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GANDALETH


Erghion sah sich um. Um ihn herum glucksten und plätscherten die kleinen Bäche und eiligen Rinnsale des Flussdeltas dem großen Strom zu. Er war schon mehrere Male hier im abgelegensten Winkel seines weit verstreuten Besitzes gewesen.
So auch einmal zusammen mit einer Handvoll seiner Gefolgsleute auf der Suche nach einem Unfreien, der hier heimlich wildern wollte. Nicht aus Hungersnot, sondern aus reiner Jagdlust trieb es den Mann immer wieder hierher. Seine Beute war meist ein paar Sumpfratten und ab und zu einmal einer Ente. Erghion und Gidorla wussten schon seit langem um diese heimliche Leidenschaft ihres Hintersassen. Sie drückten jedoch immer wieder beide die Augen zu, da die vorgeschriebene Strafe für Wilderei auf dem Landbesitz des Grafen schwere Prügel war. Es schien ihnen unangemessen und zu hart, den Mann öffentlich auspeitschen zu lassen wegen eines bisschen Kleingetier, dass normalerweise sowieso keiner im Topf haben wollte. Erghion ließ dem Wilderer durch seinen Waffenmeister sogar eine Stelle als Jäger anbieten aber der Kerl lehnte erstaunlicherweise ab. Wahrscheinlich ging es ihm nur um den Nervenkitzel bei seiner heimlichen Wilderei und nicht um die Jagd.
Der Übeltäter hatte auch dieses Mal vorher nur seine Frau eingeweiht und ihr wie immer striktes Stillschweigen auferlegt. Die Frau fand dann aus Angst vor der zu erwartenden Strafe erst nach einigen Tagen den Mut, Erghion gegenüber die Tat zu beichten und ihn um seine Hilfe zu bitten. Aber da war es für den Unglücklichen schon zu spät. Nach einigen Stunden Rufen und Suchen fanden sie ihn. Er steckte bis zum Hals in einem kleinen, mit zähem Schlamm gefülltem Sumpfloch fest. Hatte sich aus eigener Kraft nicht mehr daraus befreien können und war elendig umgekommen.
Und das alles wegen ein paar Sumpfratten und ein bisschen Reiz am verbotenen Tun. Erghion schüttelte gedankenverloren seinen Kopf.
Im Allgemeinen hielt sich niemand gern in dieser entlegenen Gegend auf. Die meisten Dörfler mieden das versumpfte Flussdelta. Sie erzählten sich unheimliche Geschichten und Märchen darüber. Die Alten nannten es, dabei geheimnisvoll flüsternd, das verhexte Drachenloch. Nur ganz selten kamen deshalb Menschen hier her.
Wie das Delta mit seinen Auen und Sümpfe zu diesem Namen gekommen waren, wusste niemand zu erklären.
Ein paar Dutzend Schritte hinter sich hörte Erghion den breiten, für ihn unüberwindlichen Strom mit leisem Gurgeln und Rauschen träge dahinfließen. Ein paar weiße Wolken zogen gemächlich ihrer Wege am hellblauen Frühsommerhimmel. Insekten summten geschäftig zwischen den saftig grünen Gräsern der feuchten Auenlandschaft. Überall tschilpte und piepste es. Kleine Vögel flatterten zwischen Büschen und Bäumen auf ihrer täglichen Nahrungssuche herum. Vereinzelte große Weiden rauschten mit flimmernden Blättern, wenn der Wind sie streifte. Die Lerchen stiegen jubilierend steil in die Höhe, als wollten sie die Wolken berühren. Verharrten flatternd für einen Moment in der Höhe und sanken dann lautlos in mehreren anmutigen Schwüngen zurück ins Wiesengras. Ein Habicht kreiste einsam hoch am Himmel. Schwalben jagten nach Beute suchend in pfeilschnellen waghalsigen Flugmanövern durch die Luft, ohne den über ihnen fliegenden Räuber zu beachten. Sie waren sich ihrer selbst sicher. Er war viel zu langsam und würde sie nie schlagen können. Gegen die ihn misstrauisch beäugenden Krähen hatte er erst recht keine Chance. Wenn er ihren Schlafbäumen zu nahe kam, jagten sie ihn schimpfend und nach ihm hackend mit schnellen Sturzflügen davon.

Erghion seufzte verbittert auf. Es sah alles so trügerisch friedlich aus. So wunderbar harmlos und alltäglich. Doch der Tod, sein eigener Tod, kam in Gestalt der verbissenen Verfolger unerbittlich näher und näher heran. Der letzte Akt dieses mörderischen Dramas, in dem er ungewollt die Hauptrolle spielte, hatte bereits begonnen. Er war angekommen am Ort seines Todes. Hier neben dieser verrottenden Baumwurzel, vielleicht auch ein paar Schritte weiter, würde er heute noch sterben.
