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1

 „Ich bring dich im!" Ein Rauschen in ihrem Gehörgang.

Mit dem letzten Seilstrang vervollständigte er das Muster auf ihrer Brust. Nach dem er die Seilenden fest verknotet hatte, hatte er ihr einen Hieb verpasst, worauf sie zum Boden stürzte.

„Ich bring dich um!" Der Herzschlag hämmerte in ihren Schläfen.

Sie schluckte den Kloß aus störenden Gedanken hinunter und atmete tief ein. Das Gewicht, mit dem sie gegen die harten Bodendielen gedrückt wurde, presste die Luft gleich wieder aus ihrem Körper hinaus.

„Ich bring dich ..." Das Ende wurde eingeläutet.

Sie drehte den Kopf zur Seite, als versuchte sie auf diese Art der Drohung zu entkommen. Ihr Hüftgelenk vibrierte. Er presste ihre Wade gegen den Oberschenkel, um beides mit einem weiteren Seil zusammen zu schnüren.

„Hm ..."

Die Spucke lief ihr über die Lippen. Dabei fühlte sich ihr Mund trocken an. Dieser Widerspruch beschäftigte sie eine Weile und lenkte sie ab.

Ihr Blut sammelte sich in ihren Lenden. Die Leere im Kopf katapultierte sie beinahe in Ohnmacht. Die Schnürung am Bein war so fest, dass sie sich mit der Ferse selbst gegen die Pobacke trat.

Er zog sie an den Haaren und schob ihr den Hinterkopf in den Nacken. Unmittelbar neben ihr raschelte es. Als sie die Augen öffnete, war alles um sie herum im Nebel versunken.

Das Kribbeln in ihrem Schritt breitete sich wie eine Welle rasend über ihren gesamten Unterleib aus. Seine Finger drangen in sie hinein, begleitet vom obszönen Schmatzen. Die Geräusche bewegten sie dazu, ihr Gesicht seinem Blick zu entziehen.

Die ersten Schweißtropfen drängten sich zwischen ihre Haut und die Plastiktüte, die er ihr über den Kopf gestülpt hatte. Ihr eigener heißer Atem schlug ihr wie ein Echo ins Gesicht. Die Ohnmachtsanfälle, gegen die sie ankämpfte, häuften sich. Ihr war, als stünde sie neben ihrem eigenen Körper und sähe sich zu, wie sie, auf die Größe eines Schiffskoffers zusammengeschnürt, kurz vorm Höhepunkt stand.

Dann teilte ihr eine krächzende Stimme erneut mit:

„Ich bring dich um!"

„Mayday", stöhnte sie, nur noch einen einzigen Lendenstoß von der Ohnmacht entfernt.

Er erzitterte. Als hätte er ein blankes Stromkabel angefasst. Mit einer Hand zog er ihr augenblicklich die Tüte vom Kopf, mit der anderen holte er die Seilenden unter der Schnürung hervor und fing an, sie los zu binden.

Kaum löste er die letzte Schlaufe, schoss das Blut zurück in ihre tauben Glieder. Ein unerträgliches Kribbeln lähmte nicht nur ihren Körper, sondern kurzfristig auch ihre Gedanken.

„Es tut mir leid", murmelte sie wenig später und weichte erneut seinem Blick aus.

„Nichts passiert", entgegnete er kühl. Viel gelassener als sie. Die eiskalte Dusche, die sie sich vorhin mit dem Abbruch selbst verpasst hatte, hatte ihre Erregung wie eine scharfe Klinge wortwörtlich kastriert.

Er ließ ihr Zeit. Im Schneidersitz verharrend, auf den alten Dielen, sah er ihr zu, wie sie sich langsam sammelte. Wie sie ihre Glieder wieder anatomisch korrekt geraderichtete und sich dann ebenfalls aufsetze.

„Was ist los?"

„Nichts."

Sie streifte sich die lose Strähne hinters Ohr, die ihr die Friseurin am Vortag viel zu kurz abschnitten hatte. Mit einem festen Griff ins Haar zog er ihren Kopf zu sich, um sie auf den Mund zu küssen.

„Lüg mich nicht an."

Diesmal streifte er ihr die Strähne aus dem Gesicht und leckte den Schweiß von ihrer Schläfe ab.

