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Das muss ein Irrtum sein. Nein, sie verwechselt mich. Ganz sicher. Ich sehe jemandem ähnlich, den sie kennt. Und doch, da war schon wieder einer. Aus den Augenwinkeln heraus. Wie unbeabsichtigt. Zufällig. Wie man sich manchmal während einer angeregten Unterhaltung im Freien umschaut, ohne die Leute wirklich wahrzunehmen.
Wer mag sie sein? Komisch, der Gedanke sie könnte nur zu Besuch bei dieser andere Frau sein, die ihr gegenüber sitzt. Und abreisen in eine wiet entfernte Stadt. Wieso kommen da kleine Ängste in mir auf? Eifersucht auf unbekannte Männer? Ich kenne sie doch gar nicht und sehe sie heute an diesem späten Frühsommermittag das erste Mal. Und dabei wird es wohl auch bleiben – ganz sicher. Sie wird zahlen und mit der anderen Frau zusammen aus meinem Leben gehen. Eigentlich nie in es eingetreten sein.
Gut, ich schaue jetzt eine ganze Weile nicht hinüber, dann werde ich ja sehen ob ich gemeint war. Wenn sie dann immer noch mal herüber zu mir schaut, dann werde ich… Tja, was werde ich dann? Oder habe ich was an mir. Einen Zweig auf dem Kopf oder Blätter? Schmutz im Gesicht? Doch die Kontrollen meiner gelangweilten Hände bleiben ergebnislos. Vielleicht die langen Haare? Ungewöhnlich für einen Mann in meinem Alter. Sehe ich damit affig aus? Auf jung gequält? Aber ich hab sie doch immer schon so lang getragen. So, das war lange genug. Heilige Eiche, was ist das? Sie ist weg! Die Freundin oder was sie ist, schminkt sich die Lippen nach und schaut dabei in den kleinen Handspiegel. Doch das Spiegelchen zeigt nicht auf ihre Lippen, es zeigt auf mich! Was ist hier los? Ich sehe mich ganz zufällig mit einem unbeteiligt wirkend sollenden Blick ein bisschen um. Nein, niemand sonst schaut zu mir. Erleichterung. Es ist also nichts ungewöhnliches an mir. Aber sie ist weg. Ich seufze auf. Na gut, was solls. Ich werde dann mal auch zahlen und verschwinden. Was soll ich denn noch hier? Ist doch eigentlich blöde, hier allein unter der Eiche zu sitzen und ein Wasser zu trinken. Außerdem ist es mir zu laut hier. Alles junge Leute. Ah da, die Kellnerin. Während ich der Kellnerin winke, schaue ich noch einmal hinüber. Dort wo sie eben noch gesessen hat. Und da sitzt sie wieder und guckt erstaunt. Weil ich meine Hand immer noch erhoben habe. Das muss so aussehen, als wenn ich ihr winke. Meine Güte, ist das peinlich. Jetzt zeigt sie auch noch lächelnd mit einem amüsiert fragendem Blick auf sich selbst. Sie hat mein Winken also tatsächlich missverstanden. Zumal die Kellnerin nicht reagiert hat. Wie immer. Ich lächle etwas gequält zurück und weiß nicht was ich tun soll. Am liebsten würde ich im Boden versinken. Was soll ich machen? Jetzt schaut auch noch die andere herüber und lächelt mir zu. Freundlich oder spöttisch. Ich kann es nicht ausmachen. Ich senke endlich die wie erstarrt in der Luft stehende Hand und merke wie ich puterrot werde. Sie lächelt mich noch einen letzten Moment mit einem Blick an, der zu sagen scheint: „Tja, du musst wissen was du tust, es liegt an dir.“. Dann wendet sie den Blick ab und sucht mit den Augen die Kellnerin. Auch ihre Freundin schaut sich um, entdeckt die Bedienung und diese reagiert auch sofort. So ein Mist, verdammter. Jetzt hätte sie auch weggucken können anstatt sofort hin zu rennen und zu kassieren. Ich muss eine Entscheidung treffen, sofort! Sonst ist sie weg. Oder hat sie doch jemand hinter mir gemeint? Ich schaue mich um. Da sitzt niemand. Jetzt setzt sie die Sonnenbrille auf und steckt ein kleines Notizbuch in die Tasche. Der Stift fällt vom Tisch und sie beugt sich im Sitzen herab um ihn aufzunehmen. Ich kann für einen winzigen Moment ganz deutlich ihre Brust sehen. Wenn ich jetzt nicht endlich den ersten Schritt mache, geht sie. Was soll ich sagen? Einen dummen Spruch loslassen: „Ich habe sie verwechselt aber da wir ja nun schon mal zusammen stehen, kann ich sie vielleicht zu einer Tasse…“ Ach Blödsinn. Das ist ja nun das Blödeste überhaupt. Sie geht! Und schaut sich nicht mehr zu mir um. Aber ihre Freundin wirft mir einen Blick zu: „Meine Herren, was bist du für ein lahmer Trottel!“