Er lehnte sich matt gegen den morschen, grünlich bemoosten Rest der ehemals mächtigen und stolzen Weide. Erghion fühlte sich in seinem derzeitigen Zustand mit diesem traurigen Überbleibsel eines Baumes auf seltsame Weise verbunden und betrachtete sinnend den wuchtigen, zur Seite gebrochenen Wurzelstock. „Du siehst genauso erledigt aus wie ich. Wir sind beide fertig, alter Kerl. Es geht mit uns zu Ende.“ Er seufzte resigniert auf. „Und wir können nichts dagegen tun.“
Lange hatten sich die Verfolger durch seine letzten verzweifelten Täuschungsversuche nicht aufhalten lassen. Er hatte es nicht geschafft, sie abzuschütteln. Sein ganzer aus der Not geborener Plan war gescheitert. Die Kopfjäger hatten ihn bewusst in dieses Flussdelta und gegen das Ufer des großen Stromes hin abgedrängt. Immer weiter weg von der Geborgenheit in Steineichen. Dort wäre er inmitten seiner großen Gefolgschaft geschützt und sicher gewesen. Seine geliebte Gidorla hätte ihn, wie schon so oft, aufopfernd umsorgt und mit großer Geduld liebevoll gesund gepflegt. Unter ihrer strengen Aufsicht wären von Ikarda, der Heilkundigen, seine Wunden behandelt worden. Jegliches Alltagsgeschehen hätte Gidorla unnachgiebig von ihm ferngehalten, bis er wieder völlig genesen wäre.
Ikarda galt als Weise Frau und wurde von den Leuten bei allen körperlichen und manchmal auch seelischen Leiden und Krankheiten zur Hilfe gerufen. Sie verlangte nie etwas für ihre Tränke und Salben. Auch nicht für die unter geheimnisvollem Gemurmel hergestellten Talismane. Doch viele Dörfler brachten ihr aus Dankbarkeit ab und zu ein Stück Federvieh, etwas Gemüse und Obst oder am Backtag frisches Brot zu ihrer Hütte. Auch von jeder Schlachtung bekam sie ihren kleinen Anteil. Die Menschen kümmerten sich in kluger Voraussicht um sie. Man konnte ja nie wissen. Vielleicht brauchte man sie bald einmal.
Sie wurde zu allen Festen in den Dörfern als gern gesehener Ehrengast eingeladen. Die Kinder versuchten dann möglichst nahe bei ihr zu sitzen, wenn die Alte mit großer Geduld eine ihrer unzähligen Geschichten erzählte. „Noch mal, Tante Ikarda, erzähl noch mal.“
Aber Erghion war viel zu weit weg von Steineichen und seinen Lieben. Keiner würde ihm hier helfen oder beistehen. Sie alle wussten nicht einmal, dass er hier war. Seine Familie und die Gefolgschaft vermuteten ihn entweder getötet oder gefangen in Ahlhausen.

Erghion machte sich nichts vor. Es ging zu Ende mit ihm. Seit gestern hatte er verzweifelt versucht, einen größeren Abstand zwischen sich und seine mörderischen Verfolger zu bringen. Ihnen vielleicht doch noch irgendwie zu entkommen. Aber es war ihm nicht gelungen. Wie jagende hungrige Wölfe ihrer fliehenden Beute, so blieben sie ihm hartnäckig und verbissen auf den Fersen. Er wusste, dass er durch die Kräfte zehrende Flucht der letzten beiden Tage und seine schweren Verwundungen viel zu schwach geworden war um sich wirksam verteidigen zu können, wenn sie nachher über ihn herfielen.
Schon als er vor ein paar Stunden angeschossen wurde, war er für einen kurzen Moment versucht gewesen, einfach stehen zu bleiben und sich in sein Schicksal zu ergeben. Insgeheim war ihm da schon klar geworden, dass er diesen Kampf um sein Leben verlieren würde. Dass seine verzweifelte Flucht spätestens am heutigen Nachmittag mit seinem Tod enden würde.
Ebenso wie seine Kleidung war auch er selbst in einem schlimmen Zustand. Seine Kleidung war zerrissen und voller Blut und Dreck. Er hatte bis auf ein kleines Stück Schinken vorgestern Nacht nichts mehr gegessen. Während der Flucht nur ab und zu ein paar schnelle Schlucke Wasser getrunken. Der kleine Fluss, dessen Bett er heute bis hierher ins Delta gefolgt war, hatte zwar alle verräterischen Fußspuren verwischt und sein herabtropfendes Blut in den Strom fortgespült. Doch das ständige Laufen im Wasser und die immer stärker werdenden Wundschmerzen kosteten ihn die letzten Kräfte.


Gestern gegen Abend hatte er sich in der einsetzenden Dunkelheit auf eine Lichtung hinaus geschlichen. Er wollte von dem brackigen Wasser eines Tümpels trinken, um wenigstens seinen quälenden Durst zu löschen. Erghion hockte sich am Rand nieder und formte mit seinen Händen eine Schale. Ließ sie langsam und vorsichtig voll Wasser laufen, um möglichst wenig Dreck und Modder aufzuwühlen. Dann hob er die Hände an seinen Mund um das einigermaßen klare Wasser zu trinken.
