Lilja und die Liebe
XXL – Leseprobe
Karin Lindberg
Liebesroman
XXL – Leseprobe
Lilja und die Liebe
© Copyright 2015 by Karin Lindberg
www.karinlindberg.info
Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat: Katrin Engstfeld www.kalliope-lektorat.de
Covergestaltung: www.kreativi-production.de
Prolog
„… fünf … vier … drei …zwei … eins … fertig!“
Gott sei Dank.
Ich stieg schwer atmend vom Crosstrainer und wischte mir den Schweiß mit einem Handtuch aus dem Gesicht.
„Und jetzt machen wir noch hundert Situps, Süße!“
Wie kam der Idiot überhaupt dazu, mich Süße zu nennen? „Nicht aufregen Lilja, bleib ruhig“, sprach ich mir selbst zu.
Ich bemühte mich, meinen Unmut vor meinem Fitnesstrainer zu verbergen, und atmete noch einmal tief durch. Ich tat es schließlich für mich und meine Gesundheit und für niemanden sonst.
Der kleine Mann, der komplett in Adidas gekleidet war, hüpfte aufgeregt neben mir auf und ab: „Nun mach schon, Süße! Du schaffst das!“
Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Ich warf das Handtuch auf den blankpolierten Fußboden meines Fitnessraumes und schrie ihn an: „Nenn mich noch einmal Süße und du fliegst hier in hohem Bogen raus! Haben wir uns verstanden?“
Pétur schaute mich ungläubig an: „… aber …!“
„Halt die Klappe! Oder bezahle ich dich fürs Labern?“
Ich setzte mich auf die pinkfarbene Yogamatte und begann mit meinen Bauchmuskelübungen, während Pétur im Kreis um mich herum lief.
„Jaaaa, gut so. Genau so, Baby!“
Baby? Es reichte. Ich hielt es keine Sekunde länger aus.
Ich stoppte nach dem zehnten Situp, legte mich flach auf den Rücken und starrte an die Decke. Die eingebauten Strahler blendeten mich und ich musste blinzeln.
„Was ist los? Mach weiter, B…“
Mit einem Satz war ich auf den Beinen und baute mich vor Pétur auf. Ich war fast einen Kopf größer als er, was mich wahrscheinlich noch bedrohlicher wirken ließ.
„Ich habe dich gewarnt – das war’s. Du bist gefeuert. Ich wünsche dir alles Gute für den weiteren Lebensweg und so weiter. Auf Wiedersehen!“
Sein Kinn klappte nach unten und er trat einen Schritt zurück, als wartete er darauf, dass ich lachen würde, als wäre es nur ein Witz.
Mitnichten! Es war mein bitterer Ernst. Ich konnte den Kerl keine Minute länger ertragen.
„Wie … was …?“, stammelte er.
„Hast du vielleicht was auf den Ohren? Den Weg nach draußen wirst du ja wohl noch finden.“
Damit war das Thema für mich erledigt. Ich schlüpfte aus meinen Turnschuhen und nahm einen Schluck aus der Trinkflasche, die sich noch in der Halterung am Crosstrainer befand. Pétur drehte sich wortlos um und verschwand. Solche Leute kosteten Nerven und ich verspürte das dringende Bedürfnis, ein Glas Nussnougatcreme auszulöffeln.
Ich seufzte und fuhr mir durch die schweißnassen Haare. Nach Péturs Abgang war es jetzt merkwürdig still im Raum. Wenn ich allein trainierte, lief sonst nebenbei immer eine DVD oder die Nachrichten versorgten mich mit Input. Aber um ehrlich zu sein, kam es selten vor, dass ich den Weg allein und freiwillig in mein kleines Fitnessreich fand.
Ein Blick auf die Uhr unter dem toten Flatscreen sagte mir, dass es höchste Zeit war. In einer halben Stunde hatte ich ein wichtiges Meeting.
1
Reykjavík
Der Wecker riss mich aus dem Schlaf. Ich hätte mich gerne noch einmal umgedreht, aber das wäre eine unverzeihliche Schwäche gewesen, und wenn ich eines hasste, dann Schwächlinge. Obwohl es erst kurz vor sechs war, strahlte die Sonne und der Himmel war tiefblau. Ich mochte den isländischen Sommer. Ausländer hatten hier öfter Probleme mit dem Schlafen, aber wenn man damit aufwuchs, war das permanente Tageslicht so normal wie die Dunkelheit im Winter.
