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Feuerwächter

„Das ist doch alles eine ganz große Verarsche!“ Ungläubig schüttelte Marc den Kopf.
„Ich würde es an deiner Stelle lieber glauben“, entgegnete der harmlos aussehende Mann in den Vierzigern, der Marc gegenüberstand. „Aber das liegt ganz bei dir. Entweder du glaubst mir und lässt dich auf den Deal ein oder du glaubst mir nicht und bist in ein paar Sekunden tot. Deine Entscheidung.“
Marc war verwirrt. Oder vielmehr fassungslos. In seinem Kopf herrschte ein fürchterliches Gedanken-Chaos. Und er hatte panische Angst. Auch wenn er in den letzten knapp 2 Minuten, seitdem er diesem Mann die Haustür geöffnet hatte und von ihm unsanft zurück in seine Wohnung gestoßen wurde, irgendwie nur „Bahnhof“ verstanden hatte, schien die Absicht des Mannes ihn töten zu wollen furchtbar real zu sein.
„Öhm, könnten wir uns bitte setzen? Und Sie erklären mir noch einmal, was jetzt genau los ist?“, bat Marc seinen unerwünschten Besucher daher fast flehend.
„Nun gut, ich habe es nicht besonders eilig. Und das Feuer in deinen Augen ist nur blassgelb. Wäre es rot, würde ich sofort handeln. Oder hätte es schon getan. Dann gäbe es für dich sowieso keine Alternative“, erwiderte der Fremde grinsend. „Aber komm nicht auf dumme Gedanken – der Laser hier wirkt auch auf Entfernung zuverlässig. Eine falsche Bewegung von dir und die Sache ist gelaufen.“
Marc schluckte und beteuerte umgehend: „Nein, nein. Ich will wirklich nur verstehen, worum es hier gerade geht. Sie müssen zugeben, dass das recht verwirrend ist.“
Der Fremde ließ sich daraufhin von Marc in seine Küche bitten und die beiden nahmen am Küchentisch Platz. Als sie sich setzten, tauchte plötzlich ein Bild vor Marcs Augen auf. Ja, er hatte diesen Fremden schon einmal gesehen! Heute Vormittag im Supermarkt hatte dieser ihn an der Kasse leicht angerempelt und sich noch höflich dafür entschuldigt. War das ein Zufall gewesen? Wenn nicht, was sollte das, warum wer der Mann jetzt hier und woher wusste er, wo Marc wohnte?
„Ich heiße Michael“, unterbrach der Mann seine Gedankengänge „und ich bin ein Feuerwächter. Zumindest vorübergehend – du bist mein letzter Job, dann ist meine Pflicht getan“, ergänzte er grinsend. „Fast schade, irgendwie findet man Gefallen daran.“
„Ah ja“, hauchte Marc, obwohl er den Sinn der Worte nicht im Geringsten erfasst hatte.
„Ich weiß, ich weiß ... Das ist alles sehr verwirrend. Ist bei mir ja auch erst ein paar Tage her, dass ich Besuch erhalten habe und vor die Wahl gestellt wurde. Daher jetzt noch einmal ganz langsam zum Mitdenken.“

Die Story, die Marc jetzt von Michael zu hören bekommen sollte, war das Unglaublichste, was er je gehört hatte. Aber da die Alternative sein frühzeitiger Tod war, ließ er sich auf das Gespräch ein.
„Also, hör einfach zu. Fragen kannst du anschließend stellen. Obwohl ich selber nicht weiß, wer der ursprüngliche Auftraggeber ist und wie alles genau zusammenhängt. Dazu kann ich dir nichts sagen, das hätte mich auch interessiert.“ Michael rückte seinen Stuhl zurecht, machte es sich ein wenig bequemer und holte eine kleine Schachtel aus seiner Jackentasche. Dabei hielt er mit einer Hand immer diesen ominösen kleinen Stab bereit, den er ihm als eine Art Laserwaffe vorgestellt hatte. Er öffnete die Schachtel und legte den Blick auf 4 getrocknete rote Blüten frei. „Das sind Adonisröschen, auch Feueraugen genannt. Diese hier haben besondere Kräfte, sie machen denjenigen, der sie isst, zum Feuerwächter. Das bedeutet, dass man nach dem Genuss 24 Stunden lang Menschen erkennen kann, die schon mindestens einmal in ihrem Leben gemordet haben. An einem Feuer in ihren Augen.“ Amüsiert blickte er in Marcs fassungsloses Gesicht und setzte hinzu: „Und deswegen bin ich hier.“
„Aber ... Aber, ich ...“, versuchte Marc zu einer Erklärung anzusetzen.