Es war wohl ein unglücklicher Zufall gewesen, dass sie ihn in diesem Moment entdeckten. Er hatte sie trotz aller Wachsamkeit und Vorsicht nicht bemerkt und so überrumpelte ihn der Angriff völlig. Da die feuchte Wiese die Schritte des ersten Angreifers dämpften, hörte Erghion ihn erst, als der Halunke schon nah heran war. Ehe er sich aufrichten konnte, war der Mann vollends bei ihm und schlug mit aller Wucht zu. Zum Glück war der vorschnelle Keulenhieb schlecht gezielt. Der schwere eisenverstärkte Kopf der fürchterlichen Waffe traf Erghion nicht am Schädel, was ihn auf der Stelle umgebracht hätte, sondern glitt an seiner rechten Seite ab. Der mörderische Schlag verletzte die Schulter und den rechten Oberarm derart, dass beide sofort taub wurden. Erghion fiel durch den Schlag wieder zurück auf die Knie in das hochspritzende Wasser. Der vor Wut über den misslungenen Schlag laut aufbrüllende Angreifer stolperte unsicher hinter ihm her. Er versuchte einen festeren Stand zu bekommen indem er sich kurz mit seiner linken Hand auf Erghion abstützte. Dieser riss sich aber mit einem Ruck los und kippte nun vollends nach rückwärts ins Wasser. In der aufgewühlten Matsche liegend wich er dem nächsten, wieder auf seinen Kopf zielenden, Hieb durch eine schnelle Drehung nach rechts aus. Dabei schrie er vor Schmerz laut auf, als die geprellte Schulter im Wasser gegen einen Ast oder einen Stein, stieß. Sein Gegner hatte sich mittlerweile gefangen. Er stand jetzt breitbeinig über Erghion, hielt die Keule mit beiden Händen über seinen Kopf und holte mit grimmig verzerrtem Gesicht zum nächsten Schlag aus. Erghion musste diesen Halunken unbedingt aufhalten. Wenn der Keulenschlag ihn am Kopf traf, war er mit Sicherheit auf der Stelle tot. Erghion brüllte los, stieß mit seinem rechten Bein aufwärts und trat dem Mann mit voller Wucht in dessen Gemächt. Der überraschte Angreifer keuchte mit weit aufgerissenem Mund schmerzerfüllt auf und krümmte sich nach vorn. Dabei ließ er die schwere Keule unkontrolliert auf Erghions Kopf herabsausen. Erghion gelang es noch einmal, sich herumzuwerfen und entkam auch diesem tödlichen Schlag. Der Halunke hielt, gelähmt durch die rasenden Schmerzen, für einen kurzen Moment inne.
Erghion nutzte die Gelegenheit. Er richtete sich halbwegs auf und riss dabei gleichzeitig mit der linken Hand das Kurzschwert aus dem Gürtel. Die blanke Waffe ratschte an seiner rechten Hüfte entlang und hinterließ eine lange blutige Schramme. Erghion beachtete sie nicht weiter, sondern konzentrierte sich auf seinen Angreifer. Unter Aufbietung all seiner Kräfte sprang Erghion mit einem gewaltigen Satz vollends hoch und stieß mit aller Wucht zu. Es gelang ihm, die spitze Waffe durch die rechte Achsel und den Hals des Angreifers bis in dessen Unterkiefer zu rammen. Der Getroffene hielt abrupt inne und stierte ihn mit einem ungläubigen Blick an. Tödlich getroffen taumelte er und versuchte nach Erghion zu greifen, während das pulsierende Blut in hohem Bogen aus seinem zerfetzten Hals schoss.

Die Keule entfiel den kraftlos werdenden Händen. Langsam sackte der Mann mit einem dumpfen Stöhnen zusammen und fiel neben Erghion in den aufgewühlten matschigen Tümpel.
Erghion sah sich hastig um. Rechts bis zum Waldrand war es ein paar Dutzend
Schritte. Die restlichen Angreifer standen immer noch links am Wiesenrand. Sie waren die ganze Zeit über wie erstarrt gewesen und hatten gebannt dem Kampf zugesehen. Sie hatten enttäuscht und wütend aufgebrüllt, als sie ihren tödlich getroffenen Kumpan zusammenbrechen sahen. Jetzt kamen sie mit gezogenen Waffen heran gestürmt. Einer schleuderte wutentbrannt seine Wurfaxt nach Erghion, ohne ihn jedoch zu treffen.
Er musste unbedingt den schützenden Wald erreiche! Erghion riss sein Schwert aus dem Toten und hetzte los. Er flüchtete mit langen Sätzen in das dichte Unterholz des Waldes, bevor ihn die Verfolger zu einem weiteren Kampf stellen konnten.

Zum Glück war es mittlerweile schon viel zu dunkel geworden, um ihn wirksam verfolgen zu können. Trotzdem brachen die hasserfüllten Männer wild entschlossen hinter ihm her durch das Unterholz des Waldes. Erghion versuchte sich zu orientieren. Er hörte die Verfolger durch das Gehölz brechen. Ihm blieb keine andere Wahl. Er erklomm, sich mühselig mit der linken Hand festhaltend, eine hohe Eiche. Der rechte Arm war immer noch fast taub und kaum zu gebrauchen. Erghion hockte sich in der Baumkrone auf den höchstmöglichen Ast und sog die Luft mit weit geöffnetem Mund ein, um sich nicht durch laute Atemgeräusche zu verraten. Die unten näher kommenden Verfolger schrieen wild durcheinander. Erghion hörte, wie sie auf das Gestrüpp einschlugen und stachen, um ihn wie ein waidwundes Wild aufzuscheuchen. Plötzlich stand einer der Kämpfer fluchend mit gezogenem Schwert direkt unter der Eiche auf der er saß. Es war wohl der Anführer der ganzen Bande. Mit barscher Stimme schimpfte er wütend: „Haltet eure dämlichen Mäuler! Ruhe verdammt noch mal!“ Erghion konnte die Gestalt durch das dichte Laub unter ihm kaum erkennen. Der Mann drehte sich lauernd hin und her und spähte in den Wald. Wenn er auf die Idee kam hoch zu blicken, wurde es sehr eng für Erghion. Die Gefahr, in der Dunkelheit hier hoch oben zwischen dem wirren Geäst und den Blättern entdeckt zu werden, war zwar gering. Aber wenn sich seine momentane Pechsträhne fortsetzte, war es doch um ihn geschehen. Erghion blieb regungslos auf dem Ast hocken und spähte nach unten.

