstauen – mein Badetuch.
„Halt jetzt mein Mittagsschläfchen“, informierte ich Elias, der bereits mit seinem Fußball rumkickte.
„Okay, dann träum was Feines“, grinste er und eigentlich lag mir ein flapsiger Spruch auf der Zunge, unterließ ihn aber, weil ich mich plötzlich fragte, ob da nicht eine gewisse Anspielung auf die vergangene Nacht mitschwang.
Hatte Elias doch etwas mitbekommen?
Mulmig knurrte ich nur: „Werd' mein Bestes tun“, und machte mich auf zum See, um mir ein ruhiges Plätzchen zu suchen.
Der Marsch hatte mir den Rest gegeben, nachdem ich in der Nacht nicht wirklich geschlafen hatte. Nicht zu vergessen das Herumgealbere mit den Jungs. Ich wurde alt, dazu kam, dass ich ohne mein Minimum sieben Stunden Schlaf eh eine Lusche war. Lud ich dann meine Akkus nicht auf, konnte ich ziemlich bissig werden, also besser Heierchen machen.
„Ey Bjorn, warte“, rief plötzlich Jo hinter mir her. Überrascht sah ich zurück und beobachtete, wie er auf mich zu gerannt kam; eine Decke unter dem Arm.
„Ich brauch auch 'ne Pause“, zwinkerte er.
„Oh … okay.“ Sehr geistreich Bjorn, wirklich! Aber um ihm zu sagen, dass ich selbst ebenfalls eine Pause brauchte und diese gewissermaßen von ihm, war ich noch nicht müde genug.


***


„Is' was?“, murmelte Jo und holte mich aus meinen Gedanken. Wir lagen am Ufer in der Sonne und dösten. Eigentlich, denn leider hatte ich ihn dabei wohl blöderweise auffällig angestarrt. Verlegen sah ich schnell zur Seite.
„Nee, war mit den Gedanken nur wo anders“, winkte ich ab. Shit, warum musste der aber auch sein Shirt ausziehen und halbnackt neben mir liegen? Das war absolut unfair! Dass da meine Fantasie wieder mal auf Hochtouren lief, war kein Wunder.
Meinen Blick zu zwingen nicht ständig diese Brust abzutasten – wenn es schon meinen Fingern verboten war –, erwies sich als fast unmöglich. Also nix mit schlafen, sondern eher mit versauten Tagträumen.
Mit gerunzelter Stirn musterte er mich.
Manchmal wäre es wirklich nicht schlecht, wenn man Gedanken lesen könnte. Jetzt zum Beispiel, auch wenn mir vielleicht nicht gefallen würde, was ich da erfuhr, aber zumindest wäre ich etwas schlauer. Eventuell. Denn wirklich weise wirkte Johan gerade auch nicht. Vielmehr standen ihm die Fragezeichen auf der Stirn.
„Ich dachte, sie ist nicht dein Typ?“, rutschte es mir plötzlich heraus, bevor ich mich beherrschen konnte. Schlafmangel, eindeutig.
„Was? Wer?“, fragte er irritiert und träge zurück.
„Meike“, ich merkte selbst, dass ich leicht genervt klang. Gab's da jetzt etwa so viel Auswahl, die mir entgangen war? Standen die Mädels Schlange und er hatte dies bisher nur vergessen zu erwähnen? „Willst du jetzt doch was von ihr?“
„Ich sag doch, sie ist nett“, wich er aus und mir fiel mit einem Mal das Schlucken schwer. Nett, nett konnte viel bedeuten. „Kam vorhin nur so rüber“, murmelte ich.
In Wirklichkeit kam es mir einfach komisch vor, dass er auf einmal doch auf ihre Anmache einging. Würde ich das jedoch laut sagen, käme ich mir reichlich dämlich vor. Obwohl das in der letzten Zeit für mich eigentlich nichts Neues mehr war.