„Psssst, versuch erst gar nicht etwas zu erklären, ich hab alles gesehen. Außerdem bist du ein minderschwerer Fall“, beschwichtigte Michael ihn. „Aber lass mich weiter erklären. Trifft man auf jemanden mit einem lodernden roten Feuer in den Augen, handelt es sich um einen skrupellosen Mörder. Jemanden, der aus Habgier, egoistischem Eigennutz oder einfach aus Spaß getötet hat. Solche müssen eliminiert werden, die werden vor keine Wahl gestellt. Einmal auf den Knopf hier gedrückt und derjenige bricht zusammen und es kann hinterher nur ein Herzversagen mit ungeklärter Ursache diagnostiziert werden.“ Michael wedelte demonstrativ mit seinem kleinen Laser-Ding in der Luft herum. „Menschen, in deren Augen ein blassgelbes Feuer lodert, haben einen anderen Menschen umgebracht um Selbstjustiz zu verüben. Nachvollziehbar, aber trotzdem ein Mord und nicht erlaubt. Aber diese Menschen werden vor die Wahl gestellt, ob sie selber zum Feuerwächter werden oder sterben wollen.“
Marc räusperte sich, versuchte seine Gedanken zu ordnen und hakte nach: „Was meinst du damit, du hättest alles gesehen?“
„Wie du dich vielleicht erinnern kannst, sind wir uns heute Morgen beim Einkaufen über den Weg gelaufen“, setzte Michael zu einer Erklärung an.
„Richtig, du hast mich an der Kasse angerempelt!“, entfuhr es Marc.
„Ja, Körperkontakt ist notwendig. Nachdem man das Feuer gesehen hat, muss man denjenigen irgendwie berühren. Und schon läuft in rasender Geschwindigkeit ein Film in deinem Kopf ab. Junge, ich sag’s dir – das ist Kino in einer ganz neuen Dimension!“, lachend schüttelte Michael amüsiert den Kopf. „Innerhalb von 1 bis 2 Sekunden siehst du einen kompletten Film, erfasst alle Zusammenhänge und Hintergründe. Man sollte gar nicht meinen, was in diesen kleinen Blüten alles drinsteckt.“
Fast ehrfürchtig senkte Marc den Blick und schaute auf die Blüten in der geöffneten Schachtel. Sollte er das jetzt glauben oder hatte er es mit einem Verrückten zu tun? „Öhm, und was haben Sie ... hast du gesehen, als du mich berührt hast?“
„Ach, das weißt du doch. Aber du willst natürlich von mir wissen, ob ich die Wahrheit erzähle. Nachvollziehbar, ich konnte es ja auch zunächst nicht glauben“, pflichtete ihm Michael verständnisvoll bei. „Du hast deinen Schwager aus nächster Nähe erschossen. Weil er deine Schwester umgebracht hat. Ganz schön widerlich, wie die Gehirnmasse aus seinem Hinterkopf an den Küchenschrank gespritzt ist“, ergänzte Michael und setzte unbekümmert fort: „Anschließend hast du von dir fingierte Beweise hinterlassen, dass es nach einem Selbstmord aussah, den dein Schwager begangen hatte, da er mit dem Schuldbewusstsein wegen des Mordes an seiner Frau nicht leben konnte. Gar nicht mal übel eingefädelt, mein Guter! Das hätte ich so einem biederen Steuerberater wie dir gar nicht zugetraut.“ Es fehlte nicht viel und Michael hätte Marc anerkennend auf die Schulter geklopft.