Der Anführer unter ihm schrie wütend in den Wald: „Erghion! Hörst du mich? Gib auf, Mann! Sei vernünftig, Kerle! Erspare uns allen das ganze Gesuche. Wir kriegen dich doch sowieso.“ Dann lauschte er angestrengt. Erghion hütete sich irgend einen Laut von sich zu geben. Er wusste genau was ihn erwartete, wenn er antworten würde. Als keine Reaktion erfolgte, fuhr der Rufer lautstark weiter fort: „Komm raus. Es geschieht dir nichts. Wir bringen dich nur zurück nach Ahlhausen. Mehr wollen wir nicht. Alles andere ist nicht unsere Sache.“ Diesmal machte er eine etwas längere Pause. Er schlug wütend mit dem Schwert einige Hiebe durch die Luft, bevor er weiter redete. „Na gut! Du willst also nicht! Dann eben auf die harte Weise!“ Er fuchtelte mit der Waffe drohend herum, als wenn er Erghion schon vor sich stehen hätte. „Ich werde dir mit Genuss deine Birne runterhauen, wenn wir dich morgen in die Finger bekommen! Und wir werden dich morgen haben! Darauf kannst du dich jetzt schon verlassen.“
Erghion wusste, dass dieser grimmige Mann recht hatte. Morgen würden sie ihn stellen. Er war sich aber auch absolut sicher, dass sie ihn nicht lebend nach Ahlhausen zurück bringen wollten. Diese hartgesottenen Halunken würden ihm tatsächlich ohne zu zögern den Kopf abschlagen. Und nur diesen zusammen mit seinen Waffen zurück nach Ahlhausen bringen. Ihm blieb gar keine andere Wahl. Er musste leise hier oben sitzen bleiben und später weiter flüchten, wenn er nicht auf der Stelle umgebracht werden wollte. Auch wenn seine Chancen denen da unten zu entkommen mehr als gering waren.
Erghion hörte wie die anderen Männer ihrem Anführer laut johlend zustimmten. Sie kamen laut durch den Wald brechend heran und versammelten sich nun alle unter dem Baum, auf dem er hockte.
„Bilden wir doch einfach eine Kette und laufen noch ein Stück weiter in den Wald hinein. Weit kann er noch nicht gekommen sein.“ Ein anderer nickte zustimmend. „Er ist ganz sicher noch in der Nähe, Ergin. Wenn er weiter rennen würde, müssten wir ihn in der Stille doch hören.“ Der mit Ergin Angesprochene wischte alle Vorschläge mit der Schwerthand weg. „Hättet ihr vorhin nicht so laut durch die Gegend geblökt, hätten wir ihn auch gehört! Aber jetzt ist es zu spät. Seid ruhig, Männer. Es hat keinen Sinn in der Dunkelheit weiter nach ihm zu suchen. Wenn er uns einzeln erwischt, kommt jeder von uns in ernste Schwierigkeiten. Er ist verdammt gefährlich.“ Ein bulliger Schläger protestierte empört. „Sollen wir ihn etwa laufen lassen?“ „Natürlich nicht, du hirnloser Blödmann! Nur für die Nacht lassen wir ihn in Ruhe. Ich habe keine Lust sein Schwert an meinem Hals zu spüren! Noch einmal. Der Mann ist ein hundsgefährlicher Kämpfer. Auch jetzt, obwohl er angeschlagen ist.“ Der Bullige wollte noch etwas einwenden, aber Ergin schnitt ihm das Wort ab. „Schluss jetzt, Gador! Wenn du Lust dazu hast, kannst du ja allein weiter durch die Dunkelheit rennen und ihn suchen. Viel Spaß dabei.“ Er drehte sich wieder zum Wald hin. „Erghion! Überlege es dir noch mal gut. Wir lagern die Nacht über am Tümpel! Da wo du Rudon erschlagen hast. Ein guter Kampf. Das muss man dir lassen. Du hast was drauf! Aber es hilft dir nichts. Stell dich uns und es wird dir nichts geschehen. Kommst du aber nicht auf die Lichtung, hauen wir dir morgen den Schädel runter. Du hast also die Wahl! Wir warten auf dich!“ Leise befahl er seinen Kumpanen: „Bleibt ruhig. Warten wir noch ein bisschen ab. Ich glaube zwar nicht daran, aber vielleicht überlegt er es sich ja tatsächlich.“ Ergin spuckte auf den Waldboden und fügte hinzu: „Und ist so blöde, dass er herauskommt. Man weiß ja nie.“
