1. Open the gates of purgatory
Es muss ein Freitag gewesen sein als ich sie zum ersten Mal sah. Eine kleine grüne Scheibe, 12 Zoll groß und mit einem Loch in der Mitte. Mein Kumpel Jim hatte sie angeschleppt. „Eh Keule! Zieh dir den Scheiß mal rein!“, brüllte er förmlich als er in meine kleine versiffte Bude getorkelt kam. In der einen Hand eine Bierflasche und in der anderen die besagte grüne Scheibe, noch verpackt in einer Papphülle auf der dick und fett „Riot in Hell“ stand. Die braunen zotteligen Haare, die - unter uns - unbedingt mal wieder an den Spitzen zurecht gestutzt werden müssten, baumelten von der dicken Rübe meines besten Freundes. Ich hatte ihn schon oft dabei beobachtet, wie er sich im Spiegel begutachtete. Er lies seine Muskeln, die er sich mühsam schon seit einem Jahr aufzubauen versuchte, spielen und setzte seinen „Ich bekomm euch alle“-Blick auf. Und fürwahr er war der Typ Kerl auf den die Frauen damals abfuhren. Breite Schultern, lachend und ein guter Kerl. Man könnte ihn auch Sunnyboy nennen. Naja, jedenfalls war ich schwer erschrocken, als dieser zottlige Bursche in meiner Bude stand und die Tür nur noch an einem Scharnier vor sich hin quietschte. Sie sang ihr kleines Lied des Leidens oder so. Ich war`n bisschen angepisst, weil ich doch eigentlich total am wegpennen war, da so auf meiner Plüschcouch. Sie stand in der Ecke des Zimmers unter dem Fenster und war da schon bevor ich eingezogen bin. Kein Plan was der Vormieter damit getrieben hatte. Da waren Flecken drauf die mir aber piss egal waren eh? Scheiß doch drauf, Schmutz ist überall am Start und da ich sowieso nicht grad der reinlichste Typ unter der Sonne war, stapelten sich die Haufen von ungewaschenen Buxen und Socken überall auf meinem Fußboden. Wie gigantische Berge ragten sie vom Teppich auf und hier und da stachen ein Paar CDs und anderer Stuff hervor. Beim größten Haufen, direkt neben der Couch, versuchte ich mich gar nicht mehr am „Aufräumen“. Bei der Vorstellung was da alles so abfreakte unter den Tausenden von Sockenpaaren, Kondomen, und jeglichem anderen Bullshit wurde mir ganz übel. Mein Kumpel John zappelte nervös auf und ab und riss mich erneut aus dem Schlummerchen. „Was‘n nu Alter? Ich hau ‘se mal rein wa‘?“, und schwubs landete das grüne Scheibchen im Plattenspieler. Die Nadel setzte mit einem lauten Knall auf der Platte auf (mit Feingefühl hatte es mein Freund nicht so; Schlagzeuger in meiner Band, was soll man schon erwarten…).Wir spielten Rock wie man ihn damals so spielte. Bisschen Glitter hier, bisschen Glamour da, aber ich hatte keinen Bock mehr auf diesen Müll. Die Texte und dieses ganze schwule Geschminke gingen mir total auf den Sack. Doch so richtig wussten wir nicht wie wir sonst bei den Bräuten ankommen sollten. Bis … naja, bis zu diesem Freitag eh? Was die Nadel da von der Platte entfesselte war anders. Es war wilder, roher und abgedrehter. Es war kein brutales Geboller wie man es heutzutage um die Ohren gewuchtet bekommt. Nein, nein - es war einfach etwas anderes. Der Gesang nasal und hoch, gefolgt von pfeilschnellen Gitarrenriffs die sich mit Melodien vermischten, die nur aus der Hölle kommen konnten. Der erste Track war noch nicht mal zu Ende, da war ich schon verschossen. „ Eh John! Fuck! Geil man! Was das für ‘ne Band eh?