Mit einer Tasse Kaffee ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa, um ihn dort zu genießen. Meine Penthousewohnung lag zentral in 101 Reykjavik. Von dort hatte ich einen atemberaubenden Blick auf die Reykjanesbucht und den Berg Esja, dem manche Isländer magische Fähigkeiten zusprachen. Ich selbst hielt davon nichts – mir lagen Fakten näher. Ich checkte als erstes auf dem iPad meine Mails. Nichts Wichtiges, also las ich kurz online die News im Morgunblaðid und auf M5. Wenn ich zuhause war, begann ich in der Regel so den Tag, denn im Büro hatte ich zum Zeitunglesen selten Zeit. Außerdem genoss ich die Ruhe am frühen Morgen. Ich war vierunddreißig, überzeugter Single, stolze Eigentümerin und CEO des Megakonzerns Fiskvís hf. Meine Eltern waren vor einigen Jahren kurz nacheinander gestorben und mir waren alle Anteile als Alleinerbin des Imperiums zugefallen.
Seit vier Jahren leitete ich den Konzern bereits, und das ziemlich erfolgreich. Ja, ich war stolz auf mich und meine Eltern wären es sicherlich auch gewesen. Erfolg kam nicht vom Nichtstun. Es war harte Arbeit und gerade nach der Finanzkrise lagen Isländer in der Businesswelt nicht gerade weit oben auf der Popularitätsliste. Ich hatte Glück, dass wir unser Geld mit Fisch verdienten – Essen mussten die Menschen immer. Eine mehr oder weniger krisensichere Branche, obwohl es anfänglich schwierig gewesen war, die Geschäfte nach dem Zusammenbruch 2008 weiterzufinanzieren. Aber mittlerweile bewegten wir uns wieder in ruhigerem Fahrwasser.
Nach einer heißen Dusche schlüpfte ich in ein graues Chanel-Kostüm und wählte schwarze Louboutin-Pumps dazu. Da ich keine Lust hatte, meine Kleidung in Schränken verstauben zu lassen, hatte ich eines der sieben Zimmer als Ankleidezimmer eingerichtet. Nicht weniger als zweihundert Paar Schuhe, unendlich viele Taschen und Businessoutfits waren dort penibel aufgereiht. Die Freizeitkleidung hatte eine eigene Ecke, Privates und Job trennte ich grundsätzlich strikt. Viel Freizeit hatte ich sowieso nicht, aber in jedem Fall musste ich mich auch ohne Kostüm und Pumps fortbewegen können. Als eine der reichsten Frauen einer Nation, die nur dreihundertzwanzigtausend Einwohner zählte, musste ich aufpassen, wie ich wo erschien.
Die „Dorfpost“, wie ich es nannte, funktionierte fantastisch, jeder noch so kleine Fauxpas sprach sich schneller herum, als sich eine Grippe ausbreiten konnte. Doch damit war ich aufgewachsen, und ich bewegte mich sowieso nur in den besseren Kreisen. Obwohl Island nur ein kleines Land war, gab es kleine elitäre Grüppchen, und in diesen fühlte ich mich wohl. Innerhalb dieser war es normal, reich zu sein und die dazugehörenden Profilneurosen traten überall auf, damit kam ich klar. Mit Armut und Gewöhnlichkeit hingegen hatte ich so meine Probleme.
Ein Leben in der Durchschnittlichkeit, eine von vielen zu sein, war für mich nicht nur undenkbar, es wäre garantiert mein Ende gewesen. Dazu war ich einfach nicht geschaffen. Ich liebte meine Sonderstellung in der Gesellschaft und schätzte den Reichtum und die damit verbundenen Annehmlichkeiten. Und wenn die Menschen ehrlicher gewesen wären, würden meiner Meinung nach alle zugeben, dass sie lieber Champagner als billigen Jahrgangssekt tranken.
Ich war bereits spät dran und trippelte nervös im Lift hin und her, während ich das Aluminiumpapier meines Schokoriegels in der Manteltasche verschwinden ließ. Meine einzige Schwäche. Kalorienbomben. Deswegen auch die lästige Sache mit dem Sport. Für ein schlechtes Gewissen wegen des ungesunden Frühstücks blieb mir allerdings keine weitere Zeit, ich hatte es eilig.