Da sein rechter Arm immer noch taub und kaum zu gebrauchen war, konnte sich Erghion nur mit der linken Hand am Baum festhalten. Er saß ziemlich wackelig hier oben auf dem kaum armdicken Ast und verkrampfte immer mehr. Durch die Anspannung zitterte sein linker Arm stärker und stärker. Er merkte wie dadurch der Ast an dem er sich festklammerte anfing sich zu bewegen. Inständig hoffte er, dass sich keine Blätter oder Stücke trockenen Holzes lösten und herabfielen. Die Männer unten würden ihn dann sofort entdecken. Das wäre sein unweigerliches Ende, denn hier oben war er ihnen ohne jede Fluchtmöglichkeit ausgeliefert. Dann brauchte er sich gar nicht mehr die Mühe machen, herunter zu klettern. Er konnte genauso gut kopfüber auf den Waldboden stürzen und sich das Genick brechen. Denn unten erwartete ihn ein ähnliches Schicksal. Sie würden ihn auf der Stelle niedermachen. Er hatte vorhin in der Eile keine andere Wahl gehabt. Auf den Baum zu klettern war für ihn die einzige Möglichkeit gewesen, so schnell wie möglich aus der Sicht der hartnäckigen Verfolger zu kommen. Nun allerdings wurde es für ihn hier oben immer mehr zu einer tödlichen Falle! Wenn die Männer da unten nicht schnell abzogen, war es um ihn geschehen. Er konnte sich nicht mehr lange auf dem Ast halten. Erghion fluchte tonlos vor sich hin: „Haut ab, ihr verdammten Mistkerle! Los, verschwindet endlich da unten.“ Die Blätter raschelten mittlerweile. Erghion veränderte den Griff seiner linken Hand und umfasste den dünnen Ast näher am Stamm. Aber es brachte ihm keine Erleichterung und das leise Rascheln hörte auch nicht auf. Er schickte ein stilles Stoßgebet zum Himmel. „Weltenrichter, bitte lass diese verdammte Mörderbande da unten endlich verschwinden! Heilige Eiche! Bitte hilf mir. Nur dieses Mal!“
Die Männer unter Erghion verhielten noch einen endlos erscheinenden Augenblick. Dann drehte sich Ergin entschlossen um und winkte seinen Kumpanen. „Los Männer, zurück ins Lager! Machen wir es uns gemütlich und braten ein saftiges Stück Fleisch. Die Jagd auf den Kerl macht Hunger. Wir holen uns die Ratte morgen!“ Doch dann blieb er zu Erghion Entsetzen noch einmal stehen und brüllte in den Wald: „Schlaf gut, Erghion. Ich wünsche dir schöne Träume. Träum von deiner Frau. Die holen wir uns als nächstes und grüßen sie von dir!“ Er stieß ein böses Lachen aus. „Das ist deine letzte Nacht. Genieße sie, Mann! Morgen werden wir mit deinem Kopf Ball spielen.“ Zustimmend erklang rohes Gelächter. Dann endlich verschwanden sie zurück zum Tümpel. Erghion atmete erleichtert auf. Das war verdammt knapp!
Obgleich er sie gut geschützt wusste, hatte ihm die niederträchtige Bemerkung über Gidorla einen Stich versetzt. Was war das bloß für ein abgefeimtes Gesindel! Überhaupt auf den Gedanken zu kommen so etwas zu sagen. Aber die Rede hatte für einen kurzen Moment Wirkung gezeigt und ihn unsicher werden lassen.
Er hörte die Männer nach einiger Zeit vom Waldrand her noch einmal rau lachen. Sie wussten genau, dass er allein ihnen weit unterlegen war. Mit jedem einzelnen von ihnen nahm er es auf. Jederzeit. Auch mit seinen Verletzungen. Zur Not noch mit zweien von ihnen. Aber nicht mit dieser ganzen Bande erfahrener Kämpfer. Und sie würden ganz sicher kein weiteres Risiko eingehen, sondern gemeinsam über ihn herfallen. Ganz sicher nicht denselben Fehler wie der tote Keulenschwinger machen und einfach wild drauflos hauen.
Nach einer Weile sah Erghion zwischen den Bäumen hindurch den Lichtschein eines Feuers aufflackern. Er nahm an, dass sie sich tatsächlich Fleisch brieten. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen und sein Magen knurrte vernehmlich. In seiner Hungerfantasie schwebte ihm ein großes Stück Schweineschinken mit knusprig gebratener Schwarte vor. Zusammen mit einer dicken Scheibe frisch gebackenen hellen Brotes. So wie es an den Festtagen in seiner Halle in Steineichen aufgetischt wurde. Er meinte den saftigen Bratengeschmack auf der Zunge zu spüren. Erghion nahm sich zusammen und verscheuchte die unnützen Gedanken. Hier gab es nichts zu beißen, außer einem letzten kleinen Stück Trockenfleisch in seiner Tasche.
Er wartete noch etwas ab, bis er absolut sicher sein konnte, dass sie wirklich alle abgezogen waren. Dann war es höchste Zeit. Er konnte sich kaum mehr auf dem Ast halten. Sein ganzer Körper schmerzte durch die ungewohnte Haltung. Erghion löste langsam die verkrampfte Hand vom Ast und bewegte die einzelnen Finger, bis er sie wieder spürte. Auch in seinen rechten Arm kehrte endlich wieder das Gefühl zurück. Vorsichtig stieg er mit steifen Gelenken nach unten auf den Waldboden. Auf halber Höhe verharrte er noch einmal und lauschte angestrengt. Doch nur die nächtliche Stille des Waldes umgab ihn. In der Ferne konnte er die Männer lachen und schreien hören. Sich streckend und dehnend brachte er seinen Kreislauf in Schwung.