“ „Tja … ich weiß es nicht … Hab das Teil grad aufm Müll gefunden... Sah geil aus. Das grüne Vinyl macht schon echt was her wa‘? Ziemlich abgedrehter Scheiß. Hätt‘ echt Bock so ‘ne Mukke zu machen wa‘?“ „Und was is‘ mit unsren Groupies, eh? Die gehen doch alle bei ander‘n Bands auf der Flöhte spielen, wenn wir so ‘ne krasse Wende machen“, antwortete ich in spätjugendlichem Blödsinn. „Ach Scheiß auf die Weiber! Wenn‘s denen nich‘ gefällt soll‘n ‘se ruhig wo anders flöhten gehen. Man der Shit ist total neu! Hab sowas noch nie gehört! Vielleicht könnten wir ja … naja so ne Art Vorreiter werden mit dem Kram!“ Naja recht hatte er ja, eh? Warum nicht mal was Neues machen! Ich erhob mich langsam aus meiner Pennstellung und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Blond und schlapp hingen sie zur Erd‘ herab. Vital war was anderes aber… Fuck it! Ich zog meine Zebra-Jogginghosen hoch und kratze mir am Arsch. Rasieren musste ich mich ja auch noch, heut war doch Bandprobe. Aber egal, wichtiger war die Frage: Warum war da kein Bandname drauf? Da musste doch irgendwo zumindest ‘n Verweis auf Künstler oder so‘n Scheiß drauf sein. Aber da war nichts! Wir nahmen die Platte unter die Lupe, untersuchten das Cover Art unter Schwarzlicht aber nichts. Kein Scheiß! Nicht Mal ‘n popliger Produzent, der seinen verfickten Namen dick und fett unter das Werk des Künstlers betonieren ließ. Nichts! „Naja, Dude, dann fragen wir mal die anderen Hampelmänner wie die drüber denken eh? Ich daddel mal rüber zu Totto und du rufst mal bei Cliver zu Hause an. Pass auf, da geht gern mal die Mutter ran und geht dir mit ihrem Zeugen Jehovas-Kack auf‘n Sack.“ „Jaja, kenn das Alter...scheiß Gelaber wie verdorben wir doch alle sind haha! Die Alte ist doch nur trocken in der Falte und wäre gern nochmal so rattig geil wie wir‘s sind. Ich ruf mal an!“ Und so geschah es, dass die Bandmitglieder zwei Bierdosen später in meiner Behausung versammelt waren. Gut, was heißt zwei Bierdosen... Ich hasste Bier und hasse es immer noch. Ich kann mit dieser Plärre einfach nichts anfangen. Jeder Idiot der noch‘n paar intakte Geschmackswurzeln auf‘m Lappen hatte, würde diese Brühe doch wegschütten, eh? Aber im Endeffekt ist‘s wie mit‘m Rauchen: Is‘ halt schon cool. Aber mir was so‘n Dreck immer scheiß egal. Soll‘n ‘se doch saufen ihren Müll. Das „Haus“ in dem ich wohnte, war bisschen abgelegen von der Stadt und so konnten wir hier unsere Proben abgeh‘n lassen. Proben war hierbei eindeutig übertrieben. Wir hingen eigentlich nur ab, soffen, kifften und vögelten die verschiedensten Gören die hier mit uns abharzten. Meine Arbeit als Fleischer hatte ich an den Nagel gehängt und war Vegetarier geworden. Ohne Scheiß! Die drei Jahre in dieser Höllenbude zwischen all den toten Viechern, dem Blut... Da kommt einem irgendwann einfach mal die letzte Mahlzeit hoch. Fuck man und wie ich kotze, direkt in die Leberwurst die ich gerade würzen sollte. Naja schnell bisschen umgerührt. Alles klar und raus an die Theke mit der Pampe. Haha, aber am perversesten war‘s wenn die Tiere noch lebend bei uns eintrudelten. Ich hing mit ‘ner riesigen Kettensäge oben auf ‘ner Plattform und sägte die Viecher in zwei Hälfte. Kein schöner Anblick. Die dampfenden Gedärme klatschten hart auf den Boden und verbreiteten einen Gestank... Oh Gott hört mir auf. Naja wie gesagt, hing ich den Drecksjob dann an den Nagel. Ich wollte mich einfach voll und ganz auf meine Musik konzentrieren. Was auch ganz gut klappte. Gigs