„Wieso? Wir haben Spaß, ist doch nichts dabei“, gab er leichthin zurück. Daraufhin hielt ich die Klappe, was ihm auch nicht schmeckte.
„Oder ist es, weil du selbst Interesse hast?“ Fast hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt.
„Was?“, krächzte ich und ernte einen nachdenklichen Blick.
„Willst du was von ihr? Wenn ja …“
Ein gigantischer Felsbrocken plumpste mir vom Herzen und beinahe hätte ich aufgelacht.
„Nein, Quatsch“, wehrte ich ab.
„Okay, obwohl da nichts ist, aber …“
„Aber?“
„Wer weiß“, damit sah er wieder in den Himmel, einen Moment betrachtete ich sein Profil und tat es ihm dann gleich. Schloss schließlich aber die Augen, um sie wenige Sekunden später erneut zu öffnen. Die Bilder, die sich mir aufdrängten, ertrug ich nicht.
„Bjorn? Hilfst du mir mal bei dem Teig?“, rief mir Larissa da zu. Erleichtert eine Ausrede zu haben, um Johans Nähe zu entfliehen, stand ich auf.
„Klar“, grinsend gesellte ich mich zu ihr. Sie hatte bereits eine Rührschüssel und die Zutaten aufgebaut. Normalerweise war Larissa unsere Küchenfee. Nur in diesem Punkt überließ sie stets mir das Feld. Hefe und sie, standen auf Kriegsfuß, wie sie einmal zu mir meinte.
„Er ist nämlich unser Stockbrotexperte“, erklärte Larissa.
Verwundert sah ich über die Schulter und entdeckte Jo direkt hinter mir. Soviel also zu der Nähe.
„Na, dann wollen wir mal.“ Gönnerhaft machte sie mir Platz und ich begann, auswendig die verschiedenen Sachen in die Schüssel zu kippen.
„Seine Pizza ist auch nicht schlecht.“ Mit vor der Brust verschränkten Armen stand Larissa neben Jo und sah mir zu, wie ich nun anfing das Ganze erst mit einem Löffel grob zu mischen, um den Teig dann zu kneten.
„Weiß ich“, gab Johan zurück.
„Er hat dir Pizza gemacht, ohne uns einzuladen? Jetzt bin ich sauer“, schmollte Larissa.
Betreten sah Jo mich an, als fürchtete er, irgendwas verraten zu haben. Das war 'ne einfache blöde Pizza gewesen! Was war daran besonderes? Außerdem war es das Einzige, das ich zustande brachte, außer Fischstäbchen und selbst die hatten meistens reichlich Röstaromen.
„War spontan“, zuckte ich die Schultern. „Wir hatten Kohldampf und kein Tiefkühlzeug da.“ In der Zwischenzeit deckte ich die Schüssel mit einem Tuch ab und stellte sie beiseite, um dann auf die Uhr zu sehen. „Muss jetzt gehen.“
„Hä?“ Beide sahen mich verwirrt an.
„Der Teig in die Höhe und ich Hände waschen, um mich dann zu schämen, weil ich es gewagt habe Pizza zu machen, ohne meine Süße einzuladen“, meinte ich einschmeichelnd zu Larissa. Sie schlug sacht nach mir, als ich ihr einen Schmatzer auf die Wange drückte.
„Einmal lass ich dir das durchgehen“, schmunzelte sie. Ich erwiderte ihr Lächeln, allerdings nur so lange, bis ich mich umwandte und in Meikes verschlossenes Gesicht blickte. Durfte ich jetzt nicht einmal mehr mit Larissa sprechen?
„Hey, ich hab dich schon überall gesucht“, wandte sie sich an Jo und ignorierte mich abermals gekonnt.
Pah, als ob das schwer gewesen war. Hier konnte man sich ja so super aus dem Weg gehen. Merkte man alleine daran, dass ich mich nur umzudrehen brauchte und auf sie traf.