Erghion schlich weiter von der Waldseite weg, an der die Männer lagerten. Einmal schlug er mit dem Kopf gegen einen tiefhängenden Ast und setzte sich auf seinen Hintern. Er fluchte zwischen den Zähnen, während er sich die Beule rieb. Blieb ihm denn gar nichts erspart? Kurz, bevor der Wald endete, fand er ein dichtes Gebüsch neben dem leise Wasser gluckste. Er löschte notdürftig seinen Durst an dem Rinnsal und aß den kläglichen Rest des Schinkens auf. Dann zog sein völlig verdrecktes und mit Dramsirs Blut durchtränktes Lederhemd aus. Kühlte die rechte Schulter mit einer Handvoll nasser Blätter, die er mit dem Grundschlamm des Wässerchens gemischt hatte. An einen großen Stein gelehnt verbrachte er, unruhig vor sich hin dösend, den Rest der Nacht. Bei jedem noch so kleinen Geräusch schreckte er sofort auf und schaute angespannt um sich. Aber alles blieb ruhig. Erghion musste abwarten bis der Tag anbrach. Vorher konnte er nichts machen. Während der Dunkelheit hinaus in die moorige Deltalandschaft des Flusses zu flüchten, auf die Gefahr hin in einem tückischen Moorloch zu versinken wie seinerzeit sein Höriger, war viel zu riskant.


Beim ersten Morgengrauen kehrte er dann noch einmal, vorsichtig jede Deckung ausnutzend soweit an den tümpelseitigen Waldrand zurück, dass er seine Verfolger beobachten konnte. Sie sollten ihn nicht noch einmal überraschen. Er wollte versuchen herauszufinden, was genau sie vorhatten und ob sie ihm sofort folgen würden. Aber die Männer waren erstaunlich entspannt und machten keinerlei Anstalten aufzubrechen. Sie schienen alle Zeit der Welt zu haben.
Einer schlief lang hin gestreckt auf dem nackten Wiesenboden. Erghion konnte sein lautes Schnarchen deutlich hören. Ein anderer erleichterte sich in den Tümpel und pinkelte selbstvergessen irgendwelche Muster über seinen darin liegenden toten Kumpan. Ein anderer machte sich an dem herunter gebrannten Feuer zu schaffen und frotzelte lauthals los, als er den Pinkler sah. „Hast du sie noch alle, du Spinner! Das ist unser einziges Trinkwasser für heute morgen!“ Der andere lachte. „Ich wärm doch nur dein Badewasser an, damit du dir nicht deinen Hintern erkältest!“ Friedlichkeit lag über der ganzen Lichtung. Ergin, der Anführer, saß etwas abseits und kaute nachdenklich auf einem Grashalm oder einen kleinen Stückchen Holz. Vor ihm stand der fünfte Mann und redete gestikulierend auf ihn ein. Erghion konnte nicht verstehen worüber sie sprachen. Ergin nickte mehrmals und antwortete dem Mann. Der Sprecher ging daraufhin zu seinem Nachtlager, holte sein Bündel und lief schnell in Richtung Osten davon. Erghion fluchte tonlos vor sich hin. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Der Mann lief mit Sicherheit zurück um Verstärkung zu holen. Erghion fand seine Annahme dadurch bestätigt, dass die anderen keinerlei Anstalten machten aufzubrechen. Er konnte sich lebhaft vorstellen worauf sie warteten... der Läufer würde ganz sicher eine Meute Bluthunde mitbringen und auch weitere Männer. Weitere Männer? Erghion überlegte. Eigentlich mussten diese Halunken vor ihm doch alles daran setzen ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Woher also diese Gelassenheit? Was nützten die Hunde, wenn er doch nach Steineichen entkommen war, weil sie ihn nicht rechtzeitig fanden? Es gab nur eine vernünftige Erklärung für ihr Verhalten. Es mussten bereits weitere Suchtrupps in der Nähe sein. Andere Gruppen, die ihm wohl den Weg nach allen Seiten hin versperrten. Auch nach dem, einen halben Tag entfernten, Steineichen. Sie veranstalteten ein großes Kesseltreiben. Trieben ihn wie bei einer Jagd langsam auf den Strom zu. Und er war das schwache Wild, welches sie jagten!
Seine Gegner gingen also davon aus, dass seine Flucht ohnehin bald zum Ende kam. Denn sie waren weit in der Überzahl und der größere Fluss versperrte den einzigen Weg in die rettende Freiheit. Er machte jede weitere Flucht zunichte. Erghion überlegte angestrengt, ob er in der näheren Umgebung eine Fischerhütte oder die Kate eines Torfstechers gesehen hatte. Aber er konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Fischer in der Nähe des Deltas auf dem Strom gesehen zu haben. Er tat den verzweifelten Gedanken ab. Es war aussichtslos. -

Außer dem im Tümpel liegenden Toten, hatte Erghion am gestrigen Abend bei dem Angriff fünf Männer gezählt. Drei von ihnen schwangen langstielige Kampfäxte, die anderen beiden waren mit scharfen eisernen Breitschwertern bewaffnet. Soweit Erghion es in der Hektik des Kampfes und der anschließenden Flucht erkennen konnte, hatten zwei der Axtkämpfer zusätzlich Pfeil und Bogen auf den Rücken geschnallt. Seinem geschulten Auge entging auch nicht, dass alle Verfolger die landesüblichen Langdolche am Gürtel trugen. Die Männer waren, genau wie er auch, in leichtes Jagdleder gekleidet. Die Lederhemden waren an den Schultern und auf Brust und Rücken durch schuppenartig aufgesetzte Metallplättchen und starke dicke Lederstücke verstärkt.