Konnte der Lift nicht schneller vom vierzehnten Stock nach unten fahren? Ich würde mit dem Porsche ganz schön heizen müssen. Die Strecke zum Büro betrug zwar nur etwa einen Kilometer, aber der schwarze Cayenne war selbst dann fraglos die für mich bessere Wahl, wenn ich die Zeit gehabt hätte, in Turnschuhen zu Fuß zu gehen. Endlich öffnete sich die Aufzugtür. Ich spurtete zum Auto und trat in die Pedale.
Nachdem ich den Wagen auf meinem Parkplatz in der firmeneigenen Tiefgarage abgestellt hatte, fuhr ich direkt in die oberste Etage, in der mein Büro lag. Das komplette Stockwerk war mit hellem Stäbchenparkett ausgelegt und an den Wänden hingen unzählige Kunstwerke. Jedes Gemälde ein Unikat. Wenn man allein deren Kaufwert zusammenzählte, hatte man wahrscheinlich den Gegenwert einer mittelgroßen Villa vor Augen.
Aber entweder man hatte Stil – oder nicht.
Ich legte Jacke und Tasche ab und fuhr mein Notebook hoch. Meine Assistentin Kristín brachte mir zeitgleich eine Tasse grünen Tee und wir gingen die Termine des Tages miteinander durch.
„Um fünfzehn Uhr hast du den Termin mit dem neuen Personal Trainer. Du hast das doch nicht vergessen?“
Fuck.
„Nein. Natürlich nicht. Hoffentlich ist er nicht so ein Vollidiot wie der letzte.“
„Ich will dir ja nicht zu viel versprechen, Lilja, aber er ist ein echter Geheimtipp.“
„Ich verstehe sowieso nicht, warum ich mich damit abquälen muss!“
Leider verstand ich ganz genau, warum ich mich mit einem Personal Trainer abgeben musste. Obwohl ich erst vierunddreißig war und eine ganz ansehnliche Figur hatte, war das alleine in meiner Familie kein Zeichen für gute Gesundheit. Neben meinem Vater waren etliche enge Verwandte an Herzinfarkten oder anderen Krankheiten verstorben, die mit dem Herz-Kreislauf-System zusammenhingen.
Meine letzte Untersuchung lag noch nicht lange zurück und der behandelnde Arzt hatte mir dringend geraten, mich an eine gesunde Ernährung und regelmäßige sportliche Betätigungen zu halten. Sonst wäre meine Lebenserwartung deutlich niedriger als die des Durchschnitts-Couchpotatos. Meine Cholesterinwerte waren mehr als nur leicht erhöht. Dazu kam noch der Darmkrebs, den meine Mutter dahingerafft hatte. Keine guten Voraussetzungen für ein langes Leben. Also musste ich, obwohl ich Sport hasste, meinen Körper quälen. Ich hatte zwar viel Disziplin, was gewisse Dinge anging, aber beim Sport mangelte es mir daran völlig.
Mein eigenes Fitnessstudio bedeutete nicht, dass ich die Geräte dort auch benutzte. Es gab kaum etwas Langweiligeres, als auf einem Laufband quasi auf der Stelle zu treten. Rein emotional gesehen also pure Zeitverschwendung, realistischerweise musste ich gestehen: lebensnotwendig. Also musste ich da durch. Ursprünglich hatte ich mir die Sache erleichtern wollen, indem ich einen Fitnessraum nach meinem Gusto ausstatten ließ. Warum sollte ich mich in einem Fitnessstudio zwischen den ganzen Proleten abrackern, wenn ich mir einen schnuckeligen Personal Trainer leisten konnte? Der Nachteil dabei war nur, dass ich die Personal Trainer meist genauso schnell feuerte, wie Kristín sie auftrieb.