„Ja, die Polizei hatte das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt“, brach es aus Marc heraus. Seine Schwester war vor einem guten halben Jahr verschwunden und 2 Monate später wurde ihre Leiche im Keller einer alten Waldhütte gefunden. Offensichtlich verdurstet, aber wie nach der Obduktion feststand, wurde sie zuvor wochenlang festgehalten, misshandelt und missbraucht. „Und mein Schwager, das Schwein, hatte alle von seiner Unschuld überzeugt. Mehr noch, ihm wurde die Rolle des verzweifelt trauernden Ehemannes auch noch abgenommen! Welch eine widerwärtige Kreatur – ich konnte ihn noch nie leiden und wusste, dass irgendwann etwas Schlimmes passieren würde. Selbst als ich mit der Knarre vor ihm stand, spielte er noch den Unschuldigen.“
„Ja, das ist hart“, nickte Michael zustimmend. „Aber bist du dir sicher, dass es dein Schwager wirklich war?“
„Natürlich!“ Marc spuckte das Wort regelrecht aus. „Die Ehe der beiden stand kurz vor dem Aus, Andrea wollte sich trennen. Hat sie mir selber erzählt. Und Ralf, unserem gemeinsamen Freund und Nachbarn aus Kindertagen, hatte sie sich auch anvertraut. Hat er mir erzählt. Dass ihr Mann neuerdings auch so perverse Sexpraktiken hätte und sie dabei in letzter Zeit immer eine Perücke mit langen roten Locken aufsetzen müsste, damit er in Fahrt kam. Und rate mal, was sie in der Waldhütte gefunden haben? Eine rote Perücke. Aber das wurde als Beweismittel natürlich nicht anerkannt. Da könnte ja jeder kommen und im Nachhinein so etwas erzählen. Dieses widerliche Schwein!“ Tränen glitzerten in Marcs Augen. „Aber wieso fragst du? Ich setze jetzt deine Geschichte einfach mal als wahr voraus – du hast doch das blassgelbe Feuer in meinen Augen gesehen, dass angeblich für einen Mord aus Rache spricht.“
„Ja, ja – schon gut. Weiß ich, wie zuverlässig das Ganze ist? Ob ein Mord, den man begeht, weil man meint, damit einen anderen Mord zu rächen auch als Selbstjustiz ausgelegt wird ... obwohl man den Falschen vor sich hat?“, beschwichtigte Michael.
„Wie sieht es denn bei dir aus?“, warf Marc ein. „Deinen Ausführungen zufolge müsstest du ja auch so ein Mörder aus Rache sein. Da du offensichtlich die Mission als Feuer... äh ...wächter angenommen hast.“
„Ich sehe, du bist bei mir“, grinste Michael. „Dafür habe ich hier vier Blüten in der Schachtel. Wenn du dich für die Option entscheidest zum Feuerwächter zu werden, musst du drei Mörder aufspüren. Für jeden hast du 24 Stunden Zeit. Schaffst du das nicht, wirst du selber eliminiert. Wie genau das abläuft – frag mich nicht. Da soll der ursprüngliche Initiator dieser Sache in Aktion treten. Ich will’s auch gar nicht so genau wissen, aber zum Glück bist du meine Nummer drei und danach bin ich raus aus der Sache“, führte Michael selbstzufrieden und offensichtlich erleichtert aus. „Aber ich wollte dir ja die Sache mit der 4. Blüte erklären. Die ist für sofort, damit du dich von der Sache überzeugen kannst. Nicht, dass du glaubst, dass ich dir hier irgendwelche halluzinogenen Pflanzen andrehe und du daraufhin unschuldige Menschen umbringst.“ Michael lachte kurz auf.
„Für sofort?“, fragte Marc irritiert.
„Ja“, setzte Michael seine Erklärung fort, „noch ist meine Schuld nicht abgegolten und das Feuer lodert noch in meinen Augen. Iss eine Blüte, schau es dir an, berühr mich und guck dir an, was ich getan habe. Du wirst meinen Mord in allen Einzelheiten sehen und den Hintergrund dafür schlagartig erfassen.“ Jetzt huschte ein kleiner Schatten über Michaels Gesicht und seine Heiterkeit schlug kurzfristig in Melancholie um.