Fürst Erghion war es als der oberste Gerichtsherr in seiner Grafschaft gewohnt, Menschen auf den ersten Blick einzuschätzen. Beim Anblick seiner gnadenlosen Jäger wurde ihm deshalb eine Tatsache erschreckend deutlich. Er hatte es bei den Verfolgern nicht mehr mit den Gefolgsleuten und Dörflern aus Ahlhausen zu tun. Den Männern, die ihn in der vorletzten Nacht noch an der Ahlhausener Palisade gestellt hatten. Gleich, nachdem er den Fememord an seinem verhassten Todfeind Graf Dramsir begangen hatte.
Diesen finsteren Gesellen hier würde er nicht so leicht entkommen können wie den überrumpelten Dörflern aus Ahlhausen. Dies hier waren abgebrühte Halunken und Halsabschneider. Gedungene Mörder, die vor keiner Untat zurückschreckten. Ihr blutiges Handwerk perfekt beherrschten und ganz sicher nicht aufgaben, bis ihre jeweiligen Opfer, auf die man sie ansetzte, tot vor ihnen lagen. Es waren grausame und kaltblütige Kopfjäger. Von dieser Verbrecherbande hatte er keinerlei Milde oder gar Gerechtigkeit zu erwarten, sondern nur den gnadenlosen kalten Tod!
Erghion musste jetzt schnellstens weiter, wenn er überhaupt noch eine Überlebenschance haben wollte. Er musste unbedingt einen Bach oder ein flaches Gewässer finden, um seine Spuren vor den bald eintreffenden Hunden einigermaßen sicher zu verwischen. Lange würde er die fürchterlichen Tiere damit sowieso nicht täuschen können. Aber vielleicht gelang es ihm mit viel Glück ja doch noch, die Kette seiner Verfolger an irgendeiner Stelle zu durchbrechen und nach Steineichen zu entkommen. Und dadurch auch den bestialischen Tieren zu entfliehen.
Erghion hasste diese tödlichen Monster aus mehreren Gründen. Zum einen weil man den Tieren praktisch nicht entgehen konnte wenn sie auf jemanden gehetzt wurden. Zum anderen weil diese Tiere eigentlich kaum noch etwas mit normalen Hunden gemeinsam hatten, sondern völlig entartete dumpfe und mörderische Kampfmonster waren. Er selbst hatte es immer abgelehnt diese riesigen Kriegshunde zu züchten, deren bulliger Kopf mit den fingerlangen Reißzähnen einem erwachsenen Mann fast bis an die Achsel reichte. Erghions Gefolgsleuten und streng verboten. Diese gefährlichen Tiere waren lebende Waffen und konnten bei etwaigen Unruhen in seinem Herrschaftsgebiet durchaus auch gegen ihn selbst eingesetzt werden. Ein unliebsamer Grundbesitzer aus einer weiter von Steineichen entfernten Gegend war bei einer Hirschj agd urplötzlich von einem einzigen dieser Tiere angefallen worden. Der Ärmste und zwei seiner Jäger wurden regelrecht in Stücke zerrissen, bevor man den mit Hieb- und Stichwunden übersäten Köter endlich erschlagen hatte. Der sich versteckt haltende Besitzer des Hundes hatte sich wohl gleich zu Anfang des fürchterlichen Angriffs aus dem Staub gemacht. Da der tote Köter nicht zu ihm zurücklaufen konnte, wurde er niemals gefunden und dingfest gemacht.
Erghion war auf den Kriegszügen, an denen er als Lehensmann seines Königs oft genug hatte teilnehmen müssen, wiederholt entsetzter Zeuge dessen geworden was die Bluthunde anrichteten. Diese Tiere, unter der nackten dunkelgrauen Haut mit armdicken Muskelsträngen bepackt und mit fingerlangen Reißzähnen in den geifernden Mäulern bewehrt, waren völlig entartet. Die Gebisse waren derart stark, dass sogar Eisenrüstungen kein Hindernis darstellten. Darauf abgerichtet zogen und zerrten sie an den Rüstungsteilen der Kämpfer solange, bis diese regelrecht auseinander gerissen wurden. Es waren unnatürliche Bestien, die sich zubeißend und schnappend über ihre unrettbar verlorenen Opfer hermachten. Jedes Lebewesen auf das sie gehetzt wurden, egal ob Mensch oder Tier, töteten die Bestien innerhalb kürzester Zeit in einem grausamen Blut- und Fressrausch.
Die riesigen Hunde rissen wütend knurrend binnen weniger Augenblicke große Teile aus ihren meist noch lebenden Opfern und verschlangen das warme blutige Fleisch gierig. Meistens griffen sie als erstes den Bauch der Wehrlosen an. Nur die Köpfe der Unglücklichen rührten die Bestien nicht an. Sie waren darauf abgerichtet diese wichtigen Trophäen unversehrt zu lassen. Nicht immer mit Erfolg und so war aus den zerfetzten Überresten oftmals kaum mehr zu erkennen, dass diese eben noch zu einem lebenden Mensch gehört hatten. Den Angefallenen blieb meist noch nicht einmal mehr die Zeit zu schreien, bevor sie elendig starben. Eine Flucht vor den Hunden war ebenso sinnlos und unmöglich, wie der verzweifelte Versuch sich mit einer Waffe gegen sie zu wehren.