Los hoch und hinterher. „Hallo! Sie haben noch nicht bezahlt!“ Dreihundert Köpfe rucken herum und sechshundert Augen starren mich an. Auch das noch. „Entschuldigung, äh, ich wolle, äh… „Ja das habe ich gesehen, dass sie gehen wollten. Aber erst müssen sie ja mal bezahlen.“ Dann deutlich lauter: „Erika, war hier an Tisch vierzehn noch etwas außer dem kleinen Wasser?“ Erika schüttelt den Kopf. Nachfrage: „Kein Essen?“ Erika fragt mich nun direkt über den halben Biergarten hinweg mit inquisitorischem Blick, während mein schöner Fastflirt mit ihrer Freundin zum Parkplatz hinter der Wirtschaft verschwindet: „Oder haben sie was gegessen?“ Jetzt ist sowieso alles egal. „Warum nehmen sie kein Megapfon? Dann könnte man sie bis zum Hauptbahnhof hören! Nein, verdammt noch mal. Ich habe nichts weiter gegessen und getrunken.“ Ihre solidarische Kollegin antwortet eingeschnappt: „Außer dem Wasser! Das müssen sie aber bezahlen, bevor sie gehen können.“ „Was denken sie denn warum ich diese Fünf Euro in der Hand habe? Als Trinkgeld?“ Noch pikierter und mit leichter Verachtung in der Stimme: „Ich wollte kein Trinkgeld, sondern sie sollen nur das Wasser bezahlen, bevor sie gehen.“ Soll ich sie und Erika auf der Stelle erwürgen und mich dem Zorn der dreihundert aussetzen oder lieber mich selbst? Ich entscheide mich gegen beides. „Wie viel?“ „2,10!“ „Machen sie 2,50 und gut ist es.“ Stumm gibt mir die empörte Bedienung genau auf 2,10 heraus. Lässt mir dabei jede Münze mit lauten Zählen einzeln in die Hand fallen. Die dreihundert wenden sie enttäuscht ab. Es wird also doch keiner gelyncht heute. Aber ich merke deutlich, dass sie sich über den Flegel unterhalten. „Wahrscheinlich liegst am Wetter. Der verträgt die Sonne nicht.“ „Er hat wohl den Überblick verloren.“ Alles klar, hier gehe ich die nächsten Jahre auch nicht mehr hin… Wütend stapfe ich zum Parkplatz. Scheißtag heute. Alles geht schief. Dabei – ach egal, bilde dir bloß nichts ein. So toll bist du ja nun auch wieder nicht… Als wenn dir eine hübsche Frau mal so eben zuzwinkern würde.

Jemand stubst mich von hinten sanft auf die Schulter.
„Ich würde sie gerne etwas fragen, was mir ein bisschen auf der Seele liegt. Darf ich?“ Ich drehe mich mürrisch um. Schon wieder diese Kellnerin? Was ist denn jetzt noch. Doch die Sonne geht auf. Da steht sie vor mir und lächelt mich an. Ich lächele mit einem Freudenseufzer zurück. Aus den Augenwinkeln registriere ich, wie ihre Freundin kurz hupt, griemelnd mit hoch erhobenem Daumen noch einmal herüber winkt und dann lachend vom Parkplatz fährt. Ich bin sprachlos und irgendwie glücklich.
Mein bezauberndes Gegenüber mustert mich aufmerksam. „Sie sind größer als ich gedacht habe.“ Sie holt tief Luft und fragt mich dann: „Halten sie mich bitte nicht für aufdringlich aber warum haben sie mir so überraschend gewinkt und dann nicht mehr herüber geschaut. War das eine Versehen? Haben sie mich für eine andere gehalten und dann den Irrtum bemerkt?“ Das Schicksal meint es gut mit mir. Nutze die Chance! „Nein, äh, ich habe gewinkt um, äh…und dann, äh.“ „Oh entschuldigen sie bitte. Ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen.“ Du bist ein Idiot, los jetzt! „Nein, nein, ist schon gut. Es war so, äh.“ „Soll ich ihnen sagen, was ich denke?“ Grenzenlose Erleichterung durchfuhr mich. „Ich glaube, sie haben mir spontan zugewinkt und dann hat sie ihr Mut verlassen, stimmts?“ Egal. Notlüge! „Ja, stimmt. So war es.“ „Ach wie süß.“ Ihre Augen blickten mich liebevoll an. Ein dicker erschwindelter Punkt für mich. Sie findet das süß. Trotz Notlüge fühle ich mich geschmeichelt.
Ein kleines Verlegenheitsschweigen steht einen Moment lang in der Luft. „Tja, ähm, haben sie noch ein bisschen Zeit? Sollen wir ein Stück zusammen gehen?“ Bitte, lass sie Zeit haben. Jetzt kam es darauf an. Jetzt entschied es sich. Sie schaute mich an, neugierig, forschend. Als suche sie etwas in meinem Gesicht. Wunderschöne hellgraue, nein graugrüne Augen mit einigen honigfarbigen Strahlern darin. Und so klar. Und der Mund. Diese vollen, schön geschwungenen Lippen. „Hallo? Alles in Ordnung? Sie hatten mich gefragt, ob ich Zeit habe. Sollen wir?“ Sie zeigt auf den Weg, der vom Biergarten weg in den lichten Park führt. „Ja, natürlich. Klar. Sehr gern!“ Spontan kommt mir ein: „Ich freue mich.“ über meine Lippen. „Ich mich auch.“ Sie schiebt wie selbstverständlich ihren Arm unter meinen und wir gehen die ersten gemeinsamen Schritte.

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Tag der Veröffentlichung: 11.06.2010

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