hatten wir alle zwei Wochen und das Geld stimmte auch. Wäre da nicht diese scheiß Musik gewesen die wir spielten wäre alles ok gewesen. Haha, wenn ich so drüber nachdenke das man mit jeder scheiße Geld scheffeln kann, wenn nur genug Idioten unterwegs sind die sich dieses Gedöhns dann auch noch reinziehen. Reinziehen, genau das taten wir auch mit der Platte, als wir alle versammelt um meinen Sockenaltar saßen. Er gab uns die richtigen Vibes für so‘n kranken Scheiß! Man wir gaben echt alles auf, die Weiber, die Moneten, unseren Plattenvertrag. Nur um was zu machen womit wir Spaß hatten. Krass wa‘? Die anderen beiden fanden die Mukke genau so scharf wie wir und hatten gleich eigene Vorstellung wie wir unseren Stil noch mehr individualisieren könnten. Cliver zappelte wie wild in seinen Spandexhosen rum und schüttelte wie wild seinen Bart durch die Gegend. Haare trug er kurz wie'n Skin. Aber der Bart war fast ‘n Meter lang. Haha kranker Typ. Er war der erste gewesen, dem dieser Glamour-Scheiß aufn Sack ging. Ab waren die lockigen Haare und der sonst immer halbwegs gepflegte Bart wucherte in alle Richtungen und das in einer unnormalen Geschwindigkeit! Naja, und Totto war zufrieden was gefunden zu haben. ‘N alten Blunt unter meinem alten Sockenhügel an der Nordwestseite meines Zimmers, direkt neben dem „Kleiderschrank“. So nannte ich das Teil zumindest immer, wenn ich meiner Mutter versprach die Wäschen ordentlich einzuordnen, nachdem sie sie mir gewaschen hatte. Klingt lächerlich oder? Naja … echt ich hab‘s einmal versucht. Also mit dem Waschen... aber ich zieh meine Socken lieber über den ganzen Fuß anstatt nur über eine Zehe, eh? Naja, jedenfalls saßen wir da rum, kifften, hörten Musik und sinnierten über das „wie richten wir uns neu aus“. Nich‘ lang gelabert, wir stimmten erstmal unsere Gitarren um ‘n Ganzton tiefer und Totto am Gene Simmons ging auch noch‘n Tacken tiefer ins Seitengeplänkel. Tja und das muss wohl die Geburtsstunde von „Riot in Hell“ gewesen sein (so nannten wa‘ uns dann einfach... als Huldigung dieser kranken Scheiße.) Tja und so waren die Bitches, der Fame und alles was wir sonst noch hatten von einem Tag auf den anderen verschwunden. Wir spielten als Headliner in ‘ner heruntergekommenen Bude vor ca. 700 Mann die alle „Tuff ‘n Ruff“ erwarteten. Naja... könnt ihr euch vorstellen wie das geendet is‘, wa‘? Totto hatte ‘ne riesige Platzwunde, an der Stirn von ‘ner Bierflasche... und meine Nase war angebrochen…haha.
Entscheidet was schlimmer ist eh? Aber... wenn ihr mich fragt, ihr wisst schon…
Naja... jedenfalls verloren wir auch unseren Plattenvertrag und diesen ganzen Dreck. Aber man, who cares? Wir jedenfalls nicht. Wir formierten uns neu, schrieben Lieder über‘n Teufel, Kriege, Titten, Gewalt. Die ganze Palette die wir damals umschiffen mussten. Das einzige Kriegslied, was wir damals rausgehauen hatten, war so‘n Spät-Hippie-Ding. Make Love, not war-Blahblah.
Die lokale Presse zerfleischte uns förmlich. Waren wir früher die Lieblinge der Massen. Ob feuchte Teeniemöse, die ihren Körper an jedem dahergelaufenen Idioten ausprobieren musste und irgendwas von Freiheit laberten, bis hin zum alten Opa der im Takt mit dem Gebiss wackelte. Wir waren beliebt gewesen. Mit „Riot in Hell“ verkörperten wir etwas, das diesen Pleasent Valley Kleingeistern nicht in den Kram prasste. Sie verstanden einfach nicht worum es uns ging.