Erghion hatte oft beobachtet wie auch die nahebei Stehenden vor Entsetzen hilflos jammernd auf die Knie fielen. Die angegriffenen Opfer selbst sich wiederstandslos ihrem grausamen Schicksal ergaben wenn sie merkten, dass die Hunde es auf sie abgesehen hatten. Manche blieben einfach wie versteinert stehen bis die Tiere in wenigen Augenblicken heran waren.
Er hatte mit ansehen müssen wie sich mächtige, bisher furchtlose und kriegserfahrene Kämpfer in äußerster Not kurzerhand selbst entleibten, bevor das Entsetzen über sie hereinbrach.
Viele der Bestien wälzten sich nach ihrem grauenvollen tödlichen Fraß in den Knochenresten und Fleischklumpen ihrer Opfer, um dann auf die Nächststehenden los zu gehen. Es war die fürchterlichste Todesart, der man auf einem Schlachtfeld begegnen konnte.
Wenn die Besitzer ihre unheimlichen Monster dann endlich zurückpfiffen, ließen diese, wenn überhaupt, nur widerwillig von den weiteren Opfern ab. Die brutalen Männer versuchten dann von ihren, über und über mit Blut und menschlichen Resten besudelt, zurückkehrenden Hunden möglichst nicht beschmutzt zu werden. Erghion hatte schon oft angeekelt diese an schauerliche skurrile Tänze erinnernde Hampeleien der Hundeführer mit ansehen müssen. Wie blödsinnig herumspringende Männer, die sich lachend und johlend gegenseitig darin überboten mit möglichst albernen und grotesken Sprüngen vor ihren verdreckten Kötern zu flüchten und immer wieder ihr „Aus!“ und „Platz!“ brüllten. Wenn sie sich der ungeteilten Aufmerksamkeit der angewiderten Umstehenden dann sicher waren, verdroschen sie ihre Tiere mit den schweren eisengespickten Bullpeitschen solange, bis die Tiere schließlich unter den Schlägen ihrer entmenschten Besitzer nur noch dumpf grollend über den Boden krochen und nach der Peitsche schnappten. „Brav. Ja, so ist gut. Guter Hund. Hast du eben ein feines Fressen gehabt. Schön brav.“...
Die Männer mit ihren Kötern wurden soweit es irgend ging von den anderen Kriegern gemieden. Obwohl man sie brauchte und sie wichtig für die Demoralisierung des Feindes waren, wollte niemand etwas mit ihnen zu tun haben. Selbst alte kampferprobte Recken überkam ein flaues Gefühl im Magen, wenn sie sich in der Nähe der Männer mit ihren Ungeheuern aufhalten mussten. Mehr als einmal war es schon vorgekommen, dass sich die aggressiven Angriffe der Hunde im Blutrausch gegen die eigenen Kämpfer oder sogar gegen ihre Züchter und Herren wendeten.
Wenn dann bei einer Schlacht eines der zum Kampf angetretenen Heere ihre Hunde auf die feindlichen Krieger loshetzte waren oft auch deren Hunde nicht mehr zu halten und es kam zu einem wahnsinnigen Gemetzel, bei dem nicht mehr zwischen Freund und Feind zu unterscheiden war. Erghion hatte selbst schon erlebt, wie schon eine kleinere Meute, eine Handvoll dieser Hunde die Kämpfer der anderen Partei entmutigt zur Aufgabe brachte oder sogar zum ängstlichen Rückzug bewegte. Erstaunlich war, dass sich die Tiere, im Gegensatz zu den Menschen, nie gegenseitig angriffen. Es gab auch keinerlei Rangkämpfe zwischen ihnen. Da sie sich nicht sicher sein konnten ob ihnen die eigenen Kämpfer nicht davon liefen, vereinbarten viele Heerführer schon vor den Schlachten, dass von den streitenden Parteien keine Hunde eingesetzt werden durften.
Erghion duldete auf seinen Besitzungen nur eine kleine Meute magerer, halb verwilderter Köter, die frei durch Steineichen und die nächste Umgebung streunten. Immer auf der Suche nach Fressbarem. Da sie jeden Fremden lauthals verbellten, waren sie ein weiterer willkommener Schutz vor überraschenden feindlichen Überfällen. So etwas wie die zusätzlichen Augen und Ohren, vor allem auch Nasen seiner Wachen.

Erghion hastete so schnell er konnte zurück. Durch den lichten Wald und dann ins dahinter liegende offene Gelände, bis er schließlich auf den kleinen flachen Fluss stieß der aus dem Süden kam. Der Richtung in der auch das rettende Steineichen lag. Er sprang ins Flussbett und lief gegen die Strömung an in der Mitte weiter. Das war zwar mühseliger als auf festem Boden zu laufen aber etwas sicherer vor den Hunden. Nachdem er annehmen konnte, dass seine Spur selbst für die widerlichen Kriegsköter schwer zu finden war, verließ er das Flussbett wieder.

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Tag der Veröffentlichung: 28.04.2010

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