Sie erschauerte, was sie als sehr angenehm empfand. Ihre Erregung fand dennoch keine Fortsetzung.

„Was ist los?"

„Ich fühl mich ..."

„Erzähl mir keinen Scheiß, Nina. So kann ich nicht mit dir arbeiten."

„Arbeiten?", ätzte sie mit einem lachenden Unterton. Du meinst: So kannst du mich nicht ... Ihre Gedanken stockten. Sex hatte für sie beide keine Priorität.

Erneutes Ziehen an ihren Haaren rüttelte sie wach. Als sie daraufhin den Blick hob, traf sie auf seinen.

„Hat er etwa schon wieder angerufen?"

Ein Schweigen als Antwort. Aneinander gepresste Lippen, an denen sie von innen nervös leckte.

„Du musst zur Polizei."

„Ich bin die Polizei!", prustete sie los, erwartete daraufhin irgendeine Grobheit, was ihr wiederum ein Kribbeln bescherte, aber nicht mehr ...

„Shit", fluchte sie leise und zog fest den Kopf zur Seite. Nachdem sie das einige Haare samt Wurzeln kostete, ließ er sie schließlich los.

Sie dachte nach. Ein, zwei Sekunden, die ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkamen. Dann hob sie den Kopf, sah ihn an, machte den Mund weit auf, als wollte sie die gut gebauten Ein-meter-neunzig verschlucken und flüsterte schließlich geknickt:

„Du hast recht."

Er seufzte erleichtert.

„Ich mach Schluss", fügte sie an.

„Wie, Schluss. Womit?"

Der diplomierte Elektrotechnikingenieur und Doktor der Physik, der sonst auf alles eine Antwort wusste, begegnete ihr zum ersten Mal völlig planlos.

Sie stand langsam auf. Das machte sie selten: Vor ihm aufzustehen. Es war seine Größe, die es ihr gleich bei der ersten Begegnung angetan hatte. Und so von oben betrachtet, sah er gar nicht mehr so groß aus.

„Die Anrufe häufen sich. Ich will nicht, dass ich dich eines Tages nicht mehr am Telefon erreiche ..."

Er lachte drauf los und verstummte schlagartig.

„Meinst du das etwa ernst?"

„Ja", antwortete sie knapp und begab sich auf die Suche nach ihren Klamotten. Nicht nach denen, die er ihr zu Beginn dieses Treffens vom Leib gerissen hatte. Die waren reif für die Tonne.

Sie stöberte ungern in den Kästen anderer. Nicht nur, weil sie nie wusste, auf was sie stoßen würde. In seinem Fall wünschte sie sich ein paar Geheimnisse, die er sich ihr gegenüber bewahren sollte.

Alle zwei Monate kam sie mit einem Koffer voller Kleidung bei ihm an, die er dann, nachdem sie wieder gegangen war, irgendwo verstaut hatte. Bislang überreichte er ihr stets was Frisches zum Anziehen. Damit zeigte er ihr auch, was er gerne an ihr sah. Doch an diesem Tag lief alles anders. Ungewohnt. Und auf alle Fälle nicht zufriedenstellend.

„Was jetzt?"

Er beobachtete sie bei der Suche und auch, als sie fündig wurde. Sie schlüpfte in die Unterwäsche, die mittlerweile nach ihm roch. Wie alles in seiner Wohnung. Das mochte sie.

„Wie, was jetzt?"

„Machst jetzt echt Schluss, nur weil du denkst, er könnte mir was antun?"

Schon der Abbruch des Spiels fühlte sich für sie an, als hätte man sie mit eiskaltem Wasser übergossen. Seine Frage löste aufs Neue das gleiche Gefühl in ihr aus.

Er ...

Irgendwann hatte sie ihm von diesen merkwürdigen Anrufen gebeichtet. Nur weil es ihr unangenehm war, zuzugeben, die Stimme nicht erkennen zu können, sagte sie, es handle sich um einen Mann. Es hätte jeder dahinter stecken können.

„Grüß euch!"

Iris erschien plötzlich in der Tür. Niko stand auf, ging auf sie zu, umarmte sie fest und küsste sie auf den Mund. Er war immer noch unbekleidet. Auch das fühlte sich für Nina sehr eigenartig an.