Auch Jos Lächeln darauf wirkte angestrengt und leicht genervt. Ich war es jedenfalls und daher ersparte ich mir die nächste Runde von Meikes Balztanz. Seufzend ging ich zum See und wusch mir die Hände. Dabei sollte ich mich vielleicht besser an dieses Bild gewöhnen, so abgeneigt wie am Morgen hatte Johan gerade bei unserem Gespräch nicht mehr geklungen. Bei dem Gedanken verkrampfte sich mein Magen und ich sah über die Schulter zurück. Blinzelte dann aber überrascht.
Meike stand neben Larissa, von Jo fehlte jede Spur. Mein Blick suchte erst das Lager, dann den Waldrand ab, doch ich entdeckte ihn schließlich ebenfalls am Ufer. Allerdings drehte er mir den Rücken zu und schlenderte in die entgegengesetzte Richtung, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Bestimmt wollte er seine Ruhe haben. Verdenken konnte ich es ihm nicht.
Trotzdem setzten sich meine Beine ganz von alleine in Bewegung. Er war ein verdammter Magnet. Das musste die Erklärung sein, warum ich hinter ihm hertrottete wie ein braves Hündchen.
Als ich ihn schließlich einholte, lag das Lager schon so weit entfernt, dass ich selbst Ronys Gegröle nicht mehr hörte. Ich musste wohl auf einen Ast getreten sein, denn plötzlich wirbelte er mit einem grimmigen Gesichtsausdruck zu mir herum, der sich sofort milderte, als er mich erkannte.
„Ach, du bist es“, seufzte er und strich sich mit einer Hand durchs Haar.
„Sorry, ich wollte dich nicht stören“, murmelte ich unsicher und wich automatisch einen Schritt zurück.
„Quatsch!“, meinte er und setzte sich ins Gras. Ich tat es ihm zögernd gleich.
„Kann aber auch wieder gehen“, bot ich an.
„Ich hab doch gesagt, quatsch!“
„Sorry“, gab ich erneut kleinlaut zurück und erntete einen schweren Seufzer. „Ist es doch so schlimm?“, fragte ich und lehnte mich leicht an ihn, suchte wieder seine Nähe. Verdammt, ich konnte einfach nicht anders. Sag ja, Magnet.
„Was meinst du? Die Rückenschmerzen oder der Eissee?“, grinste Johan und drehte seinen Kopf um mich anzusehen.
„Alles“, schlug ich vor.
„Geht schon“, nuschelte er und warf einen Stein ins Wasser. „Bin's nur nicht gewöhnt, so wie du. Manchmal brauch ich einfach …“ Er brach ab, ließ etwas den Kopf hängen.
„Deine Ruhe, versteh schon.“ Ich rutschte etwas von ihm ab, wollte aufstehen, doch da faste er schnell nach meinem Arm, hielt mich fest.
„Nicht von dir“, beeilte er sich und überraschte mich wieder einmal. „Aber alle zusammen können … anstrengend sein“, lächelte er entschuldigend, als befürchtete er, dass ich ihn falsch verstehen könnte. Dabei wusste ich, was er meinte. Sonst gluckten wir zwar auch sehr aufeinander, konnten uns aber zurückziehen, hier nicht.
„Morgen hast du's geschafft“, meinte ich leise.
„So hab ich das gar nicht gemeint. Ich mag sie doch und bin gerne mit euch zusammen. Es ist nur … Ach, ich weiß auch nicht. Mit so vielen Leuten was zu unternehmen, ist immer noch neu für mich.“
Gedankenverloren starrte er aufs Wasser. Die Sonne ging gerade unter, tauchte alles in ein Orange und Gold, und schuf somit eine eigenartige ruhige Stimmung. Ich saß also tatsächlich hier und bestaunte zusammen mit Jo den Sonnenuntergang.
Der Mann hatte eine fatale Wirkung auf mich, aber irgendwie verstand ich Alwin ein bisschen. Das hatte was.