Marc war zwar noch leicht skeptisch, aber was hatte er für eine Wahl? Im schlimmsten Fall war der Typ doch wahnsinnig und Marc würde jetzt eine vergiftete Blüte essen. Andererseits könnte Michael ihn auch direkt mit seiner merkwürdigen Laserwaffe da töten. Falls die überhaupt so funktionierte wie ausgeführt und nicht eine billige Attrappe war. Ach, was sollte es schon ... Beherzt griff Marc zu einer Blüte, steckte sie in den Mund und schluckte sie hinunter.
„Jetzt dauert es nur ein paar Sekunden“, vernahm Marc von Michael. Er blickte auf und sah ihm fest in die Augen. Und tatsächlich – ein paar Augenblicke später sah Marc ein hellgelb loderndes Feuer in den Augen seines Gegenübers. Michael streckte ihm bereitwillig seinen Arm herüber und Marc berührte ihn zögernd. Zwei Sekunden später entfuhr Marc ein atemloses „Wow“.
„Ganz schön beeindruckend, was?“ lächelte Michael ihm entgegen.
Marc hatte das Gefühl, er hätte einen 90-minütigen Film gesehen, soviel Input hatte er. Er hatte Michael gesehen, wie er einen kleinen schmächtigen Mann mit einem Baseballschläger zu Tode geprügelt hatte. Und dabei in einen regelrechten Rausch verfallen war. Dieser Mann hatte zuvor Michaels 8-jährige Tochter vor der Schule abgefangen, in sein Auto gelockt, in einem Waldstück mehrfach missbraucht und anschließend stranguliert. Michaels Frau hatte sich kurze Zeit später in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten. Der Mann wurde aus Mangel an Beweisen frei gelassen, obwohl er als dringend tatverdächtig galt. Michael hatte seine Leiche spurlos verschwinden lassen.
„Woher wusstest du, dass er...?“, fragte Marc überwältigt von den Eindrücken.
„Tjoa, war wohl irgendwie wie bei dir auch. Ich wusste es rein intuitiv. Ein Vater spürt sowas. Obwohl du ja für dich zusätzlich noch den Beweis mit der roten Perücke hattest“, erwiderte Michael und setzte hinzu: „Was ist – nimmst du den Deal an?“
Marc versuchte ein schiefes Grinsen und sagte mit Blick auf die Laserwaffe in Michaels Hand: „Eine echte Alternative habe ich ja nicht. Ich mache mir nur ein wenig Sorgen um diese 24-Stunden-Frist.“
„Ach“, lachte Michael, „da kann ich dir die Sorgen nehmen. Ich hab in der Nacht vor der Einnahme der ersten Blüte vor Angst und Aufregung nicht geschlafen und Pläne geschmiedet, wo ich hinfahre um die Chance zu haben einen Mörder zu finden. Ich hatte den Kiez geplant oder den Bahnhof Zoo in Berlin. Aber du glaubst ja gar nicht wie viele Mörder rumlaufen“, er lachte kurz bitter auf. „Du bist mir heute auch direkt nach dem Frühstück im Supermarkt über den Weg gelaufen. Und gestern und vorgestern hat mir ein Bummel in der Altstadt genügt. Hast du nicht zufällig in den Nachrichten gehört, dass an zwei aufeinander folgenden Tagen zwei Personen beim Einkaufsbummel an einem Herzinfarkt gestorben sind? So ein Zufall. Tja, hatten beide ein knallrotes Feuer in den Augen – und der Laser hier wirkt wirklich zuverlässig und ist extrem unauffällig...“, grinste Michael und setzte angewidert fort: „Es ist nicht schön zu sehen, wie eine junge Mutter ihr Baby mit einem Kissen erstickt.