Iris wusste genau, was die zwei in ihrer Abwesenheit machten. Dennoch kam sich Nina in flagranti erwischt.

Als Niko Iris frei gab, schlang Nina ihre Arme um sie. Die Frauen busselten sich ab. Danach zog sich Iris den Mantel aus.

„Ich wollte euch nicht stören."

„Das ist schon okay. Ich muss sowieso los."

Nina ergriff ihre Handtasche, drängte sich an Iris vorbei durch die Zimmertür und eilte zum Wohnungsausgang.

„Nina!", herrschte er sie an. Und da erst kehrte die Erregung in sie zurück. Nina glaubte, deshalb, weil sie von ihm nicht mehr das bekommen konnte, was ich gerne hätte.

Scheiß Polyamorie, dachte sie sich, während sie zwei Schritte rückwärtsging und dann auf ihn zulief, um ihn flüchtig auf den Mund zu küssen, um danach erneut durch die Tür zu flüchten.

„Ich melde mich bald."

 

2

 

„Du wirkst nachdenkend“, sagte Ninas Kollege. Seine Worte erreichten sie erst, als er sie in die Schulter stupste.

„Schlecht geschlafen“, brummte sie ihn an.

Sie betrachtete die Hände in klobigen Handschuhen, wie sie durch die Regale des Schrankes wühlten. Als gehörten sie nicht ihr. Genauso fühlte sich auch der Rest ihres Körpers an. Mit den Gedanken war sie auch ganz wo anders.

„So siehst du aber nicht aus.“

Auf ihren Lippen zeichnete sich ein Schmunzeln ab. Der lebenslange Vorrat an Kondomen, den sie soeben in dem Schrank eines Vierzehnjährigen fand, war nicht dafür verantwortlich.

Sie holte tief Luft, um sie gleich wieder mit einem undefinierbaren Geräusch hinaus zu pusten. Danach schloss sie den Schrank und zog sich die Handschuhe aus.

„Wie sehe ich denn aus?“

Der Polizist filzte noch ein weiteres Regal durch, ehe er verkrampfte, als wäre er mit dem Finger über eine Klinge geglitten. Nina eile sofort zu ihm. Schnell zog sie sich die Handschuhe wieder an, blieb dabei mit ihrem angebrochenen Fingernagel im Futter hängen.

„Eine Nadel?“

Ein Jahr war es her, wo er bei der Durchsuchung eines Jugendzimmers auf eine gestoßen war. Damals trug er nur Latexhandschuhe, wie die meisten unter ihnen zu dieser Zeit. Niemand hatte damit gerechnet, in einem sozial stabilen Haushalt mit gutem Ruf auf ein Drogenproblem zu stoßen. Die letzte Hepatitis Untersuchung, die er nach diesem Vorfall absolvieren musste, war gerade mal zwei Wochen her. Das endgültig negative Ergebnis wurde im Team gebührend gefeiert. Nun schien das Alles von vorne los zu gehen.

„Nein. Hier ist rein gar nichts“, stöhnte er genervt und drehte sich zu Nina.

„Was war es dann?“

„Du hast mich zum ersten Mal nach meiner Meinung gefragt.“

Nun stockte Nina. Nicht, weil es tatsächlich zum ersten Mal war. So genau wusste sie es gar nicht. Aber dass er es zu wissen glaubte, überraschte sie sehr.

„Na wenn dem schon so ist, dann lass hören.“

„Du hast Schluss gemacht.“

Nina erzitterte. Um das zu überspielen, zog sie sich die Handschuhe aus und zerzauste ihr in Pferdeschwanz gebundenes Haar.

„Hätte er Schluss gemacht, wärst du sauer. Du siehst aus, als hättest du ein schlechtes Gewissen. Schuldgefühle …“

„Eine sehr interessante Theorie, Doktor Freud. Und wie hilft uns das den Jungen zu finden?“

„Na klar hast du Schluss gemacht. Hätte er, wärst du drauf erpicht, dass ich dir etwas liefere, damit du über ihn herziehen kannst. Dein schlechtes Gewissen treibt dich dazu, dieses Thema so schnell wie möglich vom Tisch zu fegen.“

Wie ferngesteuert ging sie zum Schreibtisch. An der Wand darüber hing eine Pinnwand. Zwischen all den Fotos die darauf mit Pinnnadeln angeheftet waren, entdeckte sie ein blaues Bändchen.