Aber wisst ihr, das Gute daran ist das man lernt auf das Gelaber anderer zu scheißen. Mein Gott, haben wir uns damals aufgeregt über ‘ne schlechte Rezension unserer Scheibe. Und jetzt? Haha, nur um Mal ‘n Auszug zu zeigen:
„ „Riot in Hell“ klingt - wie es der Name schon verrät - nach sinnlosem Geboller und Getrommel, das zum Glück eh vom Publikumssatan bestraft und in seine Schranken gewiesen wird.“
„Die Jungs sind so gigantisch untalentiert. Allein der Name „Riot in Hell“ reicht, um zu beschreiben wie schlecht die Musik der einstigen Lieblinge der Herzen geworden ist. Entweder sie finden einen Weg zurück zu den Wurzeln oder wir schießen sie endlich dahin wo sie doch so gerne einen Aufstand anzetteln wollen.“
Haha, ja so war das damals. Diese Fucker zerrissen sich ihre Mäuler, doch es dauerte nicht lange, da fand unsere Musik erste Befürworter. Einige Jungs besuchten unsere Proben und chillten bei uns ab. Verrückte Typen mit Clownsmasken und diesen riesigen Baseball-Wedel-Händen. Manchmal kam ich mir vor wie beim Karnevale oder so ‘nem Dreck. Irgendwann schleppten diese Typen dann wiederum Weiber an. Geile Schnecken sag ich euch und es dauerte eine Weile, dass wir darauf kamen was diese Leute so besonders machte. Es waren Zigeuner und Schausteller die seltsamerweise totalen Gefallen an unserem Gedöhns fanden. Man die Girls waren gelenkig... Scheiße sowas hab ich mein Leben lang nie wieder erlebt. Next step of Kamasutra oder so‘n Scheiß. Total abgefreakt. Als wir mit ihnen ins Gespräch kamen wurde uns klar, dass sich über diesen Weg eine Gelegenheit bot mal bisschen was von der Welt zu sehen. Ich mein, was sollten wir schon noch in unserem verkackten Kaff. Die Leute hatten alle Sand in der Vagina und wir wollten mal was ganz Neues erleben. Tja, so schlossen wir uns diesen verrückten Menschen an und tingelten kurze Zeit später herum. „The wicked Show“ nannte sich die Veranstaltung, die in jedem poligen Dorf ihre Pforten öffnete. Totto war ganz begeistert von den Trapetzkunden die hoch über dem Erdboden Tiere zerhackten und durch die Gegend warfen. Mir war das echt zu viel. So‘n scheiß konnte ich mir nicht geben und spielte darum meist mit zwei Augenklappen. Echt, ich war so angepisst wenn mich auch nur ein Tropfen Blut erwischte. Totto badete regelrecht im roten Lebenssaft. Kranker Typ, aber hey! Wenn‘s Spaß macht, wa‘? Jedenfalls spielten wir unser Set immer während der Vorführung. Passte ganz gut. Ich liebte es wenn sich diese ganze Scheiße zu unserer Musik abspielte. Strippende Schönheiten deren Füße sich überm Kopf berührten, perverse Clowns die mit Kettensägen Einrad fuhren und Artisten, die abgedreht durch die Gegend rannten und Kunstblut und Innereien ins Publikum warfen. Das waren noch Zeiten. Heutzutage hätteste gleich Frauenrechtler, Tierschützer, Menschenrechtler, Clownsrechtler, und was weiß ich nicht was am Hals. Woher das kommt kann ich mir eigentlich kaum erklären. Der moderne Mensch hat wahrscheinlich viel zu wenig zu tun. Nichts mehr wofür er kämpfen kann und.. naja da suchter sich halt irgendeinen Bullshit raus. Haha Idioten.
Was ist denn gegen ‘n bisschen Spaß einzuwenden, eh?
Immer dieses Vernunftsblahblah..
Tag der Veröffentlichung: 24.07.2011
Alle Rechte vorbehalten