Vor allem nach dem Dauergeplapper der Anderen war das hier eine willkommene Pause, nicht nur für Jo. Und so saßen wir einfach da und schwiegen, zumindest solange, bis ich meine Klappe nicht halten konnte.
„Also eher 'Einmal und nie wieder'?“
Johan lachte auf. „So schlimm auch nicht und sehr lehrreich. Ich werde nie auf die Idee kommen, Campingurlaub zu machen.“
Nun stimmte ich in sein Lachen ein.
„Ah ja, lieber All inclusive, hm?“
„Genau, weiche Betten, warmer Pool und Buffet“, nickte er und sah mich erneut an.
Plötzlich wurde er ernst und auch mir verging das Lachen.
Erneut waren wir uns zu nah, starrten uns in die Augen. Der hatte aber auch tolle Augen. Warum er allerdings genauso von meinen fasziniert zu sein schien, verstand ich nicht. War ja nix Besonderes dran, aber das störte ihn anscheinend nicht.
Verzweifelt suchte ich nach irgendetwas, was ich sagen konnte. Schließlich hatte ich sonst auch keine Probleme damit, aber da war nichts. Absolute Leere. Großartig auf nichts war Verlass! Selbst auf mein eher zweifelhaftes Talent Blödsinn zu quatschen.
Er war mir jetzt so nah, dass ich die kleinen blauen Sprenkel in den grauen Augen erkennen konnte. Sag ja, wirklich, wirklich schön und faszinierend, und wenn ich mich nur ein klein wenig vorbeugte, dann …
Plötzlich raschelte etwas neben uns im Schilf. Mit einem: „Scheiße!“, machte Jo einen Satz und brachte auch mich damit ins Straucheln. Laut schnatternd erhoben sich drei Enten in die Luft. Ich hatte keine Ahnung, wer erschrockener war; die Vögel oder wir. Tippte aber auf Gleichstand.
Immer noch fluchend rappelte er sich auf und klopfte sich die Hose ab, während ich ebenfalls aufstand. Verlegen sahen wir uns einen Moment an. Na ja, zumindest hatte ich ein höchst unmännliches Quieken unterdrücken können, als mir grad das Herz in die Hose gerutscht war. Man sollte schließlich stets Positives sehen. Vor allem in einer Situation mit einem beinahe Kuss mit seinem besten Kumpel.
„Die haben das grad mit dem Buffet gehört und hatten Schiss, du hast Lust auf Entenbraten“, brachte ich mit einem wackeligen Grinsen hervor, was er ebenso erwiderte. Na bitte, mein Wortschatz meldete sich wieder zum Dienst. Ging doch. Besser spät als nie.
„Genau, aber da müssen die keine Angst haben. Ich bin harmlos, 'n mieser Schütze und außerdem hab ich im Moment sowieso keine Lust auf Ente.“
Ach ja, auf was denn dann? Es lag mir auf der Zunge, wollte raus, doch mit einiger Mühe schluckte ich die Worte hinunter.
„Da haben die aber Glück gehabt. Los, lass uns jetzt mal nach Stöcken für das Brot suchen. Nachher ist es zu dunkel.“
„Was ich ja nicht riskieren kann. Dann würde mir dein ach so köstliches Brot entgehen“, meinte er übertrieben und ging voraus.
Grinsend folgte ich ihm und klaubte auf meinem Weg durch den Wald hier und da einen langen Ast aus einem Gebüsch oder vom Boden auf. Diesmal war es Jo, der mich hin und wieder fragte, ob dieser oder jener geeignet wäre. Irgendwie machte das hier sogar Spaß, auch wenn wir nichts weiter taten, als planlos durch die Gegend zu stiefeln.
Aber wir waren alleine, und nach diesem Tag Daueraufeinandergehocke mit den Anderen, merkte ich nun, wie sehr mir das gefehlt hatte.
Mit ihm allein, seine Aufmerksamkeit gehörte nur mir. Okay und den Ästen, aber da hielt sich die Eifersucht ausnahmsweise in Grenzen.