Mein vollständiger Name: Lilja Ósk Stefánsdóttir. Mein Vater hieß also Stefán. In Island kennen wir kein „Sie“ in der Anrede und auch der Nachname ist eigentlich kein echter Nachname. Vielmehr ist er – in der Regel – der Vorname des Vaters mit einem Zusatz „son“ für Sohn oder „dóttir“ bei einer Tochter. Wie vielen Ausländern ich das schon erklärt hatte, wusste ich nicht mehr, aber manchmal war ich es leid. Manchmal wünschte ich mir sogar, dass wir in Island das „Sie“ nicht in Urzeiten abgeschafft hätten. Ich fand es tatsächlich viel besser, in gewissen Situationen, zum Beispiel wenn ich mal wieder einen Mitarbeiter in seine Schranken weisen musste, eine Distanz zwischen mir und wildfremden Menschen oder Angestellten zu haben. So musste ich sie anders schaffen.
Mein Ruf als knallharte Businessfrau eilte mir voraus. Es kam durchaus vor, dass ich viele Menschen entlassen musste, um beispielsweise eine Tochterfirma erfolgreich restrukturieren zu können. Für Außenstehende mochte dies unter Umständen herzlos aussehen.
Aber um in der heutigen Welt überleben zu können, musste man eine gewisse Härte haben, damit Firmen konkurrenzfähig wurden und blieben. Ich hatte den besten Lehrer gehabt, der nur viel zu früh gestorben war. Und ich besaß diese Härte, ein entscheidender Vorteil. Leider verstanden viele Menschen nicht, was tatsächlich alles dazu gehörte, ein Unternehmen erfolgreich zu leiten.
An diesem Vormittag hatte ich mehrere Sitzungen und Telefonkonferenzen mit unseren Tochterfirmen im europäischen Ausland. Dass ich bei diesen hirnverbrannten Vollidioten immer erst auf den Tisch hauen musste, bis meine Anweisungen endlich umgesetzt wurden, ging mir gehörig auf die Nerven. Die durfte man nicht zu lange alleine vor sich hin tüfteln lassen. Es wurde bald Zeit für mich, die Lage in Frankreich und Belgien vor Ort zu bewerten. Wenn die Katze aus dem Haus war, tanzten die Mäuse auf dem Tisch; ganz genauso waren Mitarbeiter. Vertrauen war gut, Kontrolle nicht nur besser, sondern notwendig, damit ein Laden funktionierte. Den perfekten Mitarbeiter gab es leider nur in der Theorie, mit irgendeiner Macke musste man sich immer abfinden.
Zum Lunch brachte mir Kristín Sushi und eisgekühltes Wasser mit Zitronenscheiben. Kantinenessen konnte ich nicht ausstehen, und auf die Blicke meiner Angestellten beim Essen hatte ich auch nur selten Lust. Erfolg macht einsam; da war was dran. Aber ich konnte damit gut umgehen und ich brauchte auch niemanden, weder beruflich noch privat. Meine letzte Beziehung lag schon einige Jahre zurück und ich vermisste diese Klette überhaupt nicht.
Die meisten isländischen Frauen in meinem Alter hatten mindestens zwei Kinder und waren entweder schon einmal geschieden oder zumindest beim Ehetherapeuten in Behandlung. Darauf verzichtete ich gerne.
Meine Bedürfnisse konnte ich, wenn ich Lust hatte, auf diversen Wegen befriedigen. Heutzutage doch alles kein Problem mehr, zumal mit den Möglichkeiten einer finanziell unabhängigen Businessfrau. Aber ich verhielt mich immer sehr diskret. Besagte Dorfpost in diesem kleinen Land sorgte schnell mal dafür, dass man zum gefundenen Fressen für Klatschmäuler wurde.
An einer Beziehung war ich nicht interessiert. Ohne Ketten war der Spaß ohnehin viel größer. Warum sollte ich daran etwas ändern? Nur über meine Leiche.
Eine männliche Person gab es jedoch in meinem Leben – meinen Stylisten Gabríel. Wir kannten uns seit ewigen Zeiten und er war gleichzeitig meine „beste Freundin“. Außer ihm durfte mich keiner ungeschminkt und in Gammelklamotten sehen.
Mist, es wurde spät. Langsam musste ich mich in mein Sportoutfit schmeißen. Lust hatte ich keine, aber die Alternative, früh zu sterben, war nicht besonders verlockend.
2
Reykjavík.
Er kam zu spät. Nicht gut.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2015
ISBN: 978-3-7396-2617-8
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