Marc saß am nächsten Mittag am Küchentisch und starrte auf seine kleine Schachtel mit den drei Blüten. Daneben lag eine kleine Laserwaffe. Für den Fall, dass er 3 Menschen mit gelbem Feuer in den Augen finden würde, die er vor die Wahl stellen würde, hatte ihm ein geheimnisvoll aussehender Mann heute früh noch eine Kiste mit mehreren blütengefüllten Schachteln und Laserwaffen vorbei gebracht. Und ihm eindringlich erklärt, dass er die Klappe halten sollte – sobald er sich jemanden anvertrauen würde, wäre sein Ende besiegelt. Ebenso seien die Blüten sowie die Waffen wirkungslos, wenn er es einem Unbeteiligtem demonstrieren wolle. Und da der Mann heute Morgen wirklich sehr ehrfurchtgebietend aufgetreten ist und ohnehin schon genug Unerklärliches im Spiel war, lag es Marc auch völlig fern irgendein Risiko eingehen zu wollen. Der Mann würde wiederkommen, wenn Marc sein Soll erfüllt hätte und die übrigen Gegenstände wieder mitnehmen. Oder ihn eben eliminieren, falls er es nicht schaffen sollte. Das wäre aber erst äußerst selten vorgekommen, versuchte der Mann ihn zu beruhigen und klärte noch ein paar weitere Modalitäten mit Marc ab.
Marc wusste gar nicht, was ihm lieber wäre. Drei Menschen zu finden mit rotem Feuer in den Augen und schnell und unauffällig den Laser auf sie zu richten oder lieber die mit dem gelben Feuer und sie hinterher aufzusuchen und vor die Wahl zu stellen. Sobald man die Menschen berührt und der Film im Kopf abläuft, weiß man alles von ihnen. Wo sie wohnen, wann sie innerhalb der nächsten Stunden wo anzutreffen sind usw. Die erste Variante wäre definitiv die schnellere, die zweite ließ einen nicht erneut zum Mörder werden. Naja, Hauptsache jemanden finden und aus der Nummer rauskommen.
Für heute hatte er auch einen ganz guten Plan. Er wollte gleich mit seinem besten Kumpel Ralf nach Schalke aufbrechen. Sie hatten Dauerkarten und er war sich sicher, dass sich irgendwo im Stadion zwischen den gut 60.000 Zuschauern ein Mörder finden lassen würde. Bestimmt mehrere, aber man durfte innerhalb der 24 Stunden nur einen auslöschen.
Marc steckte die kleine Laserwaffe, die wie eine Mini-Taschenlampe aussah, in seine Jackentasche und machte sich noch kurz Sorgen, ob er damit ins Stadion kommen würde. Aber so klein wie die war ... und wahrscheinlich könnte er den Job sogar noch vor dem Spiel außerhalb der Stadions erledigen. Allmählich machte sich sogar ein Gefühl von Spannung in Marc breit. Er steckte sich eine Blüte in den Mund und machte sich auf den Weg zu Ralf. Bevor er in der Aufregung noch die Schachtel verlieren würde, wollte er die Blüte lieber direkt zu Hause einwerfen. Die Wirkung hielt ja 24 Stunden an.

Marc lief die Stufen im Treppenhaus zu Ralfs Wohnung hoch. Die Haustür von Ralf war angelehnt und Marc hörte Ralf aus dem Badezimmer rufen: „Komm rein, ich muss noch schnell eine Hose überziehen! Der Kaffee ist schon durchgelaufen, kannst uns schon mal eingießen.“ Marc tat wie ihm angewiesen und als er gerade beide Tassen gefüllt hatte und sich an den Küchentisch setzte, betrat Ralf fröhlich grinsend die Küche. Mit einem lodernden roten Feuer in den Augen ging er zum Küchenschrank um die Zuckerdose herauszuholen. Marc erstarrte. Das konnte doch nicht sein!