„Kommt dir das bekannt vor?“

Dieses Mal streife sie sich lediglich ein paar Latexhandschuhe über. Sie pflückte das Bändchen von der Korkplatte und hielt es ihrem Kollegen entgegen.

„Ne. Sollte es?“

„Sara Meckel.“

Ihr Kollege, Sharif, den alle nur Sheriff nannten, wusste weiterhin nicht, wovon sie sprach.

„Sommer 2012. Die vermisste Einserschülerin, die nach zwei Monaten Suche von dem Hund eines Joggers unter der Autobahnschleife gefunden wurde.“

„Was war es?“

Nun war Nina an der Reihe mit dumm-aus-der-Wäsche-gucken.

„Hat er irgendeinen Jahrestag vergessen?“, brummte er sie ärgerlich an, während er auf sie zukam, um ihr das Band aus der Hand zu nehmen. „Wenn du privat auch stets mit Zahlen und Fakten um dich schmeißt, ruinierst du dir jede Beziehung.“

Er betrachtete das einen Zentimeter breite Bändchen, an dessen Enden noch die Überreste eines Klebers hafteten. Zwischendurch warf er einen Blick zu der Pinnwand, kurz darauf starrte er wieder das Bändchen an.

„Aidshilfe ist rot und Brustkrebs rosa“, fügte Nina an.

„Hast du etwa auch seine Gedanken gelesen?“

Nina schnaubte wie ein Pferd, riss ihm das Bändchen aus der Hand, um es als Beweismittel einzutüten.

„Nur zu deiner Information. Unser Jahrestag ist erst im Frühling. Und nein, ich habe nicht Schluss gemacht.“

Habe ich das echt nicht?

Sheriff schmunzelte. Seit seinem ersten Arbeitstag in Ninas Team versuchte er etwas Privates über sie zu erfahren. Drei Jahre hielt sie ihn auf Abstand und plauderte nun binnen Sekunden etliches aus.

„Frau Krenn?“ Bevor Sheriff einen Siegestanz aufführte, rief Nina nach der Mutter des vermissten Jungen. Die Frau, Mitte Dreißig, betrat daraufhin das Zimmer. Entsetzt betrachtete sie die offenen Schränke und die von den Kriminalbeamten angerichtete Unordnung. Ihre Augen waren errötet von vielem Weinen, auch wenn ihr Gesicht wie in Stein gemeißelt aussah.

Botox, vermutete Nina. Wahrscheinlich von eigenem Ehemann gespritzt. Dieser war ein bekannter Schönheitschirurg.

„Frau Krenn, sagt Ihnen der Name Sara Meckel etwas?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Sicher keine von Timons Mitschülerinnen.“

„Das sicher nicht. Sara war um zwei Jahre älter als ihr Sohn.“

„Mein Sohn verkehrt nicht mit älteren Mädchen!“, konterte sie empört.

Die beiden taten so, als hätten sie den Unterton nicht bemerkt. Nina ging in Gedanken die bekannten Fakten durch:

Zwei unterschiedliche Familien. Sara war streng gläubig erzogen worden. Ihre Familie gehörte zu regelmäßigen Kirchengehern und war in der Pfarrgemeinde ihres Bezirkes sehr engagiert. Sie brauchte Timons Mutter gar nicht erst fragen, wann sie das letzte Mal in einer Kirche war. Ihr tiefes Dekolleté hatte ihr längst die Antwort geliefert.

Nicht nur, dass die Kinder unterschiedlichen Alters waren. Die Beamten fanden rein gar nichts, was sie gemeinsam haben könnten.

„Außer dieses Band“, murmelte sie leise.

„Band?“

Die Mutter streckte die Hand nach der durchsichtigen Plastiktüte, die Nina sofort aus ihrer Reichweite zog. Doch dann stoppe sie, und hielt sie ihr vor die Nase.

„Kennen Sie es?“

„Nein.“ Sie schüttelte zusätzlich den Kopf.

Impressum

Texte: Zoe Zander
Cover: Jeanette Peters
Tag der Veröffentlichung: 09.07.2018

Alle Rechte vorbehalten

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