Als es bereits ziemlich dämmrig wurde, fand ich endlich zwei vielversprechende Exemplare. Prüfend musterte ich sie und wandte mich zu Johan um, der mir netterweise seinen Allerwertesten entgegenstreckte, während auch er auf dem Boden einige Zweige betrachtete.
Das war eine offensichtliche Einladung, oder? Und ich konnte ihr daher nicht widerstehen. Ich musste ihm mit dem Ast einen Hieb verpassen – sacht, wie ich anmerken möchte.
Dennoch fuhr er empört herum und funkelte mich an.
„Sorry, war einfach zu verlockend“, lachte ich.
„Boar, du!“, knurrte er und kam auf mich zu.
„Friedensangebot“, wehrte ich schnell ab und warf ihm einen der Stöcke zu, die ich gefunden hatte. „Extra für dich in mühevoller Handarbeit geschnitzt“, nickte ich, als er sich das Holz besah.
„Pah, diese Schmach schreit dennoch nach Rache. En garde, du Schuft“, meinte er und funktionierte den Stock kurzerhand in einen Degen um.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Lachend fochten wir eine Weile, bis ich spontan einen Trick aus einem Film versuchte, indem ich meinen irgendwie – im Nachhinein frag ich mich selbst, wie ich das schaffte – um seinen Stock wickelte und ihm damit aus der Hand zog. Im hohen Bogen segelte er durch die Luft und landete einige Schritte entfernt. Gleichermaßen überrascht folgten wir beiden seinen Flug.
„Ha, gewonnen“, bekam ich mich als Erster wieder in den Griff.
„Glaubst du, ich bin noch lange nicht geschlagen“, knurrte Jo und warf sich gegen mich. Überrascht taumelte ich einige Schritte zurück, stemmte mich dann aber ebenfalls gegen ihn und so rangelten wir lachend miteinander, bis ich die Balance verlor und hart gegen einen Baumstamm krachte.
„Uff“, entwich mir die Luft und plötzlich hatte ich Mühe Atem zu schöpfen. Erstens wegen des Stoßes und zweitens, weil mir Jo derart nahe war.
Ich spürte seinen Körper überdeutlich, wie er sich an mich presste, seine Hitze, das schnelle Heben und Senken seiner Brust.
„Wer hat nun gewonnen?“, forderte er und drängte mich noch näher an den Baum.
„Unentschieden“, brachte ich erstickt heraus. „Ich im Fechten, du beim Ringen oder was auch immer das war.“
„Du musst immer das letzte Wort haben, oder?“, meinte er, ein leichtes Lächeln lag um seine Lippen, das langsam verblasste.
Die Stimmung schlug urplötzlich von locker und verspielt in etwas anderes um.
Etwas Gefährliches, Verlockendes.
Ich konnte meinen Blick nicht von seinen verführerisch weich wirkenden Lippen wenden. Sie zogen mich magisch an.
Gott, nur einmal, ich wollte doch nur einmal wissen, wie sie sich anfühlten! War das so falsch?
Unser Atem vermischte sich, seiner kam genauso abgehakt wie meiner. Schnell hob ich den Blick, suchte den seinen, doch auch er starrte auf meinen Mund. Ich kam ihm noch ein wenig mehr entgegen, beobachtete seine Reaktion, die alleine darin bestand, dass er die Augen schloss.
Die pure Versuchung und ich erlag ihr. Konnte ihr einfach nicht länger widerstehen.
Langsam hob ich meine Hand an seine Wange, berührte sie sacht mit den Fingerspitzen. Spürte ihre Hitze, die prickelnd meine eigene Haut zu verbrennen schien.
Zitternd atmete ich noch einmal ein, bevor ich die letzten Zentimeter überwand und meine Lippen leicht auf Jos drückte.
Himmel …

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Tag der Veröffentlichung: 24.02.2012

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