„Alter Junge, was ist denn mit dir los? Du bist ja weiß wie die Wand. Ist dir nicht gut?“, fragte Ralf sichtlich besorgt. Marc konnte nur in Ralfs Augen starren und nichts erwidern. Gedanken rasten durch seinen Kopf. Was sollte er tun? Sein bester Kumpel, den er nun seit über 30 Jahren kannte, hatte offensichtlich jemanden umgebracht. Wie konnte das denn sein? Warum hatte Marc nie etwas gemerkt? Ok, er hatte ja auch seinen Schwager umgebracht und Ralf wusste nichts davon. Aber Ralfs Feuer war rot! Marc wollte davon gar nichts wissen oder sehen. Am liebsten einfach raus laufen, die Sache vergessen, drei andere Leute mit Feueraugen finden und danach erst Ralf wieder treffen und sich einreden, dass das nur Einbildung gewesen sei mit dem Feuer in seinen Augen. Genauso würde er es machen! Er stand ruckartig vom Küchentisch auf und taumelte zur Seite.
„Mensch, du bist ja ganz schwindlig“, rief Ralf, eilte an seine Seite und legte ihm stützend eine Hand auf die Schulter.
In dem Moment durchfuhr es Marc. Er sah Ralf, wie er seiner geliebten Schwester Andrea K.O.-Tropfen in den Kaffee tat. Und sie in die Waldhütte verschleppte. Er konnte das Kopfkino nicht ausschalten und musste mit ansehen, wie Ralf sie über Wochen täglich mehrfach vergewaltigte. Und dabei beteuerte, wie sehr er sie lieben würde ... schon immer geliebt hätte ... aber sie hätte ja nur den guten Kumpel in ihm gesehen und ihn verspottet und es als blöden Scherz abgetan, als er ihr als Jugendlicher seine Liebe gestanden hatte. Und wie er hinterher, nachdem er Andrea dort angekettet und geknebelt einfach sich selbst überlassen hatte, diese dämliche rote Perücke in dem Kellerloch neben der Leiche seiner Schwester platzierte. Mit einem abartigen Grinsen im Gesicht ... bei dem Gedanken, wie er Marc schon in weiser Voraussicht diese falsche Fährte gelegt hatte und ihm die Geschichte aufgetischt hatte, Andrea hätte ihm von dieser Vorliebe ihres Noch-Ehemannes erzählt. Und wie Ralf sich als Andenken sowohl von Andreas Haaren und von der Perücke eine Strähne abgeschnitten hatte, ein blaues Band drum gewickelt hatte und in seine Nachttischschublade gelegt hatte.
„Es geht schon, hab was Falsches gegessen, muss das eben loswerden“, stammelte Marc und lief aus der Küche. Er nahm allerdings nicht die Badezimmertür, sondern die Schlafzimmertür ein Zimmer weiter. Er öffnete die Nachttischschublade und blickte fassungslos auf die beiden Haarsträhnen, die von einem blauen Band zusammengehalten wurden.
Mit dem Gedanken, dass dieser Herzstillstand durch den Laser viel zu einfach und sauber sei, stürzte er in der Küche auf den Messerblock zu und rammte dem verdutzten Ralf das längste Fleischermesser in den Unterleib. Und zertrümmerte eine Sekunde später sein Nasenbein mit der Faust. Er geriet in einen regelrechten Rausch, schlug und trat auf seinen „Freund“ ein, zertrümmerte zwei der Küchenstühle auf ihm, knallte seinen Kopf mehrmals hart auf die Fliesen und als Ralf nach einem harten Gerangel endlich bewegungslos vor ihm lag, kniete Marc sich in die Blutlache und stach immer wieder mit dem Messer auf ihn ein. Immer wieder. Ihm war alles egal. Scheiß auf seine Mission als Feuerwächter. Er wollte nicht nachdenken. Auch nicht darüber, dass er seinen Schwager zu Unrecht erledigt hatte. Er wollte nur Ralf wehtun.

10 Minuten später, als die von den Nachbarn aufgrund des Lärms gerufene Polizei die Haustür aufbrach und in die Küche stürmte, stach Marc immer noch auf die mittlerweile breiige Masse vor ihm auf dem Küchenboden ein ...

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Tag der Veröffentlichung: 30.03.2013

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